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Zwölftes Kapitel

Das Herumziehen der Maringotte durch Frankreich währte unter der Leitung des Sohnes fort, doch ohne den Erfolg des alten Italieners. Die Vorstellungen beschränkten sich jetzt auf die Kraftleistungen des Herkules, den Drahtseiltanz der »Kopfnuß«, das Trapez und die Balancierkünste Giannis und die Sprünge des kleinen Nello. Ihnen fehlte die Zugkraft der Pantomimen, welche die Vorstellung früher beschlossen und das Publikum der Ortschaften ohne Theater wie ein wirkliches Bühnenstück amüsiert hatten. Auch wurde das Personal der Truppe alt und verlor an Spannkraft, an heiligem Feuer für seinen Beruf. Der Hanswurst wurde sparsam mit seinen Späßen. Der Herkules zeigte sich, seit die Kost schmaler geworden, noch träger als sonst. Der Posaunenbläser hatte das Asthma und blies sein Instrument nur noch wie »um Gottes Willen«. Die Parade auf dem Schaugerüst wurde matt, die große Pauke schlummerte ein und die Blechmusik der Bude schnappte heiser über. Nur die »Kopfnuß« kämpfte noch mit allen Kräften, in einer Art von mürrischer Ergebenheit und Ingrimm, gegen das Mißgeschick der beiden Brüder an.

Jahre vergingen; der alte Tomaso Bescapé starb; die Geschäfte der Truppe wurden mehr als mittelmäßig und die Behandlung ihrer Mitglieder täglich schwieriger. Typrien Muguet, der asthmatische Posaunist, war, seit Lariflette verstorben war, ein Erztrunkenbold geworden. Der Hanswurst wurde täglich zänkischer gegen seine Kameraden und verursachte Gianni tausenderlei Verdruß durch verwüstete Weidengebüsche, abgeschnittene Dornensträucher und Birnbäume an den Wegrainen, an denen die Karawane vorbeizog. Denn der Hanswurst füllte seine Mußestunden mit dem Flechten von Körben und Schnitzen von Stöcken und Pfeifen aus – Kunstwerke, durch die so etwas wie die Erinnerung an eine im Zuchthaus erlernte Kunstfertigkeit hindurchschimmerte, und die Agapit in den Zwischenpausen der Vorstellung für eigene Rechnung verkaufte. Ganz kürzlich hatte Gianni erst eine sehr unangenehme Affäre mit dem Besitzer eines Birkenwaldes, einem Edelmanne, gehabt, der sich mit Taschenspielerkünsten beschäftigte und die Zirkusgesellschaft drei Tage lang in seinem Schlosse beherbergt hatte. Nach ihrem Fortziehen stellte es sich heraus, daß seine schönsten Birken ihrer Rinden beraubt waren – durch den Hanswurst, der Schnupftabakdosen daraus fertigte. Während in der Brust des jungen Direktors sich noch die angeborene Rechtschaffenheit mit dem Widerwillen stritt, einen alten Gefährten, mit dem er von klein auf zusammengelebt hatte, fortzujagen, und Ärger aller Art ihm täglich seinen Gauklerberuf verleidete, trat ein Ereignis ein, das den Ruf und die Einnahmen des Zirkus Bescapé aufs schwerste schädigen mußte. Eine ihrer sichersten Einnahmen, besonders in den letzten Jahren, verdankte die Truppe dem Herkules. Wenn er in die Marktflecken und Dörfer kam, so fühlte der stärkste Mann des Ortes sich meistenteils veranlaßt, sich mit dem Athleten zu messen. In diesem Falle wurde zwischen dem Zirkus und dem starken Manne eine Wette gemacht, wer den anderen werfen würde, eine Wette von 100, 200, oft 300 Franken, für die das Geld bald von dem Gegner des Herkules eingesetzt, bald von seinen Landsleuten zusammengelegt wurde, deren Lokalpatriotismus seinen Sieg herbeiwünschte. Und stets siegte der Herkules, nicht sowohl, weil er der Stärkste von allen war, sondern weil er Übung im Ringkampfe besaß und mit allen Kunstgriffen und Geheimnissen des Handwerks vertraut war. Nun aber ward der unwerfbare Rabastens eines Tages auf beide Schultern geworfen: von einem Müller aus La Bresse, einem Manne, der nach aller Meinung weniger Kraft besaß als der Herkules. Mitten in die Verblüfftheit der Truppe über seine schmähliche Niederlage brüllte die pöbelhafte, höhnende Stimme des Hanswurstes hinein, der dem verdutzt aufstehenden Athleten vor versammeltem Publikum zurief, er hänge zu sehr an einem schmierigen Weibsbild, und in der Nacht vor dem Kampfe ... Eine gewaltige Ohrfeige schloß ihm den Mund und ließ ihn in den Sand kollern.

Der Hanswurst hatte die Wahrheit gesagt. Der Herkules, bisher nur ein Liebhaber des Essens, war mit einem Male zärtlich entbrannt für eine Dejanira, die er sich nachkommen ließ und an die er einen großen Teil seiner Kraft vergeudete. Das Traurigste für ihn wie für die Truppe war, daß diese Niederlage das Bewußtsein der Überlegenheit in ihm völlig zerstörte. Er rang noch zwei oder dreimal, ließ sich abermals werfen und war seitdem mutlos und in die melancholische Überzeugung verrannt, daß ein Zauber die Kraft seiner Muskeln gebrochen habe. Fortan war er nicht mehr dahin zu bringen, sich mit jemandem an den Hüften zu fassen, nicht einmal mit einem Schwächling von Liniensoldaten.

finis


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