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Eines Tages, als die Sonne schön warm schien und alles auf dem Felde war bis an Meyeli und Anne Bäbi, denn das erstere ließ man nicht mehr alleine, nahm Anne Bäbi den Spycherschlüssel und hieß das Söhnisweib mitkommen. Dort hielt Anne Bäbi erst Musterung über die vielen Dinge, ob in nichts Schaben oder Milben seien, und um die Menge sich ins Gedächtnis zu prägen, an der Schönheit und Güte derselben sich zu erquicken. Solche Musterungen sind besondere Privatvergnügungen, haushälterischen Frauen ungefähr was dem Geizhals das Geldzählen ist. Endlich machte es sich über alle Kästen, stöberte manchen aus und brummte bei jedem ärger, wer ihm wohl genistet oder gar neuis verkräzt hätte. Bis zum letzten war es gekommen und bis auf den Boden desselben und brummte immer ärger; da schien es endlich zu finden, was es suchte, und zog eine alte Kutte hervor, und als sie damit ans Licht kamen, sah Meyeli, daß es eine alte Mundur war. «Das ist meines Mannes Hochzeitkutte», sagte Bäbi. «Allbets hat man in der Mundur Hochzeit halten müssen, wo noch etwas mit den Leuten gewesen; jetzt, wo alles ume so Schyßere sy, ist jeder Hudel gut genug für sie», und somit hing es die Mundur an eine Stange an die Sonne und klopfte sie wacker aus. «Wottsch se öppe bruche?» fragte Meyeli. «Allweg», sagte Anne Bäbi. «Was wottsch drmit?» fragte Meyeli. «He, das wirst de erfahre», sagte Anne Bäbi.
Es ging darauf nicht lange, so kam einmal abends Anne Bäbi ängstlich in den Stall gelaufen und befahl Sami, er solle gschwing gschirren, ein Ladli aufs Graswägeli binden und die Hebamme holen. «U ghörst», sagte es, «spreng allbeeinist, u we si nit daheim ist, so fahr ere nah, bis se hest. Aber we di dLüt frage, wo d us wellist, su säg, du müssest ga es zMühli reyche, dr Mühlikarrer, dä Löhl, heygs vrgesse z'bringe. Darauf eilte Anne Bäbi über ihren Schrank, nahm die alte Mundur zur Hand und begab sich ins Stübchen, wo Mädi der jungen Frau eben zu Bette half. «Seh», sagte Anne Bäbi zu Meyeli, «leg die gschwing a!» «Warum nit gar!» sagte Mädi, «öppis Dumms eso.» «Sygs dumm oder nit dumm», sagte Anne Bäbi, «so geht es dich nichts an; gschwing, gschwing leg se a!» sagte es zu Meyeli und hielt sie demselben zum Einschlüpfen zweg. «Aber Mutter», antwortete dasselbe, «ist es auch recht, gerade wo man nicht weiß, wie es einem geht, so dr Narr ga z'mache u si ga zvrkleide?» «Schlüf du ume!» sagte Anne Bäbi, «da ist nit dRed vo dr Narr z'mache, das ist ganz öppis angers, u wenn drin bisch, so will ich es dir dann sagen.»
Da gehorchte Meyeli in Gottes Namen, schlüpfte in Hanslis alte Mundur, die Anne Bäbi eiligst zuknöpfte; in derselben legte das bange, arme Weibchen sich zu Bette und nahm sich seltsam aus als Soldat in solchen Zuständen. Es mußte halb lachen über sich, halb weinen und frug noch einmal: «Aber Mutter, was soll das sein, und wenn es jemand sehen würde, was würde er sagen?» «Ho, in den Kalender kämet ihr», sagte Mädi, «und würdet ausgelacht, nicht für Spaß, aber es gschächt euch recht; nur schade, daß dann alle umeha müssen statt ume die, wos vrdient hätte.» «Ghörst, es geyht di nüt a», sagte Anne Bäbi, «u mira lach, wer well, es ist mr glych; ih mache, was ih will, un öppe, wer witzig isch u o no öppis glaubt u Religion het, wird nit lache, selb weiß ih. Los ume!» sagte es zu Meyeli, «ich will dir säge, wie es mir gegangen ist.
Als ich auch so zwegkam wie du jetzt, da kömmt meine Schwiegermutter mit ebender Mundurkutte, die du jetzt anhast, und will sie mir anziehen. Da tue ich wüst und will nicht. Ich war ein junger Gali (unbedachter, unachtsamer Mensch) und wußte nicht, was dr Brauch war; sie ist aber auch eine böse gewesen, wie es nicht viele gibt, und hat alles zwängen wollen im ganzen Haus, daß ich mich manchmal z'tauberwys dr Sach ha müsse annäh, daß nicht alles nach ihrem Gring gang. We d e selligi Schwiegere hättisch, du wurdest de erfahre, was e Schwiegere cha, jetzt weißt dus nicht.» Es würds bald vernäh, sagte Mädi, es mangelte nur, daß es anfing z'Widerrede un ihms z'mache, wies öppe angeri Sühniswyber o mache. Aber Anne Bäbi achtete sich auf Mädis Reden nicht, sondern sagte: «Ja, wüst ta han ih, si isch aber o drnah Eini gsi, u han ere dMundur hingere Ofe gschosse un ere gseit, daß si mr nimme drmit zum Lyb chömm, sust chönn si de luege, was ih mach. Da hat si sich doch neue gschoche un isch mr nimme cho mit dr Kutte, aber gseit het si: ‹Es ist mr nit wege dir, o Jere, aber wegem King ischs mr, das duret mi, u we dMutter tut wien e Uflat, su sinnet si nit, was si am King anemacht.› Ich erschrak, als ich das hörte, aber dafür hätte ich mich nicht gehalten, daß ich gefragt hätte, was das bedeuten solle, un dSach isch vorbeigegangen ohne Mundur.
