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III

Besuch in Schöneberg

Tante Marie hatte sich schließlich überreden lassen und die alten Lemkes in Schöneberg aufgesucht, um ihnen mitzuteilen, daß der Hochzeitstag festgesetzt sei, und zu fragen, ob die Eltern denn nicht auch an dem Glück ihres Sohnes teilnehmen wollten.

Einen ganzen Tag fast war Tante Marie fortgeblieben, nun kam sie in der Abendstunde müde, verstaubt und mit einem Strauß verwelkter Feldblumen nach der Ackerstraße zurück und verlangte erst eine Tasse Kaffee, ehe sie erzählen wollte. Aber wenn sie der Kaffee auch wieder munterer machte, so war doch nicht viel aus ihr herauszubringen. »Der Olle is jrob jewesen«, sagte sie, »nehmen Se's ma nich ibel, Willem, aber zu dem bringt mich keen Deibel mehr raus, und wenn ick 'n junget Meechen wär und Ihnen heiraten sollte, for den Schwiejavata bedankte ick mir! Ihre Frau Mutta hat jeweent, aba der Olle hat se jleich so anjeschnauzt, det se'n Schlucken jekricht hat. ›Wat'n for'n Sohn?‹ hat er immer jefracht, ›Se sind woll mit'n Kopp wo jejen jeloofen, liebe Frau, ick hab keen Sohn nich, und wünschen Se sonst noch wat?‹ Na, ick hab'n ja Bescheed jestochen, denn uff die Schnauze bin ick ja ooch nich jrade jefallen, aber et hatte doch ooch allens anders sein können, wahr?«

»Mutta hat jeweent?« fragte Wilhelm, der nichts anderes gehört zu haben schien.

»Wat nutzt uns det«, sagte Anna ärgerlich, »dafor koof ick ma nischt, aba nu wissen wa wenichstens, wat los is, nu kann ja die Heiraterei losjehen!«

»Ach – und scheen is draußen jewesen«, sagte Tante Marie, »da trillern de Lerchen, und det blieht und jrient uff die Wiesen. Und der scheene, jroße Jarten mit 'n Nußboom und de Hihna!«

»Ja, die kennten wa nu ruppen, for die Hochzeitsgäste, na, wat nich is, is nich! Und wennstet etwa bereust, Willem, denn sach's frei raus, ick will dir nich unjlicklich machen.«

»Ihre Mutta hat ma sehr jut gefallen«, sagte Tante Marie, »det is wirklich ne nette Frau, der is et ja bitter anjekommen, und die hätte Sie jewiß ooch 'n Jruß bestellt, aba der Olle stand imma neben und paßte wie so'n Schießhund uff. Na, ick hab ihm ja ooch jesacht, jlicklich wird ihn seen hartet Herz nich machen!«

»Janz jewiß nich«, sagte Anna, »so wie ick ihn kenne, tut er aba ooch bloß so, er spielt sich jerne 'n bißken als Witerich uff. Du kannst ibazeicht sind, Willem, wennste jetz kämst und mir sitzenlassen wolltest, wirde er dir erst recht for'n Dussel halten!«

Wilhelm äußerte sich dahin, daß es auf jeden Fall etwas schwierig sein dürfte, die Zufriedenheit seines Vaters zu erringen: »Ick weeß nich, woran et liecht, er hat ma von Kleenuff for'n Dusseltier jehalten, aber eejentlich, so demlich bin ick doch nich?«

»Nu laß man dein'n Jeisteszustand«, sagte Anna, »die Hauptsache is det Herz, nich wahr, Tante?«

»Des Vatas Sejen baut die Kinder Häuser, aba der Mutta Fluch reißet sie nieda«, sagte Tante feierlich.

»Det paßt janich hierher«, meinte Anna, »höchstens umjekehrt, und denn stimmt's ooch noch nich. Bis jetz hat uns noch keen Mensch wat jebaut!«

Tante Marie hielt das für eine Anspielung: »Ja, ja, wenn ick man schon in'n Sarch läje, denn könntet ihr ja mit den Kram machen, wat ihr wolltet!«

»Ach, is det scheen hia«, sagte Anna, »Tante, dia derf man wahaftich nich rauslassen, dia is die freie Natur nich jut bekommen, aba ick hab ma jleich so wat jedacht, als ma heite morjen die Spinne über die Beene jeloofen is.«

Sie ging hinaus in den Schankraum, um die Gäste, die schon ungeduldig waren, zu bedienen. Gewiß, es wäre schöner gewesen, wenn sie da draußen, in dem großen Weißbiergarten, Wirtin hätte sein können, aber wenn es nun einmal nicht war, konnte sie es doch nicht erzwingen. Und schließlich war sie auch so zufrieden, denn sie merkte ja, daß sie eine glückliche Hand hatte. »Et flutschte«, wie sie sagte, die Gaststube war nie leer. »Freilein, Se sind 'n so schnuddlijet Frauenzimmer, jeben Se ma noch'n Bittern«, pflegten die Droschkenkutscher zu sagen, wenn sie ihren Abstecher in die »unterirdische Tante« machten, und andere, die nach ihrer eigenen Meinung zu oft in den Keller stiegen, entschuldigten sich vor sich selbst: »Da bin ick schonst wieder, aba Se haben ooch so wat Anziehendes, Freileinken!«

