Rudolf Gottschall
Im Banne des Schwarzen Adlers
Rudolf Gottschall

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Siebentes Kapitel.

Der Freigeist.

Arthur war betroffen über die Nachrichten, welche Frau Leuschner ihm über das Befinden ihrer Schutzbefohlenen mittheilte. Es war unmöglich gewesen, irgend Etwas aus dem Munde derselben über ihren Namen und ihre Verhältnisse zu erfahren, denn sie war gleich in der ersten Nacht nach ihrer Errettung in ein hitziges Fieber verfallen und führte seitdem verworrene und irre Reden. Frau Leuschner hoffte indeß, sie durch ihre Mittel bald wieder herzustellen. Arthur trat einen Augenblick in das Krankenzimmer, um sich zu überzeugen, ob die wachenden Frauen auf ihrem Platze seien. Das Mädchen bemerkte seine Anwesenheit nicht, sie lag in heißer Fieberglut; ihre Augen glühten unter den langen seidenen Wimpern hervor. Doch gerade in dieser Erhitzung hatte sie den Reiz eigenthümlicher Schönheit; wie Feuerschein flog es über ihre feinen 82 Züge. Mit süßinnigem Ton begann sie zu sprechen, dann folgten Worte, wie in wildem Rausch gestammelt. So Mitleid heischend ihre Lage war, so konnte Arthur doch nicht das Gefühl unterdrücken, das bei dem Anblicke einer leidenschaftlich bewegten Schönheit in das Herz einzieht, ein Gefühl, in welches ein süßes Grauen, ein ahnungsvoller Schauer wie vor entfesselter Naturgewalt, mit hineinspielt. Mochte das Fieber den Fluten der Oder entstammen – die Liebesglut entstammte der tiefsten Seele. Diese mädchenhafte Gestalt, bald hoch aufgerichtet mit ausgestreckten Armen, die Decken verwirrend, mit allem Reize lieblicher, weicher Formen, bald zusammensinkend mit gefalteten Händen und mit tiefblauen Augen unter den langen Wimpern zum Himmel blickend, drückte gleichsam den Kampf zwischen der Sünderin und der Heiligen aus. Arthur empfahl den Frauen die eifrigste Fürsorge und schied nicht ohne Verwirrung von einem so erregenden Schauspiel.

Frau Leuschner hielt ihn indeß auf der Galerie am Mantel fest, als er gerade die Treppe hinabsteigen wollte und flüsterte ihm ins Ohr, wenn er der Junker Arthur von Seidlitz sei, so erwarte ihn in ihrem Zaubergemach einer ihrer ältesten Freunde, der ihm insgeheim eine wichtige Mittheilung machen wolle. Dabei legte die Sibylle, die heute ihr rothes Gewand 83 mit besonderer Majestät trug und vor Arthurs Augen zu wachsen schien, den Finger auf den Mund. »Der Dienst, den Ihnen dieser Alte leisten wird, ist gewiß von Bedeutung und wird Sie verhindern, seinen Aufenthalt zu verrathen: denn er ist ein Verfolgter, wie wir Alle, die wir höheren Mächten dienen, die im Kalender keinen Schutzheiligen haben!«

