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13. Keine Hoffnung

Der Doktor sah unwirsch aus. »Was für einen Grund hatten Sie anzunehmen, daß er nicht lediglich die Maschine ausprobieren wollte? Er hat die ganze Zeit an ihr gearbeitet, während Sie mit Boggs weg waren.«

Rudd schwieg. Nur die Ereignisse konnten aufklären, ob es ein schrecklicher Mißgriff gewesen war, auf den eigenen Schiffskameraden zu schießen, oder nicht.

Endlich waren sie auf der Höhe.

Ein rascher Rundblick: die Wasserfläche war leer. Rudd strahlte.

»Ich hab's Ihnen gesagt!« rief er.

Dr. Barlow kam ihm nach. Der ›Polarstern‹ war nirgends zu sehen.

»Sie haben mir's gesagt,« brummte der Doktor, sich selbst anklagend. »Aber deshalb brauchen Sie noch nicht so zu triumphieren. Wahrscheinlich haben Sie den Jungen verwundet, und unser Boot treibt jetzt mit ihm aufs Meer hinaus.«

»Aber so schauen Sie doch! Wir können die ganze Küste nach oben und nach unten übersehen.«

»Nein, das können wir nicht. Wenn es zum Strand zu getrieben worden ist, können wir's irgendwo zwischen den auf Grund gelaufenen Eisfeldern, küstenaufwärts oder -abwärts finden. Wir müssen alles absuchen, und zwar schleunigst.«

Aber es führte zu keinem Erfolg. Eine sorgfältige Untersuchung der Küste nach beiden Richtungen brachte nicht die geringste Spur des ›Polarstern‹.

»Sie haben wohl doch recht gehabt,« gab der Doktor schließlich zu. »Er wird von Ihrer Kugel nur gestreift worden sein und sich mit dem Boot davongemacht haben. Und das bedeutet auch, daß Sie mit Ihrer Vermutung betreffs des gestohlenen Schwimmers recht gehabt haben. Der Schuft ist mit dem Boot längs der Küste hinauf oder hinunter gefahren und jetzt schon außer Sicht gekommen.«

»Können wir etwas tun, um ihn einzufangen?« fragte Rudd.

»Gar nichts. Er hat Stoff genug, um ein hübsches Stück Weges hinter sich zu bringen. Und wenn er nicht irgendein Malheur mit dem Motor hat, kann er schon in schönster Fahrt zum ›Erik‹ sein, bevor wir überhaupt etwas zu unternehmen imstande sind.«

»Aber, wo glauben Sie denn, daß er ist?«

»Keine Ahnung, obwohl Menon ohne Zweifel irgendeinen Treffpunkt mit ihm ausgemacht hat, schon bevor wir vom ›Erik‹ aufgebrochen sind.«

Rudd beugte sich plötzlich vor und packte den Doktor am Handgelenk. »Ich hab's!«

»Was haben Sie?« Barlow begann an Rudds Verstand zu zweifeln.

»Den Treffpunkt! Erinnern Sie sich nicht an den Brief für Reggie, den wir bei den Vorräten gefunden haben? War da nicht das Wort ›Furien‹ mit großen Buchstaben geschrieben?«

»Ja,« sagte der Doktor interessiert. »Aber ich habe nicht den Detektivkopf, über den Sie zu verfügen scheinen. Was schließen Sie daraus?«

»Aber damit muß er doch bestimmt die Fury- und Hekla-Engen gemeint haben. Das ist der kürzeste Weg hier heraus. Er wollte wahrscheinlich die Eisverhältnisse dort untersuchen, und wenn die Durchfahrt günstig ist, diese Route nehmen. Reggie sollte verständigt werden, wie's ja auch geschehen ist, und den ›Erik‹ entweder im Lancaster-Sund, durch den wir heraufgekommen sind, oder dort treffen.«

Diese Erklärung leuchtete Dr. Barlow durchaus ein, er machte sie auch später dem Skipper plausibel. Dieser kam einige Stunden später mit Boggs zurück, mit zwei großen Schneehühnern und vier Polarhasen.

