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Rom, 14. Juni
In diesem Jahre habe ich von meinem Tun noch nichts aufgezeichnet, weil ich in der Geschichte der Stadt versunken war.
Der Winter war kalt und streng. Eine ausgezeichnete Geselligkeit verschönerte ihn. Die edle Pauline reiste in ihr Vaterland zurück am 17. April. Ich konnte beruhigend auf ihr Gemüt wirken und sie aus ihrem Kummer in ideale Regionen erheben. Eine neue Welt ist ihr in Rom aufgegangen. Am 21. März, dem Frühlingsanfang, trug sie selber (denn so wollte sie es) das Manuskript ›Euphorion‹ in den Tempel Antonins, wo sich die Dogana befindet, und wohl in Wachsleinwand verpackt, reisten diese Pompejaner ab.
Im März kamen die ›Grabmäler der Päpste‹ aus Leipzig.
Am 25. April wurde das Tasso-Monument von Fabri in S. Onofrio enthüllt, und man brachte die Gebeine des Poeten in die neue Gruft unter demselben. Ich habe über diese Feier und das miserable Machwerk von Monument einen längeren Artikel für das ›Morgenblatt‹ geschrieben. Und dies war meine einzige kleine Nebenarbeit. Unausgesetzt schrieb ich an der ›Geschichte der Stadt‹ bis zum 18. Mai, wo ich das dritte Buch beendigte.
Am 14. Mai sah ich mit de Rossi, mit der Improvisatorin Giovanna Milli und der Dichterin Teresa Guoli die Katakomben von S. Calixtus.
Mit dem preußischen Gesandten von Thile sah ich das Kirchersche Museum.
Mit einer französischen Familie war ich zum erstenmal in der Engelsburg. Es liegen dort noch viele Schießkugeln von Marmor. Die Wappenschilder Alexanders VI. haben die Republikaner von 1848 vandalisch zerstört. Überall liest man französische Inschriften, so daß dies Mausoleum Hadrians zu einer Bastille geworden ist.
Den Winter über war hier der Kunsthistoriker Schnaase, ein kränklicher Herr, fein und still, vorsichtig und gründlich, und von der liebenswürdigsten Natur. Sehr religiös. Er hat einen Zorn gegen die Philosophie des 18. Jahrhunderts, gegen Voltaire und Gibbon. Er glaubt, daß der Protestantismus die Kunst regenerieren wird. Den Moses Michel Angelos hält er nicht für das bedeutendste plastische Kunstwerk der modernen Zeiten. Er behauptete, daß es in gotischen Domen Deutschlands schönere gäbe; doch er nannte sie mir nicht. Sabatier will seine Geschichte der Kunst übersetzen.
Ich war vor kurzem zu einem sehr luxuriösen Frühstück in der Villa Torlonia, zusammen mit de Rossi, Visconti, Ampère, Lehmann, Henzen und Dr. Brunn. Dies Fest gaben Torlonia Vater und Sohn.
Der schlaue Fra Luigi kam zu mir und beklagte sich im Namen von Perez, daß ich unsichtbar geworden sei; er erbot sich, mir einen Besuch zu vermitteln. Dies zeigte mir, daß sie seiner bereits sicher geworden sind. Ich sprach Perez allein. Ich nahm noch einmal alle meine Gründe zusammen, seinen Entschluß zu bekämpfen; doch es fruchtete nichts mehr.
Das Kolosseum und alle Monumente des Forum wurden für die russische Kaiserin bengalisch erleuchtet. Der Papst ist auf Reisen im Kirchenstaat. Man hat für ihn Triumphe künstlich zurechtgemacht, auf daß er den Glauben in Israel mit Augen sehe.
19. Juni
Vorgestern war ich im Studio des Bildhauers Jacometti. Seine Pietà ist ein treffliches Werk. Seinen Judas hat er an der Scala Santa aufgestellt.
Tenerani ist der größte jetzt lebende Bildhauer in Rom. Von Deutschen sind namhaft Emil Wolf, der Schweizer Imhof, der Nazarener Achtermann. Jung aufstrebend ist Kopf, eines Bauern Sohn, von viel Talent.
Heute ziehen Galeerensklaven eine der Piedestalfiguren für die Madonnensäule durch die Via dei due Macelli.
Ich habe aus der Nachlassenschaft Caninas einige feine Bücher erkauft. Andre kaufe ich in den Auktionen, worauf sich der römische Buchhandel meist beschränkt.
Subiaco, 2. Juli
Am 28. Juni fuhr ich hierher. Ich hatte mich erhitzt und erkältet, so daß ich eine Augenentzündung bekam. Dazu trat gestern heftige Kolik. Ich sah die Klöster und das Schloß und las die handschriftliche Geschichte Subiacos, die mir ein Bürger lieh.
Olevano, 16. August
Am 3. Juli nahm ich hier Wohnung bei der Donna Regina. Bis heute lebte ich hier – die ersten drei Wochen heiß, träge und geistlos. Ich las viel Spanisch, Griechisch etc. Die Muse verachtete mich.
Das Elend in diesem zertrümmerten Ort ist grenzenlos. Um S. Lorenzo verwüstete Hagel die Weinberge, und im Wildwasser ertrank ein armes Weib. Mit tropischer Heftigkeit entladen sich Gewitter am Nachmittage.
Ich erhielt in dieser Einsamkeit die Korrekturbogen des Gedichts ›Euphorion‹.