Da erzählte ich einmal der Hebamme, als wir alleine waren, wie mich die Alte habe plagen wollen, und wie ich es ihr gemacht, und was für Worte sie dann ausgestoßen habe. Da wollte die Hebamme nicht recht mit der Sprache hervor, und erst als ich ihr zweimal sagte: ‹So red doch, warum sagst du nichts?› antwortete sie: ‹He, dSach isch jetz wie si isch; aber we d meh drzu chunnst, su leg ume dMundur a, du wirst di nit greuig sy.› Und als ich fragte warum, sagt sie mir, es gehe leichter, und man möge es besser überstehen, und dann würden die Kinder bsunderbar gsund und stark, so rechte Kriegsmanne und alti Schwyzer, und an allen rechten Orten, wo man noch etwas auf Religion halte und auf alten Bräuchen, legten die Weiber die Mundur an, aber öppe so recht unter die Leute ließe man es nicht. Da bin ich gleich reuig geworden und habe gedacht, es hätte gefehlt, aber merke han ihs notti niemere la, dSchwiegere het nit müsse dFreud ha.
Aber du siehst, wie es gegangen ist; Jakobli ist schwach und kränklich geworden, und syr Lebtig ist er für e Soldat nüt nutz gsi, und mängisch han ih isgheim pläret u denkt, ih syg dSchuld, u hätt ih dMundur agha, su wär er e angere worde. Aber verredet habe ich mich manchmal bei mir selber, wenn Jakobli heirate und seine Frau käme dä Weg zweg, so müsse sie dMundur anziehen, sie möge wollen oder nicht; was an Jakobli verfehlt worden, das müsse doch nicht an seinen Kindern auch geschehen. Und wenn du nicht gewollt hättest, ih hätt di zwängt, du hättisch müsse. U jetz ists gut, daß de gfolget hest; aber wer weiß, we de e Schwiegere gha hättisch wie ih, wie wüst du getan hättest.»
So hatte Anne Bäbi erzählt mit mancher Unterbrechung, und Meyeli schickte sich immer besser in die Mundur, und je größer seine Ängsten wurden, zu desto größerem Troste ward sie ihm; denn je größer die Not wird, desto gläubiger fassen wir nach allem und gebrauchen es als Anker in der Not.
Endlich kam die Hebamme, als man schon an ihrem Kommen verzweifelte. Als sie Meyeli in der Mundur sah, sagte sie: «So ists recht, häb ume nicht Kummer, es muß gut gehen. Es freut mich allemal, wenn ich in ein Haus komme, wo noch Glaube ist und Religion, aber die sind nicht dick mehr. Die Jungen wollen nichts mehr glauben und lachen über alles, un drum gits so leid Lüt, so nütgrechtsig, aber es gscheht ne i Bode yche recht. Ume herzhaft, Fraueli, dSach chunnt gut!»
Und richtig kam sie gut; in kurzer Zeit krähte ein munterer Bube in die Welt hinein und brüllete die Mutter kannibalisch an wie ein junger Krieger einen alten, den er mit Geschrei überwältigen will, weil er mit der Kraft es nicht vermag. Es war aber, als ob sein Geschrei voll Zaubertöne sei, nach welchen zu tanzen sämtliche Hausgenossen Lust hatten, also sein Hals jenem Horne gleich, dessen Töne in unwiderstehlichen Tanz Alte und Junge rissen; selbst in den Stall schienen sie zu dringen, denn die Mähre wieherte und scharrte wie wild, bis Sami endlich merkte, daß Krippe und Bahre leer seien.
Und doch konnte Anne Bäbi sich nicht überwinden, als es zu Mädi, welches feuerte und für Warmes sorgte, in die Küche kam, zu sagen: «Kummlig ists doch, we me no e Religion het, mi hets wieder chönne gseh.» «Öppis Dumms eso», sagte Mädi, «es wär sust o gange.» «So, du meinsts?» sagte Anne Bäbi. «Aber es ist notti trurig, we me scho meint, mi heyg öppe es fromms Hus u tüy recht, u anger Lüt chönnte es Byspiel näh, daß alles nüt bschießt, nit yche geyht u me muß Lüt um si umeha, wo me geng förchte muß, dr lieb Gott tüy es Zeiche an ne u zeig ne selber, was Glaube u Uglaube isch, u mi chönnt selber o es Näggis drvo übercho.» He, sagte Mädi, es mangle des Stichelns nicht, und seinetwegen solle es nichts zu fürchten haben; es bruchs ume graduse z'säge, su gang es. Aber de öppe, daß dr lieb Gott es de minger breiche chönn, söll es nicht glauben. Dr lieb Gott syg nit so dumm, und öppe wege ere alte Mundur fürcht es ihn nicht; aber wenn es öppe geng ds Zangge zvorderist hätt wie anger Lüt un e Zwänggring, daß nüt eso syg, de wohl, de fing es si a z'förchte u glaubti, es wär niene sicher.
Doch das war nur eine vorübergehende Wolke, die man, ihres Kommens und Gehens gewohnt, nicht achtete; der Freude Stern glänzte hell über dem Hause, und man wußte nicht, über welchem einzelnen Haupte am hellsten; selbst über Mädi stand er, obgleich es seine Freude nicht viel anders zu erkennen gab als eine Katze, welcher man im Balge kratzt. Das Kind war der Gegenstand der größten Bewunderung; Jakobli trug es von Einem zum Anderen, und jedes fand neue Wunder an ihm, ein solch bsunderbar Kind hatte noch Keines gesehen. Ja, Jakobli hätte es zu seinen Hühnern und Tauben hinaus getragen, zu der Mähre im Stall, wenn ihm die Hebamme nicht verdeutet hätte, ein neugebornes Kind trage man nicht spazieren.
