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Die Heidin

Es war einmal ein edler Graf, der vernahm den Ruf von der unübertrefflichen Schönheit einer Königin, die fern im Heidenlande an der Seite ihres Gemahls leben sollte. Sogleich machte er sich auf, durchzog abenteuernd die Welt und gelangte am Ende in die Stadt, in der die Herrin seines Herzens wohnte. Der heidnische König lud ihn freundlich ein, er aber sah und hörte niemand als die liebliche Frau, die beim Essen und allerlei Kurzweil an seiner Seite saß: doch wies sie alle seine Bewerbungen zurück und vergalt ihm Liebe mit Hohn und spöttischer Rede, so daß er wieder davonzog und das ganze Heidenland durchquerend, sich in Todesgefahren und wilde Abenteuer stürzte. Als die Frau davon vernahm, fürchtete sie, er würde um ihretwillen den Tod erleiden, faßte Erbarmen mit seiner großen Liebe und begann, heimlich an ihn zu denken. Als der König nun eines Tages für lange fortgeritten war, sandte sie dem Grafen verhohlen einen Boten und bat ihn, zu ihr zu kommen.

Der glückliche Ritter ritt Tag und Nacht, bis er wieder bei der Frau ankam. Da grüßte sie ihn lieblich und sprach: »Seid mir willkommen, Herr, ich bin Eure Dienerin!« Darob erschrak er heftig: »Nein«, sagte er, »nicht meine Dienerin, meine Herrin sollst du sein!« Dann gingen sie zum Essen und hatten mancherlei Kurzweil und Saitenspiel. So ging es eine Zeit lang hin, da sprach er endlich: »Eia, meine liebe Herrin, es ist spät und meine Seele ist wund von Sehnsucht. Laß' uns zusammen in die Kemenate schlafen gehen.« Da lachte die Frau: »Freilich, wo zwei gefangene Diebe sind und haben sich lieb, die finden wohl eine List, wie sie mitsammen stehlen und hehlen können.« »Ach«, erwiderte der Ritter und sah sie lieblich an, »besser heute als morgen, denn so wird die Liebe zu dir fester von Tag zu Tage, damit du in meinem Herzen thronst als auserwählte Königin!« Dies sagte er, weil er hoffte, sie auf diese Weise leichter zu bewegen. Sie aber erwiderte: »Lieber Herr, ich will Eure Pein mildern und Euch Freude schenken: ich teile mich in zwei Teile, von denen jeder doch seine Schönheit hat, und gebe Euch den einen zum Eigentum. Sagt an, liebster Herr, wollt Ihr ihn haben?« »So fanget mit der Teilung an«, entgegnete er, »damit wir beide zufrieden sind und nichts Krummes dabei vorgehe!« »Nimm, was dir das Beste scheint!« sagte sie darauf. »Der eine Teil liegt oberhalb meines Gürtels: willst du ihn, so ist er dein. Der andere befindet sich vom Gürtel unterhalb: wählst du diesen, so schalte damit, wie es dir gefällt! Der bessere Teil gehört dir, der schlechtere mir, entscheide frei und nach eigenem Ermessen!« Der Ritter ließ den Kopf hängen und schwieg. »Antworte mir!« rief die Frau. Ihm war es, als wär' ihm der Bart ohne Schermesser geschoren, er hätte sich selber umbringen mögen. »Mir wäre besser, ich stäche mich tot«, sagte er, »als daß ich diese Not leide und Ihr mich auf solche Weise quält. Ich sehe, Ihr versteht Euch wohl auf Listen und Ränke. Gebt mir drei Tage Frist zur Überlegung, so will ich Euch sagen, welchen Teil ich nehmen mag.« »Es sei gewährt!« erwiderte sie, sagte ihm Gutenacht und ging zu Bette.