Geschrieben habe ich hier die Geschichte des Klosters Subiaco. Im Ganzen war es die schlechteste Art von Stilleben. Es ist nichts um mich her und in mir vorgegangen.
Genazzano, 25. August
Nun merke ich, daß mir die dünne Luft des hochgelegenen Olevano schädlich war; denn kaum war ich am 17. August nach Genazzano zurückgekehrt, als auch eine gleichmäßige, ja lösende Stimmung durchdrang. Die Elemente sind hier meiner Natur homogen. Sofort schrieb ich das ›Fischermärchen aus Syrakus‹. Im Haus der Signora Annunziata sind nur Amerikaner, darunter ein junger wüster Poet, Buchanan Read, mit einer kleinen blonden Frau, die wie ein Opferlamm aussieht.
Genazzano, 31. August Am 27. früh ritt ich ins Land – es war feucht und kalt. Mein Begleiter war wieder Francesco Romano. Über Pagliano und Anagni nach Ferentino, wo ich nächtigte. Am 28. nach Trisulti, durch herrliche Bergwildnisse. Am 29. frühe nach Veroli und Ferentino rückwärts. Gestern kehrte ich hierher zurück.
Rom, 5. September
Am 1. September fuhr ich die Nacht durch nach Rom. In meinem Zimmer fand ich neue Tapeten und alles in bester Ordnung.
Während meiner Abwesenheit starb der Staatsrat Brunner, ein schöner, begabter Mann, der in Angelegenheiten des Konkordats von der Regierung Badens nach Rom geschickt worden war.
Heute kam der Papst von seiner Reise zurück. Am Ponte Molle hatten die Mercanti di Campagna Triumphbogen und Tribünen errichtet. Die Porta del Popolo war nach dem Modell Michel Angelos verkleidet, und der Senat hatte am Corso einen großen Triumphbogen aufgestellt, durch welchen der beglückte Pio Nono einzog. Ich hatte gehofft, für die Geschichte der Stadt eine Szene zu gewinnen, aber dies Spektakelstück fiel gar dürftig aus. Man illuminiert die Stadt drei Tage lang und verteilt den Armen Brot für 7000 Scudi. Der Papst strahlt von Wohlsein und Freude. Er glaubt sich wieder angebetet vom Volk, wie in früheren Zeiten.
Morgen fahre ich mit dem preußischen Gesandten nach Albano.
Rom, 17. September
Ich habe acht Tage im gastlichen Hause des Herrn v. Thile verlebt. Seine Kenntnis in vielen Literaturen ist wirklich groß. Die Stellung eines Diplomaten begünstigt die Aneignung der Weltbildung.
Am 13. machten wir, eine Gesellschaft von 12 Personen, einen Ritt zu Esel nach dem Monte Cavo. Ich sah das lateinische Gebirge nach drei Jahren zuerst wieder.
Auch Cornelius wohnt in Albano.
Am 14. ritt ich nach Frascati, wo ich Henzen besuchte. Er wohnt in der Villa Piccolomini, und auch dort setzte er seine Arbeiten für das Inschriftenwerk fort, in welchem er ganz aufgeht.
In Rom fand ich die Madonnensäule auf dem spanischen Platz enthüllt. Dies schlechte Machwerk sieht aus wie ein umgekehrter Champagner-Propfen. Pasquino hat es mit Satiren überschüttet. Da an der Statue des Moses der Mund zu klein geraten ist, ruft ihm Pasquino zu: parla! Der Moses mit zugekniffenem Mund: non posso. Der Pasquino: dunque fischia! Der Moses: sì, io fischio lo scultore.
Rom, S. Silvester
Das Jahr war gut. Es erschienen darin meine ›Grabmäler der Päpste‹ und (am 6. November) ›Euphorion‹. An die ›Hausblätter‹ sandte ich die Novelle ›Die Großmütigen‹, Bearbeitung einer Erzählung, die ich in einem Chronisten von Siena gefunden hatte.
Sabatier und Frau waren wieder hier, doch nur einen Monat lang, da sie am 19. nach Palermo reisten. Er übersetzte in dieser Zeit meine ›Grabmäler‹ ins Französische. Ampère und der Abbé Aulannier haben dafür gestimmt, daß die Einleitung fortbleiben solle, was mir sehr unlieb ist. Doch habe ich mich diesem Zensurgericht unterwerfen müssen.
Herr v. Thile reiste am 24. November nach Berlin, hingerufen durch den Tod der Witwe Gräfes, seiner Schwiegermutter. Es vertritt ihn Reumont, der am 29. November angekommen ist.
Am 19. Dezember war ich beim Herzog von Sermoneta. Er hat mir sein Archiv zur Disposition gestellt.
Sehr schön wurde ich am Weihnachtsabend überrascht: ein eiserner Ofen stand geheizt in meinem Zimmer, und das war die Wirkung der edlen Pauline aus der Ferne. Abends fand ich ein gesticktes Fußkissen für die Bibliotheken auf dem Tisch liegen, Gabe der Frau Sabatier.
Ich bin viel bei der Generalin Smyrnow, zu welcher die hier anwesende russische Aristokratie kommt. Bei ihr lernte ich Turgenjew kennen, den Verfasser der viel gelesenen ›Szenen aus dem Leben eines russischen Jägers‹. Er ist ein großer, stattlicher Mann, von ganz deutscher Bildung, von viel Belesenheit und Intelligenz.
Am 16. Dezember Erdbeben in der Basilicata. Viele Städte sind zerstört worden. Άγαδή τύχη das gute Schicksal Hier schließt das Jahr 1857.