Anne Bäbi aber mochte nicht warten, bis ihm die Hebamme erlaubte, einen Brei zu kochen; dann ging es mit großer Feierlichkeit über seinen Schrank, nahm ein schönes Testament daraus, welches es von seiner Gotte erhalten hatte, blätterte darin, sagte, wenns nur wüßte, wo es am besten wäre, aber es werde wohl graglych sein wo, und riß ein Blatt hinaus. «Aber Mutter, was machst!» sagte Jakobli, der eben wiegelte, als ob er das Kind gen Himmel sprengen wollte; denn er meinte, mit dem Wiegeln sei es gleich wie mit dem Reitiseilen, je strenger man es treibe, dest lüstiger gehe es.
«Kumm, lue!» sagte Anne Bäbi, und da das Kind verstummet war, so folgte Jakobli dem Ruf.
Draußen hatte Anne Bäbi das Breipfänni auf den Kohlen, verrupfte nun das Blatt aus dem Neuen Testamente in lauter kleine Stücke, streute diese in den Brei und suchte sie so gut als möglich darin zu verrühren. «Aber Mutter, was machst?» fragte Jakobli. «Was machst?» antwortete Anne Bäbi, «öppis mache ih, öppis, es wüsses nit all Lüt, aber my Mutter selig hets a mir gmacht, un ih has a dir gmacht, un bedimal hets nit gfehlt un isch gut usecho. Wenn man einem Kinde neuis vom Neuen Testament in den ersten Brei rührt un ihms styf z'esse git, su wirds fromm un überchunnt ke Untuget, und was ist wohl meh i dr Welt als Frömmigkeit, und wenn me öppe sterbe sött, was chäm eim de chummliger, emel öppe nit dHoffert! Ih ha myner Mutter sider mängist drfür danket, daß si dMühy nit gschoche het a mer, bsunger wenn ih öppe gseh ha, wies schlecht Lüt gä cha. Un wenn ih öppe sterbe sött u du no meh King übercho (zviel bigehre ih nit, ih muß es säge), vrgiß das nit, rühr es Blatt us em Neue Testament i erst Brei, es ist graglych, wo ds nimmst, ob hingefert oder vorfert.»
Es wird auf Erden nicht viele Eltern geben, welche ihre Kinder nicht gerne fromm hätten, auch wenn sie selbst nicht fromm sind; nun sind aber gar viele, die eigentlich nie wissen, was Frömmigkeit ist, und trotz ihrem Wunsche, die Kinder fromm zu haben, gerade alles mögliche mit ihnen vornehmen, um sie unfromm zu machen, sie mit ihrem ganzen Leben zur Sünde anführen. Vielleicht fühlen das viele dunkel, und wie sie sich selbst Hoffnung machen, im Abendmahl das Recht zur Seligkeit gleichsam essen und trinken zu können und dann ohne weitern Schenur leben zu dürfen, so möchten sie es sich ebenfalls kommod machen in Beziehung auf die Kinder und diesen die Frömmigkeit gleichsam einimpfen, wie man die Blattern einimpft, möchten sie ihnen eingeben, wie man ihnen Kindlipulver eingibt oder Meerzwiebelnhonig oder etwas anderes. Es ist seltsam, daß noch in unsern Tagen die menschliche Natur den Meisten noch so ein unenthüllt Rätsel ist, und merkwürdig, wie die Dümmsten und die Klügsten in der gleichen Sünde befangen sind, nur daß die Einen mit dem Aberglauben sich an ihr versündigen, die Andern mit dem Unglauben, die Einen sie heilen wollen gleichsam mit sympathetischen Mitteln, die Andern aber meinen, sie mangle gar nicht Heilens, sondern sei gerade recht so, wie sie sei, und je mehr sie zugreife mit allen Fingern nach allem, was sie gelüste, um so rechter sei sie.
Kurz und kommod wärs allerdings, wenn mans den Kindern mit dem Brei eingeben könnte, was sie nötig hätten, um recht zu leben und selig zu sterben, aber doch ein Tüfels Streich für die Pädagogen; die sind ja eben am Ersinnen des Pulvers, welches den Menschen erst zum Menschen macht, und was sie ersinnet, probieren sie flugs drauflos am Menschen, obs das Rechte sei. Bisher war zwar noch nichts das Rechte; aber wenns ein Blatt vom Neuen Testament wäre, im Kindsbrei eingenommen, dann wäre es austubaket mit dem Ersinnen, und was wären sie, die armen Tröpfe, dann anders als das fünfte Rad am Wagen?
Man glaubt gar nicht, was so ein klein Ding und Blütterlüpf in einem Hause, wo lange kein klein Kind gewesen ist, für Rumor und Randal macht. Alles hat alles nur mit ihm zu tun, alle Ohren sind beständig gespannt, und ertönt nur der kleinste Bägg, ja nur ein ganz gewöhnlich Gruchsen, so springt alles auf, fast wie eine Räuberbande auf den Pfiff des Räuberhauptmanns, stäubt auseinander wie ein Haufe Gemsen auf den Pfiff der Wachtgeiß. Wo aber in einem Hause zum Beispiel vier Haushaltungen wohnen, und es gibt in jeder Haushaltung alle Jahre zwei Kinder, im Jänner eins und im Christmonat das andere, da wird man schon kaltblütiger, und wenn ein halbes Dutzend brüllen, so sieht man sich nicht um, und wenn alles brüllt, so schläft man eben am ruhigsten, gerade wie der Müller zwischen Mühlrad und Rönnle, der erst dann erwacht, wenn eins oder beide stocken.
