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V. Lieschens Lebensglück

Tante Marie hatte aus den Karten »große Veränderungen« prophezeit und alle waren einig darin, daß diese Veränderungen durch Lieschens Heiratsannonce entstehen würden – »denn ick wüßte nich, wat sonst noch passieren sollte« – hatte Frau Lemke gesagt.

Onkel Karl war dann, gleich am nächsten Tag, in der Stadt gewesen, um in der Zeitungsexpedition nachzufragen, wer sich dort als Bewerber gemeldet habe. Für seine »jungen Vollblut-Windhunde, rasserein, Stammbaum väterlicherseits ein Jahr lang Garantie« hatte er eine ganze Anzahl Liebhaber gefunden. »Bei die Heiratsannongse,« sagte er nach seiner Rückkehr zu Herrn Lemke, »missen wia woll aba wat vajessen haben, die scheint noch nich die nötje Zujkraft auszuiben. Hia sind ja drei Briefe, aba ick finde, det is keene Bewerbung nich um 'ne steenreiche Erbin!«

»Jib her, mach' nich so lange Inleitungen,« sagte Frau Lemke, zog eine Haarnadel aus der Frisur und schnitt damit die Briefe auf. »Also« – sagte sie, nachdem sie das erste Schreiben gelesen – »hia is eena, der will mit det Jeld 'n Buttajeschäft uffmachen und dia dabei uff Händen trajen, haste Lust zu, Liesken, denn meld dia!«

»Und hia, der hia,« – sagte sie nach der Lektüre des zweiten Briefes, »der scheint varrickt zu sind, det is 'n Afinda, der red't son schwilstijet Zeich, wie die Jrafen in die Schauaromane!«

»Na – und der dritte?« fragten alle.

»Aus den werd ick ibabaupt nich kluj,« sagte Frau Lemke, »der hat den janzen Brief bloß volljerechnet und denn hat er die Annongse mitjeschickt und manche Wörta rot untastrichen, wie son Schullehra in't Diktat.«

Und während Frau Lemke den Brief an ihre Tochter weitergab, las sie kopfschüttelnd noch einmal das Heiratsinserat durch. »Ick jloobe, Karrel,« sagte sie, »du hast wirklich wat bei die Annongse vasehen, det is nich der richtje Stil nich!«

»Denn lies ihr 'mal laut vor,« sagte Onkel Karl »und saje mia, wo wat falsch is und wie du't an'ners jemacht hättest!«

»Na denn hört zu, Liesken, paß uff und du, Willem, ooch!« Und dann las Frau Lemke, mit besonderer Betonung der fettgedruckten Worte des Heiratsgesuchs vor:

Sofortige Ehe.

Idealen, harmonischen
Lebensgenuß

ersehnend und zu geben bereit, sucht junge Dame von stattlichem, schönen Äußern, häuslich erzogen, musikalisch, große Herzens- und Geistesbildung.

»Soweit,« sagte Frau Lemke, sich unterbrechend, »wär' ja allet janz jut, aba nu kommt Quatsch.«

Und dann las sie weiter: »Gatte würde paradiesisch gelegenes Heim finden, müßte aber Mann von hervorragender Klugheit, von tiefem Gemüt und ritterlichem Sinn sein. Außerdem Titel und Jahreseinkommen von mindestens vierzigtausend Mark haben.«

»Erstens –« sagte Frau Lemke sich wieder unterbrechend, »det Rittaliche, det jab's doch bloß in't Mittelalta und denn, saje selbst, Karrel, wenn er nu schon det Rittaliche hat, wo soll er denn nu rasch det An'nere herkriejen? Det is doch nich Allet so beisammen!«

»Watten?« sagte Onkel Karl, »Jemiet muß eena haben und 'n Titel ooch – er muß doch wat vorstellen können! Na – und det Jahresinkommen, da hätten wia uns schon mit ihn jeeinijt. Aba, ick hab's mia ooch schon ibalejt, et wäre vielleicht bessa jewesen, wenn wia die Annongse jedichtet hätten.«

»Kannste denn ibahaupt dichten?« fragte Herr Lemke erstaunt.

»Wa'm soll ick denn nich dichten können,« sagte Onkel Karl, »ick werd dia jleich mal wat vordichten.« Und dann ging er ein paarmal auf und ab, drückte die Augen ein und sagte: »Nu seid ma' janz stille! Also villeicht so:

Ick bin een bildscheenet Mächtelein
Habe Vamöjen und eene Aussteier fein.
Den Haushalt und de Wirtschaft vasteh ick jenau.
Ick jlobe, ick wär eene janz tichtje Frau,
Drum winsch ick von Herzen mia'n netten Mann,
Dem een trautet Heim ick jetz schaffen kann!«

»Det haste nich alleene jemacht,« sagte Herr Lemke, von Bewunderung ganz hingerissen.

»Doch,« sagte Onkel Karl, »wie ick jestern von Wilmasdorf iba die Wiesen jing, da ha'ick det janz alleene jedichtet, war doch keena weita bei!«

»Det Jedicht wär entschieden bessa jewesen,« sagte auch Frau Lemke, »et hätte ooch nich so materjel jeklungen.«

»Na – Jeld muß er haben,« sagte Onkel Karl, »det is stillschweijende Voraussetzung, denn Liesken darf keene Meßalljangzen injehen!«

»Na – jeben wia doch diese Annongse noch mal uff,« sagte Herr Lemke, »bei sonne Sache derfen die Kosten keene Rolle spielen.«

»Und ick wirde mia janz jerne ooch mal in Poesie jedruckt sehen,« ermunterte auch Onkel Karl.

