Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Der Vikar hatte keine Ahnung, daß der Pfarrer ihn milde beurteilte und beim Doktor ihm zBest redete; er dachte sich die Menschen um sich herum viel böser und feindseliger als sie waren, was uns allen übrigens hundertmal begegnet im Leben. Er war bei Jowägers gewesen und war dort nicht zu Anne Bäbi gelassen worden. Hansli hatte den Auftrag, ihn abzuweisen, übernehmen müssen, als man ihn kommen sah. Er hatte ihm gesagt, es bigehri neue niemere z'gseh, u ds Rede mit ihm syg verbote. Da hatte der Vikar gesagt, er wolle wiederkommen, wenn er denke, daß es gebessert hätte, Hansli aber sagte, er solle nicht Müh haben, dr alt Herr heyg neue gseit, er well öppe umecho, Anne Bäbi syg a ihn gwahnet u schüch ne minger. Aber wenn er sust well ychecho, su söll er ume cho; ds Sühniswyb könn ihm es Kaffee mache, wenn er mög.
Das wollte der Vikar nicht; denn er ward böse und meinte, der alte Herr hätte gegen ihn aufgewiesen; er war aber zu schüchtern, auszupacken und zu sagen, man werde ihm doch Anne Bäbis Zustand nicht schuld geben wollen, der komme vom Herrn und werde schon zum Guten führen, wenn man in der Arbeit an seiner Seele fortfahre und nicht die Hand vom Pfluge ziehe. Er verwerchete seinen Zorn und doch wiederum seine Angst in sich selbst, ergoß sie teilweise in seine Predigt über den Text: «Ich schäme mich des Evangeliums Christi nicht.»
Aber bei jedem Essen sog er neuen Ärger ein. Er beobachtete alle Blicke, meinte in jedem Hohn zu sehen und ein geheimes Winken und bezog alle Worte auf die wunderlichste Weise auf sich. Wenn zum Beispiel Sophie sagte, es gebe bös Wetter, Schnecken liefen über den Weg, so glaubte er, Sophie stichle auf ihn, weil er ausgegangen gewesen, und wenn sie sagte, die Hühner werden heute manch Ei gelegt haben, sie hätten den ganzen Morgen gegaggelt, so nahm er das wieder auf sich, denn er hatte halblaut seine Predigt auswendig gelernt. Und doch durfte er auf solche vermeintliche Sticheleien nicht antworten, er mußte sich stellen, als merke er sie nicht, konnte nichts als kupen und böse Augen machen und schnauzen und allfällig eine Türe hart zuschlagen. Oh, ein Vikar ist übel zweg, wenn er sich so verraten und verkauft glaubt in einem Hause, besonders wenn er verdrückter Natur ist und so Tag um Tag sein Ärgernis in der Einsamkeit verwerchen muß. Er hat nicht nur unglückselige Tage, sondern es setzt sich so gerne eine Bitterkeit an, welcher er sein Leben lang nicht los wird; wer einmal von solchen Stimmungen begwältiget wird statt sie zu begwältigen, der bleibt gerne ihr Sklave sein Leben lang.
Da traf es sich einmal, daß das Mamali alleine daheim war, Papa und Sophie waren zum Besuch. Die gute Frau hatte das Verhältnis schon lange geplagt, denn ihr war nicht wohl, wo nicht Friede war, sie besaß eine Gutmütigkeit, die nie ohne Schmerz jemand böse sehen konnte. Sie war jeden Augenblick bereit, dem guten Vikar die treueste Mutter zu sein ohne alle Nebenabsicht, und war von Sophie schon manchmal hart getadelt worden über ihre an Tag gelegte Gutherzigkeit, weil der Vikar sie deuten werde als ein absichtlich Netz, worin allerdings hier und da Vikars gefangen werden.
