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Puppenspiel im Dorfkruge.

Am andern Morgen konnt' ich nicht begreifen, wie da nur zwei Thürpfosten sein sollten, wo abends zuvor so viel Herrlichkeit gewesen war.

Wilhelm Meisters Lehrjahre.

Jeder hat wohl in seiner Kindheit Puppenspiel gesehen; aber jeder auf andere Manier. Und so will auch ich meine Abenteuer erzählen trotz Wilhelm Meister; ist doch jeder der Herr und Meister seiner Biographie.

Von ordentlichen Marionetten, von einem Metamorphosentheater, wie es der Künstler Schütz zu Potsdam einst ins Werk gerichtet und auf Reisen aller Orten gezeigt hat, ist hier keineswegs die Rede; wohl aber von einem unverfälschten Dorfpuppenspiel hinter einem Bettlaken oder Schirm, wo der Künstler seinem Personale ohne Ausnahme unter den Rock greift, und indem er seine Finger in die Puppenärmel steckt, auf jeder Hand eine Figur, also nur zwei verehrliche Schauspieler auf einmal in Aktion produzieren kann, falls er nicht noch mit Hilfe von Weib und Kind über einen bühnenkünstlerischen Beistand disponiert.

Mein Künstler war ein Jude und ein Bauchredner obenein, aber ich greif' mir vor und will hübsch in der Ordnung eines hinter dem andern berichten, wie es sich für so gemütliche und wunderwürdige Dinge schickt und gebührt, und in Wirklichkeit begeben hat im Jahre 1810, im Dorfkruge zu T***.

Es war im Spätherbst, und die ganze Welt, mithin auch unser Dorf, voll Regen und Kot, und eine Finsternis durch Tag und Nacht. Da kam der schöne Sonntag heran, und mit ihm diesmal noch eine freundliche Sonne, den fabelhaften Dorfschmutz und die Greuel der Herbstwege zu beleuchten. Jedermann fühlte sich bei solcher himmlischen Freundlichkeit umgestimmt, und in der Hoffnung auf baldigen Frost und trocknere Wege getröstet; aber ich nicht, denn ich war keinen Augenblick traurig gewesen, weil ich dem Gassenkot, nach echter Kinderart, die Poesie des Abenteuers abgewann und nach Herzenslust im tiefsten Schmutz die Dichtigkeit und Dauer meiner neuen Schächtstiefeln erprobte. Der gröbste Unrat ward nach vollbrachten Experimenten beim Bauern Langfeld mit Erbsenstroh abgerieben, und der Überrest in der Küche durch die von mir bestochne alte Köchin vor dem Ofen und Herdfeuer mit Scheuerlappen und Fettbürste vertuscht, so daß damals niemand Excesse an meinem Fußwerk wahrgenommen hat. Heute war nun vollends Sonntag und an diesem himmlischen Tage, dem alle Kinderherzen jedesmal mit unverminderter Freudigkeit und Erwartung entgegenschlagen, da war auch der Dorfschmutz kein Alltags-, sondern ein Sonntagsschmutz. Als ich nun so diese Sonntagsseligkeit mit vollen Zügen in mich schlürfte, daß ich wie berauscht und der Überzeugung war, es könne nun gar nichts Schöneres in der Welt mehr geben, als eben den Sonntag und die Freiheit, mit ihm nach Herzenslust ohne Beaufsichtigung zu verkehren. Es war Nachmittag, da fing es mit einem Mal an zu schnarren, wie wenn es Nacht und Feuerlärm wär'. Solche Töne vernehmen und ihnen wie unsinnig entgegenstürzen, war bei unsereinem das Werk desselben entzückten Augenblicks. Der tiefe Gassenkot vermehrte bei dieser poetischen Gelegenheit die Satisfaktion; denn rücksichtslos durchmessen, spritzte er seinem Geometer, wie jedermann um die Ohren, der im nächsten Umkreise ebenfalls zu Fuß unterwegs war, dessen nicht zu gedenken, daß gleich zum Entree ein ganz kleiner Bauernjunge, der mit den zu großen Stiefeln seines ältern Bruders stecken blieb, von den in Masse nachstürzenden Knechten und Mägden ganz in den Morast niedergerannt und unter fürchterlichem Geschrei durch die herbeigekommenen Seinigen in unkenntlicher Gestalt ans Tageslicht hervorgeborgen ward.

