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Frau Lemke nahm ihr neues Gebiß aus dem Munde, legte es vorsichtig auf den Tisch und betrachtete es kummervoll. »Et paßt nich,« dachte sie, »ick reiß mia bloß den janzen Schlunk mit inzwee. Ick kann mia janich vorstellen, wie det an'nere Leite machen, det se mit son Ding wirklich essen können. Ick komm' mia imma wie een Nußknacka mit vor!«
Und dann brachte sie es mit vieler Mühe wieder in die Mundhöhle und probierte durch Fletschen vor dem Spiegel die Wirkung.
»Et sieht wirklich schauderös aus – wie son Totenkopp – ick kann et Willem wah'haftij nich vadenken, det er sich vor mia jrault.« Und dann stieg ihr die Galle auf, als sie daran dachte, welchen Eindruck das Gebiß auf die Kinder gemacht hatte.
»Mutta, eß mal wat« – hatte Edwin immer wiederholt. Und schließlich hatte sie ihn angefahren: »Ick bin doch keen wildet Tia aus'n Zappalotschen, det ick dia uff Kommando wat vorfresse – scheer dia 'raus, dumma Junge!« Aber auch über Lieschen hatte sie sich geärgert, denn die hatte sich sogar die Augen zugehalten: »Et sieht jräßlich aus, Mamachen, als wenn du eene Menschen-
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»Denn jeh doch ooch 'raus – mußte denn hia 'rumsitzen und mia belauern?«
»Ick muß imma wieder hinkieken, wenn ick auch jar nich will –« hatte sich Lieschen entschuldigt und war beleidigt aus der Stube gegangen.
»Ibung macht den Meesta,« dachte Frau Lemke, »hab' ick det teire Ding nu ma' anjeschafft, denn muß ick's ooch benutzen!«
Bei Tisch hatten dann sämtliche Mitglieder der Familie sehr wenig gegessen, weil sie alle nach Frau Lemke geblickt.
»Wat wirde die Selje zu sajen, wenn se dia mit son Ding kauen sähe –« hatte Großvater kopfschüttelnd bemerkt. Und Wilhelm hatte ihm zugeflüstert: »Wie eene aus't Panoptikum, vorne pickt se und hinten nickt se!«
»Wenn ihr mia nu noch weita so anstiert, setz' ick mia wo anders hin –« hatte Frau Lemke schließlich im höchsten Ärger gesagt, und alle hatten sich darauf krampfhaft bemüht, an ihr vorbeizusehen.
»Reje dia nich so uff, Anna,« versuchte sie Herr Lemke nachher zu trösten, »mit die Zeit wird det Ding schon fungschonieren, und wer weeß, ob wia andern später nich ooch 'mal eens notwendig haben!«
»Denn wirde ick dia meens billig ablassen, denn mia is die Freide nu schon vadorben worden –« sagte Frau Lemke. »Ibahaupt, ick seh' schon, bei eich sollte man bloß ma' anfangen, elejant uffzutreten, denn wirdet ihr eenen ja scheen blamieren.«
Herr Lemke machte eine abwehrende Bewegung: »Von meenswejen kannste dia sojar noch 'ne kinstliche Neese machen lassen – ick wirde mia nich d'rum kimmern – wennste mia nua nich damit beschniffelst, ick hab' an'nere Sorjen in'n Kopp!«
Und als sie ihn dann etwas höhnisch fragte, was ihn denn wohl bekümmern könnte, berichtete er mit einer gewissen Genugtuung, wie es bei der Verwandtschaft – bei Tante Marie und Onkel August – stände.
Frau Lemke war starr: »Und damit kommste so jelejentlich 'raus? Aba ick reje mia ja unnötig uff, det sind Jeschichten, die Onkel Karrel azehlt, und wia wissen ja alle beede, wat an den seene Jeschichten jewöhnlich wahr is, nehmlich nischt!«
»Denn laß dia't von ihn selbst azehlen!«
»Ick sprech' nich jern mit den Kerl –« lehnte sie ab, »ick ärjere mir zu sehr bei. Det mit Tante Marie könnte amende wahr sind, den Krause trau' ick allet zu, aba det mit Tante Liese is alojen und astunken.«
»Denn sprech selba mit Karrel«, beharrte Herr Lemke.
»Na, er kann ja ma' ruffkommen,« sagte sie, »aba denn möcht' ick ihn alleene sprechen, sowie Zeijen bei sind, wird er mia zu jroßschnauzig, wenn wia beede aba alleene sind, krieje ick ihn jleich wieda unta!« – – – – – –
Als Herr Lemke Onkel Karl von dieser Unterredung verständigte, meinte er: »Wenn deene Frau Jemahlin wat von mia will, denn soll se doch bei mia kommen, se hat's ja jrade so weit. Aba jut – se is 'ne Dame, und jejen Damens bin ick imma jalant jewesen. Bestelle sie also, det ick kommen werde, aba ick jehe die Vordatreppe 'ruff und klingle, denn det jib's nich, an die Kichentiere bein Mülleima stehen – wie sonst!«
Und eine halbe Stunde später stieg Onkel Karl – den roten Läufer aber sorgfältig vermeidend – die Vordertreppe hinauf und riß in der Belletage an der Klingel.
