Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

1860

6. Januar

Eben meldet man den Rücktritt Walewskis und die Ernennung Thouvenels; das ist die Antwort auf die heftige Rede, welche der Papst am Neujahrstage an den General Goyon wegen der Broschüre ›Le Pape et le Congrès‹ gerichtet hat.

Garibaldi hat eine Proklamation erlassen, worin er sich an die Spitze einer Nationalarmee stellt und die Italiener auffordert, zu seinen Fahnen zu eilen. Das Jahr 1860 scheint schwere Ereignisse heraufbringen zu wollen.

 

Rom, 27. Januar

Napoleon hat am 31. Dezember einen Brief an den Papst gerichtet. Er fordert darin die Abtretung der Romagna. Von allen Ländern laufen Adressen der Bischöfe, Städte, Gemeinden ein. Darunter prangte die der sieben preußischen Bischöfe im ›GiornaIe di Roma‹.

Das Ministerium Ratazzi trat am 15. Januar ab, und Cavour kehrte an seine Stelle zurück. Damit ist die Annexion entschieden, die man Anfang Februar erwartet.

Der römische Adel hat dem Papst eine Ergebenheitsadresse überreicht von 134 Unterschriften, an ihrer Spitze der Marchese Antici, Senator von Rom, der Prinz Domenico Orsini und Marcantonio Borghese. Mehrere Fürsten schlossen sich aus, wie die Caetani, beide Torlonia, Doria, Pallavicini, Gabrielli, Piombino, Buonaparte, Buoncompagni, Fiano, Cesarini und andre.

Heute ging das V. Buch der Geschichte von Rom durch den österreichischen Kurier, mit preußischen Depeschen, über Ancona und Wien, nach Stuttgart ab.

Es besuchte mich Herr Kervyne de Lettenhove aus Brügge, Historiker, adressiert von Bunsen.

Vorigen Donnerstag (22. Januar) fand eine große Demonstration beim französischen Zapfenstreich auf dem Platz Colonna statt. Man schrie » Evviva Napoleone e Vittorio Emanuele!« Das Gerücht sagt, die Franzosen bewerkstelligten diese Auftritte, um den Papst zur Flucht zu nötigen und sich des Regiments zu bemächtigen.

 

Rom, 6. Februar

Am 19. Januar, meinem Geburtstag, erließ der Papst die Enzyklika an alle Erzbischöfe und Bischöfe der Christenheit. Sie ist in einem mäßigen, aber festen Ton abgefaßt. Er erklärt darin, was er Napoleon auf seinen Brief vom 31. Dezember geantwortet habe, nämlich, daß er die rebellischen Provinzen nicht abtreten könne.

In Folge eines Artikels und Kommentars über die Enzyklika ist der ›Univers‹ aufgehoben worden: der erste Schlag, den Napoleon gegen den Klerus geführt hat.

Für das päpstliche Dominium Temporale haben sich in Paris erklärt Villemain in einer Broschüre, Sylvestre de Sacy in den ›Débats‹.

In Neapel gärt es; in Trani verlangte man die Konstitution.

In Oberitalien und Mittelitalien finden die Wahlen zur Nationalversammlung statt. Ricasoli wurde in Pavia gewählt. Man glaubt, daß die Annexion dadurch entschieden werden wird, daß man den Deputierten Toscanas und Mittelitaliens Sitz im sardinischen Parlament gibt.

Ich habe in diesen Tagen den Aufsatz ›Von den Ufern des Liris‹ geschrieben, dessen erste Hälfte ich heute nach Augsburg schicke.

Der französische Schriftsteller Gruyer kam zu mir, mit Delâtre.

Ich lese jetzt alle Stücke des Terenz und Plautus durch.

 

Rom, 9. Februar

Gestern abend fand ich die Via Condotti und das spanische Palais illuminiert. Es war die Nachricht von der Einnahme Tetuans durch die Spanier angekommen.

Cavour hat ein Rundschreiben an alle Agenten Sardiniens erlassen, worin er das Prinzip der Annexion an Piemont unumwunden als die einzige Rettung Italiens ausspricht.

 

Rom, 8. März

Zu Anfang des Karneval wurde ich krank an Rheumatismus und dann an gastrischem Fieber. Ich habe gegen drei Wochen das Zimmer gehütet, lag aber nur einige Tage zu Bette. Am 26. Februar fuhr ich zum erstenmal wieder aus, nach dem Tal der Egeria. Meine Krankheit war Folge des Scirocco, der seit dem 19. Oktober anhielt. Es ist der schlechteste Winter, den ich in Italien erlebt habe.

Der Karneval war leer. Die Römer demonstrierten, indem sie ihn vor die Porta Pia verlegten. Eines Tages ließ dort die schwarze Partei den Henker spazieren gehen. Man fängt an, sich des Zigarrenrauchens zu enthalten, wie in Mailand.

Am 1. März eröffnete Napoleon die Legislative mit einer sehr geschickten Rede. Die Annexion von Savoyen und Nizza scheint eine Tatsache werden zu wollen.

Der englische Konsul Newton stellte die Zeichnungen seiner Ausgrabungen in Halikarnaß im Palast Caffarelli aus.

Ich habe am 1. März die Arbeiten zum IV. Bande angefangen.

 

Rom, 20. März

Gestern war S. Giuseppe, zugleich Namenstag Garibaldis. Des Morgens versammelte sich die Kongregation der Sapienza in der dortigen Kirche. Nach der Messe stimmten die Studenten das Tedeum an für den glänzenden Ausfall der Wahlen in Toscana und Mittelitalien zu Gunsten der Annexion an Piemont, und es gab einen Tumult. Für den Abend war eine Demonstration angesagt; aber Militär besetzte die Via Nomentana vor dem Tor, und Streifwachen durchzogen den Corso. Dort fand ein Auflauf statt; die päpstlichen Gensdarmen hieben ein, und das Volk zerstreute sich in wilder Flucht. Ich saß gerade in der Nähe im Café bei einem Glase Wein, als viele Fliehende hereinstürzten. Der Wirt schloß sogleich das Lokal. Heute Nacht sind mehrere Römer verhaftet und sofort exiliert worden. Abends durchziehen französische Patrouillen den Corso, stets zu sechs Mann, mit einem Gensdarmen an der Spitze und dicht hintereinander. Dabei wimmelt der Corso von Spazierengehenden. Die Franzosen unterdrücken scheinbar die Aufstände, und doch provozieren ihre Agenten dieselben. Sie werden nächstens das Heft der Regierung ganz in die Hand nehmen.

Auf den Straßen verkauft man die Depesche Antonellis an den päpstlichen Nuntius in Paris, vom 29. Februar, die Antwort auf das Zirkular Thouvenels.

Die Regierung hat ein Avviso angeschlagen, wonach die Brotpreise verringert werden sollen.

 

Rom, 22. März

Der Vorfall am Montag war schlimmer, als ich glaubte. Die wie besessen einhauenden Dragoner haben 100 Menschen verwundet; einer ist gestern gestorben, ein armer Wirt, der eben aus der Messe von S. Carlo kam. Zwei in Zivil gekleidete französische Offiziere sind verwundet. Der amerikanische Konsul, eben im Begriff, in seinen Wagen zu steigen, wurde nur durch einen Offizier gerettet, der seinen Degen zog. Die Dragoner sind pro Mann mit fünf Scudi von der Regierung belohnt worden. Die Römer sind erbittert, daß Goyon den Vorfall gutgeheißen hat; das französische Offizierkorps soll dagegen protestiert haben. Man schreit Verrat, man beklagt sich, daß Napoleon diese Agitationen in Szene setze, und daß dann sein General die auf das Volk einhauenden Gendarmen belobe.

Gestern lernte ich den Geschichtschreiber Munch aus Christiania kennen, der hier für seine Geschichte Norwegens arbeitet.

 

28. März

Ich erhielt die erschreckende Nachricht, daß die erste Hälfte meines Bandes III nicht in Stuttgart angekommen sei. Ich habe nach Wien geschrieben. So kann ich durchaus nicht zur Ruhe gelangen.

Eben sah ich auf Monte Citorio ein Plakat, vor dem viele Menschen standen. Es ist die Exkommunikation vom 26. März, im allgemeinen gerichtet gegen die Usurpatoren der päpstlichen Rechte. Stilgemäß wird die Exkommunikationsbulle angeheftet an die Curia, an die Basiliken St. Peter und St. Johann und auf dem Campo de' Fiori, dem alten Hinrichtungsplatz, wo Giordano Bruno verbrannt worden ist.

Reumont ist definitiv nach Berlin abberufen worden; seine italienische Laufbahn ist nun zu Ende.

Ich machte die Bekanntschaft des ausgezeichneten englischen Poeten Browning, der mit seiner kranken Frau, einer geistvollen Dichterin, seit Jahren in Florenz lebt.

 

Rom, 29. März

Heute große Demonstration der schwarzen Partei im St. Peter, wohin der Papst jeden Freitag mittags beten geht.

Rossi de Sales ist von Piemont hergeschickt, dem Papst zu versichern, daß Viktor Emanuel, in die Notwendigkeit versetzt, die Emilia an sich zu nehmen, seine Oberhoheit achten wolle.

Man spricht davon, daß Lamoricière in Ancona eingetroffen sei, um sich an die Spitze der päpstlichen Armee zu stellen.

Viele Römer werden gefänglich eingezogen. Dies widerfuhr auch Herrn Moneta, einem meiner Bekannten. Er wurde nachts aus einem Caféhause nach Monte Citorio geschleppt und zu 15 Banditen gesetzt, aber am Morgen wieder freigelassen.

Am 24. März ist der Vertrag in Turin vollzogen worden, wonach Piemont Savoyen und Nizza für immer an Frankreich abtritt.

Seit gestern weht ein erstickender Scirocco.

 

Rom, 1. April Palmarum

Gestern nachmittag ging ich nach dem St. Peter, der durch Prozessionen sehr belebt war. An den beiden Säulen des Eingangs zum Vestibulum war die Exkommunikationsbulle aufgeklebt, und so zogen die heiligen Prozessionen des Osterfestes zwischen zwei Flüchen hindurch in den Tempel Gottes. Zufällig waren über diesen Plakaten noch alte Zettel angeheftet, Warnungen, nicht zu fluchen. Man las unmittelbar über der Proklamation des Papstes: » Bestemmiatori! pentitevi, pensateci bene! Nel momento stesso del bestemmiare potete precipitare nell' inferno.«

In der ›Römischen Zeitung‹ des 29. März steht eine Erklärung Goyons, welcher das Einhauen der Gendarmerie am 19. März nicht allein billigt, sondern erklärt, daß es auf seinen ausdrücklichen Befehl geschehen sei, da die Franzosen in Rom ständen zum Zwecke, den Papst zu unterstützen.

 

Rom, 5. April

Am 3. April fuhr ich mit Lindemann und den norwegischen Damen Frau von Chateauneuf und Frau Kolban nach Veji. Ich war zum erstenmale da, trotz meines schon langen Lebens in Rom. Das Gefilde ist von einem großen tragischen Ernst und sehr öde. Isola Farnese, ein kleiner Ort von höchstens 80 Einwohnern, steht auf der Stelle der alten Burg. An Merkwürdigkeiten nur das etrurische Grab mit rohen Malereien und einigen Urnen. Ein Helm ward uns gezeigt, den ein homerischer Lanzenwurf durchbohrt hatte; der Krieger war daran gestorben. Der Ponte Sodo ist ein künstlicher Durchbruch eines Felsens, durch den die Cremera geleitet ist.

