Rudolf Gottschall
Im Banne des Schwarzen Adlers
Rudolf Gottschall

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Neuntes Kapitel.

Der Nußknacker.

Die Liebe, hat man behauptet, ist zu allen Zeiten dieselbe gewesen. Wo nur ein Herz für die Liebe schlug, sei es unter der tätowirten Brust des Botokuden, unter der Tunika des Römers, unter dem Panzer des Ritters, dem Hofkleide des neufranzösischen Höflings – es waren dieselben Herzschläge! Und doch – welch ein Unterschied im Ausdrucke dieser Empfindung, von dem Naturlaute des Wilden bis zu dem zierlichen Madrigal, in welchem ein Liebhaber aus dem Rokokozeitalter die toupirte Dame seines Herzens anseufzte! Jede Zeit hat ihr Costüm, ihre Mode, ihre Gedankenwelt, ihre Empfindungsweise, ihre Liebe!

Im Jahre des Heils 1740 war die Liebe nicht mehr so minniglicher Art, wie zur Zeit Walthers von der Vogelweide! Die Ritter turnierten nicht mehr 305 für die einzige Dame, deren Schleifen sie trugen; sie stürzten sich nicht mehr begeistert in den Kampf, geschirmt von einer unsichtbaren Schutzheiligen, deren Bild das Bild des drohenden Todes überstrahlte. Die Liebe war »galant« geworden; der Ton für die seine Welt ging von den Höfen aus. Die schäferliche Poesie hatte ihr einige arkadische Wendungen zugeflüstert, mit deren Flitterputz sie sich zierte. Doch war es nur ein »gemaltes Arkadien«, eine schöne Decoration – und während man auf der Bühne seufzte, küßte man hinter den Coulissen. Die Liebe war leichtfertig, untreu, wandelbar – man wechselte mit den Medaillons, die man auf der Brust trug. Der vermessene Gedanke einer ewigen Liebe war dem Zeitalter fremd.

Doch gab es auch in dieser Zeit, wie zu allen Zeiten Gemüther, in denen eine tiefere Leidenschaft der Macht der herrschenden Mode spottete, die nicht blos auf Eroberungen ausgingen, um sich des flüchtigen Genusses und Sieges zu rühmen; sondern die sich selbst, ihr Herz, ihr ganzes Wesen von einer großen Neigung besiegen ließen!

Arthurs Neigung zur schönen Agnes von Walmoden war kein schäferliches Liebesspiel, das er nur zur Zerstreuung in müssigen Stunden in Scene setzte. Es war im Gegentheil eine Art von Verzauberung, 306 die über den Willenlosen kam! Die Welt war öde und leer, wo sie nicht war, und blühte und leuchtete mit eigenthümlichem Glanz, wenn ihre Erscheinung sie verherrlichte.

Die Liebe hat ihr Kindesalter – freilich wird sie auch in ihrem Greisenalter wieder kindisch! Sie beginnt mit der Spielerei und hört auf damit. Für die erwachende Empfindung sind Blumen, Schleifen und Locken, die von der Geliebten kommen, entzückende Festgaben; für die alternde welke Lesezeichen, die man in sein Lebensalbum legt, um diese oder jene Stelle rasch nachzuschlagen, oder Reliquien, welche das Recht auf Anbetung verloren haben. Arthur mußte sich zunächst mit Blumen begnügen, welche die Hand der holden Agnes für ihn pflückte. Noch hatte er's zu keiner »Schleife« gebracht, obgleich hier die Beseelung mit dem Lebensgeist der Geliebten eine vollständigere ist, als bei der rasch welkenden Blume, die ihre Hand nur flüchtig berührt – eine »Locke« aber war ein noch aus blauer Ferne winkendes Ziel seiner Sehnsucht, denn das war ihm gar ein Theil ihres anmuthigen Selbst!

Sah er seine Agnes im Kreise des Hofes, so erschien sie ihm so beweglich, so leicht, so pikant, wie die andern Hofdamen; ihr gepudertes Köpfchen neigte sich mit gleicher Anmuth und Schalkhaftigkeit hin 307 und her; ihre tiefen blauen Augen schienen zu vergessen, was in ihren Tiefen schlummerte, und sprühten nur von den Funken heiterer Laune; sie war ein galantes Kind des Jahrhunderts, wie sie in den Bosquets von Versailles, neben den großen Fontainen, im Gefolge einer Chateauroux so lebenslustig hin- und hertänzelten.

