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Im Salon der Domtanten machte die Theemaschine jene behagliche Musik, welche die Gemüther schon vor dem Genuß des erregenden Trankes in eine angenehme und mittheilsame Stimmung versetzt. Der Thee ist ja ein conservatives Getränk; er stammt aus dem Reiche der Mitte, und wenn die Theestaude zuerst ihre rosa angehauchten weißen Blumen entfaltet, so steht neben denselben der Chinese, der seinen Zopf seit Jahrtausenden treu bewahrt hat, und wo wird mehr Thee getrunken, als im Lande der Erbweisheit? Wenn die Geisterchen der armen gerösteten Theeblätter ihren brodelnden Gesang ertönen lassen, so müßte Jeder, der genauer hinhört und ihre Sprache verstünde, ein Lied vernehmen von der grünen Drachenfahne, von dem allmächtigen Sohne des Himmels, von den stolzen Mandarinen mit geblümtem Atlas und blauem 110 Kreppstor, mit dem Knopf und der Pfauenfeder an der Mütze, von den schönen Frauen mit dem grünen Gürtel, von der hochgelehrten Akademie der Pinsel. Wer's aber nicht versteht, der fühlt wenigstens heraus, daß der Thee etwas Altkluges hat, und wer über irgend einen Zopf gebieten kann, der dreht ihn sich fester und stattlicher und zeigt ihn mit größerem Selbstgefühl, wenn er der Theemaschine gegenüber sitzt! Nie wird so weise geurtheilt, so bedachtsam erwogen, so beredtsam verhandelt, als bei dem Schlürfen des grünen Trankes.
Doch die jungen Schönen lieben ihn ja ebenfalls . . . als wenn die Jugend nicht auch ihr verborgenes chinesisches Zöpfchen hätte!
Hier aber, im Salon der Domtanten, ist, soweit wir auch die Blicke schweifen lassen, nichts von Jugend zu sehen; noch ist Isabella nicht eingetreten und was hier auf den Lehnstühlen, Causeusen, in den Sophaecken lehnt, das ist gegen den Verdacht hinlänglich gesichert, noch in ihrem Flügelkleide zu wandeln. Selbst das süße Kind Sebalde von Rothschütz trägt auf seiner Stirn den Kuß der Musen, der sich in einigen Furchen zu verewigen pflegt, denn ihr Joch und ihre Last ist nicht leicht.
Noch ist die ernste Aufgabe der Sitzung nicht in Angriff genommen; man beschäftigt sich mit den 111 angenehmen Präludien, mit traulichen Gesprächen über Vorgänge von geringerer Wichtigkeit.
»Welche Freude muß es sein,« rief das Fräulein Ziermann aus, indem es sinnig auf seinen kleinen Fuß starrte, der stets neugierig aus dem Reifrock hervorguckte, »einen Prozeß zu gewinnen! Wie beneide ich die Fräulein von Pogarell um dies Gefühl! Erbschaften machen ist schon ein besonderes Glück; ich habe niemals etwas geerbt, als von meiner Mutter ein schönes Korallengeschmeide und von meinem Vater das Talent für die Arithmetik. Rechnen und Zählen ist meine Freude; leider! habe ich nichts anderes zu zählen, als die Maschen in meinen Strümpfen und die Stiche in meinen Nähtereien; wenn ich's aber in's Große treibe, da muß ich die Nullen aus meinem eigenen Kopfe nehmen . . . und das hat etwas Gespenstisches! Einmal solide Gold- und Silberstücke zu zählen, das wäre mir der größte Genuß!«
»Wie prosaisch,« sagte das Fräulein mit dem Kuß der Musen auf der Stirn, indem es einen Blick nach dem Plafonds warf, um seinem Auge, das von Natur etwas Gedrücktes und Blinzendes hatte, einen schwärmerischen Ausdruck zu geben.
»Ich verachte auch alles Weltliche,« sagte die düstere Ursula, indem sie die geleerten Tassen mit dem chinesischen Trank füllte, »doch sein Recht muß man 112 sich nicht streitig machen lassen! Du irrst Dich indeß, liebe Ziermann, wenn Du glaubst, daß ein solcher Prozeß uns besondere Freude bereitet; man hat nichts davon als Aerger, Aufregung und schlaflose Nächte.«
»Welch ein Frevel, so frommen Damen ihr gerechtes Erbe streitig zu machen,« sagte die würdige Oberin des Ursulinerklosters, eine Mumie in Klostergewändern.
