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Der treue Ritter

In Frankreich lebte einst ein erlesener Ritter, namens Willekin von Montabourg, dessen tapferer Sinn auf nichts als Turniere und ritterliche Spiele gerichtet war, so daß er in kurzer Frist in Schulden geriet und bald mehr als zwei Drittel seines väterlichen Gutes vertan hatte. Da weigerte sich der Vater, ihm länger von seinem Gelde zu geben, der Sohn aber versank darob in große Traurigkeit. Denn nicht weniger als fünf Jahre mußte er nun untätig zu Hause verliegen, so daß er des Ruhmes, den er sich bereits weithin erworben, wieder verlustig zu gehen und bald gänzlich in Vergessenheit zu geraten drohte. Da traf es sich nun, daß in einem nahen Lande eine schön erblühte Jungfrau, deren Reichtum zu jener Zeit nicht seinesgleichen hatte, ein Turnier ausrufen ließ. Denn da sie niemand wußte, den sie sich ebenbürtig hätte erachten können, um ihn zum Manne zu nehmen, rieten ihre Freunde, sie möge ein Turnier veranstalten und denjenigen zu ihrem Gatten machen, der darin den Preis erränge. Sie war es zufrieden, berief ihre Edelknechte, versprach ihnen reichen Lohn und sandte sie mit vielen Briefen fort, das Turnier zu verkündigen. Da neigten sie sich vor ihr, die ganze Burg erdröhnte von lautem Schalle, und eilten mit ihren Briefen in alle Richtungen des Landes hinaus.

Eines Morgens früh nun gelangte einer der Edelknechte auch in die Nähe des Hauses, wo jener fromme Ritter seine Zeit versaß. Dieser war gerade, um sich die Langeweile zu vertreiben, auf eine Wiese hinausgegangen, als er den Boten auf der Straße dahersprengen sah. Er dachte: »Ich will ihn nicht vorüberlassen und fragen, was er Neues bringt, vielleicht gelingt mir noch etwas, wovon mein Leid geringer würde.« Als der Edelknecht näher gekommen war, bat er ihn anzuhalten und erkundigte sich, was es im Lande für Märe gäbe. Da hub dieser an und sprach: »Ich will Euch neue Kunde sagen, denn mir ist aufgetragen, sie vor niemand zu verschweigen. Meine Herrin ist eine schöne Jungfrau und unermeßlich reich, so daß sie keinen zum Manne nehmen will, er wäre denn ein Held, der im Turnier den Preis erringt.« Da seufzte er laut auf und dachte: »O weh, daß Gott mich so voll ritterlicher Sehnsucht gemacht hat und ich zu Hause bleiben muß!«

Der Edelknecht wollte nun nicht länger warten, so daß der Ritter neben ihm hergehen mußte, bis sie an das Tor kamen. Dort sahen sie seinen Vater stehen. Rasch redete er dem Boten zu, er möge die Märe auch diesem erzählen und zum Beweise der Wahrheit seinen Brief vorzeigen. Der Edelknecht ging gerne darauf ein, wurde vom Vater wohl empfangen, ins Haus geführt und mit Brot, Wein und allerlei trefflicher Speise gelabt. Als der Gast gegessen und getrunken hatte, zog er seinen Brief hervor und sagte: »Wenn hier jemand wäre, der der Schrift kundig ist, der könnte in dem Briefe wohl sehen und lesen, wann das Turnier stattfinden wird, das meine Herrin sich vorgenommen hat. Es sollen gar viele Ritter dahin kommen, auch davon steht mancherlei darin geschrieben.« Da nahm der Schreiber den Brief und las: sogleich wußte er, wer die Dame war, denn ihr Name stand deutlich darin aufgezeichnet. Darauf begann er den Brief zu erklären: es handle sich, sagte er, um eine schöne Dame von gewaltigem Reichtum; was das Turnier beträfe, so habe sie es auf den vierzehnten Tag nach Pfingsten anberaumt und denjenigen zum Gatten ausersehen, der dabei den Preis behielte. Damit nahm der Edelknecht Abschied und ritt weiter. Denn er wußte nicht, daß dies der Ritter sei, von dem man schon in manchem Lande gelesen und geschrieben.

