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»Nu singt se schon wieda«, sagte Herr Lemke verwundert. »Heite abend soll se ihre Sachen packen und abziehn – ick habs ihr jesacht – und nu singt se schon wieda janz vajniecht.«
»Villeicht ihr Schwanenjesang«, sagte Frau Lemke, »eejentlich is ja schade um ihr – zujreifen konnt se, die Anna, aber ick mach ma doch zehnmal lieba allet alleene, als det ick hier so wat ins Haus dulde!«
Frau Lemke schüttete die grünen Bohnen, die sie abgezogen hatte, auf den Tisch, nahm die weiße Schürze mit dem Abfall zusammen und ging durch den Ziegelsteinflur hinten nach dem Hofe.
Alle Hühner liefen sofort herbei, als sie aber merkten, daß es nichts für sie zum Picken gab, wichen sie enttäuscht wieder zurück. Frau Lemke strich die Schürze glatt – ja, und nun mußte sie doch in die Küche gehen.
Anna putzte noch immer an dem großen Messingkessel.
»Laß man sind, er is ja jut«, sagte Frau Lemke, »jeh man jetzt ruff und mach wat for dir, sonst kommt deen Korb nich wech!«
»Denn nehm ick'n huckepack, Jold is ja nich drinne, sonst könnt er stehenbleiben, und allet wär in schönster Ordnung!«
»Meenste? Det mach dir man ab. Du hast dir det ja janz scheen ausjedacht, hier so in die Wirtschaft rinzuheiraten, aber du hast dir vaspekuliert!«
»Oda ooch nich«, sagte Anna, »Willem liebt mia und ick liebe ihn, und wat nu kommt, det werden Se ja sehn, Frau Lemke, die Jrundlage is jelecht.«
»So, na denn is ja allet in Ordnung, und wa brauchen uns jejenseitig nich weiter uffzurejen.«
»Nee – wer hat denn wieda anjefangt, ick doch nich!«
Anna wischte sich die nassen Hände am Rock ab, zog die aufgekrempelten Ärmel herunter und ging hinaus. Im Flur stellte sie, wie sonst, die Holzpantinen unten an die Treppe und stieg barfuß die Stufen hinauf.
»Willem – Willem«, rief nun Frau Lemke in den Keller. Als sie keine Antwort bekam, stieg sie vorsichtig hinunter. »Diese Dusterheet, ick werd mir hia noch mal 's Jenick brechen«, räsonierte sie, »Willem, wo steckste denn?«
»Hia, Mutta, wat wiste denn? Ick bin doch beit Abzappen!«
»Laß mal sind, komm mal ruff.«
»Nee, Mutta, 't hat keen Zwerch nich, ick weeß ja, watte willst!«
»Willem – meen Sohn – willste dir von det Meechen wirklich zum Dussel machen lassen?« fragte Frau Lemke sanft.
