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VIII. Lieschens Ehe

Ganz sicher war Onkel Karl nicht gewesen, ob die Duellaffäre nicht doch noch irgendein Nachspiel haben werde – aber nun waren schon Wochen vergangen, ohne daß er etwas von seinen Gegnern gehört. Er schob diesen Erfolg seiner Herausforderung zum Zweikampf nach amerikanischem Muster zu. »Det riskiert nich jeder, det is zu jefährlich«, pflegte er hinzuzusetzen, wenn er im Gespräche mit Miß Thomson dieses Thema berührte.

Übrigens war Onkel Karls Renommee durch die begeisterte Verehrung, die ihm die Dame entgegenbrachte, nicht nur bei den Lemkes, sondern auch in den weitesten Kreisen sehr gestiegen. Er merkte es an den Grüßen, die ihm jetzt bei seinen Morgenritten von ganz unbekannten Personen zuteil wurden, an der respektvollen Art, mit der ihm Droschkenkutscher und Straßenjungen bei seinen Aufstiegen auf den Schimmel behilflich waren, und an dem Spitznamen »der olle Amerikaner«, den er – wie er selbst sagte – »in die janze Jegend wejhatte«.

Unbegreiflich fand man es nur, daß sich die Geschichte mit Miß Thomson so lange hinzog, ohne daß man von einem wirklichen Fortschritt sprechen konnte: Man hatte weder Beweise von einer heimlichen Verlobung, noch bestätigten sich die Gerüchte von einer unmittelbar bevorstehenden Hochzeit. Auch Lemkes, die Onkel doch gewiß auf den Zahn zu fühlen verstanden, wurden nicht mehr klug, da Onkel stets nur ein pfiffiges Lächeln auf alle Anzapfungen hatte. Manchmal allerdings konnte er auch ärgerlich werden. »Det is 'ne platonsche Liebe – wat stänkert ihr denn da! Wir sind uns noch lange nich iba unse Jefiehle klar, und da soll uns ooch keener mang komman – habt ihr vastanden?«

So war es langsam Herbst geworden. In den Fruchtläden prangte der ganze Reichtum köstlichen Obstes, vor den Wildhandlungen hingen die Tiere des Waldes, in den Schaufenstern lagen feiste Gänse mit zartem, weißem Fleisch, und in den Blumengeschäften leuchteten die Lockenköpfe riesiger Chrysanthemen.

Die Saison war da!

»Wia missen nu ooch dran denken und wat machen,« sagte Frau Lemke, »ibahaupt, jetz kommt det wieda mit die Schuhrfixe, ick weeß bloß nich, ob ick Mittwochs oder Donnerstags empfangen soll?«

»Ick wirde Freitaj nehmen, det is 'n Unjlickstaj, da kommen nich ja so ville«, sagte Herr Lemke.

»Det du dajejen bist, weeß ick ja noch von vorijten Jahr –« sagte Frau Lemke, »du bist eben jejen allet Moderne!«

»Ick bin bloß dajejen, det hia janz fremde Leite in unse Wohnung kommen, Teetrinken und Kavjar essen wollen – irjend wat quatschen und denn wieder wejjehen!«

»Det is doch aberst jrade det Schuhrfixije, denk' mal bloß, wat det kosten wirde, wenn se nu alle wirklich wat Orentlichet zu essen haben wollten! Den Tee laß ick doch imma wieda frisch uffbriehen – na und der Kavjar kost' ooch nich alle Welt!«

»Ja – wenn't unse Bekannten und Vawandten wären, aba wia kennen ja keenen eenzijen, der hia futtern kommt. Det is imma wie die Sperlinge an'n Droschkenhalteplatz!«

»Kennen tu' ick se schon, wenn ick ooch nich imma jleich die Namen weeß –« sagte Frau Lemke – wenn man aba nich inlädt, denn jehört man eben nich zu die jute Jesellschaft. Wia können ja ooch uff die Schuhrfixe von annere Leite jehen und sehen, wat die machen!«

»Wa'm machsten den Schuhrfix nich ibahaupt uff'n Sonntaj, det wär' doch det Jescheitste!«

»Det is unanständij – Sonntajs macht man so wie so wat! Schuhrfix heeßt's eben, weil man sich's leisten kann, ooch an'n Wochentaj wat zu machen!«

»Bei die Jelejenheit werden wia denn ja ooch die jeheimnisvolle Miß Thomson kennenlernen«, sagte Herr Lemke.