Am 23. März wurden exiliert die Mercanti di Campagna Ferri, Silvestrelli, Titoni, de Angelis, welche sich in Civitavecchia nach Livorno einschiffen mußten. Zwanzig andere von der gegenpäpstlichen Partei sind verhaftet; darunter wurde auch mein armer Advokat Sellini, der stets in einem schlechten Mantel, wie Cassius, umherging, nachts aus dem Café abgeholt. Ob er nach Michele abgeführt worden sei, weiß ich nicht.

Die europäische Politik hat in Folge der Annexion Savoyens und Nizzas an Frankreich einen Umschwung erhalten. Am 26. März erklärte Lord John Russell im Parlament, daß das Ministerium von Napoleon betrogen und es Zeit sei, sich nach anderen Allianzen auf dem Kontinent umzusehen. Die ›Times‹ nannte Napoleon Münchhausen und Cäsar Borgia oder Machiavelli.

Die piemontesischen Truppen verließen Nizza am 31. März unter dem Geschrei des Volkes. Der Einschiffung sah der russische Hof zu. Am 1. April rückten die Franzosen dort ein.

Am 29. März hielt der Prinz von Carignan als Vizekönig Piemonts seinen Einzug in Livorno und Florenz.

Vor einigen Tagen langte Lamoricière in Rom an, um die Führung der päpstlichen Truppen zu übernehmen. Er wurde bereits zum Kriegsminister ernannt. Die Lage des Papsts ist sonderbar. In seiner Exkommunikation ist Napoleon mit einbegriffen, und zugleich steht der Papst im Schutz von dessen Truppen; die Franzosen sind noch hier, und zugleich demonstriert Pius IX. gegen sie durch die Anstellung des Republikaners Lamoricière als Generalissimus seiner Armee. Die Priester lächeln wieder und hoffen auf eine Koalition Europas und den Sturz Napoleons.

3000 Mann päpstlicher Truppen versammelt man in Ancona. Lamoricière wird die Garnisonen besichtigen.

 

Rom, 9. April

Die ›Römische Zeitung‹ vom 7. brachte die Ernennung Lamoricières zum General der päpstlichen Armee. Er hat eine Ehrenwache verlangt, welche die französische Behörde verweigerte. Ein Kompetenz-Konflikt hat sich erhoben; Grammont droht, die Pässe zu verlangen. Man hat nach Paris telegraphiert und die Weisung erhalten, die Sache nicht ernst zu nehmen.

Lamoricière hat 15-16 000 Mann vorgefunden. Offiziere fehlen.

Gestern besuchte ich den kranken Theodor Parker. Er sagte sehr energisch: »Der Papst ist ein Narr in vier Buchstaben.«

Heute kam ein Korse zu mir, der Abbate Venturini.

Ich war nach der Minerva gegangen. Vor dem Hotel, in welchem Lamoricière wohnt, standen päpstliche Schildwachen. Nun liegen in dem Dominikanerkloster Franzosen; sie starrten nach dem Hotel hinüber auf die Ehrenwache des Mannes, welcher eine ruhmvolle französische Vergangenheit repräsentiert: Algier, Abdel Kader, die Republik, Cavaignac.

Lamoricière hat sich ausbedungen, nur vom Papst abhängig zu sein, immer freien Zutritt zu ihm zu haben; weder von den violetten noch von den purpurroten Monsignoren will er sich dreinreden lassen. Er hat 100 000 Scudi zu seinen Ausgaben erhoben. Er will zehn Batterien und zwei Reiterregimenter schaffen. Man spricht davon, daß die Orléans unter ihm dienen werden – für jetzt sind ihm drei päpstliche Adjutanten beigegeben, darunter der Marchese Zappi. Es heißt, daß die Familie Larochefoucauld dem Papst eine Million zur Ausrüstung eines Regiments geschenkt habe.

Gestern gab der Papst den Segen im St. Peter. Der Vorhang über der Loggia wurde vom Sturm zerrissen wie der am Tempel in Jerusalem.

Am 4. April brach in Palermo ein Aufstand aus, der jedoch niedergedrückt wurde. Sabatiers schrieben mir von dort, daß die drei Tage (vom 4.-6.) gräßlich waren. Sie flüchteten nach Neapel. Noch auf dem Meere hörten sie das Schießen.

 

Rom, 12. April

Die ›Römische Zeitung‹ vom 10. versichert, daß der bisher eingegangene Peterspfennig 260 000 Scudi betrage. Gestern brachte die Zeitung den ersten Tagesbefehl Lamoricières, der einen dogmatischen und polemischen Ton anschlägt, welchen seine Soldaten nicht verstehen werden.

Heute fand ich ein Sonett zur Feier des 12. April angeschlagen, des Tags der Rückkehr Pius' IX. aus dem Exil und der Restauration in Rom durch die Waffen der französischen Republik; zugleich des Tags, da vor fünf Jahren Pius IX. in S. Agnese den gefährlichen Sturz machte. Jeder Vers beginnt: » Esulta o Roma« etc. Man beabsichtigte eine große Demonstration, mit Ausspannen der Pferde von dem päpstlichen Wagen; aber der Papst will nicht nach S. Agnese hinaus. Die Stadt soll beleuchtet werden. Es regnet fort und fort. Tiefe Melancholie liegt auf Rom. Kein Mensch erinnert sich ähnlicher Ostern. Die Girandola und die Kuppelbeleuchtung sind unterblieben.

Ich besuchte die Tochter Azeglios, die Marchesa Ricci, welche hier angekommen ist.

 

Rom, 21. April

Der Papst war doch in S. Agnese. Eine große Demonstration fand statt. Die Wagen, die ihm nach St. Peter zurückfolgten, waren zahllos. Man schwenkte die Tücher und rief: » Evviva Pio IX.« Abends Illumination, vollständig und allgemein. Antonelli konnte dem heiligen Vater die Stadt zeigen und dieser ausrufen: » Fili, non credebam invenire tantam fidem in Israel.« Die Römer schämen sich dieser ihrer plötzlichen Erleuchtung, zu welcher natürlich die Pfarrer ihnen verholfen haben.

Lamoricière erfüllt den Klerus mit großer Zuversicht.

Am 18. wurde der Graf de Merode zum Prominister des Krieges ernannt. Lamoricière ist nach Ancona abgereist. Truppen werden ausgehoben. Man sieht überall Rekruten.

Vor einigen Tagen brachte mir Prinz Friedrich von Schleswig-Holstein-Augustenburg einen Brief von den Sabatiers. Ich besuchte ihn in den »Isles Britanniques« – ein junger angenehmer Mann in den letzten 20. Er scheint sehr gebildet zu sein. Sabatiers schwärmen für ihn. Er war lange im Orient.

 

Rom, 25. April

Man sagt, daß M. de Courcelles, der Begleiter Lamoricières, die Polizei übernehmen werde. Dessen Hauptquartier wird Spoleto sein. Zwei Regimenter Reiterei werden eingerichtet.

Nach den letzten Nachrichten ist der Aufstand im Innern Siziliens noch nicht unterdrückt.

Heute abend, am Festtage St. Marcus, des Schutzpatrons Venedigs, fand der feierliche Empfang im venetianischen Palast statt, da der österreichische Minister von seinem Posten Besitz nahm. Die Honneurs machte die Duchesse de GrammontMadame la France, neben Österreich, welches, nach empfangener Züchtigung, die französische Rute zu küssen schien. Madame hielt einen Blumenstrauß in der Hand, als Sinnbild der schönen Phrasen von Villafranca. Viele Kardinäle waren da; Antonelli sah blaß und interessant aus; die große Gestalt des Kardinals Wiseman mit dem roten Weinküfergesicht tauchte wie ein Riff aus der Masse hervor. Odescalchi kam, als Herzog von Sirmien, in einem slawischen Pelz; ein Schotte erschien mit nackten Beinen. Auch Cornelius und Overbeck waren zu sehen, wie überhaupt viele Deutsche. Diese betreßte Komödie, worin Menschen ihr Nichts bekomplimentieren, war auch sehenswert genug.

 

Rom, 8. Mai

Am 1. Mai kam der erste Korrekturbogen vom dritten Bande.

Der Aufstand in Sizilien scheint unterdrückt; die Königlichen haben die Stadt Carini gestürmt. Viktor Emanuel ist im Triumph durch Toscana gereist, hat den Grundstein zur Fassade des Florentiner Doms gelegt, ist am 1. Mai in Bologna eingetroffen. Der König wurde vom Klerus im Dom S. Petronio empfangen und mit dem Tedeum begrüßt.

Man läßt hier drei Heilige gen Himmel fliegen. Vorgestern, Sonntag den 6. Mai, wurde die Seligsprechung des Österreichers Sarcander im St. Peter vollzogen; die beiden anderen folgen nach. Ich war am 6. Mai nach Frascati gefahren, ging bis Monte Porzio, las einige Episteln des Horaz in der Villa Conti, kam abends heim. Der Eisenbahnzug blieb drei Miglien vor der Stadt sitzen, und ich ging gern zu Fuß nach Hause.

In diesen Tagen war ich bei Newton, dem Entdecker von Halikarnaß, in einer Gesellschaft. Ich sah dort manche treffliche Skizze aus Kleinasien. Ich lernte den Professor Stickel von Jena kennen, welcher das Etruskische durch die hebräische Sprache erklären will.

 

Rom, 14. Mai

Die sizilianische Revolution ist nicht beendigt. Heute meldeten Depeschen, daß die Garibaldischen in Marsala gelandet seien. Die ›Genuesische Zeitung‹ berichtet, Garibaldi sei insgeheim aus Genua abgesegelt, mit 1400 Alpenjägern und 24 Kanonen. Die Regierung hat die Miene angenommen, seine Expedition zu hindern. Er hat seine Demission als Abgeordneter von Nizza und als piemontesischer General gegeben und eine Proklamation an die Armee gerichtet, worin er sagt, sie möge fest unter der Fahne Viktor Emanuels bleiben; obgleich feige Räte ihm zuflüsterten, so hoffe er doch, daß er sie wieder zur Befreiung auch der letzten Provinzen führen werde.

Heute sagte mir ein Römer, Garibaldi sei in Orbetello mit 4000 Mann gelandet, Viterbo sei aufgestanden. Andere verkünden den Angriff bei Cattolica, für den 16. Mai. Die Stadt ist in großer Aufregung. Heute marschierten anderthalb päpstliche Batterien nach Civitavecchia ab, und Carabinieri sprengten zum Tor del Popolo hinaus. Lamoricière kam von Ancona zurück. 1000 Irländer werden dort erwartet. Der französische General Buyer hat um Erlaubnis nachgesucht, ins päpstliche Militär treten zu dürfen.

Heute ließ man wieder einen Heiligen gen Himmel fliegen, den Italiener de Rossi. Nach acht Tagen wird ihm Labré folgen, ein Franzose.

Ich habe große Hoffnung für Italien.

Es erscheint in der ›Allgemeinen Zeitung‹ mein Aufsatz ›Von den Ufern des Liris‹.

Zeichnung: Gregorovius

Das Tal des Liris bei Arpino, 1859

Heute geht das Gerücht, daß die Garibaldischen in Corneto gelandet seien, weshalb man gestern päpstliche Truppen mit der Eisenbahn nach Civitavecchia befördert habe. Auch sagt man, daß Cialdini in Pesaro einmarschiert sei.

Garibaldi selbst soll in Marsala, nach anderen in Girgenti gelandet sein. Die heutige ›Genuesische Zeitung‹ schildert die Aufregung in Neapel als sehr groß: der König sei in Gaeta, alle disponiblen Truppen seien bereits eingeschifft, die Armee in Sizilien überall in den Städten konzentriert, in Palermo alle Tore vermauert, bis auf vier, die Truppen kampierten draußen, die Verbindung mit dem Innern sei abgeschnitten, die Bauern alle mit gezogenen Flinten bewaffnet; Agenten überall, welche jedem Freiwilligen 4 Tari pro Tag zahlen.

