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Rom, 5. Januar
Täglich erscheinen Hirtenbriefe der Bischöfe; die von Ferrara und Narni haben den Protestantismus mit fanatischer Wut als das Werk Satans gebrandmarkt. Ihr Zorn ist besonders gegen Produkte der Tagesliteratur gerichtet, welche in Umbrien verbreitet sind.
Ich habe heute die verpönten ›Quattro parole d'un sacerdote ai popoli dell' Umbria e delle Marche‹ erhalten. Dies Pamphlet beabsichtigt, das Landvolk für die Annexion zu stimmen. Es weist nach, daß die Blüte des Landes die Liberalen seien, daß die Revolution nur das Wohl des Volkes bezwecke, daß die legitimen Fürsten keine solche seien, daß der Papst es nicht sei, weil er auch von nicht italienischen Kardinälen gewählt werde und keine Nation bekenne. Die Päpste haben ihr Dominium Temporale mit List und Gewalt erworben: der Kirchenstaat ist in Händen von Monsignoren und Kardinälen, die nicht den Provinzen angehören, das Volk nicht lieben und von Geschäften nichts verstehen. Es wird die Mißregierung gut und klar geschildert. Die wahre Legitimität sei im Volk und seiner Wahl. Die Italiener bekriegen nicht den Papst, sondern den unnationalen und despotischen Fürsten in ihm, den König von Rom. Das Patrimonium St. Peters sei ein Unding, denn Petrus habe nichts auf der Welt besessen. Der Papst nenne sich Vikar Christi, aber Christus, obgleich er von königlichem Stamme war und sein Volk ihn zum Könige machen wollte, wies die Krone von sich, er wollte sie nicht, »neppure per suffragio universale; e disse chiaramente che il suo regno era il regno dei cieli, e non del mondo«. Die Italiener bekriegen nicht die Kirche; denn das Dominium Temporale ist nicht die Kirche, und Papst und Klerus sind nicht die Kirche, sondern diese ist die Kongregation aller Gläubigen. Der Papst hat Unrecht, die politische Sache des Kirchenstaats mit der Kirche selbst zu vermengen. Die Aufhebung der Klöster und Kirchengüter wird gut geheißen, da diese nicht mehr zeitgemäß seien.
Es ist in der ganzen Schrift nichts Ketzerisches gegen das Dogma enthalten.
Rom, 6. Januar
Am 25. und 26. Dezember hat Pontecorvo für die Annexion gestimmt. Man sagt, daß der Papst Truppen dorthin senden werde. Auf allen Straßen sieht man Zuaven; sie führen Dolche bei sich, und selbst die Polizei, in welche viele versprengte Neapolitaner aufgenommen sind, ist mit Dolchen bewaffnet. Die Römer sagen, dies sei Bewaffnung nicht für ehrlichen Krieg, sondern für Raubmord. Sie nennen die Medaillen der Päpstlichen passa pensieri, weil sie wie Maultrommeln aussehen. Die Truppen von Castelfidardo nennen sie la truppa di Gambe-fidando. Ein gutes Pasquill geht um. Pasquino kocht sich in einem Topf Pataten (Venedig), Maccaroni (Neapel), Rüben (die Geistlichen); er prüft diese Dinge, ob sie gar seien. Zu den Kartoffeln sagt er: »sono fatte«, zu den Maccaroni: »ci vuol un altro po' di tempo«; bei den Rüben zieht er ein saueres Maul und sagt: »duri! duri! duri!« Marforio kommt herzu: habe ich dir nicht gesagt, daß Napoleon dir geraten hat, sie am langsamen Feuer zu braten? – »non ti ho detto, che Napoleone ti consiglia di cuocergli a fuoco lento?« Es ist unsagbar, was man hier für Erscheinungen sieht, welche schleichende, finstre, zerlumpte, heuchlerische und fanatische Gestalten. Die Finsterlinge, die Knechte der Despotie, scheinen hierher, wie Eulen, aus allen Ruinen der Welt zusammengeflogen zu sein. Alle Cafés sind von ihnen voll. Der Anblick dieser biedern Märtyrer erfüllt mich mit Ekel. Überall diese gelben, bettelnden, zerlumpten Neapolitaner. Ich schreibe indeß rüstig an der Geschichte von Rom weiter und bin jetzt bei Gregor VII.
Vorgestern kam Meldung von dem Tode des Königs von Preußen. Wilhelm I. besteigt den Thron; dies ist ein Glück. Nun wird er hoffentlich auch den Rest der alten Staatsromantik abtun und aufnehmen, was die Zeit ihm bietet.
Rom, 12. Januar
Gestern meldete eine Depesche, daß in Gaeta Waffenstillstand abgeschlossen sei bis zum 19. Januar, an welchem Tage die französische Flotte den Hafen verlassen werde. Für Franz II. werden fortdauernd von Rom aus Reaktionsversuche gemacht; dieselben konzentrieren sich in Sora.
Auch Civitella del Tronto, eine kleine Felsenfestung, hält sich für ihn und wird von Pinelli belagert.
Farini hat seine Demission gegeben; ihn ersetzt der Prinz von Carignan mit dem Ritter Nigra. Die Wahlen zum Parlament, welches am 17. Februar in Turin sich versammeln soll, gehen vor sich. Der Vatikan kehrt sein Prinzip dem neuen Italien entgegen und wird nicht nachgeben.
Die ›Armonia‹ von Turin berichtet über die Propaganda der Genfer evangelischen Sozietät, die sich die Protestantisierung Italiens zur Aufgabe macht; von Süden her reicht ihr die Malteser Bibelgesellschaft die Hand, und Amerika ist der dritte in diesem Bunde.
Rom, 19. Januar
Am 16. reiste das bei Franz II. beglaubigte diplomatische Korps von hier wieder nach Gaeta, unter dem Vorwand, ihm zu seinem Namenstage zu gratulieren, in Wirklichkeit aber mit einer geheimen Mission. Der Waffenstillstand soll heute ablaufen. Die Welt steht in Waffen, aber ich glaube eher an einen Kongreß als an einen Krieg. In Neapel dauern die Reaktionen fort, Sizilien ist in Aufruhr. Man berechnet, daß der Prodiktator Mordini während der kurzen Dauer seines Amts nicht weniger als 53 Gesetze und 651 Dekrete erlassen hat. Die Gemäßigten hoffen noch, daß Garibaldi sich von seinem wahnsinnigen Zuge nach Venetien werde abhalten lassen.
Gestern war das Fest der Cattedra oder der Stiftung des heiligen Stuhls. Am Portal des St. Peter las man Sonette zum Preis Pius IX. mit der Aufschrift: An Pius IX, den obersten Priester, den legitimen König der Marken, Umbriens und der Romagna. Als ich in den herrlichen Dom trat, wo das Volk umher kniete und die feierlichen Gesänge erschallten, kam er mir wie eine sturmfreie Festung vor. Abends war Illumination.
Indeß die Marken und die Romagna werden schwerlich den frommen Tauben der Sintflut gleichen wollen, welche aus der Arche fortflogen und mit einem Ölzweig wiederkamen. Heute ist mein 40. Geburtstag. Mir wurde es schwer, diesen Rubikon des männlichen Alters zu überschreiten. Ich ging nach dem Lateran, trank ein Glas Wein in der Osteria auf den Trümmern der Bäder des Trajan und fand dort die ersten blühenden Mandelbäume, welche meine einzigen Gratulanten waren.
Eben kam ich von Professor Munch, der mir viele abschriftliche Urkunden zeigte.
Ich habe heute die Einnahme Roms durch Robert Guiscard dargestellt.
Die ›Allgemeine Zeitung‹ brachte seit dem 1. Januar meine Artikel über Avignon.
Rom, 26. Januar
Vom diplomatischen Korps sind aus Gaeta nur der preußische und der russische Stellvertreter zurückgekommen, dageblieben sind die Gesandten von Spanien, Portugal, Bayern, Österreich und Sachsen. Franz II. hat diesen vornehmen Briefträgern einen schönen Streich gespielt, da er sie in die Kasematten sperrte, wo sie Pulver statt Pomade riechen. Bis zum 19. war die Stadt fast gar nicht beschädigt, aber schon einwohnerleer. Den Dom S. Francesco hatte keine Kugel getroffen. Der König und die Königin wohnten in zwei elenden Gemächern, ohne Teppich und schlecht möbliert. Die Garnison bestand aus 9000 Mann, darunter 2000 Deutsche und Schweizer. Auf Land- und Seeseite waren 1100 Kanonen postiert. Der Photograph Reiger kam eben von Gaeta. Er zeigte mir die dort aufgenommenen Bilder der Stadt und Festung und der französischen und spanischen Schiffe im Hafen. Die Königin sieht ruhig und energisch aus; sie ist nicht ohne Anmut, aber kokett; sie trägt ein Jäckchen mit Gold verbrämt und einen Kalabreserhut. Der junge König steht nachdenklich da, sieht sehr unbedeutend und melancholisch aus, recht wie ein Mann, der in einen Abgrund blickt.
Die französische Flotte hat am 19. wirklich den Hafen verlassen und Persano ihn darauf in Blockade gelegt. Seit gestern wissen wir von Terracina her, daß die Kanonade am 22. begonnen hat, daß sie am 23. furchtbar gewesen ist. Man sagt heute in der Stadt, die Bresche sei gelegt worden.