Doch war er mit ihr allein, so schien ihr ganzes Wesen verändert. Wohl war sie lebensvoll und geistreich; doch es war kein in Funken zerstreuter, sondern ein in Strahlen gesammelter Geist. Ihr Auge ruhte mit so inniger Empfindung auf ihm; sie versenkte sich mit ihm ganz in die Bilder seiner Jugendzeit, die er vor ihr entrollte, in die Erinnerungen an das schöne Schlesierland – voll Begeisterung aber sprach sie von dem Kronprinzen, von seinem Genius, von Preußens glänzender Zukunft!

Wie leicht war es, von ihren Begleiterinnen eine Gunstbezeugung zu erlangen, wie zurückhaltend war Agnes ihm gegenüber, entmuthigend für seine Wünsche und Hoffnungen!

Wenn er es wagte, sich dieselben selbst zu gestehen, so drängte sich stets die Gestalt Isabellas, der Wunsch seiner Eltern, die Pflicht, der Familie eingedenk zu sein, zwischen ihn und das ersehnte Ziel – wie sollte er es wagen, der spröden Schönen seine Liebe zu 308 bekennen? Und doch war seine Neigung kein Geheimniß mehr; sie gehörte bereits zu den anmuthigen Kapiteln des Rheinsberger Hoflebens, die man sich in Mußestunden gegenseitig zur Unterhaltung vortrug. Auch fehlte es diesen Kapiteln nicht an liebevoller Ausschmückung. Arthur mußte daher den Entschluß fassen, entweder seine Neigung ganz zu opfern oder ein entscheidendes Wort zu sprechen und zu erwarten. Seiner ganzen Natur war es zuwider, in so zweifelhafter Beleuchtung einherzugehen, vielleicht gar in den Augen der Welt für den glücklichen Liebhaber zu gelten und dadurch Agnes, die so hoch über den andern leichtfertigen Schloßdamen stand, von ihrer Höhe herabzuziehen und in eine Reihe mit denselben zu stellen.

An jenem Tage, an welchem Doctor Salomon seinen verwegenen Streifzug in's Allerheiligste der Verschwörung unternommen, traf Arthur mit Agnes in der Gaisblattlaube des Gartens zusammen.

»Es beunruhigt mich,« flüsterte sie dem Eintretenden zu, »daß Sie so von Frau von Katsch sich leiten lassen.«

»Es ist meine Tante,« erwiderte Arthur.

»Allen Respekt – doch der Gehorsam hat seine Grenzen, am meisten der Gehorsam, den eine Tante verlangen darf. Es erregt Aufsehen, daß Sie so geheimnißvoll den Kopf mit ihr zusammenstecken.«

309 »Sie verlangt kleine Gefälligkeiten und Dienste von mir.«

»Frau von Katsch gilt für eine Anhängerin der österreichischen Politik; ja man behauptet, daß sie von Seckendorf und Grumbkow bestochen sei!«

»Wir sprechen nie über Politik!«

»Mein junger Schlesier, die Welt glaubt es nicht! Und ich möchte nicht gern den Schatten eines Makels auf Ihnen haften lassen! Es giebt mir immer einen Stich in's Herz, hör' ich ein unfreundliches Urtheil über Sie. Sie haben hier viele Freunde, Jordan, Keyserling – aber auch sie zucken bisweilen die Achseln, als wollten sie sagen: Gewiß, ein vortrefflicher junger Mann; doch er ist ein Oesterreicher und paßt nicht in unsere Kreise! Wie sollten wir verlangen, daß er sein Vaterland verleugne? Sie glauben gar nicht, wie mir diese Aussprüche wehthun.«

»Meine Begeisterung für den Kronprinzen –«

»O man kann sich auch für seine Feinde begeistern, und wer sagt uns, daß dies nicht eine Maske ist?«

»Sie kränken mich, Agnes! Seh' ich aus wie ein Diplomat –«

»Die sind es oft am meisten, die am wenigsten danach aussehn.«

»Sie wissen doch, daß Frau von Katsch unser kleines Geheimniß belauscht hat, daß ich mir nur 310 durch Erfüllung kleiner Gefälligkeiten ihr Schweigen erkaufen kann. Glauben Sie, daß ich auch Ihnen gegenüber eine Maske tragen würde?«

