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Es war ein struber, wilder Wintertag. Schnee wirbelte über die Erde, scharf pfiff der Wind über die Fläche, peitschte den Schnee, der Ruhe auf Erden gefunden zu haben meinte, wieder auf, jagte aufs neue in die Wirbel hinein, bis er sich bergen konnte hinter einer Hecke in einem Hohlweg, dort häufte er sich wie Soldaten hinter den Schanzen, wenn Kartätschenhagel die Felder fegt. Öde wars im weiten, weißen Lande, nur hier und da durchschnitt in schrägem, ängstlichem Fluge eine Krähe die bewegte Luft, die Gefährtin suchend, die vielleicht strub und kupend auf einem Marchsteine sitzt. Langsam bewegt sich ein schwerer Frachtwagen durch die Ebene, die Pferde dampfen, den Kragen des Mantels schlägt der ungestüme Sturm dem Fuhrmann um den Kopf, und wie oft er Schnee von den Rädern schlägt, immer wieder drängt er sich zwischen die Speichen, preßt sich über die Schienen, immer mühsamer drehen sich die mächtigen Räder durch den wachsenden Schnee, oft weiß man nicht, bewegt er sich noch, oder sind die bewegenden Kräfte aufgezehrt, sind sie am Erstarren, und doch schwindet er endlich aus dem Gesichtskreise, einem schweren Leben gleich, das unter schwerer Bürde oft stockte und doch fort sich schleppte, lange, lange, bis es endlich schwindet aus den Augen der Menschen.
Finstrer ward es, nichts sah man mehr über der Ebene als wirbelnden Schnee und dieses Wirbeln auch nur zunächst um sich; der Gesichtskreis zog sich immer enger um den Menschen zusammen jenem fürchterlichen Turme ähnlich, der immer enger und enger wurde, bis er seine Bewohner zermalmte. Manchmal reichte das Auge nicht weiter als der Arm, und oft mußte es lange sich schließen, den wunderbaren Fälladen vorziehen, den Gott selbst uns gegeben hat. Zuweilen heiterte es wieder, das Auge konnte sich öffnen, weiterhin seine Runde machen.
In einem solchen Zwischenraume sah man aus dem Walde hervor einen Mann treten, langsam, sah ihn stillestehen, die Hände in die Seiten stemmen, sich setzen auf einen Abweisstein. Dort saß er lange; lange sah man ihn, wenn der Gesichtskreis zusammenschrumpfte, wieder nicht, dann reichte das Auge bösdings wieder hin; aber lange wußte man nicht, saß auf dem Abweisstein eine strube, kupende Krähe oder noch der gleiche Mensch. Man begann zu werweisen, ob man nicht hin solle, zu sehen, was mit dem Menschen sei, aber der wirbelnde Schnee dämpfte bedenklich die ohnehin nicht sehr brennende Menschenliebe, und wenn davon die Rede war, sprach einer zu dem andern: «Vetter, geh du voran, du hast Stiefel an!»
Ein Mädchen, welches dem Spiel und Werweisen zusah, konnte sich nicht enthalten, die verglimmende Liebesglut anzublasen: «Die wüstiste Hüng syt dr doch de, wo dWelt treyt, selb ist wahr. Wes wär, für eine z'prügle oder eim öppis z'vrderbe, ihr hättet ech längst usbsinnt und hättet gmacht, wele eh. Jetz, wos drum z'tüe ist, öpperem z'helfe, sött me meine, ihr hättet all papierig Scheiche und zuckerig Gringe, ihr Stopfine, was ihr seid, und wenn ihr nicht auf der Stelle geht, so gange mir Meitscheni.» «So göht, das ist mr emel glych!» antwortete ein Bürschchen, das Hochmut hatte für drei, dabei aber nicht drei Maß Krüsch hoch war.
Eben als die Mädchen dazu sich anschickten, kam aus dem Walde heraus ein Wägeli, auf demselben saß ein Mann, beim Abweisstein fuhr er fast vorbei, dann hielt er plötzlich still, sprang ab und trat zum Steine hin. Dort erhob sich der andere, man sah nun gut, daß es keine Krähe war, ging mühsam zum Wägeli, der andere half ihm hinauf, und so rasch, als der sich mehrende Schnee es erlaubte, fuhr das Wägeli dahin. «Wem ist ächt das gsi?» frug man sich, aber niemand konnte es sagen oder erraten.
Das war Rudi, der Doktor, gewesen, der dort auf dem Steine gesessen. Die Röteln regierten stark und bösartig, das Scharlachfieber zeigte sich hier und da, und beide Krankheiten werden auf dem Lande, wenn sie es schon an und für sich nicht sind, aus zwei Gründen leicht gefährlich. Wenn die Vorläufer beider Krankheiten, Kopfweh, Halsweh, Husten, Fieber, nicht so stark sind, daß sie die Menschen ins Bett werfen, sie mögen wollen oder nicht, so geschieht es leicht, daß die Krankheit selbst am Ausbruch gehindert wird, zurückschlägt durch Erkältung, den Einfluß rauher Lüfte; gar manches Siechtum kommt vom Zurückschlagen dessen, was ausschlagen sollte, und manches Herz ist ob solchem Schlag gebrochen.
Bricht die Krankheit auch aus, so wird sie sehr oft nicht gehörig beachtet, ihr nicht abgewartet, der Kranke den Einflüssen der Luft zu früh ausgesetzt, und es entstehen ebenfalls Rückfälle und Rückschläge, böse Augen, böse Ohren, Wassersuchten usw.; der Arzt hat mit Predigen, Kapiteln, mit bösen Folgen weit mehr zu tun als mit der Krankheit selbst. Unser Doktor nahm diese Krankheit umsomehr zu Herzen, da es zumeist Kinder waren, welche davon befallen wurden und Gefahr liefen, zeitlebens den herrschenden Unverstand büßen zu müssen, wenn sie nämlich mit dem Leben davonkamen. Er machte es sich also zur Pflicht, so viel möglich selbst nachzusehen, versuchte, die Leute im Bett zu behalten, bis er nach eigenem Augenschein das Aufstehen ihnen erlaubte, und doch konnte er so vieles nicht verhüten und hatte auch mit lebensgefährlichen Folgen die Hände vollauf zu tun. Zudem war es noch einer der Jahrgänge, in welchen viele schwere Geburten stattfanden, ärztlicher Beistand sehr oft nötig war; denn nach Behauptung vieler Ärzte herrscht in dieser Beziehung ein sehr merkwürdiger Unterschied: so wie es in gewissen Jahrgängen viele Zwillinge geben soll, so gebe es Jahre, wo die meisten Geburten leicht seien, und wieder umgekehrt.
Nach schwerem, ermüdendem Tagewerk hatte er abends zuvor schachmatt sich niedergelegt; nach Mitternacht tönte die Hausglocke. Sonst hatte er es wie ein Soldat, den der erste Trommelschlag aus dem Bette sprengt; wenn die Hausglocke anschlug, so war er schon mit den Beinen zum Bette aus. Es war eine eigene Hast in ihm, er wußte, wenn man auf dem Lande den Doktor ruft, vollends des Nachts, so ist Not an Mann und die Zeit kostbar, und wenn man auch am Tage läutete, und er saß hungrig hinter dem besten Bissen, es stellte ihm den Appetit, er mußte aufstehen und gehen, es duldete ihn nicht ruhig.