»Scheen, lassen wia also wat druffjehen,« sagte Frau Lemke, »et handelt sich doch um Lieskens Lebensjlick.«

»Sonst hätt' ick die Kosten ooch aus meene Tasche bezahlt,« meinte Onkel Karl, »wahr, Liesken, for dia is mia keen Opfa zu teia?«

Sie lächelte, wurde aber gleich wieder nachdenklich wie vorher und dann bemerkte er, daß sie den Brief, den ihr die Mutter gegeben, verstohlen in die Kleidertasche steckte.

Nach dem Mittagessen, als er Joldelse im Holzstall besucht und die jungen Hunde nochmals gründlich auf ihre Rassenreinheit geprüft, traf er zufällig mit Lieschen im Garten zusammen.

»Na?« machte er und musterte sie kritisch, »an wat denkste, dette so tiefsinnig bist?«

»An nischt,« sagte sie und wurde rot.

»Denn wird ick doch wenijstens 'n bisken uff meen Eißeret achten, wennste sonst keene Jedanken hast. Merkste denn nich, det dia vorne deen weißa Untarock vorkiekt?«

»Jott, was du auch alles siehst,« sagte sie ärgerlich und wollte sich entfernen.

»Und denn möcht ick dia jebeten haben, mia den Brief zurückzujeben, den du dia vorhin in die Tasche jestochen hast!« sagte Onkel Karl und begann zu pfeifen.

»Was willst du denn damit?«

»Ja, wat wiste denn mit?« fragte er höhnisch. »Bei sonne Jeschichten is Diskretsjon Ehrensache und ick bin for vaantwortlich, ick hab die Schohse doch injefädelt!«

»Hör mal, Onkel,« sagte Lieschen, einen vertraulichen Ton anschlagend, »der Brief, den der jeschrieben hat, is janich so ohne!«

»Wer is denn der Der?«

Sie zuckte die Achseln. »Es scheint ein armer Kerl zu sein, der aber Aussicht hat, mal später was zu werden. Darum rechnet er auch so viel – weil er seine Verhältnisse klarlegen will!«

»Zeij ma' her,« sagte Onkel Karl, »ick hab den Brief man ooch bloß flichtij jelesen.«

»Aber gib ihn mir wieder,« sagte Lieschen – sah sich mißtrauisch um, ob sie auch nicht vom Hause aus beobachtet wurden und nahm den Brief aus der Tasche.

Onkel Karl las und las, zog die Querfalten seiner Stirn wie eine Rolljalousie bald hinauf, bald hinunter – und überreichte den Brief dann Lieschen wieder, ohne ein Wort zu sagen.

»Na?« fragte sie gespannt.

»Ja – na? Det is doch nich so leicht,« meinte Onkel Karl – »ick jlobe, er hat janz recht, det sich sowat nich bloß schriftlich abmachen läßt und det ihr eich beede erst pasöhnlich kennen lernen müßtet. Wo soll det Rendevuh sind in'n Botanschen? Det sind doch nur 'n paar Schritte! Da wird' ick doch hinjehen!«

»Mir is so bammelig vor« – sagte Lieschen.

»Du mußtet natialich 'n bisken schlau anfangen, dette dia nich blamierst,« sagte Onkel Karl »Die rote Nelke, die du dia vorne in't Kleid als Akennungszeichen stecken sollst, die wird ick in die Tasche behalten. Wenn er denn mit seene rote Nelke anjestiebelt kommt, wirde ick erst sehen, ob er mia jefällt und sie denn vorholen.«

»Na und dann?« fragte Lieschen.

»Det weeß ick doch nich,« sagte Onkel Karl, »ick hab mia meen janzet Leben nich – Jottseidank – mit sonne vaflixten Jeschichten abjejeben. Wie ick's mia vorstelle, wird er dia zuerst abknutschen und dia denn seene Liebe beteian!«

»Na und dann?«

»Na und denn« – sagte Onkel Karl – »denn seid ihr valobt und könnt Karten an die Vawandten schicken.«

»Nee, so rasch geht das nicht,« sagte Lieschen.

»Na, denn kommt vielleicht erst der Sejen,« sagte Onkel Karl, »da mußte Muttan mitnehmen, die sich solange in'n Hintajrund hält, bis der feialiche Momang jekommen is!«

»Quatsch« – sagte Lieschen – »du hast 'ne Ahnung.«

»Ick jebe jerne zu, det du det bessa wissen mußt,« sagte Onkel Karl. »Frieha biste doch so ofte pussieren jejangen – uff die Eisbahn und in die Tanzstunde – und 'n Breitjam haste doch schon jehabt, als du noch kurze Röcke trugst.«

»Weiste was, Onkel Karrel, komm' du mit,« sagte Lieschen schmeichelnd.

»Nee,« sagte er, »det rejt mia zu sehr uff, nee Liesken, nich for Keese!«

»Onkel Karrel, sieh doch, wie ich dich bitte, komm doch mit!«

»Is jut, uff deene Vaantwortung,« sagte er, »wenn mia eena bittet, denn kann ick's ihn nich abschlajen, selbst wenn er jeköppt werden will!«


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