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Die Sphinx auf dem Klopfer der kleinen Villa hatte jetzt erst Sinn und Bedeutung gefunden.
Sie war eine Sphinx, diese schalkhafte Agnes, aber dabei hatte sie nichts von einer Fischnatur, sie war ein Feuergeist durch und durch; doch eine tadelnswerthe Lust zum Versteckspielen war an ihr von ihren Kinderjahren her haften geblieben; an jeder Art von Mummerei hatte sie stets ihr besonderes Vergnügen. Ein freier Sinn, ein edles Herz, Begeisterung für das Große vereinigten sich bei ihr mit diesen unbesiegbaren neckischen Launen. Jetzt hatte es der Zufall gewollt, daß sie dieselben einer ernsten Sache dienstbar machen konnte und sie that es mit Muth und Unerschrockenheit.
Kaum hatte sie das geistliche Gewand beiseitegelegt, als sie sich an den Schreibtisch setzte und einige Zeilen auf's Papier warf. »So, liebe Marie! Wenn 209 morgen früh der kleine Doctor kommt, muß alles fertig sein. Nun, ein Couvert, umfangreich genug, um das Schicksal einer großen Stadt in sich aufzunehmen, und fein genug, um der Hände eines Königs würdig zu sein. Wir wollen beide unsere Kunst versuchen, das beste Couvert wandert an Seine Majestät.«
Und beide Mädchen setzten sich hin, große Scheeren in der Hand und schnitten und schnitzelten aus elegantem Papier Umschläge, in denen der geschäftsmäßig dicke Brief des österreichischen Generals Platz finden sollte.
Marie errang den Preis; in ihr Couvert wanderte das große Schreiben und die Zeilen von Agnes und diese schrieb mit festen Zügen die Adresse. »Seiner Majestät dem König von Preußen.«
In der That, in diesem kleinen eleganten Boudoir, unter den reizenden Toiletten-Sächelchen, zwischen den großen und kleinen Spiegeln, unter Bändern, Schleifen, Puderquasten wurden die Geschicke der großen Hauptstadt Breslau entschieden und zwei hübsche Mädchen, welche kaum andere als goldberänderte Briefchen geschrieben und empfangen, hatten das gewichtvollste Schreiben ausgerüstet, das bisher in die Hände des Königs gelangt war.
Der große Brief lag unter allerlei kleinen Karten, Briefchen, Zettelchen auf dem Schreibtisch wie ein 210 fremdartiges Ungethüm, und die Mädchen selber blickten mit einer gewissen Scheu auf denselben.
Der Mond schwamm voll in der Oder; Agnes und Marie setzten sich an's Fenster und plauderten.
Die Villa gehörte dem Stadtrath von Sommersberg, dem einzigen preußisch gesinnten unter den Würdenträgern Breslaus, einem Onkel von Agnes. Sie hatte anfangs, als sie zum Besuch gekommen war, der Neigung ihres Herzens folgend, das sie unwiderstehlich nach Schlesien zog, in der Stadt gewohnt; erst in den letzten Wochen war ihr das Landhaus, unter dem Schutze einer Haushälterin und eines wackern Gärtners eingeräumt worden, nicht wegen der sommerlichen Reize des blühenden Gartens, wegen der erquickenden Frische, welche der nahe große Strom ausathmete, sondern weil sie von hier aus am besten den kühnen Plan ausführen konnte, den sie gemeinsam mit dem kleinen Doctor entworfen hatte.
Die Mahnung, welche der Doctor Salomon dem preußischen Obercommando in den Vorstädten hatte zukommen lassen, war nicht erfolglos geblieben; das Bild der Elisabethinerin war von einer Wache, von einem Vorposten zum andern gewandert und als die Nonne Beatrix in ihrem Ordenskleide auf dem Heerweg erschien, wurde sie alsbald angehalten und ausgeforscht. Die Drohung einer rücksichtslosen 211 Untersuchung, mit deren Ausführung man bereits begonnen, zwang das fromme Mädchen, den Brief an den Pater Maurus aus dem Versteck ihres Busens hervorzuholen; das Emailkreuz wurde ihr, da es der Beschreibung des Doctors vollständig entsprach, abgenommen und sie selbst als Unterhändlerin zur Haft gebracht.