Arthur machte eine kurz abwehrende Bewegung, um anzudeuten, daß er kein Angeber und Häscher sei, und betrat nicht ohne Neugierde das Gemach, in welchem er sich diesmal vergebens nach der behaglichen Gestalt seines lustigen Freundes umsah. Alles war still und todt; keine magischen Geräthschaften standen auf dem Tische; eine düstere Kerze brannte flackernd im Luftzug, der durch die schlecht geschlossenen Fenster wehte und mit den rothen Vorhängen der tiefen Nischen spielte, welche sich zu beiden Seiten längst des Zimmers hinzogen. Arthur wurde schon ungeduldig, Niemanden anzutreffen, als sich plötzlich der eine Vorhang regte, in die Höhe schob und eine hohe Gestalt aus der Nische trat, nicht unähnlich einem Zauberer in weißem priesterlichen Gewand, dem nur die Hieroglyphenschrift fehlte, und das ein schwarzer Gürtel um die Hüften hielt. Ein Silberbart wallte bis auf den Gürtel herab und erhöhte den würdigen Ausdruck der Gesichtszüge. Eine hohe Stirne, ein 84 mildes großes Auge, voll geistiger Ueberlegenheit, ein wohlwollendes Lächeln um die Lippen machten die Erscheinung zu einer edeln und herzgewinnenden. Arthur trat dem freundlich Grüßenden mit gleicher Freundlichkeit entgegen und erwiderte seinen Händedruck.

»Sie sind Herr von Seidlitz; ich kenne Sie, ich habe Sie auf meinen Wanderungen durch Schlesien in Reichenbach und Schweidnitz öfters gesehen. Ich kenne und ehre Ihren Vater; er ist mild gesinnt und ein Freund der Armen; er gehört nicht zu denen, welche anders Denkende verketzern und den Flammen opfern wollen.«

»Ich danke Ihnen herzlich für dies warme, doch verdiente Lob,« entgegnete Arthur, »darf ich fragen –«

»Weshalb ich Sie zu sprechen wünsche? Ich habe durch einen Zufall ein Gespräch mit angehört, welches für Sie nicht ohne Bedeutung sein kann, und danke es dem zweiten Zufall, der Sie mir gerade jetzt entgegenführt. Vielleicht ein kleiner Lohn für Ihre edle Handlung! – Doch solchen Lohn kann nur der Zufall ertheilen; es ist die Verblendung des menschlichen Eigennutzes, in Allem, was unser persönliches Geschick betrifft, gleich den Finger der Vorsehung zu sehen, und den kleinlichen Gewinn und Verlust, der uns erfreut oder kränkt, mit der ewigen Weltregierung in Zusammenhang zu bringen. Bei allem äußeren 85 Schicksal mischt nur der Zufall die Karten und es ist grenzenlose Ueberhebung, ein gutes Spiel für eine besondere Auszeichnung zu halten, welche der Himmel unserer Tugend zu Theil werden läßt, oder zu glauben, daß unser Vortheil, der oft dem Nächsten unverschuldet zum Schaden gereicht, eine in einer höheren Welt assecurirte Prämie sei, für welche wir dem Geber alles Guten ein Dankgebet schulden. Wohl giebt es eine Welt des unwandelbaren Gesetzes; doch sie berührt nicht, was Vielen das Wichtigste scheint, den Wandel und Wechsel unserer Geschicke. Doch genug hiervon – ich bitte, mir auf einige Zeit Ihre Aufmerksamkeit zu schenken.«

Der Greis fuhr, als sich Arthur neben ihn auf das Sopha gesetzt hatte, mit Würde und Ruhe fort:

»Ich bin ein Prediger der Schwenkfeld'schen Gemeinden und mit diesen der Verfolgung verfallen, die über sie hereinbrach. Was ich in einem langen Leben erduldet, welche Ereignisse meine Vergangenheit zerrüttet haben: das zu erzählen dürfte ich nicht wagen, selbst wenn es unsere Zeit gestattete; denn es würde mich selbst in eine unselige Aufregung versetzen und Räthsel berühren, deren Auflösung noch immer auf sich warten läßt. Ich will nur Ereignisse erwähnen, die ich im letzten Wintermonat erlebte.«