Minna, das Dienstmädchen, öffnete.
»Kieken Se nich so dehmlich, lassen Se mia in die jute Stube – Frau Lemken weeß schon, sajen Se ihr also, ick warte.«
Ganz verblüfft gehorchte das Mädchen und öffnete die Tür zur »kalten Pracht«, wie Onkel Karl den Empfangssalon auch zu nennen pflegte. Das erste, was er da tat, war eine Motte totzuschlagen, die, durch den ungewohnten Luftzug in dem sonst verschlossenen Raume aufgescheucht, aus den roten Plüschmöbeln aufgestiegen war.
»Wat nützen denn die weißen Bezije uff det Sofa und die Stihle, wenn se se nich auskloppen, denn haben die Motten ja bloß 'ne Schutzdecke uff'n Kopp,« dachte er verächtlich. »Und det det arme Luda von Joldfisch da imma noch in die Jlasjlocke lebt, is eenfach 'n Wunda. Wenn nich 'mal ab und zu 'ne Motte 'rinfällt, kriejt es ja doch nischt zu fressen!«
Zu weiteren Betrachtungen hatte er keine Zeit – die Tür öffnete sich – Frau Lemke trat ein.
»Wa'm haste dia'n nich jesetzt –« sagte sie freundlich.
»Ick traute mia nich –« sagte er.
»Nanu?« Es gefiel ihr, daß ihm der Raum so imponiert hatte, aber Onkel Karl korrigierte diesen Irrtum.
»Ick hab' nehmlich meen'n juten schwarzen Rock an,« sagte er erklärend, »und ick hatte 'n bisken Angst, det mia die Motten 'rinkommen könnten!«
»Na, du kannst ja 'mal hia mit deen Schmetterlingsnetz uff die Jagd jehen,« sagte sie pikiert, »for den Fall, det die Motten nich aus deen'n Kopp jekommen sind. Aba – wat ick sajen wollte – ick jloobe, wia haben heite Wichtijeres zu besprechen, als uns Fissematenten zu machen.«
»Det denke ick ooch –« sagte Onkel Karl.
»Na – denn setz dia jefälligst, det wia in Ruhe sprechen können.«
»Wirde et nich bessa jehen, wennste det kinstliche Jebiß so lange uff'n Tisch lejtest, ick vasteh' dia sonst so schwer –« sagte Onkel Karl.
»Nee – ick muß mia dran jewöhnen –« sagte Frau Lemke aufs neue verschnupft.
»Et kleidet dia ooch sonst sehr jut, du sehst jleich dreißij Jahre jinga aus,« meinte er anerkennend.
»Nu mach's man halweje, du träjst jleich imma faustdicke uff!«
»Ick hab' mia jetz een Komplentiabuch jekooft« – sagte er – »aba ick jloobe, praktischa Unterricht is bessa, villeicht jibt mia Ha Fiedla Privatstunde.«
»Woso – wat soll denn det heeßen?« fragte Frau Lemke mißtrauisch.
»Nischt – janischt – ick meente bloß so?«
»Na, denn is jut, also – wat is det nu mit Tante Marie und Aujust?«
»Da muß ick janz von vorne anfangen, sonst kannstet nich richtig beurteelen, aba da werd' ick mia doch lieba bei setzen,« sagte Onkel Karl. Und dann berichtete er etwas umständlich, welch traurige Veränderungen bei den Verwandten eingetreten waren.
»Und wie ick denn uff'n Rückwej war,« setzte er hinzu und schüttelte sich voller Unbehagen, »hatte ick eene janz merkwirdije Ascheinung, und det bedeitet nischt Jutet: Ick hab' deene Doppeljängerin jesehen, und zwar mit eenen jungen Mann, der akkorat so aussah, wie unsa Ha Fiedler!«
»So –« sagte Frau Lemke und sah Onkel Karl durchdringend an – »na und da ...?«
»Janich und da, et jenügt die Tatsache diesa Ascheinung. Zaerst wollt' ick übahaupt nich drieba sprechen, aba ick saje mia nu jetz, det sonne Fisionen doch nich umsonst sind.«
»Woso nich umsonst?«
»Na – wenn du dia ooch allmählich uff 'ne freijeistige Anschauung durchjerungen hast,« sagte Onkel trübe, »ick jlobe noch immer dran. Und Willem wird janz meene Meinung sind, ick wollte ihn erst janischt von sajen, aba nu möcht' ick ihn doch 'mal druff uffmerksam machen, det wat bevorsteht!«
»Ick wirdet nich tun – et beunruhigt ihn zu sehr –« sagte Frau Lemke, »villeicht bedeitet es ooch bloß, det wia beede uns wieda vertrajen haben?«
»Aba wia haben uns doch janich vertrajen,« sagte Onkel Karl erstaunt.
»Doch –« sagte Frau Lemke – »und dettet jloobst, jeb' ick dia hia 'n Dala, da koof dia 'ne Flasche Rotwein und trink' se uff unse Vasöhnung.«
»Danke –« sagte Onkel und besah sich den Taler, »den tu ick inne Bickse und spar' ihn; et werden ja im Laufe der Zeit noch mehr zukommen.«