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Elftes Kapitel

Wie ein Vikar in Harnisch kömmt, ein Pfarrer auf die Beine und eine alte Frau um den Verstand

Das Gespräch der Frau Pfarrerin mit Jakobli hatte tiefer eingeschlagen, als irgendwer dachte: es hatte den Vikari gefaßt und ließ ihn nicht los.

Er war hier in einer unheimeligen Stellung; diese drückte ihn immer mehr, ward ihm immer peinlicher. Der alte Herr und seine Gemeinde waren ein Hirt und eine Herde, in freundlichem Vertrauen so recht innig zusammengewachsen; Kinder, welche er getauft, saßen im Gemeinderat, Kinder, die er unterwiesen hatte, waren Großväter und Großmütter geworden. Sie hörten ihm mit Andacht zu, er mochte predigen oder sonst reden, hielten große Stücke auf ihm, und wie es dann so geht, neben ihm galt ihnen kein Pfarrer etwas. «Wenn üse scho afe e alte isch, su tut er se doch no all dür; mr tuschete ne nit an es Dotze dere junge Gumpine, wie me se jetz het.» Das ist ein Zug in den Gemeinden, der sein Schönes, aber auch sein Gefährliches hat, schon der Apostel Paulus macht darauf aufmerksam.

Ist ein junger Mensch nicht geistig tot, so schwillt seine Brust während der Studienzeit; je mehr er lernt, desto mehr drängt es ihn zum Handeln; was seine Seele erschaut, will er hinaussetzen in die Welt, will die Ideale verkörpern im Leben. Wenn der Junge aus dem Kadettenhaus kömmt, will er ein Held werden, wie die Welt seinesgleichen noch nicht hatte; wird aus dem Student ein Vikari, so träumet er sich so gerne als Sigrist bestellt, dem Tausendjährigen Reich einzuläuten, ihm Tür und Tor zu öffnen. Aber zwischen einem Kadetten und einem Vikari ist ein großer Unterschied. Der Kadett muß dem Lieutenant, dem Hauptmann, dem Oberst parieren, muß sich selbst tüchtig einreiten, fummeln lassen, ehe er selbst andere fummeln darf. Der Vikar aber weiß gar nicht, was er vorstellen soll, bald soll er Lieutenant, bald Hauptmann, bald Oberst sein, und weil er es nicht weiß, was ist natürlicher, als daß er am liebsten Oberst wäre und daher auch meint, er müsse es sein?

Ebenso weiß der Pfarrer nicht, für was er ihn halten soll; aber ebenso natürlich ist es, daß er selbst am liebsten Oberst bliebe und den Vikar hielte für das, wozu er sich schickt, oder was ihm, dem Pfarrer, am kommodesten wäre, entweder für Kadett oder für Hauptmann. Daraus entstehen nun die fatalsten Verhältnisse, weil die Selbsterkenntnis selten ist, welche richtig urteilt, wozu man selbst passet, und wozu der Andere passet; diese Selbsterkenntnis haben Professoren nicht, wie sollte man sie einem Vikari zumuten oder einem alten Pastor, der sein Lebtag nie Professorenmuggen gehabt, das heißt sich nie beifallen ließ, sich einzubilden, er sei Holz für einen Professor.

Nun mag es oft geschehen, daß allerdings ein Vikar zur Entfaltung aller seiner Tatkraft berufen wird, und da geht es oft strub genug zu und manchmal auch vortrefflich. Aber wiederum ebenso oft steht der Pfarrer wirklich geistig an der Spitze der Gemeinde und kräftig, der Zusammenhang ist durchaus ungestört, nur zu einzelnen Verrichtungen fehlen ihm die Kräfte, oder seine Kräfte bedürfen einiger Erleichterung, seine ganze Konstitution bedarf größerer Ruhe. Das scheint nun so einem tatenschnaubenden, heldendurstigen Jüngling eine gräßliche Lage, statt daß sie einem kindlich frommen Gemüte, welches gerne in der Stille sich kräftigt und Erfahrungen sich sammelt, eine herrliche ist, eine Gelegenheit, so in aller Stille hineinzuwachsen in des Volkes Herz und Sinn, eine Gelegenheit, nicht nur im Hebräisch sich zu ermannen, sondern auch unvermerkt zum Verständnis des Volksgeistes zu kommen, und wo derselbe das Loch hat, durch welches man ihm beibringen kann, was man auf hebräisch gelernt und homiletisch zweglegen kann. Er will wirken, handeln, seine Jugend nicht versäumen, und der tolle Wahn sticht ihn, wenn er nicht regieren könne, so könne er auch nichts lernen, als ob ein Lieutenant nicht eben einen guten Obersten mangelte, um ebenso ein Oberst zu werden.

Nun geschieht dreierlei. Es gibt deren gutmütige Seelen, die sich an Wenigem ersättigen. Sie befehlen den Schulmeistern alle drei Wochen, die Bänke in den Schulstuben anders zu stellen, lassen den Sigrist etwas länger läuten und ändern etwas in dem Admittieren, einmal auf Pfingsten, ein andermal auf Weihnacht, und würden es kommod finden, die Unterweisungen des Abends zu halten. Indessen, da es nicht geht, hintersinnen sie sich nicht, sondern reden mit vieler Behaglichkeit von den neuen Organisationen, welche sie getroffen, und erwarten mit großer Ruhe ihre weltverbessernden Folgen.

Andere sind ungenügenderen Geistes und streben tiefer; sie wollen wirken nicht nur unter Schulbänken und Tischen, sondern auch auf die Gemüter, sie wollen fußen, wurzeln in der Gemeinde, wollen etwas für sich sein. Das gelingt ihnen aber nur, daß sie sich zwischen den Pfarrer und die Gemeinde drängen, den Zusammenhang zu stören, ihre Person an die Stelle seiner Person zu stellen suchen. Sie sind sich dessen sehr oft nicht bewußt, denn es ist gar zu schwer, immer klar zu wissen, ob man gründlich die Sache fördern möchte oder sich selbst, ob man Gott oder einem Götzen dienet, und zu solchen Götzen stempeln sich oft die, welche so schöne Manieren haben oder so geistliche, daß man nicht genug luegen kann. Das gibt böses Blut, verbittert manchen alten Tag, erzeugt manche Klage. Oft geht es einem solchen so wie einem Eisenwecken, den man da einschlagen will, wo das Holz am besten verbunden ist, er zieht nicht, er springt zurück mit dem Unterschiede, daß dann ein Eisenwecken stumm auf dem Rücken liegt, ein Mensch sich aber grausam gebärdet, davonläuft und die Welt vollbrüllet, es sei nichts zu machen, wie ja heutzutage auch jeder Hausierer, jeder Häftlimacher sich Plätzen ab klagt, wie nichts mehr zu machen sei.

Freilich geschieht es ebenfalls, daß ein Pfarrer erst erwacht, wenn ein Anderer in der Lücke steht, in welcher er eingeschlafen; dann will er auch wieder kämpfen um seinen Pfosten, und leider Gottes geht es auch da nicht gut. Es handelt sich da nicht um Personen, sondern um ein Reich, und leider Gottes vergessen das nur zu Viele oder meinen vielmehr, des Reiches Heil hange davon ab, ob sie Hauptmann seien oder Oberst, und das geht nicht nur Vikarien so oder Pfarrern, welche Vikarien haben, sondern noch ganz andern Prinzen.

Es gibt aber noch eine dritte Art, scheinbar zwischen beiden inne, die ist steinunglücklich. Die von dieser Spezies sehen tiefer als die von der ersten, Bagatellverwaltung genügt ihnen nicht, sie wollen mehr, sie wollen aus dem Vorhof ins Inwendige, aber wiederum nicht in ehrwürdigem Geleite, haben aber das Herz nicht, den Wächter wegzustoßen, haben die Energie nicht, sich zwischenein zu stellen, sie quellen über in innerlicher Bitterkeit, aber es quillt eben nur, zu Taten wird es nicht. Sie verzehren sich in innerem Groll, sehen die Welt durch einen Gallensack und kaufen sich Kautschukschuhe, damit, wenn von wegen den Sünden die Sündflut wiederkomme, sie doch nicht naß um die Füße würden.

Dieser Art war auch unser Vikari. Er focht den Pfarrer nicht an, aber innerlich focht er desto mehr in Gedanken; in der Gemeinde setzte er ihn nicht herab, aber seinen Freunden klagte er schüli über seine innerlichen Krämpfe und seine äußere Gebundenheit. Zum allgemeinen Verhältnis kam noch ein besonderes, eine Verschiedenheit in den Glaubensansichten, die auch sehr oft eine verschiedene Ansicht vom Leben erzeugt oder auch von einer verschiedenen Ansicht des Lebens ausgeht. Denn das ist der Gugger, daß man so oft nicht weiß, was das Erste, was das Zweite ist, was vorangegangen und was hintennach gekommen. Schade, daß dieses so Wenige wissen! Potz Tüfel, was gäbe dieses für verblüffte Gesichter!

Der Pfarrer war ein gutmütiger, heiterer Mann, um Glaubensformen zankte er nicht, aber in Glaubenswerken eiferte er mit jedem; wie fromm er war, wußte Gott, die Menschen hätten es ihm nicht angesehen. Gegen die Menschen war er milde und je milder, um so niedriger sie stunden, jedoch konnte er gegen Unvernunft sehr heftig werden und umso heftiger, je höher herab sie kam; auch über der Armen Trägheit und Unverschämtheit ereiferte er sich oft, nebenbei aber gab er ihnen reichlich und mehr als er selbst billigte.

Anders war der Vikar. Er hielt nicht viel auf den Werken, von wegen man wüßte nie, wie grob sie mit Sünden befleckt seien, sagte er, aber auf der Rechtgläubigkeit hielt er viel und wollte nie glauben, daß man über die Rechtgläubigkeit verschiedener Meinung sein könnte. Auf den, welcher nicht rechtgläubig wie er war, sah er recht kalt und vornehm herab, predigte übrigens oft von der christlichen Demut und bußfertiger Zerknirschung. Den Armen kappete er tüchtig ab wegen Mangel an Arbeitsamkeit und Frömmigkeit, und eben deswegen gebe er ihnen nichts, sagte er; er wolle ihre Sündhaftigkeit nicht verstocken helfen, aber wenn sie sich besserten und bekehrten, so würde Gott selbst ihnen Mittel und Wege zeigen, wie sie sich helfen könnten. Er jammerte, daß die Welt so im Argen liege, und wußte Punktum warum; es fehlt an aufrichtigen Bekennern, und deswegen bekannte er sich Tag für Tag vor den Menschen und bot allem auf, daß man ihm ansehe, wer er sei und was er glaube.

Es wollte ihn fast versprengen, daß er nicht wirken konnte nach seinem Sinn für das Reich Gottes, daß durch das Verhältnis des Pfarrers zu seiner Gemeinde Hände und Füße ihm gebunden waren, und doch war er zu gutmütig, etwas Gewaltsames zu versuchen und Apartiges. Das Verhältnis mit Pulver zu sprengen oder dasselbe zu unterminieren mit Zeit und Feinheit, dazu war er von Haus aus zu ehrlich, und wenn man ihn zum Letztern auch anleiten wollte, so begriff ers nicht.

Er war daher steinunglücklich. Wenn die Brüder erzählten, was sie wirkten, wie weit sie es gebracht mit dem Reiche Gottes, und wie manche Seele sie bereits darin hätten, und er konnte nichts erzählen, hatte nichts gemacht, nichts gestiftet, nichts, kein apartig Kirchlein aufgerichtet und mit so- und soviel Seelen besetzt, so schämte er sich. Man klagte ihn der Lauigkeit an, stifelte ihn auf, die Sache nicht länger gehen zu lassen; der Heiland sage ja, er sei gekommen, Krieg zu bringen und nicht Frieden. Es heiße ja, wer Vater und Mutter mehr liebe als ihn, sei nicht sein, und so ein alter Pfarrer sei noch lange nicht sein Vater oder seine Mutter. Dann kam er stürmisch heim, machte saure Gesichter, ging der armen Sophie aus dem Wege sieben Schritte weit, als ob sie der Schwarze selber wäre, und gab dunkle Bescheide, von denen man nicht erraten konnte, was darin stecken sollte; aber zur Tätigkeit, zum Stiften kam er nicht, zum Obrist ward er nicht, machte sich aber beständig Vorwürfe darüber, war steinunglücklich, denn er meinte es ehrlich. «Hier hättest du anfangen können, da bot dir der Herr selbst das Heft, dort wollte sich dir eine Seele aufschließen», so stuckete er beständig mit sich, quälte sich mit Vorwürfen; aber im gegebenen Momente erkannte er die Gelegenheit nicht, erst nach einigen Tagen gingen ihm die Augen gewöhnlich auf – das eben hielt er für sein Unglück.

Er hatte sich übel geärgert, wie früher der Pfarrer das Anne Bäbi getröstet, wie er die Gelegenheit versäumt hatte, dessen Seele zu zerknirschen; überhaupt hatte er so oft seinen heiligen Ärger, weil es ihm vorkam, der Pfarrer gehe nur so auf flache, leichtfertige Weise mit den Menschen um. Jetzt war Anne Bäbi wieder in einem solchen Zustande, seine Seele gebeugt, die Bußzucht Gottes so augenscheinlich, daß es ihm mehr und mehr vorkam wie eine besondere Fügung, wie ein Ruf Gottes an ihn, daß er dieser Seele sich annehme, sie rette. Wenn es ihm hier gelänge, so würden an das eine Werk sich vielleicht Hunderte reihen; vielleicht auch sei der Same schon lange im Boden, hätte Wurzel gefaßt, harre nur der günstigen Stunde, harre nur eines entscheidenden Schrittes von seiner Seite, um aufzugehen.

Solche Gedanken gingen in ihm herum und mit ihm; er kämpfte gegen sie, er nährte sie wieder. «Soll ich es wagen, oder ists nur eine Versuchung?» so ging es des Tages so oft in ihm auf und ab. Denn er war von Natur auch in weltlichen Dingen sehr unschlüssig und konnte oft stundenlang angezogen am Fenster stehen, werweisen, ob es regnen werde oder nicht, ob er gehen solle oder daheim bleiben, und am Ende beim schönsten Wetter Hut und Stock wieder in die Ecke stellen, um sich Zeit zu lassen zum Bsinnen bis am folgenden Tage. Überdies hatte er nichts Zudringliches, weder Süßliches noch Freches, sondern er war schüchtern, redete ungern Leute an, machte oft einen Umweg, wenn er Leute vor einem Hause sitzen sah, nur um ihnen nicht die Zeit wünschen zu müssen, und konnte er sie nicht umgehen, so wurde er rot, wenigstens allemal verlegen.

Man kann sich jetzt vielleicht vorstellen, wie es in ihm kämpfte, wie er mehrere Male ausging mit dem bestimmten Vorsatz, zu Jowägers zu gehen, wie unwillkürlich seine Schritte sich seitwärts lenkten und er heimkam, ohne etwas verrichtet zu haben. Er machte sich dann die heftigsten Vorwürfe, faßte den bestimmtesten Vorsatz auf morgen, und morgen ging es ihm ebenso. Das Ding erwerchete ihn immer strenger; es kamen ihm, der sonst nie träumte, sogar Träume. Einmal sah er Anne Bäbi, das winkte ihm immer ängstlicher, immer drunglicher, und als er nicht ging, dünkte es ihn, als hebe es die Hand auf wie zum Fluch. Er erwachte in Schweiß gebadet, bebend am ganzen Körper. Selben Tages führte er endlich seinen Vorsatz aus. Er war in Verlegenheit gewesen, was er gleich anfangs sagen wolle, warum er käme, ob er einen Vorwand brauchen oder den rechten Grund, daß ein Traum vom Herrn gesendet ihn hieher gewiesen.