Als nun der Tag des Turniers immer näher rückte, beredete der arme Ritter, der weder Roß noch Schwert besaß, einen seiner Knechte, mit dem Vater zu sprechen und ihn zu bitten, er möge ihm noch einmal helfen, damit er zu dem Turniere reiten könne. »Gut«, sagte der Alte zu dem Knecht, »ich will ihm in Gottes Namen siebenzig Mark geben. Damit möge er zusehen, wie er's zu Ende bringt, mehr soll er nicht haben, denn ich gedenke selbst noch ein Weilchen zu leben. Zwei gute Pferde für ihn und dich, Mäntel und ein Schwert leihe ich auch noch dazu. Damit mögt ihr nun eure Straße ziehen.« Als der Herr erfuhr, was der Knecht ausgerichtet hatte, ward er ohnmaßen froh und traf sogleich seine Zurüstungen. Die Sättel wurden auf die Pferde geschnallt, das Schwert umgegürtet und das Roß bestiegen. So nahm er raschen Abschied und sprengte davon. Seine alte Mutter sah ihm weinend nach, denn sie liebte ihn mehr als sich selbst. Schnell ging sie zu einer Truhe und sandte ihm noch zehn Pfund Goldes hinterher, denn es tat ihrem Herzen weh, daß er auf dem langen Ritte draußen auf der Straße vielleicht seinen Mantel verpfänden müßte. Sechs Wochen ritten die beiden, bis sie sich endlich der Stadt näherten, in der die Jungfrau wohnte.

Da hieß er seinen Knecht vorausreiten, um eine Herberge für sie zu suchen, und sprach zu ihm: »Du kannst noch wählen, denn wir sind mit den Ersten hier. Sieh zu, daß du zu einem reichen Wirte kommst, der uns borgen möchte. Die siebenzig Mark, die ich bei mir habe, sind Spreu vor dem Wind. Denn ich will mit Schalle leben und so freigebig sein, daß der Ruf davon die Stadt erfüllt, möge es mir nun ergehen, wie es will.« So ritt denn der Knecht in die Stadt und bat allüberall um Herberge. Aber er fand keine, die seinem Herrn zu Gefallen gewesen wäre. Er sann hin und her, wie er einen Reichen finden möchte, aber so oft er es auch versuchte, es wollte keiner borgen. Da rief er laut zu Sankt Gertrud, sie möge ihm doch einen Wirt zuführen, bei dem sein Herr in Ehren hausen könnte. Da sah er denn auch schon drei reiche Männer vor einem großen Tore stehen. Rasch ritt er auf sie zu und klagte ihnen sein Leid. Da sprach der eine von den Kaufleuten: »Das redet Ihr mir in den Wind, Herr! Kein Ritter soll je wieder mein Gast sein, denn es gibt ihrer, die sind, scheint's, blind an der Ehre. Da wohnte einer auf Borg bei mir, der starb mir im Hause. Er schuldete mir siebenzig Mark, aber seine Angehörigen sind so geizig, daß ihn keiner von ihnen lösen will und genießen doch reichlich seines Erbes. So haben wir denn den Toten in eine feste Kufe geschmissen und ihn so in meinem Pferdestall unterm Mist vergraben, da möge er nun liegen, seinen Freunden zur Schande! Das Geld aber sollen sie behalten! Denn, ob Ihr mir's glaubt oder nicht, ich kann Münzen prägen, so viel es mir gefällt, das ist mein Recht hier in der Stadt, und brauche bei niemand zu betteln. Ich bin der Reichste am Orte.« Da bat ihn der Knecht noch einmal, denn sein Herr würde ihn gewiß in Ehren lohnen, aber der Bürger entgegnete: »Ich tue es nicht, denn ich hab's verschworen, und zündete eher mein eigenes Haus an und baute ein neues, als daß mir einer hereinkäme, der mir nicht mindestens die siebenzig Mark für den toten Ritter gibt. Wenn Gott mir das Leben schenkt, wollt' ich dann ja wohl borgen, auch dreitausend Mark und mehr, wenn es sein muß.« »Ach«, dachte der Knecht, »nun ist es ganz und gar verloren.« Denn die hohe Miete traute er sich nicht zu bieten. So nahm er denn das Pferd zwischen beide Sporen und ritt im Galopp zu seinem Herrn zurück ins freie Feld. Dort erzählte er ihm nun, was ihm widerfahren war und daß er keine passende Herberge habe finden können, es wäre denn, daß der Herr einen toten Ritter löse. Da sagte dieser: »Soll ich die Toten lösen, wer weiß, was Böses daran hängt! Hast du aber nicht erfahren, wie hoch das Lösegeld sich belaufen mag?« »Ach, Herr«, entgegnete der Knecht, »es ist wahrlich zu stark: siebenzig Mark sollen es sein, und er läßt nicht ein Haar davon ab.« »Wohlan, so gib es ihm und sprich, daß ich ihn bitten lasse, er möge vier Rotten der besten Männer dingen, jede Rotte zu zwölf Mann, die mich geleiten sollen. Dann möge er guten Wein und reichliche Speise einkaufen, damit wir fürstlich leben können.«