»Warum nicht?«

»Das sagen Sie, Agnes –«

»Sie haben mich vielleicht ein wenig lieb, und fürchten gerade deshalb, es würde mir nicht recht sein, wenn ich in Ihnen einen Sendling der Grumbkow und Seckendorf entdeckte. Und da tragen Sie eine Halbmaske, die Ihre Stirn mit allen politischen Wolken verschattet, damit Sie desto harmloser mich anlächeln können. Ich warne Sie nur! Doch genug davon! Sie erzählten mir neulich von der schönen Isabella –«

In der That hatte Arthur als schönes Zeichen seines wachsenden Vertrauens Agnes in seine Familiengeheimnisse eingeweiht und auch seine Beziehungen zu Isabella nicht verschwiegen. Wer das Geheimniß einer früheren Neigung, wie klein oder groß sie gewesen sein mag, einer anderen Schönen preisgiebt, der ertheilt ihr damit die ausdrückliche Anwartschaft auf das neue Regiment. Doch Arthur war zu edel, um Agnes auf Kosten seiner liebenswürdigen Cousine zu schmeicheln; er schilderte Isabellas Vorzüge mit so glänzenden Farben, daß über Agnes Stirn jene unheimliche Wolke glitt, welche gleichsam der Schatten 311 ist, den die erwachende Eifersucht auch über edle Gemüther wirft. Es schien ihr plötzlich, als träte jene Isabella ihr mit siegreicher Hoheit gegenüber! Was sucht er bei mir? Nur eine flüchtige Unterhaltung! Dort ist sein Herz mit dauernden Banden gefesselt! Vielleicht sträubt sich sein jugendlicher Freiheitssinn gegen das aufgedrungene Band, um ihm nachher desto sicherer zu verfallen! Für diese kurze Zeit der Ferien hat er in mir ein Ideal gefunden; ich bin ihm kein gnadenreiches Heiligenbild, zu dem er pilgert, sondern nur die Nixe der Wasserfälle, die ihm bei einer Erholungsreise Zerstreuung bietet.« Diese Gedanken gewannen so die Oberhand in dem Gemüthe des Mädchens, daß Agnes, um ihre Stimmung nicht zu verrathen, unter dem Vorwande, von ihrer Schwester erwartet zu werden, rasch und mit flüchtigem Gruß die Laube verließ. Arthur war betroffen! Er hatte mit der Gewissenhaftigkeit, welche der Jugend nicht minder eigenthümlich ist, wie der Leichtsinn, seine ganze Vergangenheit faltenlos vor der Geliebten ausbreiten wollen, damit sie in seinem Leben lesen könne, wie in einem aufgeschlagenen Buche – und wenn sie dann bei der letzten Seite angekommen – dann wollte er ihr die folgenden noch leeren Blätter widmen und ihr seine Liebe erklären! Er merkte jetzt erst, daß er dabei zu gründlich zu Werke gegangen. Die Liebe 312 aber ist eine Tochter des Augenblickes und verträgt die beste Vorrede weit weniger, als die schlimmste Nachrede.

Arthur wollte am nächsten Tage seinen Fehler wieder gut machen. Vielleicht bot ihm der bevorstehende Ball am Abend Gelegenheit dazu. Ein kleiner Scherz war damit verbunden. Herren und Damen wollten im Marmor-Saale einen Jahrmarkt abhalten. Die Pointe des Scherzes bestand in den Geschenken, welche Käufer und Verkäuferinnen sich gegenseitig machten und bei denen die feinsten Anspielungen, wie derbere Späße sich abzulösen pflegten.

Der Marmorsaal war der prächtigste Raum des Rheinsberger Schlosses, reich ausgeschmückt mit Schnitzwerk, Vergoldung und großen Spiegeln. Doch seine Hauptzierde bestand in dem Deckengemälde de Pesnes, einem ebenso schön ausgeführten, wie deutungsreichen Plafondsbilde, welches den Aufgang der Sonne darstellte. Die verschleierte Nacht, umgeben von ihren unheilkündenden Vögeln und düstern Zeitgöttinnen, flieht vor der Morgenröthe, welche die Mitte der Decke einnimmt und vom Morgenstern, einer reizvollen Venus, begleitet wird. Der Strahlensender Apollo, mit seinem Gespann von weißen Sonnenrossen, steigt am anderen Rande des Horizonts siegreich empor; um ihn drängen sich Bacchus, die 313 Amoretten und der Gott des Krieges, alle lebensfreudigen Mächte, welche dem Tagesgestirn huldigen. Ein solcher Sonnenaufgang, im Schlosse eines Kronprinzen gemalt, war ein symbolisches Compliment, das nicht mißdeutet werden konnte, und »Liborius Grumbkow«, des Königs rechte Hand, dem der Wein leicht die Zunge löste, hatte ein Recht, bei seiner letzten Anwesenheit in Rheinsberg zu fragen, in welchem von den begleitenden Nachtvögeln, ob in dem Uhu oder in der Eule, er sein eigenes Bild zu suchen habe.

