Rudolf Gottschall
Im Banne des Schwarzen Adlers
Rudolf Gottschall

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Zehntes Kapitel.

Der krumme Lorenz.

Es war am frühen Morgen des zehnten August; die Sonne vergoldete kaum die obersten Giebelfenster der hohen Häuser am Ring und die Wetterhähne der Kirchthürme, als in den Straßen der guten Stadt Breslau bereits ein unruhiges Leben herrschte. Die Trommel wurde gerührt, die Bürgersoldaten eilten auf ihre Sammelplätze in ihren verschiedenen »Liewerenzen,« wie sie damals genannt wurden: die Schwarzen und Weißen vom Oderviertel, die Weißen und Rothen vom Neumarkt, und an den wichtigen Mienen und dem kriegerischen Einherschreiten der tapferen Soldaten bemerkte man, daß heute ein Ehrentag für sie war.

Doctor Salomon gehörte sonst nicht zu den Naturfreunden, welche bei frühen Morgenspaziergängen dem Gesang der Lerche zu lauschen pflegten; heute aber sah man die kleine Gestalt wie einen verspäteten 228 Kobold der Nacht schon in aller Frühe durch die Straßen huschen. An einer Ecke traf er mit dem parfümduftigen Beischuster zusammen, der schon in aller modischen Zierlichkeit erschien. Beide grüßten sich mit geheimnißvollem Lächeln, wie die römischen Auguren, doch konnten beide eine gewisse Aufregung nicht verbergen.

»Folgen wir hier den Gelben und Blauen,« sagte der Doctor, »sie ziehen zum Nicolaithore, dort beginnt der Tanz.«

»Wie stattlich sie einherschreiten,« meinte der Schuster, der mit gnädigem Kopfnicken die Grüße erwiderte, die ihm aus den Reihen der Vorübermarschirenden mehr oder weniger soldatisch zugewinkt und zugerufen wurden.

»Mit vollem Recht,« sagte der Doctor, sich vergnügt die Hände reibend, »sie haben noch nie in so großartiger Weise ihr jus praesidii ausgeübt. Heute geleiten sie preußische Truppen durch die Stadt; die siegreichen Truppen von Mollwitz werden wie Strafgefangene von unseren Bürgercompagnien escortirt! Da soll ihnen nicht der Kamm schwellen?«

»Wenn's nur gelingt,« meinte der Schuster flüsternd.

»Dafür laß Gott und Friedrich sorgen,« sagte der Doctor.

229 Da kam der Perückenmacher Nehrlich um die Ecke gesaust, um einen frühen Kunden zu bedienen. Alles flog und flatterte um ihn; er war der geborene Schnellläufer. Ein Neuigkeitskrämer, wie alle Genossen seiner Zunft, hatte er die Eigenthümlichkeit, Alles halb und falsch zu hören und so weiter zu verbreiten; man nannte ihn den »Märchenerzähler« von Breslau. Dabei gehörte er zu den preußisch Gesinnten und zu den Freunden des Beischusters. Die heutigen Vorgänge aber waren ihm ein Geheimniß und er war überglücklich jetzt, wo es noch nicht zu spät war, an der besten Quelle schöpfen zu können, um dann eine Fluth von Neuigkeiten seinen Kunden ins Gesicht zu spritzen, während er ihre Toupé's in Ordnung brachte.

»Was giebt's? Was ist geschehen?« fragte er Döblin, indem er an ihm vorbeischoß, alsbald aber seiner durchgehenden Hast in die Zügel fiel und zurückkehrte, um eine Antwort zu erlangen.

»Lieber Nehrlich,« sagte der Schuster, »das muß ich Dir gründlich auseinandersetzen,« und er dehnte die Worte mit unverkennbarer Schadenfreude, um den Sausewind, der zwischen seiner Neugierde und seiner Eilfertigkeit einen peinlichen Kampf bestand, noch länger auf die Folter zu spannen.

230 »Nur schnell, nur rasch,« sagte der Haarkünstler hin und her trippelnd.

