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Das Häslein

Ein braver Rittersmann ritt eines Tages zur Zeit, da man das Korn schneidet, mit zwei wackern Hunden und einem Sperber über Feld zur Jagd: Da tauchte ein junges Häslein vor ihm auf, dem jagte er mit seinen Hunden weidlich nach, das Häslein aber flüchtete eilig und entrann ins Korn. Doch geriet ihm dies nur zum Unheil, denn ein Schnitter fing es dort und gab es dem Ritter. »Das ist ein rechtes Abenteuer«, dachte dieser und begann nachzudenken, was er mit dem Tierlein beginnen solle. Da riet ihm sein Herz, es einem Mägdlein zu schenken, die sich ihm seit langem versagte, er aber glühte nach ihr in sehnender Glut, recht wie das Gold in der Esse. Des Gedankens freute er sich, denn, dachte er, Kinder kann man selbst mit einem Apfel gewinnen und geben um ein Ei das ganze deutsche Land. So ritt er denn einem Dorfe zu, durch das seine Straße führte, und streichelte zuweilen das Häslein auf seinem Arme.

Nun saß da in einer Laube, die nach der Straße hinausging, ein schönes, feines Jungfräulein, an Jahren ein Kind und auch noch einfältig wie ein Kind. Als er in ihre Nähe kam, grüßte er sie im Vorüberreiten, sie aber ersah das wilde Tierlein, das er bei sich trug, und sprach: »Sagt, Herr, von wannen habt Ihr das Häslein? Wollte doch Gott, es wäre mein! Oder ist es Euch feil?« »Es kann Euch wohl zuteil werden, schönes Kind«, entgegnete er, »wenn Ihr Euch nur befleißigt, es rechtmäßig zu kaufen.« »Ach ja, Herr, ich hätte es gar zu gern. Nun aber sagt, was ist es wert? Besäß' ich so viel, als Ihr dafür verlangt, ich wüßte mir keinen liebern Tag als diesen, da das Häslein mein wird.« »Ich geb' es Euch für Eure Minne«, erwiderte er. »Minne, Herr, was ist das?« fragte sie ihn. »Ihr verlangt, ich weiß nicht was. Nehmt, was ich auch geben kann! Wenn Euch das paßte, ich hab' in meinem Schrein drei Pfund Ringlein und zehn Würfelchen und einen seidenen Gürtel, wohl mit Golde durchwirkt und Perlen darauf gestickt, rote und weiße durcheinander, daran meine Mutter ihren Fleiß und all ihre Kunst gewendet hat. Den nehmt, wenn es Euch ernst ist, und laßt den Kauf nun vor sich gehen, denn besseres weiß ich Euch nicht zu geben.« Der Ritter aber sagte: »So kann der Kauf nicht zustande kommen. Ich will weder Gold noch Steine, nur Eure Minne.« »Ich habe aber keine Minne.« »Nun, ich finde sie wohl bei Euch, wenn ich sie nur suchen darf.« »So nehmt sie doch, was wartet Ihr denn? Aber wenn Ihr sie habt, so müßt Ihr mir auch das Häslein geben.« »Wenn jemand hier ist, der uns hörte oder sähe«, sagte er, »so kann ich sie nicht nehmen. Ihr müßt allein dazu sein.« »Meine Mutter und alles Gesinde ist in der Kirche«, erwiderte das Mägdlein, unschuldig wie eine Turteltaube. Da sprang er rasch vom Roß, setzte den Sperber von der Hand und band das Pferd fest. Dann ging er hinein zu ihr in die Laube und gab ihr das Häslein; sie schien ihm so wohlgestalt, mit engelfarbenen Wangen und reiner Stirn, daß Gott selbst sie wohl gern in seinem Himmel geschaut hätte. Als sie ihr Häslein empfangen hatte, bat sie ihn nun selber, zu nehmen, was er begehrte. Da zog er das junge Kind an sich, küßte ihren rosenroten Mund und besiegte sanft ihr kindliches Widerstreben. Und die Heere und Könige und alles, was lebendig im Leben ist, bezwingt, bezwang auch sie: so genoß er ihren süßen Leib, bis sie aus einem Mägdlein ein Weib geworden. Da sie nun aber gedachte, daß es Sommerszeit war: »Sucht, Herr«, sprach sie, »sucht, so viel Ihr wollt, bis Ihr die Minne gefunden habt. Denkt daran, daß Ihr mir das Häslein darum geben müßt!« Da suchte er wacker weiter, ohne daß sie ihn hinderte, dann jedoch dünkte es ihn Fahrenszeit. Da drückte sie ihn lieblich an ihre Brüste, daß er ihr nicht entwiche, ehe er noch einmal die Minne gesucht. Er aber fürchtete, daß längere Säumnis gefährlich werden könnte, und machte sich auf. Da rief sie ihm nochmals nach: »Herr, warum eilt Ihr so? Ihr habt die Minne, sehe ich, ja gar nicht genommen, und wenn Ihr nicht noch einmal umkehrt, so dauert mich wahrlich der Schaden, den Ihr erleidet.« Da ritt der Ritter lachend von dannen.