Zudem hatte er eine Magd, so ein alter Hauskäs, welche ihn schon auf den Armen getragen hatte; diese hatte ihn lieber als ihren Herrgott, er war ihr alles, aber über niemand ward sie auch so böse, und mit niemand zankte sie mehr als mit ihm. Ihr Rudeli hätte daheim im Sessel sitzen und sich von ihr pflegen lassen sollen, da hätte sie recht gerne, solange es Tag war, Leute zu ihm geführt, ihnen gerühmt, wie keiner sei wie ihr Rudeli, schon von der ersten Stunde an sei er ganz anders gewesen als andere Kinder, wo nichts als zu plären wüßten und alles zu netzen, was man ihnen unteremache, von der ersten Stund an hätte er sie gekannt und geng ds Gringli dräyt, wenn sie gredt heyg oder ume i dStube cho syg u gäb wie süferlig. U jetzt sei er e Dokter, wies kene gäb so wyt dr Himmel blau syg; er wüß, wos de Lüte fehl, gäb si ume zum Hus zuche syge, u müß da nit dNase i dBrunzguttere stoße u si no längs Stück bsinne wie die angere Stürmine zringsum, wo no mängist müsse ga dFrau frage, was sie ächt mein. So hätte sie ihm recht gerne eine große Praxis gegönnt, aber eben nur vom Sessel aus, und wenn sie dabei sein konnte, und wenn es nicht Eß- oder Schlafzeit war.
Sollte der Doktor aber fort in Wind und Wetter, da ward es auch bei ihr bös Wetter. Konnte sie bei den Leuten zPlatz kommen, so gschirrete sie mit ihnen aus und sagte ihnen, Vrstang hätten sie keinen, und wenn sie zahlen sollten, kein Geld, sie kämen nur zu ihrem Herrn, weil der der dümmste Mensch sei auf Gottes Erde u niemere nüt heusche könn. Wenn sie ihn zahlen müßten wie einen andern, sie wären nicht hierher gekommen. Noch viel mehr aber mußte der Herr hören, wie er nüt Sorg chönn ha, er werds gwüß no einist erfahre, bi selligem Wetter uszgah, gwüß, chömm er ihm einist no tot hei, es well wette. Bald verleugnete es ihm Schuhe oder Stiefel, bald den Mantel, weil sie beim Schuhmacher oder Schneider oder noch naß und ungeputzt seien, und meinte so den Doktor hin und daheim zu behalten. Als er aber einige Male gesagt hatte: «E nu i Gottsname, gange muß sy!» und gegangen war in leichten Schuhen ohne Mantel, versuchte es diese Künste nicht wieder.
Aber das Räsonieren und Abputzen konnte es nicht lassen, der Doktor hatte seine liebe Not mit ihm, und die Leute fürchteten es wie den bissigsten Hund, es war gleichsam der Zerberus oder Höllenhund vor des Doktors Apotheke. Und wie man es mit einem bösen Hund halten muß, ihn immer unter Augen haben und bei der Hand sein, wenn jemand naht, «Gusch!» sagen muß, «gang hintere, häb di still, Rämi!», so hatte es auch der Doktor mit der Magd. Er gab oft selbst Bescheid, winkte den Leuten durchs Fenster, nur hereinzukommen, und seine bekannten Kunden dressierte er ordentlich auf seine Magd hin, das heißt, er sagte ihnen, erstlich sollten sie die Schuhe gut abputzen, ehe sie ins Haus kämen, und zweitens immer ein gewisses Bedauern mit ihm äußern, sagen, es sei ihnen leid, aber sie müßten einmal wieder den Doktor plagen, er werde sonst zu tun haben, daß er längs Stück nit werd wüsse wo wehre. Wenn sie diese zwei Vorsichtsmaßregeln trafen, so konnten sie ziemlich sicher sein, ungebissen durchzukommen.
Gerade wie die guten Haus- oder Bleicherhunde war sie am bösesten des Nachts; wem da der Doktor nicht alsbald zu Hülfe kam, hatte einen bösen Stand, sie sagte den Leuten wüst, verleugnete den Doktor, verschickte sie, kurz, sie tat das Möglichste, dem Doktor das Aufstehen zu ersparen. Wenn die Leute nicht Utüfle wäre und kei Verstand hätte, si käme nicht noch zNacht, wo sie doch wüsse, daß er sich des Tags fast zTod glaufe heyg, schnauzte sie; das sei nur Bosheit, öppe so gschwing werd öppe niemere krank, daß me nit am Tag hätt chönne cho oder warte bis am Morge, es sei nur, weil die Hüng zNacht besser dr Zyt hätte z'laufe u tags se dZyt reu. Wollte der Doktor also nicht, daß die Leute verschickt wurden, ohne daß er es am Morgen vernahm, so mußte er selbst auf, wenn geläutet wurde, und nicht warten, bis Käthi seine Manövers machen konnte.
Diesmal tönten die Töne der Glocke ebenfalls in seinen Schlaf hinein, weckten ihn aber nicht zu hellem Bewußtsein. Bleiern lag der Schlaf auf ihm, dumpf hörte er die Töne, es dämmerte ihm ein Traum herauf, als läute es einer Leiche zu Grabe, als sei er ein Pfarrer und solle gehen, das Leichengebet zu halten, aber er konnte nicht, gebunden waren seine Glieder, die Beine wollten sich nicht bewegen, er wollte Kleider suchen und konnte nicht sehen, wollte rufen und konnte nicht schreien, und lauter und lauter tönte die Glocke, immer höher stieg seine Angst, aber bleiern, gebunden blieben seine Glieder, keins gehorchte seinem Willen, und je mehr er angstete, desto tückischer neckte ihn der Traum in seiner Ohnmacht. Und die Glocke verstummte nicht, gäb wie Käthi den Läuter abschrecken wollte. Nach seiner Sitte war es unters Fenster gefahren, hatte den Mann unten angefahren, was er da zu läuten hätte um Mitternacht, ob der Tag nicht mehr lang genug sei für ihres Kähr und Gstürm.
Das Mannli sagte, sie hätten gewartet, solange sie gekonnt, und gemeint, sie wollen den Doktor nicht plagen, aber es hätte müssen sein; es soll dem Doktor sagen, er müsse zu einer Kindbetterin aufs Schneehübeli. Er sei e uvrschante Ma, z'meine, dr Doktor solle in einer solchen schwarzen Nacht in der Welt herumlaufen, es weck ihn nicht, am Morgen wolle es ihms sagen, und somit schlug Käthi das Fenster zu. Mein Mannli aber nicht faul, läutete herzhaft wieder, daß Käthi wie ein Sturmbock wieder unters Fenster fuhr und schrie: «Wottsch höre oder nit, du Uflat, was de bist! Dr Doktor ist nit daheim, un was nützt es dr, we d scho die ganzi Nachbarschaft weckst mit dym vrfluchte Glüt?» «Der Doktor ist daheim, und bis er füre ist, lüte ih, zell druf!» sagte der Mann, «ih weiß, was du für es Bürzi bist», und läutete wieder und stärker. «Willst dich fortmachen, du Pflegel du, du Dolders Bur, was de bist, oder ih bschütte di!» rief Käthi. «Bschütt, su bängle ih», antworte das Mannli und läutete, als ob die Glocke hinunter müßte.