»Ein sauberer Patron, dieser Arthur von Seidlitz,« bemerkte das ältere Fräulein Rothschütz, dessen Gesicht und Seele seit längerer Zeit ins Essigsaure übergegangen war; jedes Wort von ihren Lippen hatte einen beizenden, zerfressenden Beigeschmack; »erst strengt er mit seiner Familie diesen schmachvollen Prozeß an, und dann geht er mit Sang und Klang in's Lager dieses preußischen Nebukadnezar über.«
Abscheu lag auf allen Mienen, unbedingte Verwerfung sprach sich im Klappern der Theetassen aus, welche mit Geberden des Unwillens geräuschvoll auf den Tisch gesetzt wurden.
»Gott sei Dank,« fuhr das essigsaure Fräulein fort, »der gute Junker soll von den Säbeln der österreichischen Reiterei bei Mollwitz so zugerichtet worden sein, daß er zeitlebens ein gezeichneter Mann ist. Möchten sie doch auch meinem Vetter, dem Junker Hans Leopold von Schweinichen seine kolossale 113 Leiblichkeit in ein einziges corpus delicti verwandeln, denn dieser ungeheuerliche Vagabond war der erste, der zu den Fahnen des Räuberkönigs desertirte und jetzt diese preußische Heidenuniform ohne jede Nachhilfe von Watte in der enormsten Weise ausfüllt.« Die gute Sidonie konnte diese grausamen Wünsche doch nicht ruhig mitanhören.
»Was den Herrn von Schweinichen betrifft, so kenne ich ihn nicht und überlasse ihn gern seinem Schicksal; aber Arthur von Seidlitz ist unser Verwandter; was er auch gethan haben mag, ich wünsche ihm alles Gute; ja wir hofften einige Zeitlang, er würde uns noch näher treten.«
»Das hofften wir nicht,« fuhr Ursula auf, welche durch diese Enthüllungen ihrer Schwester peinlich berührt wurde; ihre Stimme hatte etwas unheimlich Zischendes, wie immer, wenn die Wuth in ihr kochte; »wir erkannten von Hause aus das Kainszeichen auf seiner Stirn; wir ahnten den Verrath, ehe er noch zum Verräther wurde. Sidonie, Du bringst uns noch ins Gerede durch Deine Phantasien! Meine arme Schwester! Sie hat ein so gutes Herz, daß sie an die Märchen glaubt, die sie selbst erfindet.«
»Was den Herrn von Seidlitz betrifft,« warf Fräulein Ziermann ein, indem sie die einzige Schönheit, welche ihre andern Reize überlebt hatte, das 114 zarte Elfenfüßchen in eine spielerische Bewegung versetzte, »so glaube ich doch, daß er früher nicht so schlimm gewesen sein kann; denn er war eng befreundet mit dem Herrn von Reideburg und dies ist jedenfalls ein mustergültiger Cavalier.«
Freudige Zustimmung malte sich auf allen Gesichtern; mit wohlgefälligem Behagen nahm man die Theetassen wieder zur Hand und schlürfte den erquickenden Trank. Nur Fräulein von Rothschütz die ältere vertrug kein unbedingtes Lob und mußte dasselbe stets durch einen kleinen Zusatz von Säure genießbarer machen. »Gewiß, er ist ein treuer Anhänger Oesterreichs, wie sich's für einen Oberamtsassessor ziemt, doch diese unglückliche Verlobungsaffaire . . es war doch immer ein kleiner Scandal.«
»Aber, Liebste,« wendete Fräulein Ziermann ein, »das ist eine dunkle Geschichte, man weiß nicht, irgend eine Intrigue –«
»Das Mädchen ist nachher wieder spurlos verschwunden,« sagte Ursula; »das beweist deutlich, daß dies eine künstlich angezettelte Störung war.«
»Oder sie war irrsinnig,« fügte die Oberin des Ursulinerklosters hinzu.
Da erhob sich Sebalde, der schon lange vor Ungeduld die Tasse in der Hand zitterte, und obgleich der unschuldige Dampf einer Theetasse nichts mit dem 115 Dampf gemein hat, der eine pythische Priesterin zu ihren Orakeln begeistert, so war die Dame mit dem Weihekuß der Musen auf der Stirn doch in einer delphischen Stimmung, und wenn sie in Prosa sprach, statt in Versen, so waren an diesem glücklichen Zufall nur die Schwierigkeiten schuld, die ihr der ungeberdige Alexandriner bereitete, wenn sie ihn im stillen Kämmerlein aufzuzäumen versuchte. »Laßt mich sprechen,« begann sie ihre Weiherede, »ich kenne Herrn von Reideburg, er hat mich erst neulich wieder besucht.«
»Neulich, wie? er ist ja aus Breslau verwiesen,« warf die Oberin ein.
