Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Nichts hatte sich verändert seit jenem Pfingstausflug. Wilhelm, der es damals kaum hatte erwarten können, daß man nach Hause kam, um dann seinem Herzen Luft zu machen, hatte kein Wort mehr über die Gondelfahrt verloren, hatte auch nicht, wie er zuerst gewollt, Herrn Hahn vor die Tür gesetzt, sondern war still und verschlossen ins Bett gekrochen.
Und am nächsten Morgen hatte er getan, als wüßte er von nichts mehr. Nur das stets ein wenig vorwurfsvolle Benehmen des Herrn Hahn, der es Herrn Lemke, wie er sagte, doch noch nicht ganz verzeihen konnte, daß er damals Anna vor der ganzen Gesellschaft kompromittiert hätte, erinnerte noch an den Pfingstausflug. Aber – im Laufe der Zeit – zeigte sich auch Herr Hahn nicht unversöhnlich, er trug Wilhelms Charakter Rechnung und ließ ihn die Aufwallung nicht länger entgelten.
Trotzdem fand der Klatsch immer neue Nahrung. Zu dem, was damals der Kutscher des Kremsers erzählt und was am nächsten Tag die ganze Ackerstraße wußte, kamen nach und nach die Beobachtungen, die die Portiersfrau machte. So hatte man immer Stoff, und man konnte darüber reden – morgens, in aller Frühe, wenn der Hausflur gescheuert wurde, nachher, wenn sich die Frauen beim Kaufmann trafen, oder abends, wenn man nach des Tages Last und Mühe vor der Haustür stand und noch ein bißchen frische Luft schnappte.
»Jott ja – entweda is der Mann blind und sieht nischt, oda« – die Portiersfrau zog die Schultern bis an die Ohrläppchen – »oda er will eben nischt sehen!« »Jlooben Se, det's sonne Männa wirklich jibt?« Die welterfahrene Portiersfrau sah die Fragerin mitleidig an, dann ließ sie sich herab, auch diesen törichten Einwurf zu beantworten. »Haben Se mal wat vons Jeschäftsinteresse jehört, Frau Kufahl? Nee? Na – Jeschäftsinteresse is, wenn eenen allet ejal is und man nur Jeld vadienen will! Wissen Se't nu?«
»Sind denn Lemkes so jieperich?«
Auch darüber wußte die Portiersfrau ganz genau Bescheid. »Se waren's nich, aba jetz sind se't – vastehn Se? Jeden Ersten zieht sich die Lemken ihre Samtmantillje an und jeht wech. Wohin jeht se? Nach de Sparkasse! Da packt se die Jroschen ab, und wat jlooben Se woll, wat da so zusammenkommt? Die Leite missen ja reich werden, die könnten sich jetz schon Ferd und Waren halten, wenn se wollten. Aba se tun's nich. Ins Jejenteil – wie looft der Mann rum! Sonntags und wochentags mit die ollen Kaschmirhosen, in Hemdsärmel mit die zalöcherte blaue Schirze vor. Na und sie – die Lemken! Du lieba Jott, wat hat se denn jroß anzuziehn außer ihr Schwarzet und, wie jesacht, die Samtmantillje, die man ooch schon hin is! Da je ick anners, wenn ick mia sonntags fein mache, da wird ick mia schenieren, mia mit die Lemken uff die Straße sehen ßu lassen!«
»Ick ooch!« sagte Frau Kufahl.
»Ick ooch!« stimmte nacheinander jede der Damen bei: »Nee, man muß wat uff seen Äußres jeben, sonst kommt man ins Jerede!«
»Aaba die Frau Lemken is det allens janz piepe, die lacht bloß, wenn man mal ne Andeitung macht!«
»Oda se wird jrob«, gab eine andere ihre Erfahrung zum besten.
»Wat wollen Se denn ooch – det is doch ne janz unjebild'te Frau, wo soll't denn da herkommen? Budikers – ick bitt Se – wenn se sich ooch hundertmal ›Restaurateurs‹ nennen, det ändert doch nischt!«
»Un dabei hat ihr der Ha Hahn in die Mache und bringt se den juten Ton bei!«
»Wat dabei rauskommt, sieht man ja«, sagte die Portiersfrau und spuckte aus. »Wat noch keener weeß und noch keene jesehen hat – ick weeß et! Ick laß ma meene Oogen in'n Kopp nich blind machen, kieken Se sich die Frau Lemken mal janz jenau an, wenn Se se ßu sehn kriejen, und denn saren Se, ob ick nich recht hab, wenn ick behaupte, det da bald wieda wat Kleenet ankommen wird!«
Die Portiersfrau konnte mit dem Effekt, den diese Mitteilung machte, zufrieden sein.
