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Bei Jowägers kehrte die alte Einförmigkeit allmählig zurück. Anne Bäbi sänftigte sich, nur hier und da stöhnte es ängstlich auf oder sah lang starr vor sich hin; aber wenn das kleine Meyeli ihns anlächelte, mit den kleinen Händchen die runzlichten Backen strich, dann floh das innere Bild, der Krampf in den Augen löste sich, die Kleine drängte sich ihnen auf, fesselte Anne Bäbis Aufmerksamkeit; aber während seine Augen voll Wohlgefallens waren, kifelte sein Mund, zankte die Kleine aus, daß man hätte meinen sollen, da wäre lauter Ärgernis; die Kleine verstund das jedoch besser. Wie es Bücher gibt, wo man zwischen den sichtbaren Zeilen unsichtbare sich denken, sie lesen muß, wenn man des Buches Geist fassen will, so gibt es Menschen, deren Worte man sich wenig achten darf, wo Blick und Ton alles sind. Meyeli faßte dieses vollkommen, und während Anne Bäbis Worte lauter Tadel waren, war doch lauter Holdseligkeit zwischen ihnen, ja manchmal schimmerte sogar etwas Freundliches durch Anne Bäbis Züge herauf, daß es einem fast vorkam, als hätte der Morgenstern sich verirrt und käme einmal, statt vor der Sonne her am morgendlichen Himmel, heraus aus dunklem Kellerloch. Wenn dann Anne Bäbi so kifelte, so meinte Mädi, jetzt hätte es gewonnen. «Komm du zu mir», sagte es, «du klys Narrli, du arms Tröpfli, we dGroßmutter di nit cha rühig la u nüt recht ist, was d machst! Es King so ga z'erplage, u nüt ist recht, was es macht!» Dazu machte es aus lauter Täubi gegen Anne Bäbi ein Gesicht wie eine Katze, wenn sie die Haare stellt über den Rücken, und griff wohl auch nach dem Kinde wie ein Habicht, wenn er auf eine Taube stößt. Auf Mädis Worte achtete das Kind sich nicht, hörte nur der Stimme Ton, sah die Täubi in den Augen, flüchtete sich zur Großmutter, oder wenn Mädi es erhascht hatte, schrie und zappelte es wie eine Taube in des Vogels Klauen, daß Mädi es lassen mußte.
«Gang, du Uflätli, du wüsts Täschli du, du wirst es rechts Sackerdieli welle abgä, du! Mira, we ds zwänge witt, su gang zu dr alte Rure!», setzte es leiser hinzu. «Es nimmt mich nur wunder, warum ich so an einem Ort bleiben mag, wo eins wüster gegen mich ist als das andere, und wo me sogar dKing drufhi brichtet, chum sy si füregschloffe.» Hatte es dieses Streites satt, so kehrte es seinen Spieß gegen das Mannevolk und knüpfte zu dem Ende die Allianz mit Anne Bäbi wieder fest. Diese Allianz mahnte einen an nichts besser als an den alten Strumpfbändel einer alten Kindermutter, der fast alle Morgen zerreißt, aber immer wieder zusammengeknüpft wird, so daß man vor lauter Knöpfen keinen Bändel mehr sieht.
Früher hatten sie alle Jahre einmal eine Milchnot gehabt, und dann war für das Mannevolk ein bös Dabeisein. So oft der Tisch gedeckt wurde, wurde ihnen vorgehalten, was sie für Möffe seien, daß sie die Kühe nicht besser gereiset hätten; ihretwegen könnten sie jetzt selbst kochen, wenn sie essen wollten, ohne Milch könne man in einer Haushaltung in Gottes Namen nichts machen; so bei Herrnlüte, wo alles fresse, wo seye nit freß, da frag me dr Milch nit sövli nah, da könnten sie es sonst machen, aber in ere rechte Hushaltig, wos o mönscheli, da muß Milch sy.
Das war die eigentliche Fastenzeit; dem Mannevolk wars wirklich, als ob es in Sack und Asche wäre, und sehnlicher kann kein Fleischliebhaber das Ende der Fasten erwarten, als dieses Mannevolk auf die Wehen einer Kuh wartete, und wenn sie einmal ein Kalb mööggen hörten, so war es Hansli allemal, als läute man mit allen Glocken. Solche Nöten, solche Haushaltungswehen, die allenthalben einkehren wie sWeihnacht- oder Neujahrkindlein, die sind die rechten Fecker und Prüfer, auf welchem Fundament ein Haus gebaut sei, wie es mit dem Frieden stehe, und wie das Gemüt gefärbt sei.
Denn es gibt nicht nur Milchnöten; es gibt Fleischnot, wenn kein Mümpfeli mehr im Kämi ist, Arbeitsnot, wenn die Hände nicht langen oder nichts zu tun wissen, Dienstennot, wenn niemand dienen will, sondern alle befehlen, Wetternot, wenn sWetter nicht ist wie Weiberlaune, alle Tage zweimal naß und zweimal trocken, Wösch und Sonneten ausgenommen, Krankheitsnot, wenn alles sich legen muß, sich niemand regen mag, Geldnot, wenn kein Kreuzer mehr zu finden ist gäb wie man die Säcke schüttelt und wendet, Weisheitsnot, das heißt, wo jeder meint, um weise zu sein, müsse er etwas anders wollen als die andern. Solche Nöten kehren allenthalben ein, hier regelmäßig alle Jahre, dort zuweilen im Vorbeigehen; weh aber dem Orte, wo sie zum chronischen Übel werden, das heißt sich festsetzen und tun, als ob sie da daheim wären!