Nun ward es Käthi angst, nicht wegen der Glocke, sondern wegem Doktor, der war sonst alsbald da, wenn die Schelle ging, jetzt läutete der Sturm, als ob das Dorf brenne, und kein Doktor regte sich. Da ward es eben Käthi angst, der müsse gestorben sein, sonst wäre er da, es stürzte in die Stube. Dort stöhnte der Doktor, brummte etwas von Sigrist, Betbuch, Kirche, daß es Käthi himmelangst wurde in der Meinung, der Doktor sei verirret. Es faßte ihn beim Arm, rüttelte ihn und sagte: «Herr Jeses, was fehlt Ech? Die Donners Lüt chönne Ech doch nie ruhig lassen; ich habe schon lange gesagt, es komme so, jetzt heyt Drs, jetzt chönnet Er selber luege, mira! Herr Jeses, Herr Jeses!» und draußen läutete es immer härter. «Ganget ume, Sigrist», sagte der Doktor, «läutet noch, ich komme gleich!» «Herr Jesis, Herr, ih bi Käthi, nit dr Sigrist; draußen läutet es Burekalb und wott nit höre, dä Pflegel, das Veh!»
Da fuhr der Doktor auf, als wären plötzlich Ketten und Banden gesprungen. «Bist dus, Käthi?» sagte er, «ghörst, es läutet draußen jemand! Warum lassest du ihn nicht ein? Du bist doch immer das gleiche.» «Das wird der Dank dafür sein, daß ich so Sorg zu Euch habe!» sagte Käthi. «Der kann noch lange läuten, dem Lümmel mache ich nicht auf.» «Auf der Stelle geh, Käthi, tue auf, führe ihn in die Apotheke, ich komme gleich!» «Steht doch nicht auf, Herr!» sagte Käthi, «es nützt doch nüt, dä Kerli wott ja ke Züg, und deretwege heyt doch nit Müey.» «Was will er denn?» fragte der Doktor. «Er het neuis von ere Kindbetti gstürmt, aber ih glaub, er syg volle, er wurd sust nit so lüte u wär gange, wo ne brichtet ha, u wes wär, su wird die wohl warte bis am Morge, was het die Täsche dä Weg brucht zwegzcho!»
Unterdessen war der Doktor aufgestanden, hatte zum Fenster aus dem Manne gesagt, er werde gleich kommen, Licht gemacht, sich dürftig angezogen und ging hinunter trotz allem Kifel von Käthi, er soll doch nur im Bett bleiben und ihm befehlen, was es dem Stürmi sagen oder geben solle, es wolle es gewiß punktum verrichten, aber auf solle er nicht, und dann voruse gar nicht, selb solle er ihm nicht ds Herrgetts sy, i re sellige Nacht, zu selbem wetts de o no öppis säge. So belfernd zog Käthi hinter ihm drein die Treppe ab wie ein Spitzhündchen, dem seine Dame zu unrechter Zeit ausgehen will oder eine Katze auf dem Arme trägt und liebkost.
Als der Doktor den Mann einließ und derselbe an Käthi vorbeiging, fehlte nicht viel, daß sie einander in die Gesichter geschossen wären; aus Respekt vor dem Doktor gränneten sie sich hinter dessen Rücken bloß an, das dann aber auch meisterhaft. Käthi ging nicht in die Apotheke, es schlirpete im Gang herum und schmetterte einige Türen zu, so gleichsam Bezeugungen seines Mißfallens über den Bericht des Mannes. Der Doktor läutete, rief nach Mantel und Stiefeln. «Da wollte ich doch ein Narr sein und die ihm bringen», brummte Käthi, «so expreß sich ga z'töte, selb tue ih nit, mr wey doch de luege, wer Meister ist.»
Es wehrte sich handlich, wollte erst von den Stiefeln nichts wissen, den Mantel beim Schneider haben, mußte indessen am Ende den Doktor doch gehen sehen, er blieb Meister, aber mit Mühe und in großem Ärger. Er mußte alles gleichsam erobern, langsam, Schritt um Schritt, und pressierte der Fall doch so, und war des Doktors Natur ohnehin fast wie Feuer und Büchsenpulver. Es mußte Käthi sein, seine alte Magd, um dieses ungeprügelt wagen zu können, indessen ward er doch voll Galle; innerlich fluchte er mörderlich und dachte, so könne das doch nicht fürder gehen, ärger könnte es ihm eine Frau, und wäre sie das böseste Räf unter der Sonne, nicht machen, und dann wäre sie doch die Frau und nicht bloß so eine alte Brummelsuppe von Magd.
Es war allerdings eine unlustige Nacht, um fast zwei Stunden weit zu gehen; denn von Fahren in stockfinsterer Nacht auf dem zu machenden Wege war da keine Rede, und ehe der Knecht geweckt, das Fuhrwerk zweg gewesen, konnte der Doktor halbwegs kommen. Es war, wie es am schauerlichsten ist, wenn man aus dem warmen Bette kömmt. Ein naßkalter Nebel lag über der Erde, frostiger Schneeluft strich übers Land, Schnee und Kot durcheinander füllten den Weg, der halb voll Löcher und halb voll Steine war, so daß, wenn man die Löcher mied, man über die Steine stolperte und in die Löcher geriet, wenn man die Steine mied.
Das ist etwas, in schauriger Nacht müde und schläfrig durch dick und dünn stundenweit zu gehen, seinem Berufe, seiner Pflicht nach, ohne Lohn vielleicht, ohne Ruhm jedenfalls, denn so was ist Schuldigkeit, kömmt in keine Zeitung, bringt in keinen grünen Sessel, bringt keinen Ehrenbecher, und doch ist das was anderes als bengelhafte Artikel schreiben in warmer Stube oder noch bengelhaftere Audienzen geben in glänzenden Salons, und doch ist solch ein Liebesdienst in naßkalter Nacht eine größere Heldentat als ds Maul aufreißen in einem Kaffeehaus oder dummes Zeug schwatzen in einem Rathaus; und einer armen Frau zu helfen, die einem nicht einmal ein warmes Kaffee zu geben vermag, weil sie keine Milch dazu hat, ist verdienstlicher als gegenseitig sich zu verleumden und anzulügen und sich großzumachen. Freilich, wenn man auf einem Dreckhaufen oder auf einem Galgen steht, sieht man größer aus, aber ob deshalb ehrenwerter, ist die Frage.
Und wenn nun so ein Doktor, ein sogenannter Landarzt, in tiefer Mitternacht solche Wege geht, feuchter Nebel sein Gesicht benetzt, schaurig der Wind durch den Mantel dringt, Kot und Schnee über die Stiefel schlagen, und es kommen ihm Gedanken über den Lohn der Welt und die Ungerechtigkeit der Welt, wer will sie ihm übelnehmen? Er setzt sein Leben ein, und was bringt er davon? Einen frühen Tod, einen siechen Leib, um seine Bezahlung märtet man, und wenn er unter die gewixten Herren kömmt, so lächelt man; so ein wohlgelecktes Schreiberchen, das seine Füße im Trocknen hat, sieht ihn über die Achsel an, und führt er eine Beschwerde, so rümpft man die Nase, schreibt darauf: «Selber schuld!» legt sie ad acta, das heißt dahin, wo alles liegt, was unbequem ist, nicht in den Kram dient.
Jetzt wandert er den beschwerlichsten Weg auf Kosten seines Lebens, andere sitzen an glänzendem Souper auf Staatskosten, prunken mit Epauletten und Schnäuzen, vertrinken jährlich Tausende in Rheinwein und Champagner ( vide Rechnungen), kommen dafür in die Zeitungen, jedes Wort, das ihnen vom Leibe geht, wird in Noten gesetzt und ausposaunt, und nächstens ist von Gehaltserhöhung, Gratifikation, Taggeldern die Rede, und für einen armen Landarzt, der dem Staate seine Bürger erhält und zubringt, ist nirgends ein Kreuzer, kein freundlich Wort, kein rechtlicher Schutz, und wenn er bezahlt sein will für gekaufte Mittel, kann er von Pontius zu Pilatus laufen, wird zu Herodes geschickt, und wer weiß, ob man nicht auch noch das Geißeln gut findet für ihn.
