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17. Meuterei

Kaum war der erste Offizier aus der Kajüte gegangen, als Normann sich daran machte, Mittel und Wege zur Flucht zu suchen.

Zuerst versuchte er es mit der Tür. Sie war fest und sicher von außen verschlossen. Er hatte keinen zweiten Schlüssel. Die Pfortluke war viel zu klein, als daß er hätte hoffen können, durch sie zu entkommen. Werkzeuge, mit denen er sich eventuell einen Weg durch die Bordwand hätte brechen können, besaß er nicht.

Mit einem Male fiel ihm ein, daß er in den heißen Junitagen, als der ›Erik‹ am East-River-Damm lag, ein Brett von der Vorderwand herausgenommen hatte, um seinem Raum etwas Ventilation zu verschaffen. Diese Wand grenzte nicht an die nächste Kajüte, sondern gehörte zu einem Ventilationsschacht, der vom Achterraum herkam. Da durch das Entfernen dieses Bretts ein guter Luftzug entstanden war, hatte er sich nie die Mühe genommen, weitere Untersuchungen anzustellen.

Jetzt holte er einen Schraubenzieher aus seinem Spind und nahm das Brett wieder heraus. Den Arm durch die Öffnung steckend, konstatierte er, daß der röhrenförmige Kanal dahinter mindestens einen Meter weit war. Beim Licht eines Streichholzes sah er, daß der obere Teil des Ventilators im Deck mit einem kleinen Metallverschluß endete, der herausgeschraubt werden konnte, wenn man den Schiffsraum lüften wollte. Flucht auf diesem Wege kam also nicht in Frage. Die einzige Möglichkeit wies nach unten.

Ein Stück Leine mußte ihm eine Leiter ersetzen. Er befestigte sie an einem Ringbolzen über dem Kopfende seiner Koje und ließ sich in das muffige Schweigen des Rumpfes hinunter. Erstickte Geräusche klangen vom Deck herab. Durch das Vorderschott, an dem eine der Speisepumpen angebracht war, kam ein Schlürfen.

»Da werde ich nicht weit kommen,« murmelte Normann und wollte schon umkehren, als er sich erinnerte, einmal ein Schiff gesehen zu haben, das fast genau so wie der ›Erik‹ gebaut war. Das hatte eine Art doppelten Boden im Hull gehabt, zum Schutz gegen Nässe sowohl wie gegen den Eisdruck von außen. »Ob hier nicht auch so einer ist?«

Zu seiner Befriedigung entdeckte er, daß man beim ›Erik‹ dieselbe Methode angewendet hatte. Indem er sich durch den engen Zwischenraum zwängte, konnte er nicht nur an der Maschine und den Heizkammern vorbei, sondern auch bis zur Mannschaftsback unter dem Vorderdeck durchkommen. Hier trennte ihn nur ein dünnes Schott von der kleinen Kambüse, in der das Essen für die Leute gekocht wurde. Durch eine Spalte konnte er das Essen auf dem kleinen Hängetisch sehen. Der Koch schien sich gerade die Hand verbrannt zu haben, denn er fluchte mörderlich und verband sich die Hand mit einem in Öl getauchten Lappen.

In diesem Augenblick hörte die Ankermaschine zu arbeiten auf. Aus der Zeit, die sie in Gang gewesen war, entnahm Normann, daß das Ankerhieven noch nicht ganz beendet war, und daß es noch einige Minuten dauern würde, bis das Schiff in Fahrt käme. Er hörte Schritte von der Leiter, die Leute kamen zum Essen herunter. Zu seiner Überraschung setzten sie sich nicht gleich an den Tisch, sondern blieben stehen und bildeten eine Art Auditorium im vorderen Teil des Raumes.

»Alle Mann da?« fragte die Stimme des ersten Offiziers von der Luke.

Olsen und der Steuermann, die zuletzt heruntergekommen waren, zählten ab und meldeten zurück, daß alle Mann anwesend wären. Im nächsten Augenblick wurde Menon selbst sichtbar.