86 »Ich zog durch die Lande und sprach zu dem Volke von göttlichen Dingen, wie mir's um's Herz war und gegen die Mißbräuche im Ordenswesen und die Bedrückungen des Glaubens, wie sie in Schwang waren in kaiserlichen und königlichen Landen. Als ich in Böhmen weilte, zog ich den Haß der Jesuiten von Gitschin auf mich. Sie suchten eine Handhabe des Gesetzes, um mich zu verderben; sie klagten mich als Apostaten an, da mein Vater von der katholischen Kirche übergegangen war. Eine solche Mißgeburt von Gesetz besteht in diesen Landen; bis auf Kinder und Kindeskinder erstreckt sich die Verfolgung wegen des Abfalls von der Kirche. Sie schickten ihre Häscher aus, um mich zu fangen. Den Eingekerkerten aber sollte, nach dem Wortlaut des Gesetzes, sechs Wochen lang ein Geistlicher zu bekehren suchen. Den Unbekehrten trifft die Landesverweisung! Doch nicht danach trachteten sie! Sie wußten zu gut, daß ich im Gefängniß, wie unter Gottes freiem Himmel, meine heilige Ueberzeugung vertreten hätte, daß ich dem Bekehrungsversuche des Priesters fest begegnen würde. Dann hofften sie Aeußerungen zu erlauern, welche der Strafe der Blasphemie anheimfielen und mich so durch ewigen Kerker unschädlich zu machen.«

»Die Häscher waren mir auf den Fersen – ich floh von Gitschin nach Hohenelbe, wo mich ein 87 Gleichgesinnter verbarg. Doch auch hierher verfolgten mich die Späher der Jesuiten, und es gelang mir kaum, mich zur Nachtzeit aus dem Städtchen zu schleichen und mich in einer Baude weiter das Elbthal hinauf noch bis zur Morgendämmerung zu verbergen. Dann mußte ich die Wanderung über das Gebirge nach Schlesien antreten.«

»Tief lag der Schnee auf den Bergen, deren Gipfel in düstere Nebel gehüllt waren; ich hatte mir Schneereifen in der Baude gekauft, um nicht in lockeren Schneemassen zu versinken. Es war eine beschwerliche und gefährliche Wanderung, die ich entschlossen unternahm. Einen Führer wagt' ich nicht zu nehmen, aus Furcht, daß er mich an meine Feinde verrathe – auch war mir die Gegend von früherer Zeit her bekannt und ich verließ mich auf die ausgesteckten Stangen, welche die Wege über das Gebirge anzeigten.«

»O wie hab' ich damals in aller Drangsal und Erschöpfung die erhabene Einsamkeit dieser verlassenen Berglandschaft bewundert; wie kehrte die Seele in dieser unermessenen Oede in sich selbst ein und wie kleinlich erschien mir das sonstige, wilde Treiben der Menschen! Hier war keine Spur, die an das Leben erinnerte! Die Natur erschien nur wie ein ungeheures Grab! Ich fühlte mich hinein in diese Ruhe der 88 Vernichtung; sie that mir wohl, selbst ohne daß ich der schaffenden und treibenden Kräfte in ihrem Schoße gedachte, sie that mir wohl nach dieser Unruhe des Menschenlebens, das von tausend nutzlosen oder verderblichen Neigungen des Willens bewegt wird. Meine Seele fühlte sich gehoben, als könnte hier nicht ihre Heimath sein, als müßte es einen Punkt im weltenreichen All geben, wo sie zur Ruhe eines göttlichen Schauens gelangte, wo das All ihr durchsichtig würde wie Krystall, und sie entrissen würde dem spielenden Wogenschlage der Kräfte, die sich nur auf der Oberfläche des ewigen Lebens bewegen!«

»Beschwerlich war der Pfad durch das enge Thal; umgestürzte Baumstämme, mit Schneelasten bedeckt, lagerten sich über den Eisschollen und Felsblöcken im Bette des Waldbaches, der nirgends einen ruhigen Eisspiegel zeigte, sondern, gleich dem entstellten Angesicht eines in Wuth und Leidenschaft gestorbenen Todten, in all der Unruhe seiner sonstigen Bewegung vom Winter überrascht und gebannt war. Drüben an der Berglehne hing wie ein diamantenes Geschmeide der in seinem Sturz festgeheftete Wasserfall.«

