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Königsberg und seine Poesie für poetische Leut'

Es ist ein Moment in der Entwicklungsgeschichte des Menschen, daß in der ersten Jugendzeit das Saitenspiel der Brust von so vielen eben erwachten Trieben wunderbar zu den seltsamsten, die ganze Tonleiter der Gefühle stürmisch durchlaufenden Accorden gerührt wird, denen zur Poesie nichts fehlt als das fassende Wort. Jeder Jüngling ist um die Zeit, wo er Helenen in jedem Weib erblickt, ein halber Naturdichter, und der normale Zustand besteht darin, daß er dies nicht weiß.

Wenn ich an Königsberg denke, und mein Herz den süßen Traum der Kindheit zurückträumt, wenn vor meiner sinnenden Seele diese nordische Handelsstadt auftaucht, umwoben vom Schimmer einer heiligen Lebenszeit, verklärt im magischen Lichte des Kinderdaseins und des Kinderglückes, das mich dort umfing, wenn ich so recht inne werde, wie diese Erlebnisse und Traumgesichte, wie die Elemente des nordischen Lebens und der Bildung dieser Stätte der alten Preußen in mir durch so viele Jahre Seele und Leib und ein Königsberger Herz geworden sind; dann muß ich mein Geschick beklagen, das mich von meiner wahren Heimat fern hält, von dem Stück Erde, das mir das liebste auf Erden ist.

Ich weiß es wohl, es dünkt einen frostigen Süddeutschen und sogar einen in der Poesie überall auf den Sand gesetzten Berliner dreimal kurios, wenn er nur einmal von einer Poesie Königsbergs reden hört, von dieser kalten, farblosen, nordisch ökonomischen und nordisch melancholischen, von dieser tristen und toten, dieser altväterisch gearteten und modern-politisch aufgestutzten, abgedankten Residenz. Poesie und graue Erbsen mit Schemper, Poesie und graue Erbsen mit saurer und süßer Sauce und noch einmal graue Erbsen mit Überziehschuhen, die der ostpreußische Magen mitaufessen muß, wenn er satt werden will, das scheint der modernen Ästhetik eine lächerliche Inkonvenienz, aber im ostpreußischen Herzen ist es die schönste Harmonie. Mit dem Spotte über Königsbergs Poesie geschieht mir indessen schon recht, und er ist nur die Vergeltung der schlechten Witze, die mir auf Unkosten anderer über andere Orte entwischt sind. Alle entlassenen Worte und Werke kehren nach ewigen Weltgesetzen zu ihrem Autor zurück, sie treten ihm als Fatalität und rächendes Gespenst in den Weg, wenn sie gemein waren; begleiten ihn aber als gutes Glück, sobald sie nobel und liebenswürdig sind. Ich habe das unlängst in meinem lieben Königsberg erlebt; denn als ich nach zwanzigjähriger Abwesenheit meinem Bangen nicht länger Gewalt thun konnte und dahin reisete, wo ich immer sein möchte, so war mir's, als wenn sich die Leute beredet hätten, ich solle aus dem poetischen Vorurteil und der schönen Illusion nirgend heraus. Wen ich auch ansprach, der sprach wieder zu mir als ein rechter Mensch, und wo ich nur anklopfte, ward mir freundlich aufgethan und herzlich, wenn's die Herzenspforte war, in die ich eingelassen sein wollt'.

Die Leute merken einem an den Augen, an den Nasenflügeln die Sympathien und die Antipathien an, und wie man die Welt ansieht, so sieht sie einen wieder an. Der gute Genius weckt überall den guten und der böse den bösen Geist. Die Welt ist überall das Echo unsrer eignen Herzensstimme. Wie man in den Wald schreit, schallt es wieder zurück. Wir entschuldigen uns zuletzt, den Leuten nichts gethan zu haben, aber das ist eben unsre Anklage; denn wir sollen den Menschen etwas thun und zwar was Liebes und Gutes, wenn nicht aus Herzensdrang, so doch aus Politik; denn was wir ausgeben, nehmen wir wieder ein. Alles kommt über kurz oder lang zum Menschen und zur Stelle zurück, das ist das Grundgesetz des Verkehrs, der Politik und Ökonomie für die Personen wie für die Staaten. Was man sät, das soll man ernten, und welcherlei Kapital man austhut, derlei Zinsen bezieht man. Kein Kapital bringt aber seine Prozente sicherer und gerechter als das Herzenskapital. Was auch Menschen und Orten nachgeredet wird, so schlecht ist die Welt in der schlechtesten Kreatur und im schlimmsten Winkel nicht, daß man für ehrliche Lieb' und Treu' das Gegenteil einnehmen müßte. So viel von unserem Unrechte in der Fremde, und nun noch ein bißchen von meinem Herzensrechte, von dem schönen Rechte, meiner Königsberger Heimat eine Poesie zu vindizieren. Es ist ein kurios kitzliches Thema, den Leuten eine Poesie einzureden, die sie nicht von freien Stücken honorieren. Vielleicht erbaut sich aber ein Menschenkind daran, dem seine Heimat auch ein Paradies ist, und dafür mögen denn die Unkindlichen, Heimatlosen, Unheimlichen, Weltbürgerlichen mit der Parole » ubi bene etc.« ein Paar Blätter überschlagen. Bei jedem schlägt ja die Poesie auf einer anderen Stelle durch, und doch schlägt jedem an derselben Seite sein Herz. Poesie ist, wie das Leben selbst, nirgend und überall und vielgestaltig wie das Leben mehr im Subjekt, in der Stimmung, als im Objekt, mehr im organischen Herzpunkt als in der mathematischen Vernunft peripherie.