Die Seitenwände des eleganten Saales entlang standen eine Reihe von Tischchen, auf denen mancherlei Waaren, meistens kleine Nippsachen, zum Verkauf auslagen. Hinter ihnen saßen die Verkäuferinnen, nicht in der Tracht von Jahrmarktsfrauen, sondern im modischen Ballcostüm. Die Herren gingen vor den Tischen auf und ab und ein heiteres Sprühfeuer von Scherzen gaukelte herüber und hinüber. Doch begann der Verkauf noch nicht, denn man erwartete den Prinzen.

Endlich erschien das prinzliche Paar. Friedrich trug ein Kleid von seladongrünem Mor, mit breiten silbernen brandenburger Schleifen und Quasten besetzt. Die Weste war von silbernem Mor und sehr reich bordirt; die Prinzessin trug den großen Brillant- und Amethystschmuck, dessen Blitzen und Flammen das 314 Auge blendete. Cavaliere und Hofdamen waren, wenn auch mit geringerer Pracht, gleich festlich gekleidet. Hinter der Kronprinzessin schritt Frau von Katsch einher, feierlich und blaß, in ihren weißen Gewändern, mit ihrem unheimlichen Gesichtsausdrucke, jener Frau von Orlamünde nicht unähnlich, welche dem Geschlechte der Hohenzollern ein drohendes Unheil verkündet. Arthur bemerkte die Blässe der Tante, welche mit einer innern Aufregung zu kämpfen schien und mit Mühe die gemessene Haltung behauptete, die einer Oberhofmeisterin zukommt. Ein fragender Blick, den sie, hinter dem hohen Paare bei seinem Rundgange durch den Saal einherschreitend, ihm zuwarf, steigerte sein Befremden. Ihm war an diesem Abend bereits das zurückhaltende Benehmen der Hofherren ihm gegenüber aufgefallen. Der dicke Intendant von Knobelsdorf hatte heute kaum seinen Gruß erwidert. Zwar galt dieser für einen so eifrigen Architekten, daß sein Studium seine Laune bestimmte. Sah er noch düsterer als gewöhnlich aus seinen buschigen Augenbrauen, so hieß es bei Hofe, daß er sich gerade mit gothischer Architektur beschäftige und über irgend einem düstern Kreuzgang brüte, den er noch am Schlosse anbringen wolle. Wenn er dagegen heiter blickte, so wußte man, daß er irgend ein jonisches Tempelchen im Kopfe habe, mit welchem er den Park 315 auszuschmücken gedenke. Doch sein Gruß war heute so ausnahmsweise unfreundlich, daß Arthur annehmen mußte, der Intendant beschäftige sich mit irgend einem unterirdischen Höhlentempel oder altägyptischen Pyramidengrabe.

Selbst Keyserling flirrte und tänzelte so flüchtig an dem Junker vorüber, als wolle er es vermeiden, mit ihm ein längeres Gespräch anzuknüpfen. Und doch war der Oberst sonst nicht karg mit liebenswürdigen Belehrungen, die er aus dem großen Schatze seines zusammengelesenen Wissens schöpfte, und er mußte bei schlechter Laune sein, wenn er in einem Gespräch nicht den Tacitus und Horaz einmal, den Voltaire und Montesquieu zwei- bis dreimal citirte. Eine ganze Puderwolke von Citaten stäubte aus seinem gelehrten Toupé hervor! Diese lebendige Blumenlese aus den großen Geistern aller Zeiten blieb heute für Arthur ein Buch mit sieben Siegeln. Nur Jordan drückte ihm die Hand im Vorübergehen, doch mit einem so fragenden Blick seiner dunkeln Feueraugen, daß der Junker dadurch noch mehr betroffen wurde, als durch das unfreundliche Betragen der Anderen. Agnes saß hinter einem Tischchen mit Porzellanfiguren, auch sie begrüßte ihn fremd und kalt. »Recht taktvoll,« dachte er bei sich selbst, »es gilt allem Gerede vorzubeugen. War es doch auch meine Absicht, heute 316 Abend jedes Gespräch mit ihr zu vermeiden! Und doch – der Gruß war so abgemessen, ohne jede leise Andeutung eines geheimen Einverständnisses! Hätte sie wenigstens mit den Augen gezwinkert – ich brauchte nicht an ihr irre zu werden.«