Und allerdings hatte der Vikar, dem man allerlei von hüten und in acht nehmen vorgeschwatzt hatte, es so gedeutet. Er hatte keinen Begriff von der reinen Liebe, die außerhalb dem engen Kreise der Familie ohne besondere Worte an jeglichem Mitmenschen, sei er, wer er wolle, den reinsten Anteil nimmt, und nicht nur mit Worten, sondern auch mit der Tat. Er kannte nur die Liebe, die seufzt und klagt, die Liebe mit schönen Namen, Heiland, Bruder, Schwester, die sich die Hände drückt, süß in die Augen blickt und viele Zeichen hat aller Art. Diese Liebe besaß er für seine Mitchristen, das heißt für die sogenannten Brüder und Schwestern; gegen alle, welche er nicht so nennen konnte, meinte er hart sein zu müssen, einen dringend Notleidenden hätte er erst bekehrt, dann erst bei Brüdern und Schwestern für ihn gesammelt. Er hatte darin etwas Ähnliches mit den Katholiken, die auch aus den Armen dieser Welt ihre Proselyten machen unter Versprechen von mancherlei Hülfe, die aber zum größern Teil gewöhnlich ausbleibt. Da nun die gute Frau nicht seufzte, nicht klagte, ihn nicht Bruder nannte, so begriff er ihre Liebe nicht, und Sophie hatte vollkommen recht mit ihren Warnungen.
Als nun aber Sophie und Papa fort waren, hatte die gute Frau freie Hand zu dem, was sie schon lange so gerne getan hätte, aber keine Gelegenheit dazu gefunden. Sie hatte Butter auf dem Tisch und Honig zum Kaffee, was bei ihnen selten war, weil der Herr nichts dergleichen aß. Das Mamali hatte nichts Berechnendes in ihrem Wesen, aber so gute Frauchen haben einen eigenen Instinkt, den Leuten gefällig zu sein und ihnen das Herz zu salben, als wenn es eine verrostete Türe wäre, die sich steckt. Und wirklich, als der Vikar auf das Klopfen herunterkam und Butter und Honig sah, flog ein Schimmer durch die finstern Wolken, die auf seinem Gesichte lagen.
Es ist ein seltsam Ding, das menschliche Gemüt, und auf gar manches Gemüt, das hoch oben in den Wolken schwebt, hat ein Speckbröcklein oder eine Ankeschnitte mehr Gewalt als ein Wort, das hoch oben aus den Wolken kömmt.
«Kommt und sitzet, Herr Vikari!» sagte die Frau Pastorin, «wir sind heute alleine daheim, ds Sophie und üse Herr sy ga Üflige, werde dert öppis Guts ha, darum han ih denkt, mir welle is o la wohl sy, es syg üs o öppis z'gönne. Servieret Ech mit Anke, er ist früsch, mir hey lang kei so süße gha. Ih ha denkt, es wär schad, wenn me ne nit zEhre zög. Ih ha Hung drzu gä, aber wenn Dr Schabzieger weyt oder Münze, su sägets nume, es ist plötzlich da, sust heyt Dr geng Hung gno.» «Wenn zur Selteni einem etwas Süßes vorkömmt», sagte der Vikari, «so muß man es nicht verschmähen, hat man doch Bitteres alle Tage zur Genüge.» «Eh», sagte die Frau Pfarrerin, «redet mir nicht so; so ein junger Herr, der für niemand zu sorgen und zu kummern hat, der soll das Klagen Andern überlassen, mit Klagen könnte er sich versündigen.» «Wenn sich niemand mit mehr versündigen würde als mit Klagen, wie ich klage, es wäre wohl gut, und in der Welt stünde es besser.» «Aber mein lieber Herr, was habt Ihr dann zu klagen, das sich auch dr wert, und das noch dazu gut wäre?»
«Ja, meine liebe Frau Pfarrerin, das kann ich Euch nicht sagen, Ihr verstündet mich nicht, wie man mich überhaupt im ganzen Haus nicht versteht. Ist das eben nicht Grund zu Klagen genug, wenn einen niemand verstehen will, und hat man nicht Grund genug, über die ganze Welt zu klagen, wenn die ganze Welt für nichts anders da ist als für einen zu plagen und alles zu hintertreiben oder bös auszulegen, was ich zur Förderung des Reiches Gottes tue?»
