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XVII

Der Hauslehrer

Am nächsten Tag – gerade um die Kaffeezeit – tauchte in Wilhelm Lemkes Gartenlokal ein junger Mann mit einem schwarzen Bratenrock und goldener Brille auf. Er schien etwas schüchterner Natur zu sein – blieb am Eingang stehen – nahm die Brille ab, hauchte darauf und putzte sie dann mit einem Taschentuch, das er nachher sorgfältig wieder in kleine Quadrate faltete.

»Wat is denn det for'n Sticke Unjlick«, fragte Frau Lemke, »der macht ja so'n sparsamen Indruck!«

»Det wird der Nachhilfestundenlehra sind –«, sagte Herr Lemke.

»Du hast recht, Willem – er steuert ufft Haus zu, laß'n man, wollen ma' sehen, ob er uns find't!«

Aber der junge Mann bemerkte das Ehepaar nicht, das am Kaffeetisch hinter dem Fliederstrauch saß – ging ins Haus hinein und kam nicht wieder zum Vorschein.

»Da muß man doch mal jehen und nachsehen«, sagte Herr Lemke beunruhigt, »er kann sich ja wo injeklemmt haben!«

Gerade als sich Herr Lemke aber erhob, tauchte Minnas kräftige Gestalt im Türrahmen auf und zeigte mit einer halbgeputzten Bratpfanne auf Frau Lemke: »Na da sitzt se doch und der Herr is ooch bei – –«, sagte sie verdrießlich.

»Ich danke sehr, mein Fräulein«, sagte der junge Mann, zwängte sich an Minna vorbei und näherte sich entschlossen dem Ehepaar, wobei er den Hut abnahm, grüßte, den Hut aufsetzte und dann wieder abnahm.

»Ju'n Tach – ju'n Tach –«, sagte Frau Lemke wohlwollend.

»Ich habe wohl die Ehre mit Herrn und Frau Restaurateur Lemke? Ich komme mit einer Empfehlung von Herrn Doktor Barth und auf dieses Schreiben hier – das mir gestern zuging. Mein Name ist Anton Fiedler, cand. phil. «

»Ach so –«, sagte Herr Lemke, »na, denn sprechen Se man mit meene Jattin, die kennt die Schohse bessa.« Und man merkte es Herrn Lemke an, daß es ihm sehr lieb war, verschwinden zu können.

»Bitte, setzen Se sich doch, Herr Kandedat – oda wie sacht man zu Sie, ick kann det nich so kleen aussprechen, wie det hia uff die Fisitenkarte steht –«, sagte Frau Lemke und zeigte auf das »cand. phil. «

»Kandidat der Philologie«, sagte der Herr.

»Nee, det is mia zu lang – Herr Anton Fiedler«, meinte Frau Lemke kopfschüttelnd, »aba nu wollen wia uns nich so lange bei die Anfangsjrinde uffhalten, Se kommen wejen unsen Edwin?«

»Herr Doktor Barth sagte mir, Sie würden mich damit betrauen, Ihrem Sohn Sprachunterricht zu erteilen –«, sagte Herr Fiedler.

»Also – uff deitsch – Se kommen wejen Edwin. Wenn Sie det so vaquaast saren, wird det nachher een eenzjet jroßet Mißvaständnis«, bemerkte Frau Lemke warnend, »wia sind doch unta uns und brauchen keen Blatt for'n Mund zu nehmen!«

Herr Fiedler blickte etwas ratlos umher und schien es zu bereuen, diesen Besuch gemacht zu haben.

»Und wat soll det nu kosten?« fragte Frau Lemke. »Se scheinen 'n bißken schichtern zu sind, Herr Anton Fiedler, schenieren Se sich nich, reden Se dreiste wech von die Lunge und die Leba.«

Herr Fiedler war blutrot geworden, nun entfaltete er sein Taschentuch und fuhr sich über die feuchte Stirn: »Ich würde die Honorarbestimmung der gnädigen Frau überlassen«, sagte er gepreßt.