»Ibahaupt –« meinte Frau Lemke – »in die frieheren Jahre, wo wia't noch nich so vastanden, sind wia ja zufrieden jewesen, wenn sich eener bei uns sehen ließ, bis et denn den vorijten Winta 'n bißken zu ville jeworden is. Dies Jahr aba fordere ick nur Leite uff, die wirklich wat vorstellen, wenn man bloß nich Onkel Karrel wieda so ville von seene frieheren Bekannten herbrächte – besonners keenen von den Vaein ›Blaue Kaffeetiete‹, die Kerle haben ja nich mal 'n Schmoking!«

»Hab' man keene Bange nich,« sagte Herr Lemke, »mia hat Onkel Karrel jesagt, det er in dies Jahr Herrendinnehs vaanstaltet!«

»Det wäre ja sehr scheen, jewissamaßen eene Ableitung«, versuchte Frau Lemke dieser Ankündigung die angenehmste Seite abzugewinnen. »Nu vasteh' ick ooch, wa'm er sich durchaus een'n Wintajarten aus die kleene kalte Stube jemacht hat – det soll nu sowat heeßen, wenn er die Töppe mit die Eispflanzen ufstellt.«

»Na ibahaupt,« – meinte Herr Lemke – »findste nich ooch, er wird jetzt 'n bißken sehre jroßartig?«

»Jott – ick hätte janischt jejen, wenn er sich nich jejen mia uffspielen wollte, aba er versteht nu schon allet bessa – neilich wollte er mia sojar zeijen, wie ick meene Lonjette halten mißte!« Und dann faßte sich Frau Lemke plötzlich an den Kopf: »Jott und Vata – is det een Jebimmele! In welchet Ohr klingelt mia's?«

»In't rechte!«

»Richtig – saj' mal 'ne Zahl!«

»Elfe!«

Frau Lemke zählte an den Fingern ab, bis sie heraus hatte, daß die Zahl elf den Buchstaben L bedeute. »L – L? Wer kann det denn sind – wen haben wir denn mit L?«

»Liesken« – sagte Herr Lemke.

»Die könntet schon sind« – sagte Frau Lemke nachdenklich – »die denkt jewiß an mia, se wollte ja ooch heite herkommen.«

»Wat will se denn schon wieda?« fragte Herr Lemke ein bißchen verdrießlich. »Jedetmal, wenn se hia jewesen is, hat se dia janz zadderij jemacht. Ick jeh' am liebsten schon aus'n Wej, denn sonst werd' ick noch mal jrob jejen ihr!«

»Det wär' een jroßet Unrecht – Willem«, sagte Frau Lemke. Und mit einem Seufzer setzte sie hinzu: »Unse Tochta is nich jlicklich jeworden mit den Zillmann. Die Heirat war man bloß eene janz jlatte Spekulatsjon uff unsa Jeld!«

Herr Lemke zuckte die Achseln: »Liesken war doch aba janz varrickt nach ihn!«

»Ja – aba det hat sich jelegt, seit sie weeß, det er sich mit annern abjiebt!«

»Soo?« Herr Lemke pfiff durch die Zähne, »woher weeßten det?«

»Se hat mia't azehlt!«

»Und woher weeß sie't denn?«

»Se hat ihn durch Detektivs beobachten lassen«, sagte Frau Lemke.

»So weit is det da schon jekommen?« sagte Herr Lemke bekümmert. »Du lieba Jott – wat is det doch for'n Elend mit die modernen Ehen, sowat hat man frieha nich jekannt!«

»Nee – jewiß nich!« bestätigte Frau Lemke, »aba nu is't doch mal so!«

»Und wat soll draus werden?«

»Det weeß der liebe Jott – ick werd' ja hören, wenn sie nachher kommt!«

Als Frau Lieschen Zillmann dann in der Dämmerstunde des grauen Herbsttages kam, wurde die Mutter aber nicht klug aus ihr. Hatte Lieschen sich neulich nicht darin genug tun können, ihren Mann in den schärfsten und erbittertsten Ausdrücken zu verdammen, so zeigte sie sich heute merkwürdigerweise bereit, ihn in einer müden, lässigen Weise sogar zu entschuldigen.

»Laß ihn doch – wenn's ihm man Spaß macht« – sagte sie.

»Nanu?« meinte Frau Lemke und setzte zweifelnd hinzu: »Det meenste doch nich in'n Ernst?«

»Aber natürlich – mit solchen Sachen spaßt man doch nicht!«

»Na – denn is dia woll 'ne Schraube in'n Kopp losjejangen?« Und Frau Lemke sah ihre Tochter prüfend an.