«Aber Herr Vikar, wie könnt Ihr auch so reden, das ist ja recht grüslich! Z'klage han ih o allbeeinist, zum Beispiel über ds Sophie, aber de denke ih de, ih syg selber dSchuld u heyg ihm früher zviel nahgla; und de über mi selber no. Ih weiß wohl, daß ih my Herr mengist höhn mache, daß ih vor Mengem sy chönnt und mengem Mönsch besser helfe sött, und das chlagen ih am liebe Gott mengist, aber über die ganze Welt z'chlage, das wär ja e Sünd, het se doch Gott selber gmacht! Und Ursach dazu hätt ih o nit, ih ha am lieb Gott Ursach all Tag z'danke, daß er se so gmacht het und mir so gut welle het. Es ist frylich viel Böses i dr Welt, aber viel Guts o, und mi muß eis mit em andere näh. Die böse Lüt dure mi o, und ih bete geng zu Gott für se, u wenn ih eim helfe cha, so spare ihs nit. Ih denke, wenn me gut gege emene böse Mensch syg, su gang ihm ds Herz am erste uf, und er denke, wie Gutsy e schöni Sach syg.»
«Ja, liebe Frau, Ihr begryfet mi halt nit u chönnet Ech nit a my Platz stelle, Ihr seid halt Frau Pfarrere, und ih bi nume dr Vikari, Euch legen die Leute die Hände unter die Füße, Ihr syt e guti Frau u gönnet de Lüte Esse und Trinke, und mi verfolget alles, und doch möchte ich den Menschen mehr bringen als so gradane zytlichi Spys.»
«Aber Herr Vikari», sagte die Frau Pfarrerin, «Ihr redet immer von Verfolgern und von Ursache zu Klagen, ich muß doch fragen, was Ihr eigentlich damit meint? Aparti lustig seid Ihr von Anfang nicht gewesen und habt oft ein finster Gesicht gemacht; aber ich habe dann gedacht, Ihr seiet nicht wohl, und es fehle Euch vielleicht im Magen, und hätte Euch manchmal gerne gesagt, Ihr solltet nicht so viel lindes Brot essen und nicht soviel Erdäpfelkrügeli, aber ich dachte dann, Ihr könntet es mir übel deuten und meinen, ich gönne Euch das Essen nicht, und weiß Gott, je mehr Dr esset, je mehr freuts mi, wenn Dr ume dr Mage nit verderbet, wo Dr de allbets so sur drylueget und redet, als ob Ihr die ganze Welt verachtetet.
Aber seit einiger Zeit macht Ihr nicht bloß allbeeinist ein bös Gesicht, sondern fast immer, und gebt so bösen Bescheid und so kurzen, daß mir das recht wehtut und ich schon manchmal gedacht habe, ich wolle Euch fragen, was Ihr hättet, aber es wollte sich mir nie recht schicken. Daß wir etwas verschuldet, konnte ich mir nicht denken; ds Sophie ist freilich ein unbesonnenes Ding, aber bös meint es es doch nicht, und die längste Zeit habe ich nicht gehört, daß es Euch etwas Apartes gesagt. Aber weil Ihr mir jetzt von Verfolgen redet, so muß es doch etwas sein. Und seid so gut und saget es mir; es ist so unlustig, dabeizusein, wenn jemand nicht zufrieden ist; ich kann es gar nicht ausstehen, lieber wollte ich die Haut vom Leibe geben, wenn es sein müßte und es etwas hülfe, als so im Unfrieden oder in Mißstimmung leben.»
Der Vikar wollte erst nicht mit der Sprache heraus, weil, wie er sagte, die Frau Pfarrerin das so gut wüßte als er, und daß er ihr das nicht zu erzählen brauche, von dem sicher alle Leute im Dorfe redeten.
Endlich begann er zu sagen, daß man ihn allerdings nie recht verstanden hätte, und daß sie nicht der gleichen Ansicht wären, und wie weh es einem tun müsse, für das Reich Gottes nichts tun zu können und unter Menschen leben zu müssen, die lebten, als wüßten sie eigentlich gar nichts vom Reiche Gottes. «Nehmt es nicht für ungut, Frau Pfarrerin, Ihr könnt es wohl gut meinen, aber wir sind halt nicht der gleichen Ansicht. Nun kömmt die unglückliche Geschichte mit ds Jowägers. Es ist nicht, daß ich mich da zugedrängt; was ich tat, geschah auf höhern Ruf, und wo eine Seele zu retten ist, da soll man nicht zaudern und zögern, geht ja auch der Hirt dem Schafe nach, das in der Irre schreit, und es hat mich manchmal schon hoch gelüpft, wie wenig für solches getan wird, wenn man doch weiß, wie groß die Freude im Himmel über ein wiedergefundenes Schaf ist, und wie nichts auf Erden über die Rettung einer Seele geht.