»Det wird sich bald ausjefreileint haben«, sagte Anna dann stets, »wer weeß, ob Se denn aba noch wiedakommen?«

»Erst recht, sonne junge Frau, die wird denn erst schön mollig, objleich Se det janich mehr nötich haben«, sagten die Schwerenöter unter den Gästen. Andere wollten Genaueres wissen: »Ja, wann is denn nu die Hochzeit, die janze Ackerstraße wartet und wartet, aba det zieht sich so in die Länge.«

Seit dem Besuche Tante Maries in Schöneberg, dessen Bedeutung alle gekannt hatten, waren die Redensarten allmählich anzüglicher geworden: »Wat lange währt, wird jut«, sagten die Leute und blinzelten sich zu, während sie beim Schanktisch standen und ihren Schnaps tranken. »Det is nich«, behaupteten andere und taten, als wüßten sie es besser und als hätte sie die »unterirdische Tante« besonders ins Vertrauen gezogen. »Willem soll erst noch 'n bißken wachsen, denn jeht's los, und denn wird allens doppelt nachjeholt, wat – Freilein!«

»Zabrecht eich man euern werten Deetz nich«, sagte dann Anna, »heite hat's doch keene Fifferlinge jejeben, det ihr so witzich seid! Habt ihr eich denn schonst ibalecht, wat ihr mia zu die Hochzeit schenkt? Seht mal in'n Spiegel, wat ihr nu for Jesichter macht, nu trinkt man noch 'n Korn, villeicht kommt ihr uff'n juten Jedanken. Aber sacht's man lieber erst, wat ihr koofen wollt, sonst krieje ick nachher wat doppelt und muß es umtauschen jehn.«

»'n Schloß«, schlug einer vor.

»Sie meenen ne Villa, wat?«

»Nee, eens zum Zuklappen, als Vaschluß für det Mundwerk!«

»Ach so – weil Sie Schlosser sind, denn werden Se wenichstens mal wat los!«

Wenn dann die anderen merkten, daß »gegen ihr« – wie sie sagten – »nich so jut anzukommen sei«, fingen sie mit Wilhelm an, der friedlich in einer Ecke saß und sich nützlich beschäftigte.

»Na – Herr Lemke, und Sie –? Imma fleißig beit Strimpestricken, wat?«

Wilhelm sah wohl auf, antwortete aber nicht, sondern schälte die Kartoffeln ruhig weiter.

»Aba siehste denn nich, er näht doch«, sagte dann ein anderer vorwurfsvoll.

»Ach so? Aba nu is die Aussteier wohl ooch bald fertich?«

»Haben Se sich schonst 'n Mirtenkranz besorcht, mein Onkel is Järtner, der läßt Ihn'n eenen janz billich ab, Herr Lemke!«

»Aber det is 'n offner?« erkundigte sich jemand teilnehmend.

»Det sieht man ja nich, wenn er jeschickt uff'n Kopp jesteckt wird.«

Und so ging die Stichelei unentwegt weiter, ohne daß Wilhelm aus der Ruhe kam. Wenn sie zu deutlich wurden, sagte er wohl: »Na – nu macht's man halweje mit eure Witze aus'n Hamburjer Millkasten«, und damit hatte er auf Stunden hinaus seine Beredsamkeit erschöpft.

Wenn das Brautpaar dann allein war, machte ihm Anna wohl Vorwürfe: »Willem, nimm's ma nich ibel – aba 'n bißken maulfaul biste, und wenn du dia deine Zunge nicht abschleifen willst – na, denn nimm doch mal so'n Bruda, trach'n de Treppe ruff und setz'n sanft uffs Flaster, so'n jroßer, strammer Mensch, als wie du, wird sich doch nich von sonne Buljongköppe intunken lassen!«

»Ach, mia macht et ja Spaß, ick laß ma bloß nischt merken«, sagte Wilhelm.

»Du bist eben 'n Jemietsmensch und kannst nischt for dein weeches Herz. Und wennste anders wärst, hätt ick dir villeicht janich so lieb, ick komm ma mit meine Jefiehle imma wie'n Sticke Mutta vor. Aba, Willem, schäl keene Kartoffeln mehr, wenn't eener sehen kann. Spül lieba Jläsa oda mach sonst wat Männlichet, denn ick ärjere mia, wenn se dia uffziehn!«

Ein paar Tage später, wieder nach solch einer Unterhaltung, sagte Tante Marie: »Wahr und wahaftjen Jott, ihr solltet nu aba ooch wirklich heiraten, denn det Hinjezoddele is wirklich nich mehr mit anzusehen. Uff wat wartet ihr denn eejentlich bloß – det ick sterbe? Du lieba Jott, ick vamach eich den janzen Krempel bei labundjen Leibe, werdet jlicklich damit, aba schmeißt ma nich raus. Ick bin schon froh, wenn ick meene Ruhe habe, denn seitdem det hia die ›untairdsche Tante‹ jeworden is, komm ick ma wie meen eejenet Jespenst vor und jraul ma vor ma selba!«


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