Das prinzliche Paar eröffnete den Jahrmarktsverkehr und ging von Tisch zu Tisch. Es war ein reges Treiben. Frau von Morien saß hinter einem hochgethürmten Packet von Socken, welche sie die »Kinder ihrer Laune« nannte. Sie betheuerte dem Herrn Bielefeld, daß es hier keine Masche gebe, in welche sie sein Bild hineingestrickt, nicht einmal die Maschen, die sie fallen gelassen hätte; sie meinte, er müsse sich hier recht heimisch fühlen, wie ein Fisch im Wasser, es müsse für ihn der schönste Abend des Rheinsberger Lebens sein, denn er könne heut in denselben Wogen herumplätschern, wie im großen kaufmännischen Bassin der Hamburger Börse. Zuletzt holte sie ein paar Stangen Siegellack aus einem riesenhaften Strumpf hervor, der einem gestrickten Wasserstiefel nicht unähnlich sah. »Das ist mein Vorrathsschrank für einige verbotene Waaren, zu deren Verkauf ich keine Concession habe. Dies Siegellack ist ausdrücklich für Sie bestimmt. Sie sind ein Kenner, da Ihre Wiege in einer Siegellackfabrik stand! O, Sie wissen, wie wichtig dieser Handelsartikel ist 317 für alle billet-doux der Liebe! Ein schlechtgesiegelter Liebesbrief kann das größte Unheil anrichten. Sollte sich daher Ihr Herz in einem en-gros-Geschäft der Liebe anlegen, wo es sich um mehr handelt, als um den Detailkram mit »Küssen«, die man sich durch falschen Börsenschwindel ergaunert, so empfehle ich Ihnen dies Siegellack. Es wird sich glücklich preisen, wenn das unheraldische Wappen des Herrn Bielefeld ihm ein Täubchen, ein Vergißmeinnicht, einen Geldsack oder ein anderes Phantasiegebilde von jüngstem Datum aufdrückt!« Bielefeld empfahl sich mit einer kurzen Verbeugung. Frau von Morien mußte erfahren haben, daß er seinen Scherz mit ihr getrieben. Sie rächte sich, da sie die gezahlten Küsse nicht wieder zurückfordern konnte. Hatte sich doch am heutigen Tage mit großer Bestimmtheit das Gerücht verbreitet, daß der Bayardorden nur harmlose Zwecke verfolge! Woher dies Gerücht kam – wer konnte es wissen? Gerüchte haben keinen Heimatsschein; es lag heute einmal in der Rheinsberger Luft.

Frau von Brandt hatte hinter ihrem Tischchen Veranlassung, mehrfach zu erröthen, was den Reiz der Unschuld, der aus ihrem zarten Teint, aus ihren blauen Augen sprach, noch erhöhte. Es befand sich unter den Porzellangruppen, die sie feilbot, ein kleines Jagdbild – ein tödtlich getroffenes Reh sank zu den 318 Füßen des Jägers nieder, welcher lustig in sein Horn stieß. Der Kronprinz kaufte diese Gruppe und schenkte sie alsbald der Kronprinzessin. Keyserling, der dem hohen Paare folgte, kaufte ein niedliches Porzellanmännchen, dem er, wie er sagte, auf seinem Schreibtische eine kleine Eremitage bauen wolle aus den Werken von Voltaire und Crebillon dem Jüngeren. Frau von Brandt schlug verschämt die Augen nieder und zupfte an ihren Manchetten, doch ging Keyserling nicht von dem Tischchen fort, ohne in einem süßen Blick einen auf die Zukunft lautenden Wechsel erhalten zu haben.

Während das bunte Gedränge im Saal hin und her wogte und die Aufmerksamkeit Aller durch den kleinen Jahrmarkt in Anspruch genommen war, hatte Frau von Katsch ihren Neffen in eine Fensternische gewinkt.

»Sie sehen leidend aus, liebe Tante!« redete sie Arthur zuerst an.

»Wo ist er? Was ist mit ihm geschehen?« fragte die Oberhofmeisterin hastig, ohne auf die Anrede ihres Neffen zu hören.

»Von wem ist denn die Rede?« sagte Arthur verwundert.