Ich gehe also hin, will die Frau aus dem irdischen, sündigen Jammer, aus der Trauer dieser Welt, welche den Fluch bringt, zu der Trauer führen, welche die Seligkeit wirket, und die Frau versteht mich unrecht (ist wahrscheinlich schon bereits verrückt gewesen, wenigstens redete sie gleich anfangs so wunderlich), will sich ein Leid antun, wird verhürschet. Jetzt soll ich an allem schuld sein; wenn man es mir schon nicht sagt, ich sehe es an den Augen an, wie man sich ansieht, wie man spöttelt, zäpfelt, und des Stichelns kann man sich auch nicht enthalten; aber was das Ärgste ist, und worüber ich mich mit allem Recht beklagen könnte, jetzt will man mich nicht mehr zu der Frau lassen. Das kömmt gewiß von hier aus, das hätten die Leute, und ich kenne die Menschen so gut als andere, gewiß nicht aus sich selbst gemacht, das ist ihnen angegeben worden. Ich will nicht sagen, daß es der Herr Pfarrer selbst getan, aber wenn nicht er, so doch der Doktor, und Mamsell Sophie wird ein gut Teil dazu beigetragen haben. Das nun ist nicht recht, nicht christlich, Leute gegen ihren Seelsorger aufzuweisen und noch dazu vom Pfarrhaus aus, und wenn einen das nicht böse machen sollte, so weiß ich doch wirklich nicht, was einen böse machen könnte; ists mir doch nicht um meine Person, sondern um mein Amt.»
Die gute Frau war ganz verblüfft über diese Anklage und wußte nicht recht was antworten; leugnen, was wahr war, das wollte sie nicht, und dem, was wahr war, die rechte Gattig geben, das vermochte sie nicht gleich. Es gibt der gutmütigen Weibchen zuweilen, die keiner Anklage, auch der ungerechtesten, begegnen können von der Hand weg, weil sie sich gewöhnt haben, das Recht Andern zuzugestehen und immer zu fürchten, sie seien im Unrecht, sie gegen ihre eigenen Leute, ihre Leute gegen fremde Leute, ihre Kinder gegen fremde Kinder. Es gibt solche Weibchen, aber, wie gesagt, dicht sind sie nicht. Eine davon war die gute Frau Pfarrerin. Sie sagte endlich: «Nein wahrhaftig, aufgewiesen gegen Euch hat sicher niemand, aber vielleicht hat der Doktor verboten, daß man jemand zu der guten Frau lasse.» «Aber geht nicht der Herr Pfarrer auch dahin?» fragte der Vikari. «Ja, Herr Vikari», antwortete die Frau, «aber unser Vetter wird es ihm erlaubt haben oder hat ihn gar dafür ersucht, und da wird er es nicht anders haben machen können als hingehen.»
«Aber Frau Pfarrere, seit wann hat ein Doktor das Recht, einem Seelsorger den Zutritt zu einem Krankenbett zu versagen? Ist nicht die Seele mehr als der Leib?» Da ward doch das Mamali bös, denn war ihr Herr nicht Seelsorger gewesen, ehe der Vikari noch in die Windeln gekommen? Es antwortete: «Aber my Herr ist on e Seelsorger, und dä ist byn ihm gsi, dem hets dr Dokter nit verbote.»
«Aber Frau Pfarrere», antwortete der Vikar, «was bin ich dann? Und hat ein Doktor das Recht, solchen Zwang zu üben, dem und diesem den Zutritt zu einem Kranken zu erlauben oder zu verbieten? Der maßt sich ein Recht an, welches kein Mensch besitzt, geschweige denn ein Doktor, der sich um seine Seele nicht bekümmert, verschweige dann um eine fremde.» «Ihr müßt das nicht für ungut nehmen, Herr Vikari. Ich weiß nicht, was der Doktor befohlen hat; aber er ist ein junger, unbesonnener Mensch, und wenn er öppis gseit het, so wird er gmeint ha, er sei für seine Kranken verantwortlich, und was sie nicht ertragen mögen, müsse er verbieten; den einen verbieten sie ja den Wein und andern das Fleisch und andern das Sauerkraut, und wie sie dann so sind, machen sie keinen Unterschied.» «Das ist eben das Elend», sagte der Vikar, «daß so einer zwischen Sauerkraut und einem Seelsorger keinen Unterschied zu machen weiß. Das ist ja gerade das Unglück dieser Zeit, daß, wo eine arme Seele hinfahre, es den Menschen so gleichgültig ist als welchen Weg eine Fliege fliege; und wer eine retten will, wo es so not tut, den stellen sie vor die Türe und geben ihm Sachen schuld, an denen kein wahr Wort ist.»