»Es ist gestern,« erklärte Döblin, »dem hohen Rath die Kunde zugekommen, daß heute mehrere Bataillone preußischer Truppen durch die Stadt marschiren werden, und zwar schon um sechs Uhr vom Nicolaithore aus. Der hohe Rath hat die Bürgerwehr mobil gemacht, um diese Truppen, nach dem zustehenden Rechte der Stadt, von einem Thore zum anderen zu geleiten: Alles nach Recht und Ordnung und nach den bestehenden Verträgen.«

»Ja, ja, wir sind eine neutrale Stadt,« meinte der Perückenmacher.

»Und doch ist es sehr schwierig, neutral zu sein,« sagte der kleine Doctor tiefsinnig, »man kann nicht nach beiden Seiten zugleich Complimente machen, ohne der einen den Rücken zuzukehren.«

»Sehr wahr, sehr richtig! Also die Oesterreicher rücken in die Stadt,« rief der Perückenmacher, indem er mit dieser wichtigen Nachricht davonflog, wie eine gescheuchte Taube.

»Die Preußen, nicht die Oesterreicher,« rief ihm der pockennarbige Döblin nach mit der Kraft, zu der er seine Stimme in Volksversammlungen zu steigern wußte.

Wie der Blitz war Nehrlich wieder zurückgeflogen.

231 »Und der Syndikus Gutzmar ist doch wieder zurück?«

»Der Syndikus?« sagte der kleine Doctor, indem er auf jeder Silbe den Ton mit einem gewissen Behagen ruhen ließ, »so wißt Ihr nicht . . .«

»Nichts weiß ich, nichts weiß ich,« rief Nehrlich hastig aus, »erzählt, erzählt!«

»Er ist verhaftet!«

»Verhaftet? Wo, wie, wann, weshalb?« sprudelte der erstaunte Perückenmacher hervor.

»Wie Ihr wißt, hat ihn der König nach Strehlen in's Lager rufen lassen. Gutzmar erschien mit seiner gewohnten Sicherheit und Erhabenheit, wurde aber nicht wieder freigelassen. Es ist dringender Verdacht vorhanden, daß er sich mit den Oesterreichern in geheime und verrätherische Verhandlungen eingelassen hat.«

»Gutzmar verhaftet und gewiß schon hingerichtet, gewiß,« rief der phantasievolle Märchenerzähler, »das ist gar nicht anders möglich! Hochverrath, natürlich, Hochverrath!«

Und die große Kunde beflügelte seine Schritte; er konnte es kaum erwarten, bis er sein erstes Opfer im Pudermantel damit überraschte.

Die beiden Freunde folgten indeß dem Trommelschlag der Bürgercompagnien nach dem Nicolaithor, 232 wo die Gelben und Blauen von den Gelben und Schwarzen begrüßt wurden, welche dort die Wache hatten. Das Alles hatte ein recht kriegerisches Ansehen, und auch das Nicolaithor war eine starke Schutzwehr der Stadt. Wer von außen über die lange Brücke und den breiten Graben kam, dem sah es stattlich entgegen, zwischen dem runden Thorthurm und dem hochragenden Gefängniß, während der Blick links auf die Masten der Oder fiel. Ueber dem Thore selbst war das Leiden Christi in Stein angebracht, rechts ein Löwe, links ein Adler.

Der kleine Doctor hatte sich mit dem Genossen auf die gepflasterte Brücke hinausgeschlichen; ihm ließ es keine Ruhe, er wollte von den Ereignissen gleichsam den obersten Schaum abschöpfen. Er hatte die Genugthuung, den Stadthauptmann von Wuttgenau mit jugendlichem Feuer vorübersprengen zu sehen, auf einem Schimmel, welcher mit dem Mollwitzer eine große Aehnlichkeit hatte.