Indessen hatte ihre Mutter die Messe gehört und war wieder nach Hause gekommen. Als die Tochter sie sah, lief sie ihr entgegen und rief: »Sieh, liebe Mutter, lug, feins Mütterlein, was ich da für ein hübsches Häslein habe.« »Ei«, antwortete diese, »wer hat dir denn das reizende Tierlein gegeben?« Da erzählte sie ihr genau alles, wie sie den Hasen gekauft habe. Aber da wurde ihr nicht übel ihr gelbes Haar zerrauft, die Mutter zwickte und zwackte sie wütend in ihre lichten Wangen, so daß sie in Sprüngen entfloh, um dem Zorn der Alten zu entgehen. Der Tochter tat der Schaden weh, den sie erlitten hatte, freilich war es ihr mehr um die Schläge, als um den Verlust der Minne zu tun: daß sie diese um einen Hasen verloren, grämte sie nicht eben sehr. Aber sie dachte, wenn er, der Ritter, wiederkäme, so würde sie sie zurückverlangen und von ihm fordern, ihr wieder so zu tun, wie vordem, damit sie ihre Minne wieder hätte. In diesem Glauben ging sie jeden Tag in die Laube und wartete.

Und wirklich: drei Tage danach kam der Ritter wieder vorbeigeritten. Kaum, daß sie seiner ansichtig wurde, so rief sie ihm schon laut entgegen: »Herr, gebt mir meine Minne heraus! Ich habe gar ein jämmerlich Leben seither von meiner Mutter gehabt! Seht, wie sie mir die Haare zerrauft hat, ich glaube, ich habe keinen guten Kauf mit dem Häslein getan. Nehmt es zurück und gebt mir meine Minne wieder und laßt uns den ganzen Handel rückgängig machen!« »Wenn Ihr glaubt«, entgegnete er, »so sollt Ihr die Minne wieder haben, vorausgesetzt, Ihr seid allein zu Hause.« Da lief die Schöne hinein und brachte das Häslein mit sich heraus. »Herr, da ich allein zu Hause bin«, sagte sie, »so nehmt Euren Hasen wieder und gebt mir, was mein ist.« Da ließ er sich nicht lange bitten und erfüllte ihren Wunsch, er würde es auch getan haben, wenn sie nicht erst darum gebeten hätte. So geschah denn hier das Wunder, daß sie aus einem Weibe wieder ein Mägdlein wurde, indem sie alles zurückbekam, was ihr genommen worden. Als sie nun ihr viel liebes Häslein auf seinem Arme sah, blickte sie traurig darauf hin, da gab er ihr's noch zu der Minne und ließ es ihr als reinen Gewinn. »Hei«, dachte sie, »das hab' ich gut gemacht, der ist nun schön betrogen!« und freute sich ihrer Klugheit.

Bald nachdem der Ritter von dannen gesprengt war, kam auch ihre Mutter nach Hause. Da verbarg sie nichts und lief ihr freudig entgegen: »Nun, Mutter«, rief sie, »kann es noch gut mit mir werden, denn der Ritter war hier und hat mir meine Minne wiedergegeben, dazu auch noch den Hasen, der mir nun zum Vorteil bleibt.« »O weh über solches Glück«, jammerte die Mutter und ergriff sie am Haar, »so wahr ich deine Mutter bin, nun ist dein Magdtum und deine Ehre dahin! O weh, hätte ich dich doch besser in acht genommen, so wäre mir nicht solches Leid widerfahren, darein mein Herz nun bis zum Tode begraben sein wird.« »Ach, liebe Mutter, sei doch froh«, sagte das einfältige Kind, »geschehen ist nun geschehen, man soll sich stets des Besten versehn.« Des Kindes Trost rührte die Alte: »Noch kann ich an dir manchen lieben Tag und rechtes Glück erleben«, sprach sie, vielleicht kommt noch einmal Freude hinterher. Laß ab von Weinen, setze stolz deinen jungfräulichen Kopfschmuck auf, schweige und zeige dich fröhlich vor den Leuten! So kann uns noch ein Wunder widerfahren.«