»Nun, von dem Doctor Salomon – ich habe in die Waldschenke geschickt – er ist nicht zu finden. 319 Es gehen allerlei Gerüchte, daß der Kronprinz einen Eindringling entdeckte!«

»Ich hatte den kleinen Mann die Nacht über und den ganzen Vormittag sicher in meinem Alcoven versteckt, den Schlüssel zu mir genommen und Niemand in das Zimmer gelassen. Nachmittags bat er mich, ihn aus seiner Gefangenschaft zu erlösen und schlich sich, während die Herren und Damen im Garten promenirten, aus dem Cavalierhause in das Schloß hinüber. Seitdem habe ich nichts von ihm gesehen und gehört!«

»Unbegreiflich! Wenn ihm ein Unglück zugestoßen wäre!«

»Das glaube ich nicht! Dieser sonderbare Doctor ist ein Hanswurst, und die Bajazzos brechen nie den Hals, sondern stehen immer wieder von den Todten auf. Doch möchte ich wohl erfahren, was es für eine Bewandtniß mit diesem Männlein hat und welchen lustigen Streich meine gute Tante mit seiner Hilfe ausführte, denn es macht auf mich den Eindruck, als hätte sich Etwas zugetragen, das sogar gegen mich eine feindliche Stimmung hervorgerufen.«

»Später sollst Du Alles erfahren! Jetzt müssen wir abbrechen! Der Kronprinz und die Kronprinzessin kommen in unsere Nähe.«

320 Frau von Katsch trat aus der Nische zurück. Der Prinz stand gerade vor dem Tischchen, auf welchem Agnes von Walmoden feine Stickereien, meistens ihrer Hände Werk, zum Verkauf ausstellte. Da sah man einen Ritter Sanct Georg, welcher den Lindwurm besiegte – und der Ritter trug unverkennbar die Züge des Prinzen. Mit freundlichem Lächeln kaufte der Prinz die Stickerei.

»Ich danke Ihnen, liebe Walmoden – das ist ein Bild, das lebhaft vor meiner Seele schwebt! Sie haben Recht, ich bin ein Sanct Georg, der den Drachen und seine ganze Brut bekämpft! Das ist jeder echte Ritter! Doch die Zeit der naturwüchsigen Lindwürmer mit dem Schuppenpanzer und Riesenschweif ist vorüber; sie nehmen heutigen Tags eine andere Gestalt an; es bedarf guter Augen, um sie zu erkennen. Auch braucht man nicht immer zum Speer zu greifen, um sie zu überwinden – es giebt kleine Drachen, die nicht gefährlicher sind als Papierdrachen. Ein kräftiger Luftstoß bläst sie fort und im schlimmsten Falle braucht man ihnen blos den Faden abzuschneiden.«

Friedrich gab die Stickerei dem Kammerdiener Fredersdorf, der die gekauften Waaren hinter ihm hertrug.

321 Er trat jetzt in die Mitte des Saales, die Herren und Damen bildeten einen Kreis um ihn: »Der Verkauf ist vorüber, ich hoffe zu allseitiger Zufriedenheit! Ich danke den Verkäuferinnen, denn der kleine Gelderlös soll ja meinem Intendanten zufließen, als Beitrag zum Bacchustempel, den er in dem Ziergarten des Parks errichten will. Sie wissen, meine Damen, daß zwölf riesenhafte Satyre als Säulen dieses Tempels die umgekehrte Punschschale tragen sollen, welche das Dach bilden wird! Es ist sehr uneigennützig von Ihnen, zum Besten der Satyrn beizusteuern, welche den Nymphen oft so gefährlich werden! Doch nun wollen wir nach unserer Marktsitte die gekauften Waaren wieder verschenken. Ihren Ritter Sanct Georg behalte ich, liebe Walmoden – ich habe ja genug andere Gaben in Bereitschaft.«

Während der Prinz sich umwendete, um aus dem Vorrath, den der Kammerdiener ihm nachtrug, das erste Geschenk auszusuchen, ruhten die Augen der Damen mit großer Spannung auf ihm. Denn man war neugierig, welche Dame Friedrich auszeichnen werde. Frau von Morien gehörte zu den Lieblingen des Prinzen – ihr etwas ländliches Inkarnat blühte infolge der Erwartung zu dem glühenden Roth der Klatschrose empor. Frau von Brandt dagegen harrte der Entscheidung mit einer Todtenblässe, welche ihrem 322 alabasternen Teint einen leichenhaften Ausdruck gab; denn sie hoffte, der Prinz werde ihr, nach der unfreundlichen Begegnung in der Eremitage, heute eine kleine, nur ihr verständliche Genugthuung geben und fürchtete wieder, in ihrer Hoffnung getäuscht zu werden. Die Augen der Hofherren ruhten dagegen meistens auf der schönen Agnes; man vermuthete, der Nixe des Wasserfalls werde für ihre begeisterte Ansprache eine kleine Auszeichnung zu Theil werden.