»Da reitet das jus praesidii,« sagte der boshafte Doctor, »wenn es nur nicht den Hals bricht!«

»Er reitet offenbar den Preußen entgegen,« meinte Döblin, »um sie schon draußen zu begrüßen.«

»Der Brief hat seine Schuldigkeit gethan,« sagte Morgenstern, »das reizende Mädchen, diese Agnes von Walmoden – wahrhaftig, ich kümmere mich 233 nicht viel um die Schönheiten, alle Straßen sind ja damit gepflastert, und es ist mir ganz gleichgültig, ob sie die Nase wie einen accent aigu, oder den Mund wie einen accent circonflexe im Gesicht tragen. Im Grunde ist Alles Geschmacksache und in der Nacht sind alle Katzen grau. Und für die Liebe ist's immer Nacht und die Nacht ist ihr auch am liebsten. Doch ein Mädchen, das soviel für unsere gute Sache gethan hat und dabei so mollig aussieht, wie ein sammetweicher, rosa angehauchter Pfirsich . . . .«

»Du schwärmst,« warf Döblin ein, mit einem mitleidigen Blick auf die Gestalt des Freundes, welche im Atelier der Natur verunglückt war; er schien eine Schwärmerei zu bedauern, die doch unter keinen Umständen erwiedert werden konnte.

»Soll ich nicht für ein Mädchen schwärmen, das sich so kühn in das feindliche Lager wagt und unserer Sache einen so großen Dienst leistet? Und wenn sie aussieht wie eine Nachteule . . . nun ist sie aber ein junges hübsches Kind und so recht zum Küssen geschaffen.«

»Doctor,« rief Döblin mit warnend erhobenem Zeigefinger.

»Der König muß ihr Bild in Gold fassen und über seinen Schreibtisch hängen,« fuhr Morgenstern unbeirrt fort; »denn ihr verdankt er ebensoviel, wie 234 seinen besten Generalen. Er handelt, wie er mußte; ich dachte mir gleich, so muß es kommen, der gute Friedrich ist ein großer Mann: er ist im Handeln so logisch, wie ich im Denken, und das ist die Probe.«

Trommelschlag kündete die Annäherung der Preußen und ersparte dem Beischuster eine etwas spöttische Bemerkung, welche er der Selbstschätzung des kleinen Doctors widmen wollte. Dieser tanzte wie ein tollgewordener Alp auf der Brücke hin und her und rief: »Hat's hier ein Pentagramm an der Schwelle, so braucht es kein Rattenzahn zu benagen; denn sind die Preußen erst drinnen, so wollen sie nicht mehr hinaus! Hokuspokus! Was wollen der Leu und der Adler dort auf dem Thor? Sie sind der Menagerie des Stadtwappens entsprungen; bisher spöttische Symbole dieser guten Stadt, denn von dem Leuen und dem Adler ist nur der Käfig übrig geblieben. Jetzt kommt der rechte Löwe und der rechte Bär. Dum, dum, dum!«

Und der kleine Doctor schlug hinundherspringend mit den Händen wie mit Schlägeln und wirbelte in den Lüften, während der Trommelschlag der Preußen immer näher kam.

»Heiliger Laurentius!« fuhr er fort, »heute ist Dein Ehrentag! Wie gleicht Dir diese alte Stadt! 235 Du wurdest festgenommen, weil Du Deine Schätze nicht ausliefern wolltest! Und so geht es ihr auch; doch ich kenne meine Preußen! Sie wird nicht wie Du an einem langsamen Feuer gebraten werden! Dazu ist ihre Bedienung zu prompt!«

Jetzt sprang der Doctor durch das Thor in die Stadt; denn die Brücke dröhnte bereits von dem Anmarsch der preußischen Grenadiere. Voran ritt der Commandeur, neben ihm Wuttgenau; er sprengte voraus und stellte sich an die Spitze der Gelben und Blauen, welche den Zug eröffneten; ihnen folgten die Offizierspferde, um den Zug zu verlängern und der vorausschreitenden Escorte die Menge der folgenden Bataillone zu verbergen, und dann kamen die Grenadiere, dichtgedrängt, sechszehn Mann in einem Gliede, damit ihre Zahl nicht verdächtig groß erscheine.