Der fromme Knecht ließ sich das nicht zweimal sagen und sprengte eilends zurück bis zu demselben Tor. Als der Wirt gerade herauskam, sprang er schnell ab und sprach: »Kommt nur her zu mir, guter Mann, Ihr wißt ja nicht, wozu mein Herr fähig ist. Er will den Toten lösen, gleichgültig, ob er redlich oder böse gewesen, um seines Namens willen. Denn er müßte sich Zeit seines Lebens schämen, wüßte er von einem Ritter, der in Eurem Miste begraben liegt.«

Sogleich rief der Wirt nach der Wage. Als der Knecht ihm das Silber gegeben hatte, wog er gar genau, und befand es richtig. Besänftigt ließ er nun alles so besorgen wie es des Ritters Wunsch war: er dang vier stattliche Rotten, die den Herrn alsbald mit Ehren in die Stadt geleiteten. Dafür schenkte dieser ihnen Sättel und Schilde und prächtige Kleider und waltete in Allem der größten Freigebigkeit. Den Toten aber befahl er auszugraben, ließ ihm einen neuen Sarg zimmern und stellte des Nachts Wachen bei ihm auf, ihn nicht minder ehrend, als ob es sein leiblicher Vater gewesen wäre. Des Morgens wurde der Leichnam zur Kirche getragen und laut die Glocken geläutet. Mit einer unzähligen Schar folgte der Herr dem Zuge und ließ unter alle, die daran teilnahmen, ob arm oder reich, Pfennige austeilen, um der Leiche zu opfern. Darob erscholl bald sein Lob in der ganzen Stadt und mancher sprach Gutes von ihm, der ihn nie mit Augen gesehen hatte. Da vernahmen auch die Spielleute von dem freigebigen Ritter und machten sich in großen Scharen auf und spielten vor seiner Tür. Er ließ ihnen Gewänder und Silber reichen, und gab jedem, was sich für ihn gebührte, so daß keiner ohne Frohsinn von seiner Türe schied. Denn er hatte Tag und Nacht keine andere Sorge, als wie er allen aus vollem Herzen mitzuteilen vermöchte. So lebte er denn mit Schalle, ritt oft durch die Stadt und bat die besten Ritter bei sich zu Gaste. Darob waren ihm alle Leute hold und wünschten ihm Glück und Segen von Herzen. Daß aber auch der Tote sein nicht vergaß, davon sollt Ihr noch mehr erfahren. Denn also geschah es durch Gottes Willen.