»Das hindert nicht, daß er sich hier zeigt. Der König von Preußen hat hier glücklicherweise keine Polizei; der Assessor ist ein Mann, der nicht nur seinem Eide treu bleibt und seinen Pflichten gegen Haus Habsburg, nicht nur ein Politiker von der rechten Farbe und der rechten Energie; nein, er ist auch fein gebildet, wie wenige, er hat Sinn für das Schöne, ach, und was wäre die Erde ohne das Schöne.«
Fräulein Ziermann betrachtete wieder ihren Fuß; ein großer Theil der Damen hatte aber schüchterne Fragezeichen im Gesicht, welche besonders bei der älteren Schwester des redseligen Fräuleins sich in einem zweifelhaften Lächeln aussprachen; diese 116 Fragezeichen, dies Lächeln meinten nur, daß der Herr Assessor seinen Sinn für das Schöne durch einen Besuch bei Sebalde Rothschütz nicht gerade bewiesen habe.
»Nur poetische Gemüther verstehen einander,« fuhr diese fort;»die Welt urtheilt falsch über sie. Der Assessor hat stets einen Kreis von Künstlern und von Künstlerinnen um sich versammelt; sie sprechen oft in Versen, in Citaten aus unseren vaterländischen Dichtern . . . ach wie entzückend! In Versen . . . man fühlt sich so hinweggehoben über das Gewöhnliche, man ist in einer Sonntagsstimmung und berührt sich mit dem Unsichtbaren!«
»Ach das süße Sonntagskind,« flüsterte Sidonie, die in ihrer Gutherzigkeit nichts mehr bewunderte, als schwärmerischen Augenaufschlag und begeisterten Redefluß.
»Was ist natürlicher,« sagte das redselige Fräulein weiter, »als daß ein solches Mädchen, welches sich der Kunst gewidmet hat, welches sich in diesen Kreisen bewegt, die Kunst mit dem Leben verwechselt, dichterische Aussprüche für baare Münze nimmt, in citirten Versen vielleicht Liebeserklärungen sucht? Wir sind alle unzurechnungsfähig, wir Künstlerinnen und Dichterinnen; wenn wir einen Schritt ans dem erhabenen 117 Tempel thun, wo wir dem Dienst der Musen huldigen, so stolpern wir schon über die Schwelle.«
Allzu beweiskräftig warf die Rednerin bei diesen Worten, die sie durch eine vielsagende Geberde unterstützen wollte, die volle Theetasse um, die vor ihr stand, und der grüne chinesische Strom ergoß sich, wie der gelbe, wenn er über seine Ufer tritt, über die Tischdecke, und bedrohte das neue Kleid des Fräulein Ziermann, deren Füßchen plötzlich im Reifrock verschwanden, während sie den Lehnstuhl noch rechtzeitig auf seinen Rädern zurückrollte. So wurde nur das ältere Fräulein Rothschütz das Opfer ihrer talentvolleren Schwester und sie zögerte nicht, während sie mit krampfhafter Energie an ihrem Kleide rieb und wischte, sich mit einer Flut von Schmähungen, welche die Poesie im Allgemeinen und die Poesie ihrer Schwester im Besonderen herabsetzten, für den erlittenen Schaden zu rächen. Doch Sebalde schien gewöhnt an diese Angriffe auf ihre Ideale und fuhr, durch den unliebsamen Zwischenfall unerschüttert, fort:
»O welchen Täuschungen sind wir ausgesetzt, wenn wir die Grenzsteine zwischen der Dichtung und dem Leben überspringen! Was habe ich selbst erduldet, wenn mein süßer Wahn verschwand, wenn die rosigen Gewölke meiner Träume zerflatterten! Das arme unselige Kind! Sie glaubte sich geliebt, weil sie 118 liebte; sie fand in seinen Versen glühende Liebeserklärungen, und es waren nur Alexandriner von Lohenstein. Sie hat keine Schuld, aber auch er nicht! Darum stürzte sie sich in die Oder, ich verstehe das.«
»Du hast es aber noch nie versucht,« warf die boshafte Schwester ein.
»Und aus solcher Täuschung ging auch der Auftritt im Locatelli'schen Saal hervor.«
»Du vergißt den Ring,« sagte die Unerbittliche, welche das geschädigte Kleid in eine noch galligere Stimmung versetzte.