Wuttgenau ritt, im vollen Gefühl seiner Würde, an der Spitze des Zuges und ließ seinen blanken Säbel in der Morgensonne funkeln.

Kaum waren einige Compagnien in der Stadt, als die nächstfolgenden sich auf die Thorwache stürzten und sie entwaffneten. Gleichzeitig sprengten Nassauer Dragoner in die Stadt. Die Bürgercompagnien, welche den Zug schließen sollten, wurden von ihnen mit geschwungenem Säbel in die Flucht gejagt.

236 Schon waren die preußischen Grenadiere auf die Wälle gedrungen und rückten dort gegen das Schweidnitzer Thor vor.

Wuttgenau ritt immer muthig vorwärts mit seinem funkelnden Säbel; er hielt ja die Ehre der Stadt aufrecht, er führte preußische Bataillone durch die Straßen; sein Auge blitzte vor gerechtem Stolz.

Da – war es ein Traum! Preußische Reiter kamen ihm entgegen; dort am Kirchhof von St. Elisabeth tauchten preußische Infanteristen auf! Auch durch die andern Thore mußten Preußen eingedrungen sein. Er sah sich um und erblickte seine tapfere Miliz und die Offizierspferde; aber von preußischen Grenadieren war nichts zu sehen.

Von fernher aber tönte Kriegsmusik und das Rasseln der Kanonen dröhnte durch die Straßen; überall die Preußen, nur nicht hinter ihm. Er wandte sein Pferd! Da sprengte ein Adjutant an ihn heran und befahl ihm, zum Erbprinzen von Dessau auf den Ring zu reiten.

Der Stadtmajor gehorchte!

»Durchlaucht haben wohl des Weges verfehlt,« sagte er zu dem jugendlichen Prinzen.

»Wohl möglich,« erwiderte dieser, »wir wollen lieber zum Sandthor als zum Oderthor hinaus.«

237 »Ihren Degen, Stadtmajor!« rief es mit barscher Stimme hinter Wuttgenau.

Dieser drehte sich um und sah in das würdige Antlitz des Siegers von Mollwitz. Feldmarschall Schwerin gebot ihm, sich in sein Quartier zu begeben; der Stadtmajor folgte, ganz bestürzt über die unverhoffte Wendung des preußischen Durchmarsches.

Der kleine Doctor und Döblin hatten sich auf dem Ring eingefunden, der jetzt zum Mittelpunkt der Ereignisse geworden war. Die Preußen hatten sich der Rathhauswache bemächtigt; geladene Kanonen waren überall aufgepflanzt und bestrichen alle auf den Ring ausmündenden Hauptstraßen; auf dem Salzring standen dichtgedrängt die Bataillone mit blitzenden Gewehren und die Nassauer Dragoner mit funkelnden Säbeln.

»Köstlich, herrlich!« rief Morgenstern, »über Erwarten ist Alles gelungen. Wie viele Widder und Sturmböcke brauchte der Städtezertrümmerer Demetrius seligen Andenkens, und wie bequem hat's der Städteeroberer Friedrich! Es bedurfte nur einer einzigen Ohrfeige, wie mir eben erzählt wurde, und Breslau ist sein.«

»Einer Ohrfeige?« fragte Döblin.

»Ja, während Du durch das Gedränge von meiner Seite gekommen warst, theilte mir der 238 Zunftälteste der Kürschner mit, daß am Ohlauerthor ein preußischer Offizier einem Bürgersoldaten, der die Zugbrücke in die Höhe ziehen wollte, um das Nachdrängen der Bataillone zu verhindern, eine Ohrfeige gegeben habe, worauf dieser von seinem kühnen Unternehmen abstand. Das ist die einzige Gewaltthat; die Waffen haben die Herren alle ganz gutwillig abgegeben.«

»Sieh nur,« sagte Döblin, »da kommen schon einige Rathsherren, sie schreiten sehr feierlich einher mit gesenktem Haupte und betrachten mit einem Gefühl von stiller Ehrfurcht die Mündungen der Kanonen.«