Doctor Salomon war überglücklich über den Fang und suchte ihn nach besten Kräften zu verwerthen; er sprach darüber mit Agnes und diese erklärte sich bereit, sich als falsche Nonne in den Kreis der verschworenen Frauen einzuschleichen. Wohl waren dabei manche Bedenken zu überwinden! Die Gefahr der Entdeckung schreckte das kühne Mädchen nicht; in dem Wagniß selbst lag für sie ein neuer Reiz, und mit dem unerschrockenen Lächeln, das um ihre freundlichen Züge schwebte, wäre sie einem auch noch drohenderen Geschick entgegengegangen! Sie war nicht abenteuerlichen Sinnes, aber ihre Phantasie malte sich mehr als die drohenden, die heiteren Verwickelungen aus, denen sie in ihrer Verkleidung nicht entgehen könnte und sie behagte sich darin, sich in einen Kreis frommer Nonnen und Mönche zu mischen und selbst ein sehr ehrwürdiges Gesicht anzunehmen. Der kleine Kobold, der in ihr lebendig war, fand hierin sein volles Genügen. Etwas Neugierde war auch dabei mit im 212 Spiel! Wie mochte es in diesen Kreisen hergehen? Sollte vielleicht eine junge hübsche Nonne nicht auch hier verliebter Werbung preisgegeben sein? Man munkelte doch mancherlei von dergleichen Dingen. Und was für eine merkwürdige Schädelsammlung würde sie hier durchmustern und studiren können! Ringsum memento mori und sie, das lebenslustige Mädchen, unter diese Todtenköpfe verschlagen!
Doch ein anderes Bedenken ließ sie den Entschluß nur mit Zögern fassen. Was sie vor hatte, war doch immer eine Verrätherei, eine Hinterlist – und wenn sie auch harmlose Ueberraschungen liebte, solch eine ernstgemeinte Ueberlistung ging über den anmuthigen Scherz versteckter Liebesspiele hinaus und widerstand ihrer Auffassung und Empfindung. Hier konnte sie nicht mit lachender Miene die Maske abwerfen, wenn die Stunde geschlagen hatte; hier blieb ihr Geheimniß folgenschwer und verderblich für alle, denen sie das Räthsel aufgegeben hatte.
Wenn sie etwas über diese Bedenken hinwegbringen konnte, so war es ihre glühende Begeisterung für Friedrich und Preußens schwarzen Adler. Ihm war sie fähig, jedes Opfer zu bringen, und während sie die Intriguen der Jesuiten zu kreuzen suchte, war sie doch der Losung derselben verfallen, welche die Feinde dieses Ordens nicht weniger als seine Freunde 213 befolgten und welche als ein feuriges Mene-Tekel durch alle Jahrhunderte der Weltgeschichte stammt, der Losung: »Der Zweck heiligt die Mittel!« Es galt, die Feinde mit gleichen Waffen zu bekämpfen. Verschwörung gegen Verschwörung, Verrätherei gegen Verrätherei! Ihrem Vaterlande leistete sie damit einen großen Dienst; sie gewann dem König vielleicht in aller Stille eine entscheidende Schlacht, wie sollte sie da zögern?
Und noch wirkte uneingestanden ein geheimer Wunsch ihres Herzens mit; sie wollte die schöne Isabella sehen und kennen lernen, die in Arthurs Leben, in seinen Gedanken und Hoffnungen lange Zeit hindurch eine so bedeutsame Rolle gespielt hatte. Nicht mit feindlichen Gefühlen wollte sie dem merkwürdigen Mädchen sich nähern, das mit gleicher Glut der Begeisterung in dem andern Lager stand; auch Isabella hatte Eindruck auf Arthurs Herz gemacht und das brachte sie ihrem eigenen Empfinden näher. In dem Gemüthe dieser Agnes war nichts von Neid, Eifersucht, Haß, keine Spur schmerzgalliger Leidenschaften; ihre Seele hatte etwas Sonniges, offene Fenster, frische Luft, Lenz, Freude und Liebe.