Die Nachricht vom Verlust des ›Erik‹ brachte ihn übrigens keineswegs aus der Fassung.

»Sieh mal an!« sagte er nur.

»Mann Gottes,« eiferte der Doktor, »begreifen Sie denn nicht, daß wir vollkommen von allem abgeschnitten sind?«

»Ja,« gab der Kapitän ganz behaglich zur Antwort. »Ziemlich übel, wenn man sich's überlegt. Ich weiß nämlich wirklich nicht, ob ich mit meinem Tabak den ganzen Winter auskommen werde. Ich bin nur froh, daß ich noch das Pfund extra mit an Land genommen habe. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste! Von seinem wichtigsten Gepäck soll man sich nie trennen.«

Ob er wollte oder nicht, Dr. Barlow mußte lachen. »Sie sind doch wirklich ein toller Bursche, Pike. Soviel ich weiß, müssen wir mit mehr oder weniger Gewißheit damit rechnen, vor Hunger oder Kälte oder an Skorbut zugrunde zu gehen, oder an allen dreien zusammen. Und da kommen Sie und stellen sich her, wie ein großer dicker Nikolo und halten mir einen Vortrag darüber, daß ich mich nie von meinem Tabak trennen soll.«

»Na ja, Barlow,« gab der Alte zurück, mit einer merkwürdig zuckenden Bewegung der Bartstückchen, die in der Nähe der Mundwinkel wuchsen, »sehen Sie, das ist so ungefähr das fünfzehntemal in meinem Leben, daß ich ans Ende meines Taues komme. Und doch weiß ich ganz genau, daß ich zu Hause in meinem Bett sterben werde, an einer zu großen Dosis von dem Abführmittel, das mir meine Alte immer gibt, wenn ich niese.«

Unter der Führung des erfinderischen und nicht unterzukriegenden Doktors gingen sie nun daran, sich für die dunklen Monate, die ihnen bevorstanden, Sicherheit und Bequemlichkeit zu schaffen. Man blieb bei der ursprünglichen Ansicht, daß es am besten sei, zum Überwintern an diesem Punkt zu bleiben. Zum Frühling konnte man sich dann auf den Weg nach dem Süden machen, mit einer Ausrüstung, wie sie eben die Natur hier liefern konnte. Tiere mußten Nahrung und Kleidung liefern. Ihre Sehnen konnten zu Garn verarbeitet werden. Knochen und Treibholz mußten als Material für den Bau von Schlitten gesammelt werden.

Nach vier Tagen harter Arbeit war das Haus fertig. Die Mauern waren aus Sandsteinplatten gebaut. Das Dach bestand aus drei gefrorenen Bisamochsenhäuten. Schlamm und Moos lieferten einen ausgezeichneten Mörtel zum Verschmieren der Löcher zwischen den Steinen. Aus Segeltuch wurde eine Art Tür gemacht. Die Schlafsäcke hatte natürlich der ›Polarstern‹ mitgenommen, aber glücklicherweise waren die Decken zum Trocknen an die Küste gebracht worden. Sie wurden auf Ochsen- und Bärenfelle gebreitet, und so hatte man geradezu luxuriöse Betten.

Kapitän Pike bewährte sich als Spezialist in der Häutepräparierung. Er ließ alle Fett- und Fleischreste sorgfältig von der Innenseite der Häute abkratzen und sie dann zum Trocknen aufpflöcken. Ein paar Tage Sonnenschein genügten zur Konservierung. Mit Sehnen vom Rücken der Tiere wurde das dicke Material dann zusammengenäht.

»Wir werden Brennstoff holen müssen,« sagte Rudd, als er am zweiten Morgen Tee machte. Er versah abwechselnd mit Boggs den Küchendienst. »Die Gallone Petroleum ist bald zu Ende.«

Der Doktor nahm lächelnd eine Axt und ging zu einem kleinen sumpfigen Fleck am Rand des Tümpels, der sie mit Süßwasser versorgte. Geschickt stach er einen ziegelgroßen Klumpen aus und zeigte ihn dem erstaunten Boggs. »Das ist Gold!« sagte er.