Er traf den Alten auf seinem Bänklein, wo er so oft absaß, wenn sein Herz schwer war, und schweigend in den Himmel schaute, bis das Herz ihm leichter ward; doch diesmal wollte es nicht leichter werden. Das Bübeli dauerte ihn grusam, es wäre doch noch e Gute worde, das hätt me i de letzte Stunde dütlig gseh. Dann machte ihm Anne Bäbi grusam Angst, und sie wußten nicht, was mit ihm vornehmen. Es saß da und nahm sich allem nichts an und hätte nicht gegessen, nicht getrunken, wenn man es ihm nicht aufgenötet; bald brach es in Weinen aus, bald redete es, man wußte nicht was, ob mit sich selbsten oder mit dem seligen Bübchen. Des Nachts konnte man es nicht zu Bette bringen, und war es im Bette, so hatte es weder Schlaf noch Ruhe, stand alle Augenblicke wieder auf.

Als der Vikar unerwartet vor Hansli trat, erschrak dieser, stand verlegen auf und wußte nicht, was das zu bedeuten hätte. Da erzählte ihm der Vikar, was ihm Gott gleichsam befohlen hätte, und was er für einen wunderbaren Traum gehabt, und fragte, wo die alte Frau sei. Darüber verwunderte sich Hansli auch und sagte: «He nu so de, ebeso mähr! Si ist dinne, chömet yche!» Unterwegs setzte er noch hinzu: «Es het das geng so gha; es ist ihm geng alles wohl starch i Kopf cho, mi het si müsse i acht näh.»

Damit ging er voran ohne Komplimente und überließ dem Vikari den Kummer, nachzukommen. «Lue, da ist dr Vikari!» sagte er in der Stube zu Anne Bäbi, das an der Stelle saß, wo das Bettchen des entschlafenen Knaben gestanden, die Hände im Schoße, erbärmlich seufzte. Anne Bäbi nahm wenig Notiz von ihm, die fremdartige Erscheinung riß es nicht aus seinem Gedankenkreise. «Hockit ab», sagte Hansli, «wenn Dr neue cheut!» «Ihr habt ein schweres Unglück gehabt», sagte der Vikari, «aber man weiß nie, für was eine Sache gut ist, und solche Heimsuchungen findet der Herr nötig, die Menschen aus Schlaf und geistigem Tode zu erwecken. Ja denket, Frau, der Herr schickt mich zu Euch. Heute in der Nacht im Traum sah ich Euch, fast so, wie Ihr da sitzet, aber Ihr winktet mir. Habt Ihr vielleicht in Euerm Herzen ein Verlangen nach mir gehabt?»

Anne Bäbi, das, als es vom Unglück hörte, zu weinen angefangen, schüttelte auf diese Frage den Kopf. «Daraus kann man absehen», sagte der Vikari, «daß der Ruf umso bestimmter vom Herrn kam. Ja, gute Frau, er selbst schickt mich zu Euch, Eure Seele zu retten, die sonst ewig verloren gehen müßte. Da hat der Herr, der nicht den Tod des Sünders will, sondern daß er sich bekehre und lebe, noch das Letzte an Euch versucht; darum, jetzt, wo Ihr seine Stimme höret, verstocket Eure Ohren nicht! Gället, das Knäbli habt Ihr sehr liebgehabt, es ist so Euer eis und alles gsi?»

Da brach Anne Bäbi in lauten Jammer aus: «O Bübli, mys Bübli, wo bisch, ih wott zu dr, ih chume, ih chume!» «Ja seht, Frau, das ist eben die Liebe, die ich meine, welche eine so große Sünde ist; es heißt: ‹Du sollst den Herrn deinen Gott lieben über alles!› und jetzt habt Ihr das Kind geliebt über alles, und das war eine vermaledeite Abgötterei, denn das ist Abgötterei, wenn man etwas mehr liebt als Gott, und das Kind war Euer Gott. Darum, weil der Herr Euch nicht verstoßen, noch nicht ganz fallen lassen wollte, nahm er Euch das Kind; um Eurer Sünde willen mußte das Kind leiden und sterben, Eure sündliche Liebe ist Ursache seines Todes. Der Herr wollte Euch die Augen öffnen, wie es einem geht, wenn man sein Herz an etwas Vergängliches hängt, und wollte Euch zeigen, daß er der Herr sei, der Leben gibt und den Tod sendet. Hättet Ihr das Kind weniger geliebet, es lebte wahrscheinlich noch, aber Ihr machtet es zum Stein des Anstoßes und des Ärgernisses, den der Herr wegräumte. Erkennet, wohin die Sünde führet, sie bringt einem um das Liebste; auch Euch hat sie um das Liebste gebracht, erkennet es, tut Buße und bekehret Euch!

Ja, ja, Frau, bekehret Euch; gerade Ihr habt es am nötigsten! Ihr seid auch von den Leuten, welche meinen, sie hätten es nicht nötig, sie seien brave Leute, aber den rechten Glauben habt Ihr doch nicht, ein Herz zu Gott habt Ihr auch nicht, Ihr liebet alles mehr als Gott und wollt doch um Eurer guten Werke willen in den Himmel; aber Eure besten Werke sind ja mit Sünden befleckt und Eure Gerechtigkeit wie ein unflätig Kleid, und wenn Ihr Euch nicht bekehret, so seid Ihr auf ewig verloren, auf ewig, denn es heißt ja: ‹Wer nicht wiedergeboren wird, kann das Reich Gottes nicht sehen.› Ja, Frau, denket, was Ihr Euch selber zugezogen habt, denket, vielleicht lebte Euer Kind noch, wenn Ihr bekehrt gewesen und es nicht so sündlich geliebt hättet, und daß Euch der liebe Gott das Kind hat nehmen müssen, um Euch zu bekehren, weil Ihr, solange Ihr das Kind gehabt, keine Augen und Ohren für ihn gehabt hättet. Erkennet Gottes Gericht, vergesset jetzt das Kind und denkt an Eure Sünden und öffnet der aufrichtigen Buße Eure Seele, jetzt, wo es noch Zeit ist; Ihr wisset nicht, wie lange der Herr Euch noch Zeit gibt, denn der Mensch ist wie Gras und die Herrlichkeit des Menschen wie des Grases Blume.»

«Je eher je lieber!» heulte Anne Bäbi, «hüt no, grad jetz! O mys Bübli, mys Bübli, un ih soll jetz no dSchuld sy, daß gstorbe bisch, ih söll di töt ha, u han ih di doch so liebgha u dr gluegt Tag u Nacht, u jetz chunnt me dä Weg!» «Nit», sagte Hansli, «das seyt ke Mönsch; du hest gmacht, was de chönne hesch, u nüt gfehlt, bis du ume zfriede!» «Jä nein, mein guter Mann, zfriede soll Eure Frau eben nicht sein, das wäre nur der Friede der Welt, und der ist der Tod. Sie soll weinen und wehklagen, aber nicht um das Kind, sondern über ihre Sünde, und daß das Gericht Gottes hat über sie auf diese Weise kommen müssen. Sie wird dem Kind gut abgwartet haben, daran zweifle ich nicht, aber was half das? Wenn der Herr dessen Tod um ihrer Sünde willen beschlossen hatte, so kann man die Schuld am Tode eines Menschen werden, wenn man ihn auch mit keinem Finger anrührt, und gerade schuld am Tode derer, welche uns am liebsten sind.» Er hülfs nit z'starch mache, sagte Hansli, als Anne Bäbi, wie man auf dem Lande sagt, graduse brüllete, als ob man es an einem Messer hätte.

Es stach allerdings an einem Messer, aber an einem geistigen. Sein dumpfer, trüber, allgemeiner Schmerz, welcher wie ein schwarzer Nebel die Seele umhüllte und umnachtete, hatte sich ob diesen Reden in Bewegung gesetzt und begann allmählig grausig sich zu verdichten und niederzuschlagen in den einen Gedanken: es solle schuld sein am Tode des Bübchens, und wenn es nicht gewesen wäre, es lebte noch. Noch hatte dieser Gedanke sich nicht zu seiner zweischneidenden tödlichen Schärfe ausgebildet und eingebohrt, aber in formlosen Umrissen wogte er durch die Seele und erfüllte sie mit unaussprechlicher Trostlosigkeit, welche in einem bald lautern, bald leisern, wortlosen Wimmern und Webern sich kundtat. Hansli tröstete immer strenger, es solle nicht so nötlig tun und dSach nit so schwer näh, es sei dem Vikari nicht halb so Erst, wie er drglyche tüy.

Dieser war in bedeutender Verlegenheit. Er wußte nicht, war Anne Bäbis Zustand eine geistige Zerknirschung, ein Vorbote anrückender Bekehrung, oder war es nur das Weinen einer dummen, beschränkten Frau, sollte er jetzt die Wirkung ruhig abwarten, oder sollte er noch tiefer niederhalten. Daß er schon z'teuf gegriffen, davon hatte er keine Ahnung, und doch kam zu seiner Verlegenheit eine gewisse Angst, weil er diesen Zustand nicht recht heimzuweisen wußte. Er hatte wenig Erlebnisse, war noch niemals der sichtbar werdenden Bekehrung eines Menschen beigewohnt, aber er dachte sich, das werde wohl so gehen, das sei das Gären des Sauerteiges, der Herr fange an zu wirken; das Beste werde sein, ward er rätig, er warte das ab und sehe morgen nach, was sich herausgebildet, und wie er noch nachhelfen könne.

Er sehe, sagte er endlich, daß es doch noch ein Herz hätte für Gottes Wort und nicht ganz verhärtet sei; er hoffe zu Gott, das werde alles gut kommen und es sich wieder erwahren, daß der Herr die, welche er liebe, züchtige, und daß die Züchtigung des Herrn wirke eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit. Sie wollten jetzt noch ein herzlich Gebet verrichten und dann das Werk dem Herrn überlassen, der so mächtig im Schwachen sei. Er betete und wirklich herzlich, er meinte es gut und wollte eine Seele retten, aber eines gewissen Bangens mochte er sich nicht erwehren. Morgen werde er wiederkommen, sagte er. «He nu so de, ebeso mähr!» antwortete Hansli.

Er wanderte darauf den Weiden nach dem Bach entlang nach Hause. Vor einigen Jahren war den gleichen Weg der Pfarrer gewandelt, als er Anne Bäbi getröstet und aufgerichtet hatte nach Jakoblis Blatterkrankheit, welche Anne Bäbi sich zuschreiben, sie zu Gemüte nehmen wollte. Heiter und freundlich war er den Weg hinunter gewandelt, hatte freundlich dem Spiel der Fische zugesehen auf dem klaren Grunde, und fröhlich war es in ihm. Es war aber nicht die Fröhlichkeit des Selbstgefälligen, der sich erst selbst lobt und preiset, dann noch Mann um Mann sich denkt, jedem Lob und Preis zwischen die Zähne legt, um das durch sich selbst dorthin gelegte Lob sich als ein fremdes zu pflücken und sich zu Gemüte zu führen; es war ein wortloses, freundliches Säuseln des Geistes, dem man keinen Namen geben kann, in dem Gott wohnet, das aber wie ein süßer Friedenskuß, wie ein Liebesblick des Himmels unser Herz berührt und ein selig Lächeln auf die Lippen ruft.

Jetzt stürmt unser Vikar denselben Weg entlang. Auf dem klaren Grunde sieht er das Spiel der Fische nicht; die Disteln sieht er dem Bache entlang, Kopf um Kopf derselben fliegt ins Wasser, schreckt die Fischlein auf dem hellen Grunde. Er lächelt auch, aber dann kömmt der Ernst wie eine düstere Wolke und legt sich über sein Gesicht; auf demselben sieht es aus, wie der Himmel aussieht im Aprilwetter. Er freute sich seines Werkes; herrlich sei es ihm gelungen, den Zunder des Lebens in einen Toten zu werfen, eine schlafende Seele zu wecken. Wenn er nächstens zu den Brüdern komme, so hätte er doch auch was zu erzählen, und es nähmte ihn wunder, was sie dazu sagen, und ob wohl einem von ihnen was Ähnliches gelungen.

Und was daran sich knüpfen, was sein Werk für einen Fortgang nehmen, ds Pfarrers dazu sagen werden, nahm ihn ebenfalls wunder. Hatte er einmal diese Familie gewonnen, so hatte er den Fuß im Hafen, hatte einen Platz gewonnen zum Versammlunghalten, konnte da wie von selbst an einem schönen Abend sich einfinden; angfähr fanden sich auch Andere ein, Einer erbaute den Andern, es gab herrliche Stunden, den Herrn zu preisen und zu loben, der aus kleinen Anfängen so Großes werden läßt.

An einen wunderbaren, unerklärlichen Traum knüpfte sich hier das Heil einer ganzen Gemeinde vielleicht auf Kinder und Kindeskinder hinaus. Dann kamen wieder Zweifel gezogen über den Ausgang. Das Betragen der Frau schien ihm seltsam und ängstlich, und obgleich er fest glaubte, er werde mit Kraft und Gottes Hülfe die Sache zum rechten Ziel führen, so glaubte er es doch nur mit Anstrengung tun zu können. Dann ärgerte ihn Hansli mit seiner Kaltblütigkeit, und daß auch die Andern eigentlich so wenig auf seine Worte gegeben, sondern nur ängstlich um die Mutter gewesen. Er dachte, wenn auch die alte Frau gewonnen sei, so werde es doch noch manch harten Kampf kosten, die, welche dagestanden wären als gingen alle seine Reden sie nichts an, auf die rechte Bahn zu bringen; aber habe er einmal die Alte beim Herrn, dann wolle er mit den Andern zweg und wolle ihre Herzen zerreiben, daß sie würden wie Korn unter den Mühlesteinen.

So sahen ihn die Weiden am Bache; oh, so Weiden sehen viel; wenn sie alles erzählen könnten, was an ihnen vorübergeht, und was über die Herzen weht, die an ihnen vorübergehen! Was aber erst eine Eiche sehen mag, welche seit fünf- bis sechshundert Jahren an der gleichen Stelle steht und alles sieht, was des Weges geht, welche die Berner ausziehen sah zur Schlacht bei Laupen, welche sie sah, als sie nach Neueneck zogen, welche sieht, wie sie jetzt nach Wangen ziehn, einem Fischlein nach oder sonst was Eßbarem, welche hin und her ziehen sieht Große und Kleine, Alte und Neue, Buben und Mädchen in wichtigen Dingen und eitelm Treiben, Aufgeblasene und solche, die aus dem letzten Löchlein blasen. Wenn so eine Eiche an der Freiburgstraße zum Beispiel zu reden und zu erzählen begönne und die Nachricht käme auf Bern, wahrscheinlich auf die Zentralpolizei zuerst, es rede eine Eiche auf der Freiburgstraße, das würde einen Klupf geben, der vom obern Tor bis zum untern ginge, und auf dem Rathause würde guter Rat teuer. Auf den Klupf würde es ein Geläuf geben, zu hören, was die alte Eiche rede, der neue Prediger in der Wüste, und alle schlottern, es möchte jetzt an ihre Voreltern gehen, jetzt an sie selbst, ihre Weiber und Kinder. Es würde Alarm im Lande geben und was sonst noch, weiß Gott, wenn nicht etwa der Zentralpolizeidirektor einen Einfall hätte, wie man die alte Eiche zum Schweigen bringen könnte.