Ein König versprach einmal seiner Tochter eine goldene Kette, wenn sie ihm in Kindesnöten ein Liedchen singen würde; sie brachte es übers Herz, sang das Liedchen, kriegte die Kette, und ihr Kind ward der lustigste, tapferste König, welchen Frankreich je gehabt. Nun vermag freilich nicht ein jeder seinem Weibe eine goldene Kette zu versprechen, wenn es in irgendeiner Not übers Herz bringen wolle, zu singen und heiter zu sein statt zu weinen oder zu kifeln; aber viel würden doch gerne die Meisten geben, ja mehr als eine goldene Kette, sie würden mit Banden der Liebe und Achtung immer inniger ihr Herz an des Weibes Herz ketten, sie würden es auf den Thron erheben ihrer Seele, würden alle Tage frei und froh es bekennen, daß es nächst Gott ihr Liebstes sei, daß sie, wenn sie es verlören, arme Tröpfe wären, wenn das Weib einen heitern, gottvertrauenden Sinn leuchten ließe in jeder Not. Es ist wirklich wahr, es ist traurig, wenn irgendeine Not im Hause ist: wenn es nicht regnen will wenn der Kabis gesetzt ist, es regnet wenn die Frau spazieren will, kein Geld zu finden wenn Salz oder Brot zu kaufen wäre; aber hilft da Klagen, Kifeln, Kupen, Kratzen?
Wird nicht jede Not zur doppelten Not, wenn sie auch die Gemüter mit Heulen und Zähneklappern füllt, sie aushöhlt zum graulichten Schlangenzahn, der hohl und scharf ist, aus dem nur Gift fließt in die Wunden, welche seine Schärfe aufgerissen? Oder ists etwa durchaus notwendig, ists ein unumstößlich Gesetz, daß zur Leibesnot die Gemütsnot sich gesellen, gleichsam Mann und Frau, daß, wenn es trüb außerhalb ist, es auch trübe innerhalb werden, daß, wenn kein Geld da ist, man weinen, kein Regen kömmt, man kummern, keine Milch da ist, man zanken muß? Da wäre ja jede Züchtigung eine doppelte, und in jeder läge ein unwiderstehlicher Reiz zu neuer Sünde, denn Kummern und Zanken ist nicht gleichgültig vor Gott.
So wird es aber auch nicht sein im allgemeinen, und die innere Not wird nur da zur äußern unabtreiblich kommen, wo eine gewisse Ohnmacht ist und der Mensch ein Sklave der Welt, der über sich kommen lassen muß nicht nur, was sie ihm bringt, sondern der sich auch sein Gemüt von ihr muß überziehen lassen mit der Farbe, mit welcher es ihr beliebt. Nun aber gibt es eine Kraft in jedem Menschen, welche das Gemüt erheben kann über die Traurigkeit der Welt und von sich abwehren kann Stimmungen, welche trüben Wolken gleich unsere Seelen überziehen wollen, und in jedem christlichen Herzen soll gepflanzt und gepflegt werden das gläubige, demütige Vertrauen, das freudig in den Willen des Vaters sich schickt und in kindlichem Glauben alles willig nimmt als aus seiner Hand. Und dieses Vertrauen ganz besonders ist die läuternde, klärende Macht im Herzen des Menschen, welche alles Weltliche, das darüber hinwegzieht, wie trübe es auch sein mag, läutert, zersetzt, daß, was den Unchristen mit des Jammers Finsternis erfüllt, dem Christen zum milden Tau wird, der den innern Frieden, der über allen Verstand geht, gebiert, ihn nährt und kräftigt. Ein solcher Christ steht auf der Höhe, wo die Sonne nie untergeht, wo es helle bleibt, wie schwarz auch die Nacht über den Tälern liegt.
Mädi freilich stand nicht auf dieser Höhe in ihrem goldenen Lichte. Mädi hatte es umgekehrt. Mädi mußte fortwährend bis über die Knie im Kote der Not stehen und nach Herzenslust darin plätschern können, um wohl zu sein, und wenn wohltätige Geister ihm einen Feenpalast erbaut und darin es umringt hätten mit allen Herrlichkeiten der Welt, es hätte da erst recht zu branzen und aufzubegehren angefangen. Von wegen, und das merke man sich, um zufrieden zu sein, das heißt über der Not zu stehen, kömmt es nicht darauf an was man hat, sondern darauf wie man ist. Hatte es sich früher übel gebärdet, wenn es Milchfasten war, so gebärdete es sich jetzt noch übler wegen zuviel Milch, denn natürlich gewähren vier und fünf Kühe zuzeiten einen rechten Milchreichtum. Es werde nicht fertig mit Ausrichten, klagte es, es wisse nicht, wo sie stellen; man käme zu armen Tagen wegen den Milchkacheln, hätte den ganzen Tag nichts zu tun als zu waschen und zu brühen, und meine man fertig zu sein, so gehe erst das Anken an, und die Seele aus dem Leibe müsse es sich trüllen.