 

Rom, 20. Mai

Garibaldi landete am 11. Mai in Marsala. Ein englisches Schiff unterstützte die Ausschiffung der Freischaren.

Gestern brachte die ›Römische Zeitung‹ Depeschen, welche sagen: die königlichen Truppen hätten die Garibaldischen bei Calatafimi zerstreut, ihre Fahne genommen; einer ihrer Führer sei gefallen. Die Römer sind bestürzt. Man wird indeß einen casus belli daraus machen. Die Entsetzung des letzten Bourbon in Italien scheint beschlossen. Die ›Times‹ wirft Liebesblicke auf Sizilien und erinnert an die goldne Zeit der Insel unter dem Regimente des Lord William Bentinck. Napoleon hofft, den neapolitanischen Thron zu besetzen.

Es kam die Nachricht vom Tode des Erzbischofs von Bologna, des Kardinals Viale, Bruder meines Freundes, des Poeten Salvator aus Korsika. Der Klerus der Romagna hat bei der Anwesenheit Viktor Emanuels eine Ergebenheitsadresse überreichen müssen.

Lamoricière ist sehr tätig. Jeder Freiwillige erhält 40 Scudi Handgeld; aber die Leute laufen ihm davon. Er hat alle Kanonen aus den Strandtürmen nehmen lassen. Die Römer sagen spottend: es gelingt Torlonia nicht, den Lago di Fucino trockenzulegen, aber Lamoricière trocknet die Finanzen des Papstes aus.

 

Rom, 23. Mai

Am vorigen Sonntag stieg wieder ein Heiliger im St. Peter auf, der Pilger Labre aus Amettes in der Normandie. Heute steht die wundertätige Madonna aus S. Maria di Campitelli in der Minerva aus, und über der Tür der Kirche sagt eine große Inschrift: »Der alte Krieg gegen die Kirche erneuert sich. Wir, o Römer, setzen ihr unsere Waffen entgegen, die Gebete.« Kreuze, wundertätige Bilder, Prozessionen, Heiligsprechungen, all der vermoderte Plunder des Aberglaubens von Jahrhunderten wird hier in Bewegung gesetzt.

Freischaren schwärmen bei Canino und Montalto; man sagt, es sei ein von Orbetello angekommenes Korps der Garibaldischen unter Medici. Es hat einen Zusammenstoß mit den päpstlichen Jägern gegeben. Alle Truppen hat Lamoricière aus Rom dorthin geschickt.

 

Rom, 1. Juni

Die beiden Pfingstfeiertage habe ich in Genzano zugebracht, im Hause Mazzoni.

In Folge des Konstitutionsfestes Sardiniens am 12. Mai hatten sich mehrere Bischöfe geweigert, dies in ihren Kirchen zu feiern. Sie sind unter Prozeß gestellt. Der Erzbischof von Ferrara, der Bischof von Faenza, der Generalvikar von Bologna sind verhaftet, der Bischof von Parma ist auf der Flucht nach Mantua. Der Erzbischof-Kardinal von Pisa wurde mit Eskorte nach Turin gebracht. Man geht energisch gegen den Klerus vor.

Nachdem Garibaldi die Neapolitaner bei Calatafimi geschlagen, ist er vor Palermo gerückt. Zu ihm stoßen Scharen von Sizilianern unter dem Sohn des Barons S. Anna von Alcamo, unter Rosolino Pilo, Capeza, Castiglia und andern. Garibaldi hat in Salemi die Diktatur im Namen des Königs angenommen.

Gestern kam die Nachricht, daß er am 27. Mai morgens 6 Uhr nach einem heißen Kampf in Palermo eindrang, wo er im Senat Posto faßte. Die königlichen Truppen, beschränkt auf den Palazzo Reale und die Festung Castellamare, begannen um 7 Uhr das Bombardement der Stadt. Hier bricht die Depesche ab. Der Verlust Siziliens wird unermeßliche Folgen haben; der Sturz der Bourbonen ist gewiß.

Meine Korrekturbogen bleiben seit dem 9. Mai aus.

Vor kurzem bewilligte mir der Abbate Zanelli im Namen des Kardinals Marini die Einsicht in das Manuskript Crescimbenis, die Geschichte von S. Nicolo in Carcere, die als Depositum in Viscontis Händen ist. Visconti zeigte mir ein Manuskript, enthaltend die Akten und Rechnungen der Spiele auf der Navona.

Im künftigen Monat will ich Rom verlassen, meine erste Reise in die Heimat anzutreten.

Am 16. Mai starb Theodor Parker in Florenz.

 

Rom, 5. Juni

Nach den letzten Depeschen war in Palermo ein Waffenstillstand abgeschlossen bis zum 3. Juni. In Catania sind die Aufständischen zurückgeschlagen worden.

Am 2. war hier große Prozession, da man das wundertätige Kreuz von S. Carlo al Corso nach dem Gefängnis Petri wieder zurückbrachte. Drei Kardinäle gingen mit, Pietri, Patrizi und Andrea. Das Gerücht sagt, der Papst sei verkleidet in der Prozession mit einhergegangen.

In vielen Kirchen stehen die Reliquien aus. In S. Andrea della Valle sah ich eine heilige Madonna über dem Hochaltar ausgestellt mit der Inschrift: Tu nos protege ab Hostibus.

 

Rom, 7. Juni

Gestern kamen wieder zwei Druckbogen des Bandes III.

Ich sah im Corso den Fürsten Chigi als gemeinen Artilleristen umhergehen; er ist in die päpstliche Armee getreten. Auch ein Odescalchi und ein Rospigliosi haben darin Dienste genommen. Doch das rettet den Kirchenstaat nicht. In wenig Monaten dürfte er auf Rom beschränkt sein.

Heute geht das Gerücht, daß nach einem abgeschlossenen Waffenstillstand der General Lanza im Kastell von Palermo kapituliert habe, um sich mit allen Truppen einzuschiffen. Ganz Sizilien sei frei bis auf Messina.

Sizilien ist das Land abenteuerlicher Dinge, und seine ganze Geschichte ist ein fortgesetzter Roman.

Wie man auch den Überfall Garibaldis betrachten mag, er wird immer einer der genialsten Züge des Heldenmuts bleiben.

Der ›Siècle‹ behauptet, daß es bald Zeit sei, den Rhein zu nehmen. Der Krieg ist vor der Tür. Aber ich vertraue jetzt auf die unendlich gesteigerte moralische Kraft des deutschen Volkes – und Preußen hat eine freie Verfassung, es ist nicht mehr das bezopfte Junkerland von 1805.

 

Rom, 14. Juni

Die Oktave von Corpus Domini ist heute zu Ende. Ich sah die Prozession vom Lateran. Die Kirche, in ihrem Schmuck und voll von Kerzen, vom Volke leer, welches draußen war, mit weit geöffneten Türen, bot einen Prospekt ganz einziger Art. Ich dachte der Kräfte so langer Jahrhunderte, welche zusammenwirkten, um dies Ganze zu schaffen, das nun als Symbol einer Epoche der Menschheit dasteht. Auch sie wird vorübergehen, andere Tempel werden erstehen, und der Efeu wird die Ruinen von S. Johann und S. Peter umschlingen wie die von Ninfa.

Von Sizilien dies: die Kapitulation ist abgeschlossen worden. Erst hatte der König sie verworfen, aber der General Letizia, den er nach Palermo geschickt, erklärte ihm, daß die Truppen sich weigerten, weiter zu kämpfen. Am 29. Mai hielt man im neapolitanischen Schloß einen Familienrat, von dem allein der Graf von Syrakus ausgeschlossen war; er soll 11 Stunden gedauert haben. Man gab nach. So wurde die Kapitulation vollzogen zwischen Lanza, dem Alter Ego des Königs, und Garibaldi, die an Bord des englischen Kriegschiffs »Hannibal« sich unterredet hatten. 25 000 Neapolitaner wichen vor den Scharen Garibaldis; sie sollen zwischen dem 6. und 15. Juni sich nach Neapel mit ihren Waffen einschiffen. Dies ist der Untergang des Königreichs Neapel.

Starke Waffensendungen gehen nach Sizilien. Die Städte Italiens steuern Geld bei.

Hier dumpfe Ruhe. Die Contrerevolution schreitet nicht recht vorwärts. Lamoricière soll bereits seiner Aufgabe überdrüssig sein.

Vor einigen Tagen riefen Unteroffiziere der päpstlichen Truppen im Café Nuovo, vom Weine erhitzt; »Tod Napoleon! Via Henri V!« Es waren Legitimisten. Sie ließen sich einen Kalbskopf geben, zerschnitten ihn in kleine Stücke, und bramarbasierten dabei, daß sie so den Kopf Napoleons zerstückeln wollten.

Cathélineau, ein Greis, noch aus dem Vendée-Krieg, ist hier. Er hat dem Papst versprochen, ein Regiment Vendéer nach Rom zu bringen. Die Malteser Ritter wollen auch ein Regiment aufstellen. Welche Possen! Der Papst hat gesagt, man behandle ihn wie ein Kind, man verberge ihm den Zustand der Dinge. Man hatte ihm versichert, Garibaldi sei aufgerieben, und tags darauf berichtete der Telegraph, er sei im Besitze Palermos.

Lamoricière und Merode suchen Antonelli zu stürzen; sie wollten Herrn de Courcelles ins Ministerium der Finanzen bringen, aber der Kardinal siegte und machte einen ganz unbedeutenden Menschen, Constantini, zum Minister.

De Martini, Gesandter Neapels, war nach Neapel berufen, und ist bereits zurück. Der neapolitanische Hof ist ratlos. Die Königin-Witwe hat ihren Sohn zum Könige von Sizilien vorgeschlagen.

Die projektierte päpstliche Anleihe hat erst die Summe von 400 000 Scudi erreicht.

Ich habe am 11. traurige Briefe von Hause erhalten. Am 27. Mai, am ersten Pfingsttag, starb mein Schwager, Dr. Elgnowski, in Insterburg.

 

Rom, 15. Juni

Heute waren an S. Luigi dei Francesi und am französischen Casino Zettel angeklebt, welche ausriefen: Morte a Napoleone, viva Pio Nono, viva Henri V! Die Legitimisten machen hier viel Lärm.

Lamoricière und Merode sind hier tief verhaßt; sie mögen sich auf Schlimmes gefaßt machen. Der Papst soll von Torlonia ein Anlehen begehrt haben, der Bankier ihn aber an die römischen Fürsten und namentlich an Antonelli gewiesen haben, der zwei Millionen in die englische Bank geschafft habe. Rom ist wegen der vielen fremden Papisten, darunter Abenteurer jeder Gattung, ein wahrer Turm von Babel geworden. Man sieht viel absonderliche Gestalten, namentlich Polen. Auch das Lamoricièresche Militär sieht komödiantenhaft aus.

Garibaldi will sich nach Kalabrien werfen und Messina liegen lassen. Ich rechne darauf, daß man in Neapel in drei Wochen zu Ende sein wird; dann wird man Latium und die Marittima insurgieren. Eine Proklamation Garibaldis wird hinreichen, den Kirchenstaat zu sprengen.

Das Papsttum geht seinem Untergang entgegen. Im Monat August wird viel geschehen sein. Ich bedauere, daß ich dann nicht mehr hier bin.

 

Rom, 23. Juni

In diesen Tagen schrieb mir Baron von Thile, daß die preußische Regierung mir jährlich 400 Taler Subvention geben will zur Geschichte von Rom. Mitgewirkt hat dazu Bunsen.