Danach über ein Jahr wurde dem Ritter eine Jungfrau öffentlich anverlobt, die war schön und klug, reich und aus einem weitverzweigtem Hause und trug stolz den Kopfschmuck, der das Zeichen und Recht des Magdtums ist. Er versah sich nur des Besten und machte sich keine Sorgen wegen der hohen Ausgaben: Frauen und Herren, alle, die er kannte, ließ er rings im Land zu seiner Hochzeit laden. Da gedachte er auch des Häsleins und jenes lieben Kindes, mit dem er das Abenteuer und den seltsamen Kauf erlebt: sein edles Herz ließ es sich nicht nehmen, sie mußte auch zu der Hochzeit kommen: sein Jungfräulein und ihr Häslein, wie hätte er die wohl zu Hause lassen mögen! So ritt er denn dahin, wo ihm so Liebes geschehen war. Die Jungfrau sah ihn zuerst, den Liebsten, dem sie immer noch innig zugetan war, und sprach: »Liebe Mutter, lug, der ist's, der mir die Minne genommen hat.« Die Mutter erschrak heftig: »Ach, Kind, woran erinnerst du mich«, sagte sie, aber da kam er schon herangesprengt und bat sie, sie möge um seinetwillen zu seinem Ehrentage kommen und auch die Jungfrau und das Häslein mitbringen. »O weh meiner Ehre«, dachte die Alte. »Soll ich zu dessen Hochzeit gehen, der meine Tochter zur Kebse gefreit hat, wahrlich, da hab' ich geringe Freude dran! Sollte doch nach Billigkeit mein Kind dort an seiner Seite sitzen!« Aber da sie fürchtete, er würde die Geschichte sonst ausplaudern, gab sie sich darein und sagte zu. »Gerne, Herr«, sprach sie, »ich freue mich Eures Ehrentags, wir werden beide gerne kommen.« »Habt Gnade und Dank« erwiderte er, »glaube mir, nie werde ich der Tugend Eures Töchterleins vergessen.«

Als nun der Tag der Hochzeit gekommen war und die Braut kosend zur Seite des Ritters saß, während rings Schall und Lärm des Festes ertönte, da kam recht wie ein Wunder auch das Kind mit seinem Häslein dahergeritten und trug das hübsche Tierlein arglos auf seinem Arm. Der Ritter, der sich wohl erinnerte, wie er den Hasen verkauft, das Mägdlein an den Haaren gezogen worden und darauf der Wechselkauf geschehen war, mußte laut lachen, als er den lieblichen Aufzug sah, und lachte so sehr, daß jeder ihn fragte, weshalb er so vergnügt sei? Nun hielt er sich aber zurück, denn er mochte das Geheimnis um des Mägdleins willen nicht gern verraten. Da jedoch begann ihn das Fräulein, die sein Weib werden sollte, mit Fragen zu quälen, um wessentwillen er so herzlich gelacht habe. Er bat sie, ihn der Antwort zu entheben. Aber der Vorwitz reizte sie noch mehr, so daß ihre Bitten immer dringlicher wurden: sie wollte wissen, woher diese Lustigkeit? Er sträubte sich, da sprach sie erbittert: »Ihr sagt mir, um was es sich handelt oder bei Gott, Ihr gewinnt kein gutes Weib an mir und keine schönen Tage.« Das bezwang ihn und so erzählte er ihr denn von der Hasenfahrt, wie das Tier im Korn erschlichen, verkauft, zurückgekauft und verschenkt ward. »Ei, beim heiligen Grabe«, rief da die Braut, »das war mir eine rechte Törin! Wäre sie so klug gewesen wie ich, sie hätt' es, weiß Gott, nicht ihrer Mutter gesagt. Welch eine Dummheit! Mir hat unser Kapellan wohl hundertmal das Gleiche getan und wär' mir, weiß Gott, noch heute leid, würd' es meiner Mutter erzählt.« Als der Ritter dies vernahm, fuhr ihm ein Schreck zum Herzen, er entfärbte sich so sehr, daß er sich kaum aufrecht halten konnte, und dachte: »Steht es so, so wird mein Brautlauf noch anders vollbracht, als ich gemeint habe.« Da duldete es ihn nicht länger, zornig sprang er auf, lief zu dem Kinde mit dem Häslein hin und hieß es neben sich sitzen, das er kurz zuvor noch mit Spotte empfangen. Die Gäste drängten verwundert herzu, er aber erzählte stehend vom erhöhten Sitz, daß alle drunten im Saale es vernehmen konnten, wie es ihm ergangen war: wie er des Mägdleins Liebe gekauft, wie er ihre Minne von dannen geführt und sie ihr zurückgegeben habe. Dann schilderte er die Braut und wie es um sie und ihren Kaplan beschaffen war.

Als er zu Ende gesprochen, bat er seine Freunde, sie möchten ihm um ihrer Liebe willen sagen, welche von den zweien ihnen besser gefiele, daß er sie zu seinem Weibe mache. Da rieten sie ihm alle wie aus einem Munde, daß er die junge Magd mit dem Häslein heiraten müsse, wenn er Billigkeit und Ehre recht bedenke. Da wartete er nicht länger und ließ sie sich durch den Pfaffen antrauen. Die andere aber wurde wieder heimgesandt zu ihrem Kapellan.


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