«Werdet nit höhn, Herr Vikari!» sagte die Frau Pfarrerin, «aber man muß mit den Leuten gar zogelich umgehen in gesunden Tagen, geschweige dann in kranken, sie mögen meist alles besser ertragen als Gottes Wort.» «Darnach», sagte der Vikari, «hat man gar nicht zu fragen, was sie ertragen mögen oder nicht, Gottes Wort ist Gottes Wort.» «Ja, aber», erhielt er zur Antwort, «wenn Ihr jemand bekehren wollt, so muß er doch leben und bei Verstand sein, und nimmt man ihm das eine oder das andere, so ist es mit dem Bekehren aus.» «Das ist Gottes Sache», antwortete der Vikari, «darnach haben wir nichts zu fragen.» «Geht mir, mein lieber Herr; das Wasser und die Milch sind beide Gottes Gaben, aber in die Hitz getrunken, sind sie Gift und bringen den Tod. Das weiß ich, und darum muß ich acht geben, ob ich heiß habe oder nicht, da sieht Gott nicht vor, sondern sieht nur zu, und so ists mit Gottes Wort; macht ja auch der Apostel Paulus einen Unterschied, wie my Herr gseit het.»
«Ihr habt also doch über die Sache geredet?» fragte spitz der Vikar. «Warum nicht!» sagte furchtsam die Frau, «aber glaubt es nur, mein Herr meint es nicht böse, er bedauert den ganzen Vorfall und wird gewiß nichts Nachteiliges über Euch sagen; aber mit dem Bekehren, sagte er, sei es eine eigene Sache, und so, wie Viele es sich dächten, ginge es nicht, man mache damit mehr Böses als Gutes.» «So redet man, ich weiß es wohl», sagte der Vikar, «aber wer sich nicht bekehrt, kömmt nicht ins Reich Gottes, so heißt es, und an Gottes Wort vergeht kein Düpflein, was auch Ungläubige, Rationalisten und Neologen sagen mögen, und wie sie einem im Weg stehen mögen, wenn man das Reich Gottes mehren will.» «Aber mein lieber Herr, glaubt Ihr dann wirklich, die arme Frau wäre verdammt worden, Gott bhüet is drvor, wenn sie in dem Zustand, wo sie war, gestorben wäre?» «Allerdings», sagte der Vikari, «das glaube ich, weil sie nicht bekehrt war, den Buben mehr liebte als Gott.» «Aber mein Gott», sagte die Frau, «Ihr macht mir ganz Angst; wenn my Herr sturb oder ds Sophie, ih chönnt mi o nit dry schicke; es weiß key Mönsch, wien ih brieggeti; glaubet Ihr dann auch, ich würde verdammt, wenn ich stürbe?»
Diese Frage stellte den Vikar in etwas; so einem guten Mutterli zu sagen, es werde verdammt, war hart, indessen überwand er die Schwäche und sagte: «Ja, es ist mir leid, daß ichs sagen muß, aber ich kann es nicht ändern, wer sich nicht bekehrt, wird nicht selig.» Da sah die gute Frau den Herrn Vikari lange an, das Wasser schoß ihr fast in die Augen, endlich sagte sie: «Ihr seid ein junger Herr und meint es gut, aber meinem Herrn glaube ich doch mehr als Euch, sonst könntet Ihr mich fast zwegbringe wie ds Anne Bäbi. My Herr, wenn er so recht zfriede mit mr ist und er gseh het, daß es mr dra glege ist, Friede z'ha und gut z'sy, het mr mengist gseit, ih syg sy guti Frau, er wünschti key besseri; ih bikehr mi all Tag, und das syg, wora dr lieb Gott Freud heyg. Das het mr de allbets ds Herz eso wyt gmacht und e Freud, es het mi dunkt, ih ghör dGlogge im Himmel lüte, und e Mut und e Kraft gä, es het mi dunkt, ih chönnt alles ertrage, und ih möcht für es jeders Bettlerkind dürs Für düre. Zürnet recht nüt, Herr Vikari, aber mym Herr muß ih glaube. Ihr syt no son e junge Herr und über das Bikehre viellicht nit recht brichtet und heyts selber no nit erfahre, wie me si all Tag früsch bikehre muß und das nit so ist wie mit emene Häntsche, der kehrt blybt, we me ne einist kehrt het, aber die schmutzigi Syte innenache het und die suberi ussenache.»