Es schimpfte aber auch über das Verkaufen von Milch, da wollte es ein Narr sein und einem jeden Bescheid geben, in Keller laufen für zwei Kreuzer oder drei, dazu noch in der Rechnung haben, wieviel jedes schuldig sei, und zuletzt gar nichts bekommen, so daß es einem nur dest täuber mache, je besser man sich an die Schuld erinnerte. Es schimpfte über Sami, der an allem schuld sei, der sei so ein Milchhung, dem man nie genug deren geben könne und jetzt meinen werde, es solle morgens und abends eine Bütte voll auf dem Tische stehen. Aber dem wolle es es reisen, erst jetzt müsse der ihm recht Mehlsuppe fresse, und zwar so recht schön weiße, daß er meine, sie hätte die Auszehrig. Nebenbei räsonierte es noch über jegliche Arbeit auf dem neu erkauften Lande und über jegliche Frucht auf demselben. Für kein Lieb hätte man es bewogen, Rüben zu kochen, welche auf einem der neuen Äcker gewonnen worden. Sie hätten akkurat eine Kust wie Katzendreck, behauptete es, kein Schwein wolle sie fressen, und wenn sie gebraucht sein müßten, so könnte das Mannevolk sie selber kochen und fressen oder sie den Kühen geben, selb sei ihm glych, aber in die Küche solle ihm keine.
Diese Reden taten Anne Bäbi bsunderbar wohl, sie wirkten bei ihm wie bei andern Leuten ein Gläschen Schnaps oder sonst was Belebendes, sie knüpften es immer besser ans alte Leben an, reizten seine Tätigkeit auf und brachten es wieder ins alte Geleise, zur tätigen Teilnahme am Kampfe mit dem Mannevolk, der umso lebhafter ward, je reger das Leben desselben sich gestaltete.
Wenn Viehstand und Land sich mehren, so mehrt sich in einem Hause natürlich auch der Verkehr, es ist mehr zu kaufen und zu verkaufen, es kommen mehr Leute zum Hause, und man muß öfterer vom Hause, es wächst die Sorge, und die ruhige Behaglichkeit geht mehr und mehr in eine bewegliche Geschäftigkeit über und steigert sich bisweilen bis zum fieberhaften Ängsten. Je mehr Vieh man hat, desto leichter kehren Krankheiten ein in den Ställen, und je mehr man kauft und verkauft, desto öfter kann man übervorteilt werden. Und wenn ein Mensch aus langem Schlummer erwacht, und er meint, er habe sich verschlafen, so eilt er gerne umsomehr, je mehr er glaubt versäumt zu haben.
Als Jakobli zagend und zögernd einen Lichtstreifen aus seinem innern Leben blitzen ließ, da gedachte er nicht, daß diese einzelnen Streifen zusammenfließen, zu einem festen Körper sich gestalten, zu einem äußern, seinem Innern entsprechenden Leben werden würden. Es ist ein Eigentümliches mit diesem Durchbruche eines lange verhaltenen oder eines neu entstandenen innern Lebens, welches das bisherige Leben verschlingt und den Menschen als einen ganz andern darstellt, als er bis dahin erschienen und auch gewesen. Ein solches Heraustreten des innern und Verschlungenwerden des bisherigen äußern Lebens nennt der Christ, wenn nämlich das neue Leben das rechte christliche ist, Wiedergeburt, das Hervorbrechen selbst wird Durchbruch genannt.
Man würde sich aber sehr irren, wenn man annehmen wollte, daß das neu hervorbrechende Leben immer ein christliches sein müßte, der Durchbruch immer ein geistiger; es kann inwendig ein ganz neu Leben entstehen, das alte verschlingen, welches keine christlichen Lebenszeichen in sich trägt, es kann aus dem Verschwender ein Geizhals werden, ja aus dem Geizhals, was man selten glaubt, ein Verschwender. Wenn nämlich ein alter Geizhals Witwer wird und auf einmal die alte, erloschene Fleischeslust neue Flammen schlägt, so sehe man zu, wie die neue Lust den alten Geiz verschlingt, der alte Mann ärger tut als ein junger Narr.
Es gibt viele Menschen, bei denen irgendwie und früher oder später Neues Altes verschlingt; aber sehr irren würde man sich, wenn man meinen wollte, der Durchbruch müsse immer ein plötzlicher, allen sichtbar, Stunde und Minute desselben genau zu bezeichnen sein. Diesen sogenannten Durchbruch sieht man oft so wenig als man Pflanzen aus dem Boden kommen sieht; nicht einmal der Veränderte, in welchem das Neue das Alte gefressen, die jungen Kühe die alten, sieht die Veränderung, wird sich derselben bewußt. Dann geschieht freilich auch oft, daß ein inneres Leben nie zum Durchbruch kömmt, nie zur äußern Gestaltung gelangt. Es gibt Herzen, in denen wieder vergeht, was darin entsteht; nur schwaches Leben regte sich in ihnen, oder eine zu harte Kruste hatte das Bisherige ums Herz gelegt, sie zu sprengen vermag das Neue nicht.
Es gibt aber auch Verhältnisse, Umstände, Umgebungen, es gibt eine Atmosphäre um den Menschen, in welcher das durchbrechende Neue nicht reflektiert, sich nicht gestalten kann; es strahlt wohl aus, aber es erlöscht wieder, weil es keine Nahrung findet, sinkt in sich zusammen, erscheint zuweilen wie ein junger Frühlingstag, aber am folgenden Tage ist es wieder entschwunden wie der Frühlingstag, welchem ein tötender Reif gefolgt, wie eine Sternschnuppe, die vorüberfährt.
Da ganz besonders sind dem Menschen Gottes Ratschläge unerforschlich; in tiefer Demut muß er sich beugen, wenn Gott es ihm verwehrt, das Beste, welches er in sich trägt, zur äußern Gestaltung kommen zu lassen; da ists, wo der Mensch das stille Genügen erlernen muß, das zufrieden ist mit dem Besitz, wenn die Welt ihn auch nicht sieht, zufrieden bleibt in dem Bewußtsein, von Gott gekannt zu sein, zufrieden zu sein, höhere Kräfte in sich zu tragen als die Welt zu deren Entfaltung Raum gibt, Gott zu danken dafür, daß er es nicht umgekehrt, es nicht geordnet wie an tausend Andern, denen herrliche Weiten angewiesen, in welche sie sich munter vorgedrängt und jetzt darin nichts zu machen wissen als spazieren zu führen ihre Jämmerlichkeit, die alle Tage jämmerlicher wird und alle Tage den Spektakel größer macht, sie alle Tage verachteter.
