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Viel später als irgendeines der bisher behandelten Länder tritt Rußland in die Geschichte der Gartenkunst ein. Hier kann von einer eigentlichen Kunst der Anlagen vor Peter dem Großen, dem ersten Drittel des XVIII. Jahrhunderts, kaum die Rede sein. Die Nachrichten über die kaiserlichen Sommerresidenzen um Moskau sind spärlich genug. Es sind noch bis zu Ende des XVII. Jahrhunderts durchweg hölzerne Gebäude, die häufiger Feuersgefahr ausgesetzt waren, zum großen Teil aber auch erst unter Peter dem Großen wirkliche Kunstgärten als Umgebung erhalten haben. Nach der Gründung von Petersburg aber erstanden mit der Errichtung der Paläste des Kaisers und der Großen seiner Krone auch gleich die Gärten, deren Vorbilder der Zar auf seinen Reisen in Holland, England und Deutschland kennen gelernt und studiert hatte, und die er nun daheim wohl besser gegen seine Barbaren zu schützen gewußt hat, als die fremden, die er auf seinen Reisen heimsuchte. Bei dem heute ganz verschwundenen Sommerpalast in der Stadt legte er 1714 auf der sogenannten Admiralitätsinsel, die von der Newa und ihren kanalisierten Armen gebildet wird, einen großen Garten an. Hier wandten er und seine Nachfolger alle die vielgestaltigen Motive, die der Stil der Zeit ihnen lieferte, an. Die Parterres mit ihrem Wasserschmuck, Kaskaden und Vexierwassern, die Bosketts mit ihren hohen Spalieren wurden damals mit den Werken berühmter italienischer Bildhauer geziert; auch an Antiken wurde herbeigeholt, was man noch irgend erwerben konnte. In dem Park erhoben sich verschiedene Lusthäuser, auch ein Boskett mit äsopischen Fabeln als Springbrunnen nach Versailler Vorbild fehlte nicht und ebensowenig eine Menagerie mit kostbaren Tieren. An der Grotte, die Peter errichtete, wie an den Wasserwerken beschäftigte er den großen Berliner Baumeister Schlüter, der 1713 grollend die Heimat verlassen hatte, um in des Zaren Diensten ein neues Wirkungsfeld zu finden, doch schon im nächsten Jahre in Petersburg starb, ohne noch einmal recht zum freien Schaffen gekommen zu sein. Besser ging es darin dem französischen Meister Le Blond, der vom Zaren gleich mit einer ganz großen Aufgabe betraut wurde. Gegenüber der Stadt, an der Südküste des Meerbusens, hatte sich der Zar ein kleines Häuschen am Strande erbaut, ehe er, von der schönen Lage gereizt, im Jahre 1715 beschloß, sich auf der natürlichen 12 m hohen Terrasse, mit der das Hügelland etwas landeinwärts abfällt, ein Lustschloß, das er Peterhof nannte, zu erbauen (Abb. 525).
Natürlich sollte es im Wetteifer mit der französischen Residenz aufwachsen, daher wurden auch sofort französische Künstler berufen. Die Pläne kamen direkt aus Paris, und Le Blond durfte sich nun unverzüglich an das Werk des Schlosses und des Gartens machen. Der große Vorteil war hier, daß man mit Erdarbeiten sich nicht viel aufzuhalten brauchte; nur die Anpflanzung der Vegetation war keine Kleinigkeit. Ganze Schiffsladungen von Bäumen und Pflanzen wurden herbeigefahren. Das Innere Rußlands lieferte Ulmen und Ahorn, von denen man, wie erzählt wird, 40+000 Stück herbeiführte, dazu kamen Buchen, Linden und Obstbäume aus dem Westen Europas und manche ausländischen Exemplare, die aus den entfernten Teilen der Erde herbeigeschafft wurden und trotz des langen Winters gut gediehen und gedeihen. Damit wurde der ganze untere Teil vom Meere bis zu der natürlichen hohen Terrasse bepflanzt und als Park angelegt, mit einer Fülle verschiedenartigster Brunnen, die die Kreuzungswege der großen Alleen betonen. Eine Querallee führt von einem kleinen Schlößchen, Monplaisir, das Peter am Strande in holländischer Manier mit einem kleinen zierlichen Gärtchen angelegt hatte, bis zu einem zweiten kleinen Bau, der mitten in einem Bassin liegt, Marly genannt, also ein französischer Anklang. Hinter dem Marlybassin fällt über goldene Stufen eine Kaskade glitzernd herab. In den Bosketts finden sich neben manchen andern Wasserscherzen auch weinende Bäume – Madame de Montespan wußte wohl kaum, wie anregend sie mit ihrem Boskett wirken würde. Aber Peter hatte auch sonst das Phantastisch-Märchenhafte gern; in seiner kleinen Eremitage war ein wahrhaftes »Tischlein deck dich«, das auf ein Glockenzeichen aus der Erde aufstieg und wieder verschwand. Dieser Park wurde in der Mittelachse vom Schloß aus durch eine großartige Wasserstraße in zwei Hälften zerlegt (Abb. 526).