So ging es bei Jowägers, und alle hatten so viel zu tun mit der Sache, daß es ihnen wohl kam, daß es zwischen Heuet und Ernte und in keinem Werch war, sie hätten nicht Zeit gehabt dazu. Es soll manchmal drauf und dran gewesen sein, daß Sami oder Hansli ans Windlewaschen hinmußten. Was es da zu raten und zu werweisen, zu machen und zu laufen, zu kummern und zu denken gab, es wäre nicht zu erzählen. Auch soll die Hebamme zu anderweitigen Vertrauten sich geäußerst haben, so hätte sie es noch nicht bald gesehen, und wenn ein Kronprinz geboren worden wäre, sie könnten nicht ärger tun, man wisse nicht, wer narrochtiger. Aber wenn eins nach dem andern käme, so werds doch de wohl mit mingerm abgah, sust bigehrti si de fry nit meh drbyz'si, wes sust öppe no brav Lüt gnu wäre. Es wird daher auch niemand etwas darwider haben, wenn wir gleich zum Tauftag springen, wie es auch so manche Gotte machen möchte, die, einmal gebeten, nicht warten mag, bis sie das Kränzchen aufsetzen, das hoffärtige Büschelimüli machen, hinter den Tisch sitzen und die Füße ob Wein, Voressen, Bratis und Tateren erwarmen lassen kann.
Am auserwählten Sonntag früh fuhr ein stattliches Wägelein vor Jowägers Haus, ein munteres Mädchen sprang rasch ab und schüttelte gar herzinnig Meyeli die Hand, das unter der Küchentüre stand und nicht vors Dachtrauf hinaus durfte, weil es den Kirchgang noch nicht getan hatte. Es war Röseli die Wirtstochter, welche zur Gotte auserwählt worden war. Meyeli hatte schon lange ein sehnlich Verlangen nach ihr getragen, aber seit seinem Hochzeittage sie nicht gesehen. Es dachte daran, sie zur Gotte zu nehmen, aber Anne Bäbi hatte sich geäußert, es wäre ihm gleich, Gotte zu sein, wenn man es dafür hielte; natürlich schwieg Meyeli und zerdrückte seinen Wunsch. Da sagte eines Morgens Anne Bäbi, wenn sie etwa daran gesinnet hätten, ihns für Gotte zu nehmen, so sollten sie für jemand Anders sehen, es wolle damit nichts zu tun haben. «He, Mutter, warum nit?» sagte Jakobli, «wir haben auf dich gezählt, und wen sollten wir nehmen? Es ist jetzt schon wohl spät, und Verwandte haben wir ja nicht, die uns dazu anständig wären.» «Da kannst du luegen», hatte Anne Bäbi gesagt, «nimm, wen d witt, aber ich will nicht; ich habe diese Nacht einen Traum gehabt, der hat es mir erleidet, nicht um viel Geld wollte ich alle Nächte einen solchen ausstehen. Zuerst war es mir, als täte ich Flöh fangen, und je mehr ich fing, desto mehr sprangen an mir herum, es war alles schwarz; und da war ich gsunndiget wie zum Nachtmahl, hatte ein Kind auf dem Arm und wollte es zur Taufe tragen, hatte aber ein Kränzlein auf dem Kopf. Ich rief allen Leuten, sie sollten es mir doch abnehmen, aber niemand achtete sich mein, und nirgends konnte ich das Kind abstellen, um mit eigenen Händen das Kränzchen abnehmen zu können, und himmelangst ward es mir, was doch die Leute so zu einem alten Narr von Frau sagen würden, welche ihr Großkind mit einem Kränzchen auf dem Kopfe zur Kirche trage. So kam ich vor die Kirche, und am Taufstein stand schon der Pfarrer und wartete, und geschwind wollte ich hinein, aber plötzlich war ich wie verhexet. Sowie ich vor die Kirchtüre kam, war es mir, als drehe mich jemand um, und hintersich sollte ich zur Kirche hinein. Lange wehrte ich mich, aber immer war wieder der Stärkere voran, und endlich mußte ich doch so hinein, und alle Leute sahen so wunderlich auf mich, und da wollte ich geschwind machen, um zum Taufstein zu kommen, und sah den Tritt nicht hinter mir, stolperte und fiel mitsamt dem Kinde schrecklich um. Da erwachte ich, war bachnaß, ganz sturm und wußte lange nicht, wars oder wars nicht. Nun, es war gottlob nicht, sondern bloß geträumt; aber Gotte sein will ich nicht, nehmt meinethalben, wen ihr wollt; es weiß kein Mensch, was mir begegnen könnte.»
Als man in Verlegenheit war und lange werweisete, wen nehmen, äußerte endlich Meyeli seinen Wunsch, und allen wars, als ginge ihnen ein Licht auf, und als könnte niemand Gotte sein als Röseli; sogar Anne Bäbi sagte, es sei ihm recht, es möchte das Tüfels Meitschi auch einmal sehen, wo die Leute so zum Pfarrer jage, gäb sie wollten oder nicht. Jetzt wolle es ihm die Sache öppe nit vorwerfen und deretwege mit ihm handle, ds Gunträri, es sei ihm recht, daß es so gegangen. Aber wenn es nicht gut gekommen wäre, so hätte es dem doch noch einmal wüst sagen wollen, und das vaterländisch, und wo es sich getroffen hätte, im Wirtshaus oder in der Kirche, auf dem Märit oder auf dem Weg.