Nach diesen Betrachtungen könnte man glauben, Jakobli hätte nach großen Dingen getrachtet, hätte Kilchmeier werden wollen, Präsident an einer Wahlversammlung oder gar Hüttenmeister bei einer Käserei oder gar ein Auge gehabt auf den bernerischen General-Kantonalgenialstab, hätte Heldentaten verrichtet, Rechte an einer Käshütte genommen, häufig die Faust im Sack gemacht, dazu das Maul vollgenommen oder sonst etwas, worin die heutigen Heldentaten bestehen mögen; aber sehr würde man sich irren, so weit verstieg sich Jakobli nicht; Jakobli sinnete nicht weiter als an mehr Land, bessern Abtrag, größere Bschüttilöcher und mehr Mist. Wenn er mit Sami auf dem Bänkli saß oder im Stalle war, so drehte sich ihr Gespräch um diese Dinge, und ging er wo aus, so sah er sich die Augen aus, wo etwa ein Acker feil sein könnte, was auf jedem Acker stehe, ob Bersette oder Luzerne, ob schöneres oder schlechteres Korn als sie hätten.
Zudem fing ihm das Handeln an zu gefallen, und wenn er am Morgen zMärit wollte, so tanzten ihm die Nacht davor die schönsten Rot- oder Schwarzblöschen auf dem Hauptkissen und auf dem Dackbett herum. Am Morgen wanderte er mit geschwollenem Herzen wie der Held zur Schlacht dem Markte zu, und wenn er heimkam, so mußten alle seinen Einkauf bewundern, er entdeckte immer neue tugendhafte Eigenschaften, konnte vor Freude wieder fast nicht schlafen, war am Morgen der erste im Stalle; die Freude dauerte bis Fehler zum Vorschein kamen, bis es sich zeigte, daß nicht alles Gold sei, was glänze, bis Sami die Achsel zuckte und meinte, es sei lätz gegangen, daß er nicht dabei gewesen, zu dem Kauf hätte er nicht geraten.
Dann ward Jakobli kleinmütig, es dünkte ihn, er möchte das Tier nicht mehr ansehen; wenn es nur wieder zum Stall heraus wäre, möchte es gelten, was es wolle, und Hansli mußte wehren, mußte seine ganze Zähigkeit zu Hülfe nehmen, um übereilten Verkauf zu hindern. Das sei nichts anders, sagte er. Lehrgeld müsse ein jeder zahlen; wenn er schon meine, er könne es, so müsse er es doch immer wieder erfahren, daß der schlausten Katze auch Mäuse entrönnen. Wenn man noch einmal so viel Kühe halten wolle, so müsse man noch einmal so viel handeln und also gewärtig sein, noch einmal so viel betrogen zu werden.
Drei Sachen solle er nie vergessen, so werde es schon gut kommen. Wenn er bei der Gewicht handle, so müsse er immer daran denken, daß zwischen lebendig und tot Wägen ein großer Unterschied sei; es wisse das noch mancher Ratsherr nicht. Wenn er frage, ob eine Kuh trage, und der Verkäufer sage ja und verfluche sich, daß sie trage, so müsse er sich wohl achten, ob derselbe etwa über die Kühe herein liege oder sich mit dem Ellbogen darauf lehne. Tue derselbe dies, so müsse er sagen, er sehe wohl, daß sie trage, aber er meine nicht dä Weg, mit einem zweibeinigen Kalb wüßte er nichts zu machen. Und endlich müsse er von allem, was man ihm sage, gäb wie man sich verschwöre, immer nur das Halbe glauben, und das sei manchmal noch zu viel. Wenn dieser Räte ungeachtet Jakobli übers Ohr gehauen wurde, und das geschah, trotzdem daß Hansli oder Sami bei ihm waren, so machte Hansli keine Vorwürfe; das sei gut für ein andermal, sagte er.
Jakobli hatte die Unart, welche große und kleine Kinder haben: was ihm gefiel, das fand er wohlfeil, an dem sah er keine Fehler, das, meinte er, müsse er haben, und die andern Beiden ließen sich nicht selten von ihm ihre Bedenken ausreden und entlehnten seine Augen zum Sehen. Er hets emel welle ghebt ha, trösteten sie sich dann, er wirds scho no lehre, mi muß ihm emel allbeeinist dr Wille la; um es paar Krone ists de notti nit gfochte, we me se het, un es ist besser, er bruch se dä Weg als öppe mit em Wybervolch oder mit Schlägereien. Es ist einem jeden etwas geordnet, und wenn er das Geld nicht dä Weg brucht, su chunnt er e angere Weg drum. Es gebe Einen, der auch niemand was gönne, sich selbst keinen Schoppen, aussehen tue er wie die teure Zeit, und wie gehe es dem? Wenn der zu einem Spiel komme, so verführe ihn der Glaube, er sei der Schlauste uf dr Welt, e kene so, zum Mitmachen. Da mache er einen Taglohn, denkt er; noch mengs Mal könne er laufen, gäb daß er aufmachen könne, was hier zu gewinnen sei; was gut Lüt einem steckten, könne man nicht rechnen. Und so oft es ihn gäbe, schlage es ihn in den Graben, u ke Mönsch wüß, was ne sy Aberwitz afe gschadt heyg.