»Der Ring – das ist solch ein Theaterrequisit! Der ist gewiß von einer Lustspielprobe her an ihrem Finger haften geblieben! Sie alle sind zu beweinen, der Bräutigam, die Braut, das arme Mädchen! Beweinenswerth ist ja alles auf Erden, was zur Sonne strebt . . . die Poesie, die Liebe und alle großen Seelen.«
Mit einem Augenaufschlag voll Schwärmerei und einer Bewegung, als wollte sie in die Lüfte auffliegen, schloß Sebalde ihre Rede.
»Was ist denn aus dem Fräulein Gutzmar geworden?« frug Ursula.
»Die Aermste,« entgegnete eine spindeldürre Comtesse, welche mit einem von ihrem Stammbaum 119 abgefallenen welken Ast große Aehnlichkeit hatte, »eine Verlobung mit Eclat, so was schafft man beiseite!«
»Sie lebt bei Verwandten auf dem Lande,« sagte Fräulein Ziermann, »und wird sich gewiß bald wieder verloben; denn über der ganzen unglücklichen Geschichte ist Gras gewachsen.«
»Man sah aber doch den Assessor mit einer andern Schauspielerin, nicht einmal, sondern bei jeder Gelegenheit,« begann Fräulein Rothschütz die ältere, welche sich nicht so leicht aus dem Felde schlagen ließ.
»Ach wie schnöde doch die Welt urtheilt!« erwiederte Sebalde, »in dichterischen Gemüthern blühen Neigungen auf wie Blumen auf dem Felde; wer zählt die einzelnen! Es ist der Blüthenflor einer schönen Seele!«
In diesem Augenblick trat Isabella in den Saal, als die jüngste von den würdigen Fräuleins der Versammlung nur mit mäßiger Ehrfurcht begrüßt. Pater Maurus, der, in einer Fensternische stehend, bisher dem Gespräch keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte, sondern in tiefe Gedanken versunken war, wandte sich jetzt der Gesellschaft zu. »Meine Damen,« begann er, »beschäftigen wir uns jetzt wieder mit den ernsten Zwecken unserer Versammlung! Es kommt alles darauf an, einen regelmäßigen Verkehr mit dem österreichischen Heere zu unterhalten, damit wir zur rechten 120 Zeit von jeder Bewegung desselben unterrichtet sind, vor allem aber die erforderlichen Winke empfangen, wenn der Feldmarschalllieutenant es für nöthig halten sollte, einen plötzlichen Marsch nach Breslau anzutreten und einen Handstreich auf diese Stadt auszuführen, den wir mit allen Kräften unterstützen müßten.«
»Ja, und sollten wir selbst mit der Fahne in der Hand eine Schaar von Kämpfern sammeln, welche die Thorwachen angreift und die Thore öffnet,« rief Isabella mit jener Aufregung, die jetzt ihr ganzes Wesen beherrschte.
Dieser kühne Gedanke konnte nur Kopfschütteln erregen bei einer Gesellschaft, welche für das Heldenhafte durchaus keine Anlagen besaß; nur Sebalde vermochte dem Schwung Isabellens zu folgen und eine diesmal glücklicherweise erfolglose Handbewegung bewies, wie auch sie bereit sei, eine Fahne in die Hand zu nehmen, wenn dieselbe nur einigermaßen für zarte Hände berechnet war.
»Eine wahre Jeanne d'Arc,« flüsterte die ältere Schwester.
»Was sind das wieder für Uebertreibungen,« sagte Ursula mit einem zürnenden Blick auf Isabella, »das Mädchen kann nicht mehr den rechten Weg finden; immer schießt sie über das Ziel hinaus. Was Sache der Männer ist, überlassen wir den Männern; wir 121 fördern das gute Werk in unserer Weise durch Gebet und allerlei weltliche Praktiken, welche durch den großen Zweck geheiligt werden.«
»Hat eine der Damen,« frug Maurus fort, »wieder Nachrichten von dem österreichischen Heere erhalten?«
Da griff Fräulein Ziermann in die Tasche, schob beide Füßchen hervor, was sie nie versäumte, wenn sie gleichsam auf die Bühne trat, und holte einen Brief hervor, der mit Buchstaben von riesiger Größe und imponirender Stärke der Grundstriche wie mit einer alterthümlichen Keilschrift bedeckt war.
»Ein Brief meines Bruders,« sagte sie.
»Lesen Sie, lesen Sie« – riefen viele Stimmen zugleich.