»Leute,« fing er an, »ich möchte euch ein paar Worte über unsere Zukunft sagen.« Er blickte scharf auf die Mannschaft, weil einer den Fuß vorschob.

»Abgepfiffen!« brummte Olsen.

»Da Mr. Normann krank in seiner Koje ist,« – Normann konnte ein Grinsen nicht unterdrücken – »habe ich das Kommando übernommen. Von dem Hügel, auf dem wir waren, haben wir gefährliche Eisfelder von Norden herunterkommen sehen.« Normann mußte wieder lächeln. Soviel er sich erinnerte, war kaum eine kleine Scholle in Sicht gewesen. »Der Wind frischt auf. Wenn wir einen Sturm bekommen und in diesem Loch gefangen werden, ist das Schiff verloren. Aus diesem Grunde haben wir Vorräte ausgeschifft, mit denen der ›Polarstern‹ auskommen kann, falls wir Schwierigkeiten haben sollten, uns zurückzuarbeiten.«

Nicht ein Mann rührte sich. Eine Spannung lag in der Luft, viel zu groß, als daß sie lediglich auf die einfache Auseinandersetzung des ersten Offiziers zurückzuführen gewesen wäre. Normann wunderte sich, als er einige Matrosen heimlich sich befriedigte Blicke zuwerfen sah. Dann wurde ihm klar, daß es die Leute sein mußten, die schon für die Meuterei gewonnen waren.

»Dann noch etwas, Leute.« Menon sprach jetzt absichtlich sehr langsam, so als wollte er, daß die Worte sich seinen Zuhörern recht gut einprägten. »Es ist durchaus möglich, daß Kapitän Pike und die Mitglieder der wissenschaftlichen Expedition sich entschließen, den Weg durch die Nordwestpassage zu Schlitten fortzusetzen. Eskimos leben da in der Nähe und arbeiten für so wenig, daß es eigentlich schon gar nichts ist. Leute, wollt ihr da mitmachen und verhungern und umkommen, ja?«

Ein halbes Dutzend der Leute riefen rauh: »Nein!«

»Um nun sicher zu sein, daß wir alle eines Sinnes sind,« fuhr der erste Offizier fort, »werde ich eine Abstimmung vornehmen. Alle, die das Schiff vertrauensvoll meiner Führung übergeben wollen – vorausgesetzt natürlich, Kapitän Pike benachrichtigt uns, daß er weiter nach dem Westen vordringen will –, sollen die rechte Hand erheben.«

Ein leises Rascheln war zu hören, als die Hände in die Höhe gehoben wurden. Normann zählte sie durch die Ritze. Er sah, daß einige Mann zögerten. Dann sprang ganz unerwartet einer vor und erhob Protest; es war ein langer, hagerer Yankee, den er noch nie beachtet hatte, er wußte nur, daß der Mann zur Maschine gehörte.

»Das klingt mir nicht ganz in Ordnung, Sir.«

»Was ist nicht in Ordnung?« schnauzte Menon.

»Sich hier davonzumachen und Kapitän Pike und die anderen im Stich zu lassen. Übrigens, zufällig war ich auch auf dem Hügel, kurz vor Ihnen, und ich habe kein Eis gesehen.«

Eine Weile starrte Menon den Mann an. Normann dachte schon, er wolle sich auf ihn stürzen. Aber er knurrte nur: »Ho – ich hab' ja immer gewußt, daß Ihr Hunde von der schwarzen Rotte ein feiges Gesindel seid.«

Der Mann sprang auf den Offizier los. Aber schon hatte Menon sich auf die unterste Sprosse der Leiter geschwungen und rief: »Los, Jungens!«

Olsen und Steuermannsmaat gingen auf den Yankee los, und als sie ihn gefaßt hatten, brach wie auf ein Signal ein Höllenlärm los. Hiebe wurden ausgeteilt. Ein Mann rollte schwer unter die Backbordkojenreihe. Der Tisch mit dem schweren Steingutgeschirr und der Fleischplatte drauf wurde umgestoßen. Krachen und Splittern verriet, daß das Gestell vorn unter dem Anprall der kämpfenden Leute zusammenbrach. Seltsamerweise wurde nicht ein Wort gesprochen. Der Kampf spielte sich ab, als wäre er vorbereitet, jeder Mann hatte seinen bestimmten Gegner.