Eines Morgens nämlich beklagte sich der Ritter, daß er kein Pferd habe, das ihm behagen könnte, und begann schon darob recht zaghaft und traurig zu werden. Da schlug der Wirt ihm vor, er wolle ihm eines kaufen, das Geld läge für ihn bereit und er wolle gern ein Jahr und mehr zuwarten. Aber so viele Pferde er auch versuchte, es wollte ihm keines so gefallen, daß er es erwerben mochte. Da, als er eines Tages am Fenster saß, um der kühlen Luft zu genießen, sah er draußen einen Ritter dahersprengen auf einem Roß, das ihm sogleich auffiel. Der Ritter war mittleren Alters; und trug schneefarbene Kleider. Sein Roß aber war das vollkommenste, das man sich vorstellen mochte: Er gab ihm die Sporen, da trug es ihn im Sprunge an dem Fenster vorbei. »Um aller Frauen willen«, rief ihm da der Herr zu, »laßt mich Euer Pferd beschauen.«

Da erwiderte der fremde Ritter: »Es sei, denn wenn es aller Frauen Ehre gilt, so wollt' ich es selbst in Stücke darum schlagen.« Da er nun dem Herrn das Pferd übergab, liefen die Leute von allen Seiten zusammen und begafften es wie ein Wunder, und die Ritter erklärten, nie ein schöneres Roß gesehen zu haben. Willekin aber wollte das Tier um jeden Preis besitzen und fragte den Fremden, für wie viel er es ihm ablassen würde. Dieser jedoch entgegnete: »Um Geld ist es mir nicht feil, es wäre denn, daß Ihr alles, was Ihr auf seinem Rücken bei dem Turnier erwerbt, zu gleichen Hälften mit mir teilen wollt.« »Das tue ich nicht«, sagte der Herr, »gebt es mir, aber um geziemendes Gut.« »Ihr mißkennt mich«, erwiderte der Ritter, »ich bin kein Mann, der Handel treibt.« »So laßt es mich wenigstens versuchen, damit ich sehe, ob es mir taugt.« Willekin sprang auf und erkannte sogleich, daß es ein treffliches Roß und wohl hundert Mark wert wäre. Der Ritter aber wiederholte seine Forderung: daß er es ihm nur geben wolle, wenn er sich durch Treueid verpflichte, ihm, wenn die Jungfrau und ihr Land ihm zu eigen würden, redlich von allem die Hälfte mitzuteilen. Da hielt sich Willekin nicht länger und gelobte ihm, falls der Preis ihm morgen zufiele, den Eid genau zu erfüllen. Damit übergab ihm der Ritter das Roß und entfernte sich.

Am andern Morgen früh machte sich Willekin mit all den Seinen auf, um zu dem Turniere zu ziehen. Da gab es gar großen Schall von Pfeifen und Fiedeln. Er selbst saß auf einem prächtigen Sessel, man trug ihm seine Waffen zu und er legte eines nach dem andern an. Rings erschollen Gebete, daß Gott ihn wohl behüten und zu Ehren möge kommen lassen. Als er gerüstet war, wurde ihm ein Pferd vorgeführt, das einen edelsteinschimmernden Baldachin trug. Er sprang auf, sein roter Waffenrock leuchtete. Die Herrin selbst hatte ihm diesen gesandt, einen Rock von blutroter Seide, damit sie ihn von der Zinne erkenne, ob ihm kein Leid widerfuhr.