»Mein Bruder ist Lieutenant bei den Husaren des Festetitzschen Corps,« fuhr Fräulein Ziermann fort, »er schreibt aus Grottkau: Liebe Rosaura! Nur wenige Zeilen. Wir hatten gestern ein Scharmützel mit den preußischen Husaren und haben sie gehörig massacrirt. Der ganze Boden ringsum war mit Dolman's und Säbeln bedeckt, welche das Klirren verlernt hatten. Viele Kriegsgefangene! Grüße Isolde von mir, sie soll mir nicht treulos werden, sonst massacrir' ich sie. Es war eine glänzende Attaque! Sie hatte schon immer ein Auge auf den reichen 122 Ambrosius Böhm geworfen, Firma Neumann und Böhm, sacredieu! Ich lasse mir meine Liebe nicht von einem Farbenwaarenhändler chiffonniren. Auch zwei Rittmeister der Preußen sind gefangen. Geht's so fort, so werden wir schon noch mit den Preußen fertig werden, ebenso leicht wie ich privatim mit Herrn Ambrosius Böhm, sammt seinem Berliner Blau. Gott schütze die Königin von Ungarn! Verdirb Dir nicht die Augen mit zu vieler Lectüre, es ist doch alles Unsinn. Dein treuer Bruder Ehrenfried.«
Der kleine Erfolg der Oesterreicher erregte große Freude; nur meinte das ältere Fräulein von Rothschütz, es sei doch etwas indiscret, auch alle zarten Mittheilungen, die ein solcher Brief enthalte, einem weiteren Kreise preiszugeben, und wenn sie auch einräumen müsse, daß der junge Offizier das Kriegerische und die Liebesaffairen in einer etwas unlösbaren Manier durcheinandergemischt habe, so lasse sich doch mit einiger Fürsorge das Wichtige herausheben und alles andere bleibe dem Briefgeheimniß anvertraut. Die gestrenge Ursula schloß sich dieser Meinung an, und Rosaura Ziermann hielt es für das Beste, eine schmollende Miene anzunehmen, weil sie für eine so wichtige Mittheilung mit schnödem Undank belohnt worden sei.
123 »Ich habe einen Brief von unserem Pater!« sagte die Oberin des Klosters, »die Stimmung im österreichischen Lager ist die beste. Neisse hält sich. Die Armee steht bei Bielau hinter Neisse. Der Harun Bassa der Warasdiner ist mit einigen hundert Mann in's Lager eingerückt; doch die vorgeschobenen Corps stehen dicht vor den Waldbergen des Städtchens Zobten.«
»Bei Gott,« rief der Pater Maurus, »das ist eine erfreuliche Mittheilung. Wir dürfen, wenn wir den blauen Gipfel dieses allgegenwärtigen Berges, unseres alten Zobten, erblicken, dabei das trostreiche Gefühl haben, daß die Retter und Helfer schon an seinem Fuße weilen.«
Kaum hatte der Pater seiner Freude in solcher Weise Ausdruck gegeben, als er hinausgerufen wurde zu einem Fremden, welcher Zutritt begehrte. Die Spannung auf den bereits vorher angekündigten Gast war eine lebhafte; sie bewirkte sogar, daß die laute Unterhaltung abbrach und nur ein Summen und ein Flüstern im Kreise ging, wie auf einer Blumenwiese an einem Sommernachmittag, wenn die Wespen, Hummeln und die schwere Cavallerie der Fliegen um die Blüthenkelche manövrirt.
Der Fremde, der hereintrat, war tief in seinen Mantel gehüllt; er warf aus seinem großen Auge 124 fragende Blicke auf die Versammlung; dann legte er den Mantel ab, und diejenigen Damen, welche mit städtischen Dingen vertraut waren und die großen Männer des Rathhauses in ihrer Würde und Herrlichkeit gesehen hatten, erkannten zu ihrer nicht geringen Ueberraschung in dem neu eingeführten Gast den mächtigen Syndikus der Stadt Breslau, den Herrn von Gutzmar.
»Ich rechne auf Ihre Discretion, meine Damen, wenn ich es wage, in Ihrer Mitte zu erscheinen,« sagte der Syndikus mit jenem wuchtvollen Ton, der stets an den Amtstalar erinnerte, den er aber auch in gewöhnlichem Gespräch nicht verleugnete.
»Sie können derselben sicher sein,« erwiderte Ursula feierlich.