»Da theilten sich die Frühnebel um den hohen Kamm des Gebirges und ein wunderbares Farbenspiel bot sich dem Auge dar. Ein leiser rosenfarbener Schimmer umspielte die höchsten Flächen und Ränder 89 des Gebirges, während auf den tiefer liegenden Waldlehnen die blauen Schatten ruhten. Immer lichter wurde die Rosenglut der Gipfel; die blauen Schatten wandelten sich in violetten Duft, der über den Fichtenwipfeln schwebte. Ich hatte schon das Thal verlassen und war aus verschneitem Waldwege bergan gestiegen, als noch immer diese träumerische Beleuchtung ihren ahnungsvollen Schimmer über die Bergriesen ausgoß. Endlich kam die Sonne; kalt und farblos wurden die Höhen; aber der verpuppte Wasserfall blühte jetzt auf im köstlichen Farbenschimmer und die Eisblöcke des Flußbettes schimmerten aus Felsgeröll und Baumleichen glänzend hervor.«

»Bald verbarg der Wald jede Fernsicht! Ein leichter Morgenwind schüttelte die schwerbeladenen, abwärts geneigten Fichtenäste und trieb mir die losgelösten Schneelasten ins Gesicht. Ueber die Wipfel flog eine Schneeamsel, das einzige lebende Wesen im winterlichen Walde. Ich schritt rüstig vorwärts, es war noch weit bis zur Baude auf dem Kamme. Ermüdet durch das Waten im Schnee konnte ich doch nirgends rasten, denn Felsblöcke und Baumklötze waren hoch mit der Last bedeckt und zum grünen Moos und Heidekraut konnte ich mich nicht durchwühlen durch die Schneedecke. Der Wind spielte mit den feinen Fichtennadeln, wie mit einer Aeolsharfe; die langen 90 Bartflechten an den rissigen Stämmen, versilbert vom Schnee, wehten hin und her in seinem Hauche.«

»Endlich trat ich aus dem Walde in ein Hochthal; immer wilder wurde die Landschaft um mich. Die kahlen, weißen Hochberge standen blendend vor mir, eine steile Senkung bildete das Bett eines Seitenbaches. Rings an den öden Lehnen wuchs nur die verkrüppelte Zwergkiefer, deren grüne Büsche aus der weißen Hülle tauchten. Doch im Bette des Baches lagen verwitterte silbergraue Riesenstämme, Leichen des Waldes, an jene Zeit mahnend, wo der von Bären bewohnte Urwald sich noch über die Granitkegel des Riesenkammes zog. Hier zögerte ich; denn der Weg war durch die hochgethürmten Schneemassen verschüttet und ich konnte die Zeichen, welche seine Richtung angaben, nicht entdecken. Ich wollte geradeaus gehen, doch hier schien mir der Schnee abgrundtief zu liegen, und über den unteren Lagen hing eine Schneebrücke wie freischwebend in den Lüften. Es war ein Glück für mich, daß ich ihr nicht nahegekommen, denn gerade stürzte sie mit donnerndem Krachen zusammen und schüttete sich, Felsstücke mit fortreißend, in das Bett des Baches aus! Ich schlug die Richtung nach links ein, bergan kletternd, über Felsgerölle, das eine lose, unsichere Treppe bildete, welche der Schnee schlüpfrig machte und der Wind 91 verrückte. Oft glitt der Stein unter meinem Fuße aus und sprang von Absatz zu Absatz in die Tiefe. Endlich, fast erschöpft, hatte ich den Kamm erreicht, der hier viele trügerische, jetzt doppelt versteckte Moorgründe ausbreitet. Durch dichtes Knieholz, dessen verkrüppelte Stämme und Aeste sich oft weithin über den Boden streckten, suchte ich meinen Weg und die Sonne stand hoch am Himmel, als ich nicht allzu weit vor mir einen Giebel mit einer Esse wie aus der Erde hervorragen sah: das nächste Ziel meiner Wanderschaft, eine vom Schnee verschüttete Baude. Ich war der Erschöpfung nahe, als ich nur durch einen mühsam gegrabenen Stollen hindurch die Thür der Herberge erreichte. Ich brach zusammen und erst nach langem todtähnlichen Schlaf auf der Ofenbank fand ich die Kraft, Speise und Trank zu mir zu nehmen.«