Für den Fall Gaetas hat man hier eine große Demonstration vor. Man hofft, daß Napoleon das Manöver von dort wiederholen, das heißt, seine Truppen aus Rom zurückziehen werde, mit einer Erklärung, wie er sie im ›Moniteur‹ wegen Gaetas veröffentlicht hat.
Am 23. überfielen die Piemontesen das schöne Kloster Casamari, welches ich im Sommer 1859 besuchte. Sie drangen mit Artillerie von den schneebedeckten Bergen Trisultis vor und vertrieben eine Bande von Neapolitanern und päpstlichen Volontärs, welche dort ein abenteuernder Graf de Christen und der Advokat Ricci aufgestellt hatten. Sie haben das Kloster geplündert; die Apotheke ging in Feuer auf; glücklicherweise ist die herrliche gotische Kirche nicht beschädigt worden. Das piemontesische Korps kam wahrscheinlich von Sora, wo der General Sonnaz steht.
Der Aufstand in Ascoli ist durch Pinelli erdrückt, der dort die blutige Rolle des Generals Manchès spielt. Er hat Orte eingeäschert und viele Einwohner füsiliert. Der kleine Campagnakrieg rast in den Abruzzen, um Sora und Civitella del Tronto, fort.
Vor kurzem haben die päpstlichen Zuaven in Correse 70 Mann mobiler Nationalgarde aufgehoben. Dies kann zu einem ernstlichen Zusammenstoß führen. Die Piemontesen haben als Repressalie den Bischof von Poggio Mirteto nach Rieti gebracht.
Die Jesuiten verbreiten einen Almanach für 1861: ›Il vero amico del Popolo‹, welcher gegen die englische Propaganda gerichtet ist und die Protestanten, Luther, Calvin, die Könige Englands etc. als wahre Teufel abschildert.
Rom, 30. Januar
Ein Rest von Sanfedisten hatte sich unter Chiavone in Bauco, bei Veroli, gesammelt; die Piemontesen marschierten 2000 Mann stark von Sora her und vertrieben sie am 28. Sie stürmten ein anderes Nest der Reaktionäre unter de Christen in Scurgola. Sie besetzten zugleich Ceprano, zogen sich aber dann zurück; nirgends sind die piemontesischen Wappen aufgerichtet.
Die Reaktion in Ascoli und Avezzano ist erstickt. Giorgi von Avezzano, Haupt der Sanfedisten in den Abruzzen, ist hier; das Volk erkannte ihn sonntags auf dem Corso und pfiff ihn aus.
Garibaldi steht von dem wahnsinnigen Projekt auf Venedig ab.
Rom, 14. Februar
Gestern um 10 Uhr traf die Depesche vom Fall Gaetas ein. Die Explosion von drei Pulvertürmen am 6., der Typhus (es starben die Generale Ferrari und Sangro), vielleicht auch die Italien günstige Abstimmung der preußischen Kammer, trieben Franz II. zu dem bitteren Entschluß der Übergabe. Heute nacht wird der König hier eintreffen, wie man sagt, um nur wenige Tage zu bleiben und dann nach Bayern zu gehen.
Heute abend wogten wohl 20 000 Menschen durch den Corso; sie hatten ihre Führer, welche sie zur Ordnung ermahnten. Vor dem Palast, worin die Familie Trapani wohnt, stockte die Menge, aber viele Stimmen riefen: Schweigen und Gehorsam! Endlich hieß es: nach Hause!, und diese Tausende verloren sich wie von einem Spaziergang. Alle Balkons waren gefüllt und einige Paläste erleuchtet.
Man glaubt, daß die Franzosen Rom nicht eher verlassen werden, bis die europäischen Mächte die geistliche Unabhängigkeit des Papsts auf irgendeine Weise garantiert haben; doch spricht man davon, daß eine piemontesische Division einrücken und friedlich neben den Franzosen garnisonieren werde.
Die Stütze der Hierarchie ist somit gefallen, und der Kirchenstaat hat sein Ende erreicht. Der Fall Gaetas ist eine große Friedensbotschaft und das schönste Augurium für die Versammlung des ersten italienischen Nationalparlaments. Hoffentlich wird dies ein deutsches Nationalparlament zur Folge haben.
Ich hatte noch vor einem Monat nicht geglaubt, daß Italien sich einigen würde. Aber die Tatsache, daß die Parlamentswahlen in so großer Majorität ministeriell ausgefallen sind, gibt Bürgschaft für eine ruhige Ordnung der Dinge. Die Partei Bertani, Crispi, Pianciani, Mordini kommt nicht mehr auf.
Dies ist ein roter Tag in Rom: er kündigte eine neue Ära im Völkerleben an; die hierarchischen und legitimistischen Zeiten sind in Gaeta begraben.
Ich habe das siebente Buch der ›Geschichte der Stadt Rom‹ beendigt.
Rom, 15. Februar
Franz II., seine Gemahlin Maria, der Graf von Trani, der General Bosco sind heute früh um 1 Uhr von Terracina hier angekommen, im ganzen 28 Personen. Vor dem Eintreffen des Königs ereignete sich ein sonderbares Omen: die Gardinen seines Bettes gingen in Flammen auf, als man es zurichtete.
Am Tor St. Johann empfing die Flüchtlinge Monsignor Borromeo, am Quirinal Antonelli, dem König und Königin die Hand küßten. Eine Menge Legitimisten hatte sich hier aufgestellt und rief: Viva il Re. Französisches Militär hatte von Terracina bis Rom Eskorte gemacht. Der Papst besuchte den letzten König Neapels heute um 4 Uhr auf dem Quirinal.
Mich bewegt als Geschichtschreiber das Ende dieses berühmten Königreichs, dessen Stiftung durch die Normannen ich nur kurz zuvor geschildert hatte.
Starke Piquets Franzosen ziehen durch den Corso, aber keine Demonstration findet statt.
Die Zuaven sollen bei Nazzano von Mesi geschlagen sein, als sie den Übergang über den Tiber versuchten.
Der Papst hat den Padre Passaglia nach Turin geschickt; er sinnt auf einen ehrenvollen Rückzug. Man meint, er werde in Rom bleiben.
Rom, 17. Februar
Franz II. hat nach einer erschütternden Szene mit dem Papst eine unnatürliche Heiterkeit gezeigt. Die Sanfedisten brachten ihm ein Lebehoch vor dem Quirinal, als er dem Papst entgegenging und ihn an den Wagen begleitete.
Als Pius die Nachricht vom Falle Gaetas erhielt, sagte er: adesso tocca a noi. Man erzählte in der Stadt, Antonelli habe einen Schlaganfall gehabt. Die Finanzen sollen nur noch für einen Monat reichen; das tägliche Budget ist gegenwärtig 35 000 Scudi.
Man weiß nicht, welche Entschlüsse im Vatikan gefaßt sind. Die Mehrzahl der Kardinäle dringt auf das Bleiben des Papsts.
Viele verwundete Deutsche, vom Volturnus her, betteln hier und werden von ihren Landsleuten unterstützt. Ein Preuße, der durch eine Granate am Fuß verwundet worden ist, war eben bei mir, um sich Kleidungsstücke abzuholen. Er erzählte mir, daß der bourbonische General von Mecheln sich sehr schlecht benommen habe und daß sein Sohn von einer Kugel getötet wurde, nachdem er einem um sein Leben flehenden piemontesischen Kapitän den Kopf gespalten hatte.
Rom, 25. Februar
Nach dem Falle Gaetas erwartete man schnelle Ereignisse in bezug auf die römische Krisis; da sie nicht eingetreten sind, fühlt man sich enttäuscht. Man glaubte, daß der erste König Italiens das erste Nationalparlament mit feierlichen Orakeltönen eröffnen werde, doch die Thronrede vom 18. Februar sagt nichts Neues, und sie schwieg über Venedig und Rom. Die Franzosen bleiben hier; eine Note Thouvenels hat das den katholischen Mächten erklärt; ein Kongreß soll entscheiden.
Die Broschüre Laguéronnières ›La France, Rome et l'Italie‹ las ich gestern. Sie ist fast wichtiger als ›Le Pape et le Congrès‹, denn sie zieht den Papst persönlich auf die Anklagebank. Sie resümiert alles, was Napoleon für ihn getan, und überläßt dem Papst, aufzuzählen, was er selbst nicht für ihn getan hat. Die drei Hauptklagepunkte sind: die Erhebung einer politischen Frage zu einer religiösen; die Weigerung, den Vikariat Piemonts anzunehmen; die Weigerung, katholische Besatzung und katholische Subsidien anzunehmen. Antonelli hat in der ›Römischen Zeitung‹ erklären lassen, daß die Widerlegung dieser Anklagen in den Enzykliken des Papsts längst gegeben sei.
Die Franzosen marschierten gestern nach Frosinone. Rom und die Campagna sind ruhig. Aber in Folge der Demonstration vom 19. wurden 20 Personen exiliert, darunter mein guter Freund Sellini, und Haussuchungen finden noch immer statt. Jeden Abend stellt sich ein Bataillon Franzosen auf dem Platz Colonna auf. Die beiden Fremdenregimenter werden aufgelöst. Auch die neapolitanischen Schweizeroffiziere verschwinden allmählich.
Franz II. besuchte sein Besitztum, die farnesischen Gärten. Sie bestehen aus dem Schutt der Kaiserpaläste; der ist ihm geblieben.