Wer so sich trösten kann, hat einen großen Vorsprung vor Andern und namentlich vor dem, welcher in allem Böses findet und Bitteres; es ist gerade, als wenn der Eine Honig aufs Brot striche, der Andere Galle; Brot ist Brot, und beide haben das gleiche Brot, und doch hat es eine ganz andere Kust.
Mädi erfuhr das. An dem Gläuf und Handeln hatte es seinen fürchterlichen Ärger, es war was Neues, es mußten mehr Schuhe gesalbet werden, und dann hätte man Beispiele genug, wohin das führe, sagte es. Es kenne manchen alten Hudel, der es nie geworden wäre, wenn er immer daheim geblieben wäre. Am meisten Galle machten ihm die Metzger und ihre Hunde. Es sei nicht mehr dabeizusein, klagte es; man möge vor das Haus kommen, wann man wolle, so stehe ein Uflat davor, und sobald man öppe einist abhocke, so brülls i dr Kuchi usse: «Heyt dr nüt Feißes?» Und dann sei noch vor ihre verfluchte Hünge nichts sicher, kein Huhn, keine Katze, und wenn an einem Orte was zu fressen sei, so schmöckten sie es durch sieben Zäune durch, ds Katzenkacheli sei immer leer, es möge dareintun, was es wolle. Wenn es Einen mit einem roten Gilet sehe das Feld auf schießen, so duechs mengist, es möcht dr Tüfel sy ume für e Viertelstung, dem und sym Hung wetts es reise, die chäme nit ume. So ward auch das einförmige Leben dieses Hauses bewegt, vom Ufer war die Kette gerissen, es begann einem Kahne gleich sich zu schaukeln auf den Wellen des Zeitgeistes, dem Trachten nach vermehrtem Erwerb, nach besserm Rentieren, nach mehr Prozenten.
In diesem bewegtern Leben war Meyeli dem Sonnenstrahle gleich. Worüber er schwebt, darauf wirft er einen freundlichen Schein; man stößt sich nicht an ihm, er ist niemand im Wege, aber heitrer wird es in einem selbst, ohne daß man sich dessen bewußt wird im Herzen, unwillkürlich sucht man seine Nähe, setzt sich in seine freundliche Wärme. Als Sohnsfrau sollte es, seit Anne Bäbi krank war, dessen Stellvertreterin sein, die Hausfrau. Nun ist das kein leicht Stücklein, neben so einem alten Hauskäs die Meisterschaft zu führen und noch dazu, wenn die alte Meisterin noch da ist und jeden Tag mehr der Sache sich achtet. Da gibt es sonst Kompetenzfragen und Kompetenzstreitigkeiten jeden Fingerslang; was das Eine tut, will das Andere machen, aber zu einer andern Zeit und ganz anders, und eins schießt hier aus, das andere dort aus, eins brüllet, das andere pläret, eines klagt in der Stube, das andere im Stalle, kurz, es ist ein Elend. Tröstet man, man müsse Geduld haben und sich in die Sache schicken, so ist man selbst ein Uflat und hat es mit den Andern; hilft man und gschirret aus, so wird das Übel noch ärger, und handkehrum wird einem vorgeworfen, man habe kehrum alle auf der Mugge und ja erst kürzlich mit diesem oder jenem so wüst getan, es sei kein Wunder, daß man jetzt selbst an die Reihe komme. Wie sich eins rührt, stößt es an das andere, es ist beseelte Materie, die immer da sein will, wo andere Materie sich bewegt, die jede dieser Bewegungen nicht dulden will, sie schmerzlich fühlt, es ist das Reiben krankhafter Glieder aneinander.
Aber eben das ist die Natur des Sonnenstrahls, daß er nichts schmerzlich reibt, daß nichts ihm feindlich im Wege steht; wo er nicht durch kann, da umfließt er das Eine mit reichem Lichte, und wo er das nicht kann, da zürnt er wieder nicht, sondern beleuchtet freundlich und erquicklich das ihm Entgegenstehende. Das ist die wahre Geistesmacht, welche nichts zwängen will, aber das Eine verklärt, das Andere durchdringt. Das ist die eigentliche christliche Macht, die nicht mit dem Schwerte dreinschlägt und doch die Welt überwindet; das ist die wahre Sonnenmacht, warum Christus das Licht der Welt genannt wird, also nicht dessetwegen, weil er uns etwas Neues sagt, sondern weil er Gewalt hat und diese Gewalt im Reiche der Geister wirket unmerklich, aber unwiderstehlich wie die Sonne in und über der Erde.
Meyeli hatte mit Mädi nie Streit, ebenso wenig als mit Anne Bäbi, es kam ihnen nie in den Weg, jedes sah es an seiner Seite, denn jedem wußte es etwas Freundliches oder Lächerliches zu sagen, und jedes meinte, Meyeli helfe ihm so bloß nach, wo es nicht kommen möge, und wolle bei ihm lernen, wie man es machen müsse, und Mädi tat dann noch einmal so emsig, und Anne Bäbi nahm sich zusammen und sagte, nicht die hundertsti Schwiegere hätt die Geduld gehabt mit einer Schwiegertochter u sövli us ere gmacht wie es. Wo sie gekommen, sei sie in Gottes Name ume es Schlärpli gsi, u jetzt söll me se luege!