Als er ins Feld kam, wurde zuerst sein Name ausgerufen und alle jubelten ihm zu, als er in den Ring einritt. Die schöne Frau aber wünschte von Herzen, daß er und kein andrer den Preis erhalten möge. Nun ritt er mit einem armgroßen Speere vor und begehrte zu tschustiren. Da kam einer wider ihn, zielend faßten sie einander ins Auge und hui! stachen beide zu, daß ihre Speere zerbrachen. Doch stach ihn Willekin in den Sand, wie nachher noch manchen andern, der sich vermaß, gegen ihn zu tschustiren. Inmitten des aufgewirbelten Staubes, in Hieb und Widerhieb auf Helme und Schilde empfand er deutlich, daß niemand ringsum war, der ihm den Preis nicht zuerkannt hätte. So ritt er denn, als der siegreiche Tag beendet war, wieder nach Hause, legte den Harnisch ab, kleidete sich in ein schönes Gewand und setzte sich frohen Sinnes nieder. Als ihm der Preis zuerkannt worden, wollte die Herrin nicht anders, als selber zu ihm gehen. Mit einer großen Schar schöner Begleiterinnen erschien sie denn auch bei ihm, begrüßte ihn freundlich und sprach mit lieblicher Stimme: »So will ich Euch denn sagen, daß Ihr nichts als Glück von mir erwarten mögt. Niemand soll uns scheiden, ich bin mit Leib und Gut die Eure, so lange ich lebe.« Da neigte er sich vor ihr und sprach: »Wohl mir, daß mir also geschieht! Ihr habt so liebliche Gestalt, möge Gott uns alt werden lassen.« »Das möge er!« wiederholte sie. »Aber nun laßt uns nicht länger hier zögern, auf, wir wollen essen gehen!« Da rief er: »Und hätte ich tausend Heere, Euch wollte ich ohne Waffen folgen.«