»Ja –«, sagte sie und spuckte noch mal aus, »ne Schande is's!«
»Du lieba Jott, du lieba Jott, wat wird denn nu der Mann ßu saren?«
»Woso – der Mann?« sagte die Portiersfrau. »Ha' ick etwa jesacht, det er nich der Vata is? Da muß ick doch recht sehr bitten. Wenn ick iberhaupt wat jesacht hab, denn ha' ick nur jesacht, det bei Lemkes bald wieda der Klapperstorch kommen wird, weiter nischt, det können Se mia vor Jericht bezeijen. Denn mit die Frau muß man sich vorsehn, die hängt eenen eenes scheenen Tares wat an, und man weeß nich, wie man ßu kommt. Sehn Se sich also ooch vor, eh Se sich wat inbrocken. Und nu muß ick wieda an die Arbeet jehen und sehn, det ma det Essen nich anbrennt – adje!« – – –
»Diese vadammten Klatschweiba«, pflegte Tante Marie zu sagen, wenn ihr wieder einmal eine gehässige Äußerung zugetragen wurde, »det Scheenste an die janze Sache is, det ooch nich een eenz'jes Wort dran wahr is. Jlooben Se, sonst wird ick ßu schweijen?«
Aber wenn sie dann in den Keller stieg, war das erste, was sie nach der Begrüßung sagte: »Se sprechen iber dia, Anna, du mußt da wat machen, det det Jerede wieda uffhört. Ick vasteh dia ooch wahaftjen Jott nich!«
»Aba so laß se doch, wenn se't Spaß macht«, sagte Anna lachend. »Et is ßu komisch, wie een'n die Menschheet die jrößten Jemeinheiten zutraut – aba bloß hintan Ricken. Von vorne möchten ma die Leite weeß Jott wat. Und du, Tante, wennste ma ooch vateidichst, janz und jar trauste ma doch nich – du denkst, wat wird schon dran sind – aba't is nischt dran, wahaftjen Jott, ick will jleich umfallen und dot sind, wenn wat wahret dran is!« »Anna – denn beantworte ma eene Frage: Wa'm schmeißte den Kerl nich raus?« fragte Tante Marie.
»Weil et jetz – bei diese Umstände – erst recht vadächtich aussieht. Wenn's nich det wär, wird mia die Sorte wat anneres anhängen. Denn det is der Neid, der jelbe, jriene Neid, weil's uns nich schlecht jeht. Denn det is doch imma so, Tante, haste det noch nich jemorken! Jeht's eenen dreckich, denn kommen die Leite mit abjelechte Hosen und zaplatzte Stiebeln oder mit'n Kanten Brot und drängeln eenen det uff und valangen, det man se for Wohltäta hält. Det is det sojenannte Mitleid und det berihmte jute Herz! Hat man det aba nich nötich, denn fallen se wie die Krähen iber een her und hacken eenen de Oogen aus!«
»Det stimmt«, sagte Wilhelm, der mit philosophischer Ruhe das Gespräch angehört hatte.
»Ja – du«, sagte Anna, »wenn du nich so'n Schlappschwanz wärst, aba dia jeht det allens nischt an!«
»Nee – woso denn ooch«, sagte Wilhelm, »ick hab doch keen Anlaß! Du sachst doch selba, et is man bloß Jeklatsch, und davor kann sich doch keener schitzen.«
»Na –«, sagte Anna, »wenn ick'n Mann wär, denn wird ick dazwischenfahren, det man allens so kracht!«
»Du machst man imma: ›Kß, kß – faß det Kätzken‹, aba selba tuste nischt, det det Jerede uffhört. Ick an deene Stelle wißte ja, wat ick ßu tun hätte!«
»Na, wer is denn Herr int Hau«!« sagte Anna gereizt.
»Zankt eich nich«, suchte Tante Marie zu beruhigen. »Wenn man eich ßuhört, denn weeß imma eener, wat er an den annern seene Stelle täte. Die Hauptsache is doch, det ihr beede inseht, det det nich mehr so weitajehn kann. Nu mißt ihr eich in Ruhe und Frieden iberlejen, wat ihr machen wollt. Ihr habt so jlicklich jelebt, aba seitdem der vadammte Klimpakasten da is – is allens wie vahext. Hättet ihr man lieba een Biljard jekooft. Schon wie det Jejröle damals mit den Jesangvaein anjing, hat mia nischt Jutet jeschwant. Die Mieter habn sich wejen nächtliche Ruhestörung beschwert, und wat war die Folje von: Der Wirt hat eich jesteigert!«
»Mia soll et recht sind, haun wa doch die janze Drahtkommode kurz und kleen und kochen wa uns Kaffee von«, sagte Anna.