Sie entschloß sich denn die Rolle der falschen Nonne zu spielen, nicht mit ungetheiltem Behagen, denn die besiegten Zweifel reckten noch oft genug ihre 214 Schlangenköpfchen empor. Furcht empfand sie niemals, selbst nicht mitten unter den Feinden, aber oft Bangen über den eigenen, kecken Betrug und schmollende Vorwürfe des Gewissens, am meisten da, wo sie die glänzendsten Triumphe über ihre arglosen Gegner feierte.
Doctor Morgenstern hatte dafür gesorgt, daß ihr ganz genau nach dem Muster der Elisabethinerin ein Ordenskleid zugeschnitten wurde; sie erhielt das Kreuz und den Brief der gefangenen Nonne und so ausgerüstet trat sie in den Salon der Domtanten. Was sie hier erfahren, war für den Plan des Königs von großer Wichtigkeit; pünktlich erschien der kleine Doctor, sich den Bescheid zu holen, pünktlich wurde in das königliche Lager berichtet. Doch um ihr Gewissen etwas zu beschwichtigen, vollzog Agnes auch ebenso pünktlich alles, was der ächten Nonne Beatrix aufgetragen war; sie hatte im Nonnengewand Zusammenkünfte mit einem alten Rathsschreiber, dem Factotum von Gutzmar, der auf diesem Wege von allem, was bei der Verschwörung der Frauen sich zutrug, genau unterrichtet wurde. Nur der letzte Brief wurde unterschlagen und kam nie in die Hände des Syndikus.
Tiefbewegt war Agnes durch die Begegnung mit Isabella, deren glänzende Schönheit sie neidlos anerkannte; doch ein Zufall hatte sie zur Mitwisserin 215 eines Geheimnisses gemacht, welches ihr keinen Zweifel mehr übrig ließ, daß dies herrliche Mädchen einem unseligen Verhängniß bereits verfallen war! Arthurs Liebe hätte sie gerettet . . . das sagte sie sich immer wieder und wieder . . . und auch hier mit stillem Vorwurf für das eigene Glück. Schmerzlich getäuscht in den wärmsten Empfindungen ihres Herzens war Isabella ein Opfer jenes anderen Gefühls geworden, das ihr Leben beherrschte, der blinden Hingabe an den Priester, und eine verderbliche Mischung von Andacht und Leidenschaft hatte sie an den Rand des Abgrundes geführt, vielleicht schon in seine Tiefen gestürzt. Die beredten Mahnungen, mit denen sie Isabella warnte, gingen aus dem Gefühl innigster Theilnahme hervor.
Gleichen Antheil schenkte sie dem armen Mädchen, welches Arthur ihrem Schutz übergeben hatte; keine Eifersüchtelei beunruhigte sie, als das hübsche traurige Kind mit dem Briefe des Geliebten ihr gegenübergetreten war; sie las aus seinen Zügen, daß sein Leben bisher ein schmerzliches Dulden gewesen. Die Geschichte ihrer Abenteuer erweckte ihre innige Theilnahme. Der Rathsherr von Sommersberg, ein ebenso freigebiger wie leutseliger Herr, war nicht weniger gerührt von den Erlebnissen des heimatlosen Mädchens und dehnte seine Gastfreundschaft auch auf 216 sie aus; sie folgte als Gesellschafterin dem Edelfräulein in die Villa an der Oder und half ihr treulich bei Allem, was sie zur Durchführung ihrer geheimnißvollen Besuche im Hause der Domtanten nöthig hatte.