Am 21. starb der Kardinal Brunelli, Erzbischof von Osimo und Cingoli. Das römische Sprichwort sagt: »Es sterben immer drei Kardinäle auf einmal.« Diesmal waren es Gaude, della Genga und Brunelli.
Die General-Leutnantschaft in Neapel hat dort alle Klöster aufgehoben, das Kirchengut eingezogen, das Konkordat von 1818 für erloschen erklärt.
Sebastopol wurde belagert und fiel, Ancona wurde belagert und fiel, Gaeta wurde belagert und fiel; aber es gibt kein Belagerungsgeschütz, welches Rom zur Kapitulation nötigen könnte. So sagt die ›Armonia‹ von Turin.
Auf einer Gesellschaft sah ich Jochmus Pascha, Kriegsminister des Deutschen Reichs im Jahr 1848, ein großer und stattlicher Mann.
Gestern abend brachten die Franzosen 800 Sanfedisten von jener Bande de Christen nach Rom, welche in Bauco kapituliert hat. Sie wurden dort vom französischen Militär entwaffnet.
Rom, 2. März
Auf die Schrift Laguéronnières hat man hier durch eine Broschüre ›Esame d'un opusculo Francese »La France, Rome et l'ltalie»‹ geantwortet, welche am 28. Februar ausgegeben ist. Weil das Papsttum sich heute im Kampf mit der Nation und der Freiheit Italiens befindet, so kann der Verteidiger über die Wahrheit nicht anders hinwegkommen, als indem er sie leugnet. Der Papst und Antonelli sagen daher, dem Papsttum stehe nicht Italien gegenüber, sondern eine revolutionäre Sekte, die piemontesische oder unitaristische Fraktion; mit dieser verwechsle Frankreich das wahre Italien, welches katholisch, legitimistisch, dem Papstkönig innig befreundet, ja dessen einziger Stolz es sei, den Papst zum Zentrum zu haben. Man werde gern auf die Basis von Villafranca zurückkommen und macht jetzt das Zugeständnis, daß die Konföderation die Italien naturgemäße Form der Einheit sei. Endlich der Satz: »Ein Vertrag des Papsttums mit der piemontesischen Sekte, welche sich Italien nennt, ist gerade so gut möglich wie die Vereinigung Christi mit Belial.«
Die Adresse des französischen Senats auf die Thronrede stimmt der Politik Napoleons in Italien bei, anerkennt die Nichtintervention, sagt, die katholische Welt vertraue das Papsttum Italien an und hofft, daß der Kaiser, als ältester Sohn der Kirche, die Unabhängigkeit des Papsts sichern werde.
Die Franzosen werden Rom für jetzt nicht verlassen. Die merkwürdigste Frage des Jahrhunderts scheint nur durch Gewalt lösbar. Viktor Emanuel wird schnell vorgehen, sobald er zum König Italiens ausgerufen ist.
Man hält seit einigen Tagen die französischen Zeitungen zurück, wahrscheinlich wegen der heftigen Rede des Prinzen Napoleon im Senat gegen den Papst oder wegen der Boten jener Körperschaft überhaupt.
Fergola hat erklärt, Messina bis aufs Äußerste halten zu wollen; Persano ist dorthin abgesegelt; Civitella del Tronto wird bombardiert. Die Campagna ist ruhig.
Rom, 15. März
Rom ist so passiv, daß es einer Stadt gleicht, auf der ein Bann oder ein Zauber liegt. Man wartet auf die piemontesische Entzauberung. Auch die päpstliche Partei ist widerstandslos. Kein Entschluß ist gefaßt, kein Antrag von Piemont gestellt. Man läßt die Dinge kommen und gehen. Alle Freitag (es sind die Märzenfeiertage) betet der Papst im St. Peter. Ich sah ihn heute. Hinter ihm und den Kardinälen kniete die Witwe König Ferdinands in Trauer, mit ihren Töchtern und Söhnen, alle schwarz gekleidet – eine höchst melancholische Szene. Der St. Peter ist so oft das Asyl für die Seufzer gestürzter Größen gewesen; sie nehmen sich darin gut und historisch aus. In diesem großen Dom verschwindet das persönliche Maß. Selbst der stolzeste Despot Rußlands sah darin gerade nur so groß aus wie jeder Bettler neben ihm.
Die Versammlung dort bestand aus Legitimisten aller Nationen; man sah ihr auf den ersten Blick an, daß sie ganz unrömisch, ganz unitalienisch sei. Diese Herren tragen jetzt die Medaille von Castelfidardo in Silber und Gold als Busennadeln. Die Römer wiederum tragen ihre Heroen versteckt in Ringen, oder sie sehen in kleinen goldenen Tuben das mikroskopische Bild des ersten Parlaments Italiens durch eine Linse.
Rom, 16. März
Am 13. kapitulierte Messina.
Auswärtige Blätter bringen den Protest Franz II., datiert von Rom 16. Februar, und die Note Antonellis an den Sekretär des Nuntius in Paris, Moniglia, als Entgegnung auf die Broschüre Laguéronnières, datiert vom 26. Februar.
Heute fand ein demonstrierender Spaziergang der Römer nach dem Kapitol und Forum statt. Alle Abend bedeckt sich der Corso bis zum Platz del Popolo mit französischem Militär, auch das Kapitol wird besetzt. Heute am Morgen waren viele Plakate, sardinische Wappen und Trikoloren, im Corso heimlich angeheftet; auch auf Aqua Paola wehten italienische Fahnen.
In Rom ein seltsamer Zustand ergrimmter Passivität. Die Lage der Franzosen, der Römer, des Papsts ist gleich unnatürlich und falsch; die des Papsts ist einzig in der Geschichte. Er ist der Schützling derselben Macht, deren Gefangener er ist, die ihn auf die Anklagebank von Europa zieht und in Libellen mißhandelt: eine erwürgende Retterin. Pius IX. ist wie ein Weib schwach und halsstarrig zugleich. Er wird Rom nicht verlassen und darf es auch nicht; sollten die Franzosen sich nach Civitavecchia zurückziehen, welches sie neu befestigen, oder sollten sie piemontesische Garnison neben sich aufnehmen, so wird er die Kardinäle rufen, neben ihm am St. Peter zu wohnen und dort das Konsistorium für permanent erklären.
Ich habe auf der Vaticana eine Weile gearbeitet, am Register von Farfa. Aber Ermüdung lähmte mich diese Zeit über. Ich lernte den Maler Gallait kennen, welcher den Papst im Auftrage Belgiens malt; er klagt, daß er ihm kaum fünf Minuten sitzen wollte. Er sitzt ja überhaupt auf Kohlen. Gallait ist eine angenehme, einfache, menschliche Persönlichkeit.
Ich bin oft beim Geschichtsschreiber Munch aus Christiania – norwegisch-schwedisch-deutsch-französische-römische Gesellschaft dort, jeden Freitag. Ampère sah ich mehrere Male.
Rom, 17. März
Auch heute fand eine massenhafte Bewegung des Volks über das Forum nach dem Lateran statt. Die Römer demonstrieren durch friedliches Spazierengehen. Die Franzosen sind erbittert, daß sie in der Kälte jeden Tag von 6 bis 10 Uhr abends in Waffen sein müssen. Auf dem Kapitol, auf Colonna und Popolo stehen Bataillons.
Heute geht das Gerücht, daß Frankreich entschlossen sei, dem Papste Rom zu lassen; Zusicherungen seien dieserhalb gemacht. Auch sagt man, sie werden nach Pontecorvo und Benevent marschieren, und bringt damit eine contrerevolutionäre Bewegung in Zusammenhang, die in Neapel ausgebrochen sein soll. Azeglio hat eine Schrift ›Questioni urgenti‹ ausgehen lassen worin er sich gegen die Erhebung Roms zur Hauptstadt erklärt und Florenz vorschlägt.
Auch Civitella del Tronto hat sich an den General Mezzocapo ergeben, am 13. März.
Rom, 21. März
Am 14. wurde Viktor Emanuel als König Italiens proklamiert. Am 17. erließ er das Gesetz, daß er fortan den Titel Viktor Emanuel II. König von Italien annehme. Rom hat dies große Ereignis mit unglaublicher Passivität hingenommen.
Am 18. hielt der Papst eine Allokution. Sie ist dadurch merkwürdig, daß er das Bekenntnis ablegt, das Papsttum befinde sich im Konflikt mit der modernen Gesellschaft, dem Liberalismus, dem Fortschritt und der Zivilisation; das heißt, er sagt: es kämpfen zwei Prinzipien miteinander, der sogenannte Fortschritt und die apostolisch-katholische Religion, welche die Gerechtigkeit repräsentiert. Er verdammt das erste Prinzip weniger aus innern Gründen als aus den Tatsachen der Gegenwart, welche seien: Beraubung der Kirche, Häresie, Zulassung der Akatholischen zu allen Staatsämtern, Verfolgung der Gläubigen, Vernichtung aller legitimen Rechte der Bischöfe, wie namentlich in Bezug auf den öffentlichen Unterricht. Der Papst sagt: man verlange von ihm, sich mit der modernen Gesellschaft und ihren Ideen, sich mit Italien zu versöhnen; aber diese hinterlistigen Vorschläge laufen darauf hinaus, ihn zu zwingen, sich aller seiner Rechte zu entkleiden, eine vandalische Plünderung der Kirche gutzuheißen und die Ungerechtigkeit als Gerechtigkeit anzuerkennen. Dies könne nie geschehen. Er brauche sich mit niemand zu versöhnen, er habe selbst aus Italien hunderttausende von Zuschriften empfangen. Am Ende verheißt er Verzeihung allen seinen Feinden, wenn sie in sich gehen.