»Nee – Tante Liese kann se koofen und sich in die jute Stube stellen. Die is ja imma so für det Feine – wenn se ooch nich spielen kann –«, schlug Tante Marie vor.
»Villeicht kooft se Herr Hahn mit, ick laß ihn billich ab – for sechs Dreier, wenn se will: ooch janz umsonst!« meinte Wilhelm.
»Na – denn zieh dia de Stiebeln an, Willem, und jeh los, jetz bist du am dransten!«
»Meenste det wirklich ...?«
»Mach dia aba 'n bißken proppa, Willem«, sagte sie, ohne seine Frage zu beachten. »Zieh dia ne Weste an, wo det Schemisett nich so vorkrauchen kann und man nachher det bekleckerte Hemd drunter sieht.«
»Tante Liese wird mia rausschmeißen«, sagte er, »ick weeß ja janich, wie ick ihr det beibringen soll!«
»Tante Marie, jeh du mit«, sagte Anna, »sonst wird det ja doch vakehrt. Du kannst ja so bleiben wie de bist, nur 'n paar neie Watteproppen wird ick mia in die Ohrn stecken; die du da drinne ßu sitzen hast, sind schon 'n bißken unansehnlich jeworden. Wie jeht's denn iberhaupt mit dein Reißmatichtich?«
»Schlecht, seit die vadammte Landpartie ha' ick 'n Knacks wech! Mal sitz's ins Kreiz, mal in'n Kopp, mal in die Beene, wie sich's trefft. In'n Kopp is aba am schlimmsten, besonders in de Ohrn. Aba ick jloobe ooch, det wird am besten sind, ick jehe mit. Mach dia aba zarechte, Wilhelm, ick jeh bloß ruff und hol mir meen Hut!«
*
Und dann war Tante Marie mit Wilhelm fortgegangen, und Anna hatte die Zwischenzeit benutzt, um in dem »Vereinszimmer« gründlich sauber zu machen. Die Sachen des Herrn Hahn, die Kragen, Pomadentöpfchen und Notenhefte wurden zusammengepackt. Dann – als Anna das Paket schnüren wollte – fiel ihr etwas ein. Sie holte noch eine Schlackwurst, die sie zwischen die Sachen steckte, und nun zog sie die Schnur an und sagte: »So – det wär ooch jemacht!«
Als Herr Hahn, der jetzt erst immer in den Abendstunden zu kommen pflegte, den Schankraum betrat, fand er sein Bündel geschnürt.
»Also – das ist das Ende«, sagte er.
»Ja – et muß sind, Ha Hahn, Se habn mia ins Jerede jebracht!«
»Das ist der Fluch, der auf mir lastet«, sagte er, »ich werde immer für einen Don Juan gehalten werden, und dabei wollte ich nur in geordneten Verhältnissen leben!«
»Ick weeß ja, aba ick hab Ihnen ooch noch wat Eßbaret injepackt«, tröstete ihn Anna.
»Ich habe es mir schon gedacht«, sagte er gerührt, aber – sich einen Ruck gebend – setzte er hinzu: »So leben Sie wohl, Frau Lemke, Sie haben es gut mit mir gemeint, und grüßen Sie Ihren Mann und Tante Marie und den kleinen Edwin!«
»Machen Se's jut, Ha Hahn«, sagte Anna und wandte sich ab, um ihre Bewegung zu verbergen.
Ein paar Stunden später kamen Tante Marie und Wilhelm zurück, und aus dem, was sie erzählten, ging hervor, daß sich Tante Liese durch das Anerbieten geschmeichelt gefühlt hatte.
»Ja, se war mechtich jebumfiedelt«, sagte Tante Marie, »hat mia jleich een Mittel jejen meen Koppreißen jejeben, echten orjentalschen Balsam aus Gerusalem, und denn hat se Schnecken holen lassen und Kaffee jekocht, objleich de Kaffeezeit doch längst voriber jewesen is!«
»Ja – will se't denn nu koofen?« fragte Anna, »denn det wär ja nu jemeen, wo ick inzwischen den Ha'n Hahn rausjejrault habe!«
»Der is wirklich so jejangen?« Tante Marie und Wilhelm sahen sie erstaunt an.
»So'n feina, jebildta Mensch«, sagte Anna, »der läßt sich doch so wat nich bieten. Ick hab bloß een' Ton jesacht, wech war er!«
»Der hat wahrscheinlich schon längst wat anners in petto jehabt«, sagte Tante Marie, »und morjen kommt Onkel Aujust mit'n Sachvaständjen und bejutachtet det Klavier!«