»Wir sind zwar nicht mehr an Discretion gewöhnt,« sagte das ältere Fräulein von Rothschütz, »denn wir haben alle wenig mehr zu verschweigen; doch bei einer so schmeichelhaften Ausnahme werden wir uns alle Mühe geben.«
Dumpfes Murren folgte dieser Bemerkung; man wußte, wie gern das angesäuerte Fräulein das enfant terrible spielte, um mit sich zugleich alle anderen bloßzustellen.
»Der Syndikus von Gutzmar, meine Damen,« sagte der Pater Maurus vorstellend; alle verneigten sich 125 wie ein welker Asternflor, über den der Herbstwind streicht.
»Ich komme zu Ihnen,« sagte der Syndikus, »weil ich weiß, daß Sie alle von der gleichen Anhänglichkeit an das Haus Habsburg beseelt sind, die auch mich erfüllt; doch wir leben in schwierigen Zeiten, und wir, die wir am Ruder stehen, wissen oft kaum, wohin wir steuern sollen. Amtlicher Verkehr mit dem Lager der Truppen der Königin von Ungarn ist uns fast zur Unmöglichkeit geworden; unsere Briefe können aufgefangen werden, und wir sind verloren. So hört' ich von Ihren Assisen, meine Damen; Sie sind durch Ihre Freunde stets von allen Vorgängen unterrichtet, und es würde mich sehr erfreuen, wenn Sie mir erlaubten, auch an dieser Quelle zu schöpfen.«
Ein abermaliges, allseitiges Verneigen und die Rufe: »mit Freuden, mit Vergnügen!« bewiesen dem Syndikus, daß sein Ersuchen huldvoll bewilligt worden; er sprach im Voraus seinen Dank dafür aus; doch so leichten Kaufs sollte er nicht loskommen; er hatte sich an einen Bienenkorb gewagt, der gerade im Schwärmen war, und mußte darauf gefaßt sein, daß einige Stacheln an ihm haften blieben.
»Herr Syndikus,« begann Ursula, »wir sind überzeugt, daß Sie der Königin von Ungarn die gleiche Treue bewahren, wie wir; doch wir können es nimmer 126 billigen, daß Sie mit dem Landesfeind ein Abkommen getroffen haben, welches ihm die größten Vortheile gewährt.«
»Und daß Sie ihn in der Stadt aufnahmen,« fügte Isabella hinzu, »diesen König, der unsere Königin mit Krieg überzieht, und daß Sie die Freuden eitler Feste mit ihm theilten. Jetzt, wo wir noch alle um den Kaiser trauern, tanzten Sie in eitler Maskenlust mit dem Landverwüster. Ich bin noch ein junges Mädchen und es ziemt mir nicht, von Politik zu sprechen, aber ich spreche von meinem Gefühl, und dies wurde im Innersten gekränkt, als ich erfuhr, wie ein fremder Fürst den Kindern des Landes die Landestrauer zu verbieten wagte, und wie alle die Mächtigen der Stadt dem Winke des Despoten gehorchten.«
»Du bist thöricht, Isabella,« flüsterte der Pater dem erhitzten Mädchen zu, »Du reizest unsere einflußreichsten Freunde.«
»Meine Damen,« sagte Gutzmar mit Ruhe, »wenn ich hier immer in Ihrem friedlichen Kreise verweilt hätte, so würde ich Ihre Meinungen theilen, wie ich Ihre Gesinnung theile; aber in der Politik heißt es oft, dem Zwang sich mit Anstand fügen und auf bessere Tage warten. Sollte ich schwere Zeiten über Breslau heraufführen, wenn ich durch kluge Zögerung die Gefahr abzuwenden vermochte? Der 127 Neutralitätsvertrag ist eine solche Verzögerung, ein Hinausschieben der Entscheidung; es ist Sache der Oesterreicher, ihn durch ihre Siege zu kassiren. Haben wir bei dem König getanzt, so mögen sie den König zu einem Tanze laden, bei dem es minder lustig für ihn hergeht.«
Das ältere Fräulein Rothschütz hatte eine Anwandlung politischer Laune; sie nahm eine wichtige Miene an, als wäre sie die Sibylle von Cumae, welche nur ein Blatt in ihren Büchern umzudrehen braucht, um die Zukunft zu ergründen. »So geht Breslau's Geschick dem Abgrund entgegen! Was ist das für ein Vertrag, welcher nur dem einen der Kämpfenden Nutzen gewährt? Wenn man neutral ist, so ist man's nach allen Seiten hin; wie die Preußen, so müssen auch die Oesterreicher durch die Stadt marschiren und hier für Proviant sorgen dürfen.«
»Ich erstaune, mein Fräulein,« unterbrach sie Gutzmar, »Sie errathen meine verborgensten Gedanken.«
Noch glaubte man nicht an den Triumph des unbeliebten Fräuleins und hielt die Aeußerung des Syndikus für Spott, den man mit einem schadenfrohen Lächeln begrüßte.