Noch aber reden glücklicherweise die Eichen nicht; auch die Weiden am Bache blieben stumm, konnten nicht erzählen, was der Vikar gehabt, als er bei ihnen vorbeigestürmt; sie vernahmen es daher im Pfarrhause nicht. Der Vikar traute ihnen nie, und seit der Geschichte mit der Predigt vertraute er ihnen auch nichts mehr. Aber ein Zeichen tun mußte er doch; er lächelte daher zuweilen, als ob er etwas wüßte, dann zog er bedenkliche Mienen, ließ hie und da ein bedeutsam Wort fallen, von dem man gar nicht begreifen konnte, wie er dazu kam. Er ging höher einher in einer seltsamen Würde, schnippte seine Worte gar seltsam hinaus, und wenn er einen Rock mit Pelz verbrämt besessen hätte, er hätte ihn bestimmt angezogen am selbigen Tage trotz seiner Geistlichkeit. Je länger er von Jowägers Hause weg war, je dunkler Anne Bäbis Tun ihm ward, dessen Züge verschwammen, umso mehr war er überzeugt, daß ihm sein Werk gelingen werde. Er mochte daher den Morgen kaum erwarten, bis er gehen, den Fortgang betrachten konnte.

Einen Fortgang sah er allerdings, aber welchen?

Bei Anne Bäbi hatte sich der Gedanke immer bestimmter gestaltet, immer tiefer gegraben, es sei schuld am Tode des Kindes. Die dunkeln Mächte des Wahnsinns walten geheimnisvoll, sie kommen und gehen, woher und wie, ist unbekannt, ihr Walten geht über der Menschen Raten, und wenn es auch Menschen zu gelingen scheint, einen Geist zu lösen, den sie gebunden, so hat Gott es getan. Auch steht es in meiner Macht nicht, einen Menschen in die Gewalt dieser Mächte zu bringen, ihn binden zu lassen mit des Wahnsinns fürchterlichen Banden; der Sterbliche kennt den Zauberspruch nicht, dem sie gehorchen, der sie ruft und fliehen heißt, diese Gewalt liegt in einer höhern Hand.

Aber es gibt Gemüter, die Jahre durch am Rande des Wahnsinns schwanken, Gemüter, über die nicht bloß Begebenheiten, sondern auch einzelne Worte eine besondere Kraft üben, welche sie nicht begwältigen können, so daß dieses eine Wort gleichsam ihre Seele auf- und niederpeitscht, in fieberhafter Schwingung sie erhält, und wie leicht geschieht es alsdann, daß über die üblichen Schranken die Wellen schlagen! Und das sind nicht etwa gräßliche, gewaltige Worte, es sind oft sehr unbedeutende Worte, Worte, welche man sonst nicht beachtet, aber sie schlagen zur verhängnisvollen Stunde in die Seele. Ihr könnet einen großen Teil dieser Leute daran erkennen, daß sie nie ganze Sätze zu begreifen imstande sind, ihre Gedanken bleiben immer nur an einem Worte kleben, nur einzelne Worte bringen eine Wirkung in ihnen hervor. Aus ganzen Predigten wissen euch diese Leute nur einzelne Worte, die eben besonderen Eindruck auf sie gemacht; aus einer ganzen Unterweisung werden gewisse Kinder nie mehr als einzelne Worte wieder sagen können.

Kanzelt Mägde ab, so gibt es welche, die euch fast des Guggers machen, indem ihr es nie dahin bringen könnt, den Sinn und die Bedeutung einer Abkanzlete zu begreifen, sie hängen sich an einzelne Worte, schnappen diese auf, fangen an zu räsonieren oder zu schreien und zu heulen, als ob ihnen ein Stich ins Fleisch gegangen, und diese Worte tragen sie bei sich herum wie andere Leute was Rares und weisen sie bei jedem Anlasse vor. Die Einen gebärden sich so aus Bosheit und Tüfelsüchtigi, aber Andern ist es wirklich ihrer Natur gemäß. Es ist in ihnen eine Beschränktheit, von welcher man sich kaum einen Begriff zu machen imstande ist, die wirklich nur ein Wort auf einmal fasset, unter dessen Macht sie kommen wie andere unter die Macht eines gewaltigen, tiefen Eindruckes, den man fast nicht zu begwältigen vermag. Zu diesen Leuten muß man sehen und sie mit besonderer Rücksicht behandeln, wie man auch Leute schont, welche einen schwachen Magen haben, der nicht alles ertragen mag. Diese Schonung schwacher Seelen empfiehlt auch Paulus und geht darin mit eigenem Beispiele voran, und wo sie außer acht gelassen wird, da nimmt die Zahl der Wahnsinnigen zu, vide Neutäuferei.

Ich will nicht sagen, daß man die Gewalt habe, einen Menschen wahnsinnig zu machen, sobald man wolle, aber man kann doch Ursache werden vom Wahnsinn eines Menschen, dessen Möglichkeit man recht gut hätte voraussehen und also hätten meiden, unterlassen können, womit man ihn herbeigeführt. Das sei nicht gefährlich, wird man vielleicht sagen, unter Hunderten begegne so was kaum Einem. Möglich, aber wer weiß, was Wahnsinn ist, wird es begreiflich finden, wenn ich meine, es lohne sich wohl der Mühe, gegen hundert menschlich zu verfahren, um den Einen vor dem Zustand zu bewahren, welcher die Hölle auf der Welt ist. Möglich, daß so ein junger Kannibal von Mediziner oder Pietist nicht dieser Meinung ist, daß der Eine sagt, auf so ein gschi- Bauernleben mehr oder weniger komme es nicht an, wo es sich um die Erweiterung der Kunst handle, und der Andere, wo es sich um das Heil der Seele handle, komme es so auf einen Babiverstand mehr oder weniger nicht an, gölten keine Rücksichten, – zugfahren, heiße es. Möglich, daß so geredet wird, aber doch sicher nur von medizinischen oder pietistischen Kannibalen.

Anne Bäbi hatte einen sehr schwachen Kopf und führte doch ein absolutes, despotisches Regiment, was öfter beisammen ist als man glauben sollte, aber exempla wären odiosa. Worte, Eindrücke, setzten sich fest in seinem Kopf, regierten ihns und regierten ausschließlich das ganze Haus so lange, bis neue Eindrücke oder Worte die alten verdrängten, den Gedanken, dem Willen eine andere Richtung gaben, und die alten blieben umso länger, je mehr sie Widerstand und Widerspruch fanden; Widerspruch und Widerstand waren die zwei Hämmer, welche Worte und Eindrücke stärker in die Seele schlugen. Das wußte Hansli und tat es nie, und doch erfuhr er es noch manchmal, wie einfache, hingeworfene Worte, Bemerkungen wie Feuerteufel wirkten in Anne Bäbis Seele.

Bloß Mädi widerstritt Anne Bäbi, gleichsam dessen böses Prinzip, siegte aber eben deswegen nie aus eigener Kraft. Hansli wußte, wie teuf Anne Bäbi alles griff, und wie es durchaus einseitig von einem regiert werde, und es machte ihm deswegen oft Angst. Wenn was darnach käme, sagte er, es käme Anne Bäbi i Kopf, es wüßt ke Mönsch wie, u de wurds nit recht im Kopf, daß es ke Gattig hätt. Davon und von der Eigentümlichkeit des menschlichen Kopfes hatte der Vikari keine Ahnung; daneben war er grusam e Gschickte. Als er zu Jowägers kam und mit dem Traum anfing, schwanete es Hansli gleich, es könnte nicht gut kommen, Anne Bäbi könnte das z'teuf nehmen, er ließ darum auch einige Worte fallen, auf welche aber der Vikari mit seiner vorgefaßten Meinung und voll von der Wichtigkeit des bevorstehenden Werkes gar nicht achtete. Als derselbe kam mit seinen Vorwürfen, so faßte Anne Bäbi von dem Sinn seiner sämtlichen Reden nichts auf, als daß es schuld am Tod seines Bübchens sei, daß dasselbe seinetwegen gestorben, und wenn es nicht gewesen wäre, so lebte es noch. Von Buße, Bekehrung, Wiedergeburt verstund es nichts und ließ sich gar nicht träumen, daß es sich zu bekehren hätte, war es ja doch eine brave Frau, hatte nie mit einem Andern zu tun gehabt und gestohlen auch nicht, und in der Käfi war es auch nie gewesen, und in eine Käserei gegeben und mit der Milch bschissen und mit dem Käser unter einer Decke gelegen war es auch nicht.

Also schuld am Tod des Knäbchens war es, so sagten die Leute, sogar der Vikari kam expreß, es ihm zu sagen, ihm dem sonst niemand etwas vorwarf, niemand einer Sache es beschuldigte als zuweilen etwa Mädi, aber nur verblümt und halblaut. Das kam ihm teuf in den Kopf, und sein Wimmern ward lauter, seine Angst größer. Wenn das arm Bübli nicht eine selligi Großmutter gehabt hätte, so lebte es noch; man sollte es doch auch töten, es verdiene nicht mehr zu leben, dMörder richte man, dLandjäger würden wohl bald kommen und es holen, und es sei ihm recht, es sterb je eher je lieber, daß es wieder zu seinem Bübli komme.

So begann es zu reden und immer deutlicher, je bestimmter der Gedanke in ihm sich ausbildete, und immer ängster ward es seinen Leuten; sie kamen alle, ihns zu trösten, ihm zuzusprechen, ihm zu sagen, so was denke kein Mensch, und es hätte den Vikari nur unrecht verstanden; aber es hörte sie nicht, oder wenn es sich ihrer achtete, so sagte es, sie könnten ihm lang reden, es wisse, was es wisse, und sie würden es bald erfahren, wenn die Landjäger kämen und es nehmten vor dHerre. Vor dem Gericht fürchte es sich nicht, je eher es sterben könnte, desto lieber sollte es ihm sein. Sie hofften alles von der Nacht. Wenn es schlafen könnte, so meinten sie, es würde alles vergessen, aber sie irrten sich. Es schlief nicht, es seufzte nur, es meinte immer, die Landjäger zu hören, es stund oft auf, ging unter das Fenster, wollte hinaus, und nur mit großer Mühe konnte Hansli es im Bette hüten und behalten.

Als sie am Morgen den Vikar rasch den Fußweg hinauf kommen sahen dem Hause zu, tat es jedem weh in der ganzen Haushaltung, und es zuckte ihnen durchs Herz; aber keines sagte, was es fühlte, sondern machte bloß, daß es abweg kam, den Vikar nicht zu sehen brauche. Nur Mädi sagte: «Dert chunnt dä Stürmi, er cha jetz cho luege, was er agrichtet het; ih will ihms fry grad säge, sobald er dopplet, dä muß wüsse, was er cha, dä!» «Bis mr nit ds Herrgetts!» sagte Meyeli, «und keys Wort red mr zur Sach, ghörst; es ist mr wege ds Pfarrers, u de wird er öppe scho gseh, wies ist.» «Das ist no dFrag», sagte Mädi, «e sellige ist imstang, es Surkabisbocki fürn e Grichtsäß azluege, u wege ds Pfarrers bruchti me nit Chummer z'ha, er syg ne neue o z'uwitzig u z'geistlig, si sölle neue enangere dSach scho mängisch ungnötet gseyt ha.» «Syg das, wies well», sagte Meyeli, «so schwygst du mir; emel einist hey mr Lydes gnue, mi muß nit no selber neus mache.» «Heja, ja», sagte Mädi, «Anne Bäbi ist o mängist nit gege mr gsi, wies hätt sölle, aber es cha mi notti doch no dure, u wenn ih wüßt, daß es öppis gege mr hätt, su wärs mr doch leid.»

Da hoschete es draußen; Meyeli wischte die Hände nochmals ab und öffnete die Türe, und als der Vikar fragte: «Wie geht es bei euch, was macht die Mutter?» so sagte es, nicht am besten, die Mutter sei übel zweg, er solle aber so gut sein und hinein kommen. Der Vikar dachte an eine immer tiefer dringende geistige Zerknirschung, freute sich daher innerlich über das glücklich begonnene Werk und sagte, das, wo einem am übelsten scheine, sei oft gerade das Wahre, und wenn man es recht fasse, so führe es den Menschen zum rechten Heil. Meyeli antwortete nicht, sondern tat die Türe auf und ließ ihn vorangehen. Drinnen war Jakobli, er hütete die Mutter.

Anne Bäbi saß da, in dumpfes Brüten versunken, fuhr aber auf, als der Vikar hineintrat, und sagte: «Han ihs nit gseit? He nu, je eh, dest besser!» Nun begann ein schmerzlich Mißverständnis, welches den armen Leuten fast die Seele aus dem Leibe trieb. Der Vikar redete seine Sprache, redete vom Herrn, und daß er Anne Bäbi zu ihm führen wolle. Anne Bäbi hatte diese Sprache nie gehört, verstund unter Herr den Richter, Pfarrer oder Landvogt, kurz den, der ihm das Leben abspreche, sagte, es sei zweg, komme je eher je lieber, forderte nur noch eine Kappe und eine frische Scheube. Den Vikar ängstigte das, er meinte, sie brauchten deswegen hier nicht fort, der Herr nehme es auch hier an, und auf die Kleider sehe er nicht. Anne Bäbi sagte, es sei ihm auch recht, aber es hulf pressieren, es sei ihm daran gelegen, daß die Sache vor sich gehe heute noch. Der Vikar fand pressieren auch gut, doch ward ihm unheimlich, er sagte von Beten zusammen. Anne Bäbi sagte, wenn er es hier machen könnte, so sei es ihm auch recht, so könnten es seine Leute auch hören und ein Exempel daran nehmen; es werde aber müssen auf dKneu nieder?

Es war ein herzzerreißender Auftritt; wie Jowägers alle weinten, kann man sich vorstellen, wie es sie schüttelte, als Anne Bäbi aufstand, Abschied nehmen wollte, bat, sie sollten ihm nicht zürnen, es heyg das Kingli töt, es chönn selber schier nicht sagen wie, aber selig werds notti und chömm de zu ihm, wenn es jetzt dStraf abtue. Dem Vikari begannen die Augen aufzugehn, er begriff, daß da ein Mißverständnis vorwalte; er fragte, was es gegeben, was Anne Bäbi eigentlich meine, gestern sei es auf so guten Wegen gewesen. Er vernahm, wie Anne Bäbi ihn verstanden, daß es müsse gerichtet werden, weil es das Kind getötet, wie es ihn für einen Schreiber oder verkleideten Landjäger angesehen, den der Herr geschickt, die Sache zu untersuchen, und wie es behauptet, er werde wieder kommen, ihns holen, es müsse gerichtet werden; aber es sterbe gerne, dest eh sei es wieder bei seinem Bübeli.