»Frau von Katsch,« rief Friedrich zum größten Erstaunen des versammelten Kreises; denn man wußte, daß die Beachtung der Etikette ihn nie bestimmen würde, bei diesen Spielereien der heitern Laune irgend eine Rücksicht auf den Vorrang der Oberhofmeisterin zu nehmen. Frau von Katsch trat hervor, machte eine feierliche Verneigung nach allen Regeln des Ceremoniells, während ihre Augen unsicher fragend auf dem Prinzen ruhten und auf dem geheimnißvollen Geschenk, das er noch halb in seinen Händen versteckte. Jetzt aber hob er es hoch in die Höhe und die Oberhofmeisterin erkannte ein räthselhaftes Figürchen, dessen Bedeutung ihr mit einem Male, wie durch einen blendenden und zerschmetternden Blitz erhellt, vor die Seele trat. »Frau von Katsch – ich schenke Ihnen hier diesen ›Nußknacker‹ zur freundlichen Erinnerung. Sie sehen, das kleine, possirliche Männchen, das so 323 geschickt die Nüsse knackt, welche für die Zähne der Grumbkow und Seckendorf zu hart sind! Ich habe ihn nicht hier gekauft – er hat sich in mein Zimmer verirrt. Und damit er nicht mit anderen Exemplaren verwechselt werde, habe ich um seine kleine Mißgestalt eine Schärpe mit den österreichischen Farben geschlungen. Stellen Sie ihn auf Ihren Nipptisch und sorgen Sie dafür, daß ich ihn nie wieder in meinen Gemächern finde.«

Frau von Katsch war wie vom Donner gerührt – ihre schlimmsten Befürchtungen hatten sich erfüllt. Der Prinz wußte Alles – Doctor Salomon hatte geplaudert, um sich selbst zu retten. Vergebens kämpfte sie mit aller Seelenstärke gegen den Eindruck der schmerzlichen Ueberraschung; vergebens suchte sie die Würde ihrer Stellung zu wahren – sie sank halb ohnmächtig den nächsten Hofdamen in die Arme. Die gutmüthige Kronprinzessin war mit ängstlicher Sorge bemüht, die Lebensgeister derselben wieder zu stärken, und begleitete sie an das nächste Sopha, zu welchem man sie führte. Das Gerücht, daß ein österreichischer Spion in die Zimmer des Kronprinzen während der geheimen Sitzung des Bundes gedrungen, hatte sich so allgemein verbreitet, daß die Bedeutung des Geschenkes, welches Friedrich der Oberhofmeisterin machte, von Allen verstanden wurde. Die Bayardritter hatten 324 offenbar ein Ereigniß nicht verschwiegen, welches nichts von den Geheimnissen ihres Ordens preisgab.

Die Worte des Kronprinzen machten aber einen nicht minder vernichtenden Eindruck auf Arthur, welcher plötzlich durchschaute, wie er von seiner Tante für eine unwürdige Intrigue gemißbraucht war. Die Röthe des Unwillens flammte auf seinen Wangen auf; doch er glaubte, in einen gespenstigen Traum versetzt zu sein, als der Prinz sich jetzt ihm zuwendete: »Diesen zweiten ähnlich ausstaffirten Nußknacker, Herr von Seidlitz, schenke ich Ihnen! Er mag Sie an die Dienste erinnern, die Sie Ihrer Tante – und der guten Sache geleistet haben!«