128 »In der That,« fuhr Gutzmar fort, »es ist der Vorschlag, den ich morgen noch vor den Rath und die Zünfte zu bringen gedenke; zunächst in vertraulicher Weise, aber ich bin auf lebhaften Widerstand gefaßt. Es geht ein böser Geist durch Breslau, ein widerspenstiger Geist, welcher zu Abfall und Verrath geneigt ist und den Erfolgen der Preußen zujauchzt. Die Intriguen jenes Doctor Freier haben die ganze Bürgerschaft unterwühlt; sie müßte wieder einmal österreichische Uniformen sehen.«
»Hoffen wir, geehrter Herr Syndikus,« sagte Pater Maurus, »daß Ihr Vorschlag von Erfolg gekrönt sein wird.«
»Mir kommt es darauf an,« fuhr Gutzmar fort, »stets das Neueste aus dem österreichischen Lager zu erfahren; ich kann wohl einmal in halber Verkleidung mich hierher begeben; doch mein Amt und meine Stellung erlauben mir nicht den wiederholten Besuch einer so anziehenden Gesellschaft.«
»Wir bedauern aufrichtig,« sagte Ursula, und alle Damen verneigten sich mit dankbarem Lächeln.
»Ich habe indeß ein Auskunftsmittel gefunden,« erwähnte Gutzmar, »eine fromme Schwester, welche aus dem österreichischen Lager kommt, ist mir lebhaft für derartige Verhandlungen empfohlen. Sie hat selbst Verbindungen dort und wird auch manche nicht 129 unwichtige Nachricht erhalten; wenn sie dann Zulaß zu Ihrer Versammlung findet, so wird sie schleunigst alle Mittheilungen gesammelt zu mir oder wenigstens zu einem meiner Freunde bringen, der mich von jedem beachtenswerthen Ereigniß rasch in Kenntniß setzt. Ich muß in meinem Verkehr sehr vorsichtig sein und auch den leisesten Verdacht zu vermeiden suchen.«
Die frommen Damen nickten zustimmend, Isabella frug: »Und welches ist der Name der frommen Schwester?«
»Beatrix, eine Elisabethinerin,« sagte Gutzmar, »zu ihrer Beglaubigung diene ein emaillirtes Kreuz, die Einfassung von weißem, schwarzem, rothem, blauem und grünem Email, in der Mitte ein Christus in gemaltem Email.«
»Schwester Beatrix wird uns willkommen sein,« sagte Ursula.
»Gewiß,« fügte Isabella hinzu, »doch was sollen die Verhandlungen? Warum zögern Sie, Herr Syndikus, die Truppen unserer erhabenen Königin in die Stadt zu rufen, die ihr gehört? Warum scheuen Sie sich, das zu thun, was Ihnen Eid und Gewissen gebieten? Nicht als Geduldete, nach dem alten Vertrag, der keinen Sinn hat in einer Zeit der Gewaltthat, nein, als Gebietende sollen sie ihren Einzug halten und Breslau werde ein unüberwindliches Bollwerk 130 im Rücken des Feindes; hier zerschelle seine Macht und glorreich flattere der Doppeladler von den Wällen!«
Gutzmar sah erstaunt auf das Mädchen, dessen hohe stolze Erscheinung schon von Haus aus seine Blicke auf sich gelenkt hatte; denn sie erschien in diesem Kreise so fremdartig durch ihre seltene Schönheit. Jetzt stand sie da, hoch aufgerichtet, mit feurigen Blicken, wie eine Heldenjungfrau, bereit zu jeder kühnen That.
»Ich bewundere Ihren Muth, mein Fräulein,« sagte Gutzmar, »ich wünschte, daß unsere gnädige Königin Ihre Worte gehört hätte und sähe, wie eine schöne Begeisterung aus Ihren Augen leuchtet; sie würde Ihnen von Herzen dankbar sein und vielleicht in Ihnen ein Abbild sehen ihrer eigenen Hoheit und Schönheit. Doch wir können so edlem Schwung nicht mit gleicher Hingebung folgen; uns binden die Pflichten des Amtes und mancherlei Erwägungen. Sollen wir in dieser guten Stadt den Bürgerkrieg entzünden? Es giebt hier genug der Schwarmgeister, welche eine sicilianische Vesper gegen die Truppen der Königin predigen würden! Vor allem aber müssen wir den Vertrag halten, so lange er uns gehalten wird! Sonst trifft uns allein die schwere Verantwortung! Wird er gebrochen, nun, so haben wir die Hände frei, und da walte das Verhängniß!«
131 Isabella wandte sich nach dieser Rede trotzig von dem Syndikus ab, während der Pater das Mädchen mit aufleuchtenden Blicken verfolgte.