Das ist die Antwort auf die Broschüre Laguéronnières, auf die Erklärung Viktor Emanuels zum Könige Italiens, die Versuche gütlicher Verständigung und auf die Reden in den französischen Kammern und sonstwo in der Welt. Die Allokution ist milde gehalten. Es geht ein Hauch durch sie wie von Sehnsucht nach der Lösung dieser Krisis. So spricht kein Papst, der noch irgend einen Rückhalt ins Feld stellen kann.
Rom, Palmsonntag
Ich war heute bei der Feier im St. Peter. Ich hatte meinen Platz unmittelbar an der Tribüne, wo die ganze Familie des gestürzten Königshauses von Neapel saß. Franz II. sah sehr gelangweilt und misanthropisch aus. Seine Haltung war ungezwungen, weder militärisch noch fürstlich; er sieht älter aus als seine Jahre. Die Königin Marie bleich und leidend. Der Herzog von Trapani häßlich und unbedeutend, wie alle übrigen Prinzen. Die zwei Prinzessinnen, junge Mädchen, elende und traurige Gestalten. Die Mutter, Tochter des berühmten Erzherzogs Carl, gleicht eher einer Handwerkerfrau als einer Königin. Die ganze königliche Gesellschaft erschien mir im St. Peter wie ein Häuflein zusammengewehter welker Blätter. Auch General Bosco war da.
Von Gesandten waren anwesend Grammont, Bach, Miraflores von Spanien und der von Belgien. Franz II. stieg zuerst die Stufen des päpstlichen Throns hinan, um kniend die Palme zu empfangen. Ein gestürzter König, welcher die Palme der Resignation aus den Händen eines stürzenden Papstes nimmt, ist ein Anblick von geschichtlichem Wert. Dazu die herrlichen Klänge des Stabat mater. Als der Papst in Prozession durch den St. Peter getragen wurde, stellten sich Franz II. und seine Gemahlin unter die Zuschauer im Hauptschiff, und das vorausgehende diplomatische Korps, Grammont an der Spitze, huldigte ihnen durch achtungsvolle Verbeugung, jeder die Palme in der Hand, mit welcher sie ihrem Unglück gleichsam salutierten.
Rom, 4. April
Nach der ausgezeichneten Rede Cavours, womit er die Interpellation Oudinots über die römische Frage am 27. März beantwortete, wurde die Tagesordnung Buoncompagni einstimmig angenommen: Rom müsse die Hauptstadt Italiens sein; sobald Rom mit Italien vereinigt sei, werde man die Unabhängigkeit des Papsts und die Freiheit der Kirche sichern. Die Rede ist Epoche machend. Sie ist Ausgangspunkt für eine neue Phase in der Zivilisation.
Ich habe die Ostern schlecht zugebracht, da ein häßlicher Katarrh mich ans Zimmer fesselte. Meine ehemalige Padrona, Signora Narzia, starb den 28. März nach zweitägiger Krankheit. Ich habe sechs Jahre bei ihr gewohnt und in ihrem Hause drei Bände der Geschichte Roms geschrieben.
Rom ist ruhig; das National-Comité bewegt sich nicht. Die Bourbonen sind noch hier. Die Passivität, mit welcher Rom sein Schicksal erwartet, grenzt ans Rätselhafte.
Die Italiener gleichen einem Gärtner, der einen Baum in der Hand hält und das Loch nicht hat, worin er ihn pflanzen soll. Das unermeßliche Ereignis: Rom zur Hauptstadt eines italienischen Reiches heruntergesetzt, Rom, die kosmopolitische Stadt seit 1500 Jahren, das moralische Zentrum der Welt, zum Sitz eines Königshofs geworden, wie alle anderen Hauptstädte, will mir gar nicht recht begreiflich sein. Ich ging mit diesem Gedanken durch Rom, und fand, daß man hier auf jedem Schritt nur Erinnerungen und Monumente der Päpste sieht, Kirchen, Klöster, Museen, Fontänen, Paläste, Obelisken mit dem Kreuz, die Kaisersäulen mit St. Peter und Paul auf ihren Gipfeln, tausend Bildsäulen von Päpsten und Heiligen, tausend Grabmonumente von Bischöfen und Äbten – eine von dem Geist der Ruine, der Katakomben und der Religion durchdrungene Atmosphäre, kurz ganz Rom ein Monument der Kirche in allen ihren Epochen, von Nero und Konstantin hinab bis zu Pius IX. Alles Zivile, Politische, Weltliche verschwindet darin oder taucht nur auf als die graue Ruine einer Vorzeit, wo Italien nichts war als eine Provinz von Rom und die Welt nichts als eine Provinz von Rom. Die Luft Roms taugt nicht für ein frisch auflebendes Königtum, welches an seiner Residenz eines leicht zu behandelnden Stoffes bedarf, dem es sich schnell eindrücken kann wie Berlin und Paris oder Petersburg. Der König von Italien wird hier nur die Figur machen wie einer der dakischen Kriegsgefangenen vom Triumphbogen des Trajan; größer wird er hier nicht aussehen.
Alles wird Rom verlieren, seine republikanische Luft, seine kosmopolitische Weite, seine tragische Ruhe.
Rom, 12. April
Heute ist der Jahrestag der Rückkehr des Papsts aus dem Exil von Gaeta. Er fuhr nicht am Morgen nach S. Agnese, sondern erst nachmittags, sei es, weil er noch leidend ist, oder eine Demonstration vermeiden wollte. Die päpstliche Partei hat die Stadt illuminiert, und viele ghibellinische Häuser sind von ihrem Licht oder von der Furcht mit angesteckt worden. Am meisten zeichnen sich die Kirchen aus, welche außerdem einen Nimbus frommer Population um sich her haben. Man hatte an vielen Orten Transparente aufgestellt; ein sehr großes am Eingang des Borgo, das raffaelische Stanzenbild, Petrus im Kerker, den der Engel befreit; ein anderes im Corso, das Schiff mit den Jüngern und dem schlafenden Christus auf dem stürmenden Meer, dazu im Hintergrund der St. Peter, vom Nimbus Christi bestrahlt, mit einer die Situation bezeichnenden Inschrift. Alle Madonnenbilder an den Straßenecken waren illuminiert und mit Sonetten versehen. Am prächtigsten hatte sich das Collegium Romanum ausgezeichnet; seine Fassade trug die Inschriften: In te speravit, Et salvabis eum. Militär stand auf Popolo und Colonna. Keine Störung geschah. Die Römer begnügten sich, des Morgens Plakate anzuheften, worauf geschrieben stand: mettegli pure lampioni fanali – sono del Papa i funerali.
Der Papst wurde vor acht Tagen in der Sixtina ohnmächtig. Man fürchtet für ihn, er hat die Wassersucht. Als seinen Nachfolger bezeichnet man de Angelis, Erzbischof von Fermo, einen klugen und reichen Prälaten, der schon sechs Monate in Verbannung zu Turin ist. Auch Riario Sforza von Neapel hat Stimmen ( papeggia, sagen die Römer). Eine Bulle existiert, welche auch eine Minorität von Kardinälen ermächtigt, augenblicks nach des Papsts Tode die Wahl zu vollziehen. Es könnte sein, daß die katholische Welt dann ihren neuen Papst erst aus Turin befreien müßte.
Rom, 24. April
Die von hier aus angezettelte bourbonische Contrerevolution in Neapel ist mißglückt. 2000 bewaffnete Royalisten hatten in Venosa und in Melfi am 5. oder 8. April eine provisorische Regierung eingesetzt, die Städte gebrandschatzt und schreckliche Exzesse begangen. Die Nationalgarden haben sie herausgeschlagen und die letzten Banden in den Silawald zersprengt. Die Verwirrung in der Administration Neapels soll grenzenlos sein.
Nach Sizilien ist della Rovere als General-Gouverneur abgegangen an Montezemolos Stelle. Im Turiner Parlament gab es eine heftige Szene, da Garibaldi dort seinen Sitz (für Neapel) einnahm und Cavour wegen der Mißhandlung seines Freischarenkorps heftig interpellierte. Er sprach von Brudermord. Der Präsident bedeckte sich und ging fort. Man will nun Garibaldi dadurch beschwichtigen, daß man die Südarmee neu organisiert und die Freischaren ihr einreiht.
In diesen Tagen wurde Rom auch durch einen politischen Mord aufgeregt. Ein belgischer Graf de Lemminge wurde meuchlings am Kolosseum erschossen; er schleppte sich noch bis ins Hotel der Minerva, wo er starb. Man hielt sein Hochamt in der Minerva. Er war Zuavenoffizier gewesen.
Die Franzosen bleiben. Pius empfängt täglich Geldsendungen. Bis heute sind 60 Millionen Franken als Peterspfennige eingelaufen.
Die Cousine Aurora und Fräulein von Babetti sind seit einigen Tagen hier. Aus Spanien kamen die beiden von Freyberg, die mir Briefe brachten.
Ich habe heute das dritte Kapitel des Buches VIII angefangen. Diese große Arbeit ist mein wahrhaftes Leben.