»Ultima ratio regum!« declamirte der kleine Doctor. »Schwerin hat sie alle und auch die Zunftältesten auf das Rathhaus befohlen, wo sie dem Könige von Preußen huldigen sollen. Und keiner wird sich weigern, sie werden alle mit Vergnügen die Brandenburger Hosen anziehen, das Bild der Maria Theresia in die Rumpelkammer werfen und König Friedrich an ihre Stelle hängen. Das fait accompli ist alles in der Welt, lieber Freund! Und wenn es noch so nackt ist, es wird ihm hinterdrein ein Mäntelchen umgeworfen. Alles beugt vor ihm das Knie und küßt ihm die Hand! Thatsachen, Thatsachen zu schaffen ist die Hauptsache; das beweiskräftige 239 Völkerrecht kommt hinterdrein, und die galante Diplomatie macht ihm die schönsten Complimente. Da kommt schon wieder ein Rathsherr, ein Ritter von der traurigen Gestalt, welcher das fait accompli liebkost, wie die Hexe den Bock auf dem Blocksberg. Es lebe das fait accompli!«

So rief der Doctor, indem er sich wie ein Kreisel herumdrehte, dem Rathsherrn Reiter zu, der mit allen seinen Stadtschlüsseln jetzt vergeblich rasselte.

»Du bist toll geworden,« rief Döblin.

»Vor Freude,« erwiderte Morgenstern athemlos.

»Doch Deine Reden können auch anders ausgelegt werden,« sagte der Schuster, »man kann glauben, daß Du die Preußen verhöhnst.«

»Mein lieber Freund,« erwiderte Morgenstern, »der König mußte mit einem Handstreich den Oesterreichern zuvorkommen oder er wäre ein Stümper gewesen in Kriegführung und Politik und hätte sich von Macchiavelli das Schulgeld müssen zurückgeben lassen. Das ist alles in der Ordnung! Doch diese wackeren Rathsherren, die jetzt so kläglich zu Kreuze kriechen und so devotest huldigen werden, und die auf einmal gar keine Ueberzeugung mehr haben, als diejenige, welche ihnen durch die unwidersprechliche Logik der Kanonen dictirt wird, diese Zappelmännchen machen mir einen köstlichen Spaß. Mit der Herrlichkeit eines 240 hohen Rathes ist es am Ende und er kann sich feierlichst selbst begraben, wie weiland Kaiser Karl V. im Kloster von St. Just.«

Feldmarschall Schwerin hatte in der That die Rathsherren und die Zunftältesten in den Fürstensaal des Rathhauses berufen! Warum deckte kein Flor die Bilder der Machthaber der Stadt, der Landeshauptleute von Breslau? Sahen sie nicht finster und traurig von den Wänden hernieder; besonders finster jener Heinrich Domnik, welcher sein Haupt auf den Block legen mußte? Droht nicht dem Syndikus ein gleiches Schicksal? Diesem, weil er der Stadt Gerechtsame einem König gegenüber wahren wollte, während jenen das Verhängniß ereilte, weil er im Dienste eines Königs diese Gerechtsame in den Staub getreten hatte. Und sieht nicht hohnlachend oben vom Scheitel der Querrippen die Fratzenmaske herab auf diese Versammlung von Leidtragenden, welche die Freiheit Breslaus beerdigen und dabei aus Furcht vor den Kanonen noch ein wohlwollendes Lächeln auf ihre Lippen zaubern? Nur der Onkel von Agnes, der Rathsherr von Sommersberg, zeigte eine ungezwungene Freude, als sich die langgehegten Wünsche seines Herzens verwirklichten. Der würdige Schwerin, der alsbald in den Rathssaal trat, hatte wenig Sinn für die schauspielerische Bedeutung der großen Haupt- 241 und Staatsactionen, die sich nicht auf dem Schlachtfelde abspielten; er machte dergleichen ganz nüchtern und geschäftsmäßig ab; denn es erschien ihm nur als eine Art von Berloque, die an der Uhr bammelte, welche bereits die richtige Stunde geschlagen hatte. Nach der glücklichen Besetzung von Breslau galt ihm die Huldigung des Rathes nur für ein leeres Ceremoniell. Irgend welche Scrupel machte sich der fromme Feldmarschall nicht über die Kriegslist, mit der man Breslau erobert hatte; er stand mit seinem Gott auf einem guten Fuße und zweifelte nicht, daß derselbe alles billige, was für den König von Preußen geschehe. Sein Gott war ein preußischer Gott, als solcher eine feste Burg, eine gute Wehr und Waffen, und sein Sinai ein gutversehener Artilleriepark. Dabei war er frommen Sinnes; ein lutherischer Pastor im Amtsgewande flößte ihm tiefe Ehrfurcht ein und in seinen erhabenen Augenblicken klang es vor seinem innern Ohr immer wie eine feierliche Mischung von Glockengeläute und Kanonendonner.