Am 16. fand die Zusammenkunft der deutschen Fürsten mit Napoleon in Baden statt.

Hier nichts als Gebete und Prozessionen. Ein Triduum war vom 19.–21. im Pantheon angesagt.

Der Tag der Thronbesteigung Pius' IX. (21. Juni) wurde durch Illumination gefeiert. Der Papst hatte erklärt, er werde sich nur durch Gewalt aus Rom führen lassen.

Gestern beendigte ich den Artikel ›Aus den Bergen der Volsker‹. Auch für die amerikanische Zeitung habe ich den Aufsatz ›Rom seit dem Anfang des Jahres 1860‹ geschrieben.

Ich bin viel in Kirchen gewesen, der Inschriften wegen.

Gestern kamen 250 Irländer auf Tiberschiffen hier an. Man hat sie in einer Kaserne bei S. Maria Maggiore einquartiert. Sie verlangen statt 5 Bajocchi 12 und wollen nur unter ihren eigenen Offizieren dienen.

 

Rom, 26. Juni

Ich habe alles gepackt und berichtigt. Morgen reise ich ab. Heute um 4 Uhr bin ich noch zu Tisch bei C. Serny, abends bei Alertz.

Nach acht Jahren des Wanderns und schwerer Lebenskämpfe werde ich das Vaterland wiedersehen.

Gestern sah ich einrücken den Oberst Pimodan mit der Schar Carabinieri von le Grotte. Einige Papisten schrien »Via Pio Nono«, und zwei Reiter stürzten.

 

Florenz, in der Fontana, 30. Juni

Am 27. morgens 6 Uhr fuhr ich von Rom ab; Alertz begrüßte mich an der Station. In kaum drei Stunden langte ich in Civitavecchia an. Von dort fuhr ich ab auf dem Dampfer »Quirinal« um fünf Uhr abends. Die herrlichste Nacht; der Komet am Himmel, wie vor 2 Jahren. Der Mars ging prachtvoll im Süden auf. Reisegesellschaft der Graf Malatesta aus Rom, mehrere ostpreußische Damen. Früh morgens im Hafen von Livorno. In Folge der Annexion sind die meisten Plackereien gefallen; die Visitation auf der Dogana, der Paß etc. verursachen keinen Aufenthalt mehr. Die italienische Revolution zeigt sich überall ins Leben des Volkes eingedrungen. Nationalfahnen, Porträts, Plakate zur Unterstützung Garibaldis in Sizilien auffordernd; kein anderes Gespräch als Politik und in jedem Mund der Name Garibaldi.

Die Nachricht war angekommen, daß der König von Neapel am 26. die Konstitution verkündigt habe. Man hofft, die Neapolitaner werden dies Danaergeschenk nicht annehmen.

Gestern um 5 Uhr nachmittags fuhr ich ab nach Florenz – in den Waggons von nichts die Rede als von Garibaldi und Sizilien. Heute besuchte ich den Professor Vannucci. Amari war soeben nach Sizilien abgereist. Sabatiers sind nicht hier.

Alle Gesichter in Florenz sind heiter – in Rom alles ernst und finster. Der Gegensatz kann nicht greller sein.

 

Florenz, 6. Juli

Ich habe alle meine Freunde besucht. Die sizilianische Familie Perez reist heute nach Palermo ab.

Im Palast Riccardi nahm ich die zwei Handschriften des Cencius Camerarius durch. Dort ist Bibliothekar Bulgarini.

Seit ich die Dinge hier in der Nähe betrachte, habe ich die lebhafteste Hoffnung für den Bestand der Bewegung. Emiliano Giudici schwor mir gestern zu, daß in sechs Monaten Rom die Hauptstadt des italienischen Reiches sein werde. Die Nachrichten aus Sizilien sind gut. Garibaldi hat als Diktator die Jesuiten ausgewiesen, die schon am 23. und 24. Juni in Scharen nach Rom gekommen sind. Eine Armee wird organisiert. Die Annexion soll durch Boten am 18. Juli durchgeführt werden. Mazzini ist in Sizilien, aber sein Anhang ist klein; hier lacht man über seine Ideen, – der Republikanismus ist durch die Idee der Einheit verdrängt. Die Neapolitaner haben die Konstitution mit Stillschweigen aufgenommen. Die Lazzaroni mißhandelten den französischen Gesandten Brenier. Man mordet die Polizei, auch im Innern des Landes.

Die Hauptblätter in Florenz sind die ›Nazione‹ und der ›Monitore‹. Der ›Contemporaneo‹, ein regierungsfeindliches Blatt, wird von einem Sarden redigiert und ist verachtet. Viele Witz- und Karikaturblätter. An vielen Häusern die Bilder Viktor Emanuels und das Wappen Sardiniens.

Giudici und Perez wollen auf Nationalsubskription den Dante neu edieren, und zur Feier des neuen Reichs soll sein kolossales Monument in Rom aufgestellt werden.

Die Florentiner sprechen von Napoleon mit Zurückhaltung oder nennen ihn geradezu einen Betrüger. Das Nationalgefühl Italiens hat seine Pläne durchkreuzt.

Die Bibeln des Diodati, Produkte der englischen Assoziation, verkauft man hier öffentlich in den Cafés für einen Spottpreis.

 

Genua, 10. Juli

Am 8. abgefahren von Florenz; am 9. abends mit dem Dampfer »Abbatucci« abgefahren von Livorno. Angekommen in Genua heute früh 2 Uhr. Die herrliche Stadt durchwandert.

 

Isola Bella, 11. Juli

Heute um 6 Uhr von Genua nach Arona. In meinem Waggon saßen zwei junge Männer aus Modena, welche eben aus der Gefangenschaft in Gaeta zurückgekommen waren. Sie hatten sich auf dem Dampfer »Mile« befunden, den die Neapolitaner am Kap Corso aufgebracht, als er nach Sizilien gehen wollte. Fast täglich schiffen sich Freiwillige in Genua nach Sizilien ein. Bei Novara sah ich das berühmte Schlachtfeld Radetzkys. Wie anders sind die Zeiten geworden! Der Dampfer »S. Bernardino« führte mich um 12 Uhr von Arona nach Isola Bella. Die letzte Nacht in Italien wollte ich auf dieser reizenden Insel verbringen. Der Simplon wird weit im Hintergrunde sichtbar mit seinem weißbeschneiten Haupt. Schön ist auch das Eiland dei Pescatori, worauf nur Fischer leben. Ich nahm ein Bad auf Isola Madre und kehrte eben hierher zurück. Es wohnen viele reiche Engländer an den Ufern, einer auch auf der Isola dei Pescatori.

 

Heyden, im Kanton Appenzell, 18. Juli

Am 12. fuhr ich von Isola Bella ab. Bei S. Bartolomeo ist die Grenze zwischen der Schweiz und Italien; der erste Schweizerort heißt Birago. Von Magadino geht die Fahrt aufwärts bis Bellinzona. Wir passierten den Bernardin, 6400 Fuß über dem Meere. Er hatte noch Schnee. Die riesige Alpennatur, die Wasserfälle und Wälder, die Almen und Matten in jener Höhe sah ich nicht mit freiem Blick. Mich überfiel Schwermut, weil ich Italien verlassen hatte. Ich wäre am liebsten wieder umgekehrt. Manches ist mir in acht Jahren fremd geworden, Bauart der Häuser, nordische Menschengesichter, Lebensweise, Natur; ich machte auch Entdeckungen von dem, was mir einst alltäglich gewesen war, wie zum Beispiel von gedielten Fußböden, worauf die Schritte schallen.

In Chur um 6 Uhr des Morgens am 13. Juli. Ich fuhr gleich nach Hof Ragaz. Dort schlief ich ein paar Stunden und wanderte dann nach dem großartigen Bade Pfäffers hinauf. Noch an demselben Abend nach Rheineck. Am Morgen des 14. nahm ich ein Wägelchen nach Heyden, wo ich die Familie des Baron von Thile wiederfand.

Ich wohne in ihrem Hause. Mein Blick fällt auf den nahen Bodensee und die Rheinmündung; an seinem Rande stehen Lindau, Friedrichshafen, Arbon deutlich sichtbar, und drüben liegen Baden, Württemberg, Bayern, Österreich vor mir ausgebreitet.

Die Appenzeller Bauart erschien mir barbarisch, und des Grüns, welches alle Berge bedeckt, war mir zu viel.

Wir speisen im »Freihof« an der table d'hôte; es sind dort lauter Deutsche und Schweizer.

Meine Druckbogen 14–19 habe ich hier erhalten. Nichts Neues aus Italien. Garibaldis Lage ist rätselhaft. Er hat Lafarina aus Sizilien verwiesen. In Neapel Anzeichen der nahen Revolution. Das Parlament ist zum 10. September einberufen. Von Rom nichts Neues.

 

Stuttgart, 25. Juli

Am 23. fuhr ich nach St. Gallen. Ich besuchte dort die Benediktinerbibliothek. Dr. Henne zeigte mir die Handschrift des Nibelungenliedes, die auch den Parcival enthält, einige alte Dokumente und Elfenbeinschnitzereien des Tutilo.

Um 11 Uhr nach Rorschach und über den See. Um 2 Uhr kam ich in Friedrichshafen an, wo gegenwärtig der Großherzog Leopold von Toscana wohnt. Das Land ist flach und uninteressant. Es hat gar nichts Monumentales. Biberach ist der Geburtsort Wielands. Ich sah dort den ersten Storch wieder. Über Ulm nach Stuttgart, wo ich vor 11 Uhr abends eintraf und im Hotel Marquardt abstieg.

Am folgenden Morgen besuchte ich den alten Baron Cotta. Er redet sehr gut, aber in einer etwas gezierten, diplomatischen Sprache. Was ich über die ›Geschichte von Rom‹ hörte, war günstig. In einem Jahre sind gegen 500 Exemplare abgesetzt. Ich besuchte auch Emma Niendorf, Hauff und Edmund Höfer.

Heute war ich bei Wolfgang Menzel. Er wohnt in einem Gartenhause; seine Zimmer sind klein, sauber, mit einem lyrischen Anflug – eine Efeulaube über seinem Sofa, in der Ecke Tabakspfeifen. Alles gründlich, germanisch, philisterhaft. Menzel ist ein Mann von 63 Jahren, noch ziemlich frisch, groß und stark. Er sagte mir mit Genugtuung, daß Graf Montalembert ihn besucht habe.

 

Nürnberg, 28. Juli

Am 26. nach Augsburg. Ich stieg ab im Fuggerschen Haus zu den drei Mohren, wo ich die Redaktion der ›Allgemeinen Zeitung‹ besuchte. Kolb war in Kissingen, daheim Altenhöfer und Dr. Orges. Ich sprach ihnen meine Ansicht über die österreichische Haltung ihres Blattes aus und suchte sie für Italien zu gewinnen. Orges, ein intelligenter junger Mann, war ursprünglich preußischer Offizier. Er ist als Doktrinär in ein philosophisches Systemmachen verrannt. Er führte mich durch Augsburg. Altenhöfer sagte mir, daß hier kein geistiges, nicht einmal ein geselliges Leben existiere. Nur 60 Exemplare der Zeitung würden in Augsburg selbst abgesetzt. Alles drehe sich um materielle Interessen und Wohlleben.

Am 27. ging ich nach Nürnberg. Diese Stadt ist das Florenz von Deutschland; die Gotik und italienisches Rokoko setzen ihre reiche Architektur zusammen. Es ist ein künstlerischer Formensinn ausgesprochen, doch Licht und Farbe und Grazie fehlen. Der Untergrund des Nürnberger Wesens ist trübe und schwer. Manchmal erscheint mir Nürnberg wie die wahre Stadt des Faust. Ein urdeutscher Hauch weht mich hier an.