»Wir werden,« sagte Pater Maurus, »jene Abgesandte mit Freuden willkommen heißen, ihr jede Auskunft ertheilen und was sie uns berichtet, mit Dank entgegennehmen; doch wenn diese Nachrichten dahin lauten, daß die Oesterreicher sich Breslau nähern, um einen Handstreich auf die Stadt auszuführen, werden Sie dann, Herr Syndikus, ihnen bereitwillig die Thore öffnen?«
»Ich bin nicht allmächtig, mein lieber Pater, und kann mich nicht für die Zukunft verpflichten. Warten wir die Eingebungen des Augenblicks ab; mein Amt ist es, die Freiheiten der Stadt und ihre Bürgerehre zu wahren und dann sie, soweit in meinen Kräften steht, dem Hause Habsburg zu erhalten.«
Mit diesen Worten empfahl sich der Syndikus und schlug die Einladung der Domtanten, eine Tasse Thee und einen kleinen Imbiß zu sich zu nehmen, hartnäckig aus. Tief in seinen Mantel gehüllt, ging er an der Kreuzkirche vorüber; doch kaum hatte er die Nepomuksäule hinter sich gelassen, als sich von derselben eine kleine Gestalt, ebenfalls, trotz des lauen Abends, sich in einem Mantel verbergend, loslöste und wie ein Schatten hinter dem städtischen 132 Würdenträger einherwandelte, bisweilen mit einigen kleinen lustigen Kapriolen, um einer inneren Freude Ausdruck zu geben. Die Freude konnte wohl nur die Folge der wichtigen Entdeckung sein, daß Breslaus hervorragendster Bürger auf verbotenen Wegen wandle.
Im Salon der Domtanten gingen indeß die Wogen des Gesprächs hoch; Niemand anders als Gutzmar war der Gegenstand, der so vielen Schaum aufwühlte. Ursula fand ihn stolz und unangenehm, Sidonie wahrhaft vornehm und liebenswürdig, Rosaura Ziermann wollte entdeckt haben, daß er zu ungeschlachte Hände und Füße habe; auch die Comtesse witterte in ihm, trotz seines Adels vom jüngsten Datum, den Plebejer; Sebalde war begeistert von seinem schönen Organ, von dem edlen Ausdruck seiner Rede; ihre ältere Schwester meinte, er sei ein kleinstädtischer Diplomat, der sich ein großes Air gebe; sie kenne einen Bürgermeister in Krotoschin, dem er zum Verwechseln ähnlich sei und der mit demselben Schwung spreche, wenn es sich um Pflasterung der Hauptstraße und um das Beiseiteschaffen von Düngerhaufen handle. Isabella aber faßte ihr wegwerfendes Urtheil in die wenigen Worte zusammen:
»Er ist kein Mann, er hat nicht den Muth einer gerechten Sache!«
133 Gleichwohl wurde der Besuch des Syndikus als ein hochwichtiges Ereigniß angesehen, welches den Assisen der Frauen eine besondere Würde und Bedeutung gebe; man schrieb noch mehrere Namen auf, deren Träger und Trägerinnen, mochten sie nun heiligen oder profanen Charakters sein, zu den Assisen eingeladen werden sollten, weil sie österreichische Gesinnung und wichtige Verbindungen hatten. Spät trennte sich erst der Kreis. Pater Maurus segnete bei dem Abschied die Domtanten und Isabella; doch nach dem Segen drückte er der letzteren mit glühender Leidenschaft die Hand und warf ihr einen jener tiefer fragenden Blicke zu, in denen eine ungeduldige Sehnsucht sich aussprach. Und Isabella schlug nicht das Auge nieder vor diesem Blick, wie es mädchenhafter Scheu geziemt hätte; sie erwiderte ihn voll und frei; die gemeinsame Begeisterung für die gleiche Sache vermochte dies nicht zu rechtfertigen; sie war der Liebe zum Priester und ihrem Verhängniß verfallen. 134