Indessen war es nicht, daß nicht beide über Meyeli klagten und branzten. Wenn der Engel Gabriel zu solchen Weibern käme, sie müßten mit ihm gekifelt haben und umso mehr, je lieber sie ihn hätten. Mädi war mit Meyeli nicht zufrieden, weil es Anne Bäbi ästimierte und es viel zu Rate zog. Man müsse es Babi sein, wenn man einen solchen Sturm sövli achte und gar zu ihm zRat wolle, bsungerbar wenn man jemand an der Hand habe, der es einem hundertmal besser sagen könne. Anne Bäbi klagte, man sehe wohl, daß es nur so von geringe Leute nache sei, es dörf i Gottsname nüt befehle u niemere nüt säge, da lasse es Mädi sauen und kaaren, wie es nur wolle, darum gehe es auch so schön. Aber wohl, wenn es wieder nache möge, es well de, Mädi müsse rangiert sy, daß es wieder wüß, daß es e Meister heyg.
Beide waren aber wiederum darin einig, daß Meyeli e junge Gali sei u mit em Mannevolk dr Narr mach, daß me si fry schäme müß. Es syg no jungs u wüß no nit, was me so am ene Schnürfli heyg, u wie me mit ne umgah müß. Es sei schad um ihns, aber es werds wohl no lehre, mi müß es ume la mache, es werd ihm scho vo selber erleide; aber manchmal spreng es einem fast dWäng uf mit seinem narrochtigen Wesen. Wenn Mädi es zuweilen im Schopf oder im Stall mit dem Mannevolk freundlich reden sah, so pflegte es zu sagen, das sei auch noch von denen eins, wo man mit einem Mannebein locken könne wie einen Hund mit einem Hammenbein. Wenn es aber einmal erfahren habe was es, so werde es ihm wohl gehen wie ihm; ihm gruse es ab dem Mannevolk ärger als ab gschundnige Krotten, die Möffe, was sie seien.
Das redeten sie nicht etwa im Verborgenen, daß Meyeli nichts davon merkte oder an den Türen oder hinter Ecken horchen mußte, wie Sühniswyber oft tun sollen, wenn sie etwas vernehmen wollen. O nein, das alles konnte Meyeli hören, wenn es wollte, man nahm sich in diesem Hause mit dem Reden gar nicht in acht, das heißt, das Weibervolk nicht; aber Meyeli ward nicht böse darüber, die Worte fanden in ihm nichts, welches sie entzünden konnten, mit einem freundlichen Worte brach es ihnen die Spitze ab, sie verloren alles Gift und wurden harmlose Erschütterungen der Luft, heilsame Entleerungen der Lunge.
Aber eben darum waren alle gern um ihns, und darum sollte es auch bei allen sein, und hier rief man es, dort wollte man es haben, alle forderten seine Teilnahme, legten wie in einen großen Schrein bei ihm alles nieder, was sie in Lieb und Leid bewegte. Alle waren mit sich beschäftigt und ihren Ideen, das heißt mit dem, was ihnen durch den Kopf ging, und was förderte, was hemmte, das bemerkten sie, darüber redeten sie, dabei war Meyeli allen notwendig. Aber sie hatten es mit ihm fast wie mit der Luft, welche man einatmet und zu allen Dingen braucht: man kann sie nicht entbehren, und doch denkt man nicht an sie; je nötiger man sie hat, umso weniger wird man sich bewußt, daß die Luft alles in allem ist; so war es mit Meyeli.
Sie bemerkten es, wenn es nicht da war; wars aber da, so war es ein Lebenselement, dessen man sich erfreut, ohne seiner nur sich bewußt zu werden, es war jedem nötig, aber daß es etwas nötig hätte, daran dachte niemand. Es klagte nie; hätte es ein Wort gesagt, so wäre alles ihm dienstbar gewesen. Da es selbst nehmen, brauchen konnte, was es wollte, so dachte kein Mensch daran, ihm etwas anzubieten, dieses oder jenes ihm abzuwehren oder aufzudringen.
Aber wenn es einmal zur Seltenheit in seinem Stübchen ruhen wollte oder des Morgens nicht füre mochte, so war es jedermann, als müsse es was suchen, eins ums andere frug draußen: «Wo ist Meyeli?» Dann ward es drinnen Meyeli himmelangst, und half das Fragen nicht, so kam Eins nach dem Andern an die Türe und sagte: «Du sollest neuis cho lose!» oder schoß hinein wie im Vergeß und sagte: «Bist du da? Ha di nume welle frage, usw.» «Ich komme plötzlich», sagte dann Meyeli. «Nei, blyb ume!» hieß es dann, «häb di still, mr cheus notti.» Wars aber dann in fünf Minuten nicht draußen, so schoß wieder jemand hinein und sagte: «Ich ha gmeint, du chömist nache; nit, daß di pressiere well, aber du söttist säge, wie me das mache sött, oder wo äys syg.» Dann war es natürlich mit der Ruhe aus, und Meyeli mußte auf die Beine, es mochte mögen oder nicht, es erfuhr, was Unentbehrlichkeit nach sich zieht.