Ich besuchte das seit sieben Jahren gegründete Germanische Museum. Viele Skulpturen sind sehenswert, die Bildersammlung weniger bedeutend, ausgezeichnet die Sammlung von Drucken, Inkunabeln, Handschriften. Die Bibliothek ist im Entstehen. Kaulbachs Bild: Otto III. das Grab Karls des Großen öffnend, hat mich nicht befriedigt.

An der Mittagstafel lernte ich den Engländer Charles Boner kennen, der in München lebt, und den General von Hunoldstein. Diese Herren führten mich zu zwei Patrizierhäusern. Das Pellersche hat schon einen starken Zusatz von Rokoko, wie überhaupt der Einfluß Italiens in Nürnberg deutschen und italienischen Stil mitunter mischte. Die großen räumlichen Dimensionen fehlen.

 

Leipzig, 31. Juli

Am 29. verließ ich Nürnberg und traf in Leipzig abends gegen 10 Uhr ein.

Gestern suchte ich Brockhaus auf, doch keiner der Herren war anwesend. Ich fuhr vergebens nach Gohlis, Hermann Marggraf zu sehen; ich fand in seinem kleinen Hause seine Familie, neun blühende blondgelockte Kinder eines armen deutschen Poeten. Sie umringten mich alle, und ihr Anblick rührte mich tief.

Ich verbrachte den kalten Regentag lesend auf meinem Zimmer.

Heute kam Heinrich Brockhaus von Dresden, den ich eben gesprochen habe. Ich werde um 2 bei ihm essen und dann um 5 Uhr nach Berlin weiterreisen.

Mich friert hier. Ich sehne mich nach dem Süden zurück, wo jetzt die Sonne so warm auf den Sabinischen Bergen liegt.

 

Danzig, 6. August

Am 1. nach Berlin, über Wittenberg. Es regnete beständig. In Berlin angekommen um 11 Uhr nachts, abgestiegen im ›Hotel de Rome‹. Am folgenden Tage suchte ich Gräfe auf, dessen Klinik ich nachmittags sah. Der Anblick der Kranken und des Verfahrens mit ihren Augen (Einpinseln, Einbohren von Lanzetten etc.) wurde mir unerträglich, worüber Gräfe herzlich lachte. Diesen merkwürdigen Mann in seinem Reich wie einen Magus schalten zu sehen, machte mir große Freude.

Die Jahreszeit war ungünstig, die meisten Personen, die ich sehen wollte, verreist. Ich fand Titus Ulrich und lernte den Maler Jonas kennen, der auf meine Veranlassung nach Korsika gegangen war. Pertz war abwesend. Auf der Bibliothek führten mich Dr. Sybel und Dr. Raspe umher, und ich fand, daß der Katalog der italienischen Literatur, selbst an Spezialitäten der römischen Stadtgeschichte, sehr reich sei. Der Kultusminister Bethmann-Hollweg empfing mich am 3. 6 Uhr abends mit ministerieller Gemessenheit. Er sagte mir, es sei ein Schreiben an mich abgegangen, mit der Bewilligung einer Subvention von 400 Talern auf zwei Jahre.

Ich habe das neue Museum gesehen. Es ist eine luxuriöse und stattliche Einrichtung, die alles darin Aufgestellte beinahe erdrückt.

Am letzten Tag Diner bei Gräfe, wo unter anderen Ärzten auch Virchow war. Flüchtig sah ich noch den ›Tannhäuser‹ im Opernhause, oder vielmehr nur den zweiten Akt davon.

Am 3. nachts nach Danzig. Am 4. um 11 Uhr vormittags fand ich meine Brüder Julius und Rudolf auf der Station in Dirschau meiner wartend. So sahen wir uns nach acht Jahren wieder, und ich habe den schönsten Tag meiner Heimkehr erlebt.

 

Königsberg, 19. August

Elf Tage blieb ich beim Bruder Julius in dem schönen Danzig. Am 14. ging ich nach Königsberg. Harder und Köhler empfingen mich auf der Station.

Ich wohnte bei Harder. Königsberg ist für mich die Stadt persönlicher Vergangenheit. Ich kann hier heute fast unerkannt umhergehen, als trüge ich eine Maske. Und diese Veränderungen haben nur acht Jahre bewirkt.

Ich fand auch Menschen wieder, die stille gestanden auf dem Punkte, wo ich sie verlassen hatte, so den edeln Alexander Jung, der mir mit derselben Misère, Klagen und lyrischen Ergüssen entgegentrat. Rosenkranz ist abwesend. Drumann fand ich in seinem Arbeitszimmer, still, ernst und wohlwollend, der wahre Typus immenser deutscher Gelehrsamkeit. Giesebrecht ist ein Mann der Ordnung, des Stillstands und der Regel. Ruhig und sich wohlfühlend. Er schimpfte auf Garibaldi, welchen er aufhängen wollte. Er beteuerte seine Liebe zu Italien, aber ich nannte diese platonisch.

Manchmal dringt die Stimme der Vergangenheit zu mir, so im Rauschen des Juditter Waldes, wo ich hinausgefahren war. Die acht Jahre in Rom sind eine große, ja unermeßliche Epoche für mich gewesen; das merke ich hier zumeist.

 

Nordenthal, 31. August

Ich bin fünf Tage in Insterburg geblieben. Die Schwester fand ich krank, und die Stiefmutter leidend. Alles verändert. Von meines Vaters Welt wankt hier nur noch ein Schatten, doch auch in ihm ist noch Wärme genug. Wir redeten nur von Vergangenem. Auch der Bruder Rudolf kam von Schippenbeil herüber, aber nicht Julius, welcher seine Batterie nach Graudenz hatte führen müssen.

Am 27. fuhr ich nach Gumbinnen. Dort habe ich die schönsten Kinderjahre vom 11. bis zum 17. auf dem Gymnasium verlebt, und ich hatte den Ort seit 21 Jahren nicht wiedergesehen. Ich eilte in das Haus meines Onkels. Es war neu ausgebaut; die Pappeln des Hofs sind verschwunden, aber im Garten begrüßte mich die alte traulich schattige Buchenallee. Ich suchte nach den Vogelnestern, und fand solche in denselben Bäumen wieder. Die Empfindungen der Kindheit drangen mächtig auf mich ein. So hat mich nicht Pompeji bewegt, als es dieser Garten meiner Jugendspiele tat.

Ich suchte das Grab des Onkels auf, und da ich es verfallen fand, sorgte ich für seine Wiederherstellung. Alle Namen der Häuser, alle Stellen meiner Schulzeit lebten wieder in mir auf. Mittags speiste ich beim Direktor Hamann, meinem ehemaligen Lehrer im Deutschen und in der Geschichte. Er fragte mich plötzlich ganz ernsthaft, ob alles, was ich in meinem Buche über Korsika als erlebt oder geschehen geschildert habe, dies wirklich sei?

Um 2 Uhr fuhr ich mit der Post nach Goldap. Die Fahrt dauert fünf Stunden in wilder Gegend, ohne Chaussee. Der Sommerhimmel hat hier nur ein schwermütiges slawisches Lächeln, und Berg, Heide, Wald und See, oft schön, stimmen melancholisch. Einen Tag blieb ich bei den Verwandten dort, die ein bescheiden genügsames Hauswesen führen, glücklich, vielleicht beneidenswert in ihrer aus der Welt verlorenen Einsamkeit.

Am 29. reiste ich mit dem Nordenthaler Fuhrwerk nach Oletzko, und eine Schar von Verwandten wuchs plötzlich aus dem Boden auf. Sie kamen aus allen Häusern, von allen Seiten; alle wollten sie den Vetter sehen, der aus Rom gekommen war.

Am Abend erreichte ich Nordenthal, das Gut meiner edlen Freundin Pauline. Die Welt ist hier enge, aber die Häuslichkeit von echt preußischer Gediegenheit und Güte. Das Haus Hillmann ist weit und breit in Ostpreußen durch seine Gastlichkeit und sein humanes Wirken berühmt. Der alte Herr ist tot; die Mutter, eine edle Greisin, das Muster preußischer Matronen, lebt noch in ihrem Witwenhause. Die Fichten und Tannen rauschen immer fort: ein Fluß, die Lega, schleicht vorüber – rings finstre Wälder, hie und da Kirchentürme in einsamster Wildnis. Drüben Polen. Ich habe hier einen Kreis geschlossen und an meine Kindheit, an die Epoche der polnischen Revolution von 1830, wieder angeknüpft.

 

Nordenthal, 2. September

Gestern fuhren wir nach der polnischen Grenze. Wir überschritten sie in Lipowden und gingen mit jungen polnischen Damen in ein Haus, wo eine derselben auf dem Klavier spielte. Es war mir seltsam zu Sinne, mich in Polen zu finden, nach meiner römischen Periode. Dies unglückliche Volk hatte meine ersten historischen und dichterischen Regungen erweckt. Zugleich ist jene Gegend für mich väterlich: der Vater war in der Epoche Neu-Ostpreußens in den nahgelegenen Städten Szeiny, Kalwaria und Szuwalki Gerichtsherr und lernte meine Mutter in Mariampol kennen. Ich wünschte dem polnischen Land die Auferstehung, wenn je Tote auferstehen. Ich sprach polnisch, so viel ich noch wußte, aber es mischte sich das Italienische hinein. Alles Land ist dort eine trauervolle Wüste, im Schatten schwarzer Wälder. Der Graf Pacz, ein Bekannter meines Vaters, einer der reichsten Edelleute Polens und ein Haupt der Revolution von 1830, hatte dort seine Güter.

 

Insterburg, 14. September

Am 2. nächtigte ich in Stradaunen, nachdem ich das Kirchdorf Gontzken, wo mein Vater geboren wurde, besucht hatte. Am 3. früh brachte mich Surminsky nach Goldap. Morgens am 4. fuhr ich mit der Post nach Gumbinnen und kam nachmittags hierher. Am 5. frühe über Wehlau nach Gerdauen, wo mich Rudolf empfing. Wir fuhren nach Schippenbeil. Dort erschreckte mich die enge und dumpfe Welt, in welcher mein Bruder, bei so lebhaftem Geist, ausdauern muß. Ich blieb bei ihm bis zum 8. und fuhr am 9. hierher zurück. Am 10. kam der Bruder Julius. Morgen trete ich meine Rückreise nach Königsberg an.

 

Berlin, 25. September

Am 15. traf ich wieder in Königsberg ein und wohnte bei Harder. Am 18. kamen die Naturforscher zur Versammlung, wodurch die Stadt sehr belebt wurde. Der alte Professor Ratke, Zoologe, starb an demselben Tage, aus Furcht vor dem Präsidium bei diesen Sessionen; und so starben während meiner Anwesenheit zwei berühmte Königsberger, er und Lobeck. Ich fand Rosenkranz beredt und geistreich, wie ich ihn verlassen hatte, Lehrs fast verjüngt. Außer ihnen Ludwig Friedländer, mit einer liebenswürdigen Frau. Ich war oft im Börsengarten, wo ich viele Bekannte wiedersah.

Am 22. reiste ich hierher. Tags zuvor telegraphierte mir Editha von Rhaden, daß die Großfürstin Helene am Sonntagabend von Berlin nach Königsberg abreise. Ich traf hier um 5 Uhr morgens am Sonntag ein, schlief einige Stunden und ging in das russische Gesandtschaftshotel. Die Großfürstin empfing mich, unterhielt sich einige Minuten mit mir und bestellte mich um 3 Uhr wieder. Sie hatte Besuch vom Prinzregenten, nach welchem ich vorgelassen wurde. Ich blieb etwa eine Stunde, worauf sie mich freundlich verabschiedete. Abends speiste ich mit den Hofdamen.