Wenn er solche Gedanken im Herzen wälzet, der arme Doktor, in Nächten, wo kein Stern ihm am Himmel glänzt und schwarz wie die Nacht sein Beruf ihm scheint, wenn schwarze Quellen in seinem Herzen aufspringen und bittere Ströme über seine Seele fluten, wer will es ihm wehren, und wird es ihm wohl der zur Sünde rechnen, der die Gedanken schauet im Herzen der Menschen? Das wissen wir nicht, aber wenn der da oben den armen Doktor liebt, so läßt er ihm freundliche Sterne aufgehen am Horizonte seiner Seele und freundliches Licht sie werfen in das Dunkel hinein, welches zu herrschen meinte in derselben. Freundliche Kinderaugen läßt er blicken ins Dunkel hinein, Kinderaugen, denen er der Sonne Licht erschlossen, des Lebens Licht erhalten, des Lebens Freuden ihnen zurückgegeben und alles mit weicher Hand und freundlichem Munde, beides treue Diener der inwohnenden Liebe. Sinnige Blicke läßt er strahlen ins Dunkel hinein aus flammenden Jünglingsaugen, aus tiefglühenden Mädchenaugen, sie danken ihm stumm und innig für der Eltern Leben, für die eigene Pflege, für der Geschwister Gesundheit, sie graben mit glühender Schrift Zeugnisse in sein Herz, daß sie ihn nie vergessen, daß er ihnen eine freudige Erscheinung sein werde, wo sie ihn treffen werden im Leben oder nach dem Tode. Es gehen ihm als Sterne am Horizonte seiner Seele Gattenaugen auf, strömenden Dankes voll für die Rettung des Teuersten, sie haben keine Worte, in ihnen klingt keine Münze, aber sie sind heiliger Verheißungen voll, daß Einer sei, der echte Treue nie vergesse, der in wahren Treuen ausrichten werde, was seine Kinder nur mit stummem Danke zu vergelten vermochten. Mit freundlichem Glanze sieht er über sich aus weißen Haaren Augen blicken, sie freuen sich seines Tuns, daß er das Wahre ergriffen, sie lächeln ihm die Gewißheit zu, daß, wer ausharre bis ans Ende, selig werde. Und hinter diesen freundlichen Augen strahlt es hell und heiter in unergründlichem Glanze über den ganzen Himmelsbogen, der wunderbaren Milchstraße gleich, es ist der Segen Gottes, der wunderbar und unerforschlich über dem Getreuen ruht, von Anfang bis zum Ende sein Tun durchfließt, der wie mit Mutterarmen alle umschließet, die der Getreue im Herzen trägt und sein sie nennt.
Wo es so hell und herrlich aufgeht in eines armen Doktors Herzen auf seinen struben Wegen in tiefer Mitternacht, hat er da wohl noch zu beneiden hohle Köpfe mit Schnäuzen, blonden und braunen, hohle Herzen, in die kein Schein fällt von oben, höchstens ein Schimmer von Epauletten, silbernen oder goldenen, hohle Seelen, in denen nichts widertönt als Münz und gnädige Worte, in denen nichts weht als Neid und Angst, in denen nie ein Stern am Himmel aufgehen wird, nichts, gar nichts als höchstens einmal ein Titel oder ein Ehrenbecher oder eine Gratifikation?
Doch wenn wir aufrichtig sein wollen, so flammte es diesmal nicht auf solche Weise in des Doktors Inwendigem, sondern ganz anders. Der arme Mann, der mit der Laterne vor ihm herging, so rasch, daß der Doktor ihm fast nicht folgen konnte, war vom Doktor über die Umstände der Frau befragt worden, und das gab ihm Anlaß, über seine Umstände im allgemeinen zu reden, das Herz zu leeren, das voll war bis obenaus. Er war arm, hatte viele Kinder, war oft von Krankheiten heimgesucht und Unfällen aller Art, bald ging eine Geiß ihm dahin, bald nur das Gitzi. Aber auch so ein Gitzi ist für ein arm Mannli ein Kapital, ein Rittergut, für ein arm Mannli, dessen ganzer Reichtum eine verfallende Hütte ist und zehn Kreuzer Taglohn.
Doch sei alles noch gegangen, denn seine Frau sei grusam fleißig, wisse alles zu Ehren zu ziehen und hätte auch die Kinder dazu. Den Zins, den sie nötig hätten, hätten sie gewöhnlich mit dem Flachs gemacht, der noch wohl gerate auf ihrem Stückli Land, von wegen eine Sau zu mästen möge es nicht abtragen bei ihrer Speis, wo man für dKing nicht genug Milch und Mehl habe, vrschwyge de für e Sau. Der Flachs sei im vergangenen Sommer gut geraten, und dRösti sei bsungerbar gut gewesen, sie hätten Flachs erhalten nie so, so schön und so gut. Seine Frau und dMeitscheni hätten gesponnen Tag und Nacht, es heyg es Garn gä, ds Herz im Lyb heyg eim fry glachet, und sie hätten ausgerechnet, es gebe nicht bloß den Zins, sondern noch eine Steuer für ein neu Bett für die größern Kinder, die bisher nur auf Spreuern geschlafen.
Am zwanzigsten Tag Märit sei er auf Bern gegangen mit dem Garn, habe es gut verkauft einem ältlichen Manne, der habe ihm gesagt, er solle da warten, er wolle das Garn in seinen Keller tragen und sein Geld holen, welches er dort gelassen, gleich komme er wieder. Er habe gewartet, gewartet, der Mann sei nicht wiedergekommen, habe ihm nachgefragt, niemand habe ihn gekannt, ihn gesucht, ihn nirgends gefunden. Es könne niemand denken, wie ihm gewesen, sagte er, und aufs neue übermannte ihn Jammer und Zorn, daß er längs Stück zu keinem ordentlichen Worte kommen konnte. Lange habe er nicht gewußt, was machen, ob heimgehen oder in die Aare springen, und noch als er über die Brücke gegangen, sei er lange stillegestanden, und heftig hätte es in ihm gwerweiset, will ich oder will ich nicht?
Vor dem Heimkommen hätte es ihm gruset, er könne nicht sagen wie; Frau und Kinge, wo sich so auf sein Heimkommen gefreut, zu sagen: «Ich habe nichts, alles verleichtsinniget, alles ist fort, pflanze und spinne, alles ist nüt!» das hätte er fast nicht übers Herz bracht, es heyg ne duecht, wenns nur brechen tät von ihm selber. Brech doch so mengi Bähre, wenn me zviel ufladi, warum de nit on es Herz? Aber es heygs emel nit welle gä, und selber es abenangere mache heyg er doch o nit welle, er heyg a Frau und King denkt und a dSchang und nit welle us eim Leid zweu mache. «Und i Gottsname bin ih heigange, aber wie, weiß ih weiß Gott nit, und wies du gange ist, chann ih keym Mönsche säge. Aber es isch si o nit z'vrwundere: sövli Flachs, sövli Freud, sövli Flyß u zletzt vo allem nüt meh, nüt meh als Klag u Jammer u Zeise u nit wüsse, wo se näh. My Frau ist no gut gege mr gsi, het mis nit la etgelte, het mängist gseit, es hätt ihre so gut chönne gscheh wie mir; daß es so schlecht Lüt gä chönnt, hätt si o nit glaubt, u das ist no my Trost gsi.