Schwerin trat in den Saal, begrüßte die Rathsherren ohne Respect und ohne Herablassung, mit der Gleichgültigkeit eines Notars, der eine Urkunde aufnehmen soll, setzte sich in einen ihm bestimmten Lehnstuhl, verlas dann seine Vollmacht und erklärte, die Zeit der Neutralität sei vorüber. Die politischen 242 Umstände hätten das, was geschehen sei, durchaus nothwendig gemacht, feindliche Umtriebe, Meutereien, die ganze Kriegslage eine Besetzung der Stadt geboten; der König gewähre volle Amnestie, verlange dafür aber auch den Eid der Treue.

Und diesen Eid der Treue leisteten die Rathsherren und die Oberältesten der Kaufmannschaft und der Zünfte ohne Zögern, ohne Weigerung, ohne Verzicht; da legte Niemand, auch nicht die Rathsherren, in denen jeder Tropfen Blutes österreichisch war, seine Würde nieder; alle stimmten ein in das Hoch auf den König von Preußen, welches in dem alten Fürstensaal ein befremdliches Echo weckte, und wer näher hinsah, der mußte bemerken, wie die alten Landeshauptleute die Köpfe schüttelten.

Da trat Schwerin, nachdem der Eid der städtischen Machthaber ihm geleistet worden war, auf die steinernen Stufen des Rathhauses hinaus und brachte abermals ein Lebehoch auf den König von Preußen aus, in welches die Volksmenge jubelnd einstimmte!

Inzwischen donnerten die Kanonen, welche die Besetzung Breslaus dem Lager von Strehlen verkündigen sollten. Geschütze, in großen Entfernungen durch das Land hin aufgestellt, trugen die Botschaft weiter und niemals brachte der eherne Gruß willkommenere 243 Kunde, als dieser Kanonendonner dem preußischen König.

An den Stufen der Rathhaustreppe aber stand der kleine Doctor Salomon und nachdem er dem Könige auch seinerseits ein begeistertes Vivat gegönnt, rief er zu seinem eigenen Vergnügen und zum Erstaunen der Umstehenden immer, indem er seinen Hut schwenkte und possirliche Sprünge machte: »Es lebe das fait accompli!« Die guten Bürger kannten ihn zum Theil, aber sie wußten nicht, daß er seines Zeichens ein Docent des Staats- und Völkerrechtes war und über die heutigen Vorgänge, welche einige wichtige Kapitel desselben so glänzend illustrirten, eine so große wissenschaftliche Freude empfand, wie einst Pythagoras über seine große Entdeckung, der zu Ehren er hundert Ochsen schlachtete. In diese Freude mischte sich eine nicht geringe Schadenfreude, als er die Rathsherren auf der Treppe erscheinen sah, welche vor kurzem eine Beschwerdeschrift gegen ihn und sein Treiben bei dem Feldkriegscommissariat eingereicht hatten; er konnte nicht umhin, auf die unterste Stufe zu treten und jeden der würdigen Vertreter des Magistrats bei dem Vorübergehen mit einer demüthigen Verbeugung und einer kurzen Anrede zu beehren: »Gott zum Gruß, Herr von Sebisch! Werden dero Equipage wohl neu lackiren und statt des zweiköpfigen 244 Adlers den einköpfigen anbringen müssen. Ein Kopf ist oft besser als zwei, es kommt nur darauf an, was darinnen steckt! Guten Morgen, Herr von Goldbeck! Wenn Sie nach Wien schreiben, so nehmen Sie nur hübsch Papier mit Trauerrand und grüßen Sie den Reichshofrath! Herr von Wehner, es war Zeit, daß Sie den Adelsbrief sich von Wien kommen ließen; jetzt wäre es zu spät, denn von Berlin giebt's nichts dergleichen für die Mitglieder eines gestrengen Rathes in Breslau! Bester Herr Reiter . . . . heiliger Petrus von Breslau! Wie befinden sich Ihre Thorschlüssel? Ich höre ihr unheimliches Rasseln, denn sie wandern jetzt in andere Hände! Entschuldigen Sie meine schüchterne Bemerkung, doch Sie haben die Thore nicht fest genug zugeschlossen!«