»Am andern Tage setzte ich meinen Stab weiter. Es war ein funkelndheller Wintertag; die Schneesterne glitzerten und blitzten so weit das Auge reichte. Weit unter mir lag das Schlesierland mit seinen Hügeln und Flächen, Dörfern und Städten, Burgen und Kirchthürmen weich gebettet in der weißen Hülle. Ein leichter Luftzug stäubte den Schneemantel der Wälder unter mir ab und ein Nebel wie von Silberflocken hing über dem weiten Waldgürtel zu meinen 92 Füßen. Zu meiner Rechten erhob die Schneekoppe ihr einsames Haupt, wie ein Hügel, den der Wind aus den unermeßlichen Schneemassen des Kammes zusammengeweht hatte. Wo die Stangen unsichtbar geworden, mochten sie verweht oder vom Sturm aus der Erde gerissen worden sein, da gelang es mir, mich an den seltsamen Steingruppen zurechtzufinden, die über den Kamm zerstreut sind, und mit deren abenteuerlichen Formen ich zu vertraut war, als daß ich sie nicht selbst jetzt in ihrer winterlichen Maske wieder erkannt hätte, in welcher sie alle wie wunderlich geformte Schneemänner aussahen. Trotz meines Fußreifens war ich nochmals in versteckte Senkungen versunken, welche die Hochfläche unterbrachen und nur mit Mühe gelang es mir, mich herauszuarbeiten. Endlich gelangte ich an die Ränder des großen Teiches und war hier Zeuge eines überraschenden Naturschauspieles. Dicht vor mir stürzte eine hohe Schneelehne über die gefrorenen Wasserfälle hinweg in die Tiefe. Dem Donner des Sturzes folgte ein Krachen und Bersten, als würde ein neuer Abgrund aufgerissen. Ich sah, wie die herunterstürzende Masse den Eisspiegel des Teiches zerschlug, daß er weithin aufborst und mächtige Schollen sich in die Höhe thürmten. Die gefesselten Wasser der Tiefe wurden frei, traten über die flacheren Ränder hinüber und stürzten sich 93 in brausenden Wasserfällen zerstörend in das Bett des sommerlichen Abflusses. Das Knirschen zerbrochener Bäume, welche die gewaltsame Flut mit fortriß, das Poltern mächtiger Felsstücke, welche in der engen Schlucht heruntersprangen, machte einen unheimlichen und beängstigenden Eindruck. Den Felsstücken folgten die Eisschollen nach – es war, als ob der Berggeist Rübezahl im Zorn seinen Eispalast zerschlüge und die Trümmer in die Thäler schleuderte. Ueber dem zerrissenen Walde schwebte die aufgejagte Schneewolke, den Zug des Verderbens bezeichnend. Wie hob sich gegen dies nahgerückte Bild zerstörender Naturgewalten, welche mit betäubendem Donner die Stille der Einöde unterbrachen, die weite Landschaft zu meinen Füßen ab, die bis zum fernen Dämmer des Horizonts in winterlichem Frieden ruhte!«

»Doch ich wollte Ihnen nur das Erlebniß erzählen, welches im nächsten Nachtquartier meiner harrte! Die Erinnerung an meine Flucht über das Schneegebirge aber steht zu lebendig vor meiner Seele – das Unglück meines Lebens, eine Erregtheit der Phantasie, die stets das rechte Maß versäumt, ist noch zu mächtig über mich, als daß ich Sie nicht hätte mit der Schilderung meiner Bergwanderung ermüden müssen.«