Er glaube, sagte der Vikari, er wisse doch, was Bekehrung sei, und brauche das nicht erst zu lernen, übrigens seien rechte Christen von den Namenchristen wohl zu unterscheiden.
«Ja, Herr Vikari, ih will Ech nit zumute, daß Dr von ere alte Frau öppis lehre söllet, aber öppis möcht ih doch säge. Ihr lueget is nit für rechte Christe a und nit für bikehrt; das tut mr vo Herze weh, ih meines doch so gut mit Ech, und Dihr wäret mr so lieb. Es ist wahr, vo dr Sach rede mr nit viel, und öppe so öppis Apartigs mache mr o nit; aber doch gwüß denke mr im Herze meh a Gott as me glaube möcht, und wenn es so recht still um is ist, recht heimelig und mr is recht lieb hey, da geyht ds Herz is doch o mängist uf, und mir säge enandere, was mr Schöns sinne und denke. Aber drfür hey mr keini apartige Stunde; üsi chöme, mi weiß nit woher, u gange, mi weiß nit wohi. Dr glaubet nit, Herr Vikari, aber es ist gwüß wahr, was ds Sophie zum Byspiel für schöni Gedanke het; ih cha gwüß mengist nit bigryfe, woher es se het, und wenn mes gseht so da umehürsche und mängist ghörti rede, su wurds niemere chönne glaube. Ih glaube gwüß, Herr Vikari, wenn Dr is besser kenntet, Dihr wurdet nit so streng is aluege und mir hätte viel ds besser Lebe mitenandere. Ih will nit säge, daß Dihr nit frömmer syget; aber es dunkt mi geng, wenn me scho nit die glyche Maniere heyg und die glyche Redesarte, su sött me doch chönne so wie rechti Christe mitenandere lebe, fründlich und ohne Kupe, und wenn me öppis gegenandere hätt, so chönnt mes enandere bikenne, und wenn es liecht z'mache wär, su sölls gwüß gscheh, wenn Ihrs nume wettet säge. Aber Ihr möget mr glaube oder nicht, ds Briegge ist mr scho immer z'vorderist, wenn ih es unfründlichs Gsicht am Tisch gseh oder nume im Hus eis weiß.»
Dem Vikari kam diese Herzensergießung sonderbar vor; er faßte Mißtrauen, meinte, die Mama werfe Angel aus und wolle fischen, und doch war der trauliche Ton nicht ohne Wirkung auf ihn. Er antwortete daher auch höflicher: es möge sein, daß man einander nicht immer recht verstehe; er urteile halt und handle nach seiner Ansicht. Aber er müsse es sagen, der Herr Pfarrer sei auch gar so kalt gegen ihn, und der Leichtsinn und die Leichtfertigkeit der Jungfer Sophie tue ihm in der Seele weh, und bei ihren Naturanlagen tue ihr die Gesellschaft des Doktors im höchsten Grad übel, vor dem hätte er einen eigentlichen Abscheu.
Der guten Mama nahmen ihre Gedanken eine eigene Richtung; sie überhörte die letzten Worte ganz, ihre Gedanken verdichteten sich unwillkürlich zu Worten wie Dünste zu Regen, sie antwortete: «Er ist doch gar e Gute und mir lieb wien e Suhn; wenns Gotts Wille ist, daß er und Sophie zämechämte, und sie hey enandere gern, wenn si scho geng zäme zanke, su nimmt es mi nume wunder, wie das zäme geyht. Aber ih ha geng dHoffnig, ds Sophie gäb so es recht guts Husmutterli, wenn einist dFlause versurret hey und dr Übermut verrauchnet ist.»
«Also dJumpfere Sophie soll dr Herr Doktor hürate?» fragte der Vikari, und das Blut schoß ihm in Kopf, und es dünkte ihn, er hätte Ursache, bös zu werden, aber er dachte nicht nach, was für welche.