Es waren für Marie die schönsten Tage ihres Lebens; eine so heitere und anmuthige Trösterin hatte sie noch nie gefunden. Wenn sie in der Jasminlaube saß, unter den hohen Rosensträuchern, mit dem Blick auf den silbernen Spiegel der Oder: da zog das Gefühl, als könne das Leben ihr noch Glück und Freude bieten, dies lange nicht gekannte Gefühl in ihr Herz ein. Bei der heiteren Zusprache der neugewonnenen Freundin athmete sie auf; es waren die frischen Athemzüge einer Genesenden. Ueber ihre bleichen Züge flog allmählich eine leise Röthe der Gesundheit, und der träumerische Ausdruck derselben, der bisher durch einen vorherrschenden schmerzlichen Zug das Mitleid herausforderte, hatte jetzt etwas Gewinnendes und Bestechendes. Das Seelenvolle und Liebliche ihrer Erscheinung übte wieder wie in den besseren Tagen ihres Lebens seinen ganzen Reiz aus.
Und doch war es eben nur der Frieden schöner Tage, die sie im Schoße der Natur und im Schutze der Freundschaft verlebte, was ihrem Gemüth eine so hoffnungsvolle Stimmung gab. Stehen doch unsere Stimmungen nicht immer im Einklang, oft im 217 Widerspruch mit unserem Schicksal! Gleich am ersten Tage hatte sie Erkundigungen eingezogen, ob die Befreiung ihres Vaters in Aussicht stehe, ob es ihr möglich sei, Zutritt zu demselben zu erhalten; doch vergeblich waren alle ihre Schritte. Der freundliche Rathsherr selbst sagte ihr seine Verwendung zu; er brachte die Angelegenheit sogar in einer Rathssitzung zur Sprache; doch die Jesuiten weigerten jede Auskunft und erklärten, daß nicht der Rath der Stadt, sondern das kaiserliche Oberamt ihre vorgesetzte Behörde sei, welcher sie Rede zu stehen hätten. Und wenn Marie in Verzweiflung gerieth über die Aussichtslosigkeit aller ihrer Bemühungen, so tröstete sie Agnes damit, daß, sobald der König von Preußen in Breslau für immer eingezogen sei, die Stunde der Befreiung für alle Gefangenen der Jesuiten geschlagen habe.
Um so eifriger unterstützte Marie die falsche Nonne bei ihren abenteuerlichen Entdeckungsreisen: konnte doch dadurch der Tag nur beschleunigt werden, der ihrem Vater die Freiheit brachte.
Auch so war es ein trostreiches Gefühl für sie, daß sie nicht allein, nicht verlassen in der Welt war, und in schwärmerischen Augenblicken war es ihr oft, als legte sich eine segnende Hand auf ihre Stirn, als tönten ihr zu Häupten Worte der Liebe von den 218 Lippen eines Vaters! Das Abendroth, das über den Thürmen von Breslau aufstieg, der Mond, der die hohen Silberweiden der Morgenauer Dämme mit seinem Glanz versilberte, der schmelzende Gesang der scheidenden Nachtigall im Garten: alles kündete ihr die Hoffnung auf ein Wiedersehen! Und es war noch ein anderes Wiedersehen, das ihr Herz von neuem zu hoffen begann! Da schmetterte lauter die Nachtigall, da klopften lauter ihre Pulse, und dann trat das Glück, einen noch unbekannten Vater zu finden, in Schatten gegen die größere Seligkeit, welche ein Wiedersehen mit dem Geliebten verhieß.