»Der Dreck?«

»Ja, mein Lieber, ›der Dreck‹. Jedes Jahr verwest hier eine kleine Menge Gras und Kraut. Im Verlauf der Zeit setzen sich Schichten dieser Pflanzenreste ab und werden zu kohlenstoffhaltigem Mutterboden.«

»Kohlenhaltigem Mutterboden?« echote Boggs.

»Eine Masse, die fast ausschließlich aus Kohlenstoff besteht,« erklärte der Doktor. »Gelegentlich wird Sand und Schlamm darauf abgelagert. Der Druck wächst mit der Zeit, bis nach Jahrhunderten Kohle entsteht. Unsere Kohlengruben waren alle einmal Torfmoore. Vielfach, wie zum Beispiel in Irland und Dänemark, wird fast ausschließlich Torf als Brennstoff verwendet. Ich kann den Ziegel da, den ich ausgestochen habe, trocknen und dann wie Kohle verbrennen.«

So hatte der Doktor einen unbegrenzten Brennstoffvorrat aufgezeigt. Später wurde ein zweites, größeres Torflager an der anderen Seite des Hafens entdeckt. Und jeder kam an die Reihe, Torfziegel zu stechen und auf die Felsen zum Trocknen auszulegen. Ein kleiner Ofen wurde aus flachen Steinen gebaut. Man begann im Freien zu kochen und so mit dem kostbaren Petroleum hauszuhalten.

Ein zweites Problem war die Beleuchtung in dem Steinhaus. Kerzen gab es nicht, und Öl durfte für diesen Luxus nicht vergeudet werden. Niemand litt darunter, bis eines Tages Boggs auf die Idee kam, Talg vom Bisamochsenfleisch zu schmelzen. Dann drehte er Fäden zu Dochten zusammen und steckte sie in ein halbes Dutzend selbstgemachter Kerzen, die er aus dem Fett geformt hatte. Der Beifall, den er erntete, war sein erster großer Erfolg, und sein trübseliges Gesicht heiterte sich nach langer Zeit wieder ein wenig auf.

Die ganze Zeit über war die Jagd die Hauptbeschäftigung. Eine Fleischkammer wurde aus demselben Material wie das Haus gebaut. Zu dieser Vorsichtsmaßregel hatten Streifzüge von Schneefüchsen genötigt; Wölfe aber hatten sich bis jetzt nicht gezeigt.

Am Ende der ersten Woche wurde eine kleine Expedition zum Vorratlager am ›Erik‹-Hafen organisiert. Der größte Teil des Proviants mußte herübergeschafft werden, bevor die Herbststürme einsetzten; und immer noch hofften alle vier, doch noch einmal etwas vom ›Erik‹ oder vom ›Polarstern‹ zu sehen oder zu hören.

Dr. Barlow war am Morgen des Abmarsches auf den Gipfel des Hügels gegangen, um nach dem Wetter auszuschauen. Er wollte Rudd signalisieren, wenn es im Osten zu ungünstig aussähe; in diesem Falle sollte der Marsch verschoben werden.

Rudd saß auf einer Steinbank vor der Hütte, Boggs reparierte einen Schaden am Sandsteinofen, und Kapitän Pike putzte ein paar schöne Felle von Renntieren, die er am Tag vorher erlegt hatte.

»Dort ist er,« sagte Rudd, das Glas an den Augen. »Aber was bedeutet das?« Als Signal war verabredet: ein Arm hoch – man konnte aufbrechen, beide Arme hoch – Schnee oder Wind.

»Das sieht aus, als ob er in ein Wespennest gerannt wäre,« bemerkte der Skipper, von seiner Arbeit aufschauend.

»Oder Bären,« meinte Boggs, der sein Abenteuer von neulich noch immer nicht ganz verdaut hatte.

Alle drei standen da und starrten. Mit Riesenschritten galoppierte der sonst durch nichts aus der Ruhe zu bringende Doktor den Hügel herunter, ruderte mit den Armen wie ein Wahnsinniger herum und rief im Näherkommen unverständliche Worte.


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