Heute besuchte ich Pertz auf der Bibliothek. Er war von einer kalten Liebenswürdigkeit. Er reist sofort nach München ab. Bei ihm war auch der Geschichtschreiber Lappenberg.

 

Berlin, 1. Oktober

Ich besuchte Olshausen und Render. Auf der Bibliothek arbeite ich jeden Tag. Ich habe die Vorrede zu den ›Siciliana‹ abgeschickt und heute die letzten Revisionsbogen des Bandes III.

Ich sehne mich nach geordneter Arbeit. Morgen verlasse ich Berlin.

 

Lyon, Hotel de Bordeaux, 5, Oktober

Am 2. reiste ich von Berlin ab, über Magdeburg. Ich berührte Wolfenbüttel, fuhr an Göttingen vorbei und Hannoverisch Münden, welches, wie das Fuldatal, mir als das reizendste erschien, was ich noch in Deutschland gesehen hatte; und weiter, schon am Abend, über Marburg und Gießen nach Frankfurt. Am 3. besuchte ich dort den Architekten Cornil, einen Bekannten aus Rom, welcher die schöne junge Römerin Salvatori zur Frau hat. Er führte mich durch die Stadt. Ich sah die Paulskirche, den Römer, das Museum Bethmann, das Städelsche Museum, worin die Gemälde von Lessing, sein Huß und Ezzelino, unter meiner Erwartung blieben. Sie sind von vollendeter Technik, aber nur geistreich, ohne Größe und Kraft. Huß sieht wie ein Sophist aus; er trägt einen sehr schönen Pelz.

Ich besuchte auch Dr. Böhmer, den Bibliothekar der Stadt, Verfasser der Regesten der Kaiserzeit und Sammler der ›Fontes‹, einen schon ältlichen, aber lebhaften Mann, der mir sehr wohl gefiel. Er tadelte Giesebrechts Geschichte der Kaiserzeit als weitschweifig, langweilig und von matter Begeisterung. Er stellte Raumers ›Hohenstaufen‹ höher.

Nachmittags nach Heidelberg. Das Wetter war trübe. Ich besuchte den Physiker Kirchhof, der sich als der grimmigste Verächter Italiens erwies. Der alte Schlosser ist unzugänglich; Gervinus wohnt jenseits des Neckar; Häusser war verreist.

Um 9 Uhr fuhr ich weiter nach Straßburg. Ich kam an Karlsruhe und der Festung Rastatt vorbei, wo man mir den Preußenstein von 1849 zeigte, und ganz schwermütig rollte ich über die Brücke von Kehl, über den alten deutschen Rhein, der mächtig gegen die entstehende Eisenbahnbrücke braust. Ich betrat Frankreich zum erstenmal am 4. Oktober.

Nur drei Stunden blieb ich in Straßburg, voll Schmerz, daß diese schöne deutsche Stadt nun für immer französisch bleiben muß. Das ganze Elsaß gleicht einem Garten. Über Schlettstadt und Colmar nach Mülhausen, wo ich das letzte Deutsch sprach. Dann weiter nach Belfort, durch herrliche Gegenden. Hier nächtigte ich.

Am 5. nach Lyon. Die schönsten Partien des Jura durchfahren, mit herrlichen Blicken auf den Fluß Doubs und seine Täler. Es war kalt, Reif und Eis auf den Wegen. Bei Besançon hörte der Jura auf. Die Stadt liegt schön unter der alten Zitadelle, und hier wird Land und Bauart südlicher. Bei Auxonne passierte ich die Saône, die ausgetreten war. In Dijon blieb ich zwei Stunden mittags und besah die alte Kathedrale. Weiter über Beaune und Chalons – großartige Blicke auf die Saône, deren Wasser sich über die Flächen ergoß – grandiose Flußlandschaften, lange Linien, unabsehbare Pappelreihen, herrliches Gebüsch, daraus Städte mit spitzen Türmen auftauchen, weit dahinter ein paar schneeweiße Alpenhäupter in fernster Ferne: Gegenden für Claude Lorrain. Ein Charakter von monotoner Großartigkeit, alles Länge und Weite, in Übergangsfarben zum Süden, bei klarster Luft. Abends fuhr ich in Lyon ein, dessen zahllose Lichter phantastisch über der Saône aufblitzten.

In Avignon war ich am 6. und 7., in Arles am 8. Oktober. Nichts zeichne ich hier auf. Meine Reise durch diese köstlichen Länder ist nur ein Schwalbenflug.

 

An Bord des »Hermus« auf der Höhe von Elba, 9. Oktober

Gestern habe ich das Museum in Arles besehen, das einige dort gefundene Altertümer, namentlich römische und christliche Sarkophage, besitzt. Um 8 Uhr nach Marseilles – die Luft voll Nebel. Marseilles ist ein Chaos; so viel Bewegung von Menschen mag man nur in Paris und London sehen. Ich wohnte im Hotel des Empereurs in der Hauptstraße. Ich ließ mich gegen Chateau d'If hinausrudern. Die Häfen sind großartig.

Der »Hermus« war reisefertig, dasselbe Schiff, auf dem ich den »Aventin« vor zwei Jahren in Grund gebohrt hatte; der Zufall wollte es sogar, daß ich dieselbe Kabine erhielt. Das Schiff ist voll von französischem Militär (selbst Pferde stehen auf Deck) für Civitavecchia. Außerdem befinden sich Zuaven darauf, Franzosen in der von Lamoricière erfundenen kleidsamen, halbtürkischen Tracht, von blaugrauem Tuch mit rotem Besatz. Sie sprechen nicht viel mit den anderen Franzosen und sehen finster und traurig aus. Auch Österreicher sind auf dem Schiff, welche, wie diese Zuaven, sich aus der Schlacht von Castelfidardo gerettet zu haben scheinen und nun auf Umwegen nach Rom zurückkehren; außerdem mehrere Schweizer, die sich für den Papst haben anwerben lassen. Eben erzählte ein Deutscher in Zivil, neben dem ich zufällig stand, daß er wöchentlich 80 Mann anwerbe. Diese Herren, Österreicher, nach ihrer Sprache zu urteilen, sehen vornehm aus. Sie speisten auch an der Table d'hôte im Hotel des Empereurs.

Die Nacht schlief ich gut. Den ganzen Tag ging das Meer hoch, besonders bei Korsika, dem wir so nahe vorbei kamen, daß ich die Orte darauf erkennen konnte. Wir fuhren bei starkem Wind um das Kap Corso.

Noch eine Nacht, und um den Morgen laufen wir in Civitavecchia ein. Der Ring meiner Reise schließt sich.

 

Rom, 16. Oktober

Der Seesturm zwang uns, vor dem Eingang in den Kanal von Piombino die Nacht liegen zu bleiben. Wir langten erst um 4 Uhr in Civitavecchia an, und ich mußte dort nächtigen. Am 11. Oktober morgens 10 Uhr war ich in Rom. Ich bezog sogleich die neue Wohnung, Via Gregoriana Nr. 13, beim Bildhauer Meier, drei kleine Zimmer mit entzückender Aussicht auf Rom zu meinen Füßen. Die Stadt wimmelt von französischem Militär; die Besatzung ist auf 10 000 Mann verstärkt. Am 12. besetzten die Franzosen Viterbo. Am 14. abends kam Lamoricière hier an, als Märtyrer von Castelfidardo.

 

Rom, 25. Oktober

Heute gehen Gerüchte um vom Falle Capuas, wo Garibaldi eingedrungen sein soll. In Folge der Zusammenkunft in Warschau hofft der Klerus auf eine nordische Koalition. Der russische Gesandte ist von Turin abberufen; Preußen hat eine Erklärung gegen das Memorandum Cavours gerichtet. Die Art, mit welcher Piemont sich des Kirchenstaates bemächtigte und in Neapel eindrang, versetzt allerdings in die Zeit Ludwigs XIV. zurück. Erst wenn die italienische Revolution ein großes nationales Resultat erlangt hat, wird man nicht mehr auf die dazu gebrauchten Mittel sehen.

Lamoricière arbeitet seinen Bericht über die Ereignisse bis zur Schlacht von Castelfidardo und dem Fall Anconas aus. Dann wird er Rom verlassen. Er ist auch von Frankreich arg getäuscht worden; denn eine Depesche Grammonts an den französischen Konsul in Ancona hatte noch vor dem 18. September erklärt, daß der Kaiser an Viktor Emanuel geschrieben habe, er werde sich jedem Einrücken in den Kirchenstaat mit Gewalt widersetzen.

Der niedere Klerus ist der nationalen Sache hold, selbst im Kirchenstaat.

Die Franzosen haben Viterbo, Montefiascone, Ronciglione, Sutri, Nepi, Narni besetzt, die Viterbesen wandern in Scharen aus, und in Orvieto sammelt man Unterschriften für eine Adresse an Napoleon.

Ich besuchte Perez; er gab mir die schreckliche Nachricht, daß sein Bruder mit der ganzen Familie Arvedi im Lago di Garda umgekommen sei, auf demselben Schiff, welches durch Zerspringen des Dampfkessels versank.

Ich habe meine Arbeiten noch nicht begonnen; ich schreibe an ›Ninfa‹ weiter und meinem Bericht über Avignon.

Reumont ist hier angekommen.

Zeichnung: Gregorovius

Ruinen in Ninfa, 1859

 

Rom, 27. Oktober.

Der Kirchenstaat umfaßte bisher diese zwei Divisionen:

1. Mediterraneo, mit 10 Provinzen und 1 187 484 Einwohnern. 2. Adriatico, mit 10 Provinzen und 1 937 184 Einwohnern. Er zählte demnach 3 124 668 Einwohner.

Davon sind dem Papst genommen alle 10 Provinzen des Adriatico und 5 des Mediterraneo. Man hat ihm gelassen: Rom und Comarca, Civitavecchia, Frosinone und Pontecorvo, Velletri und Viterbo, mit im Ganzen 684 791 Einwohnern.

 

Rom, 30. Oktober

Die Voten in Neapel sind fast einstimmig für die Annexion ausgefallen. Der König von Sardinien rückt langsam gegen Neapel zu. Aber Cialdini ist am 27. und 29. an der Brücke des Garigliano zurückgeschlagen. Franz II. hat aus Gaeta Proteste an die Höfe erlassen. In den Abruzzen royalistische Aufstände; ein Giacomo Giorgi führt Banden, welche in Avezzano die Liberalen überfallen haben. Lamoricière ist noch hier. Er hat seinen Bericht fertig, aber derselbe wird in Brüssel gedruckt. Man fürchtet sich vor ihm im Vatikan; er wird die heillosen Zustände der römischen Verwaltung aufdecken und Antonelli bloßstellen. Monsignor Berardi, verflochten in die staatsverräterische Affaire seines Bruders, Kreatur Antonellis, von ihm zum Unterstaatssekretär erhoben, hat dieser Tage seine Entlassung einreichen müssen. Mehr als ein skandalöser Prozeß würde hier an den Tag kommen, beleuchtete man die Fäulnis dieses Staats. Lamoricière hat den Herzog von Grammont wegen jener Depesche an den Konsul in Ancona als Lügner gebrandmarkt.

Die ersten vier Druckbogen meiner ›Siciliana‹ sind angekommen.