Jakobli mußte selbst hin; es war ein schwerer Gang für ihn. Schon von weitem hatte ihn Röseli kommen sehen, stand ihm unter der Türe zweg und rief ihm entgegen: «Du kommst daher, als ob du zLycht oder zGvatter bitten wollest. Nu geschwind, komm und sag, welches von beiden, öppe so Gott will, das letzte! Und es geht gut bei euch, wie ich gehört habe, wenn ihr schon keinen Gux mir habt apart zukommen lassen; aber solang es Kachelträger, Hudilumper und Schwummfraueli gibt, weiß man öppe geng manche Stund herum, wenn man will, was geyht. Sogar deine Alte hat sich zufrieden gegeben und das Sühniswyb nit gfresse, wie ich anfangs gefürchtet. Es ist ihr aber wohl gekommen, ich habe gut aufpassen lassen, und auf my armi Türi, wenn die Alti dr Uflat gmacht hätt und du dr Fösel und dr Alt dr Dukemüsler, ih wär selber cho un hätt ech gseit, was Ornig wär, und wies gah müßt, daß ihrs dann gewußt hättet, oder hätt ech ds Meyeli wieder furtgno, kuyiniere hätt is de notti nit gla. Also zur Gotte willst du mich? Du hast noch mehr Verstand, als man dir ansieht; aber nicht wahr, du hast ihn nicht gehabt, sondern deine Frau? Mein öppe nit, ih chömm nit, o Jere, das tät ich dir nicht zu Gefallen und auch deiner Alten nicht, die sieht mich doch ungern; oder ist sie öppe gwunderig z'luege, wer ihrem Bub zu einer Frau geholfen hat? Ich weiß nur nicht, ob ich unser Roß haben kann; aber kann man nicht reiten, so läuft man. Und dann wärs dr Tüfel, wenn im ganze Dorf keiner ein Roß hätte für mich, wo ich mir doch fast die Füß ablaufe muß, dStäge uf und ab ihretwege, wohl, denen wollte ich!»
So wäre es eine Freude, zu Gevatter zu bitten; kein Davonlaufen, Verstecken, Werweisen vom Vater zur Mutter, will man kommen oder jemand Anders schicken, kein Vorbehalt von Wind und Wetter, Steg und Weg, und ganz preußisch kam Jakobli heim, und herzinnig freute Meyeli auf Röseli sich, freute sich ihns zu sehen, ihm sein Kind zu zeigen, zu zeigen Haus und Hof, Garten und Spycher, zu rühmen, wie gut man gegen ihns sei, wie gut es es gemacht, und wie es wünsche, daß es Röseli bald noch viel besser gehen möchte.
«Aber Herr Jemer, wie siehst du aus!» sagte Röseli zu seiner Freundin und hielt sie bei der Hand, «nicht wieder erkannt hätte ich dich, so leid siehst du aus. Ists so bös gange, oder geben sie dir nicht genug zu essen? Seid mir Gottwillche, Mutter, und zürnit nüt, ih bi es Uverschants, aber mein es doch notti nit bös; ih packe us, das hingerm Türli gyge ma ih nit. Aber gället, ich habe Euch zu einem freinen Söhniswyb verholfen, zu so einem wäret Ihr Euer Lebtag nicht gekommen. Ein wenig rauch habe ich es mit dem Geld gemacht; aber die da haben mich geheißen, und ich habe gemerkt, daß Ihr es habt, und gedacht, wenn man die Rustig einmal habe, so stehe sie dem Hause wohl an. Aber taub werdet Ihr anfangs über mich gewesen sein, nicht wahr?» He, sagte Anne Bäbi, es war sich auch nicht zu verwundern gewesen, wenn sie schon ein wenig taub geworden, dSach sei doch wirklich strengs gewesen; aber weil es gut gekommen, so seien sie längst zfriede.
Das resolute, kuraschierte Wesen von Röseli gefiel Anne Bäbi bsungerbar, und es sagte es ihm selbst. «Wenn ich noch einen Buben hätte, so müßte es nicht zu machen sein, oder er müßte dich haben», sagte es. «Daraus gäbte es nichts, ich will es Euch fry graduse säge, Mutter», sagte Röseli. «Ich und Ihr nähmten einander beim Gring, ehe vierzehn Tage um wären. Ich lasse mir nicht gerne befehlen, und was ich im Kopfe habe, ist mir nicht in den Beinen, und was ich öppe mag vermerke, hat in einem Hause zum Regieren niemand Platz neben Euch, und wenn der Bube noch Jakobli gliche, so gebte es aus der Sache erst nichts. Wenn ich heirate, so will ich einen kuraschierten Mann und eine freine Schwieger; eine kuraschierte Schwieger und ein freiner Mann, das ist das Böste, wo me ermanne cha; es steinigs Höfli un es glöcherets Hus wäre mir zehnmal lieber.»
«Warum?» fragte Anne Bäbi. «He», sagte Röseli, «das ist ganz natürlich. Ein freiner Mann wäre ans Gmeistertwerden durch die Mutter gewöhnt und würde meinen, ich sollte durchs gleiche Loch, und wenn ich auch redete, so würde er meinen, der Fehler sei an mir, und würde mir zusprechen, und wenn es nichts hülfe, so würde er es mit der Mutter halten, und da wäre ich verlassen und verraten und müßte eine Hex sein, ein Reibeisen, kurz, kein Mensch weiß was alles. Und ich bin doch das freinst Meitli von der Welt, wenn mir niemand befiehlt und alle machen, was ich will.» Da lachte Anne Bäbi und sagte: «So hätte es noch Manche; aber da mußt du nicht einen kuraschierten Mann nehmen, sondern eben einen freinen, gerade so, wie Jakobli ist; ihr wäret gewesen wie füreinander gemacht.»