Jetzt stand ich vor dem, der da geschnarrt hatte, und zwar in augenscheinlicher Verdutzung, denn es war weder der Nachtwächter, noch der Dorfschulze, also weder die Tages- noch die Nachtpolizei, sondern ein fabelhaft ins Kostüm gesetzter Kerl mit rotem Judenbart, kurz und gut, ein Jude, wie ich hinterdrein belehrt ward; denn im ersten Augenblick wollte ich lauter Wunder und keinen Juden sehen, da jede Woche Pindeljuden ins Dorf kamen. Dieser Abenteurer und Unbekannte in rotem Barte verkündete dem zusammengelaufenen Publiko, welches er wegen der Unmöglichkeit, in all' dem Kote einen Umgang zu halten, und weil ihm seine Trompete im letzten Nachtquartier gestohlen worden sein sollte, mit des Nachtwächters Schnarre und mit hoher obrigkeitlicher Bewilligung zusammengerufen hatte, daß und wie er heute Abend um sieben Uhr bei seinem Wirte im Kruge hierselbst gegen ein Entree nach Belieben eine große Vorstellung mit Puppen zu geben die Ehre haben würde. Genannt wurde das Stück: Der verlorne Prinz. Damit war denn vorläufig die Scene beendet und alle liefen in dem vielen Kot auseinander, wie sie zusammengelaufen waren; mir aber ging der Kopf mit Grundeis und die Welt in die Runde. Es war mir nämlich partout unerklärlich, wie in diesem Kruge, in welchem ich schon zu verschiedenen Malen die Bauern tanzen gesehen hatte, so etwas Wunderbares gezeigt und aufgeführt werden sollte, wie doch zu einem verlornen Prinzen erforderlich sein mußte, er mochte nun wiedergefunden werden oder nicht.