In diesen Tagen heiratete der 78 Jahre alte Cornelius seine dritte Frau, das junge Dienstmädchen seiner verstorbenen Tochter, der Gräfin Marcelli, welches von ihr aus dem Hause gejagt, von ihm in sein Haus genommen und in Seide gekleidet wurde. Aethiops senex non dimittit pellem suam, nec pardus, quando senescit, diversitatem.
Rom, 13. Mai
Das dritte Kapitel zum Buch VIII ist vollendet. Nach der mißglückten Contrerevolution keine Bewegung in Neapel. Chiavone, der Bandenchef, ist wieder in Rom.
Vor einigen Tagen lernte ich den Märchendichter Andersen kennen. Er sieht ungeschlacht und tölpisch aus, ist sehr eitel; aber seine Eitelkeit ohne Hochmut gleicht der eines Kindes. In einer Soirée las er drei kleine Sachen vor; es war komisch, diese unschuldigen Maikäfergeschichten in Rom zu hören. Es war dort auch der Poet Browning, und ein norwegischer Dichter Bjornstine Björnson von dem ich nichts kenne. Es belästigen mich Fremde. Es wird heiß, und Scirocco liegt auf der Stadt.
Am 2. Mai eröffnete der österreichische Kaiser das Nationalparlament mit einer Rede, die sehr begeisternd wirkte. Österreich stellt sich her, und Preußen sinkt wieder in den zweiten Rang herunter. Es ist in Berlin kein Genie, nicht einmal mittelmäßiges politisches Talent.
Rom, 2. Juni
Rom kehrt das Mittelalter wieder stark hervor. Der Papst weihte beim Fest des Filippo Neri seinen neuen Wagen ein (die Vergoldung kostet 6000 Scudi); ihm ritt vorauf der Crucifer auf einem weißen Maultier, in ganz mittelalterlicher Weise, wie sonst nur bei den Possessen des Laterans geschieht. Die welfische Demonstration war sehr stark; gelb und weiße Fahnen an den Fenstern und Huldigungsrufe ohne Ende.
Am Donnerstag fand die Prozession von Corpus Domini statt; der neapolitanische Hof betrachtete sie auf einer Loge, wo man auch die greise Gestalt des Generals Stabella sah. Der Papst, in den Anblick der Monstranz versunken, sah tief bekümmert und leidend aus.
Der General Goyon führte die Franzosen im Zuge, Kanzler die Päpstlichen, und der Marchese Patrizi trug als erblicher Gonfaloniere das Banner der Kirche.
Am 17. Mai hielt der Papst bei Fiumicino Heerschau über das Artillerielager. Er thronte dort, umgeben von Kardinälen und Prälaten, auf einem Hügel; wohl hätte er sich besser, wie Heinrich VI., auf einen Maulwurfshügel setzen sollen.
Am 21. Mai ging die Adresse der Römer an Viktor Emanuel ab, die ihn aufforderte, Besitz von Rom als der Hauptstadt Italiens zu nehmen. Sie zählt 10 000 Unterschriften. Ihr Umgang war der Polizei einen Monat lang unbekannt geblieben. Adel, Census, Intelligenz sind darin stark vertreten. Doria und Torlonia haben religiöse Bedenken gehabt. Buoncompagni Ludovisi hat zuerst unterschrieben.
Der Zustand Neapels ist drohend; bourbonische Banden in Apulien und der Basilicata. Sie werden von den Legitimisten-Klubs in Rom geleitet, deren einen die französische Polizei am Ende des Mai geschlossen hat. Der König Franz läßt Geld prägen, welches nach Neapel heimlich, selbst auf dem Landwege, geschafft wird. Auch Waffentransporte gehen dorthin ab. Die französische Polizei hat mehrere aufgefangen und unter Eskorte an das General-Kommando abgeliefert. De Christen und Chiavone, die Chefs der Sanfedisten, hat die römische Regierung aus der Stadt ausweisen müssen.
Franz II., welcher den Palast Feoli in Albano zur Sommerwohnung gemietet hatte, wird dort nicht hingehen, aus Furcht, er könne aufgehoben oder ermordet werden. Der Papst wollte ihm zwei Kompanien nach Albano zur Bedeckung mitgeben. Er hat alles abbestellt und 1000 Scudi Abstand für den Palast gezahlt. Gestern früh sah ich ihn und die Königin gegen Popolo hin fahren, beide sehr bekümmert aussehend.
Die Königin hat sich hier beim Photographen Alessandri wohl in 50 Stellungen und Kostümen abbilden lassen.
Rom, 8. Juni
Cavour starb am 6. Juni 6 Uhr morgens.
Der Baumeister ist vom Gerüst gefallen; wer wird sein Werk weiterführen? Wer die Revolution leiten, die Parteien zügeln, die Schleichwege des Bonapartismus kreuzen?
Das ist ein großes Unglück für Italien. Das piemontesische Schreckbild weicht nun weiter vom Vatikan zurück, wo man freier atmet.
Auf Grund ihres Unterschreibens der Adresse gehen morgen ins Exil der Fürst Piombino-Ludovisi und der Herzog Fiano-Ruspoli. Jenen hatte der Papst gerufen. Es hat eine heftige Szene gegeben.
Rom, 16. Juni
Der Tod Cavours hat überall große Bestürzung erregt. Selbst die Feinde dieses Mannes halten ihm, oder seinen Talenten, eine Lobrede. Viel Aufsehen erregte der Nachruf, den ihm die ›Armonia‹ widmete. Daß er als Katholik gestorben ist, hat Eindruck gemacht. Der Anblick dieser Leiche, das Kruzifix zwischen den Händen, ist sehr tröstlich gewesen. Bei der Todesnachricht rief der Papst aus: er war nicht von den Schlimmsten; die schlimmeren Feinde der Kirche kommen hinter ihm. Er hat sogar eine Seelenmesse für Cavour gelesen.
Aus vielen Städten Italiens laufen Berichte über die Totenfeier ein. Nur Rom zeigte, daß es noch außerhalb Italiens liegt. Kein Aufruf, keine Fahne, nichts gab die Trauer kund. Im Stillen sammeln die Römer Unterschriften für ein Monument, welches sie Cavour in Rom setzen wollen, wenn diese Stadt das geworden ist, wozu sie der große Staatsmann machen wollte. Er starb wie Moses auf dem Berg Nebo, das Gesicht kühn nach dem gelobten Lande gewandt, welches er nicht betreten sollte.
Das neue Ministerium ist gebildet. Ricasoli hat ein Programm ausgegeben, worin er sagt, daß er das Werk Cavours weiterführen werde mit arditezza und prudenza. Es scheint nicht, daß der Todesfall den Gang der Dinge aufhalten oder ändern werde. Im Gegenteil steht die Anerkennung Italiens von Seiten Frankreichs bevor. Bisher haben folgende Mächte die Anerkennung gegeben: England, die Schweiz, die Vereinigten Staaten, die Türkei und Marokko.
Heute sagte mir Graf M., daß schon bei der ersten Krankheit Cavours das Abkommen getroffen war, die Franzosen aus Rom nach Civitavecchia zurückzuziehen. Dafür verlangte jedoch die französische Regierung Bürgschaft, daß innerhalb dreier Monate in Rom keine Ruhestörung vorfallen werde. Cavour wurde gefragt, ob er diese Garantie geben könne. Er fragte durch Silvestrelli bei dem römischen National-Comité an, und das gab die Antwort, daß es seinerseits jede Bewegung des Volks zurückhalten werde, aber für die Ruhe dennoch nicht einstehen könne, so lange so viel Polizeigesindel im Solde Antonellis stände. Denn man würde Tumulte von jener Seite her entstehen lassen, um die Franzosen zu zwingen, Rom weiter zu besetzen. So unterblieb demnach jener Plan.
Der Papst erreicht am 21. Juni sein 15. Regierungsjahr. Man wird dazu das neue Artilleriearsenal im Borgo einweihen; und man wirft am Porto Leonino eine Pontonbrücke, um die Artillerie herbeizuführen.
Rom, 28. Juni
Frankreich hat den König von Italien anerkannt. Die französischen Truppen sollen so lange in Rom bleiben, bis Garantie gegeben ist, daß der Friede Europas nicht gestört werde. Am 18. wurde die Anerkennung dem Vatikan notifiziert, mit Versicherungen phrasenhafter Art.
Der Papst ist krank; er soll manchmal irre reden. Man feierte den Tag seiner Thronbesteigung durch Illumination, aber Rom blieb teilnahmlos.
Der General Kanzler sagte mir heute: die päpstliche Armee zähle jetzt 8000 Mann kriegsbereiter Truppen; davon 5000 Mann Infanterie, nämlich 3 Bataillone Italiener, ein Zuavenbataillon Franzosen und Belgier, ein Schweizer Bataillon. Artillerie ist nach Frosinone marschiert; in der Nähe Roms soll ein Lager bezogen werden. Die Soldaten seien zuverlässig; man werde dem Feinde begegnen.
Die Furcht eines Schisma regt sich wieder. Es kann veranlaßt werden durch die vakanten Bischofsitze, für welche Viktor Emanuel die päpstlichen Kandidaten nicht angenommen hat. In Italien sind gegenwärtig 40 Bischofsitze erledigt, darunter einige ersten Ranges: Mailand, Ravenna, Turin, Bologna, Fermo und neuerdings auch Messina. Binnen Jahresfrist dürften die Vakanzen sich auf das Doppelte belaufen, und besetzt müssen sie endlich doch werden. Das Nationalfest vom 2. Juni hat den italienischen Klerus in zwei Teile getrennt. Der Anhänger des neuen Italiens, welche die schismatische Partei genannt werden könnten, gibt es von 40 000–50 000 Priestern vielleicht 10 000; darunter freilich nur zwei Bischöfe, von Acciano und Conversano.