Der zornige Rathsherr sah das Männlein mit einem vernichtenden Blick an; das Blut schoß ihm in's Gesicht, doch er hüllte sich fester in seinen Talar und ging schweigend vorüber! Freundlich aber lächelte Sommersberg dem Doctor zu und ein kräftiger Händedruck bewies die Freude ihres Herzens, in welcher sich die beiden Männer begegneten.

Die gute Laune des kleinen Doctors fand überdies die beste Nahrung in allerlei Vorkommnissen, welche die Huldigung und der Untergang der Breslauer Stadtherrlichkeit mit sich brachte. Da sollten auf dem 245 Salzring die Stadtsoldaten dem Könige Treue schwören und zwar »zu Wasser und zu Lande«. Das Wasser machte die städtischen Leibcompagnien aber stutzig; denn die Oder konnte doch unmöglich damit gemeint sein und vor dem großen Wasser mit seinen Hai- und Walfischen hatten die Stadtsoldaten den schuldigen Respekt; doch wurden sie darüber beruhigt, daß sie nicht über die Mauern der Stadt hinaus verwendet werden sollten.

Als aber dreißig Dragoner, an ihrer Spitze der Feldkassirer, mit zwei rothsammtnen großen Beuteln auf dem Sattel neben den Halftern, über den Markt ritten und jener aus den Beuteln fortwährend Geld ausstreute: da begann ein Raufen und Balgen um die Ducaten und Louisd'ors und Zweigroschenstücke, daß von diesem Tumult eine Prügelei zwischen den Klosterknechten und den Stadtbrauergesellen nur ein schwaches Abbild gegeben hätte. Auf dem Straßenpflaster, das von den Hufen der Dragonerpferde sprühte, wälzte sich ein großer Menschenknäuel in gallertartiger Bewegung und mit diesem goldenen Regen gewann Friedrich die Herzen des Breslauer Volkes und nöthigte dasselbe, im Schweiße des Angesichts sich das Bild des neuen Königs zu erobern, ein Bild, das am liebenswürdigsten auf einem Louisd'or 246 lächelt, aber auch auf einem Zweigroschenstück noch immer ein freundliches Antlitz zeigt.

Tiefbestürzt waren nur die kaiserlich Gesinnten, vor allem der katholische Klerus und die Jesuiten; sie nannten diesen Tag seitdem den »krummen Lorenz,« ein Beiwort, mit welchem man ähnliche unheilvolle Tage zu bezeichnen pflegte. Der Wasserpole Anastasius, dessen Unverbrennliche an diesem Tage ein wehmüthiges Echo in den Breslauer Straßen erweckten, hatte zuerst in einem Augenblicke tiefen Wehes wie durch eine plötzliche Erleuchtung diesen »krummen Lorenz« erfunden, ein Name, der im Kalender des Breslauer Klerus und später selbst in dem der Geschichte einen dauernden Platz erhielt, während der geistreiche Erfinder desselben längst der Vergessenheit anheimfiel, von der ihn nicht einmal sein unvergleichliches Stiefelpaar erretten konnte. 247

 


 


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