Von der Terrasse vor dem Schlosse fällt eine Doppelkaskade, die eine Grotte flankiert, auf je sieben Stufen von buntem Marmor, die von einer Reihe von vergoldeten Statuen begleitet waren, in ein breites Bassin herab. In diesem reißt auf einem Felsen Simson dem Löwen den Rachen auf, der eine mächtige Wassersäule emporsendet. Von hier fließt ein ruhiger Kanal dem Meere zu, wo Hafenbauten das Landen der königlichen Schiffe erleichtern. Zu beiden Seiten des Kanals wirft an den ragenden dunklen Fichtenwänden eine Allee von Springbrunnen ihren Silberschleier auf und nieder, während Masken das Wasser in den Kanal zurückspeien. Neben den Kaskaden entfaltet sich ein heiterer, offener Parterregarten, und zu beiden Seiten waren die Terrassenstufen mit Zwergbäumchen besetzt, während auf der Ebene noch einmal je ein Bassin mit Beeten lag. Oben aber vor der Schloßterrasse breitet sich dem Blick ein unvergleichliches Bild aus: über den unteren Garten und den Strand, der sich schnell genug nach des Fürsten Vorbild mit schönen Landhäusern und Gärten bedeckte, schweift das Auge über das Meer nach der Stadt mit ihren goldenen Kuppeln, während ferne rechts die finnische Küste auftaucht. Hinter dem Schlosse liegt der obere Garten (Abb. 525) mit seinen Fontänen, dem Neptunbrunnen in der Mitte, bei dem alle Reisenden das schöne klare Wasser rühmen, das die Peterhofer Hügel reichlich spenden. Von hier zogen sich einst noch breite sternförmige Alleen durch den oberen Park, die auf der Höhe in einem Punkte zusammenliefen, von dem man alle mit großer Kunst zusammengefaßten Prospekte auf einmal überschaute Ranft, Beschreibung des russischen Reiches, 1761, S. 109 ff.; Meyer, Briefe über Rußland, Stendal (Franzen) 1779, II, S. 1 ff.; Hirschfeld, Theorie der Gartenkunst V, 1785, 286 ff.. Die französischen Künstler haben hier, die natürliche Lage ausnützend, ein leuchtendes Bild ihrer Kunst geschaffen. Dieser Garten ist ein deutliches Symbol der Petersburger Kultur überhaupt, die damals durchaus ein Ableger Frankreichs war. Das, was das russische Wesen hier wie in andern Schlössern dazu gab, war für westliche Augen ein Übermaß von gleißendem Golde und Buntheit der Farben. Es wird erzählt, daß, als einst der französische Gesandte Zarskoje-Selo, das Schloß Katharinas II. sah, er zum Schluß geäußert habe, es fehle nichts als ein Futteral, um das Kleinod vor Wetterunbill zu schützen Meyer, a. o. O., II, S. 2.. Mit dem Bau dieses letztgenannten Schlosses hatte die kurze Herrschaftszeit des französischen Gartens in Rußland auch schon ein Ende. Katharina, die moderne Herrscherin als solche, legte den Garten von Zarskoje-Selo bereits in englischem Geschmack an, als ein erstes vielbewundertes Werk dieses neuen Stiles.
Für alle diese Länder Nordeuropas bedeutet der Garten des XVIII. Jahrhunderts den Höhepunkt ihrer Kunst überhaupt. Wir haben keine reiche Entwicklung neuer Ideen mehr gefunden, aber die französische Kunst nahm in ihrem weitgespannten Rahmen viel von der Landeseigenart und Geschmacksänderung dieses Jahrhunderts im einzelnen auf. Abwechslung war ja das Losungswort, das sie an ihrer Spitze trug. Aber diese variété mußte sich doch der festen, in den Hauptlinien einförmigen Gestalt fügen. Wie die wirtschaftliche und politische Gestaltung Nordeuropas der Entfaltung der Gartenkunst in diesem Jahrhundert den notwendigen Boden bereitet hat, sahen wir auf Schritt und Tritt.