Aber vo selber Stung a ist my Frau nie recht gsung gsi, es het ere geng gfehlt; so mengs King si o gha het, so ist ere nie gsi. Da ist erst dr Kummer recht agange, und es het is duecht, wenn ume dMutter wieder zweg wär, dr Flachs chönnt sy, won er wett, u jetz chunnt das no drzu, un ih förchte, si gstangs nit us, u de erst wär ds Unglück recht da, un ih wüßt mys Lebes nüt meh azfa.»
«Eh, wir wollen das Bessere hoffen!» sagte der Doktor. «Aber habt Ihr nie vernehmen können, wer das gewesen sei, der Euch so schändlich betrogen, habt Ihr ihn nicht der Polizei angezeigt?»
«Azeigt, nei, das nit; mit dr Polizei redt üsereim nit oder er muß, so armi Mannleni werde ume desumegschosse u abrüllet u sy geng am lätze Ort, sötte gar niene si. Ander chönne mache, was si wey, und son e Kellermagd brucht ume nebe umezluege, so het sie dr ganz Rügge voll Hilf u Landjäger; üsereim trauet nit; wenn me im Rege gsi ist, lat me si nit gern no unter dTraufi. U vrnäh han ih nüt chönne, dr Red a hets mi duecht, es sött e Emmentaler sy, aber wüsse han ih nüt chönne. We ihs vrmöge hätt, a all Märite hätt ih welle, atreffe hätt ne müsse, u sys Schelmegsicht han ih no z'gut im Sinn. Aber üsereim ist zringsum geng am Hag u cha nüt mache, wen er scho dr Sinn hätt drzu. U wenn ih ne scho atroffe hätt, was hätt es gnützt? Er hätts doch glaugnet u siebe Eide ufenandere ufeta (er het es Gsicht drnah gha), er sygs nit, u wenn me scho ds Garn byn ihm funge hätt, so hätt er doch e Usred gwüßt, für nit e Schelm z'sy, u daß ih ds Garn nit ume überchömm. Aber er mag sy, won er will, so fingt ne Gott der Herr, un wes dem gut abging, so wett ih nüt meh gseit ha, u wenn dä wüßt, was mr usgstange hätte, es duecht eim, er sött ke rühigi Stung meh chönne ha, un es sött ihm sy, als vrbrönnti ihm üse Flachs uf syr Seel.»
So erzählte der arme Mann, und der Doktor dachte, wie fürchterlich so ein Mensch sich versündigen könne, er wisse nicht einmal wie. Garn habe der gestohlen für dreißig Franken vielleicht, dazu aber unendlichen, unnennbaren Jammer gebracht, das Leben einer Mutter, vielleicht mehrerer Kinder gefährdet, das Dasein einer ganzen Familie zerstört. Und jetzt müsse er, Doktor, seine eigene Gesundheit aufs Spiel setzen, müsse halbtot sich laufen, nicht nur das Schwerste umsonst tun, sondern vielleicht auch mit sauer erworbenem Verdienst gutmachen, was jener verschuldet. Und das alles wisse jener alte Sünder nicht einmal, frage nichts darnach, sei vielleicht noch reich, vielleicht daheim im Ansehen, vielleicht gar Chorrichter oder Grichtsäß; denn es geschehe oft, daß die größten Zystigschweinigel daheim für ehrbare Männer gölten; daß er vielleicht stolze Söhne, hoffärtige Töchter habe, die breit täten allenthalben, es hoch hergehen ließen, und von der armen, elenden Familie wüßten sie nichts, deren Not brenne nicht auf ihren Seelen. Es dünkte den Doktor, wenn er nur des alten Diebes Namen wüßte, damit er ihm bekannt machen könnte die Folgen seiner Schelmentat, ihm sagen könnte: «Sieh her, du Hund, das ist deiner Hände Werk!»
Es wußte der Doktor wohl, daß der Alte dieses einmal wohl erfahren werde, aber es ging ihm, wie es noch manchem geht, es ging ihm zu lange, noch heute, schien es ihm, sollte der es wissen und erfahren, sein Name sollte in jeder Garnlaube angeschrieben stehen, in jedem Wirtshause. Die Menschen haben keinen Begriff von der Langmut Gottes, wohl uns! Wenn einmal ein Mensch an Gottes Stelle wäre, er hätte fort und fort beide Hände voll Hagel und lauter Blitz und Donner im Munde. Wir sind halt Eintagsfliegen und müssen alsobald tun, was wir vermögen, vor Gott aber sind tausend Jahre wie ein Tag, er kann zuwarten, ihm entrinnet dennoch keiner, darum aber mutet er uns auch seine Werke nicht zu, wohl uns, wenn wir das begreifen und derselben uns nicht vermessen! Der alte Garnschelm wird ihm nicht entronnen sein, und seine Buben werden ihm nicht entrinnen, wenn er nämlich welche hat und sie dem Alten gleichen.
In Schweiß gebadet, erschöpft, kam der Doktor droben an, fand die Not groß, größer als er sie erwartet hatte, an allem fehlte es, und um das einsame Häuschen standen keine reichen Häuser, in denen gute Frauen wohnten, wo man das Fehlende allfällig holen könnte. So ists bös dabei sein, wo es an allem fehlt, wo man nach nichts fragen darf, weil es immer heißt:» Herr Jesis, das hey mr nit, u das o nit!» wo um den Tisch die Kinder wimmern und alle Augenblicke eines fragt: «O Müetti, gäll, du lebst no u stirbst nicht?»
Indessen, als der Tag dämmerte am östlichen Himmel, war die arme Frau gerettet. Der Doktor schickte sich zum Heimweg an und hieß ein Kind mitkommen, etwas zu holen für die Mutter. «Dankeygit, Dokter», sagte der Mann, «der Vater im Himmel well Echs vergelte! Es wär nit e jedere cho sövli wyt bi selligem Weg u Wetter u bsungerbar zu so arme Lüte, aber es heißt nit vrgebe, es syg e kene wie Ihr, so wyt me wüß. Aber Dokter, was bin ih schuldi? Es heißt, es syg süst e Dublone, un Ihr hättet zwo verdient, aber weiß Gott, gä chann ih se jetz nit; aber wenn Dr Giduld ha weyt, so müßt Dr se ha, u sött ih ds Strau ab em Dach verkaufe u ds Hemmli ab em Lyb. Es macht jetz alles nüt meh, wenn ume dMutter drvochunnt.»
«Deretwege», sagte der Doktor, «habt keinen Kummer, sorget jetzt für die Frau, was Ihr könnt, das ist die Hauptsache, und was man für sie tun kann, soll geschehen.» «Aber Herr Dokter, säget recht, was Eui Sach ist; wenn ihs afe weiß, su will ih de luege, wie ihs mache bi längem, öppe grad nit, viellicht chann ih scho us de Ybünge vo de Gvatterlüte öppis dramache.» «Habt Ihrs gehört», sagte der Doktor, «ich will nichts; brauchet Eure Sache für die Frau, das ist nötiger. Das wäre lustig, einen Menschen zu retten und ihn dann um des Lohnes willen, den man fordert, langsam verrebeln zu lassen!»