Heute ist die Vigilie des St. Peterfestes. An diesem Tage pflegt der Papst jedesmal eine Medaille auszugeben. Die heutige zeigt auf der einen Seite sein Bildnis, auf der andern bedeutungsvoll Daniel in der Löwengrube.
Rom, 3. Juli
Der Papst, obwohl leidend, war beim Petersfeste; er fügte dem üblichen Protest wegen Parma, Piacenza, Neapel etc. noch den wegen allen neueren Spoliationen hinzu.
Am 29. abends nach dem Ende der Girandola fand ein Tumult im Corso statt. Als die Volksmenge heimkehrte, wurde in einem Hause ein Transparent sichtbar, darstellend einen Genius, welcher Viktor Emanuel auf dem Kapitol krönt. Man rief: es lebe Italien! Die Gensdarmen hieben ein; aber ein Dolchstoß streckte einen derselben tot nieder. Der Mörder wurde ergriffen.
Die Nationalen hoffen, daß Rom noch vor dem Winter fallen werde. Der Termin sei festgesetzt. Vielleicht nimmt Ricasoli Anlaß von dem Asyl Franz' II., dessen Entfernung aus Rom jetzt nachträglich verlangt wird.
Heute sagte mir de Rossi, eine Depesche sei angekommen, welche in Aussicht stellt eine allgemeine Abstimmung wegen der Inkorporation Roms in Italien.
Genazzana, 9. Juli
Am 7. nachmittags fuhr ich hierher, mich eine Weile in meinem Lieblingsort aufzuhalten.
In der Stadt war alles unverändert. Die Ereignisse des Tags waren die Noten Thouvenels, Ricasolis und Rechbergs. Das österreichische Aktenstück an Frankreich faßt Napoleon gleichsam in einer Schlinge und will ihn zwingen, seinem Wort nach das wacklige Papsttum zu schützen. Der Klerus hat wieder Mut gefaßt und belächelte die Rede Ricasolis wegen Rom. Der Papst war gesund.
Ich habe ungerne den Pincio verlassen und mich ungerne von den Freunden getrennt.
Ich wohne gut in Lisas Zimmern. Der Ort begrüßte mich als alten Bekannten.
100 Mann Artillerie liegen hier im Schloß Colonna.
Genazzano, 29. Juli
Ich habe diese drei Wochen durchaus nur der Muse gewidmet. Das Poëm ›Ninfa‹ beschäftigt mich alle Tage, ich hoffe es hier und bald zu vollenden. Die Hitze ist groß. Völlige Einsamkeit. Wenig Briefe.
Hier rückte eine Kompanie päpstlicher Jäger ein. Fast jeder Flecken in der Campagna hat Truppen; da sie meist reiche Leute unter sich haben, gereicht das den Orten zum Gewinn. Die Franzosen stehen in Palestrina, in Valmontone, in der ganzen Marittima (selbst in dem versumpften Cisterna) und in Terracina. Sie wechseln alle 3 Monate. In Anagni liegen 500 Zuaven. Sie kommen bisweilen zum Besuch her. Die Banden Chiavones streifen wieder um Sora. Aber die römische Campagna ist still. Einige Orte sind gänzlich schwarz oder päpstlich gesinnt wie Paliano.
Nichts Neues aus Rom. Die Zeitungen sind voll von Berichten über die Reaktion in Neapel. 40 Menschen wurden in Montemileto lebendig verbrannt.
S. Martino ist am 15. Juli von seinem Posten in Neapel abgetreten und durch den General Cialdini ersetzt. Dieser verspricht, das Land von den Banden zu reinigen, und Pinelli müht sich in den Abruzzen ab.
Genazzano, 13. August
Seit Beginn dieses Monats steigerte sich die Sonnenglut zu einem ungewöhnlichen Grade. In Rom soll sie unerträglich sein.
Ich habe an dem Gedicht ›Ninfa‹ weiter geschrieben.
Das Gebirge durchstreifte ich bis Mentorella. Sehr merkwürdig sind die kleinen Felsennester Rocca di Cave und Capranica. Jenes hat eine zerstörte Burg, einen isolierten Rundturm, der von einer Mauer umschlossen ist. Wenn die Mannschaft diese nicht mehr halten konnte, zog sie sich in den Turm zurück, welcher keine Pforte hat. Man stieg auf Leitern durch das Hauptfenster ein. Die Burg liegt sehr malerisch auf den wildesten Felsen. Ein Weib, welches darin wohnte, hatte ganz die Züge einer Sibylle. Ringsum wenige Häuser. Die Armut dort übersteigt jedes Vorstellen. Kümmerlicher Bau von Korn und Mais in jenen Felsen, welche hie und da kleine Flächen darbieten; alles nackter Stein, in zyklopischer Wüstheit rings verstreut. Herrlichste Blicke auf das Meer in der Ferne, die große Kette des Serrone und die Volskerberge, welche Latium zwischen sich halten. Im Ort ein Priester und ein Medicus.
Am 11. August ritten wir nach dem hochgelegenen Capranica auf einem Felsenwege. Am Fuß des Berges steht eine kleine Waldung von Kastanien, welche den Ort versorgt; spärlicher Weinbau; einige terrassierte Flächen für Korn. Die Verlassenheit des Orts ist grenzenlos. Hier wohnt in schwarzen, höhlenartigen Häusern von Stein ein elendes, bettelarmes Volk. Sie haben kein Wasser als in weiter Entfernung unten, von wo sie es täglich auf dem Kopf in bronzenen Kesseln herauftragen. Den Ziegen gleich, von denen ihr Ort den Namen hat, müssen sie zu ihren Geschäften auf und ab klettern. Sie sammeln Reisigbündel, tragen sie stundenweit auf dem Kopf über den Berg herab, um sie dann für 5 Baiocchi in Genazzano oder Cave zu verkaufen. Sie essen selbst gefallne Pferde und Esel, welche die gleich armen Cavesen nicht anrühren. Man sagte mir, daß sie einen toten Esel so rein aufzehren, daß nur das weiße Gebein von ihm übrig bleibt. Die frische und strenge Luft greift die Nerven an; jede versteckte Krankheit bricht dort sofort aus und wird entweder schnell tödlich oder schnell geheilt. In der Sakristei der kleinen Kirche wird das Relief eines Engels gezeigt, welches die Umschrift als Werk Michelangelos ausgibt. Wer wird diesem armen Volk den Glauben nehmen wollen, daß Michelangelo für sie gearbeitet hat? Dieses eine Kunstwerk bringt Capranica mit der Welt in Zusammenhang. Ehemals gehörte der Ort den Baronen, die von ihm den Titel führen; heute ist er ein Besitz der Borghese.
Durch großartige Berge von zyklopischen Ausschichtungen ritten wir nach Guadagnolo, dem höchst gelegenen Orte in der Campagna Roms. Er steht über schroffen Felsen. Wir berührten ihn nicht, sondern ritten nach der Mentorella, einer alten Basilika, welche der Legende des St. Eustachius geweiht ist. Ihre Gründung wird dem Papst Silvester und der heiligen Helena zugeschrieben. Basilika und Kloster, wo slawische Mönche sich befinden, liegen auf dem riffartig herausspringenden Felsen in unbeschreiblich schöner Einsamkeit. Von hier übersieht man ganz Latium; der große Serrone verkleinert sich zu einem Höhenzuge, hinter welchem noch drei andere gigantische Gebirgsketten sichtbar werden. Sie bilden das Hochland der Abruzzen, worin das Seebecken des Fucino liegt.
Die kleine Basilika zeigt außen romanische Gotik, namentlich an den Fenstern. Der Reliquienschrein bewahrt kostbare Leuchter byzantischen Stils, ein bronzenes Skulpturwerk barbarischer Form, die Apostel darstellend, und manches andere Altertum. Der Hauptschatz ist eine Holzschnitzerei, welche die Legende des Eustachius und die Gründung des Wallfahrtsorts darstellt. Eine Inschrift sagt: »Men, Oc. D.XXIV. Dedicatio Beatae Mariae Wulturilla«. Eine andere »Magister Guillelmus fecit hoc opus«.
Das Tabernakel im Stile jenes von S. Lorenzo fuori le Mura gehört dem 12. Jahrhundert an. Die Charaktere von Inschriften auf einigen Wandbildern lassen eine noch spätere Zeit erkennen. Einige Fresken beziehen sich auf die Geschichte Silvesters, und ich schrieb mir folgende Inschrift ab: » Con l'acque battesimal il Vicedio lava l'imperator e'l rende pio.« Der Papst, ein Vizegott – und als solchen betrachtet er sich noch heute – dies war mir denn doch noch nicht vorgekommen.
In brennender Sonnenhitze machten wir uns auf, den steilen Berg hinunter zu klimmen, um nach Pisoniano zu gelangen. Wir irrten lange umher, die Esel nach uns ziehend, wobei der meinige 20 Fuß hinabrollte, sich mehrmal überschlagend, ohne sich zu beschädigen. Hier ist eine der wildesten Bergpartien, die man sehen kann. Die Aussicht ist überall hinreißend. Gegen Tivoli zu stehen auf den Felsen Ciciliano, das alte Ciculi (verdorben aus Equicoli, ein Ort der Aequer), Sarracinesco (Saracunna aus saec. XI?), Sambuci, Cerreto und Gerano; auf den Bergen von Subiaco Cervara, Rocca Canterano und S. Stefano.