Der Vikar verwunderte sich höchlichst, wie man so klare Reden mißverstehen könne, so etwas sei ihm doch wirklich noch nie vorgekommen; er wollte erklären, sich verständlich machen, der Schweiß stand ihm auf der Stirne, denn mit all seinem Erklären nagelte er Anne Bäbis Vorstellung nur fester, es pressierte nur dest stärker zu gehen. Es war ein fürchterliches Zusehen für die, welche inmitten dieses Mißverständnisses standen und es nicht heben konnten und hören mußten, wie der Vikar es immer vergrößerte. Es ist aber ebenso fürchterlich, wenn man redet und redet, und man sieht, daß man nicht verstanden wird, und man versucht es immer von neuem, aber findet die Sprache nicht, die verständlich wird, weiß nicht, wo es fehlt, begreift nicht, daß es daher kömmt, weil man Begriffe, Vorstellung, Redweise des Betreffenden durchaus nicht kennt. So kann man Deutsch zum Deutschen reden und wird nicht verstanden; es ist, als ob beide direkt vom Bau zu Babel kämen.

Er wußte zuletzt nichts zu machen als zu gehen. Der Herr werde das schon zum Guten wenden, sagte er, man müsse ihr nur Zeit geben zum Nachdenken, es werde das Wahre doch durchbrechen. Morgen wolle er wiederkommen, oder wenn man früher nach ihm verlange, so solle man es ihm nur sagen lassen.

Als nun der Vikar ging ohne ihns, ward Anne Bäbi sehr böse, und die Seinen hatten schwere Not mit ihm. So zum besten halten ließ es sich nicht, sagte es; man gönne es ihm nur nicht, aber es wolle ihnen zeigen, wer Meister sei. Was es getan, wisse es, und jetzt wolle es auch, was es verdient hätte, damit es selig werden könnte; aber grad das möchten sie ihm nicht gönnen und hätten ihre Freude daran, wenn es dem Teufel zu müßte; aber reisen wolle es es ihnen.

Dem Vikar war es schwer zumut und ganz dunkel im Kopf, und als er den Weiden entlang nach Hause ging, da ging er, als versinke er mit jedem Schritt bis an die Knie in die Erde. Was er glaubte, es werde ihm zum Eckstein, war zum Stein des Ärgernisses geworden; während er von Freude und Ehre träumte, fand er eine zerrüttete Seele; statt fortzufahren und eine Seele zu retten, stand er an einer Mauer und hörte jenseits, wohin er keinen Weg wußte, einen herzzerreißenden Jammer. Noch stand ihm der innere Zusammenhang nicht vor Augen, aber nichtsdestoweniger war ihm sehr bange. Er besaß die Kaltblütigkeit der Neutäufer zum Beispiel und ihre souveräne Verachtung gegen alle, welche nicht zu ihrer Partie gehören, nicht. Es geschah den Neutäufern nicht selten, daß in ihrer Mitte Menschen verrückt wurden. Diese ließen sie ohne Hülfe und stießen sie direkt oder indirekt unter die Kirchgänger zurück, in die Kirche zurück, aus denen sie dieselben gelockt hatten. Sie hatten keine Ahnung von einer Schuld an deren Zustand, weil solche Leute selten den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung erkennen; sie sagten ganz ruhig, ihr Zustand sei vom Teufel, und weil sie sagen, die Kirchgänger seien auf den Wegen des Teufels, so schlossen sie, solche arme Zerrüttete gehörten als vom Teufel aus ihrer Herde geführt wieder unter die zurück, die freiwillig dem Teufel zu gingen, und überließen Sorge und Pflege denen, welche an ihrem Zustand keine Schuld trugen.

Den Vikar plagte dieser Zustand sehr. Er hatte wirklich Mitleid mit dieser armen Frau, obgleich er sich eines gewissen Ärgers über sie, daß sie so sehr seine Erwartungen vereitelte, nicht erwehren konnte und gegen einen Verdacht sich wehren mußte, als ob das alles nur Verstellung, ein angelegtes Spiel sei; es plagte ihn sehr, was die Leute dazu sagen werden, und ob nicht der Eine oder der Andere ihm die Schuld geben würde aus Unverstand und aus Haß gegen alles fromme Wesen und jedes fromme Wort. Wie aber das wohl möglich wäre, dachte er, mit einer Ermahnung einen Menschen zu verwirren; es wäre doch wohl traurig, wenn man keinem Menschen einen Zuspruch erteilen könnte, ohne Gefahr zu laufen, ihn verrückt zu machen. Das wäre Wasser auf die Mühle derer, die allem geistlichen Zuspruch feind seien und jeden verschreien als dumm oder anmaßlich oder staatsgefährlich.

Was ds Pfarrers dazu sagen würden, plagte ihn vor allem. Ob es besser wäre, er finge selbst davon an und erzählte ihnen die Sache, damit sie mit der Wahrheit berichtet würden, oder aber sich zu stellen, als ob er nichts wüßte, das beschäftigte ihn sehr. Darauf kam er immer wieder zurück, daß er an dem Unglück durchaus keine Schuld hätte, und widerlegte immer bündiger die Leute, rechtfertigte sich immer kräftiger, und wenn er fertig war, so war er doch nicht ruhig, sondern fing von vornen wieder an, und wenn er hintenaus war, so kam er wieder vorfür und immer wieder.

Der gute Vikari wußte nicht, daß dieses Studieren zur Rechtfertigung, wo man immer wieder vorfür muß, meist nichts anders ist als ein Zurechtzupfen einer Decke, welche zu kurz oder zu schmal für den Gegenstand ist, welchen sie decken sollte. Mit einer solchen Decke kömmt man nie zurecht; zupft man oben, so fehlt es unten, zupft man unten, so fehlt es oben; gäb wie man vorfürgeht, fertig wird man nie. So ist es mit allen Entschuldigungsgründen, welche ein Unrecht decken sollen; ganz zu decken vermögen sie es nie, ein geheimes Gefühl sagt es uns, denn hier können wir die leiblichen Augen nicht brauchen. Und doch soll es geschehen, und wir sind die ersten, die meinen, es sei geschehen, das Ding sei ganz bedeckt, an dem wir doch noch immer auf- und ablaufen und immer neu zudecken. Und wenn jemand durch die Decke sieht, und was unter ihr liegt, so können wir recht zornig werden und aufbegehren, daß er uns nicht glauben will, sich nicht überreden lassen will, wie wir uns selbst überredet.

Es wird wirklich manchmal seltsam komisch, wie so ein Hans oder ein Trini, dem man zeigt, was unter dem Deckeli liegt, sich gebärden kann wie eine Katz am Hälsig, als ob man ihm das himmelschreiendste Unrecht tue, als ob er uns verklagen wolle noch am jüngsten Tage. Man kömmt selten darüber, ob er wirklich an seine Rechtfertigung glaubt, oder ob es nur Zorn ist, daß man nicht an seine Gründe, nicht an ihn glaubt wie an das Wort des Evangeliums, oder, im Geiste der Zeit ausgesprochen, daß man ihn oder ihns, Hans und Trini, nicht für eine Autorität hält, die immer unbedingt recht hat. Es ist allerdings schön, so dazustehen in wahrer Glaubenswürdigkeit einem Turme gleich fest in jeglichem Winde, ruhend auf den beiden Ecksteinen Wahrheit und Weisheit; aber daß man jedes Tschaaggeli und jeden Lümmel und jeden Lügner und jeden Büffel für einen solchen Turm ansehen solle, das ist eine starke Sache. Seit man Gott die Autorität genommen, will nun jeder Bube eine Autorität sein; es bleibt aber doch immer nur eine Bubenautorität. Freilich, wenn man ihm dieses zu verstehen gibt, verblümt oder unverblümter, so wird er taub, ist aber halt auch graglych.

So war dem Vikar sein Unrecht nicht klar, und noch eines begriff er nicht. Es ist wunderbar, und alle Tage geschieht dies Wunder, daß, wenn ein Mensch etwas tut nicht aus Glauben und nicht zur Ehre Gottes (das heißt, er kann es wohl sagen, aber er denkt doch dabei an seine eigene Erhöhung, was er für ein Köbi sei, und was die Menschen dazu sagen werden), so erniedrigt ihn Gott und schlägt ihn in den Graben, das heißt, es geht ganz umgekehrt als er glaubte, es schlägt übel aus, weist sich als eine verkehrte Handlung aus oder hat sonst üble Folgen, die man freilich nicht berechnen konnte, welche aber doch die Menschen einem zurechnen. Das sind Fingerzeige des Vaters, zeitliche Strafen, welche verhüten sollen, daß wir nicht alles Gute, welches wir tun, hintendrein alsobald mit Sünden beflecken, mit den Sünden des Hochmuts und der Eitelkeit.

Das alles merkte der Vikari noch nicht, war aber nicht ruhig dabei, die Sache wollte ihm nicht aus dem Kopfe; er nahm sich aber vor, im Pfarrhause zu tun, als wüßte er nichts Besonderes, und erst, wenn man ihn frage, zu sagen, was es sei, das heißt sein Deckeli hervorzunehmen und es zurechtzuzupfen.

Aber man fragte ihn nicht, man redete von der Sache nicht, er mußte sie in sich behalten, und merkwürdig ist wieder, wie so eine Sache ein eigentümlich Leben zu haben scheint, wächst, aufschwillt und je nachdem sie an einem Orte ist, uns entweder das Herz zu ver- oder den Kopf obenab zu sprengen droht. Er mußte daran sinnen, er mochte wollen oder nicht, er mußte mit Gewalt sich zurückhalten, nicht noch am Abend zu Jowägers zu gehen, aber eine gewisse Scheu widerstand dem Drange; die Leute hatten ihn so sonderbar angesehen, waren weder freundlich noch dankbar gewesen, und was sollte er sagen selben Abend schon wieder? Durch die Nacht besserte es hoffentlich, oder veränderte Umstände gaben ihm bessern Rat.

Aber am folgenden Morgen, während sie im Pfarrhause beim Frühstück saßen, klopfete es; die Magd kam herein und sagte: «Es ist neuer da, dr Herr söll usecho.» «Wer ist es?» frug der Herr. «Ich weiß nicht, aber er pressiert gar.» «Gang lue doch, Sophie!» sagte die Frau Pfarrerin, «vielleicht kannst du auch Bescheid geben und drwyle ds Papali ustrinke.» Sophie ging, kam plötzlich wieder und sagte: «Ds Jowägers Knecht ist draußen, Ihr sollet geschwind kommen, Papa!» «Was hats gegeben?» fragten Papa und Mama zusammen. Da stand der Vikar auf und sagte: «Er wird wahrscheinlich mich meinen.» «Nein», sagte Sophie, «Euch meint er nicht, er hat ausdrücklich gesagt, dr alt Herr, nit dr jung. Er sagte, es hätte neuis Ungschickts gä, aber was, will er nicht sagen.» «Du willst doch nicht gehen?» fragte das Mamali, «der Weg ist wüst und der Morge kühl, u denk, wie alt de bist; könnt nit dr Herr Vikari afange ga luege, was es wär?»

Aber während die gute Frau ihre Rede hielt, war der Herr schon draußen, und als sie ihm die Schuhe und Überstrümpfe anzog, mußte sie hören, daß sie ihm doch nicht mit solchen Reden kommen solle, aber sie werde nie witzig, sie hätte doch ja gehört, daß man ihn wolle und nicht den Vikari. Das hätte er ihr vor dem Vikari nicht sagen können, ohne ihn zu beleidigen. So sei sie gerade mit ihrem vorschützigen Gutmeinen schuld, wenn der junge Herr böse werde und meine, er, der Alte, greife ihm unbefugt ins Handwerk.

Übrigens müsse es seinen bestimmten Grund haben, daß man ihn ausdrücklich verlange. Der Schulmeister habe ihm gestern Abend gesagt, was wohl bei Jowägers sei, der Vikari sei zwei Tage hintereinander dort gewesen. Er habe aber den Vikari nicht fragen mögen; wenn er den Geheimniskrämer mache, so könne er, fragen tue er ihn nicht. Es komme ihm aber fast in Sinn, was dort sei; indessen wolle er erst sehen, ehe er etwas sage. «Wann kömmst du heim?» frug die Mama, als der Herr Hut und Stock beides am rechten Ort hatte. «Frage mich doch nie, wann ich heimkomme; wie oft habe ich dir das schon gesagt! Weiß ich, wie der Herr mich führt, und was die Leute an mich bringen? Niemand als Gott hat eine so große Audienzstube wie so ein alter Pfarrer; wo er geht und steht, wird er angesprochen, muß Rede stehen, und er tut es gerne, gäb wie pressiert er ist, er weiß ja nie, ob das Wort, das er jetzt sagen könnte, ihm später noch einmal zu sagen erlaubt ist.» «Aber Papali, wird nit höhn, ih frage ja nit wege mir, ih frage wege dir, wenn me dr soll dFinke z'warme tue u dr Nachtrock uf e Ofe, und weil du nur zu Jowägers willst, so habe ich geglaubt, so ungefähr wüssest du, wenn du heimkämest, in ere Stund oder zweune.»

So ging der alte Herr, und der junge sah ihm aus seinem Fenster nach. Erst regte sich der Zorn in ihm über den alten Herrn, der ihm immer ins Handwerk pfusche, nicht die Selbsterkenntnis habe, dieser Zeit nicht gewachsen zu sein (den Zeitgeist nicht im Leibe habe), neidisch auf ihn sei und nicht leiden möge, wenn er Fuß fasse in der Gemeinde. Doch dieses war nur der erste Schatten, der flog vorüber; denn soviel Gerechtigkeitssinn hatte der Junge doch, daß da der alte Herr sich nicht zugedrängt, sondern daß man ihn ausdrücklich gerufen habe. Aber erst nun recht kamen ihm Angst und Zorn, und er hatte fast kein Bleiben mehr; es schien ihm, als hätte er das Recht, selbsten hinzugehen, zu sehen, was da wäre, und zu verhüten, daß nicht eine unberufene Hand ihm zerstöre, was er so schön angefangen, und was vielleicht die andern Hausbewohner, welche so unempfänglich schienen, so Unchristen, nicht aufkommen lassen möchten, wie es ja oft geschehe, daß man die bis aufs Blut verfolge, welche sich bekehren wollten und den Heiland annehmen. Aber was war wohl begegnet? Wäre es nur ein allgemeiner Wunsch und nicht ein plötzliches Ereignis, so hätte man den alten Herrn nicht so früh und dringlich rufen, sondern etwa sagen lassen, er solle kommen, wenn es sich ihm öppe schick, oder wenn er angfähr bim Hus vrbygang.

Und was für ein Ereignis war das? Er grübelte aus seinem Gedächtnis Wort für Wort wieder hervor, was gesprochen worden, und je mehr er zusammenzustellen hatte, umsomehr stieg in ihm die Ahnung auf, Anne Bäbi habe den Tod gesucht. Schwermütige und Irrsinnige suchen ihn ja so oft, daß das jedes Kind weiß und sagt: «Zu dem muß me luege; gäb wie leicht, so könnte der sich ein Leid antun.»