»Faßt sie, Jungens!« schrie Olsen und sprang zurück, nachdem er seinen Mann so wuchtig zu Boden geworfen hatte, daß der arme Teufel ganz dumm sitzen blieb, bis ein anderes Paar über ihn hinwegtrampelte.

Dann war der Lärm ebenso plötzlich zu Ende, wie er angefangen hatte. Sechzehn Meuterer hielten keuchend sechs gewissenhafte Widerspenstige fest, darunter den Yankee, der sich gegen die Verräterei zuerst zur Wehr gesetzt hatte.

.

»Bringt sie an Deck!« befahl der erste Offizier. »Dort werden wir mit ihnen abrechnen.« Normann sah ihn durch die Luke verschwinden, hinter ihm wurden die Gefangenen, jeder von zwei Mann eskortiert, hinaufgeschafft.

»Ich geh' wohl besser zurück,« murmelte Normann. »Jetzt weiß ich ja genau, wie ich dran bin. Es wird nicht lange dauern bis sie losfahren.«

Er hatte recht. Kaum war er wieder in seiner Kajüte und hatte die Bretter wieder vor seine Tunnelöffnung gebracht, da drehte sich schon der Schlüssel im Schloß. Menon kam herein und machte die Tür hinter sich zu.

»Also, Normann,« sagte er freundlich, »die Mannschaft hat sich zusammengetan und für meinen Plan gestimmt. Fast einstimmig haben sie ihn akzeptiert. Ich kann Ihnen ja ruhig sagen, daß ein oder zwei da waren, die dummerweise ebenso wie Sie Radau gemacht und sich geweigert haben. Aber ich glaube nicht, daß es mir Schwierigkeiten machen wird, sie zu meinen Anschauungen zu bekehren.«

»Na, Menon?« rief es durch die Luke herunter.

»Nur eine Minute noch, Chef; ich erkundige mich gerade, ob unser lieber Kamerad Normann sich schon wohl genug fühlt, um Deckdienst machen zu können. Also, wie ist's damit, Normann?«

»Natürlich komme ich,« erwiderte Normann sofort entschlossen.

Nur so konnte er im Notfall aktiv eingreifen.

Als der Anker gekattet und gefischt war, ließ man ihn die Brücke nehmen. Zweimal erinnerte Menon ihn an sein Versprechen, in keiner Weise über die Vorgänge zu sprechen, und drohte ihm mit sofortiger Strafe für den Fall des Ungehorsams.

Vom Hafen nahm der ›Erik‹ Kurs direkt auf Baffin-Land.

»Hoffentlich ist der ›Polarstern‹ schon aus dem Eis,« dachte Normann, als er sah, wie die Schollen wirbelnd aus den seichten Durchfahrten nahe der Küste kamen. »In dem Wind könnte er's nicht lange aushalten.«

Menon war die längste Zeit in dem Faß am Fockmast. Er schien sich weniger um das Eis zu kümmern als darum, wie mit dem Schiff manöveriert werden mußte, damit es nicht zu leicht vom Land aus gesichtet werden könnte. Obwohl er auch, soviel Normann wußte, erwartete, daß der ›Polarstern‹ von Caverly zurückgebracht würde, legte er es anscheinend doch darauf an, die Barkasse zu sichten, bevor der ›Erik‹ von ihr aus gesehen werden konnte.

»Vor sechs Stunden war ich Skipper,« dachte Normann traurig, als Menon ihn nach dem Essen wieder einsperrte. Er biß die Zähne zusammen. »Und ich werde doch noch Skipper,« sagte er sich.»Vor sechs Stunden war ich Skipper,« dachte Normann traurig, als Menon ihn nach dem Essen wieder einsperrte. Er biß die Zähne zusammen. »Und ich werde doch noch Skipper,« sagte er sich.


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