Arthur faßte krampfhaft nach dem ihn unheimlich angrinsenden Männlein; er wollte stammeln: »ich bin unschuldig« – doch die Worte versagten ihm. Ein Schimpf, für den es keine Genugthuung gab! Ein Schimpf, ihm zugefügt von dem Prinzen, den er mit Begeisterung verehrte – vor dem ganzen Hofe, vor dem Mädchen, zu dem er innige Neigung hegte. Er stand stumm und regungslos – der Prinz wandte sich rasch ab von ihm. Arthur hörte nur wie in Träumen ein lautes Gelächter, welches, durch die neckischen Wechselgeschenke der Herren und Damen hervorgerufen, ihm wie ein Spott auf seine eigene Schmach erklang. Sobald er die Kraft dazu 325 gefunden, stürzte er hinaus ins Freie. Wie ein Irrsinniger lief er die große Allee des Gartens auf und ab, im Kampf mit wechselnden Entschlüssen. Nur dies Eine stand fest bei ihm – er mußte Rheinsberg augenblicklich verlassen, er durfte hier Niemand mehr vor die Augen treten, nicht seinen Freunden Jordan und Keyserling; nicht seiner Tante, die er den Anklagen ihres eigenen Gewissens überlassen wollte. Was hätte er auch zu seiner Vertheidigung sagen können? Alle Anzeichen sprachen gegen ihn, man hätte ihm nicht geglaubt! Der Einzige, der ihn hätte retten können, war der Doctor Salomon; doch dieser war spurlos aus Rheinsberg verschwunden, auch nicht nach der Waldschenke zurückgekehrt; man hatte ihn in dem Städtchen Extrapost nehmen und schleunigst abreisen sehen.

Und Agnes? Was mußte sie von ihm denken? Sollte er ohne Rechtfertigung von ihr scheiden?

Die Ballmusik tönte vom Schloß in die abendliche Stille des Gartens hinaus; diese lustig schäkernden, auf- und niedergaukelnden Töne schienen Arthur zu verhöhnen. Vielleicht drehte sie sich munter mit im Kreise, am Arme eines schmucken Tänzers, mit dem sie scherzte und lachte, putzte sich mit dem Blumenstrauß, den dieser ihr geschenkt, und hatte ganz das bescheidene Blümchen einer zartaufkeimenden Neigung 326 vergessen. Vielleicht schämte sie sich seiner und ihr Lachen sollte aller Welt zeigen, wie sie ihn verachte! Sie, die begeisterte Verehrerin des Prinzen, den Bundesgenossen seiner Feinde, den Beschützer der Spione, welche diese ausschickten! Immer koboldartiger tummelten sich die Töne, immer höhnischer spottete der kreischende Baß der luftspringenden Läufe, welche über die Saiten der Violinen glitten. Das war die hohnlachende Wirklichkeit, welche dämonisch in seine luftigen Phantasien hineingriff. Welch ein Sturz aus allen seinen Himmeln! Schon hatte er seine Zukunft glänzend neben dem Thron des künftigen preußischen Königs aufgebaut, verklärt vom Glanz des Ruhmes und der Liebe – da stürzte das ganze Gerüst seiner Träume in einem Augenblick zusammen. Doch er mußte Agnes noch einmal sehn! Er flog aus dem Garten, die Treppen hinauf! Da im Vorsaal trat sie ihm entgegen, bleich; kein rosiger Wiederschein der Ballfreuden lag aus ihren Zügen, sie erschien fremd und kalt! War sie ihn suchen gegangen?

»Agnes, auch Sie verdammen mich?« rief Arthur in höchster Erregung.

Das Fräulein bedeckte ihr Angesicht mit den Händen.

»Ich schwöre es Ihnen zu, ich wußte nicht, daß es ein Spion sei, den ich bei mir verborgen, den ich 327 in das Schloß geführt; ich kannte seinen Plan nicht! Werden Sie mir glauben, werden Sie mich rechtfertigen?«

Agnes zeigte ihre verweinten Augen.

»Rechtfertigen Sie sich durch die That – bis dahin sind wir geschieden!«

Sie wandte sich zum Abgehen – noch einmal kehrte sie sich um, als wolle sie die Arme nach dem Geliebten ausstrecken! Doch ihre Kraft versagte ihr oder ein düsterer Zweifel verbot den Abschiedsgruß der Liebe.

Arthur sah ihr nach, wie sie durch die Gallerie verschwand und schien die edle Gestalt des Mädchens seiner Seele unauslöschlich einprägen zu wollen.

Am nächsten Tage ritt er durch den märkischen Kiefernwald. Düsteres Gewölk hing über den Wipfeln, ein Gewittersturm trieb sie knarrend an einander. Wie hoffnungsvoll war er einst dem Schlosse Rheinsberg zugeritten – und jetzt – wie war er geschieden, im Herzen Enttäuschung, zerstörtes Liebesglück und das Gefühl eines schwer zu sühnenden Schimpfes!

 


 


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