So etwas mußte geschehen sein, aber warum berief man ihn nicht, der doch so treu sich ihrer angenommen, sondern den alten Herrn, der gleichgültig zu Hause geblieben und ihrem Jammer von ferne zugesehen? Undank sei der Welt Lohn, dachte er. Unverstand suche bei jedem Unglück eine unschuldige Ursache, aber seltsam sei es doch, daß das Ding bald nach seinem Weggehen angefangen; hatte er doch gar nichts bemerkt, als er fortging; wars doch unmöglich, daß so bloße Worte einen solchen plötzlichen Eindruck hervorbringen könnten.

Dem armen Vikari ging es fast so wie Einem, der in einsamer Scheune geruhet, dort eine Pfeife eingemacht, Feuer geschlagen, die Pfeife angebrannt, den Deckel zugemacht und seines Weges fortgegangen. Auf einem Hügel ruht er wieder aus, sieht hin, wo er hergekommen, sieht dort Rauch aufsteigen, einen Brand beginnen, und es muß die Scheune sein, in der er geruht. Nun fällt ihm nach und nach ein, daß er dort Feuer geschlagen, die Pfeife angebrannt, aber schuld am Brande konnte er doch nicht sein, hatte er doch einen Deckel auf der Pfeife und nirgends Feuer verzattert. Aber wie konnte dann das Feuer entstehen, und brach es nicht bald nach seinem Weggang aus? Aber hundertmal hatte Einer in einer Scheuer Feuer gemacht, und nie hatte es gebrannt. Und machen nicht Viele mit der Pfeife im Munde Heu herunter, und es brennt auch nicht? Aber wer dich dort gesehen, denkt er weiter, wird dir doch schuld geben, dich zur Rechenschaft ziehen, denn wer als du kann es wohl gewesen sein? Und während solchem Werweisen fängt es an zu brennen in ihm, und die Füße beginnen zu laufen. Die Füße der einen Gedankenreihe laufen dem Feuer zu, die Füße der andern laufen vom Feuer weg, alles je nach Art und Weise, ich will nicht sagen, des Bewußtseins von Schuld oder Unschuld, vielmehr, nachdem Keckheit oder Verzagtheit und Unbefangenheit in ihm die Oberhand haben.

So geht es Einem, dessen Seele werweiset, ob durch ihre Schuld ein einsam Scheuerlein verbrannt sein möchte, und wenn auch niemand sie anklaget, kein Richter ihr nachforschet, die Wunde bleibt doch, das Bewußtsein möglicher Schuld verharschet so leicht nicht. Ein Leben ist mehr als ein Scheuerlein, und wir haben vorhin gezeigt, wie es einem rechten Arzt durch die Glieder bebt, wenn das Werweisen ihn befällt, ob er ein Leben geopfert, zu dessen Rettung er berufen worden; wir haben gezeigt, wie es dem Quacksalber zumute werden sollte, der gegen Gesetz und Ordnung an ein Leben sich wagt, und unter seinen Händen geht dasselbe zugrunde, wie es ihm allerdings, aber selten, gschmucht zumute werde, weil er selten oder nie sieht, was er angerichtet, weil er daheim bleibt und sich damit tröstet, die Leute haben es zwängen wollen, und jetzt hätten sie nichts, als was sie erzwängt, und dessen vermöchte er sich nichts, er wasche seine Hände in Unschuld.

Der Lümmel denkt nicht, was es Pilatus half, als er seine blutigen Hände wusch, daß Paulus sagt: «Auch richte ich mich Selbsten nicht», und daß ein Anderer predigt, was recht und unrecht ist, und nach dem, was er predigt oder hat predigen lassen, das Gericht auch selber führt und darum sich nicht kümmert, worin sich Einer gewaschen habe, ob in Dreck oder Unschuld, sondern wie Einer gewesen sei, und wie er gehandelt habe. Ähnlich wie leibliche Quacksalber es mit dem Leben haben, haben es geistliche Quacksalber mit der Seele, an den Neutäufern ists nachgewiesen worden. Eine Seele zerrütten ist unendlich mehr als ein Leben nehmen, ein Leben verwahrlosen.

Stirbt Einer, so ist sein Leben abgeschlossen, er ruht im Grabe, die Seinen weinen um ihn, entbehren ihn, aber sie wissen ihn in Gottes Hand. Wird aber eine Seele zerrüttet, so gleicht der Leib einem entmasteten Schiffe. Dieses ist jedem Winde, jeder Welle preisgegeben, das Entsetzlichste ist jeden Augenblick zu gewärtigen: Mord, Brand an sich und Andern, eine völlige Entmenschlichung. Das Schrecklichste ist möglich, der fürchterlichsten Pein kann der Mensch verfallen, die fürchterlichsten Leiden den Seinen verursachen, eine unermeßliche Last ihnen sein, beides, denen, die ihn lieben, und denen, die eigensüchtig sind, wenn der Wahnsinn ihn erfaßt hat; denen, die ihn lieben, durch die Pein des Zusehens und die Unmöglichkeit, zu helfen, den Eigensüchtigen durch tägliche Opfer und täglich zu gewärtigende Schmach. Und ein Wahnsinniger vermag so wenig für das Heil seiner Seele zu sorgen als ein Toter, und des Übeltäters Macht vermag ihn so wenig zu heilen, als ein Totschläger einen Erschlagenen lebendig machen kann.

Man sollte also meinen, die Untat, eine Seele zerrüttet zu haben, müsse einen fürchterlichen Stachel, einen nie erlöschenden Brand in des Täters Seele werfen. Aber da wäre man im Irrtum. Von den Eigentümlichkeiten der Seele, ihren Krankheiten, den verschiedenen Folgen verschiedener Behandlungsweise, verschiedener Eindrücke haben die wenigsten Menschen einen Begriff. Klemme ich einen Menschen in den Arm, so schreit er: «Uy!» und zeigt mir den Eindruck, aber das Tümpfi in einer Seele kann man nicht zeigen wie ein Tümpfi im Arm, und wenn mich Einer totschießt, so kann man ihm das Loch zeigen, wo die Kugel hinein gegangen und wieder hinaus, und er kann nicht sagen, ich sei an einem Leberfluß oder an einem Lungenbruch gestorben; aber wenn Einer eine Seele zerrüttet, kann man ihm weder ein Loch zeigen noch sonst was, die Einwirkung war eine geistige, darum leugnen alle geistig Blinden jede Schuld und gehen kaltblütig weiter und drängen an andere Seelen sich, unbekümmert um den Erfolg, und wenn es übel ausschlägt, sind sie nicht schuld daran. Und doch liegen sie in weit größerer Schuld als der leibliche Quacksalber. Nicht nur ist, wie oben gesagt, die Sache an sich die bedeutsamere, fürchterlichere, sondern der, welcher Seelen zerrüttet, bleibt nicht zu Hause und läßt sich suchen wie der leibliche Quacksalber, sondern er sucht die Leute, er drängt sich auf, und darum könnte er auch die Folgen sehen, könnte den gräßlichen Zustand der Irrsinnigen sehen, könnte zerrüttete Hauswesen sehen, das Elend der Irren; er sieht es auch, aber kaltblütig, das geht ihn alles nichts an, das hat der Teufel getan, der umhergehet und suchet, wen er verschlinge, der Unkraut in den Acker säet und Macht über die Herzen hat, wo nicht der rechte Glaube herrscht.

Solche Menschen haben ein einförmiges religiöses Durcheinander, Gstürm, das allenthalben das gleiche ist, so eine Art Aarwanger Balsam oder eine wundertätige Pillenart oder ein Xaverielixier, und das wenden sie allenthalben und bei jedem an ohne Unterschied als eine wundertätige Universalmixtur; die Verbreitung dieser Mixtur ist ihr Beruf, der Herr hat sie gesandt; ob sie anschlage und wie sie anschlage und für wen sie passe, das zu untersuchen ist nicht ihre Sache, nicht ihre Pflicht, das ist des Herrn Sache, der Herr macht das, er hat das Wirken und das Vollbringen, und wenn einer darob kaputt geht, so hat das der Teufel getan, der leider über diesen Menschen mehr Macht hatte als der Herr.

So war denn doch unser Vikar nicht, bei ihm griff die Sache tiefer. Er war mehr einem jungen Arzte zu vergleichen, dem ein bestimmtes System, eine eigentümliche Mittellehre, eingetrichtert worden ist, die er nun allenthalben und an allen Naturen anwendbar machen will und umso zudringlicher damit wird, je weniger die Menschen Zutrauen dazu haben. Er ist berufen, er meint es gut, aber er kennt nichts als sein System, kennt den Menschen nicht und die unendliche Verschiedenheit der Naturen nicht, an welchen er dieses System anwendbar machen will. Was würde man zu einem Tischmacher sagen, der mit Tannen-, Buchen-, Ahorn-, Kirschbaumholz und so weiter akkurat gleich umginge, oder zu einem Musikanten, welcher mit den gleichen Schlägeln eine Gitarre erpaukt, mit welchen er eine währschafte Pauke bearbeitet? Was hat man früher zu dem Arzte gesagt, der, um die Blutung einer Wunde zu stillen, geschwind noch ein Loch machte? Ähnlich ist das Manöver, eine Seele, welche bereits schon so tief im Jammer sitzet, daß derselbe fast über ihr zusammenschlägt, noch tiefer in den Jammer hineinzustoßen, ohne irgend nur daran zu denken, ob in der Seele noch Kraft sei, sich hinauszuarbeiten auf diese Weise, wie man es meint, daß nämlich der weltliche Jammer aufhöre und ein neuer Mensch beginne. Das ist ja fast, wie jene Frau sang:

My Ma ist mir i dEmme gfalle,
Ih ha ne ghöre gluntsche,
Hätt ih ne nit bim Bart erwütscht,
Hätt ih ne nit bas achedrückt,
So wär er nit ertrunke.

Steht ein junger Arzt an Totenbetten, wo er sein System zum Sargdeckel werden sieht, so schüttelt es ihn, schwere Gedanken wälzet sein Gemüt, schwere Zeiten sind es für ihn, bis er zur Einsicht gelangt, daß Kunst und Leben sich einen müssen, daß es auf Erden kein System gibt, weder ein geistliches noch ein medizinisches, das absolut genommen einen Kreuzer wert ist, daß auf Erden alles relativ ist, das heißt sich modeln muß nach Natur und Lebensweise, nach Kraft und Schwäche, nach Wärme und Kälte, nach Fleisch und Erdäpfeln, nach Milch und Wein, nach hunderterlei andern Dingen noch. Und diese verschiedenen Modifikationen rasch zu fassen und geschickt in Rechnung zu bringen in jedem gegebenen Fall, das macht den Arzt aus, der, wenn Treue dazu kömmt, eine Wohltat des Landes wird, um den Tausende weinen, wenn der Herr den getreuen Arbeiter ruft.

Freilich schüttelt es manchen, und er kömmt doch nicht zur Einsicht; er jammert, er hat Mitleid, aber, daß sein System oder wenigstens seine absolute Handhabung nichts taugen, das geht ihm gar nicht auf; aber er möchte davonlaufen, möchte aus der Haut fahren, möchte so recht gründlich unglücklich werden, das möchte er.

Ähnlich ging es unserm Vikari. Es hatte ein Unglück gegeben; aber daß er schuld daran sei, konnte er nicht glauben, und doch konnte er es nicht aus dem Sinn bringen, er repetierte alles, was er gesagt, und es war durchaus biblisch und akkurat, wie er es gelernt, ähnliche Fälle zu benutzen, um Leute Jesu zu gewinnen, ihre Seelen zu retten; er wußte nicht, sollte er fortlaufen weit weg, daß ihn niemand mehr zu Gesicht kriege, oder hin zu Jowägers, zu sehen, was es gegeben. Jedenfalls hatte er zu beidem bei dem schlechten Weg Stiefel nötig, die zog er daher einstweilen an.

Unterdessen war der Pfarrer, so rasch sein Alter es ihm erlaubte, zu Jowägers Hause gekommen, wo Hansli mit verweinten Augen ihm entgegentrat. «Eh, Hansli», sagte der Pfarrer stillestehend und verschnaufend, «was hat es bei Euch gegeben, ist jemand gestorben?» «Ach», sagte Hansli, «meh as gstorbe u doch nit, ih darfs fast nit säge, Herr Pfarrer, u nie han ih däycht, daß ih selligs erlebe müßt i üsem Hus, es ist viel z'schröcklig.» «Aber was ists denn?» fragte noch einmal der Pfarrer. «Ach», sagte schluchzend Hansli, «denket, my Frau, mys Anne Bäbi, het si welle häyche, u wo das nit grate ist, het es si i Hals ghaue, mir hey gmeint, mir chönne ds Blut nit gstelle. O Herr Jesis, Herr Jesis, was me alles erlebe muß u was für Schang ha!» «Aber mein Gott», fragte der Pfarrer, «was hat es gegeben, habt ihr Streit gehabt?» «Bhüetis nei», sagte Hansli, «öppe lang nie! Anne Bäbi ist geng öppe e wenig es Meisterhafts gsi; aber mi hets la mache u nit viel drzu gseit, es un ds Sühniswyb hey enangere no nie ke Unantwort gä u chönnes bsungerbar gut zäme.»

«Aber öppis muß doch gsi sy», sagte der Pfarrer, «und ich möchte gerne wissen was, nicht aus Gwunder, aber ih sötts wüsse, damit ih wüßt, wie ih rede söll mit ihm. Vo wege, lueget, mi cha nit mit alle Lüte glych rede, u bi de eine darf me öppis gar nit säge, wo bi angere ds Erste sy muß.» «Ach, Herr Pfarrer, ih darfs fast nit säge, was es gä het. Daß das Bubi gstorbe ist, ist ihm grusam yche gange, und es het ta wie lätz; es isch is scho zselbisch alle angst worde, aber verirrets ists doch notti nit gsi. Da chunnt du, aber heits nit ungern, Herr, dr Vikari u seyt, ds Anne Bäbi syg ihm im Traum erschiene. Öppis Dumms eso! Un er müß zu ihm, un ih säge no, es nähm alles wohl teuf. Aber er het sich desse nüt gachtet, es muß ne öppere gege is ufgwiese ha. Er het dr Frau abezellt vo siebe Lyde nache un ere abeghaue, als ob si i ke Schuh yche gut wär. Das hätt no nüt gmacht, aber er het z'merke gä, si syg dSchuld, daß das King gstorbe sig, un das ist du yche gange. Mir heys afangs ume nit sövli gmerkt. Aber vo Stung zu Stung hets böset, es het gmeint, mi werds cho reyche u richte, un het si no druf gfreut, u das het is übel afa gruse. U wo du gester dr Vikari wiederchunnt, luegt es ne du für e Landjäger a, wos well cho reyche, u won er du betet het, su meints, jetz müß es grichtet sy, u das syg dr Lebesabspruch gsi. Wo er du geyht, su hets du gmeint, mi wells ume für e Narre ha, u gseit, mi wells ume plage u gönn ihm dr Tod nit, aber es wells üs scho reise.