Sie hatte Kleopatra wieder aufgesucht, welche vor kurzem mit ihrer Gesellschaft von einer Rundreise in der Provinz zurückgekehrt war. Die kriegerische Zeit war diesem Unternehmen nicht günstig gewesen; in der Hauptstadt waren die Aussichten für künstlerische Leistungen noch immer die besten. Die schlaue Schauspieldirectrice suchte Marie zu gewinnen, da ihr für dies Fach gerade eine entsprechende Vertreterin fehlte und Marie von früher bei den Theaterfreunden in bester Erinnerung stand. Vor allem galt es, die Schwermuth des Mädchens zu zerstreuen, ihr wieder Lust am Leben und damit auch an der Schaubühne einzuflößen. Kleopatra ging sehr geschickt zu Werke; sie begann selbst das Gespräch auf Sigismund zu 219 lenken; sie erzählte, wie seit jenem Vorgang im Locatellischen Saale jedes Verhältniß zwischen ihm und dem Fräulein von Gutzmar abgebrochen worden sei; wie er gar nicht mehr an dies Mädchen denke. Er komme bisweilen nach Breslau und bewege sich, wie früher, vorzugsweise in Theaterkreisen; er schreibe öfters an sie in Sachen ihres Kränzchens, theile ihr auch andere wichtige Nachrichten mit, und in der That erfuhr Marie von der Directrice, welche die Wahrheit ihrer Aussagen damit zu beweisen suchte, allerlei aus dem österreichischen Lager, und theilte dies wieder ihrer Beschützerin mit, welche in dem Kreise der frommen Verschwörung stets von neuem damit glänzen und den Glauben an ihre geheimen Verbindungen aufrecht erhalten konnte.
War es ein Wunder, daß eine das ganze Leben ausfüllende Liebe von neuem schüchterne, hoffnungsvolle Knospen trieb? Sigismund bereute gewiß; und wenn er die Braut für immer verlassen, so stand ihm ja die Rückkehr offen zu einer verschmähten Liebe, die aber in dem Besitz seiner heiligsten Versprechungen war. Und was stand dieser Rückkehr im Wege? Gewiß hatte er ihr ja längst verziehen, was sie nur im Uebermaß der Leidenschaft gesündigt hatte; wenn er sie wiedersah, so war alles vergessen und das erneuerte Glück mußte um so festere Wurzeln schlagen. 220 Nur geblendet von einem gaukelnden Trugbild, war er auf einen Abweg gerathen.
Kleopatra, eine große Menschenkennerin, durchschaute alle Gedankengänge des Mädchens und bestärkte sie in dem Glauben, daß Sigismund zu seiner alten Liebe zurückkehren werde, sobald er sie wieder erblickt habe. So hatte ihr Plan, Marie an ihr Unternehmen von neuem zu fesseln, vollkommenen Erfolg. Dort nur konnte sie Sigismund bei seiner Anwesenheit in der Stadt treffen, hier in der Einsamkeit der entlegenen Villa war sie für ihn verloren.
Doch auch mit eigenem Erwerb wollte sie sich durch das Leben schlagen; der Gedanke, so lange fremde Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen, war ihr peinlich genug, und ehrenvoller erschien's ihr, von dem Ertrag ihrer künstlerischen Leistungen zu leben.
»So willst Du mich schon morgen verlassen?« frug Agnes die Freundin, als beide, sich an der angenehmen Kühle des Abends erquickend, am Fenster saßen, »ich werde mich hier einsam fühlen ohne Dich, und immer von neuem warne ich Dich vor der Rückkehr zur Bühne.«
»Es ist einmal mein Beruf,« sagte Marie, »meine Jugend wurde zu ihm hingeführt, und wo finden wir Heimathlosen eine andere Heimath, als diejenige, welche die Kunst uns gewährt?«
221 »Du warst hier glücklich im Schatten dieser Bäume,« erwiderte Agnes, »in dieser friedlichen Ruhe, welche keine lärmenden Anforderungen unterbrach. Hier vermochte Dein krankes Gemüth zu genesen; warum willst Du diesen Frieden wieder vertauschen mit den Anstrengungen einer unsteten Laufbahn?«