Genazzano, 19. August
Ich reise heute abend nach Rom zurück. Die ungewöhnliche Hitze hat meine Beschäftigung gehindert; die Resultate von 44 Tagen sind sehr gering.
Rom, 23. August
Am 20. August traf ich in der Frühe in Rom ein. Ich fand die Hitze noch sehr groß und die Stadt tot. Sonst keine Veränderungen.
Am 21. abends fuhr ich nach Castelgandolfo, Frau Lindemann und die norwegischen Mädchen, die Töchter Munchs, zu besuchen. Sie wohnen im Palast del Drago.
Morgen frühe um 3 Uhr reise ich mit einem Vetturin nach Perugia.
Foligno, 26. August
Am 24. fuhr ich mit der Post nach Civitacastellana, wo ich nächtigte; folgenden Tags von dort nach Terni und weiter nach Foligno. Mit mir war Graf Borgia aus Velletri, römischer Emigrant, der jetzt Rieti bewohnt.
Er beklagte sich über die Mattigkeit der Revolution. Entweder müsse das italienische Volk schnell auf Rom marschieren und die Hauptstadt den Franzosen abnehmen, welche es nicht wagen würden, eine Invasion abzuhalten, oder es müsse Rom bei Seite liegen lassen und die Hauptstadt irgendwo anders hinverlegen. Er klagte über den Mangel an Talenten im Parlament wie in der Regierung. Ricasoli sei ein Charakter, aber nicht gemacht, eine politische Tat zu tun; Garibaldi sei beseitigt worden und mußte es werden, weil die Diktatur neben der ordentlichen Regierungsgewalt nicht bestehen könne; andere Männer seien abgenutzt wie Massimo d'Azeglio, welcher durch seinen letzten Brief an den Senator Matteucci sich selbst unmöglich gemacht habe. Dieser edelsinnige Brief ist gegen die Erschießungen im Königreich Neapel gerichtet.
Die piemontesische Polizei ist von allem unterrichtet, was in Rom geschieht. Sie besoldet in der Nähe des Vatikans ihre Spione. B. sagte, die Ausgabe dafür sei enorm; es seien päpstliche Beamte, die von allem Nachricht gäben. Man wisse genau die Personen mit Namen und das Datum, wann sie nach Neapel gingen, mit welchem Auftrage, mit wie viel Geld. Aber sie seien nicht immer zu erreichen. Sie gehen auch aus diesen Provinzen nach Neapel.
Perugia, 27. August
Die Universität hier ist reich an Sammlungen etruskischer Inschriften, worunter sich eine sehr wortreiche befindet. Es waren Vakanzen. Ich sah keinen der Professoren. Der Graf Gian Carlo Conestabile befindet sich zum Besuch in Irland. Er ist streng päpstlich gesinnt. Überhaupt ist die Aristokratie Perugias zum großen Teil reaktionär. Die Priester betragen sich vorsichtig und klug, wenn auch hie und da ein Ausbruch des Hasses erfolgt. So schoß vor kurzem ein Geistlicher eine Flinte auf einen Knaben ab, der Viva l'Italia rief. Die Klöster sind nicht alle aufgehoben. Es bestehen die Benediktiner, in deren Abtei in S. Pietro Truppen liegen; ferner die Zoccolanti und die Kapuziner.
Florenz, 31. August Palast Ungher
Am 28. August 3 Uhr morgens fuhr ich auf der Post von Perugia nach Florenz. Der Mond leuchtete. Es war sehr frisch, wie überhaupt der Luftwechsel in Perugia empfindlich ist. Um 6 Uhr erreichten wir den Lacus Trasimenus. Während der ganzen Fahrt trafen wir kaum einen Ort, außer geringen Flecken. Cortona, hoch auf einem Berghang gelegen, fuhren wir vorbei. Dann stiegen wir in das Val di Chiana ab, wo ehemals der Großherzog von Toscana reichen Besitz hatte. Nicht weit davon liegt die Eisenbahnstation Sina Lunga. Von hier gelangte ich in 6 Stunden nach Florenz, wo ich um 8 Uhr abends eintraf. Zufälligerweise war Sabatier in seinem Hause; ich traf ihn in der Fontana, wo ich abgestiegen war, und nächtigte sodann bei ihm.
Ich habe meine Arbeiten in der Magliabecchiana angefangen.
Florenz, 17. September
Ich habe Michele Amari kennengelernt. Er ist Senator geworden. Der dritte Band seiner Geschichte der Muselmanen ist im Druck begonnen; er gab mir die Probebogen. Gegenwärtig publiziert er arabische Urkunden aus dem Florentiner Archiv. Ein anderer ausgezeichneter Mann ist der Graf Miniscalchi von Verona, tüchtiger Orientalist. Bei ihm lebt der Druse Matteo aus Rom, sein Lehrer.
Villari war verreist; Vannucci kam aus Berlin zurück. Bei Vieusseux lernte ich den griechischen Poeten Tibaldo kennen, Freund Tommaseos, der jetzt erblindet ist.
Am 14. September hielt der König seinen Einzug in die Stadt; neben ihm saß Carignan, ihm gegenüber die Minister Ricasoli und Cordova. Die Stadt war festlich geschmückt; die Bevölkerung füllte die Straßen; man klatschte in die Hände.
Am 15. wurde die Ausstellung eröffnet durch eine Rede Ridolfis, welchem der König einige unverständliche Worte erwiderte. Dann Vortrag einer Hymne von der Sängerin Piccolomini. Abends prachtvolle Illumination des Lungarno und eine mäßige in der Stadt.
Die erste allgemeine Kunst- und Industrieausstellung Italiens, in Florenz eröffnet, hat ihr Lokal im ehemaligen Livorneser Bahnhof. Eine schrecklich-lächerliche Reiterstatue Viktor Emanuels, von bronziertem Gips, steht vor dem Eingange. Im Innern die Statue des Bischofs Salustio Bandini, des ersten Staatsökonomen Italiens, noch vor Adam Smith. 6000 Aussteller haben Artikel geliefert. Auch Römer haben ausgestellt.
Die Heiligenmalerei ist fast ganz verschwunden; die Historie stark vertreten. Das Genre verliert sich, wie die Landschaft. Die Kämpfe um die Befreiung sind hie und da zum Gegenstand gewählt worden; doch nicht eins dieser Bilder ist bedeutend.
Die Skulptur hat sich auf einer größeren Höhe erhalten als die Malerei; wenigstens haben die Italiener keine Maler, die im Range ihrer Bildhauer stehen, wie Tenerani, Dupré, Fedi, Bartolini (der vor einigen Jahren starb).
Die Produkte der Industrie bilden den Glanz der Ausstellung. Man muß auch hier die Ungunst der Zeitverhältnisse in Rechnung nehmen.
Rom, 29. September
Am 20. fuhr ich von Florenz ab, nachdem ich abends vorher das Abschiedsmahl bei Sabatiers auf der Villa eingenommen hatte; dazu war auch ein Wiener Professor des Rechts, Herr Unger, gekommen, ein noch junger und geistreicher Mann, Virtuos auf dem Klavier.
In Livorno schiffte ich mich ein auf dem Dampfer »Provence«, um 5 Uhr abends. Der Maler Müller war auf dem Schiff; einige Russen und Deutsche; wenige Gesellschaft. Die Mondnacht herrlich, die Fahrt schnell. Schon um 7 Uhr des Morgens, am Sonnabend, waren wir im Hafen. Nach überstandener Plackerei durch römische Dogane, Facchini und andre Drangsale fuhr ich mit der Eisenbahn ab und traf hier um 2 Uhr nachmittags ein.
Gewitter und Scirocco. Ich habe mich gleich an die Revision der ersten Kapitel des Bandes IV gesetzt und die Florentiner Exzerpte benutzt.
Rom unverändert; tiefe Ruhe, tiefe Erbitterung, tiefes Dunkel. Am 19. hatte die Vermählung des jungen Großherzogs von Toscana mit der neapolitanischen Prinzessin stattgefunden. Der Papst segnete das Paar ein und hielt bei dieser Gelegenheit eine heftige Rede gegen die Zivilehe. Die Exkönigin von Neapel lebt im Zerwürfnis mit ihrer Schwiegermutter und mit den Priestern gespannt, deren Ratschlägen sie den Sturz ihres Throns zuschreibt. Sie hat bei der Tafel im Vatikan keine Speise berührt.
Grammont hat seine Abschiedsaudienz gehabt. Lavalette, sein Nachfolger, wird erwartet. Man sagt, er bringe das von Napoleon modifizierte Ultimatum Ricasolis an den Papst. Völlige Abdikation von der weltlichen Gewalt wird verlangt; von dem lächerlichen Projekte, dem Papst die Jurisdiktion in der Leonina zu geben, ist keine Rede mehr.
Vorgestern schoß eine reaktionäre Bande auf einen französischen Posten bei Veroli. Mit dem Bajonett attackiert, entfloh sie und ließ in den Händen der Franzosen einen Sack voll Geld und Papiere.