Un es het is es greiset, gäb wie mr is i acht gno hey. Gester, wo mr zNacht gesse hey, ist ds Sühniswyb byn ihm gsi, das cha de bsunger gut mit ihm rede u ihm däsele, und hets ghütet. Da fat ds King a brülle im Stübli, und es ist ume e Augeblick nebe us u het niemere grüft, es hets o nit gsinnet u gmeint, es chömm grad ume. Un es ist cho, sobalds chönne het, aber ds Meitschi hets es Brösmeli länger gsumet, as es gmeint het, u wos umechunnt, Herr Pfarrer, hanget mys Anne Bäbi scho am Ofestangli. Mi cha denke, wie das arm Fraueli, wo sust ungsungs ist, erschrocke ist, es het e Brüll usgla, es duecht mi, ih ghör ne no jetz. Un ih gschwing zuche u haues ache, un du hets dr Ate grad wieder zoge, vo wege es ist ke Minute dobe gsi. Aber wos zun ihm selber cho ist, bhüt mi Gott drvor, was die Frau gseit het, u wie si ta het, ih möchts kem Mönsche säge, daß mr se nit heyge la mache, u daß me ere dr Tod nit gönn.

Mir hey betet un pläret die Nacht, Herr, es stellt si das ke Mönsch vor. Aber mängist hets mi duecht, we dr Vikari ume wüßt, was es gä heyg, u wenn er is müßt helfe pläre u bete. Aber so eine cha de gah u schlafe u däycht: ‹Was frage ih drnah!› Nit, daß ih säge well, er syg dSchuld; es wird so üses Herrgetts Wille gsi sy, vo wege es isch is ume z'wohl gsi, un ih ha mängist däicht, was es ächt gäb, es lay si alles ume z'gut a; aber a das, wo cho ist, han ih nit däicht.

Wo du Mittinacht vorüber gsi isch, da isch du Anne Bäbi rühiger worde u het gstillet nah di nah, u du han ih gseit, si sölle e chly ga schlafe, ih well jetz scho eleyni byn ihm sy. U zerst hey si nit welle, aber was hätts abtreyt, we da alli die ganzi Nacht ghocket wäre u pläret u betet hätte? U gege Morge ane hets mi duecht, es schlaf, u du hets mi o gä, u ds Sühniswyb isch scho uf gsi un isch cho luege u het gseh, daß mir bedi schlafe, un het dTür off gla, un i dr Nebestube Brot ygschnitte.

Du muß es du use, ga dMilch ab em Für näh (si het welle überlaufe), lat ds Messer nebe dr Brotchachle liege, u Anne Bäbi uf wie dr Blitz, schießt uf ds Messer u haut i Hals. Es het ume drglyche ta, es schlaf, u het dr Glegeheit glußet. Un mi duechts, ih ghör öppis, u schieße uf, u du gseh ih Anne Bäbi nimme im Bett, un won ih umeluege, hets ds Messer im Hals. Herr Pfarrer, gschmuecht ischs mr no nie worde, aber duecht hets mi, es geb mr eine mit eme Zunstecke i dKneuäcke un ih müß uf de Kneue zu ihm rütsche, es het mi duecht, es gang e ganzi Gloggestung, bis ih byn ihm syg.

He nu, Gottlob, es isch no früh gnue gsi. Aber wies üs gsi isch, wo mrs hey müsse ha fast wien es wilds Tier u mr alli voll Blut gsi sy, das cha niemere sinne. Mir sy gsi im Gsicht wie wyßbleichti Tücher u de voll Blut drzu, es het eym vor em angere gruset, un es isch alle gschmuecht worde weder mir und Sami nit. Aber mi cha si o nit däyche, wies eim isch, we me mit ere Mutter, wo nüt z'chlage het u dryßg Jahr mit ere im Friede, wie öppe dr Bruuch isch, glebt het, dä Wäg zwegmuß u se binge muß wien es Uvrnünftigs, ume für se chönne z'vrbinge, u daß si si nit zTod blüti u mr die Schang nit müsse ha, daß si öppere ums Lebe brunge hätt i dr Familie, u dr Vrdruß, daß es nit emal i Kilchhof chömm, so ume i Wald use, wie, nüt zämezellt, es Uvrnünftigs. Du hey mr üses Lebes nüt meh wüsse azfa; angere Lüte hey mrs nit gern gseit vo wegem Gred, un de isch dFrag, ob si is hätte chönne rate; dr Vikari hey mr nit bigehrt u hey emel Euch müsse plage, mr hey niemere gwüßt, zu dem mr besser ds Zutraue hätte. U wo Jakobli dBlattere gha het, heyt Ihr is o chönne tröste, ih hätts niemere glaubt u ha sither no mengisch müsse dra sinne.»

Dem Pfarrer war bei diesem Bericht zuerst das Feuer zu Haupt gestiegen, und er wäre fast in einige harte Worte ausgebrochen. Aber der Pfarrer war ein edler Mann, und was er zu seufzen hatte, verseufzte er nur vor seinem Mamali und vor Gott, er verdächtigte den Glauben seiner Amtsbrüder nie, und namentlich verunglimpfte er einen Jungen nie, er vergaß nie, daß wir allzumal nur ein Werdendes sind, sei es nun ein junges oder ein altes, und wenn er auch ein junges Werdendes nicht liebte und es ihm nicht zu Gefallen war, so bestreute er dessen Weg nicht mit Gift, bezeichnete es nicht als ein Verdorbenes, er wußte, wie solche Urteile Schlingpflanzen sind, welche um die edelsten Naturen sich ranken, sie lähmen, verderben. Er gehörte nicht zu den niederträchtigen Amtsbrüdern, die in Gleißnerei den Schlüssel Petri suchen, meinen, ihre Brüder seien nur da, um sie zu einer Pyramide zusammenzudrücken, auf deren Spitze sie sich stellen können; zu den Niederträchtigen gehörte er nicht, die alles um sich und neben sich verdächtigen, verkleinern, denen, wenn sie dem Glauben eines Amtsbruders oder gar seinem Wandel einen Schlemperlig anhängen können vor ihren oder seinen Gemeindsgenossen, die Wollust die Augen auftreibt, daß man sie mit dem Zwilchhäntschen fassen kann, so klein sie im ordinäri Zustand sonst auch sein mögen. Dieser heillose kollegialische Sinn ist ein Fluch, der wie eine schwarze Wolke über allen Berufen weilt. Der Pfarrer unterdrückte daher seinen Zorn, hörte mit großer Betrübnis den Bericht zu Ende, dann frug er: «Und jetzt, wie ist Eure Frau? Redet sie, und womit beschäftigt sie sich?» «Sie ist still», sagte Hansli, «u mi cha nüt us ere usebringe; aber chömit yche u luegit selber!»

Drinnen traf er Meyeli und Jakobli in trostlosem Zustande, die Kranke still im Bette, in sich versunken und matt. Nachdem er den erstern freundlich die Hand gegeben, wandte er sich zur Kranken, setzte sich zu ihr; es nahm ihn wunder, ob sie ihn noch erkenne, oder ob sie ihn auch für einen Landjäger halte, der sie holen wolle. Sie sah ihn lange starr an, und man sah, daß sie mit dem Erkennen ringe. Da sprach der Pfarrer und sagte, er hätte sie lange nicht gesehen, aber er sei alt, komme nicht mehr viel fort, nicht einmal immer in die Predigt. Das letztemal, daß er darin gewesen, da habe er auch Anne Bäbi dort gesehen mit seiner Sohnsfrau. «Ja, Frau», sagte er, «damals, als Euer Sohn die Blattern gehabt hatte, erinnert Ihr Euch noch, es war an einem Sonntag, als ich da vorbeikam und ihn zum ersten Male sah, da hätte kein Mensch glauben sollen, daß der so bald ein jung und lustig Fraueli haben würde, aber der liebe Gott macht oft etwas ungsinnet. Bsinnet Ihr Euch noch, wie Ihr Euch damals kümmertet, daß er die Blattern gehabt, und wie Ihr Euch ein Gewissen daraus machen müßtet, und jetzt denkt kein Mensch mehr an Jakoblis Blattern, er nicht und seine Frau noch weniger! Im Gegenteil, sie danken sicher dem lieben Gott dafür, denn ohne die Blattern wären sie nicht zusammengekommen, und wer weiß, wo Meyeli jetzt Jümpferli sein müßte in einem halbbatzigen Kitteli. Damals hat man es nicht so nehmen können, und Ihr nahmet es recht schwer, und es machte mir damals recht Angst um Euch; aber nicht wahr, es ist alles viel besser gekommen als ich und Ihr gedacht?»

Anne Bäbi sagte nichts darauf, aber man sah doch, daß es den Pfarrer erkenne, ihn nicht mit seinem Wahn in Verbindung bringe. Es war fast, als wolle es weinen, und tat es doch nicht; man wußte nicht, gedachte es der vergangenen Zeit, oder bewegte ihns sein gegenwärtiger Zustand. Der Pfarrer tat nicht, als ob er wüßte, warum es im Bette liege, bedauerte, daß es krank sei, fragte, wie es mit seinem Söhnisweib zufrieden sei, sagte, daß alle Leute es rühmten, und vermied so sehr möglich jede Berührung des wunden Fleckes seiner Seele. Und Anne Bäbi blieb ruhig, und als er sagte, er wolle jetzt nicht mehr so lange warten, bis er wieder zu ihnen komme, er komme bald wieder, lächelte es fast und nickte mit dem Kopf, aber stille blieb es, und kein Wort kam über seine Lippen.

Draußen sagte der Pfarrer, der guten Frau Zustand sei allerdings bedenklich; man wisse nicht, spiele sie den Schalk oder sei sie sonst so still, indessen habe sie ihn doch sicher erkannt, und die Erinnerung an vergangene Zeiten hätte sie auch noch. Das Gebiet des Wahns sei freilich ein unermeßliches und fast unerforschtes; aber soweit er sich darauf verstehe, glaube er, Anne Bäbi sei noch nicht so weit über dessen Grenzen, daß es nicht noch zurückgeholt und vollständig geheilt werden könnte. «Was habt Ihr für einen Doktor?» «Keinen», antwortete Hansli, «wir waren bis dahin ungfellig zu allne, und jetzt haben wir uns gescheut, einen zu holen; wir möchten die Sache so wenig als möglich unter die Leute lassen, und mi weiß wohl, wie die Doktere alles plauderet ha müsse, es söll ja no mengist i dr Zytig dere Züg cho. So gradane verbinden können wir auch, es ist einmal ume ds Brotmesser gsi, wo i dr letzte Zyt öppe niemere dZyt gha het z'schlyfe; wes es Federmesser oder es Rasiermesser gsi wär, es hätt scho böser chönne gah.»

«Das ist möglich», sagte der Pfarrer, «aber ein Doktor sollte doch herbei. Es ist auch wegem anderen. Es fehlt Euer Frau freilich an der Seele, und was ich tun kann, soll nicht fehlen, aber Körper und Seele sind gar in einem engen Zusammenhang; wenn es einem fehlet, so leidet auch das andere, und manchmal scheint es an dem Körper zu fehlen, aber man muß doch die Seele doktern, wenn der Körper gesund werden will, und manchmal kommt in der Seele die Krankheit zum Vorschein, aber man muß sie im Leibe angreifen, dort hat sie ihre Wurzeln, die Seele ist bloß das Fenster, aus dem sie das Gesicht streckt. So kann man zum Beispiel jemand töten, ohne daß man ihn mit einem Finger berührt, durch die Seele, durch Verdruß, Herzenleid und Kummer, und so werden wirklich auch viel mehr Leute gemordet als den andern Weg, und man kann hinwiederum jemand gesund machen durch Freude, Sanftmut, manchmal durch eine einzige fröhliche Nachricht, und wiederum kann man die Seele verrückt machen durch Brönz oder einen einzigen Schlag auf den Kopf und kann sie heilen durch Aderlaß und Abführungs- oder andere körperliche Mittel; das sind geheime Türen, welche die Erfahrung aufgefunden, der Verstand aber nicht beschreiben kann. Und ich glaube, gerade hier wäre ein Doktor nötig, oder wäre es vielleicht nicht am besten, wenn Ihr Eure Frau irgendwohin unter gute Aufsicht tätet, wo sie die ärztliche Hülfe nahe hätte oder vielleicht gar im Hause? Man hat manchmal, so wie Ihr es auch habt, nicht einmal Zeit zur rechten Aufsicht.»

«Man kann dr Zeit machen», sagte Hansli. «Und Anne Bäbi hat so lange Jahr gut zu allem gluegt, daß ih nit wüßt, warum me jetz nit o gut zu ihm luege sött, u vrma es si desse allem ja nüt u hets ume übercho wege syr Ängstligi, für die es ja o nüt cha. Es wäre mir grusam zwider, es weiters zu tun, man weiß nie, wie sie es bekommen, gäb was die Leute versprechen, und wenn es ihm gehen sollte wie jener Frau bi dem Umönsch, dem me dr L....dokter seyt, wo aber nie glehrt het, si ume drfür usgit, wo dafür ins Blaue gekommen sein soll, ich hintersinnete mich.» «Was hat dann der gemacht?» fragte der Pfarrer, «ich habe nichts davon gehört.» «Man sagt», antwortete Hansli, «der habe auch so eine Frau, der es gfehlt heyg im Kopf, in die Kur genommen, habe sie vierzehn Tage lang hintereinander laxiert und purgiert und zehnmal zu Ader gelassen, sie angeschlossen und in diesem Zustand mit ihr gemacht, was ihn gelüstet. E sellige wett ih doktere, daß er syr Lebtig usdokteret hätt!» «Herr Jere», sagte der Pfarrer, «das ist ja fürchterlich, wie darf doch ein Mensch so was wagen! Es wird ihm aber die Lust dazu vergehen jetzt.» «Mi cha de luege», sagte Hansli, «wer uvrschant ist, lebt dest bas, u wer weiß, ob dä nit no selber i dRegierig chunnt! Nei, Herr, zu myr arme Frau wott ih selber luege.»

«Das ist schön von Euch», sagte der Pfarrer, «aber so müßt Ihr doch einen Doktor kommen lassen, das ist nötig, glaubt es mir, wenn Ihr es Brösmeli Glauben zu mir habt!» «Meinet Ihr, es müsse sein», sagte Hansli, «he nu so de! Aber was für eine? Ih ha neue ke Glaube zu keim. Wes üsem Herrgett gfallt, su lebt me, u wes üsem Herrgett gfallt, su stirbt me.» «Ja, Hansli, u wes üsem Herrgett gfallt, so gits Klee am e Ort un am e angere Bersette u am e dritte Korn, gäb mi heyg gsäyt oder nit, oder ists nit so?» «Nein, Herr Pfarrer, so ists nicht, das ist ganz anderlei; aber wil Dihrs säget, so will ih i Gottsname um e Dokter us, aber Ihr müßt säge, zu was für eym, si sy mr all glych, es ist mr eine wie dr anger.»

«In solche Dinge», sagte der Pfarrer, «mische ich mich sonst nicht, mein lieber Hansli; da aber die Sache nottut und Ihr mir lieb seid, so schicket auf der Stelle Euren Knecht nach Täubelige und lasset dem dortigen Doktor sagen, er solle so schnell als möglich kommen, und zwar bei mir vorbei, es sei ein Notfall. Es ist ein junger Mann und mir verwandt, und an seinem Beruf ist ihm gelegen; deswegen ists, warum ich ihn rekommandiere, und nicht wegen der Verwandtschaft.» «He, grad deretwege ist er mr recht», sagte Hansli, «es isch de öppe on e brave Herr, der nicht so bigehrt, eim a dr Nase desumezführe, bis eim ds Geld alles us em Sack grunne isch. Öppe meh wüsse as a angere wird er o nit.»