Arthur betheuerte, daß dies nicht der Fall sei und der Prediger fuhr fort:

94 »Die Baude, welche ich am nächsten Abend erreichte, gehörte bereits den unteren Regionen des Gebirges an. Hier war ein regerer Verkehr; Schlitten standen vor den Thüren; zahlreiche Gäste drängten sich in dem großen Gastsaal, der sonst im Winter meist verlassen ist, dessen mächtiger Kachelofen eine behagliche Wärme ausströmte. Mägde mit Milchgefäßen und Weinflaschen liefen hin und her! Aus dem benachbarten Stalle drang das Gebrüll und Gerassel der angebundenen Kühe, so oft die Thüre geöffnet wurde, laut herein und unterbrach das Harfenspiel einer jungen Böhmin, welche ein schwermüthiges Volkslied mitten hinein ins Gelächter fröhlicher Gäste sang. Ich lauschte den Klängen nicht ohne Wehmuth; denn sie riefen mir eine Zeit meiner Jugend zurück, welche für mein ganzes Leben verhängnißvoll geworden ist. Doch verließ ich bald die Gaststube; denn ich fühlte mich unter dieser Menge nicht sicher; ich glaubte einen alten geistlichen Herrn, wenn auch nicht in seiner Amtstracht, an einem der Tische zu bemerken. Denn das geistliche Amt verräth sich dem Eingeweihten stets.«

»Ich zog mich daher in eine Bodenkammer zurück, um mich hier der Ruhe hinzugeben. Es dauerte nicht lange, bis ich in die Kammer neben mir zwei Gäste eintreten hörte. Sie blieben eine geraume Zeit 95 hindurch ganz still, so daß es mir schien, als wollten sie lauschen, ob sich ringsum nichts rege. Es war noch früh am Abend und nicht zu erwarten, daß die Besucher der Baude schon ihre Schlafstätte aufgesucht. Da auch ich mich nicht regte, glaubten sie sicher zu sein und begannen mit gedämpfter Stimme ein Gespräch, das ich durch den leichten Holzverschlag mit anhören konnte.«

»»Ich habe Sie hierher beschieden,«« begann der Eine, »»weil wir hier ungestört, ohne Aufsehen zu erregen, mit einander sprechen können. Wir meinen es gut mit Ihnen und wollen Ihrer Laufbahn förderlich sein. Sie waren früher bei dem Grafen Reichenbach in Diensten?««

»»Ja, ja!«« murmelte der Andere.

»»Graf Reichenbach hat Sie in seinem Testament übergangen; er hat Sie kurz vor seinem Tode aus dem Dienst gejagt! Was war die Ursache?««