«Aber Herr Jesis, Herr Dokter, wenn ich das gewußt, ich hätte nicht kommen dürfen; nein wäger, das ist zviel, emel ds Halbe will ih luege z'mache, glebt müsset Ihr o ha.» «Habt nicht Kummer für mich!» sagte der Doktor, «ich fordere dann bei einer reichen Frau desto mehr. Macht mir wieder Bescheid, sobald irgend etwas nicht recht gehen sollte! Adie!» Und somit machte der Doktor sich fort, wartete den Dank nicht ab, der in Strömen ihm nachfloß, er fühlte es aber, daß sein Schatz im Himmel über Nacht ihm gewachsen war.
Es ist ein kaltes Heimgehen, nüchtern, nach durchwachter Nacht in pfeifendem Winde, der, Schnee verkündend, in den Bäumen saust und über die Felder fährt. Ein warmes Bett und ein Tag voll Schlaf wären dem armen Doktor zu gönnen gewesen, aber so gut ward es ihm nicht. Daheim warteten seiner viele Leute, mit denen Käthi sich herumschnauzte, denn sie wollten ihm nicht glauben, daß der Doktor nicht daheim sei. Sie kennten ihns wohl, sagten sie, und wüßten, daß es niemere nüt gönne, nicht einmal fürs Geld, und deretwegen den Doktor immer verlaugne. Die Leute pressierten alle schrecklich, hatten schon so und so lange gewartet, daheim die Leute grusam übel!
Der Doktor nahm sich nicht Zeit, zu ändern, wollte nur die Weitesten, die Nötlichsten ferggen, und weil immer einer nötlicher tat als der andere, ein Abgehender durch zwei Neue ersetzt wurde, jeder sagte: «Nur mich noch, Doktor, dann ists mir gleich, geht und ändert Euch!» so verrann manche Viertelstunde, ehe der Doktor einen Augenblick gewann für sich. Naß und starr waren seine Füße, und mächtig fröstelte es ihn den Rücken auf. Warme Strümpfe und warmer Kaffe würden das schon vertreiben, dachte der Doktor, und allerdings besserte es ihm darauf. Dem Kinde, das er mitgebracht, lud er manches auf für die Mutter, und nicht bloß Arznei, aber bestmöglichst verbarg er es vor Käthi, immer so sorgfältig, als er es vor einer Frau hätte verbergen können. Darum gab er lieber sein bestes Hemde weg als ein minderes, welches weit besser am Platze gewesen wäre, das er aber aus Käthis Händen hätte fordern müssen. Erst jetzt ging sein eigentlich Tagewerk, der Besuch seiner Kranken an, so viele warteten sein, so spät war es schon. Scharf mußte sein Fuchs laufen, und in weiterm Halbkreise machte er seine Runde in möglichster Eile. Bös war der Weg, und Schneegestöber machte ihn noch böser, es war ein unlustig, unheimlich Fahren.
Mittag war längst vorbei, als er heimkam, heiß dampfte der Fuchs, und Leute warteten wieder auf Arznei, und Käthi fuhr wie ein Kobold im Hause herum, weil man nie mehr essen könne wann andere Menschen und öppe auch mit Manier, dr Herr müß es abeschla, ke Hung täts so. Allerdings mußte es der Doktor heute wieder so machen; die Leute hatten ihn aufgehalten, und Besuche machen mußte er noch seiner Meinung nach, und zwar über eine Stunde weit. Der Fuchs habe nicht recht fressen wollen, sagte der Knecht, kein anderes Pferd war zu haben, auch meinte der Doktor in dem immer dichter werdenden Schneesturm zu Fuß besser fortzukommen als in der Chaise, und so machte er sich auf den Weg, und zwar in der gleichen Hast, in welcher er den ganzen Tag gewesen war.
Er war aber noch nicht weit gegangen, so fühlte er seine Unbesonnenheit, aber Umkehren war nicht seine Sache. Er fühlte sich sehr matt und in sich ein Nagen und Drehen, das immer heftiger ward, es gab einzelne Stüpfe, welche ihm den Schweiß auf die Stirne trieben. Er kürzte Wege und Besuche ab, so sehr möglich, aber immer peinlicher ward ihm zumute, immer schwerer das Gehen, eine unaussprechliche Sehnsucht hatte er nach heim, er hätte Jahre seines Lebens, alles, alles darum gegeben, daheim im Bette zu sein, aber die dazwischen liegende Stunde schien ihm eine Weltenbahn, eine Unmöglichkeit, sie zu gehen. Er zählte seine Schritte, aber auch dazu ward er bald zu matt, er stund stille nach jedem Schritte, aber einen neuen zu tun ward ihm immer unmöglicher, nicht allein der Mattigkeit wegen, sondern der Schmerz im Innern ward immer schneidender, er wußte, es war Kolik, und zwar ein Anfall von solcher Stärke, daß er dessen Ausgang nicht berechnen konnte, namentlich hier verlassen im Schneesturm nicht. Er konnte nicht weiter, er setzte sich auf den Abweisstein und erwartete gefaßt, aber in fürchterlichen Schmerzen, was Gott über ihn verfüge.
Er führte ihm Jakobli herbei, der Schweine fortgeführt hatte und heim pressierte. Der wußte lange nicht, sollte er seinen Augen trauen, war der auf dem Stein halb eingeschneite Mensch, dessen Stöhnen so gut vernehmbar war, der Doktor oder nicht. Wars nun der Doktor oder nicht der Doktor, da mußte geholfen werden, nicht bloß im Vorbeifahren gesagt: «Gott helf dr!» Jakobli stieg ab und fand richtig den Doktor in seinen Schmerzen, lud ihn auf, packte ihn ein, gab ihm den warmen Krug, den Meyeli ihm aufgedrungen, auf den Schoß und trieb das Roß, so hart er mochte. Er hatte große Angst, und doch fühlte er eine große Freude in sich; jetzt einmal hatte er was Bedeutendes getan, einem Menschen einen hohen Dienst erwiesen, wozu es ihm noch nie gekommen, jetzt konnte er sagen: «Wäre ich nicht gewesen, wäre ich nicht gerade dazugekommen, su – wer weiß, wie es gegangen wäre!»
So etwas ist ein Lichtpunkt im Leben; etwas derlei wird sich im Leben der meisten Menschen finden, und dieser Punkt wird meist zur Achse, um welchen des Menschen Gedanken sich drehen, und wenn er sich nicht in acht nimmt, auch seine Reden. Es ist aber auch kein Wunder, denn in diesen Augenblicken spielte der Mensch eine Hauptrolle: wenn er nicht gewesen wäre! Er ward ein Rüstzeug der Vorsehung, er ward ein Engel Gottes, jemand zur Rettung oder zur Vollführung eines Ereignisses gesandt. Wenn das Selbstbewußtsein sich auch nicht klar gestaltet, so erhebt doch immerhin ein solches Ereignis den Menschen, ist ihm ein Zeugnis, daß er nicht ein Ungefähr sei, ein Nichts im Zusammenhang der Dinge. Aber sehr merkwürdig ist es, daß Gott zu solchen Dingen selten die wählt, welche bereit dazu sind, welche mit der höchsten Sehnsucht den Ruf zu etwas Bedeutendem erwarten, die Tag und Nacht gegürtet sind zum Heldentum, sondern die, welche nicht daran denken, nicht einmal von solchen Dingen geträumt haben.