»Dieses wenijer, aba ick liebe ihr!«
»Willem«, sagte Frau Lemke und tastete sich zu ihm durch, »Willem, als du noch so kleen wast, dette noch keene Beene hattest, da wolltste durchaus Jrienspan fressen. Wo man 'n Sticke Messing war, haste wie'n Wilda dran jeleckt, bis et blitzeblank war. Na, wenn ick dir nu jelassen hätte? Aba ick war imma hinter dir her, hab dir jleich imma 'n Finger rinjestochen und Seifenwasser hintajejossen, bis allet wieder rauskam!«
Wilhelm hatte zu schluchzen angefangen. »Ick – weeß – ja, Mutta –«, er konnte kaum sprechen, »ooch dunnemals, wo ick mia die türksche Bohne in die Neese jestochen hatte und du se mia mit de Haarnadel rausjepolkt hast, ick – weeß et ja noch allet wie heite – aba ick kann nich, Mutta, ick kann nich, wahaftjen Jott nich, ick liebe ihr ßu sehr!«
»Schnaub dia mal erst, Willem«, sagte Frau Lemke, »det kann ja keen Mensch mit anhören – nich mit de Finga, det is ja ne Schweinerei, wennste denn wieda die Pullen anfaßt, hia haste meen Tuch! Siehste, watte noch forn kleener Junge bist – und so wat will nu heiraten!«
»Will ick ooch!«
»Bloß jut, det dia Vata nich hört, der würd dia schon mit ›will ick ooch‹!«
»Det is's ja eben, ihr behandelt mia immer noch wie'n Stepsel, bloß weil se mia bei de Soldaten nich jenommen habn!«
»Ja, et wär wahaftich jut gewesen, wenn se dir in de Mache jekricht hätten«, sagte Frau Lemke ärgerlich, »du jloobst imma, Mutta wird schon kommen, wenn's dia dreckich jeht – aber diesmal nich, Willem, diesmal jeb ick Vatan recht!« Und drohend setzte sie hinzu: »Ibalech's dir, ehste Dummheiten machst, 's soll keener nachher saren, wa haben unsa eenzches Kind unjlicklich jemacht – ick hab ma mit Vatan besprochen, wir sind eenich!«
»Wir ooch!« sagte Wilhelm.
»Dafor hättste ja nu eben ne Knallschote vadient, aba ick werd mia nich an so'n jroßen Lümmel vajreifen«, sagte Frau Lemke, »du bist eben hinten und vorne mit'n Dämelsack jeschlagen!«
Sie wandte sich kurz ab, stieg die Kellertreppe hinauf und ging durchs Haus vorn in den Garten.
Dort, unter dem Nußbaum und den alten Linden, saßen bereits die ersten Gäste. Auf der Kegelbahn wurde es schon lebendig, und Vater Lemke, in Hemdsärmeln, eine blaue Schürze vor dem runden Bauch, lief – in jeder Hand drei große Weißbiergläser balancierend – geschäftig zwischen den grüngestrichenen Tischen umher.
Es war Zeit, daß sie an den Ausschank kam, der Garten würde »voll werden«, der schöne Sommertag lockte die Berliner, trotzdem es in der Woche war, in Scharen heraus, und die meisten blieben hier stecken. Der Weg war zu weit, was sollten sie bis nach Schöneberg laufen – zwischen den Fliederbüschen, im Schatten der Bäume, saß man ja auch gut.
Und dann begannen die Kegelkugeln regelmäßig zu rollen, und der Junge schrie: »Jrenadier« und »Alle neine.« Vater Lemke hatte keine Zeit mehr, bei seinen Gästen zu sitzen und sich erzählen zu lassen, daß Berlin immer weiter vorrückte und daß die Grundstücke im Preise stiegen. Und Mutter Lemke, jetzt ganz hochrot, bückte sich immerfort unter den Schanktisch, nahm die Steinkruken aus dem kühlen, weißen Sande, lockerte die Korkenstrippen und goß – ohne auch nur ein bißchen von dem Schaum zu verspritzen – die großen runden Gläser voll.
»Keene Hilfe, keene Hilfe«, sagte sie einmal zu ihrem Mann.
»Na – wo is denn Willem?«
»Der bockt, Vata, da werden wa noch ville Ärjer haben!«
»Ick nich, fällt mir janich in, mach man, Mutta, mach – jrienen Aal und Jurkensalat – drei Portsjonen, mach man aba jleich mehr ßurecht, die sind ja heite wie varickt nach!«
»Bei die Hitze is det ja ooch det eenzje, wat man runterkriejen kann!« – –
Dann kam die Dämmerung, Vater Lemke mußte heute selbst auf die Stühle klettern und die Petroleumlaternen im Garten anzünden.
»Wo is denn Herr Willem, wo is denn heite Ihr Sohn?« fragte manchmal ein Kegler.
»Der hat ne dicke Backe, kann sich nich sehen lassen«, sagte Herr Lemke.