Diesmal aber dauerte mein Kopfzerbrechen und der Gram meiner skrupulösen Neugier nicht allzu lange: denn es kam unterdes ein benachbarter Pfarrer mit seinen Kindern zu unserm Pfarrer auf Besuch, und bevor wir, durch Spiele zerstreut, uns dessen versahen, so erinnerte uns auch schon die Hausmagd, daß es die höchste Zeit sei, in die Komödie zu gehen, falls wir noch Platz bekommen wollten; denn es wären viele Gäste angekommen, das Spektakel zu sehen, und der Kutscher des fremden Herrn Pfarrers sei mit unsers Herrn Pfarrers Hausknecht bereits vor einer halben Stunde an Stelle und Ort. Es war nun zwar erst halb sieben Uhr, und folglich noch eine halbe Stunde Zeit; aber ich war bei den geäußerten Besorgnissen der Magd wie vernichtet und konnte nicht begreifen, wo ich so lange die Gedanken gehabt. Aber Verzweiflung giebt Witz und Kräfte, und so raffte ich mich denn im nächsten Augenblicke mit der Art eines Menschen zusammen, für den Tod und Leben auf einer Karte steht. Der Erlaubnis meines Pflegevaters durfte ich mich gewiß halten; aber er war in Disputationen mit seinem Herrn Amtsbruder, was mir jetzt erst aufs Herz fiel, da ich nicht begreifen konnte, wie man so kurz vor der verkündeten Komödie im Kruge und ein paar Häuser von diesem entfernt, von etwas anderem verhandeln und überhaupt sonst etwas wollen könne, als eben dieses Puppenspiel vom verlornen Prinzen zu sehen. Einer Delikatesse, die ich immer seltner bei Kindern wahrnehme, darf ich mich aus meiner Kinderzeit rühmen: ich nahm aus tiefster Seele Anstand, einen Erwachsenen, und zumal meine Eltern und Vorgesetzten, in irgend welchen eifrigen Worten oder Werken zu unterbrechen, und so ward mir denn das Einholen einer Erlaubnis unter den obwaltenden Umständen doppelt schwer, da mein lieber, freundlicher Pflegevater sich angelegentlich mit seinem Gaste unterhielt, und vor einem solchen, vor einem Fremden, vollends vor einem Pfarrer, hatte ich doppelten Respekt. Aber was half es, die Magd, die mich in der Finsternis zum Kruge hingeleiten und unter dem Gedränge der Zuschauer in Obhut nehmen sollte, getraute sich nicht ohne mich und ohne alle Erlaubnis von Hause hinweg, und ich wußte ihr verlangendes und bangendes Herz in der Küche. So trieb denn ein Keil den andern, bis die Sympathie für die Magd und den verlornen Prinzen den Respekt vor dem Gaste bezwang, und ich halb beschämt und halb erschrocken mit einem Mal zwischen den beiden geistlichen Herren stand. Meine hergestotterte Bitte ward mir um so rascher und bereitwilliger gewährt, da im selben Augenblicke der kleine Sohn des Gastes dasselbe Anliegen vorbrachte, und man höhern Ortes unsere Herzensbangigkeit menschenfreundlich und nicht ohne Lächeln erwog. Mein Dütchen in der Hand festgekniffen, stand ich nun auf einen Sprung vor der Thür bei der Magd, die bereits daselbst den Erfolg unserer Bittstellung mit bebender Erwartung erhorcht hatte. Die alte Köchin, welche über die junge Magd sich in Brummen erging, daß die alten Dienstboten bei aller lustigen Gelegenheit immer zu Hause bleiben und für jüngere Knochen die Arbeit mit übernehmen müßten, ward, ich weiß nicht mehr durch welche Konzession und Liebkosung, von uns beiden Ausreißern beschwichtigt und versöhnt, so daß wir mit der Ermahnung entlassen wurden, wenigstens gut zuzusehn, und alles fein wieder zu erzählen. Was diesen Punkt betraf, so war die Adresse an mich das überflüssigste Ding von der Welt, denn so viel bei irgend einer bestimmten Affaire je ein Menschenkind, mit nur zwei Augen und zwei Ohren im und am Kopfe, gesehn und gehört hat, habe ich diesmal ohne Zweifel gesehen, gehört und vernommen, habe ich in mich gesogen, penetriert, assimiliert, transsubstantiiert, überdichtet, mir zu Gemüte geführt und bis zu diesem Augenblicke memoriert.

Die Töne einer heisern Vogelorgel empfingen uns beim Eintritt in die chaotische Krugstube, welche mittels eines Groschenlichts der Dämmerung überlassen und zum Ersticken mit Bauersleuten und allerlei zweideutigen Ausdünstungen, wie eine Mongolfière mit dem benötigten Gas gefüllt war. Doch, wo noch ein Husarensäbel sich mit der Schneide Bahn bricht, da blieb meine Neugierde auch nicht zurück; denn sie war nicht bloß scharf, sondern brennend und reinigte vielleicht um deswillen vor mir her die Pestilenz, die jeden umfing. Meiner schrecklichen Besorgnis, vielleicht nichts zu Gesicht zu bekommen, da alles zum Vorhang hindrängte, ward ich alsbald durch die Gutmütigkeit einiger Bauernwirte, sowie durch den Krüger und resp. den Dorfschulzen enthoben; denn in herzlichem Respekte vor ihrem Herrn Pfarrer stellten die beiden mich kleines Menschenkind auf einen Tisch und ins beste point de vue. Alsbald kam auch mein Herzensfreund und Nachbar, der Bauer Langfeld, und nahm mich noch in seinen besondern Schutz, worauf die Magd, froh, ihrer Sorge um meine kleine Person enthoben zu sein, sich zu ihren Bekannten und Sponsaden begab.