»»Er stand ganz unter dem Einflusse einer Haushälterin, einer heimtückischen Person, die eine tyrannische Herrschaft über ihn ausübte! Vor Gott und meinem Gewissen kann ich's bekennen, daß ich die großen Forsten treulich gepflegt, den Holzverkauf redlich geleitet, das Wild pünktlich in die herrschaftliche Küche abgeliefert habe: dennoch klagte sie mich des Unterschleifs an! Einige gefällte Eichen waren von 96 diebischen Holzschlägern des Nachts auf geheimer Fuhre fortgebracht worden – sie beschuldigte mich, sie heimlich verkauft und den Gewinn mir zugeeignet zu haben. Da sie mit dem diebischen Gesindel in den kleinen Städten unter einer Decke steckte und dasselbe durch mancherlei Vortheile zu bestechen wußte, so fanden sich auch »Lohgerber,« welche Eichenrinde von mir gekauft haben wollten, ohne daß die Summe in den Büchern eingetragen war. Ich wurde meines Dienstes entlassen, und obwohl ich hier im Gebirge bei dem Grafen Schaffgotsch einen neuen fand – denn man wußte, wer dort das Regiment führte – so habe ich doch die Kränkung nicht verwinden können! In jene Forsten, die ich zwanzig Jahre lang bewirthschaftet, hatte ich mich so eingewohnt, ich kannte die Stämme des Hochwaldes, die Rieseneichen auf den Dämmen, die Schonung mit den jungen Jahrestrieben, die ich sprossen gesehen, so genau; ich liebte diese stumme Wildniß, die für mich eine so lebendige Sprache gewonnen, deren Maße in Ziffern vor meinem Geiste standen, so innig, daß mir bei deren Abschied zu Muthe war, als würde ein Stück meines Herzens mit losgerissen. Noch jetzt, in diesen herrlichen Bergforsten, träume ich mich oft auf die Pfade jener selbsterzogenen Wälder zurück und male mir aus, wie hoch die Triebe der jungen Pflanzungen jetzt 97 emporgeschossen sein mögen, und welche morsche Eiche reif sei für das Beil des Holzschlägers. Jene Feindin aber ist von dem Grafen mit einem großen und glänzenden Legat versorgt worden, während ich nur Undank für meine treuen Dienste geerntet habe.««

»»Man hat Sie dort nicht gut behandelt!«« entgegnete der Andere mit salbungsvollem Tonfall, an welchem ich den Geistlichen aus dem Gastzimmer zu erkennen glaubte. Mein Strohlager stand dicht am Verschlag; ich konnte nicht unterlassen, indem ich mit größter Vorsicht vermied, durch das Rascheln des Strohes mich zu verrathen, durch eine Ritze der Bretterwand in das benachbarte Gemach hineinzuspähen. Das Licht war durch die Gestalten verdeckt – und nur hin und wieder, wenn ihre Bewegungen die Durchsicht öffneten, fiel ein plötzlicher Lichtschimmer hindurch und erlaubte mir, die düster beleuchteten Züge zu erkennen. Das frische, leidenschaftlich geröthete Antlitz des Försters stach auffallend gegen die bleichen Züge des Geistlichen ab, der jetzt mit leiserer Stimme, sich zu dem Förster herabneigend, sprach:

»»Man munkelt mancherlei –««

»»Ja,«« rief der Förster, immer lebhafter werdend, »»sie hat einen tyrannischen Zwang auf das Gemüth des Grafen ausgeübt, ihn durch Androhungen jeder Art gezwungen, ein Testament zu Gunsten der 98 Pogarell zu machen, ihn mit erhitzenden Getränken berauscht. Ich weiß das, ich war unbemerkt zugegen, als –««

»»Still, still,«« rief der Geistliche jetzt, indem er mit wahrer Angst sich umsah und an der Thüre und den Bretterwänden horchte, ob auch Niemand diese Bekenntnisse gehört. »»Lassen wir das! Und wo stehen Sie jetzt in Diensten?««

»»Hier bei dem Grafen Schaffgotsch!««

»»Als Oberförster?«« frug der Geistliche.

»»Nein, ich bin einer der vielen Förster, die das große Revier unter der oberen Forstleitung in Warmbrunn bewirthschaften.««

»»Das ist kein Posten, der für Sie paßt,«« sagte der Andere. »»Sie sind für eine höhere Stellung geeignet, und Sie können uns einen Gefallen thun, wenn Sie dieselbe annehmen. Drüben in Polen bei dem Grafen Krackiewicz, jenseits der Weichsel, ist eine Stellung frei; der Graf hat unsern Orden dringend ersucht, ihm einen Mann zu empfehlen, welcher der obersten Verwaltung seiner ausgedehnten Forsten gewachsen wäre. Da haben wir an Sie gedacht; Freunde, die Sie von Ihrem früheren Wirkungskreise her kennen, haben Sie uns dringend empfohlen. Die Bedingungen sind glänzend, wie das Papier Ihnen beweisen mag –««