Jakobli fragte, wohin er ihn führen solle. Das Beste wäre, er führe mit ihm nach Gutmütigen; es würde seine Leute freuen, und sie wollten gewiß das Möglichste tun, oder er könnte, wenn er seye nichts schätze, ins Pfarrhaus. Wenn er aber wolle, so führe er ihn nach seiner Heimat, das komme ihm nicht darauf ab, er solle es nur sagen. Dem Doktor hatte die Stör etwas nachgelassen, er atmete ein wenig freier auf, deswegen wählte er auch die Heimkehr. Wenn Jakobli ihn zum nächsten Orte führen wolle, so finde er dort einen Freund, der eine Chaise habe, in welcher er rasch nach Hause komme. Nach Hause müsse er aber, wenn es schon weiter sei und er wohl wüßte, daß er bei ihnen wohl aufgenommen würde und er gute Abwart hätte. Allein bei ihnen hätte er keine Mittel, die er sicher noch brauchen werde, denn der Anfall werde sich wiederholen, zudem werde er einige Tage an der Wärme bleiben müssen. Daheim könnte er doch Audienz geben und Mittel verschreiben, seiner Pflicht obliegen, an einem fremden Orte würde ihn die Angst fast versprengen, und die Leute wüßten gar nicht, was es auch ihm gegeben hätte.
Jakobli hätte ihn sehr gerne nach seinem Hause gebracht oder ins Pfarrhaus. Was die luegen würden, wenn er mit dem Doktor daherkäme in diesem Wetter, und was sie erst sagen, wenn sie vernehmen würden, wie er ihn gefunden, sie vergäßten das ihr Lebtag nicht! Indessen ergab er sich doch dem Willen des Doktors, der allerdings seinen guten Grund hatte, und fuhr so rasch als möglich dem bezeichneten Orte zu. Das Schneien hatte aufgehört, dunkle Wolken zogen über den Himmel, im Westen zerriß die dunkle Wolkenwand, aus der Spalte blickte die Sonne noch einmal über die Erde, ehe sie zur Ruhe ging.
«Hört, Jowäger», sagte der Doktor, sich zusammennehmend, «etwas muß ich Euch noch sagen, wenn wir etwa nicht mehr zusammenkommen sollten.» «Eh Herr Jesis, Herr Dokter, das wey mr öppe nit denke», antwortete Jakobli. «Diesmal glaub ich auch noch nicht, daß es so weit sei», sagte der Doktor, «aber man kann nie wissen, und am wöhlsten ist man, es mag gehen, was will, wenn man alles abgetan hat. Darum loset: Eues Fraueli ist nit zweg, es manglet dazu luegen, sonst könnts fehle.» «Eh aber nein, Herr Dokter, was Ihr nicht saget; du mein Gott, wott mys Meyeli sterbe? Eh aber nei!» jammerte Jakobli und hörte längs Stück nicht, was der Doktor sagte; er tat, als ob er schon zum Tischmacher müßte von wegen dem Totenbaum.
«Schwyget und loset!» sagte der Doktor, «so gefährlich ist es nicht, wenn Ihr dazu seht, aber es ist Zeit.» «O Herr Dokter, machet, was möglich, gebt, was gut ist, kosts, was well!» «Da kann ich nicht viel machen», antwortete der Doktor, «Ihr müßt selbst der Doktor sein, Ruh und Speis sind die Hauptsache.» «Mein Gott», sagte Jakobli, «von beiden hat es, so viel es will und was es will, es heißt niemand es etwas machen, alles ist unter seinen Händen, und kei Mönsch fragt, was es bruch oder was es nit bruch. Nei wäger, Herr Dokter, öppe wüst sy mir gege Meyeli nit, es heys ja alli lieb, u ke Mönsch lat ihms etgelte, wie me öppe schier glaube möcht, daß es es arms Meitschi gsi ist.»
«Ich weiß es», sagte der Doktor, «aber es vergißt es nicht, und das ist das Schönste an ihm. Eben deswegen tut es mehr als gut ist, und braucht nicht was es sollte, und an allen Orten sollte es sein, weil man es an allen Orten gern sieht, wo man bei bösen Grannen froh ist, wenn sie abseits liegen und es niemand in Sinn kommen wird, sie zu wecken oder zu rufen. Seht, Jowäger, es gibt Rosse, die man hinterebinden, andere, welche man jagen muß; mit den Weibern ists fast ebenso, und darum sollte der Mann immer den Verstand haben, zu sehen, wo das eine oder das andere nötig ist.»
Es brauchte die ganze Kraft des Doktors, seine Rede den Schmerzen abzugewinnen, und in recht elendem Zustande lieferte Jakobli ihn bei dem Hause des Freundes ab, erbot sich aber, ihn vollends heimzuführen, er wolle gerne bei ihm bleiben, bis er wüßte, daß es gebessert und er es daheim sagen könnte. Das wurde nun nicht angenommen; starker Kamillentee, Hoffmannstropfen darein, milderten die Schmerzen, daß er das Fahren wieder ertragen mochte, und bald befand er sich in dem so sehr ersehnten Bette, aber auch in den Händen seines Käthi.
Diese alte Hauskatze war nicht ohne Verstand und seit Jahren in einem Doktorhaus, es hatte es daher fast wie eine Doktorsfrau auf dem Lande. So eine Frau Doktere, wenn sie nicht ganz aus der Art schlägt, wird nicht nur mit dem Manne eins, sondern auch mit dem Doktor, das heißt, sie wird ebenfalls ein Doktor, wenigstens ein halber. So eine Frau ist redselig von Eva her, welche, wie bekanntlich, es ebenfalls war, ja, als der Mann nicht Zeit hatte oder sein Mittagsschläfchen hielt, selbst mit einer Schlange zu plaudern begann, weil sonst niemand Vernünftiges im Paradiese war. Kömmt der Mann heim, so muß er brichten, wo er gewesen, wie er es angetroffen, was er von dem Zustand der Patienten halte. Der Mann, dem allerdings seine Frau die beste Gesellschafterin sein soll, gibt anfänglich schlechten Bericht und meint, so was interessiere eine Frau nicht; aber es ändert sich, er tritt immer mehr ein, sagt auch, welche Mittel ihm gefehlt, und was er Neues probieren wolle. Am folgenden Abend ist dann die Frau gwunderig, wie das neue Mittel angeschlagen, mag fast nicht warten bis er heimkömmt, und kaum hat sie ihm was vorgesetzt zu essen oder zu trinken, so fragt sie: «Und, wie hest se gfunde?»
Am Morgen sitzt sie, wenn sie die Haushaltung gemacht hat, zuweilen in der Apotheke, sieht, mit welchen Guttern und Schachteln der Mann hantiert, hört, wie er die Leute fragt, was er für Schlüsse zieht, muß oft etwas kochen oder stoßen oder stoßen lassen, ihm Brechpulver rüsten, wenn er es selbst nicht erleiden mag, und wenn er fortgeht, so sagt er manchmal: «Sieh, Fraueli, wenn die und die kommen, so gibst ihnen aus der Guttere dreißig Tropfen, aus der fünfzig, und tust aus dem Hafen so angfähr vier von diesen Löfflene. Aber nicht ghufet, ghörst, drzu schüttists gut u heuschist de vierehalb Batze!»
«Aber säg, los», sagt die ersten Male die Frau, «wolltest du es nicht noch selbst rüsten, es macht mr grusam Angst, ih chönnt mi vrschieße.» » Abah», sagte der Mann, «das wär öppe gspässig, wenn du das vergessen solltest! Lue, rüste kann ich das nicht, wenn die nicht kommen, und eh weder nicht sy die Dolder Gnürzine wieder zum ene Angere, u de chann ih das niemere gä, u meh as zwee oder drei Tag blybts nit gut, u de wäre o wieder vier Batze dm Vaterland zu, un üsi Praxis ma das nit erlyde.»