«Ja Mutter», sagte Röseli, «verstehe mich nicht unrecht, ich meine kuraschiert gegen andere Leute, nicht gegen mich. Aber gewiß hat dich schon manchmal nichts so böse gemacht, als wenn du deinen Hansli jemand anreisen wolltest, er jemand den Marsch recht machen sollte und er das Maul nicht auftun, kein Bein machen wollte, gäb wie du gsi gsi machtest. So einen will ich nicht. Meiner muß ausgschirren können dem Tüfel ebe, daß all Lüt ne förchte, ume ih nit.» «Du bist e Täsche», sagte Anne Bäbi, «aber bim Schieß hest recht. Myne het mi mängist so taube gmacht, wil er niemere nüt het welle säge, daß es my duecht het, ih möcht ihm dr Gring obeab schryße.»
Während Röseli den ganzen Tag so handelte mit allen und ihnen so kurzi Zyti machte, daß es si duechte, der Abend sei da, ehe der Morgen vergangen, und Mädi sagte, die bigehre es dann notti ds Jahrs nit mängisch is Hus, we das Mönsch ds Mul uftüy, so los me niemere angerem meh, hatte Röseli doch seine Augen allenthalben und sah Dinge, welche niemand beachtet hatte.
Meyelis Schwäche fiel ihm auf, sein mattes Auge, sein langsamer Gang, und mehr als einmal fragte es, ob ihm nichts fehle. Aparti nichts, sagte dann Meyeli, nur sei es noch schwach; aber das sei nichts anders. Es dünke ihns, sagte Röseli, nach fast drei Wochen und der Speis, die es habe, sollte es besser zweg sein. Es sei ein wenig hart gegangen, sagte die Hebamme, und wenn die Kindbetti vorbei sei, so müsse es so satt abführen, es werde dann schon bessern. Es werden da Unreinigkeiten sein, die weg müßten, u wes de gsüferet syg, so werd es scho wieder nuefere (zunehmen). Das Kind war ein munterer Bube, aber handlich. Tat der das Maul auf, so meinte man, er wolle essen oder saugen; alle Augenblicke brachte man ihn Meyeli und sagte: «Seh, nimm e u gib ihm, dä tusigs Bub ist geng hungrig.» Wenn er dann nicht saugen wollte, so sagte man, er werde Brei wollen, es müsse gschwing gwärmt sein. War er gwärmt, so nahm man den Buben übers Knie und strich ihm Brei ein, desto strenger, je mehr er brüllte. Natürlich kam ihm der Brei in den letzen Hals, daß er husten mußte, oft költschblau wurde; dann hob man ihn wohl auf, sprang mit ihm in der Stube herum und sackete ihm runter, was im Halse stecken geblieben war.
Röseli sagte unumwunden, sie gäbten dem Bub nur zu viel zu essen, es ließe ihn allbeeinist brüllen, es wurd ihm scho selber verleide, wenn er genug hätte. Dä Weg gewöhne man ihn ja, daß man Tag und Nacht keine Ruhe hätte, weil er meine, es müsse immer etwas gehen. Wenn es einmal Kinder haben sollte, wohl, die wollte es anders rangieren, die müßten von Anfang an wissen, wer Meister sei, und ob sie alles zwängen könnten.
«He nu», sagte Anne Bäbi, «so ist es allweg gut, daß das nit dys ist; mit deinem kannst es meinethalb machen, wie du willst. Aber genug zu essen muß es haben, versünge will ich mich nicht. Man weiß mit solchen kleinen Kindern nie, was es gibt; man sollte zwar nicht davon reden, und wenns ein Unglück geben sollte, Gott bhüet is drvor, so möchte ich nicht, daß das arm King em liebe Gott ging ga chlage, es hätt nit gnue z'esse gha. We mes het, su git men es, emel wer öppe es Herz zu ne het.»
«Meinethalben, so gebt ihm!» sagte Röseli, «aber es ist mir nur, daß Meyeli auch mehr Ruh hätte und der Bub es nicht so ausnutzete, er saugt es ja durch und durch.»
«Das wird öppe scho bessere», sagte die Hebamme, «der wird doch öppe, so Gott will, einmal genug bekommen, und mit der Handligi wylet (wechselt) es sich, die Einen sind anfangs bös und später gut, und Andere zuerst die freinste King und später uwatlig, daß nüt eso isch. Und wenn die jungi Frau einmal recht ausputzt ist, daß sie wieder essen mag, so schadet ihr das Säugen nichts, ds Gunträri, es ist ume gut. Und wenns e kly z'mache ist, so müsse mr alle säuge, u wenn eini nit will, su isch das ume Meisterlosigi. Mi cha wohl Milch ygüdere, aber es isch doch nit die rechte, und die armen Kinder dauern mich, sie werden nie nüt Gerechts öppe wie die angere, wo o gsoge hey, wies öppe üblig u brüchlig isch.»
Röseli fand sich doch nicht beschlagen genug, um mit einer Hebamme den Kampf aufzunehmen. «Sei das jetzt, wie es wolle, so hab mir Sorg zu Meyeli, es gfallt mr nüt, ih säges no einist», antwortete es.