Die Nachtschmetterlinge stießen sich die Köpfe an den heißen Zylindern, fielen tot und versengt zur Erde, und Frau Lemke, die nun am Spätabend auch noch Zeit gefunden hatte, vor dem Hause zu sitzen und den Tag zu überdenken, sagte jedesmal: »Kiek mal, Vata, wieder so'n scheener, jroßer Mottenkopp – arme Biesters!«
»Is'n recht, wat brauchen se denn in de Nacht zu sejeln, und wa'm wollen se heißet Jlas fressen.«
Dann hörte man vom Kirchturm aus dem Dorf die Uhr schlagen.
»Zehne – Vata!«
Die letzten Gäste brachen auf und zogen singend durch die stille Sommernacht heim. Herr Lemke schloß die Gartentür, drehte die trübe brennenden Lampen aus und kam ins Haus. In der Gaststube stand seine Frau, einen Leuchter in der Hand, und starrte vor sich hin. Jetzt hob sie den Kopf und sagte: »Vata – Willem is nich da!«
Herr Lemke kniff das linke Auge zusammen und zielte mit dem andern starr auf seine Frau. So stand er einen Augenblick unbeweglich, dann nahm er ihr plötzlich den Leuchter weg und stieg die Bodentreppe hinauf. Es dauerte eine ganze Weile, bis er wieder herunterkam. Schweigend stellte er den Leuchter hin und begann, hinter dem Ladentisch stehend, Kasse zu machen. Seine Frau war auf einen Stuhl gesunken, die Hände lagen ihr schlaff im Schoß.
»Vata – –?« sagte sie.
Er machte eine ärgerliche Kopfbewegung, weil er sich verrechnen konnte, wenn er jetzt auf ihre Frage einging, und zählte weiter. »So – det stimmt so unjefähr«, die Spannung in seinem Gesicht ließ nach, »also hat er bloß die Sparbüchse von sich mitjenommen!« Er schob das Geld in einen Leinwandbeutel und sagte: »Na – nu komm man, Mutta, nu wolln wa man schlafen jehn!«
»Ick – kann – nich schlafen«, sagte Frau Lemke, sie schluckte und würgte und wischte sich die Tränen mit der Hand ab, »ick hab doch so jut mit'n jeredet und ihm noch meen Schnupptuch jejeben!«
»Da wird er sich die Aussteier rinjeknippert haben«, sagte Herr Lemke, »hör man uff mit die Heulerei, det hat nu keen Zwerch mehr. Wenn't Jeld alle is, wird er schonst wiedakommen, denn schmeiß ick'n aba raus!«
»Vata, wie kannste so reden«, sagte Frau Lemke, »hättste det von unsen Willem jedacht?«
»Ja, Mutta, du bist aber ooch dran schuld, wie kannsten da oben schlafen lassen! Du hast immer jetan, als müßt er sich bei dir noch an'n Rockzippel festhalten!«
»Nu – jib mir man die janze Schuld – ick jloobe ja noch nich, det er wech is, villeicht will er uns bloß'n Schreck injagen. Wo soll er denn ooch hin mit die paar Talers!«
»Wenn ihn det Meechen in die Mache hat, det is ne Karnalje, die denkt sich, wir werd'n schon kleen beijeben, die spekuliert uff dein weeches Herz. Aber sie soll sich eklich jeschnitten haben, ick rühr keenen Finger, und wehe dia, Mutta, wennste etwa hinter meen Rücken wat anfängst. Loofen lassen, det is det richtje, imma loof, loof mit die Karline, ihr werdet eich schon dicke kriejen!«
Immer mehr redete sich Herr Lemke in Wut hinein. Sein Gesicht war braunrot geworden. Nun drehte er die Lampe über dem Schanktisch aus, nahm den Leuchter und ging vorneweg. »Schlafen jehen, wer weeß, wie morjen die Jeschichte aussieht, heite kann ick mia nich mehr ärjern, sonst platzt ma die Jalle!«