Später macht die Frau natürlich keine Komplimente mehr, ds Konträri, sie sagt dem Manne: «Du, säg mr doch angfähr, was ih öppe gä soll, wenn Lüt chöme; es ist gar es gnietigs Dabeisein, wenn sie so lange warten müssen.» Denn es ist die Frau Doktorin, die in Abwesenheit ihres Mannes Bescheid abnehmen, mit den Leuten reden muß. Nun müßte sie wirklich ein Stock oder, um es höflich zu sagen, ein Stöcklein sein, was aber bekanntlich Frau Doktorinnen nie sind, wenn sie aus den traulichen täglichen Vorlesungen ihres Mannes nicht soviel profitieren würde, um die Leute vernünftig abfragen zu können, was und wo es ihnen fehle, nicht zu wissen, was jeden Augenblick die herrschende Krankheitsrichtung sei, und aus welchen Guttern der Mann die heilenden Stoffe nehme und angfähr wie viel. Weiß sie das einmal, so versucht sie hie und da einen schrecklich Pressierenden oder einen gar Langweiligen oder einen, der eben gekommen, wenn sie was Apartes auf dem Feuer hat, zu spedieren; das gerät ihr Tüfels gut, und – der Doktor in ihr ist fertig! Ja, sie versucht einmal aus Tüfelsüchtigi einen Zahn auszuziehen, der geht wie Ketzer, die Frau kriegt Courage wie ein preußischer Husar, sie nimmt sie fortan dutzendweise wie Schnupf, und alle Welt sagt, sie könne es hundertmal besser als ihre Ma, der müsse neue so schnupe, daß es eim fry Angst mach.
Kurz, das geht gar kurios mit dieser Sache. So anfangs, wenn so ein ufgsetztes und ufgsüferets Meitschi einen Doktor (auf dem Lande versteht sich, in der Stadt hat jedes Ding eine andere Nase) heiratet, so machts ein Grännimüli und sagt, mit dem Ding wolle es nichts zu tun haben, mit der Sache solle man es ruhig lassen. Nun aber ist keine rechte Frau auf Erden, welche mit dem Ding und der Sache, welcher der Mann obliegt, und von welcher her ihm Geld, Name und, wenn ihr wollt, Seligkeit kommen sollen, in die Länge nichts zu tun wird haben wollen, sie muß Interesse daran nehmen, davon angezogen werden, sie mag wollen oder nicht, sei nun ihr Mann, was er wolle, Doktor oder Färber, Pfarrer oder Bauer. Sie wird Interesse daran nehmen und Freude haben, wenn sie dem Mann helfen kann, und sich geehrt fühlen, wenn er mit ihr von seiner Sache redet, etwas davon, sei es viel oder wenig, ihr anvertraut.
Wohlverstanden, ich rede hier von rechten Frauen und nicht von Schlärplene, welche für nichts Sinn haben als für das, was zum Mund ein- und ausgeht, und für nichts Verstand als für das, was sie um den Leib legen und in die Haare tun, und allfällig noch für ein Fahri, eine Schlitteten, ein Musikfest oder einen Schießet.
So geht es auch den Frau Doktorinnen; sie gewinnen allmählig Interesse an der Sache, sie vernehmen nebenbei noch mancherlei, was der Doktor nicht vernimmt, und nicht bloß so Sachen für die bloße Gwundernase, sondern Sachen, die dem Doktor kommod und wichtig sind. «Säg, los», hat schon manche Frau Doktorin zu ihrem Manne gesagt, «nimm dich dann in acht und glaube denen nicht alles; es könnte ganz was anderes sein, dämpf se emel nit, es chönnt sust fehle!»
Wenn sie das rechte Maß im Einmischen halten und der Mann der rechte ist, Hand obzuhalten, so werden sie nicht nur des Mannes beste Gehülfinnen, sondern seine notwendigen Gehülfinnen bei starker Praxis, namentlich im Bergland. Apart einen Gehülfen zu bezahlen, vermag er nicht, dazu ist der Landarzt zu karg bezahlt; muß er aber alles selbst besorgen und zwar treulich, so tötet er sich. Tut er es nicht treulich, so tötet er Andere oder jagt sie den Pfuschern in die Hände, die zehnmal gefährlicher sind als eine vernünftige Doktorsfrau unter des Mannes Augen und in den täglich kontrollierten Schranken. Tut der Staat etwas für diesen Stand und nicht bloß für Schreiber und Militär, so ließe sich die Sache anders machen; sonst aber sind die rechten Doktorsfrauen nicht bloß notwendige Übel, sondern wirklich Dienerinnen der Menschheit und oft noch sehr liebenswürdige; versteht sich, die nicht, welche dem Mann alles vertrinken und seine Abwesenheiten zu allen möglichen Seitensprüngen benützen.
Nun war Käthi freilich keine Doktorsfrau, hatte aber doch in seiner dreißigjährigen Praxis vieles losgekriegt, und was der Doktor wollte, konnte es ihm holen, und welche Abwart er nötig hatte, das wußte es. Es wärmte, feuerte, kochte, daß Funken aus dem Kamin fuhren wie in einer Schmiede. Dazu aber heulte es, wie kein Schloßhund es imstande wäre, und zwischen das Heulen hinein, gleichsam Hagelsteine in einem Platzregen, schmiß es seine Vorwürfe. Es hätte es längst gewußt, daß es so kommen müßte, wenn man keinen Verstand brauchen wolle. Hundertmal habe es es gesagt, aber so einer Magd glaube man nicht, so eine könne lange reden und hätte doch manchmal mehr Verstand am kleinen Finger als ein Doktor am ganzen Gring. Einem Kind hätte es zSinn müsse cho, daß es z'töte gang, we me Tag u Nacht im Dreck umestampf, i de nasse Schuhe blyb u nüt Warms i Lyb nähm. U de, für wen? Für Lüt, für Lümmle, für grobs Pack, wo meine, e Dokter un e Hung syge Gschwisterti, wo nit emal Dankeigist säge, wo mängist hundert nit uf ene Krüzer gange. U de e sellige Herr, son e gute u son e glehrte, wies uf dr Welt kene meh gäb, weder daß er ke Vrstang heyg, wos so gut chönnt ha, wo dLüt ihm zHus u zHeim kämte, gang de u töt si wege selligem Züg, wo ke Hahne drnah krähte, wo ume alles froh wär, wenn einist e Luft über ihns chäm wie der Winter über dFleuge. So gebe es keine meh uf dr Welt, wenn dä sterb! Siebe Jahr lang heyg es ne im Wägeli zoge, u kes Brösmeli heyg er welle esse, wenn es ihms nit gä heyg, u jetz mach er ihms so, gäb was es säg. Aber er erfahre es jetzt, und jetzt wisse er es: «Selber ta, selber ha», un es gschächt ihm recht, wes ihm ume nicht so weh tät und er öppe gar dra sterb.
So begehrte es ununterbrochen auf während treulicher Abwart Tag und Nacht und wirklich unter Heulen und Zähneklappern. Doch gnädig waren alle diese Worte noch gegen die, welche diejenigen hörten, die zum Doktor wollten oder nach seinem Befinden fragten. Wir wollen sie nicht wiederholen, es braucht kein Käthi, ein Exempel daran zu nehmen, wie man den Leuten aus dem ff wüst sagen kann. Und doch verjagte es damit die Leute nicht; die Nachricht, daß der Doktor so übel erkranket sei, daß man ihn halbtot heimgebracht, erregte allgemeine Teilnahme, und je wüster Käthi tat, dest ängster ward den Leuten, dest dringlicher frugen sie nach dessen Befinden.