99 »Und mit triumphirendem Lächeln reichte der siegesgewisse Geistliche dem Förster ein Blatt hin. Dieser stand so, daß ich ihn in vollem Lichte sah, welches auf seine frischen Züge fiel. Anfangs arbeitete in ihm eine innere Erregung, »glänzend, glänzend, fürwahr,« rief er aus und volle Gluth überströmte sein Gesicht. Dann stand er lange da, das Blatt gefaltet in der Hand haltend, den Blick auf den Erdboden gerichtet, bis er ihn wieder zu dem Geistlichen erhob und denselben so scharf und prüfend ins Auge faßte, als wolle er die Büchse auf ein schußgerechtes Wild anlegen.«

»»Und doch – ich bleibe lieber in der Heimath!««

»Der Geistliche gab sich alle Mühe, vor ihm die urwäldlichen Reize jener polnischen Landschaft zu entrollen; doch seine ganze Beredtsamkeit war vergeblich. Immer mißtrauischer blickte der Förster auf den unbekannten Beschützer und verharrte in seiner ablehnenden Haltung. Ich hörte zwar noch seinen Namen, Förster Obernik in Schreibershau, doch war es mir unmöglich, seine letzte Antwort zu erfahren, denn eine die Treppe heraufpolternde Gesellschaft, welche sich zu uns in die beiden Dachverschläge einquartierte, machte sie mir unverständlich und unterbrach das Gespräch.«

»Als Verehrer Ihres Vaters, als Freund Ihrer Familie wollte ich Sie, sobald es mir möglich sein 100 würde, in die Pläne Ihrer Gegner einweihen. Ich dachte gleich an Ihren Proceß, schon als ich die Einleitung des Gespräches mit anhörte – und dieser Gedanke allein bestimmte mich, gegen meine Gewohnheit den Lauscher zu machen. Ohne Frage wollen die Jesuiten einen Zeugen, der ihnen unbequem, ja gefährlich werden könnte, bei Zeiten aus dem Wege schaffen. Mit ihrer Allgegenwart und ihrer Umsicht, die Nichts unbeachtet läßt, dachten sie an diesen, in den Bergwäldern fast vergessenen Förster, während Sie, lieber Junker, und die Ihrigen einen für Sie so wichtigen Zeugen vielleicht nicht einmal in's Auge gefaßt haben. Darum nenne ich Ihnen seinen Namen und seinen Wohnort; denn ich bin überzeugt, daß er nicht nach Polen übergesiedelt ist, da die plötzliche Freundschaft der Jesuiten ihm selbst verdächtig vorkam. Sorgen Sie dafür, daß dieser wackere Mann zum Zeugniß gegen die Sippe der Pogarell zugelassen wird. Dies Zeugniß wird schwer ins Gewicht fallen.«

»Mein Dichten und Trachten ist zwar solchen kleinlichen Welthändeln und jedem Kampfe um das Mein und Dein abgewendet; doch wo ich im Kleinen wie im Großen die gewinnsüchtigen Vertreter der Kirche auf ihren Schleichpfaden überrasche, da halte ich es für meine Pflicht, ihnen mit Entschiedenheit entgegenzutreten.«

101 Arthur dankte dem ehrwürdigen Prediger für seine Freundlichkeit und nahm mit vieler Herzlichkeit von ihm Abschied; denn mehr noch als der geleistete Dienst, von dem er alsbald durch Mittheilung an den Vater und an's Gericht Nutzen zu ziehen hoffte, gewann ihn die Begeisterung für alles Große und Schöne, die aus den Blicken und Worten des Verfolgten sprach, und er gelobte sich selbst, so viel er vermöge, von diesem würdigen Prediger eines geächteten Glaubens Alles fern zu halten, was seine Ruhe und Sicherheit bedrohen könne. 102

 


 


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