So ging sie denn zu Tische, mancherlei erlesene Speisen und Weine wurden da aufgetragen und verschänkt. Musik ertönte zu dem Hochzeitsmahle, und da der Ruf des Turniers sich weithin verbreitet hatte, sah man da gar viele Ritter in prächtigen Gewändern, die zu dem Feste herbeigeeilt waren. Dann wurde sie ihm zu Bette gebracht. Hätte er sich in Gedanken ein Weib vorgestellt, daß aller Frauen höchste Vollkommenheit besäße, ihr Leib war noch lieblicher als irgend einer, den er sich in seinen Träumen erdenken mochte. Wem Gott es vergönnt haben würde, sie dort zu schauen, dem wäre gar großes Heil widerfahren. Da lagen sie in dem Bette, doch sie schliefen wohl nicht viel: die Nacht ward ihnen wie eine Stunde von den sanften Küssen ihres roten Mundes. Als er des Morgens erwachte, schien ihm aufs Neue ein Liebes zu geschehen, als er sie neben sich liegen sah als ein Bildnis der lieblichsten Vollkommenheit mit lilienweißen und rosenroten Wangen. Nun war alle seine Sorge zerronnen, die ihn so arg bedrückt, so lange er mit der Armut gerungen. Am nächsten Tage ward dann die Hochzeit weitergefeiert, weidlich getafelt und allerlei Kurzweil getrieben den ganzen sommerlangen Tag, auch von den vielen anwesenden Rittern manches wackere Kampfspiel geübt, der edlen Braut zu Ehren. Desselben Abends nun, als man gegessen und noch eine Weile bei Tische gesessen hatte, hieß man die Herrin aufstehen und sich zu Bette begeben. Kaum hatte sie sich ausgezogen und niedergelegt, so kam auch schon der Gatte, von Liebe glühend, nach. Man zog ihm die Schuhe aus, er hieß alle hinausgehen und wollte den Riegel vor die Tür schieben. In diesem Augenblicke stand aber plötzlich der Ritter vor ihm, der ihm das Roß gebracht, und sprach: »Herr, habt Ihr vergessen, daß Ihr mit mir teilen müßt? Ihr habt gestern Nacht bei ihr gelegen, nun sollt Ihr Gesellschaft haben.« »Bis morgen«, entgegnete der andre, »dann will ich Euch gerne die Hälfte ihres Gutes geben.« »Nein«, sagte der Ritter, »auch die Frau ist halb mein.« »Das laßt, um Gottes willen!« rief da der Herr, »denn dies wäre der Hölle Spott. Gäbe ich Euch die Frau dahin, weh, was wäre mir noch das Leben wert! Und ehe ich dies tue, will ich lieber den Leib verlieren.« »Wenn Ihr treulos seid, müßt Ihr den Eid nicht einlösen«, entgegnete der Fremde. »Ich will Euch gerne wählen lassen, verliert, was Ihr wollt: Die Frau oder die Treue. Nun ist es bei Euch, zu handeln, wie Euch gut dünkt.« Als er so seine Treue anrief, ergriff ein tiefer Jammer sein Herz und alles, was er kaum erst an Freuden gewonnen, sank im Augenblick dahin. »Weh«, rief er, »daß ich so alt geworden bin, um solches Leid zu erfahren! Hätten sie mich auf dem Felde erschlagen, seht, das wäre mir lieb. Denn nun bin ich auch an der liebsten Frau zum Verräter geworden und wahrlich wert, als ein Dieb zu hängen. Verflucht sei das Pferd, daß ich es je mit Augen sah!« Dann setzte er weinend hinzu: »Von der Treue kann ich nicht lassen.« »Wohl«, sprach der fremde Ritter, »so geht! Aber Ihr zögert noch, ich weiß wohl, warum.« Da sah Jener ihm mit jammervollen Blicken ins Gesicht: »Ihr dünket mich ein guter Mann, laßt es mich erfahren! Bedenkt, stieße einer Euch von der Tür Eures schönen Weibes, Ihr schlüget ihn nieder, das weiß ich gewiß. Nehmt denn mein Gut ganz dahin, aber die Frau laßt mir allein.« »Eure Rede verschlägt mir nichts«, sagte der Ritter. »Und wäre dafür die ganze Welt mein bis zum Tage des Gerichts, ich achtete es nicht höher als Spreu. Und wären alle Steine Gold, ich nähme sie nicht, denn ich will mein Teil an der Frau haben. Aber gesteht mir offen Eure Meinung: wenn Ihr nicht hinausgehen wollt, so sagt es frei, und ich lasse Euch beides: Frau und Gut.« Das entschloß er sich und ging hinaus.

Der Ritter schloß hinter ihm die Tür, aber nur zum Scheine, denn er ließ sie ein klein wenig offen stehen. Da sah er, daß der draußen sich das Haupt verhüllt hatte. Leise ging er hinaus zu ihm und sprach: »Herr, ich habe Euch versucht, aber Gott ist Euch gnädig. Denn nun sollt Ihr wissen, wer ich bin, und wie ich durch Euch höheren Gewinn erwarb, als Ihr selber je gewonnen; denn ich bin eines armen Fleisches Schattenbild, das hier im Miste begraben gelegen. Ihr aber habt mich aus großer Not erlöst.« »Woran soll ich erkennen, ob Ihr die Wahrheit redet, daß Gott mich also versuchen wollte?« fragte jener. »Das sollt Ihr sogleich erfahren. Stehe ich nicht hier in Gestalt eines Mannes? Nun greift nach mir und seht, wer ich sei.« Da griff er nach ihm, aber seine Hand fuhr durch ihn hindurch wie durch einen Schein an der Wand. Da lachte der Graf gar sehr: »Freilich, wozu sollte Euch Weib oder Gut?« »Ich habe keinen Körper«, sagte der gespenstische Ritter, »und lebe in der Gnade Gottes.« Damit fuhr er als ein strahlender Engel auf zum himmlischen Thron. Willekin von Montabourg aber lebte fürderhin glücklich zum Lohn für seine Treue.

 


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