»Warten Se ma', ick muß mia det erst imma klarmachen«, sagte Frau Lemke, »man merkt et ja jleich in die ersten fimf Minuten, det Sie Sprachlehra sind. Et hört sich allens wie jedruckt an. Wia haben een Vawandten, der unse Tante Marie jeheiratet hat – den Herrn Krause – kennen Se woll aba nich?«

»Nein«, sagte Herr Fiedler.

»Mit den mißten Se sich mal untahalten, der sprecht ooch sehr jebildet. Er hat mia mal ne Zeitlang allerlei beijebracht, aba ick hab et wieda vajessen. Da muß man in die Ibung bleiben, sonst is det nischt!«

Herr Fiedler machte eine zustimmende Verbeugung.

»Und dann hatten wia mal eenen Klavierlehra, der sprach woll noch feiner wie Sie. Der hatte janz merkwirdje Ausdricke. Wenn der Kirschkompott saren wollte, sagte er imma Kirschkompoh, und statts Beene sagte er imma Pedale – ibahaupt, det war een janz sonderbara Mensch – Hahn hieß er – haben ihn woll ooch nich jekannt?«

»Nein«, sagte Herr Fiedler.

»Se haben woll ibahaupt wenich Umjang mit Menschen jehabt?« erkundigte sich Frau Lemke teilnahmsvoll.

Der junge Mann sah sie verwirrt an und rückte unruhig auf seinem Stuhl.

»Ick meene bloß – weil Se so'n jekniggten Indruck machen – jekniggt mit'n weichen G, weil et von Knigge kommt, aba det vastehen Se woll nich – ick ooch nich –, Herr Krause macht manchmal sonne faulen Witze –«, tröstete Frau Lemke. Mit einem mütterlich-wohlwollenden Blick die schmächtige Gestalt des jungen Mannes umfassend, setzte sie dann hinzu: »Der Herr Hahn hatte imma mächtjen Hunga – derf ick Se villeicht ooch ne scheene Schinkenstulle vorsetzen – können ooch Schweinebraten kriejen!«

»Ich danke sehr«, sagte Herr Fiedler.

»Na, dann trinken Se wenichstens ne Tasse Kaffee – Hunga werden Se nachher schon kriejen.«

»Wenn Sie gestatten, sehr gern. Ich hätte nur vorher gern gewußt, welches die Bedingungen sind, unter denen ich mit dem Unterricht betraut würde! Ich erlaube mir, darauf aufmerksam zu machen, daß das Stundengeben meine Einnahmequelle ausmacht ...«

Frau Lemke legte ihm die Hand auf die Schulter: »For umsonst sollen Se't ooch nich machen, Herr Fiedler, und die Schinkenstulle und die Tasse Kaffee sollen keene Bezahlung nich sind. Stellen Se man Ihre Bedingungen, fordern Se jetrost, wat Se zu fordern haben, und denn seien Se vasichert, denn leje ick noch wat druff!«

»Gnäd'ge Frau sind sehr gütig ...«

»Und denn saren Se nich mehr jnädje Frau – det paßt nich recht – for jütig können Se mia halten, det bin ick, da will ick nischt jejen saren ...«

Herr Anton Fiedler verbeugte sich und sah Frau Lemke dankbar an.

»Se werden sich bei uns schon wohlfiehlen, passen Se mal uff, in'n halben Jahr können Se den Rock vorne nich mehr zuknöppen, so ville Fett haben Se anjesetzt!«

»Das wäre nicht gut«, versuchte Herr Fiedler einen etwas freieren und scherzhaften Ton anzuschlagen, »da müßte ich mir einen neuen machen lassen ...«

»Und det wirde nich schaden. Der Kraren is schon 'n bißken speckich – hinten – wo die Haare druffstoßen«, sagte Frau Lemke.

Der junge Mann wurde sofort wieder bedrückt und sah unruhig umher. »Könnte ich jetzt vielleicht die Bekanntschaft meines Schülers machen?« fragte er.

»Det können Se! – Edwin – Eed–wien –!« rief Frau Lemke in den Garten. »Der Bengel hat sich vastochen – na, denn werd ick ihn mal suchen jehen!«


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