Da ward auch die Frau Pfarrerin rot, die laut gedacht hatte und unbedacht dem mütterlichen Gedankenzuge gefolget war, und rasch sagte sie: «Bhüetis nei, Herr Vikari! Darvo ist gar key Red, es denkt key Mönsch dra; aber ih ha nume denkt, wie das ging, wenn zweu so wildi Lütli enandere überchäme. Aber es ist kei Red drvo, so e Dokter mit enere sellige Praxis, wo no gar hätt chönne Professer werde, denkt nit a üses Sophie. Und wenn er scho dra denkti, su weiß ih no nit, was ds Sophie sieg; es ist gar es kursioses, mi chunnt nit recht drüber, wien es es het. Aber syg das, wies well, gället, Herr Vikari, Dihr weyt wieder zfriede sy und es fründlichs Gsicht wieder mache, sust erleidet mr no ds Lebe. Und wenn Dr öppe öppis heyt, gället, Dr weyt mrs ufrichtig säge, und ih will Ech helfe. Glaubet mr nume, wenn Dr fründlich syt mit üs und bsunders gege e Herr, so alt Lüt hey das so gern, und es brucht so weneli, für sie zfriedezstelle, su hey mr es Lebe wie dVögel im Hirs. Mir sy gwüß nit so bös Lüt; mir bigehre dr Friede, und wenn mr emene Mönsche öppis chönne zGfalle tue u bsunderbar am ene Vikari, su gschehts gwüß, glaubet mrs nume!»
Dem Vikari ging es bei dieser Rede wunderlich; er war innerlich bitter, daß Sophie so einem gemeinen Dokterli etwas nachfragen könnte, und doch ganz verblüfft, daß er das nicht gemerkt, und daß man das Töchterlein ihm also nicht anhängen wolle, wie er sich immer eingebildet, daß die Mutter ohne Nebenabsichten es gut mit ihm meine und der Papa nicht deswegen ihm ein sauer Gesicht mache, weil er noch immer nicht angebissen. Er merkte unerwartet, daß er auf einem ganz andern Boden stand als er geglaubt, und daß die Pfarrsleute eigentlich nicht ganz schlecht seien, durchriebenes Pack, sondern, wenn sie auch das Wahre nicht ergriffen wie er, doch sogenannte gute Leute seien, bei welchen zu leben wäre, und nur schade, daß Gott nichts von ihnen wolle.
Es fiel in ihm eine Scheidewand zwischen ihm und ihnen, er dachte, wenn er das früher gewußt, so wäre ihm mancher Verdruß erspart, manch trüber Tag weniger geworden; seine ursprüngliche Gutmütigkeit, welche durch das Mißtrauen eingesperrt gewesen war, war nach Verschwinden desselben entbunden, so daß er der Frau Pfarrerin recht gute Worte gab. Es sei ihm leid, sagte er, wenn er sie geärgert und ihr Verdruß gemacht, aber er könne nicht helfen, er handle konsequent und müsse die Leute immer nehmen, wie sie sich gäbten. Der Herr Pfarrer billige seine Ansichten nicht, die er einmal nicht ändern könne und nie ändern werde, und deswegen, habe er geglaubt, sei derselbe auch böse über ihn. Die Jungfer Sophie aber betrüge sich manchmal so, daß gar nicht dabeizusein sei und man gar nicht wisse, was sie eigentlich damit meine, und wie sie zu solchem Betragen komme. Aber (die dritte Ankenschnitte streichend) nach den gemachten Erklärungen sehe er ein, daß es vielleicht nicht so übel gemeint gewesen als er geglaubt.