 

Rom, 7. November

Capua ist am 2. November gestürmt worden. Vorgestern kam Meldung: ein flüchtiges neapolitanisches Korps habe die Grenze bei Terracina überschritten und in den Sümpfen Posto gefaßt. Ein Bataillon Franzosen marschierte gestern dorthin ab. Die Katastrophe nähert sich Rom. Die Geschichte der päpstlichen Stadt ist an ihrem vorletzten Kapitel angelangt. Nach dem Fall Gaetas wird die römische Frage brennend werden. Es ist ein wunderbares Schauspiel, das neue Reich Italien wie durch Zauber entstehen zu sehen. Wenn die Zeit jene Vorgänge hinter den Kulissen wird verhüllt und alles, was daran abenteuerlich und perfide ist, verwischt haben, so werden Cavour, Viktor Emanuel und Garibaldi doch als Helden dieser Epoche hervorragen. Während ich die Kämpfe und Leiden Roms im Mittelalter schreibe, ist die Beobachtung der Gegenwart, welche ein Werk ausführt, woran die Jahrhunderte verzweifelt haben, etwas gar nicht genug zu Schätzendes für den Geschichtschreiber.

Die Finanzen Roms sind erschöpft; der Staat hat nur bis zu Neujahr Mittel. Der Peterspfennig brachte bis jetzt 1 600 000 Scudi ein, und der Lamoricièresche Sommernachtstraum kostete 12 Millionen. Noch immer kommen päpstliche Gefangene von Genua an; gestern trafen 30 Offiziere und 300 Gemeine ein. Die Jesuiten aus den Marken, aus beiden Sizilien, die Ordensbrüder und Beamten der verlorenen Provinzen – alles dies flüchtet sich nach Rom. Und was wird man mit den Scharen der Abbati, der Monsignori, der Palastoffizianten mit und ohne cappa und spada, und mit den Kreaturen der abgesetzten Kardinallegaten machen, die Brot und Beförderung wie bisher verlangen.

Pius IX. befindet sich in einem Labyrinth, dessen Ausgang er nicht sieht, nicht einmal zu suchen scheint. Seine Lage im verräterischen Schutze Frankreichs, welches ihn immer hinhält, immer täuscht, immer demütigt, ist Mitleid erregend. Aber dieser weichherzige Romantiker seufzt Gebete an die Madonna, und in seinen weibisch erschlafften Zügen prägt sich kein großes Gefühl, nur Ermüdung aus.

Trotz dieser Lage nimmt die ›Civiltà Cattolica‹ den Mund recht voll und stempelt jeden Unglücksschlag der Kirche zu einem Triumph. Sie rühmt die Großmut der ketzerischen Junker in Mecklenburg ( I nobili del Mecklenburgo), weil sie dem Papst eine Ergebenheitsadresse geschickt; sie rühmt die Beisteuern des Peterspfennigs der ganzen Welt; aber sie schmäht die Fürsten, welche bewaffnet dastehen, ohne dem bedrängten Stuhl Petri beizuspringen. Obgleich diese Leute es nicht wagen, das Dominium Temporale geradezu für einen kanonischen Glaubensartikel zu erklären, so sind sie doch nicht weit davon entfernt.

Im übrigen nimmt man wahr, daß der niedrige Klerus im Kirchenstaat der nationalen Sache freundlich ist. Das Institut der Bischöfe aber ist seit langem herabgekommen und ohne Bedeutung.

Ich habe auch die letzten Korrekturbogen vom Bande III erhalten, und so ist er in meinen Händen. Morgen werde ich die Ausarbeitung des Bandes IV beginnen.

 

Rom, 8. November

Am 6. reiste Lamoricière nach Frankreich ab. Abends vorher hatte ihn der Papst empfangen, der bereits seinen Bericht über die Epoche seines Kommandos in Händen hatte. Er sagte ihm: »General, Sie haben das mit einer angelischen Feder geschrieben« (l'avete scritto con una penna angelica). Nun bleibt Merode der Gegenpartei allein gegenüber. Heute erzählte mir Alertz, daß Merode ihm sagte, es würde alles besser gehen, wenn sechs Personen im Vatikan nicht wären. Er meinte Antonelli und dessen Kreaturen. Als Alertz bei dem kranken Merode war, wurde die Fahne des Marc Antonio Colonna gebracht, welche dieser berühmte General von Lepanto nach Loreto gestiftet hatte. Lamoricière hat sie von dort nach Rom schaffen lassen.

Die Königin von Spanien hat heute in goldenen Kutschen ihre Auffahrt nach dem Vatikan gehalten. Sie wohnt im Palast Albani, ihrem jetzigen Eigentum, einst Sitz der Muse Winckelmanns, nun einer abgelebten Hetäre.

Franz II. wird erwartet. Zwei seiner Adjutanten sind hier; sie haben in Augenschein genommen drei Paläste, den Quirinal, die Consulta und den Palast Farnese, welcher seit Jahren verwahrlost ist.

 

Rom, 11. November

Nach dem ›Giornale di Roma‹ sind gegen 30 000 neapolitanische Truppen übergetreten. Man hat sie in verschiedenen Orten verteilt, 2000 stehen in Frascati und dem Lateinergebirg; die Villa Conti ist von ihnen erfüllt; andere in Frosinone; bis Scrofano und Ronciglione hin andere. Darunter sind Galeerensklaven, ganze Familien von Royalisten, Freischaren, Fremdenbataillone. Ihr Unterhalt soll dem Papst täglich 6000 Scudi kosten. Die Truppen verkaufen Revolver zu 3 Paul, Pferde um ein paar Scudi. Es sind 5000 Mann Reiterei darunter und 63 Geschütze. Dies erinnert mich an die Zeit der polnischen Revolution, als die Korps von Romarino und Gielgud nach Preußen übertraten. Die päpstliche Regierung hat Waffen gekauft. Viele neapolitanische Offiziere sind in Zivil hier. Die Priester sind erbittert, daß 30 000 Mann, statt sich zu schlagen, als Heuschrecken über das päpstliche Land gefallen sind.

Man hat Kunde von den Abstimmungen in den Marken und in Umbrien, die am 4. November begonnen haben. Sie sind fast einstimmig, wie die in Neapel. Selbst in den noch römischen Gebieten stimmt man bei den Notaren, und die Bevölkerung der Sabina zieht nach Poggio Mirteto, um ihre Stimmen abzugeben; denn dort stehen noch Piemontesen. Priester führen die Züge mit Fahnen; alle Häuser sind mit den Bildnissen Viktor Emanuels und Garibaldis geschmückt. Selbst aus Viterbo sind die Bewohner zu den Voten gezogen. Seit Wochen gehen die Landleute mit einem Zettel auf dem Hut umher, worauf ein großes Si prangt.

Die Lage im Vatikan ist jetzt diese, daß Antonelli die gemäßigte Partei vertritt, während der Fanatiker Merode die Ultras führt. Die gemäßigten Kardinäle sind Amati, di Pietro, Andrea und Morichini, welchen letzteren Lamoricière ins Kollegium brachte, um Antonelli zu verdrängen. Merode drängt den Papst, Rom zu verlassen, und der schwache Mann ist ratlos. Alle Hoffnung auf Österreich ist geschwunden. Der Staat hier löst sich auf.

Am 25. Oktober ist durch ein Dekret des Prodiktators Pallavicini bestimmt worden, daß der alte Dukat Benevent dem Reich Italien wieder einverleibt sei.

Am 7. ist Viktor Emanuel in Neapel eingezogen. Man sagt, Garibaldi sei wieder nach der Insel Caprera gegangen.

Der Telegraph zwischen Gaeta und Rom arbeitet nicht mehr, da die Piemontesen in Fondi stehen; und überhaupt gehört ihnen jetzt die ganze Terra di Lavoro.

Am 8. November habe ich den vierten Band angefangen, am Fest der Quattro Coronati.

 

Rom, 22. November

Vorgestern kam die Königinwitwe von Neapel mit ihrer Familie von Gaeta hier an. Antonelli empfing sie an der Station und geleitete sie nach dem Quirinal, wo sie abgestiegen ist. Gestern machte ihr der Papst seinen Besuch. Die Szene soll ergreifend gewesen sein; die Königin und ihre Kinder warfen sich schluchzend zu den Füßen des Papsts, der laut weinte. Vor zwölf Jahren war er selbst ein schutzflehender Gast dieser Königin, nun nimmt er sie als Exilierte auf, selber im Begriff, ins Exil zu gehen. Rom beherbergt also zwei verwitwete und gestürzte Königinnen, Marie Christine und die von Neapel; aber die Beziehungen der Tochter des Erzherzogs Karl zu jener dürften nicht die freundlichsten sein. Die dritte Königin wird erwartet, die unglückliche bayerische Prinzessin, die in so zarter Jugend eine so verhängnisvolle Krone tragen sollte.

Heute kam das diplomatische Korps von Preußen, Österreich und Rußland aus Gaeta hier an. Der König Franz wird immer einsamer. Das Bombardement soll beginnen. Hier wurden in einem langen Zuge 32 Kanonen von Neapolitanern nach Castel San Angelo gebracht, wo die Waffen niedergelegt werden.

Nur zwei Kardinäle, di Pietro und Santucci, sollen noch für das Bleiben des Papsts sein.

Farini ist Stellvertreter Viktor Emanuels in Neapel, Montezemolo in Sizilien. Garibaldi ist am 7. November wirklich nach Caprera gegangen, aber er hat als General der Armee nur einen Urlaub von drei Monaten. Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan; seine Freischar wird aufgelöst.

Mein dritter Band ist am 16. November in der ›Augsburger Zeitung‹ angekündigt. Auch die ›Siciliana‹ sind bei Brockhaus erschienen.

 

Rom, 29. November

Hier heißt es immer: Laissez faire et passer. Die Mehrzahl der Kardinäle, animam, non facultates ponere parati, ist wieder für das Ausharren des Papsts. Gaeta ist ein großes Hindernis für die Pläne Piemonts; außerdem mehren sich die royalistischen Aufstände in den Abruzzen. Bereits fallen Greuel vor wie in der Epoche des Kardinals Ruffo. Auch die Auflösung der Garibaldischen Freischaren, die man nach Hause geschickt hat, macht böses Blut und verstärkt die Partei Mazzinis. Überdies ist die Verschleuderung des Staatsvermögens und die Demoralisation aller öffentlichen Zustände grenzenlos.

Der Jesuitengeneral Beckx hat am 24. Oktober einen Protest an Viktor Emanuel erlassen, wegen der Auflösung und Beraubung des Ordens Jesu. Dieser hat verloren: drei Häuser in der Lombardei, sechs in Modena, elf im Kirchenstaat, fünfzehn in Sizilien, neunzehn in Neapel. Im ganzen zählt der Orden Jesu gegenwärtig 7144 Mitglieder.

Der Peterspfennig hat in Rom in drei Monaten eingebracht 11500 Scudi. Der Papst hat den Brüdern und Schwestern der Arci-Konfraternität, die ihn einsammelt, Indulgenzen in Hülle und Fülle zugesagt. Prinz Chigi-Albani ist Vizepräsident, Schatzmeister der Marchese Patrizi Montoro. Die französische Regierung hat indeß die Bildung von Kommissionen zu solchem Zwecke in ihrem Land verboten; außerdem alle Akte der Bischöfe als stempelpflichtig erklärt.

Der Peterspfennig hat bisher eingebracht 2 Millionen Scudi; davon kommen auf das verhungerte Irland allein 2 Millionen Franken (die einzige Diözese Dublin steuerte 400 000 Franken bei); aus New York liefen ein 200 000 Franken.

Alle Pfarreien Roms (ihrer sind 44) haben Totenmessen für die bei Castelfidardo und Ancona gefallenen »Märtyrer« gehalten.

Am 23. November besetzten die Franzosen Terracina. Sie decken also die ganze Südgrenze; sie stehen zahlreich in Palestrina, Frosinone und Velletri.