Während, wie schon gesagt, die vorbemeldete Vogelorgel unweit meiner Ohren in stammelnder und lückenhafter Weise wie eine heisere Klarinette lamentierte und der Junge, welcher sie drehte, durch die äußerste Schnelligkeit jede Pause zu verkürzen und zu überwinden trachtete, welche nicht von Hause aus auf der armen Walze stand, hatte ich volle Zeit, mir den Vorhang zu betrachten, und mich in das zu vertiefen, was hinter demselben, wie ich aus allerlei Zeichen erriet, mit großer Geschäftigkeit vorbereitet ward.

Es war eine Ecke, die sich der Künstler und Direktor nicht ohne Umsicht zu seinem Retiré und Asyl ausersehn hatte; daselbst aber hing vor einer in beide gegenüberstehende hölzerne Eckwände eingeklemmten Holzlatte ein Papiervorhang bis dicht zum Erdboden herab. Dieser Vorhang war gräßlich schön bemalt. Die Arabesken, Grotesken und mythologischen Figuren will mein plastisches Gedächtnis nicht mehr so bestimmt reproduzieren, aber die Grundfarbe habe ich behalten, sie war braunrot, von der Tinte und Nuance, wie sie durch den sogenannten Totenkopf erzielt wird, den die Köchinnen zum Anstreichen des Ziegelherdes für einen Groschen vom Materialhändler acquirieren. Lächle oder zweifle man, wie man wolle, ich selbst möchte heute an meinem Farbensinne verzweifeln; aber seit jener Zeit hat jene Grundierung für mich eine unaussprechliche Mysteriosität. Wiefern ich Ursache dazu habe, wird man weiter ersehen.

Während ich so ganz meinen Betrachtungen, Wahrnehmungen und künstlerischen Vorgenüssen hingegeben war, und nur das eine nicht ohne Besorgnis und Verwunderung erwog, wo denn in einem so engen Raum so große Dinge vorbereitet und dann ins Werk gerichtet werden könnten, so ward auch schon hinter dem Vorhange der Anfang durch Klopfen, gleich hinterdrein durch ein zauberhaftes Klingeln angezeigt, und vom Wirte wie von den Ältesten und Angesehensten des Auditoriums, und resp. des Spektatoriums, zur Ruhe gemahnt. Der Autorität arbeitete diesmal die aufs höchste gespannte Neugierde in die Hände, und nach der ersten stillen Pause erschien von unten herauf, am obern Rande des Vorhanges eine von Gold und Silber gleißende, anderthalb Spannen hohe Figur mit Scepter, mit Ordensstern und einer Krone auf dem Haupt. Ihre ersten Worte sind für Zeit und Ewigkeit in mein Gedächtnis geprägt; denn meine Seele erschrak bis in ihren vorweltlichen Ursprung hinein, als diese Worte offenbar und ganz deutlich aus dem Munde der Puppe hervorkamen, so daß ich, wiewohl verwirrt, doch der ganz vollkommensten Illusion hingegeben war, es sei die Puppe selbst, die da durch irgendwelche, mir unbegreifliche Wunder die Redensarten aus ihrem Eingeweid' heraus verführe. Der Jude war in der That, wie ich das lange hinterdrein erklärt bekam, ein Bauchredner, und der Ruin meines Verstandes, die Umkehrung und Verwirrung meiner bisdasigen Begriffe solchergestalt erklärlich und comme il faut. Ein Unglück aber war das für mich dermalen am allerwenigsten, da bei der Gefangennahme und Beseitigung des Verstandes die Phantasie desto freieren Spielraum zum Dichten und Träumen bekam, welcher Freiheit sie sich denn auch dermaßen zu bedienen verstand, daß mir vom ersten bis zum letzten Worte alles Hören und Sehen verging, was nicht vom Puppenspiel in Anspruch genommen ward.