Der Graf aber schrie Zeter über das arglistige Weib: »Zu guter Zeit nimmt sie mir noch das Leben«, sprach er zu sich selber und legte sich verdrossen nieder. Die Gedanken gingen ihm kreuz und quer, er konnte keine Ruhe finden. »Der obere Teil ist ja gut«, dachte er, »aber der untere ist noch viel besser. Wie, wenn ich diesen nehme? Denn er taugt zur Liebe und wird mich reich an Freuden machen und ich erwerbe mit ihm zugleich den oberen Teil. Ei seht doch, was rede ich denn da? Ich bin ein Kind, das merk' ich wohl: Wenn mich die Frau nur einmal recht herzlich mit ihren Armen umfängt, so ist sie mein mit ihrem ganzen Leibe, das möcht' ich beschwören. Denn, wo wäre die Frau, die der Mann nicht erbarmte und die ihn forttriebe, wenn er in ihren Armen liegt?« Dann aber bedachte er sich anders und meinte, es wäre vielleicht doch besser, wenn er den unteren Teil wählte, er müßte ja ein Tölpel sein, wenn er den andern nähme. »Hast du nur den unteren einmal«, überlegte er, »so kannst du ihr sagen, was du magst, es geschieht auf jeden Fall und auf die lieblichste Weise.« Doch bald standen wieder die Gegengründe mächtig in ihm auf und machten ihn unruhig und verzagt. »Wenn es herauskäme und man hörte in dem Lande, ich hätte den untern Teil genommen«, sprach er zu sich selbst, »die Leute riefen mir ja auf den Gassen nach. Seht doch diesen Mann, schrieen sie, spuckt ihn an und lauft ihm nach wie einem Diebe! Der will ein Ritter sein und Minnedienst üben und weiß nicht einmal, wie er sich vor solcher Wahl zu betragen hat? Nein, wenn ich nun schon einen Teil in jedem Fall verlieren muß, so wähle ich den obern. Das kann noch mein Glück werden: sie hat dich sicherlich nur damit versuchen wollen, und wenn du sie schön bittest, so kann sie dir nimmer etwas versagen. Vertraue nur auf sie, sie ist ein ganzes Weib und weiß wohl, was sie tut.« Damit sprang er auf: »Ich nehme den oberen Teil«, rief er und fühlte sich wieder froher und zuversichtlicher.

So gingen die drei Tage vorüber. »Wenn ich nur richtig getroffen hätte, was sie gemeint hat«, dachte er, »sonst verliere ich sie zuletzt noch vollends«, und ging die ganze Zeit in lebhaften Sorgen umher. Am Morgen des dritten Tages nun trat die Frau vor ihn und fragte mit lieblicher Stimme: »Nun, Herr Graf, wie habt Ihr Euch bedacht? Ist es entschieden, welchen Teil Ihr nehmen wollt?« Da antwortete er mit Züchten: »So will ich Euch denn meinen Entschluß verraten und nicht länger damit hinter dem Berge halten: Ich sag' es auf Eure Gnade, der obere Teil soll mein sein!« »Es sei!« erwiderte sie, sah ihn mit spielenden Augen an und lachte. »Gut«, sagte er, »wenn es also dabei bleiben soll, so gebiete ich denn meinem Teil oberhalb des Gürtels, daß er mich sogleich lieblich umfange, wie es ihm geziemt.« Das geschah unverzüglich. Da sprach der Graf: »Gib mir deinen roten Mund!« »Tausendmal!« erwiderte sie, nahm ihn innig in ihre Arme und küßte und umfing ihn lieblich. »Herrin«, sprach er, »wie soll ich leben, daß du mit mir zufrieden bist? Belehre mich!« »Dein Teil ist dir hold«, entgegnete sie und drängte sich noch wärmer an ihn, »du tust so mit ihm, wie es mich recht dünkt.« »Herrin, Süße, Reine«, rief er da, »um aller Frauen Zucht beschwör' ich dich: gib mir nun auch den andern Teil.« »O nein, das wird nicht geschehen: ein Teil ist mein, der andere dein. Mit dem deinen vergnüge dich, wie es dir behagt, aber mit dem meinen tu ich, was ich will, und soll ein jedes behalten, was ihm gehört.« »So nimm den meinen und leihe mir inzwischen den deinen«, sprach der Ritter. Aber das wollte sie auch nicht tun. Da brach er in Jammer und Klage aus: »O weh, du Reine, du Gute, was bist du böser Listen so voll! Sprächst du nun, wie es billig wäre: Es sei!, ich möchte dich zwiefach meine Herrin nennen!« »Ei, wo käme denn dann meine Ehre hin?« entgegnete sie. »Nein, nein, überträte ich das Gebot, das wäre eine große Missetat.« »So willst du mich töten?« rief der Graf außer sich. »Wie«, antwortete sie, »hab' ich nicht selbst dich aus Nöten erlöst? Hast du nicht frei gewählt? Es tut mir leid, wenn du falsch gewählt hast«, und begann laut über die mißratene Wahl zu klagen. Dabei umfing sie ihn aufs neue und herzte und koste ihn, ihm aber wurde so schwül zumut, daß er am liebsten damit verschont gewesen wäre. Ist doch kein Mann so wild oder so sanft geboren, daß er nicht zornig würde, wenn man ihn mit der einen Hand streichelt, mit der andern knebelt. Ach, solche Sehnsuchtsnot, wie sie der unglückliche Graf da erlitt, hätte selbst einen Riesen töten müssen. So nahm er denn verzagt Abschied und verließ das Zimmer.