»O es ist schön hier, entzückend schön, und wieviel habe ich Dir zu danken,« sagte Marie, indem sie Agnes mit überströmendem Gefühl in die Arme schloß. »Wenn wir zusammen unter der Linde saßen, deren breitästiger Baldachin uns Schatten bot, wenn der Duft der erschlossenen Blüthen uns Sinne und Seele berauschte und ich las Dir die Verse unserer schlesischen Dichter und wir sahen mit Sehnsucht auf die zarten blauen Umrisse der fernen Berge . . . ich werde diese Augenblicke glücklicher Ruhe nie vergessen! Da war mir's oft, als löste sich die Seele los von jeder Vergangenheit, als wäre sie nur ein Spiegel der Welt, der schönen Welt, und mein eignes Geschick trat mir als ein fremdes entgegen, dem ich eine Thräne des Antheils weihte, das mir aber nicht zerrüttend in's Herz griff.«
»Und warum, thörichte Freundin,« frug Agnes, »willst Du dies friedliche Glück wieder zerstören? Der Onkel nimmt innigen Antheil an Dir, er freut sich, Dir hier eine Zufluchtsstätte bieten zu können. 222 Es wäre ein Frevel an seinen guten Absichten und an unserer Freundschaft, wenn Du das herzlich Gebotene zurückweisen wolltest!«
»Wer selbst schaffen kann,« entgegnete Marie, »soll nicht bequemer Muße pflegen und Andern zur Last fallen.«
»Ich hoffte, Du würdest hier verweilen,« sagte Agnes, »bis Du Deinen Vater in Deine Arme geschlossen.«
»So lange Rast ist mir nicht gegönnt,« entgegnete Marie, »es treibt mich zu schaffen, zu wirken, jene Augenblicke friedlicher Ruhe gehen rasch vorüber. Dann fühle ich wieder eine bohrende treibende Unruhe in mir! Wer gewohnt ist, zu wandern, den duldet's nicht lange an einer Stätte!«
»Armes Kind,« rief Agnes aus, doch um nicht die schwermüthigen Anwandlungen der Freundin zu unterstützen, änderte sie rasch den Ton. »Das muß ein eigener Zauber sein, der um die Bretter der Bühne und ihren Flitter schwebt! Da erscheint selbst eine Gestalt verklärt, wie diese Kleopatra, welche Dich gestern besuchte! Das ist also die Herrscherin in dem Reich des Scheins! Eine stattliche Bühnenmajestät – wahrhaftig! Das volle Leben quillt nur so hervor aus den Kleidern! Ich möchte nicht unter ihrem Scepter wohnen, denn sie ist gewiß herrschsüchtig, 223 stolz, eigensinnig; alle diese Geschöpfe, welche in so üppigem Behagen schwelgen, sind auch wieder launenhaft! Sie hat ein böses Auge und ein paar buschige Augenbrauen . . . ich verstehe mich auf die Gesichter! Und diese Bühne ist eine Welt für sich . . . das sind lauter kleine Tyrannen, die da herrschen und sich selbst die Gesetze geben. Du bist ja ohnmächtig gegen ihren Willen! Früher war sie Deine Genossin, jetzt ist sie Deine Herrin! Wer sagt Dir denn, daß der Beifall, der Deine Leistungen krönt, sie nicht zu Deiner erbittertsten Feindin macht? Wirst Du ihr vorgezogen, dann ist Dein Loos besiegelt! Von den beiden bösen Geistern der Menschen, Geldgier und Ruhmbegier, ist bei den Künstlern der zweite am mächtigsten. Sie freut sich, daß Du die Menge lockst und daß das Gold im Kasten klingt, aber wenn Du allein der Magnet des Hauses bist, wenn es leer bleibt, sobald sie selbst den Dolch als tragische Heldin zückt: dann wird sie Dich hassen und wie höllisches Feuer wird das Silber in ihren Händen brennen, das zu Deinem Ruhm in die bedürftige Kasse rollt.«