Die Figur, mit welcher das Stück begann, war nichts minder und mehr als der König, der sich mit den Worten in Scene setzte: »Himmel, was seh' ich! Stern, was erblick' ich!« Wie sich weiterhin ergab, sah und erblickte der König den Hofmeister seines Sohnes, der, als eines Tages der Prinz auf unbegreifliche Weise verschwand, ihn in aller Welt zu suchen, ausgegangen war, nämlich durch »ganz Europiam, Asiam und Afrikam, bis nach die indischen Weltteile,« und zwar mit dem Vorsatze, nicht eher zurück zu sein, bis er seine Nachlässigkeit durch Wiederfinden seines fürstlichen Pflegebefohlenen gut gemacht hätte. Der Prinz fehlte bereits zwanzig Jahr, somit schien es denn alle Weile kein Wunder, wenn der König und Vater beim ersten Anblick des Hofmeisters, dem er den Prinzen auf dem Fuße vermuten mußte, in die Worte ausbrach, die bereits angeführt sind.

Nach dem Ausruf folgten dann die Verständigungen und Nachrichten so hastig und atemlos, daß fast kein Wort vor dem andern Raum hatte. Der Prinz war wirklich aufgefunden, verweilte aber dermalen noch an einem sichern und nahen Orte, um die teuern Eltern und sich selbst durch Ueberraschung nicht zu verschrecken oder zu töten.

Der königliche Vater schien dies auch vollkommen einzusehn, denn er hörte die ganzen, langen Historien ebenso vernünftig und gewissenhaft an, wie alle dramatischen Väter, und wie das die auf Tod und Leben interessierten Leute im ähnlichen Falle und in gleicher Situation auf dem großen Theater thun, versteht sich im Interesse des Dialogs und allem gesunden Menschenverstande zum Trotz. Erst nachdem der Bericht ganz abgehaspelt war, stachen den König und Vater seine Elterngefühle wie eine Bremse, und mit den Worten: »O Himmel, welches Entzücken!« ging dieser durchaus bühnengerechte Souverain, sich in die unterdessen par distance offengehaltenen Arme des verlornen Sohnes und Prinzen zu stürzen, welcher in zweiter Scene und im Beisein des Hofes, der durch sechs Puppen auf einem Klumpen vorgestellt ward, den Bericht des Hofmeisters nicht ohne prinzliches Pathos repetierte, alles, tout comme chez nous, das heißt, wie auf den Brettern, welche die Welt bedeuten. Denn nachdem solchergestalt das beste vorweg gegeben worden, kam erst hinterdrein die eigentliche Handlung und Intrigue des Stücks, nämlich eine verliebte Prinzeß, die der verlorne Prinz nicht heiraten wollte, weil sein Herz bereits in der Fremde, in dem Lande Fanagosia, versagt war.

Aus der Mitte weiß ich nur dies, daß die verschmähte und Rache schnaubende Prinzeß gegen den ungalanten Prinzen zu Protokoll gab: »Er hat mir die Kleider vom Leibe gerissen.« Es handelte sich also wahrscheinlich um weibliche Ehre und Reputation. Das End' vom Liede war dieses, wie die Schlechtigkeit der Prinzeß ans Tageslicht gebracht, der bereits eingekerkerte Prinz wieder ans Vater- und Mutterherz genommen, ein Mohr enthauptet, die Prinzeß ins Kloster gesperrt, und mit der indes vom Hofmeister herbeigeholten fremden Prinzeß aus Fanagosia Hochzeit gemacht ward. Das waren aber nur die ideal gehaltenen Vorspiele zur eigentlichen Quintessenz und zur realen Gestalt des Puppenspiels, das nunmehr als zweite Abtheilung in drei Hauptfiguren zum besten gegeben ward, als da waren, sind und sein werden: Tod, Teufel und Hanswurst. Das Publikum hatte sich, ich muß es ihm zur Steuer der Wahrheit bekennen, im idealen Teile höchst anständig und teilnehmend benommen; jetzt aber beteiligte es sich aus Herzensgrund, und des Gelächters über Hanswursts Witze war kein Ende. Gleich der Anfang war Wasser auf jedermanns Mühle. Gefragt, wie er denn heiße, gab Hanswurst zur Antwort: »Wie mein Vater,« und wie heißt denn dein Vater? »So wie ich,« und wie heißt ihr denn beide? »So wie der eine,« und dieser eine? »So wie der andere,« und so in einem fort. Man sieht, Hanswurst antwortete nicht anders und nicht schlechter in die Runde, wie die Metaphysik. Der Künstler scheint mir überhaupt, so wie ich mir jetzt seine Komödie rekapituliere, kein ganz gewöhnlicher, wenigstens kein gemeiner Puppenspieler, sondern ein Mann von einigem philosophisch ästhetischem Ehr- und Zartgefühl, und nicht ohne das gewesen zu sein, was man Conduite zu nennen pflegt; ein Mann, dem eigentlich mehr im idealen Teil, als in dem realen Nachspiel seinem angebornen Kunstdrange zu Folge ein Genüge geschah. Was mich betraf, so gefiel mir eines wie das andere gleich sehr; die Geschichte von dem verlornen Prinzen doch aber besser, wie die Witze von Hanswurst, der sich wie immer auf die Letzt mit Tod und Teufel herumprügelte und Sieger blieb, wie sich von selbst versteht, da die Narrheit der Sieg der Welt ist von Anbeginn! Aber die Figuren und Bewegungen von Tod, Teufel und Hanswurst lösten mich durch ihr groteskes Aussehn und ihre Gelenkigkeit in Staunen auf, und so hatte ich meine volle Genugthuung im idealen wie im realen Teil.