Inzwischen war auch der König wieder nach Hause gekommen. Als der Graf dies vernahm, kam er auf eine gar feine List und sprach zu dem Weibe: »Habt Ihr Euch nun anders besonnen und wollt tun, was ich begehre?« »Nein«, erwiderte sie und verwies ihn auf seinen Teil. »Gut«, sagte der Graf, »sintemalen Ihr mir nicht ganz gehört, so verbiete ich hiermit meinen Augen, den König jemals heimlich anzusehen, und zwar dem rechten, sowohl wie dem linken. Meinen Ohren verbiete ich, irgend auf seine Worte zu hören und zu vernehmen, wenn er eine Bitte ausspricht. Auch verbiete ich meinem roten Mund, jemals in Güte zu ihm reden, und befehle ihm, jederzeit das Gegenteil von dem zu sprechen, was der Heide wünscht. Sagt er nein, mein Mund sagt ja, sagt er weiß wie Schnee, mein Mund sagt grün wie Klee. Endlich aber verbiete ich meinen Armen, ihn nimmer an meinen Brüsten erwarmen zu lassen.« »Was du mir geboten hast, wird geschehen«, sagte die Frau und schied von ihm, um sich zu dem Könige zu begeben. Dieser fragte gerade den Truchsessen, ob das Essen bereit sei, und wollte zu Tische gehen. Als sie nun ein Weilchen bei der Tafel gesessen hatten, lud er sie ein, zuzugreifen. »Laßt uns doch die Füße an dem Tische zählen«, erwiderte sie. Dann verlangte er zu trinken, da rief sie: »Bringt ihm endlich Schild und Speer!« »Seid Ihr denn trunken?« fragte er. »Nun will ich ein Abendtänzlein machen«, gab sie zur Antwort. »Weihrauch!« schrie der König, »sie ist verrückt geworden.« Aber sie schalt ihn einen Lügner und elenden Gauch und trieb es auf diese Weise volle sieben Tage. Sagte er Brot, so antwortete sie Stein, nannte er jemand trunken, sie erklärte ihn für naß. Bald wurde der König jedoch inne, daß sie mit allen verständig sprach und nur ihm so verkehrte und verquerte Antworten gab. »Ich will zur Jagd reiten«, rief er, »aber das sage ich Euch, Frau, laßt das Getue sein, sonst könnte es Euch noch übel ergehen!« Als er nun zwei Hasen erlegt hatte, schnitt er sich noch drei tüchtige Knüttel und ritt wieder nach Hause. Die Frau aber änderte ihr Betragen nicht und fuhr fort, verdrehte Reden zu führen: da packte er sie bei ihrem gelben Haare, zerrte sie weidlich hin und her, zerknüllte ihr den Kopf und verbläute ihr den Rücken, daß die Knüttel davon in Stücke sprangen. »Nun hast du dein Teil«, rief er zornig, »ich aber reite nun fort, so bald sollst du mich nicht wieder zu Gesicht bekommen«, ließ sich sein Roß satteln und sprengte auf und davon.

Da ermannte sich die Frau, ging hinein zu dem Grafen und klagte ihm ihr Leid. »Wer hat dir etwas angetan?« fragte er. »Mein Satan von Mann«, erwiderte sie, »und das aus keinem andern Grunde, als weil du mir das törichte Gebot gegeben hast«, und zeigte ihm ihren zerrauften Kopf und wie ihr Rücken und Arme zerschlagen waren. »Es tut mir leid«, sagte der Graf, »aber ich will Gott doch loben, daß wenigstens dein Teil verschont geblieben ist. Wenn der meine geschlagen wurde, so will ich's im Namen Gottes ertragen. Armes Kind, hat er dir meinen Rücken arg verprügelt?« »Laß dein Spotten sein«, rief sie und fiel ihm um den Hals, »glaube mir, von diesem Tage ab werd' ich keinen Stoß noch Schlag mehr um deinetwillen erdulden. Komm, laß uns schlafen gehen.« »So hebst du die Teilung auf?« fragte der glückselige Ritter. Sie aber öffnete schon die Tür zu ihrer Kemenate und führte ihn leise hinein.


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