Ach, wie wohl kömmts dem Menschen, daß er nicht der liebe Gott sein muß, es ihm niemand zumutet, ihm, dem armen Menschen in seiner Gebrechlichkeit, der Ruhe so nötig hat, und dem Geschäftigkeit soviel Unruhe macht, so große Pein, daß ewige Ruhe zum höchsten Glück ihm wird! Diese ewige Ruhe ist aber nicht des Todes Ruhe, sondern die Ruhe, die mitten im Schaffen über dem Bewußtsein schwebet, daß die inwohnende Kraft allem vollkommen genügt, nie ermattet, nie zu spät kömmt, nie zu spät fertig wird. Diese Ruhe in der Schlacht, diese Ruhe in des Lebens Kampf ist das Zeichen des Helden, welches aber nie ein Mensch in seiner Vollständigkeit je erworben hat, und doch, wie klein ist des größten Menschen Aufgabe gegen die Aufgabe dessen, zu dem täglich so viel tausend Bitten steigen, und der noch Augen haben muß für so viel Milliarden, die nicht bitten können, nicht bitten mögen! Aber wie mancher Leib ist schon gebrochen, weil die Ansprachen die Kräfte überstiegen, das Gleichgewicht zwischen Sollen und Vermögen sich nicht fand, in fieberhaften Schwingungen die Bänder brachen, welche Leib und Seele zusammenbinden! Diese gebrochenen Leiber gehörten zumeist Müttern, Mutterherzen sind die Freistätten, in die die Treue sich geflüchtet hat aus der treulosen Welt, in welcher das Maul die Hauptrolle spielt und die Selbstpflege die Hauptkunst ist und der der Hauptkerl, der das Ungereimteste von sich zu geben imstande ist.
Das Gefühl, allen alles zu sein, war Meyeli hoch und wert, erhielt ihm frohen Mut, wenn auch zuweilen die Mattigkeit wie eine dunkle Wolke seine Heiterkeit überschatten wollte. Es besaß den herrlichen Sinn, der in der Gegenwart sich immer an dem erhebt und stärkt, was unerwartet gut, besser ist, als die Vergangenheit erwarten ließ und als sie darbot, so wie es einen andern umgekehrten Sinn gibt, der kein Gedächtnis hat für das Übel in der Vergangenheit und kein Gefühl für das Gute in der Gegenwart, sondern nur für das Drückende, welches in jedem Leben ist, welches daher in beständigem Jammer schwimmt, daß das Vergangene vergangen, das Gegenwärtige gekommen sei. Das ist ein unglücklicher Sinn, und unglückliche Jammerbüchsen sind solche Menschen.
Meyeli freute sich seines sichern Daseins, der Liebe, welche alle zu ihm trugen; wie so ganz anders war es damals, als Seppli den ganzen Tag mit ihm hässelte, ein dünnes Kitteli um seine schlanken Glieder hing und es zweifelhaft war im Herbste, ob es neue Winterstrümpfe kriegen oder die alten neu gfürfüßet werden müßten. Gegen dieses Glück schien ihm, was es zu tragen hatte, nicht beachtenswert; darüber zu klagen, hätte es für schlecht gehalten. Mit nichts könne man sich mehr versündigen, dachte es, als mit Klagen, wo man doch alle Ursache hätte, Gott zu loben und zu preisen. Da es aber nichts klagte, so nahm man an, es hätte keine Ursache zum Klagen, denn wenn neuere was weh tue, so seis der Brauch, daß ers säge, sagte man, und wenn also einer nichts sagt, so tut ihm nichts weh, so schloß man. Man sieht, es ist schwer, die rechte Mitte zu treffen, und wenn schon alle das Sprüchwort kennen: «Zu wenig und zu viel verhöhnt alle Spiel», so gibt es doch wenige, «welche es fassen, was zu wenig, was zu viel ist, und den rechten Maßstab haben für das Ebenrecht.
Die Subjektivität zur Objektivität zu erheben mag wohl nirgends schwerer sein als gerade hier. Dazu kam noch, daß Meyeli, seit die Haushaltung hauptsächlich ihm oblag, mit Speise und Trank sich nicht in acht nahm, nicht an sich dachte. Meyeli war kein verzogenes Ding gewesen, sondern war von harter Gnade, das heißt von solcher, die wenig gab, aber das wenige alle Tage aufrückte, abhängig gewesen; als es nun in andern Stand kam, überhob es sich nicht, meinte nicht, es möge nun alles erleiden, und das früher zu Wenige müsse jetzt auf überschwengliche Weise gutgemacht werden. Anne Bäbi war gut gegen ihns, das heißt, für passende Speise und Trank sorgte es jederzeit; es möchte de öppe nit, daß ds Sühniswyb es gang ga vrbrülle, sagte es. Jetzt, da Anne Bäbi der Sache sich nicht annahm, sorgte niemand weiter für ihns; es stund alles in seiner eigenen Hand, es konnte ja nehmen, brauchen, was und wieviel es wollte, kein Mensch achtete sich dessen.
Aber was eine Andere nach Herzenslust getan hätte, das brachte es nicht übers Herz; für ihns seis nicht dr wert, was Apartes zu machen, dachte es, es sei sich nit z'tue, es möchte nicht, daß man meine, jetzt, wo es die Sache hätte, könnte es nicht genug an die Sache tun. Es lag sehr mächtig in ihm das Gefühl vor, dem es zwar keine Worte gab, das aber mächtigen Einfluß auf sein Tun hatte, daß es nichts eingebracht, an all den Vorräten, dem Besitztum nichts gesteuert hätte, daß alles, was es brauche, aus Jakoblis Sache gehe.
Manche Andere, welche nichts eingebracht, aber so reich eingesessen, hätte gemeint, die Kunst sei jetzt, so viel als möglich zu brauchen, sich recht wohl sein zu lassen, den andern die Lust zu vertreiben, es einem etwa vorzuhalten, daß man nichts eingebracht, selbst zu sagen zum Manne: «Du mußt nicht etwa meinen, weil ich nicht reich gewesen, lasse ich mich jetzt unteretun, jawolle! Du hast gewußt, wieviel ich habe, warum hast du mich genommen, ich bin dir nicht nachgelaufen. Meinst öppe, ich hätte dich wege dr Hübschi gno? Wenn ih nit hätt chönne denke, ih chönnt öppe myr lebelang gut ha, ih hätt di nit mit em – agluegt, daß dus de weißt, du Lädi, was de bist!»