Es war schon spät gegen Mittag, als der Pfarrer wieder gen Hause ging, und unterdessen hatte niemand im Hause vernommen, warum er war beschieden worden, und alle bis zur Magd herab hatten viel zu verwerchen von Gwunder und Teilnahme, sie wußten nicht, welcher Gattig mehr, wie es denn auch schwer ist, Gwunder und Teilnahme zu unterscheiden. Am meisten doch der Vikari, der, als er seine Stiefel anzog, noch immer nicht wußte, welchen Weg damit, und eben sich entschloß, einen Freund zu besuchen und ihn um Rat zu fragen, als ihm an einem Bein die Knöpfe sprangen, in welchem die Stegreife hingen, denn ohne Stegreife ging er nicht aus.

Er betrachtete in großer Verlegenheit den Schaden: an einem Fuß Stegreife, am andern nicht, das ging doch nicht wohl; den andern Stegreif abmachen, wäre das Kürzeste gewesen, allein er trug doch Bedenken. Er sah den Schaden genauer an: ein Knopf war gesprungen, war nicht wieder anzunähen, was er im Notfall imstande gewesen wäre; neue Knöpfe hatte er nicht im Vorrat, und welche der Jungfer Sophie abzubitten, trug er wiederum Bedenken. Er dachte an andere Hosen, was auch möglich gewesen wäre, da er in der Tat noch welche hatte, aber sie waren teils neuer, teils dünner, die neuen reuten ihn bei dem schlechten Weg, in den dünnen fürchtete er einen Pfnüsel bei der feuchten Luft, darum trug er gegen die einen und die andern Bedenken.

Er wußte sich wirklich lange nicht zu helfen, endlich fiel ihm ein, daß zunächst ein Schneider sei, an dessen Haus sein Weg vorbeiführe, dort hoffte er die nötige Hülfe ohne Bedenken. Er schoß, das Versäumte einzuholen, wie ein Schutzgatter davon und schoß unter der Haustüre mit dem Pfarrer zusammen. Das war ein eigen Zusammentreffen. Man erschrickt zumeist, wenn man unerwartet mit einer Person zusammentrifft, sei sie, wer sie wolle; ists dann aber eine Person, die in uns neben der sinnlichen Überraschung eine geistige Empfindung erregt, so wird der jähe Schreck durch alle Glieder fahren, bald wird es einem, als ob man mit Wasser begossen oder ins Feuer gestoßen würde oder eine Art Starrkrampf jede Bewegung feßle.

Als nun der Vikar so unerwartet vor sich den Pfarrer sah, der nun alles wissen mußte, was ihn so sehr bewegt hatte, aber durch die fatale Stegreifgeschichte einen Augenblick in den Hintergrund getreten war, wars ihm fast, als stehe vor ihm ein Löwe, und zwar zum Sprunge fertig. Stumm griff er zum Hut; mit großem scharfem Blick sah der alte Herr ihn an und frug: «Ihr weyt furt?» Der Blick färbte dem Vikari die Backen rot, und hastig sagte er: «Ja, und wahrscheinlich chume ih nit zum Mittagessen», und mit dem wollte er vorbeischießen fast wie ein Vögelein, das in Jägers Hand gefallen und diese Hand gelüftet glaubt.

«So», sagte langsam der alte Herr, und schon war der Vikari unten entronnen, wie er meinte, und wußte doch nicht, warum er entrann, als der Herr sich umwandte und frug: «Wißt Ihr, daß ds Jowägers Anne Bäbi schwermütig ist?» «Ja, ich weiß es neue», sagte der Vikari, so abgebrösmet. «Und daß es seit gestern zwei Versuche zum Selbstmorde gemacht hat, die ihm beide fast gelungen wären?» frug der Pfarrer weiter. «Nein, das weiß ich nicht», sagte der Vikari und ward fast weiß, er wußte ebenfalls nicht warum. «So ists», sagte der Pfarrer, «und man hat Ursache, Gott zu danken, daß beide Versuche vereitelt wurden; wenn es sich nur nicht drittet, die Leute gehörig wachen und niemand die Glut immer neu anbläst!» sagte er im Umwenden und Hineingehen.

So stichelte der Pfarrer; drinnen erst leerte er sein Herz dem Mamali und dem Töchterlein. Fürchterlich, sagte er, sei solche Unklugheit, zu blasen, wo die Glut schon glimme, man müsse doch vernagelt an Leib und Seele sein für so was. Das sei aber nur die junge Sucht, sich wichtig zu machen und auch etwas vorzustellen in der Welt; es sei die junge Anmaßung, die meine, sie habe das Pulver erfunden und die Weisheit gefressen, die meine, sie hätte den Schlüssel Petri in Händen; und jeder aus ihnen sei erstlich ein Papst und zweitens noch ein Heiliger, was bekanntlich nicht alle Päpste gewesen. Er wolle nicht einmal glauben, daß es sei, um ihn Alten herunterzumachen und ihm das Vertrauen der Gemeinde zu entziehen, obgleich man viele Beispiele von Exempeln der Art hätte. Da führen sie nun mit ihrer Lehre von der Zerknirschung und der Buße und so weiter im Lande herum wie dSchwarzwälder mit Bürste. Und wenn sie jemand zerknirschen könnten, das heißt, daß er sage, er sei zerknirscht, und zum Zeichen davon stöhne und seufze wie Eine, die gebläht sei, und weine wie jener Jude, der «Kabale und Liebe» aufführen sah, mit der Fingerspitze, so stark er konnte, sich die Augenecken auswischte und den nassen Finger seinem Kameraden zeigte, sprechend: «Ich bin geriehrt, sieh, ich bin geriehrt, bin für mehr als sechs gute Groschen geriehrt», so erklären sie ihn für gerettet, für durchgebrochen, nennen ihn Bruder und sprechen ihn heilig. In Rom spricht man Einen doch nur heilig, wenn er drei Wunder beweisen kann; freilich giltet es auch, wenn einer gebratene Spatzen lebendig macht, was man bei jedem Taschenspieler lernen kann, aber wenn man mit der rechten Salbe den Kardinälen die Augen zu salben weiß, so sehen sie es für ein Wunder an, wenn Einer dreimal hintereinander niesen kann oder über ein Spänchen springen.

So machten sie Lumpenleute, die allem nachliefen, wo etwas zu finden sei für den Glust, fürs Maul oder für den Gwunder, heilig, andere, welche es ehrlich meinten oder mit beschränkter Seele zu tief griffen, verrückt oder den Schalken zur Beute. Sie verstünden von einer Menschenseele und ihrer innern Entwicklungsweise geradesoviel wie Heustüffel vom Geigen. Sie lernten die Menschen anders grännen, einige Worte plappern, wie man es auch mit Papageien und Elstern tun könne, auf eine apartige Art seufzen, und wenn dann das gemacht sei, so sagten sie, sie seien bekehrt. Es gebe Leute, sie täten ihr Holz mit Steinfarbe anstreichen und sagten dann, es sei Stein, und andere färbten ihre Haare und wollten, daß man einen alten Narren für einen jungen Narren halte; aber dieses christlich Färben und Anstreichen sei viel ärger, das sei eben das Anstreichen von Gräbern und der Betrug, ein Grab voll alten Uflat auszuschreien für einen Tempel voll Heiligkeit.

«Aber Papali, wie redest du auch!» sagte die Mama, «denk doch, wenn dich jemand hörte, was würde man sagen?» «Meinethalb, was man will», antwortete er, «aber es ist doch so, wie ich sage.» «Aber denk auch, Papali, das ist jetzt so der Brauch, und es geht jetzt viel anders zu als ehemals, man tut viel frömmer, bsunderbar die Jungen, und das gefällt mir, und es dünkt mich, wenn du auch schon ein wenig nachgiebiger wärest, ih will nit säge, i dSach inegä, nume nit so drwider sy, es würd dir nüt schade. Es ist emel jetz eso dr Bruuch u dMode.»

Da zuckte der alte Herr zornig zusammen, und der gleiche Blick, welcher vorhin den Vikar traf, schoß auch der Mamali ins Gesicht. Dort wurden die freundlichen Züge ängstlich, und bittend sah sie mit ihren Augen ihren Herrn an. Da wurde sein Blick milder, ein Lächeln schwebte durch seinen Ernst. Freundlich griff er unters rundliche Kinn und sagte: «Lieb Mutterli, bist auch ein Weibchen, wie alle andern sind, und meinst, die Mode sei der Meister über alles, nach ihrer Laune müsse alles sich regen auf Erden. Was meinst, steht nichts über der Mode, ewig immer das Gleiche? Sieh doch auf zu den Sternen und sieh, wie sie so ehrenfest gehen im gleichen Schritt, einen Tag wie den andern Tag, in keinem Wetter wechseln sie den Gang, gehen nicht schneller, nicht langsamer, keiner läuft schneller, weil der andere rascher kreist, keiner hemmt seinen Lauf, weil langsam der andere läuft, jeder geht, wie Gott ihn gehen heißen.

Weißt du, vor bald fünfzig Jahren, wie es da Mode war, nichts zu glauben, wie man in Frankreich Gott abschaffte, und wie man nicht von Gnade predigen durfte, ohne verlacht zu werden, und vom Heiland kaum, wenn man nicht für einen Tropf angesehen sein wollte? Weißt du noch, wie man damals so weltlich predigte von allerlei, vom äußerlichen Gehorsam zuweilen, aber auch von allem Nützlichen, von der Stallfütterung und vom Kleebau, vom Fischfang und der besten Art, Fische auszunehmen und zu kochen? Habe ich damals Mode und Brauch mitgemacht? Hast du mich deshalb nicht oft gerühmt und mir gesagt, du hörtest mich so gerne predigen, weil es etwas fürs Herz sei und nicht bloß für Stall und Küche? Jetzt sind bald fünfzig Jahre vorüber, und der gleiche bin ich, Gottlob, nicht geblieben, nicht auf einer Stelle bin ich stillegestanden, gegangen bin ich, wie auch die Sterne Gottes gehen, und ich fühle es, ich stehe näher dem Tore, hinter dem die Herrlichkeit ist, aber ich bin gegangen auf meine Weise und werde den Lauf behalten; ich weiß es, es ist mein Lauf und führt zu Gott; würde ich ihn verlassen und laufen nach heutigem Brauch und Mode, dann wäre ich einem Sterne gleich, der aus seiner Bahn gewichen ist, Zerstörung ginge vor mir her und öde Züge hinter mir drein. Wohl sehe ich Andere gehen in anderem Wesen, ernster ist dasselbe als das meine, anders sind ihre Worte, anders nennen sie die Dinge, anders teilweise werten sie dieselben. Ich ehre sie hoch, denn sie gehen ihren eigenen Gang, aber ich stürze mich ihnen nicht nach, denn ihr Gang ist nicht mein Gang. Daß ihr Gang mein Gang sein solle, steht nirgends geschrieben; das sollte man sich merken.

Wir haben nur ein Vorbild. Unser Herr hatte zwölf Jünger, jeder folgte ihm, aber in seinem eigenen Gange. Nun aber gibt es auch Kometen mit langen Schwänzen. Von den Kometen weiß man bis dato nichts, als daß sie zu gewissen Zeiten wiederkehren; aber von ihren Schwänzen sagt man, es seien Weltdünste, die gleichsam noch nicht recht wüßten, wohin sie gehören, und wohin sie sollen, ungefähr wie Buben nach einer Solennität, nach welcher gewöhnlich auch eine neue Klasseneinteilung stattfindet. Dann gibt es freilich auch Dünste, die nicht einmal dazu gelangen, an eines Kometen Schweif sich zu hängen, die freilich sich erheben, soweit sie können, aber bald auf die Nase kriegen und als Hagel oder Schnee oder Regen zur Erde niederrieseln. Wie es nun Jahrgänge gibt mit Kometen, Jahrgänge mit Hagel und andere mit apartigem Schnee oder Regen, so gibts akkurat auch Jahrgänge mit Moden und Bräuchen aller Art im geistigen Leben. So wenig, lieb Fraueli, als du gerne hättest, wenn ich immer weinte, wenn es draußen regnen täte, oder hagelte, wenn es draußen hagelte, so wenig fordere von mir, daß ich an eines Kometen Schweif mich hänge oder an irgendeine Mode der Zeit.

Ich gehe meine Bahn. Halte mich nicht für hochmütig und glaube nicht, ich meine, Stern sei Stern, und ich sei auch einer! Der Sterne sind unzählbare Heere, groß sind die einen, klein die andern, so klein sind unzählige, daß sie wie eine ungeteilte Masse erscheinen fast dem Nebel gleich, und doch besteht dieser Nebel aus Sternen, von denen jeglicher seine eigene Bahn geht und jeglicher nach dem Willen Gottes, jeglichem ist Gott seine Sonne, um die er sich beweget. Sieh, unter diese Sternenmasse zähle ich mich. Komet bin ich keiner, du siehst, Nebelschweif habe ich keinen, die Zeitungen zum Beispiel reden von mir nicht, nicht einmal auf den Sternwarten sieht man mich. Meteor bin ich keiner, ich mache kein Aufsehen, mache nicht plötzlichen Glanz, zerplatze plötzlich und werde ebenso plötzlich wieder dunkel. Aber ein klein Sternlein will ich sein in Gottes unzählbaren Heeren; des Menschen Auge unterscheidet mich nicht, aber mich sieht Gott und meinen eigenen Gang.

Freilich, lieb Fraueli, mußt du dieses nicht so buchstäblich nehmen, als wenn in der Ordnung der Sterne, zu welcher ich mich zähle, alles so ganz unwandelbar wäre, immer Sonnenschein und kein Schwanken irgendeiner Art. Unsere Erde ist ja auch ein Stern mit eigenem Gange, und doch wechseln schön und wüst Wetter, Wärme und Kälte, ja es erdbebnet auf ihr, Vulkane sprühen zu Zeiten Feuer, Sündfluten hat es gegeben, ja eine eigene Neigung im Gange soll sichtbar sein; aber doch ist ein eigener Gang. Nun soll es auch Doppelsterne geben, wo beide eins scheinen und doch ihrer zwei sind, einer um den andern herumgeht. Siehe, die stelle ich mir fast wie eine Ehe vor; was auf dem einen vorgeht, davon muß auch der andere kriegen. Brechen auf dem einen Vulkane aus, so wird der andere Asche oder Steine kriegen, und sündflutet es auf dem einen, so wird es wenigstens südern auf dem andern, und erdbebnet es auf dem einen, so gibts auf dem andern wenigstens Erdlauenen oder Kleck. So empfindet einer sicher den andern, aber wie akkurat, das zu ersinnen, waren bis dato unsere Gelehrten zu mutz. Sieh, so besteht eine rechte Ehe auch aus zwei Doppelsternen, und wenn es auf mir was Neues gibt, zum Beispiel Berge Feuer speien, und über dich hageln Steine, so gehe ich doch meinen Weg und du mit mir, und wenn es auf dir sündflutet, es trüb wird, wirds deswegen auch bei mir, so gehst du doch deinen Weg und ich mit dir, und wenn unsere Bahn sich schon neiget, hie ume oder dert ume, so ists doch unsere Bahn, die sich neiget.