Ich muß schließen, wenn ich nicht dem Verdacht unterliegen soll, ohne Apparat und vor einem gebildeten Publiko das wiederholen zu wollen, was in einer durchaus naiven, fast möcht' ich sagen, in einer vorweltlichen Weltstimmung vor Kindern und Bauersleuten mit Puppenspielervirtuosität und voller Sinnentäuschung nur einmal so ins Dasein gerufen und den Seelen illuminiert werden konnte, und ich bemerke nur noch dieses: mir erschienen die Physiognomien der Puppen in ihrer ganz fabelhaften Abscheulichkeit, als da ist, in ihren entsetzlichen Hakennasen, Glotzaugen und grinzenden Mäulern, so, ich weiß eben nicht wie, interessant, poetisch, phantastisch, unerhört – es paßt alles nicht – kurz, so unmöglich, und eben in diesem ihrem Exceß von Häßlichkeit so übernatürlich, übermenschlich, dämonisch, spukhaft, also so erhaben und wunderschön, daß ich vor einigen Jahren einen originellen Oberförster meiner Bekanntschaft erst vollkommen verstand, als er von einem entsetzlich losschreienden Steinesel lachend sagte: »So ein Beest ist ordentlich vor lauter Häßlichkeit schön.«

Die waldwilde Bemerkung meines nunmehr in dem Herrn entschlafenen Oberförsters ist eine so originelle, so zum Nachdenken auffordernde, wie irgend eine andere von einem Professor der Ästhetik, auf welthistorischen Anklang und auf Absatz proklamiert. Auch ich muß ausrufen: Jene Puppen waren vor entsetzlicher Häßlichkeit ordentlich schön, und es sind mir seit der Zeit andere hochgepriesene, berühmte Dinge, Figuren, Geschichten, Kunst- und Lebenswerke vorgekommen, die ordentlich häßlich waren vor lauter Schönheit oder Schönthuerei.

Am Morgen nach dem Puppenspiel ging es mir ganz so wie Goethes Wilhelm Meister; denn ich konnte ebenfalls nicht begreifen, wie da, wo gestern noch solche Zauberei und Herrlichkeit gewesen, heute schon alles so ordinär und alltäglich aussehn und vor sich gehn könne, als wenn nie was von Wundern und Komödien dazwischen gefahren wär'. Ein Jammer und gleichwohl eine Genugthuung war es auch, daß kein Mensch und selbst mein gelehrter Pflegevater sagen könnt', wo Fanagosia gelegen; denn so verblieb es in meiner Einbildungskraft bis auf den heutigen Tag.


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