»Kann auch sein« – sagte die junge Frau. Sie nahm die beiden großen Chrysanthemen, die sie – während der Zeit ihres Besuches – in eine Vase gestellt, aus dem Wasser und schlug sie wieder in das Seidenpapier ein.

»Ja – ja – nimm die ollen steifen Dinga man wieda mit,« – sagte Frau Lemke – »ick maj se nich, se riechen mia zu sehre nach Unjeziefa!«

Frau Lieschen Zillmann sog – die Augen schließend – in tiefen Zügen den strengen Duft der Blumen ein. »Ich könnt' mich daran betäuben« – sagte sie.

»Det hängt allet mit deene blutarme Konschtitutschon zusammen« – meinte die Mutter und seufzte: »Frieha haste den Kalj von die Wände gepolkt und mit die Zähne zaknirscht – du lieba Jott – ick vasteh' det nich, wo du so jesunde, kräftje Eltern hast, det du so een kimmalijet Jeschöpf jeworden bist!«

Die junge Frau stand jetzt vor dem Spiegel und steckte den riesigen Hut mit den wallenden Straußenfedern fester, während die Mutter sie kritisch musterte.

»Wenn man dia so sieht –« sagte Frau Lemke – »wenn man dia so sieht mit die abfallenden Schultern und die abjerutschten Hiften, hält man dia for eene aus die Sezeßjon!«

»Danke scheen, Mama!«

»Möch'ste mia nu nich akleeren, wa'm dia uff eenmal allst piepe jeworden is?«

Frau Lieschen Zillmann machte plötzlich kehrt, und Frau Lemke erschrak, als sie die starren Augen ihrer Tochter sah.

»Willst du das wirklich wissen – Mutter?«

»Na – jewiß doch« – sagte Frau Lemke – »aba reje dia nich bei uff, denn det hat denn keenen Zwerj nich – denn lieba nich!«

»Nee, nee« – sagte die junge Frau, und ihr Gesicht, das sich jäh gerötet – bekam wieder das blasse, kreidige Aussehen – »ich bin schon drüber weg, ich rege mich nicht mehr auf. Aber damit du's weißt, Mutter: Ich bin nicht die Frau für den Mann – mit dem Jeld allein ist auch nich alles zu machen! Da sind Unterschiede schon zwischen den Familien, die sich nich ausgleichen lassen – aber das verstehste nicht!«

»Wa'm soll ick dia denn nich vastehen, meene Tochta« – sagte Frau Lemke zärtlich – »ick vastehe dia bessa als du ahnst! Een Kind kann ja seene Mutta allet sajen, aba eene Mutta nich allet ihr Kind. Und da'm kann ick dia ooch keene Jeständnisse machen, Liesken, du wirst det späta schon insehen, aba det eene möcht' ick dia doch verraten: Als ick dunnemals mit dia jing – et war noch, als wia noch in die untairdsche Tante saßen, da kriejte ick plötzlich son Schwung in't Höhere – vastehste? For Musike und so – weeßte? Det hast du jeerbt, det sitzt dia in die Knochen, und det zehrt an dia, da'm bleibste ooch imma so majer.«

»Mutter, ich meine es ja ganz anders« – sagte die junge Frau kühl – »du verstehst mich eben nicht!« Und in ausbrechender Heftigkeit schrie sie plötzlich: »Begreifste denn nich, Mutter, ich – du – Vater – überhaupt die ganze Familie, alles, was drum und dran hängt – wir sind einfach zu ordinär! Ist doch alles bloß Tünche bei uns – wir sind und bleiben nu mal die Leute aus der Kellerwirtschaft!«

Frau Lemke sah ihre Tochter eine Zeitlang ganz verblüfft an, dann sagte sie ruhig: »Du jehörst wahaftij inne Kaltwassaheilanstalt – deene Nerven sind janz und jar futsch! For wen sind wia zu ordnär? For diesen Hans Zillmann? Denn will ick dia mal wat sajen: Uff't Herze kommt's an – vastehste – uff die Jesinnung – vastehste? Jewiß, det will ick dia jerne zujeben: Wia haben uns 'n bißken durch all den Klimbim mit den Jugendstiehl und so varrickt machen lassen, aba det is nua eißerlich, deen Mann aba – und det haben wia man leida zu spät jemorken, der is woll außen lackiert, aba innen is er madij! Nu weeßtet! Mia macht der nischt vor, und wenn ick ihn unta dia Finja krieje, denn kann er jeschmeidig wie so'n Aal sind, ick laß ihn nich los? Jejen sonne Pute wie du kann er sich natialich uffspielen, det is keen Kunststick, denn du läßt dia blenden und schämst dia wejen deene Eltern!«


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