»Schilt mich, liebe Freundin,« sagte Marie, »aber es zieht mich mit einer unwiderstehlichen Gewalt in jene Kreise, an denen meine schönsten Erinnerungen haften. Wenn wir wieder ein älteres Stück spielen, so besinne ich mich, an welcher Stelle er Beifall 224 klatschte; ich glaube ihn im Geiste zu erblicken, wie er an dem Pfeiler lehnt; seine Augen suchen und sehen nur mich auf der Bühne. Und ein stilles Hoffen sagt mir, daß dies Glück sich wiederholen kann, und daß den Schatten meiner Träume bald seine Gestalt in aller Lebensfrische ablösen wird!«
»Das also ist's,« rief Agnes, »armes Kind! Ich habe schon längst geahnt, daß eine Liebe, die nicht leben und nicht sterben kann, Dich wieder in ihren Wirbeln umhertreibt. Ich fürchte, Du gehst einer neuen schmerzlichen Enttäuschung entgegen! Wir zehren von unvergeßlichen Erinnerungen, doch die Männer sind vergeßlich! Nicht alle, mein Arthur nicht –«
»Du bist glücklich,« sagte Marie, »Arthur ist edel und festen Sinnes! Sigismund ist wandelbar; ich kenne alle seine Schwächen, und doch kann ich nicht von ihm lassen, ich bin auf immer in seinem Bann! Meine Gedanken und Gefühle sind bei ihm allein! Leer, öde, schattenhaft ist Alles ohne ihn; ich bin ja schon selig, seit ich wieder hoffen darf!«
»Setze nicht alles Glück in diese eine Hoffnung,« sagte Agnes, indem sie dem träumerischen Kinde die dunklen Haare streichelte, welche gelöst auf ihre Schultern herabsanken, »verzichte lieber im voraus! Die Welt ist reich, man muß an die Zukunft glauben, an 225 irgend ein unbekanntes Glück, welches hinter der leise angelehnten Pforte unseres Schicksals hervorlauscht.«
Noch lange unterhielten sich die beiden Mädchen am offenen Fenster, bis die Lampen im Zimmer heruntergebrannt und auch der Mond am Horizont hinter den Thürmen der Stadt versunken war. Ungern nahmen seine Strahlen Abschied von dem anmuthigen Bilde, welches die beiden hübschen Mädchen darboten: die eine mit den dunkeln träumerischen Augen und den seelenvollen Zügen ein Bild anmuthiger Schwermuth, die andere geistfunkelnd, lebensfrisch, schalkhaft, eine lächelnde Grazie. Es war, als hätten die beiden Genien des Menschenlebens, der ernste und heitere, hier liebreizende Gestalt gefunden.
Noch war am andern Morgen die Sonne nicht hoch emporgestiegen, als der kleine Doctor bereits die Sphinx am Thürklopfer in Bewegung setzte. Agnes empfing ihn im geschmackvollen Morgenkleide; sie gehörte zu den Morgenschönheiten, welche ein Hauch von Frische und Gesundheit umweht in jenen Stunden, wo die Schönheiten der Ballabende unfreundlich von dem Sonnenschein begrüßt werden, der ihnen dreist in die bleichen Gesichter sieht. Der kleine Doctor setzte sich nur kurze Zeit an den Frühstückstisch; sein heutiger Fischzug übertraf seine kühnsten Erwartungen; ihn brannte der Brief in den Händen 226 und er eilte, ihn durch eine Ordonnanz des Feld-Kriegscommissariats an den General von Münchow zu befördern.
Nicht lange darauf hielt vor der Thür der Villa ein kleiner Wagen, welcher das geringfügige Hab und Gut der Künstlerin in ihre Stadtwohnung hinüberschaffen sollte. Mit Thränen des Dankes, mit herzlicher Umarmung schied Marie von der Freundin, welche ihr noch lange durch das offene Fenster nachsah. Auch in ihrem Auge schimmerte eine Thräne; sie dachte an das unsichere und bedrohliche Geschick, dem das arme Mädchen von neuem entgegenging in der Rastlosigkeit einer unseligen Leidenschaft. Dann aber schwebte ein zufriedenes Lächeln um ihre Lippen; ihr eigenes Glück war ja fest begründet, und bald hoffte sie drüben auf den Mauern und Thürmen der alten Stadt die preußische Fahne zu sehen. 227