Rom, 17. Oktober
Zu Ende September versuchten Spanier unter einem ehemaligen Lieutenant Cabreras, Borges mit Namen, von Malta her, Kalabrien aufzuwiegeln. Sie landeten bei Pizzo; ihre Bande wurde zerstreut. Die Rasse der Donquixote stirbt nicht aus. Die Bande Mittica ist vernichtet. Chiavone hält sich noch bei Sora. Immer neue Werbungen gehen von hier, von Civitavecchia oder Malta nach Neapel.
Am 30. September hielt der Papst eine heftige Allokution gegen die »piemontesischen Räuber«; er machte sieben neue Kardinäle, darunter Bedini, Guaglia, Sacconi und Panebianco. Die Römer spotten über diese ordinären Namen. Großes Aufsehen erregte die Schrift des Exjesuiten Passaglia ›Ad Episcopos Catholicos, pro causa Italica‹. Passaglia ist derselbe Theologe, der das Dogma der unbefleckten Empfängnis in drei Foliobänden verteidigt hat; jetzt schreibt er gegen das Dominium Temporale, nachdem Döllinger widerrufen hat. Eine wahre Komödie der Irrungen. Passaglia kam aus Florenz nach Rom. Vor einigen Tagen hielt die Polizei Haussuchung bei ihm; sie fahndete namentlich auf ein Manuskript eines Jesuiten, des Kardinals Tolomei, aus dem vorigen Jahrhundert, welches viele Enthüllungen enthalten soll. Man stellte Passaglia unter polizeiliche Aufsicht. Vorgestern entwischte er, und heute kam die Meldung, daß er glücklich die Grenze erreicht hat.
Das Ultimatum Ricasolis hat sich, wie es scheint, in die offiziöse Pariser Broschüre ›Les Garanties‹ verwandelt.
Morgen nimmt der König Wilhelm die Krone; dies richtet meine Gedanken nach dem alten Königsberg.
Rom, 1. Dezember
In dieser Zeit war ich unausgesetzt an der ›Geschichte der Stadt‹ beschäftigt; ich habe das V. Kap. des Buchs VIII angefangen.
Am 20. November wurde das Turiner Parlament eröffnet; Ricasoli legte den Brief an den Papst vor, welchen Frankreich übermitteln sollte, aber ablehnte. Er enthält alle die bekannten Garantien, die der Unabhängigkeit des Heiligen Stuhls schon vordem geboten wurden, und droht mit dem Schisma. Der Brigantenkrieg in Neapel währt fort. Chiavone hat Castelluccio verbrannt, wurde aber bei Rocco Guglielmo geschlagen. Auch die Franzosen haben bei Veroli seine Bande angegriffen. Das Theater dieser Greuel ist die Basilicata, wo der Spanier Borgès wieder auftaucht, ein Legitimist Langlois als General Franz' II. fungiert, und Grocco, Ninconanco usw. ihr Wesen treiben. Um die Mitte November legte Cialdini in Neapel sein Amt nieder; jetzt ist Generallieutenant Lamarmora.
Der Graf Goyon kehrt als Oberkommandant der französischen Okkupationsarmee zurück.
Im Quirinal wird eifrig geworben. Von ehemaligen neapolitanischen Generalen sind hier Clary, Bosco, Vial, Vater und Sohn, welche letztere in meinem Hause wohnen. Die Königin lebt in unglücklicher Ehe, ebenso die Herzogin von Trani, ihre Schwester. Man erzählt vielerlei Geschichten. Die Exkönigin fährt noch immer mit ihrer Schwester allabendlich auf dem Corso und exponiert sich zu sehr der Menge. Sie reitet, raucht, schießt mit Pistolen im Quirinal, kutschiert mit vier Pferden vom Bock. Der unglückliche Exkönig dagegen läßt sich oft sehen in irgendeiner Straßendroschke; so sah ich ihn am Kolosseum fahren.
Der Oberarzt der französischen Armee in China, Herr Castelneau, kam zurück und erzählte viel von dem dortigen Treiben.
Den neugebackenen Kardinal Bedini lernte ich kennen auf einer Soiree bei Mad.* Er ist sehr schön und facil; muß ihr Liebhaber gewesen sein.
Heute höre ich vom Tod des korsischen Poeten Salvator Viale von Bastia.
Rom, Donnerstag, 26. Dezember
Ich habe das Buch VII der Geschichte druckfertig gemacht. In dieser Zeit klaren Frostes erfreut mich nachts vor meinem östlichen Fenster die herrlichste Konstellation: Orion, Sirius, Procyon, Aldebaran im Stier, Plejaden und Castor und Pollux.
Ich sah und floh Ludmilla Assing. Jüdin, Berlinerin, alte Jungfer – und Blaustrumpf – eine Konstellation unglücklicherer Eigenschaften kann es nicht geben. Der neue französische Botschafter Lavalette kam vor 14 Tagen an. Er begehrte die Abreise Franz II; der Papst verweigerte sie; der Exkönig hat die Kaiserpaläste auf dem Palatin, die Farnesischen Gärten dort, schon im Sommer an Napoleon verkauft. Der Quirinal wird von französischen Gensdarmen überwacht. Mit dem Könige kann man kein Mitleid mehr haben. Man würde ihn achten, stellte er sich an die Spitze eines Heers, um sein Reich wiederzuerobern; aber das Anwerben und Hinauswerfen von Banditen ist schimpflich. Die Reaktion in Neapel ist fast erstickt. Bei Tagliacozzo wurde Borges mit siebzehn anderen Spaniern gefangen und erschossen. Ihr Leben, ihre Flucht aus Kalabrien nach den Abruzzen, mit verhängtem Zügel, ist ein schrecklicher Roman.
Der Ausfall der Wahlen in Preußen ist liberal. Herrliche Stille in Rom. Auf der Vaticana habe ich ein paar Mal gearbeitet.
Niebuhr schreibt schon A. 1814 in einem Briefe aus Berlin von Italien: »Auf eine oder die andere Art wird doch dieses Land im Laufe eines oder einiger Menschenalter zu einem Reich verbunden.« (Leben und Briefe Bd. II, p. 130).
Rom, Sonntag, 29. Dezember
Heute ist die Lokomotive nach Ceprano gegangen, die lateinische Eisenbahn zu versuchen. Ihre nächste Eröffnung erfüllt mich mit Freude, da sie mir Latium näher bringt. Die Station vor der Porta Ostiensis wird aufhören, denn den Zentralbahnhof verlegt man nach den Thermen des Diokletian. Deshalb wird die Bahn von Civitavecchia hinweggehen über den Tiber, durchschneiden die Via Ostiensis, beide appische Straßen, die Straße von Palestrina und die aurelianische Mauer dicht an der Porta Maggiore durchbrechen. Eine Öffnung ist dort bereits gemacht, hart an der Marmortafel Clemens' XI.
Ein neuer Donquixote, Tristany, ehedem Guerilla unter Don Carlos, wird die Rolle von Borges übernehmen. Er hat bereits mit dem Exkönig gesprochen; auch Chiavone war heimlich hier. Während Franz II. und seine Gemahlin auf dem Pincio spazierenfahren, schlagen sich Spanier und andere Abenteurer für sie in Kalabrien – doch eben nur scheinbar für sie; denn diese Angelegenheit hat ihre neapolitanische Farbe verloren; sie gehört den Legitimisten Europas, welche unter der Fahne Bourbon und St. Peter für ihr untergehendes Prinzip streiten.
Lavalette dringt auf die Entfernung des Exkönigs; der Papst besteht auf dem Asylrecht; Franz II. will nur der Gewalt weichen und vom Quirinal in den Palast Farnese hinüberziehen.
Die Zuaven des Papsts liegen jetzt in St. Paul; sie graben ein verschanztes Lager in dem alten prätorianischen aus, welches der Kriegsminister de Merode angekauft hat. Ein wunderlicher Einfall, das untergehende Papsttum an die Erinnerungen der altrömischen Soldatendespotie anzuknüpfen. Unter den Zuaven sah ich auch Mohren: Mutantur tempora, mores et Mori!
Rom, Dienstag, 31. Dezember
Hier endet das Jahr 1861. Es hat sich für mich in einer mittleren Sphäre gehalten, ohne eigentlich innere Erscheinungen, noch ohne Blüten des Augenblicks. Ich habe es in Tätigkeit hingebracht. Heute gelangte ich im Kap. VI des achten Buchs bis zum Tode Lucius' III. im Jahr 1185; und so nähert sich auch dieser Band dem Abschluß.
Die Sonne dieses Jahrs ging ekliptisch unter. Die Verfinsterung begann um 2 ¾ Uhr, und so wanderte Helios umschleiert in die Zukunft hinüber. Ich sah das Phänomen vom Monte Pincio, wo es sehr ominös neben dem Vatikan versank.
Zu derselben Zeit fuhr der Papst nach der Kirche del Gesù. Tausende hatten sich dort versammelt und schwenkten weiß-gelbe Fahnen. Auf dieser großen legitimistischen Demonstration lag der ekliptische Flor. »Einst wird kommen der Tag, wo die heilige Ilion hinsinkt.»
Man meldet, daß der Bandenchef Cipriano della Gala gefangen und erschossen sei.
Lavalette ist mit Antonelli gespannt. Desgleichen herrscht Spannung zwischen Portugal und Rom. Im letzten Konsistorium ward des Todes des portugiesischen Königs gar nicht gedacht.