Künftig allerdings wolle er, wenn etwas Unangenehmes ihm vorkomme und er Kränkungen erleiden müsse, die Frau Pfarrerin fragen, was das zu bedeuten hätte. Daß sie es besser mit ihm meine als die andern, das hätte er immer gemerkt, aber nicht begreifen können warum, da sie doch nicht der gleichen Ansicht seien. Jetzt sehe er, daß sie von den natürlich guten Leuten sei, welche aus einer Art Wohlmeinen es mit jedermann gut meinten, aber ohne zu wissen warum und wofür, es nicht wüßten, daß die Liebe alles in allem sei. Das sei zwar nicht das Rechte; aber wenn einmal das Vertrauen da sei, so hoffe er sie noch zum Rechten zu bringen. «Probierets i Gottsname, Herr Vikari», sagte die Frau, «aber zürnet nüt, wenn ih bim Glaube a my Herr blybe! So mängs Jahr hey mr zämeglebt, und es ist geng gsi, als wenn er dWahrheit selber wäre, und wenn ih ihm ha chönne folge, su ists mr geng wohl gsi drby. Aber probieret, Herr Vikari, nume werdet nit höhn, wenn ih n Ech widerspriche, u denket de, daß Dr nit es fünfzähjährigs Meitschi i dr Hächle heyget, sondere es alts Mutterli, und wenn me dm Sterbe zuche a ist, su sött me doch vom wahre Christetum öppe öppis afange wüsse, vo wege es wär bös, wenn üserein nit o öppis drvo lehrti bi dr Längi dr Zyt, sondere ume die, wos aparti studiere us de Büchere. Es sei ja für die Unmündigen auch, sagt Christus, und son e Unmündigi syg ih o, tröste ih mi mängist, wenns mr vorcho will, ih syg zwenig glehrt u wüß zwenig.»
Diese Wohlmeinenheit ging dem Vikari auch wieder zu Herzen, indessen sagte er, man sollte sich vor nichts mehr hüten, als die Bibel lätz anzuwenden, das sei eine große Sünde, und viel Mißbrauch werde so getrieben. Er wisse wohl, die Frau Pfarrerin treibe mit solchen Reden nicht das Gspött, wie es so oft geschehe, aber ob sie das Unmündig recht verstehe, zweifle er, wenn sie es auch gut meine, und da möchte er ihr doch raten, mit solchen Sprüchen vorsichtiger zu sein.
Eben als die Frau antworten wollte, klopfte es. Die Magd kam alsobald und meldete den Weber an, der ein Stück Tuch hätte. Die Unterbrechung war der guten Frau nicht recht, sie hätte gerne gedorfet, bis Herr und Tochter heimgekommen wären, um das Herz recht zu leeren bis zBode. «Führ ihn in dein Stübli, wenns nit usgseht wien e Säustall, wie gewöhnlich, daß me nit emal meh e Katz dryla darf, vrschwyge de e Mönsch. Es ist es Elend mit de Mägde», sagte sie, «Säu sy si je länger je meh a Lyb u Seel, u statt z'bete oder si z'wäsche schrybe si Liebesbriefe, uflätig, daß me se dur e Profoß sött la schmeize. Viellicht chume ih bald ume; ganget mr no nit ufe, und wenn Dr no Kaffee weyt, su schenket Ech doch nume y, es ist no viel i dr Kanne.»
In dieser Erwartung strich der Vikari unter lauter angenehmen Empfindungen sich die vierte Ankeschnitte. Es war ihm wirklich wohl, daß man es besser mit ihm meine als er geglaubt; deswegen nahm er sich auch vor, dieses Wohlwollen zu vergelten und alle samt und sonders zu bekehren, vor allem Sophie.
Seitdem er wußte, daß man ihm Sophie nicht aufdringen wolle, sah er dasselbe mit ganz andern Augen an. Es ärgerte ihn, daß es Wohlgefallen an dem dummen, faden Doktor finden sollte, der nichts tun könnte als spötteln und disputieren; ob da wohl nichts zu machen wäre, daß es den Doktor fahren ließe, daß ihm die Augen aufgingen über den Wert und Unwert der Menschen? Dem guten Vikari waren seine Hoffnungen auf jene reiche Braut in die Brüche gegangen, so ein Weltkind hatte sie ihm weggeschnappt. Seitdem hatte er sehr viel darüber nachgedacht, wie zu rechter Zeit den Mädchen der rechte Sinn beizubringen wäre, daß sie das Wahre vom Falschen unterscheiden könnten und den Geist mehr lieben lernten als den Leib, einen bekehrten Vikari mehr als ein unbekehrt Weltkind, und sein Nachdenken wurde in dem Maße schärfer, je vergeblicher er nach einem reichen Mädchen suchte, welches seine Braut werden wollte. In tiefen Gedanken der Frau Pfarrerin wartend, strich er sich die fünfte Ankenschnitte; da diese sich aber mit dem Weber so vertieft hatte, daß sie nicht wiederkam, so ging er hinauf in seine Stube und sann der Sache noch tiefer nach.