So redete Meyeli aber nicht; was es brauchte, nahm es immer als von einer anvertrauten Sache und konnte einer Art Angst sich nicht erwehren, es könnte zu viel nehmen, und die Leute möchten glauben, es sei ihm nur ums Brauchen, und es hätte es auch, wie man Bettelkindern nachrede, die nichts von Husen wüßten, sondern meinten, es müsse alles eines Tages gebraucht sein, und wenn sie es des Tags nicht möchten, die Nacht zu Hülfe nehmten. Freilich kam es ihns zuweilen an, Jakobli sollte ihm sagen: «Nimm doch, brauch doch, mach etwas für dich!» Es wollte ihns fast dauern, daß ers nicht tat, daß er ihm nicht mehr ansah, was ihm fehlte, was es hätte, daß er ihm hauptsächlich von dem Lande redete, von Kaufen und Verbessern, sich kümmerte um eine Kuh, die nicht fressen wollte, nicht sattsam Milch gab, ihr abpassen konnte und des Tages manchmal sagen: «Es duecht mi, es well ere bessere, si nähm ds Fresse gleytiger, u dMilch well o afe cho.» Es mochte auch zuweilen nicht essen; er sagte ihm nie: «Fehlt dr?» oder: «Mach dr öppis angers!» Das Arbeiten ging ihm oft so genug, er sagte nie: «Mast nit, las doch sy, es ist de nit, daß de di töte söllist.»
Der gute Jakobli dachte nicht daran, daß er eine Frau, welche alles unter den Händen hatte, heißen müsse etwas machen, und seine Mutter hatte auch oft bei Tische nicht viel gegessen, aber nach dem Grunde war nie gefragt worden. Wer wollte auch so unverschämt sein und eine Bäurin über Tisch fragen, warum sie nicht so viel esse als die Magd, die kein Hinterstübli hat und keine Zeit, für ein Kaffee oder einen Eiertätsch zu sorgen, und keinen Kuchischaft hat, in welchem eine Platte mit Fleisch steht, und keinen Keller, wo Käs und lindes Brot ist. Und wenn die Mutter nicht werchen mochte, so hörte das ganze Haus ihre Klagen, wie ds Mannevolk je länger je wüster werde un i Bode ache ke Vrstang meh heyg; da sött me geng werche, bis me alli Vieri von ihm strecki, aber dene Donnstigs Knüdere täts es nit zum Gfalle, daß es si töti, es well zun ihm selber sorg ha, sövli witzig sei es noch, es möcht de notti nit, daß si dFreud hätte, wenn es si zTod wercheti. Da Mädi das getreue Echo von Anne Bäbi war, wenn es gegen das Mannevolk ging, so redete es in ähnlichen Fällen ähnlich. Was Wunder also, wenn es Jakobli nicht in Sinn kam, nachzufragen, wenn jemand nicht aß, oder nicht aufzumerken, ob jemand nicht werchete! Aß jemand nicht, so dachte man, er werde schon gehabt haben oder auf Besseres warten; werchete jemand, so dachte man, er werde arbeiten mögen, möchte er nicht, so würde er es schon sagen.
Wenn einmal in einem Hause eine bestimmte, althergebrachte Weise ist, so ändert sich die nicht, und wenn jemand da mitten hineinfällt, so ists fast, als ob er auf einen andern Planeten käme, wo die Menschen ganz anders beschaffen sind als er, zum Beispiel eine ganz andere Haut haben als er und eine andere Redeweise, und sehr lange geht es ihm, bis seine Haut und seine Redeweise auch so geworden sind wie die der andern. Nur zu oft wird die alte Art von dem Jemand und die neue Art der Jemand von den Alten für Bosheit genommen, für absichtliche Kränkung, und das Reiben fängt an, das so oft Herz und Mark zerreibt. Zumeist jedoch bildete sich mit der Zeit die nötige neue Haut, wenn nichts Scharfes und Ätzendes zwischen die Reibenden gegossen und geschmiert würde. Aber das ist eben das Böse, daß der Böse so gerne die Nase zwischenein steckt und das Reiben immer giftiger macht, immer ätzender. Die Geriebenen rufen ihn selbst herbei, sie klagen, was sie beißt, und wem sie klagen, der reibt gewöhnlich Salz und Pfeffer ein, das heißt, er tröstet, das heißt, er gibt dem Klagenden Recht und reiset ihn auf. Das tut ihm für den Augenblick wohl, aber es verschlimmert die Wunde, macht sie giftiger und reizt zu verstärkten Reibungen.
Nun aber klagte Meyeli niemanden, wenns ihm schon im Herzen wehe tat; es tröstete sich selbst und munterte sich auf. Alles könne man ja nicht haben auf der Welt, dachte es, und besser hätte es es doch als es je hätte erwarten können, und wenn manche arme Frau es so hätte, sie würde Gott nicht genug danken können. Jakobli meins ja gut, aber er sinns nit, und wenn es es sagte, wies ihm wäre, er würde schon dazu tun und ihm borgen mit Werchen und Essen. So goß es sich selbst den rechten Balsam in die Wunde, und wenn die Weiber alle, welche darüber unglücklich werden, weil die Männer nicht stark auf dem Erraten sind und nie merken wollen, wo sie der Schuh drückt, also täten, es wäre Manche weniger übel in der Welt, und der rechte Doktor fände sich vielleicht noch, oder sie selbst fände endlich die große Kunst, nicht nur zu schweigen, sondern auch zu reden zu rechter Zeit.