Daß Kinder nicht bloß aus Hunger schreien, sondern noch wegen ganz andern Sachen, und daß man mit Speise und Trank eben das Schreien bald erzeugt, bald vermehrt, das lag außer dem Kreise von Röselis Erfahrungen.
Aber merkwürdig ist, daß diese Erfahrung so viele Mütter, ja Großmütter, die sieben eigene Kinder und siebenundsiebenzig Großkinder haben, nie und nimmer machen. Sie füttern darauflos, wärmen Brei, und säugen, eins ums andere, Tag und Nacht, daß sie einen Drescher wirbelsinnig machen könnten, geschweige denn ein klein Kind zum Brüllen bringen. Und wenn sie während dem Essen ob Essen brüllen, husten, fast ersticken, so heißt es noch, das sei ume gut, das spenn (dehne) ne dBrust us u mach gsung Lüt uf dr Lungi.
Meyeli vergaß nicht, was die Gotte gesagt hatte, aber in den Ohren einer alten Großmutter und einer alten Hebamme verhallen Reden lediger Mädchen spurlos; Meyeli fühlte wohl, daß es nicht gut komme, aber etwas daran ändern konnte es nicht.
Essen und Trinken hatte es vollauf, mit der Arbeit schonte man ihm, und doch wollte es nicht zunehmen, auch als die Hebamme es ausgeputzt hatte. Aber es hatte keine Ruhe, und über sein Kind war es durchaus nicht Meister als in der Nacht, wo es mit Säugen und Wiegeln seine Zeit verbringen konnte. Anne Bäbi regierte, duldete keine Widerrede, und wenn nicht alles dem Buben untertänig war, so gschirrete es mit allen aus nicht für ungut. Wenn er sich rührte in der Wiege, und Meyeli schoß nicht auf ihn zu wie ein Habicht auf eine Taube, so schoß Anne Bäbi herbei und sagte, es werde sich denk des armen Bübleins annehmen müssen, wenn niemand seiner sich achte. Den Brei gab es ihm selbst, und wenn Meyeli etwa sagte, es duech ihns, er sollte genug haben, so antwortete Anne Bäbi, es besinne sich doch denk kaum, wieviel ein Kind möge; seit es seinen bekommen, werde es nicht viel Brei mehr gesehen und zselbist sich nicht geachtet haben, wieviel es möge. Und wer wüß, ob es so e schwachi Natur hätt, wenn es zu syr Zyt o gnue Brei übercho hätt. Die Leute könne man in der Jugend so verderben, wenn man ihnen nicht recht zu essen gebe, man glaube es nicht, ja, daß sie ihr Lebtag nie mehr recht zwegkämen.
Mit Anne Bäbi stritt sich Mädi um den Buben, und wenn Anne Bäbi den Rücken kehrte, so schoß Mädi zweg, wollte ihm was Gutes tun, was ihm eben einfiel, und behauptete steif und fest bei allen Leuten, das arm King wär längst verreblet, wenn es nicht wäre. Es wüß zwar wohl, es gehe ihm wieder wie äys Mal, u ke Mönsch säg ihm Dankeigist, aber es möchte dies das Kind nicht entgelten lassen, das arm Tröpfli vermöge sich dessen nichts. Wenn es dann längs Stück Anne Bäbis wegen bei dem Kind nicht zwegkommen konnte, so schlich es sich hinter Meyeli und raunte ihm zu, wenn das Kind sein wäre, so täte es das sy Seel nicht, die Alte verblitzge ihm sein Kind in Grund und Boden hinein, mache wie wenn es das ihre wäre un ke angere Mönsch öppis drzu z'säge hätt.
Es wäre wirklich an manchem Orte sehr zweckmäßig, wenn gleich auf einmal sechs oder sieben Kinder zusammen auf die Welt kämen, so daß ungefähr ein jeder Hausgenosse eins davon abkriegte, jedem die Pflicht zuwüchse, des Kindes zu warten, und keinem mehr das Kind ein Spielzeug wäre. Aber da käme wohl satt nach und nach ein Kind nach dem andern der Mutter wieder zu, weil Einem nach dem Andern einfiele, es sei doch eigentlich die Mutter dazu da, ihre Kinder zu pflegen und zu warten, darum vermutlich wird der liebe Gott es auch nicht so eingerichtet haben.
Hatte Jakobli den Buben bei Tauben und Hühnern, so nahm ihn Sami, setzte ihn auf die Mähre und tränkte diese dem Buben zlieb mitten im halben Tag. Aber beim Brunnen nahm ihn Hansli ab dem Roß und trug ihn zu den Schafen, den Schweinen, bis der Bub mit dem Knie ihn müpfte und weiter wollte. Dann ging er wohl mit ihm unter die Bäume, und wenn er einen Apfel fand, der nur klein wenig rot am Backen war, oder eine Birne, die etwas weniger hart war als Solothurnersteine, so mußte der Bub sie haben, und da derselbe natürlich nicht darein beißen konnte, so nahm er das Messer, machte kleine Schnäfeli und sagte: «Du mußt doch wisse, wie dÖpfel e Kust hey»; und wenn er dann des Nachts wieder schrie wie am Messer, so balgete Anne Bäbi grusam, was sie doch auch mit dem Buben machten, daß er so brülle, es glaub afe, sie machten es expreß; so hätte doch Jakobli nie getan, es hätte es ihm auch nicht geduldet.
Daß Meyeli darunter litt, ist begreiflich. Es war durchaus nicht schalus, daß der Bub so gerne bei andern als bei ihm war, daß alle über ihn regierten und es am wenigsten; aber es fürchtete, es komme nicht gut so, und zudem war es nie recht wohl, es war ihm so schwer in den Gliedern, Kraft wollte ihm nicht wiederkommen so wenig als die roten Backen.