Unser Vikar aber ist noch lange kein Stern, nicht einmal ein Komet, der durch den Himmel fährt und auf allen Sternwarten ausgeschrieben wird, er ist noch ein Dunst. Ich glaube nicht, daß er ganz gemeiner Dunst sei, der als Hagel oder Regen wieder zur Erde fährt; ich will gerne glauben, er gehöre zu den höhern Dünsten, welche die Gelehrten Weltstoff nennen, aus denen namentlich die Schweife der Kometen bestehen sollen. Möglicherweise gestalten sich im Laufe der Zeiten solche Schweifdünste auch zu Sternen, so wie es ja aus den Kometen selbst durch die immer stärker auf sie einwirkende Anziehungskraft der Sonne manierliche Sterne geben soll; aber dato sind sie es nicht, und was aus ihnen wird, weiß Gott. Und soll ich solchen Dünsten folgen, mein lieb Doppelsternchen? Möchtest du es, daß dein alter Herr seinen Gang verließe, zu faseln anfinge, durch die Mode sich treiben ließe wie die Dünste durch die Winde, sich anziehen und fortreißen ließe durch jeden Kometen, der vorüberfährt? Und wer weiß, ob er nicht der Schweif eines Kometen ist, der, in sich selbst zerfallen, erniedrigt wird, weil er sich selbst erhöht hat, der jetzt so ungemessen als Schnee und Regen niederschlägt, die Erde und das Wohnen auf ihr so trüb und unlustig macht?»

«Aber Papali, wottsch nit öppis», sagte sie, «es Tröpfli Wy? Du eryferist di so, und du weißt doch, was dr Növö gseit het, du söllist di vor dem hüte, es chönnt dr schade.»

«Fraueli, wenn ich mit dir rede, das schadet mir nicht. Weißt du, ihr seid nicht vergebens unser Doppelstern. Ihr seid an uns gebunden, und gäb wie es euch hiehin zieht und dahin zieht, bald nach diesem Kometen, bald nach jenem, ja, wie es euch zuweilen gelüstet, selbst Dünsten zBest zu reden, so müßt ihr doch mitkommen, könnt nicht von uns los. Denn wenn es euch ziehet hiehin, dorthin, so speien wir Feuer, dann gutet es bei euch wieder; ihr sündflutet ein wenig, darob geht unser Feuer aus, und somit ists gut. Aber das tue nie mehr, mir aus lauter Gutmütigkeit zumuten, mich an den Vikar zu hängen, er, der Komet, und ich in seinem Schweif. Das tue mir nicht, sonst machst du mich böse wie er. So unberufen herumzufahren, eine alte dumme Frau im Eifer für sein Reich verrückt zu machen und dann spazieren zu gehen, um den Vorwürfen zu entrinnen, das ist doch zu arg. Und ich hätte gute Lust, die ganze Sache anzuzeigen; doch hoffe ich, es komme noch alles gut, wenn er nämlich jetzt nicht noch hinaus läuft, was ich jedoch nicht hoffe. Kinder, wenn sie was Dummes angerichtet, laufen gewöhnlich soweit als möglich davon weg, damit ja niemand meine, das Ding komme von ihnen. Wenn ich ihn gewesen wäre, ich wäre dageblieben und hätte in Sack und Asche mich verkrochen, aber Kinder haben es eben so: aus den Augen, aus dem Sinn. Hoffentlich wird er je länger je mehr über uns zu klagen haben und eine andere Stelle begehren, 's ist mir recht, wenn es auch auf unsere Kosten geschieht.»

Ungerecht war unser Pfarrer doch; darum, Gottlob, hat auch Gott keinem Menschen seine Waage anvertraut, nicht einmal dem «Christlichen Volksboten» von Basel. Fast einer angezündeten Rakete gleich waren des Pfarrers Worte dem Vikar in die Seele gegangen: «zwei Versuche zum Selbstmorde gemacht, die beinahe gelungen wären», und zu diesen Worten leuchteten des Pfarrers Augen und warfen einen seltsamen und sonderbaren Schein auf sie. Und Schein und Worte begannen zusammen zu gären; er vergaß seine Stegreife, sah des Schneiders Haus nicht, an dem er doch dicht vorüberging, es drängte sich ihm doch aus dem Hintergrunde dunkler harmloser Angst die Frage hervor: «Bist du eine Ursache dieses Unglücks, hat in heißen Stoff dein Eifer den Zunder geworfen?»

Für einen Vikari ist das wirklich eine schwere Frage, besonders da sie seine eigene Person betraf. Juristen behaupten immer, ihr Klient sei unschuldig, der Gegner im Fehler, und wissen das Ding so gut durchzuführen, wenn sie nicht bestochen sind, daß männiglich sagen muß: «Wäger ists so!» und das geht ihnen so nach, daß, wenn sie Richter werden, ihnen die ganze Welt unschuldig vorkömmt und besonders jede Eva, und daß kein Teufel sie überreden könnte, daß irgendeine Eva und besonders, wenn sie noch alle Zähne hat, in einen Apfel gebissen oder gar einen Mann vergiftet hätte, und sollte man ein halb Pfund Arsenik in seinem Magen finden, und wenn man gar noch ein hübsches Evächen als Diebin einbringt, so ist man gar noch imstande, die Bestohlenen auszuschelten, es sei doch dr wert, wegen einer solchen Bagatellsach ein solch Fraueli auszuschelten. Wie soll man nun von diesem juridischen Standpunkt aus, und dies ist in der neuen Staatstheorie das Höchste, daß nämlich jeder unschuldig sei, den man Lust habe, unschuldig zu finden, und schuldig nur, wer keinen Zahn mehr im Maul hat oder was darin, das einem nicht gefällt, einem Vikar zumuten, daß er sich im Fehler bekenne, und daß es ihm angst werde ums Herz wegen einer Sache, wo man ihm juridisch gar nichts beimessen konnte!

Und doch wards ihm angst und immer mehr, es dämmerte immer mehr der Zusammenhang zwischen seinem Bekehrungsversuche und Anne Bäbis Zustande auf, und daß seine Worte die bewegende Ursache gewesen; nur konnte er nicht begreifen, wie das hätte zugehen können, und schrecklich schien es, wenn die Ausübung einer heiligen Pflicht, wenn das klare, reine Gotteswort solche Folgen haben könnte.

Es ist bekannt, daß einmal ein Narr in einem Fenster gestanden und eine unten im Garten arbeitende Frau gefragt, was sie meine, ob Gottes Wort auch schaden könne. Die antwortete unbsinnet: «Öppis Dumms eso! Wie wett das chönne schade?» Da führte er den praktischen Gegenbeweis und schmiß der armen Frau eine schwer beschlagene Foliobibel auf den Kopf, worob sie fast ums Leben kam und es erfuhr, was Gottes Wort vermag – in eines Narren Hand. Dieses Geschichtchen kann nicht genug wiederholt werden, damit die Wahrheit so recht erkannt werde, daß es bei Gottes Wort auf die Hand viel ankömmt, in welcher dasselbe liegt, welche den heiligen Samen ausstreut. Die Katholiken verschließen den heiligen Samenbehälter, halten dem Volke die Bibel vor; die Reformierten gaben sie frei, untersuchten sonst aber die Hände derer, welche sich anboten, den heiligen Samen auszustreuen. Das könne man unterlassen, scheint man in neuerer Zeit zu meinen. Ob man wohl meinte, wenn man Narrenhänden den heiligen Samen überließe, so werde den Menschen der heilige Same selbst erleiden?

Jedoch ist nicht jede ungeschickte Hand eines Narren Hand. Übung und Anstrengung können aus einer ungeschickten Hand eine Meisterhand bilden; aber da fängt man bei Leichtem an und schreitet zum Schwereren fort, einem Lehrling werden nicht Kunstarbeiten zugemutet, einem Lehrling vertraut man gefährliche Operationen nicht an; wenn Einer sich in den kleinen Finger geschnitten, so kann ihn der Lehrling verbinden, und wenn Einem die Hühneraugen wehetun, so mag er die auskratzen.

Nun aber ist es eine der kühnsten geistigen Operationen (das Wort wird wohl erlaubt sein), wenn ein Seelsorger zu einem Menschen, der in leiblichen Jammer versunken ist, trittet und zu ihm spricht: «Das ist Gottes Gericht. Um deiner Sünden willen hat seine Hand dich geschlagen!» Das mochte Hiob kaum ertragen, als er auf dem Misthaufen saß, geschweige dann ein Anne Bäbi. Der christliche Seelsorger muß aber noch weiter gehen, hat er einmal angefangen. «Aber dies Gericht», so muß er fortfahren, «ist nichts gegen das, welches deine Seele erwartet, wenn du nicht Buße tust und dich bekehrest; dieser dein Jammer wird verstummen, aber Heulen und Zähneklappern einer verlorenen Seele verstummen nimmer; darum laß den Jammer um den Leib, jammere, daß du um so Nichtiges gejammert, jammere um deine arme Seele, jammere, bis der Sonnenschein der Gnade den Jammer dir trocknet!»

So den Jammer zu wandeln in des Menschen Seele, vom Nichtigen auf das Ewige ihn zu stellen und durch diesen Wandel Leib und Seele die Gesundheit wiederzugeben, das ist des Seelsorgers kühnstes, höchstes, fast göttliches Werk. Aber unbedachtsam unternimmt er es nicht, trittet nicht plötzlich ans Lager unbekannter Wesen, schleudert nicht den glühenden Stachel in ein unbekanntes Herz, so wenig als der Arzt auf Geratewohl mit einem Küchenmesser in das Auge fährt, auf welchem er den Star stechen will.

Dies war die Nuß, welche der Vikar nicht aufbeißen konnte, und warum er sein Herz, das so Angst hatte, nicht begreifen, aber auch nicht beruhigen konnte; er hatte ja in seiner heiligen Pflicht gehandelt, hatte eine Seele retten wollen. Daß sie darob den Verstand verlor, daß sie sich das Leben fast genommen, konnte er etwas dafür, vermochte er sich dessen etwas? Er wollte immer sagen: «Nein», und doch brannte der Boden unter seinen Füßen, und das Herz klopfte ihm, daß ers deutlich hörte, und als er endlich zu seinem Freunde kam, war er außer Atem, daß der Freund ganz erschrak über sein Aussehen und doch lange nicht vernehmen konnte, was ihm begegnet sei.

Der Freund war einer von denen, die sich für bekehrt und in der Gnade halten, die also nach ihrem Sinn nicht mehr fehlen können, die, wenn man sie eines Irrtums überweiset, sagen: «Dafür kann ich nichts, der Herr hatte es mir so eingegeben», die, wenn man ihnen ein Unrecht nachweiset, entweder sagen: «Das begreift ihr nicht, solche Dinge wollen geistig geurteilt sein», oder: «Ja, der Herr hat mich fallen lassen, aber er hat mich auch wieder aufgerichtet», einer von denen, bei welchen man nicht klug wird, sind sie dumm oder stellen sie sich einfältig, sind sie Jesuiten, die sich wie Schafe gebärden, oder sind es Schafe, die aber zuweilen böckelen; einer von denen, welche nicht aus Leib und Seele zu bestehen scheinen, sondern aus zwei Schubladen, die voneinander abgesondert einander auch nichts angehen, in der einen Schublade haben sie die geistlichen Dinge, in der andern die leiblichen Dinge, die eine geht inwärts auf, die andere auswendig, die leibliche nämlich inwendig, die geistliche auswendig, und müssen sie einmal vor andern Menschenaugen die leibliche hervorziehen, so vergessen sie selten die Vorsicht, aus der geistlichen das Weltliche mit einer geistlichen Brühe zu verakkommidieren, so daß man die Dinge darin eigentlich auch für geistlich ansehen sollte. Er war ein Rüstzeug Gottes, ein eifriger Streiter für Christi Reich; darum haßte er jeden, der nicht seiner Meinung war, weil es heiße: «Wer nicht für mich ist, der ist wider mich»; er haßte ihn aber nicht nur, sondern er verfolgte ihn auch, denn wenn ers nicht täte, so würde ihm der Spruch gelten: «Wer mich verleugnet vor den Menschen, den werde auch ich verleugnen vor meinem Vater, der im Himmel ist.»

Als dieser, welcher den Vikar vielfach gegen den Pfarrer aufgestifelt, zum Handeln getrieben hatte, dessen Erzählung hörte, lächelte er und sagte: «Aber Bruder, das macht dir Angst? Du schwankest immer noch, und dein Glaube ist nicht fest. Du hast ja nur das Wirken, dem Herrn ist das Vollbringen; du hast die Predigt, er aber ists, der verstocket und lebendig macht. Weißt du nicht, daß über einen Sünder, der Buße tut, mehr Freude ist im Himmel als über neunundneunzig Gerechte, und was sind Millionen und abermal Millionen Sünder gegen neunundneunzig Gerechte? Soll man Millionen schonen, wo man hoffen darf, eine Seele zu retten? Und wenn Tausende und aber Tausende zu Narren würden, was kümmert das dich, wenn du Seelen dem Reiche Gottes gewinnen willst? Ja, wer eine Seele vom Tode rettet, der wird bedenken die Menge der Sünden. Ja, es wäre recht gut, und ich würde dafür meinem Gott auf den Knien danken, wenn alle die, welche nicht in unsern Bund, in den Bund Christi gehören, verrückt würden; wohl, da würde die Welt endlich erkennen, wer das Eine, das nottut, unsern Herr, recht ergriffen hätte.»

So redete der Bruder dem Bruder recht Mut ins Herz, und es gelang ihm auch, denselben zu steifen und zu stärken, solange er bei ihm war, ihm die Bedenken zu nehmen über das, was die Leute sagen würden, ihm den Glauben beizubringen, daß eben solche Dinge geschehen müßten; das sei das Licht auf den Scheffel stellen, die Menschen würden aufmerksam gemacht, neugierig, ließen sich herbei, und habe man einmal einen, den müsse man dann nicht mehr fahren lassen. Er solle daher beileibe nicht von Jowägers wegbleiben, sonst meinten sie ja, er hätte ein böses Gewissen, und gerade das würde sie im Wahn bestätigen, daß er selbst glaube, an der Sache schuld zu sein. Unerschrocken müsse er hingehen, müsse fest und sicher sein, dann gewönnen sie Respekt und Zutrauen, und was böse gewesen zu sein schiene, gerade das werde zu einer Handhabe, an welcher er die ganze Familie fassen könne. Wo man auf Gottes Wegen gehe, da müsse man nichts fürchten, nicht den Teufel, nicht Menschen, sonst sei man seiner nicht wert, Fleisch und Blut ererbten das Himmelreich nicht.

So steifte er den armen Vikari, daß der ganz gstabelig ward, aber eben nur so lange, solange die Stärke währte, in die jener ihn getaucht hatte; und bekanntlich hilft alles Stärken nichts, wenn der Luft stark geht, oder wenn es gar regnet. Er hatte, ehe er heimging, bloß etwas himmelblauen Kaffee getrunken, und draußen ging der Wind, daß die Bäume sich zur Erde bogen, nasser Regen peitschte über die Erde, daß es stob in den Wegen, und in diesem Hundewetter wanderte unser armer Vikari nach Hause, ward naß und immer nässer, und je nässer er ward, um so kleinmütiger ward er auch. Alles schien ihm wüst und trübe, er seufzte über seinen Beruf, er lag ihm auf den Schultern wie ein Berg von Blei; wenn er ihn nur abschütteln könnte, dachte er, sterben wäre ihm recht; er ward so weich, so wehmütig, Tränen standen ihm in den Augen, als er heimkam.


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