Am 26. sind die Freischaren Montanaris, ehemaligen Postmeisters in Montefiascone, in Bagnoregio und Aquapendente eingefallen. Dies erzählte heute Merode an Alertz, der es mir zu wissen gab.

Es ist eine Pause der Ermüdung eingetreten. Der Protest Antonellis vom 4. November wegen der Voten Umbriens und der Marken trägt die Spuren derselben an sich.

 

Rom, 2. Dezember

Am 24. November hat Napoleon die Gesetze dekretiert, welche die Befugnisse des Senats und der Legislative erweitern, und namentlich die Diskussion zugelassen. Der Stern des falschen Smerdes beginnt zu sinken. Die Papisten legen diese Zugeständnisse zu ihren Gunsten aus; sie sehen darin ein Gefühl der Unsicherheit, eine Schwächung der Autokratie. Gerüchte von Tumulten in Paris gehen hier um, und die Reise oder das Exil der Kaiserin Eugenie wird mit Machinationen zu Gunsten Roms, an deren Spitze sie stehen soll, in Zusammenhang gebracht. Nach einer anderen Version soll sich offenbart haben, daß der kaiserliche Prinz untergeschoben sei, weshalb Eugenie die Crinoline erfand.

Es gibt hier ein geheimes National-Comité. Dasselbe hat auch hier Voten sammeln wollen, wie in Viterbo, indeß diese sind nicht zu Stande gekommen. Die heutigen Römer verbrennen sich nicht gern die Finger, geschweige denn den Arm wie Scaevola.

Es ist Tatsache, daß man im Vatikan voll Hoffnung ist. Vom Exil wird nicht mehr gesprochen. Man stellt wieder ein Regiment Carabinieri auf. Zuaven laufen in den Straßen umher und mit ihnen Irländer, ihnen ähnlich und ganz komödiantenhaft gekleidet, in grünen Jacken und Pluderhosen, mit gelben Aufschlägen und Achselbändern, wie Eiersalat anzusehen.

Rom ist öde. Fremde sind nicht hier, außer Russen und Neapolitanern. Armut und Bettelei nehmen auf schreckenerregende Weise überhand.

Gestern war ich bei einer intimen Freundin Garibaldis, der Frau Schwartz, welche jetzt sein Leben bei Campe in Hamburg herausgibt. Sie will von ihm selbst Dokumente erhalten haben und schilderte interessant ihren Besuch bei ihm auf Caprera, wie auch ihre Abenteuer als Agentin in Sizilien.

 

Rom, 18. Dezember

Die Pläne Napoleons bleiben verhüllt. Nicht Tiberius hat so die Kunst verstanden, doppelt zu sein. Er spielt mit beiden Parteien. Er hat die Marken und Umbrien an Viktor Emanuel preisgeben, die päpstliche Armee bei Castelfidardo vernichten lassen, und zwingt zugleich den Papst zu bekennen, daß er sein einziger Beschützer sei; denn Goyon hat die Piemontesen von der Südmark fortgedrängt und Terracina besetzt, wie er Viterbo besetzt hat. Napoleon fördert die italienische Revolution und hindert sie zugleich. Sein Admiral Barbier de Tinan schützt Gaeta von der Seeseite und zwingt die Piemontesen von der Landseite zu einer Sisyphusarbeit in strömendem Regen. Mit seiner Erlaubnis wird Neapel annektiert, und Franz II. ruft aus, daß, nachdem die Welt ihn verlassen habe, Napoleon sein einziger Beschützer sei. Die Mächte machen Miene zu einer Koalition, und die Piemontesen rufen aus, daß Napoleon ihr einziger Beschützer sei.

Ist Gaeta gefallen, dann wird die römische Krisis entschieden werden. Nach dem exzentrischen Plane des Advokaten Gennarelli soll Rom zwischen dem König von Italien und dem Papst geteilt werden. Jener wohnt im Quirinal und die Stadt ist sein; dieser wird in der Leonina wie in einem Ghetto eingemauert oder darin wie ein großer Abt in einer Klosterfreiheit wohnen, umgeben von reich dotierten Kardinälen, selber mit einer glänzenden Zivilliste beschenkt, beschützt von Ehrenwachen aller katholischen Mächte, 300 Garden befehlend; und er wird dann und wann das Pförtchen an der Engelsbrücke öffnen, um den König oder Kaiser als Gast zu empfangen und ihm ohne Eifersucht die Benediktion zu geben.

Alle Vergleichsvorschläge Cavours sind hier abgelehnt. Der Papst bleibt in Rom; kein Plan ist gefaßt; der Fall Gaetas wird entscheiden. Wenn die Franzosen, wie die Römer hoffen, ihre Truppen zurückziehen, so werden die Piemontesen einziehen, und der Papst wird dann die Stadt verlassen.

Die Furcht vor dem Schisma oder vor protestantischen Ketzereien ist groß. Die Bischöfe Umbriens und der Marken haben Hirtenbriefe erlassen, in denen sie das Lesen der Bibeln Diodatis und der zur Häresie führenden Schriften als peccatum mortale verbieten. Mit diesen Bibeln und Schriften wird jetzt Italien überschwemmt. Aber es erhebt sich kein reformatorischer Geist, kein Diodati, Ochino, Aonio Palencio, sondern nur Karikaturen der Reformation, wie ein Padre Gavazzi und Pantaleone.

Vor einigen Tagen wurde ein Russe, der im Café Greco das Porträt Napoleons aus einer illustrierten Zeitschrift riß, von dem französischen Generalkommando ohne weiteres in die Engelsburg abgeführt, wo er noch festsitzt. Der russische Gesandte wagte nicht, den Einfältigen zu schützen.

Vorgestern schloß die Polizei das Café Nuovo, weil eine Tricolore darin gefunden wurde, und heute waren die Straßenecken mit den Wappen Savoyens beklebt, welche das unterirdische National-Comité über Nacht angeheftet hatte. Die Polizei riß sie ab.

Ich habe die vier ersten Kapitel des vierten Bandes geschrieben und will rüstig arbeiten, ehe die Piemontesen mich zu sehr aufregen.

 

Rom, 26. Dezember

Am 17. hat der Papst eine Allokution gehalten. Er beklagt die Annullierung des Badener Konkordats; er seufzt über die Gewaltakte Pepolis und Valerios in den Marken und Umbrien; er vergißt sich sogar so weit, die Broschüre Coylas ›Pape et Empereur‹ einer Widerlegung zu würdigen, ohne sie freilich mit Namen zu bezeichnen. Hoffnungslosigkeit spricht aus dieser Allokution, sowie aus den Protesten der Bischöfe gegen die Aufhebung der Inquisition, des geistlichen Forums, der Klöster (nach dem Gesetz Siccardi), gegen die Einziehung der Kirchengüter und die Zivilehe.

Gaeta hält sich. Franz II. hat eine Proklamation an seine Völker gerichtet; sie ist gut geschrieben.

Heute wurden drei päpstliche Zuavenoffiziere durch die Polizei aus dem Hotel Serny abgeholt, weil sie im Verdachte standen, Diebe zu sein.

Das Weihnachtsfest ist still dahingegangen. Am 23. war Rom den ganzen Tag mit Schnee bedeckt und bot einen prächtigen Anblick dar.

Der Papst hat in der Scala santa eine eigene Kapellanei gestiftet, unter dem Titel Castelfidardo und befohlen, jährlich 100 Seelenmessen für die Gefallenen zu lesen. Alle päpstlichen Soldaten, die an der Kampagne teilgenommen, sind mit einer Medaille dekoriert: ein Ring von Silber, darin das umgekehrte Kreuz Petri. Man stellt das irische Regiment St. Patrick wieder auf; die Uniform ist jener der Zuaven ähnlich.

Ich finde, daß in der Geschichte Italiens drei Typen beständig wiederkehren: Machiavelli, Cäsar Borgia und der Condottiere.

 

Rom, Silvesternacht 1860 auf 1861

Eine Demonstration zu Gunsten des Papstes sollte heute bei der Silvesterfeier vor sich gehen. Das römische National-Comité richtete deshalb einen Brief an den General Goyon, worin es ihm sagte, wenn er diese Kundgebung nicht unterdrücke, werde er entstehende Exzesse zu verantworten haben. Zugleich forderte es die Römer auf, jeden Zusammenstoß mit den Franzosen zu vermeiden, wozu die Sanfedisten sie drängen wollen. Die Zeit der Befreiung sei nahe. Wenn erst das Banner Savoyens über Gaeta flattere, so werde Italien Rom aufrufen, die Hauptstadt des Reichs zu sein.

Niemand kennt die Häupter dieses National-Comités, noch den Ort seiner Versammlungen.

Die Demonstration beschränkte sich auf Hochrufen und Tücherschwenken, als der Papst auf- und abfuhr. Die Feier in der Kirche Gesù war kurz. Die versammelte Volksmenge in diesem bunten Gemisch von Guelfen und Ghibellinen, die doch ihrem Haß nicht freien Ausdruck geben dürfen, bot einen sonderbaren Anblick dar: französische Soldaten von Magenta und Sebastopol mit ihren Medaillen; »Märtyrer« von Castelfidardo mit ihren Peterskreuzen; Zuaven von St. Patrick grün kostümiert wie Erin; verzückte Frauen mit weißen Tüchern; Priester, Mönche, Armenier, Mulatten und Mohren, auch im Zuavenkostüm, neugierige Sekretäre aller Gesandtschaften; Sanfedisten, Mazzinisten, Demokraten; römische Sbirren, das lange Dolchmesser unter dem Mantel, ein Gegenstand für Salvator Rosa; verwundete neapolitanische Offiziere von Cajazzo und Capua, in Zivil, elend und jammervoll; die Garde der lateranischen Pfalz; mittelalterliche Schweizer – all dies ein bunter Knäuel, des Papstes harrend, – dann frenetischer Ausbruch der Sanfedisten mit Tücherschwenken und »Evviva Pio Nono!«

Das Jahr 1860 schließt etwas dunkel für Italien. Die Dinge in Neapel sind heillos; Farini geht im Chaos unter, und das Volk verlangt zu seinem Stellvertreter Liborio Romano. Viktor Emanuel ist plötzlich am 27. über Ancona abgereist nach Turin. Gaeta hält sich; die Franzosen bleiben im Hafen, denn Rußland und Spanien drohen, ihre Flotten aufzustellen, wenn jene abfahren sollten. Franz II. wird von Österreich, Preußen und Rußland ermutigt, und diese Mächte dringen in den Papst, auf alle Fälle in Rom auszudauern. Antonelli steht wieder fest, und Merode wird weichen; Grammont wird seinen Posten verlassen, aber Bach wird bleiben.

Es scheint, daß Capua der Höhepunkt der italienischen Nationalbewegung war; sie stockt in Neapel und Gaeta. Man bezeichnet bereits den Tag, an welchem Franz II. in seine Hauptstadt wieder einziehen soll, und eine Erhebung Kalabriens scheint organisiert.

Ich nehme Abschied von dem guten Jahr 1860. Es war reich an Glück für mich. Ich habe das Vaterland und die Meinen wiedergesehen nach achtjähriger Trennung; ich habe einen schönen Teil Deutschlands und Frankreichs kennengelernt. Die Regierung hat mir für einige Zeit Hilfsmittel zugesichert. Der dritte Band der ›Geschichte Roms‹ ist erschienen, der vierte begonnen; auch die ›Siciliana‹ sind in Druck gekommen. Das neue Jahr sei mir freundlich! Es gebe meiner Arbeit Gedeihen, meinem Leben Frieden, – es gebe Italien die Freiheit und meinem Vaterlande die einige Kraft!


 << zurück weiter >>