Es fiel selbst der Hebamme auf, als sie einmal kam, und sie sagte, da sei etwas, das nicht gut sei, und es wäre gut, wenn Meyeli etwas brauchte. Ob Melissentee wohl gut wäre, fragte Anne Bäbi. Der sei nicht bös, sagte die Hebamme, und wenn man Bocksbart dazutäte, öppe halb und halb, so wäre es noch besser. Dann könnte man etwas Zitronenrinde dazumachen; sie gäbte der Sache eine gute Kust und sei grusam gut gege Durst.
Meyeli brauchte den Tee, aber es besserte nicht; die Sache war lange im Alten, dann schien sie auf einmal schlimmer zu werden; Meyeli mochte nicht essen, und was es hinunterzwängte, wollte nicht bei ihm bleiben. Da schüttelte Anne Bäbi den Kopf und sagte, es sei lätz gange; auch die Hebamme war seiner Meinung und befahl, daß man den Buben entwöhnen solle; es sei zwar wohl früh, aber Meyeli wegen könne man nicht länger warten.
Ein Kind entwöhnen, wo man gewohnt ist, dem Kind allen seinen Willen zu tun, ist ein Mordsspektakel. Abraham hat sicher nicht größere Angst gehabt, als er seinen Sohn auf dem Steine hatte, als man an manchem Ort davor hat, ein Kind von der Mutterbrust zu nehmen. Gar mancher Mutter, die in Abzehrung oder im Fieber, beides macht da keinen Unterschied, bereits halbtot auf ihrem Bette liegt, wird das Kind an die Brust gelegt, nur damit es nicht brülle, und weil man sich sonst nicht zu helfen weiß, oder weil man meint, man bringe es sonst nicht für. Es geschehen da Grausamkeiten, nicht absichtlich, aber aus Mangel an Verstand, die ans Märchenhafte streifen.
Anne Bäbi war das grusam zuwider. Es King, wes öppis Grechts werde well, sött emel geng zweu Jahr saugen, es hätte dem Jakobli noch länger gegeben, und es wüsse, daß Weiber sieben Jahre und mehr gesäugt hätten, und jetzt solle das arm Tröpfli nicht einmal ein ganzes Jahr seine Sache recht haben, das daure ihns, und dann gebe man ihm zuletzt die angeri Sach nit emal recht. Es sei viel z'letz gange.
Indessen fügte es sich, da die Hebamme sagte, es gäbs nit angers. «Das arm Bubli», sagte Anne Bäbi, «will ich zu mir nehmen, ich weiß dann, daß es seine Sache bekömmt, und daß man es nicht verrebeln läßt. Es nimmt mich wunder, ob es zNacht mir auch so brüllet; es hat mich manchmal duecht, ih sött ne übere ga alli Schang säge, daß sie das arm Tröpfli so lasse brülle.»
So geschah es, und Anne Bäbi nahm sich des Kindes treulichst an und hätte ihm für sein Leben gern die Mutter ersetzt; aber wo nichts ist, ist halt nichts, und da verliert selbst ein Kaiser sein Recht, geschweige dann ein Kind. Aber brüllen tat der Bub gleich. Nu, das sei nichts anders, sagte Anne Bäbi zuerst, es nehmte es nur wunder, daß er nicht noch viel ärger brülle, vrspreng doch e jedes Kalb fast dr Stall, wenn man es abbreche, u es wüß King, die Tag und Nacht graduse brüllet heyge, als man sie hätte entwöhnen wollen. Als aber auch später der Bub sich nicht besserte, so sagte Anne Bäbi, es könnte das nicht begreifen, Jakobli hätte nie so getan, überhaupt in ihrer ganzen Familie hätte nie jemand so gebrüllet; das muß vo Meyeli hercho un i dr Art sy, arm Lüt heyge mengisch öppis so an ne. Aber wenn es vo Afang a ne gha hätt, su hätts viellicht chönne drvor sy.
Meyeli begann es wunderbar gut zu gehen. Es mochte nach und nach mehr essen, und es dünkte ihns immer besser; aber vor allem faßte es eine merkwürdige Schlafsucht. Wenn der Abend kam, fielen ihm die Augen zu, es wußte manchmal kaum, wie es zu Bette kam; die ganze Nacht schlief es wie ein Murmeltier, man hätte Zaunstecken auf ihm spitzen können, es wäre nicht erwacht, und am Morgen konnte die Sonne scheinen, so lang sie wollte, sie hätte es kaum geweckt, wenn niemand anders ihr geholfen. Das schlug aber auch recht gut an, es bekam wieder Farbe, die Augen Glanz, die Schritte wurden rascher, die Worte lebendiger, die Stimmung fröhlicher, manchmal hörte man seine Stimme wieder singen durchs Haus, und des Scherzens Quelle brach wieder auf.
Und obgleich Anne Bäbi von Herzen mitlachte, so sagte es doch, es sei eigentlich wüst von Meyeli, daß es so lachen u Gugelfug treiben möge; wenn man ihm ein Kind so weggenommen hätte, es glaube, es hätte sich zTod pläret. So jung Lüt seien eineweg grüslich, sie sinneten nur an sich, und wenn eine verrebelte, so möchten sie lachen und schliefen eben am besten, während einer sich tot brüllete. «He ja de», sagte wohl hie und da Mädi, «so hey sies de wie mängi Alti, wo bim Dolder ärger isch as allbets dr Kindlifresser, u we si hüt öpper töte chönnt, u wärs dr einzig Bub, mit Wunderligkeit u Bösi, su warteti si nit bis morndrist.»