Ich las mal irgendwo die mir aus dem Herzen gestohlene Bemerkung: »Ist denn das, was bei einem Jahrmarktstreiben in der Seele der Bauersleute schauert, nicht auch eine Poesie?!« Gewiß, gewiß! und wie oft eine seelenvollere, herzlichere, einbildungskräftigere Poesie als das, was ein gedankenstrapazierter, herzbeutelschlapper und klassisch-pedantischer Doktor, Magister und Ästhetiker von Profession hinter diesem oder jenem Klassiker in forma probante reflektiert. Und wie es nun eine Jahrmarktspoesie in Plundersweilern, gleichwie auf der Leipziger Messe oder in Nishnij-Nowgorod giebt, so giebt es auch eine Poesie der Winters- wie der Sommerszeit, eine des Nordens wie des Südens, eine solche der Ökonomie und der Dürftigkeit wie der Üppigkeit und Profusion, eine Poesie der Melancholie wie der jubelnden Lust, eine der grauen Erbsen mit Überziehschuhen und bei vollem Magen wie eine Hungerpoesie von Orangen, ohne Strümpfe und Schuh', eine Poesie in Stint und Pomucheln, gleichwie eine neapolitanische von Seespinnen und Eselswurst! Zur Poesie gehören überall und allemal zwei Faktoren, ein Objekt und Subjekt zugleich. Zuletzt aber entbindet sich aus jeder Seele dieselbe Empfindung des Lebens, dasselbe Gefühl des heiligen Geistes und der Welt, dieselbe Intensität des Herzens in Freude und Schmerz, in Liebe, Glaube und Hoffnung, und so wird der Torfmoor zur Poesie wie der Citronenwald.

Wahrhaftig, unser Herrgott ist kein neidischer, kein vornehmer und gelahrter Gott. Er hat die Wahrheit und die Schönheit nicht in irgend einem Winkel verborgen, sondern offenbar gemacht vor aller Welt, all überall, für alle Organe. Und so empfindet jeder die Mysterien des Daseins auf seine Weise, und es sind nicht die geschmackvollen Sonntagskinder, die Genies, die Künstler, die professionierten Poeten allein, denen es vorbehalten ist, die Poesie der Welt in ihrem vornehmen und geschmackvollen Versteck oder au contraire an den renommiertesten Glanz- und Gipfelpunkten einer von unserm Herrgott selbst arrangierten Ausstellung von Natur- und Kunstwundern, von allerlei Musterbildungen und Extraexistenzen zu studieren.

Die Poesie und Glückseligkeit, die echte Menschenbildung und Menschenstimmung ist kein Stapelplatz, kein Zeughaus und Museum, kein Rezept von so und soviel zusammengetrommelten Kardinal- und Patentschönheiten, die nur in solcher und in keiner andern Komposition, Kombination und Menage die allein richtige Bildung und Lebensart ausmachen; sondern sie ist mehr eine Innerlichkeit als eine Äußerlichkeit, mehr eine Einfalt und Leidenschaft des Herzens, eine konzentrierte Stimmung und eine Illumination als ein raffiniert üppiger, witzig kombinierter haut-goût von pikanten Extrakten aus aller Welt.

Es ist eine Narrheit mit allen Argumenten minder oder mehr, aber man kann sie gut thun; denn der Eifer für oder wider und die Bemühung, Proselyten zu machen für sein Glaubensbekenntnis und das Himmelreich seines Urteils oder Vorurteils, ist doch besser und herzlicher, als die modern beliebte Resignation, Bemessenheit und Objektivität, die in vornehmer Dicknäsigkeit und Apathie alle Lebenswerte annulliert, alle Heiligtümer säkularisiert, sich für und wider nichts ereifert und in Summa weder leben noch sterben kann, wo es einmal in Haß oder in Liebe zu leben und zu sterben gilt.

Die scherzhafte Konklusion »Irren ist menschlich und je mehr man irrt, desto menschlicher ist man« hat für unsere Zeit eine sehr ernsthafte Bedeutung. Oder wo sollten denn zuletzt die Charaktere und die Leidenschaften herkommen, wenn sie lediglich in den Dramen und Romanen verblieben, woher die Tragödien und die Komödien, wenn das Leben selbst den poetischen Bankerott erklärt hat?! Wie will denn aber irgend eine Poesie, wie will das Leben, der Lebensprozeß und die Weltgeschichte bestehen, wenn alle persönlichen Schwachheiten, wenn alle Einbildungen und Einfältigkeiten des Herzens, wenn alle Extravaganzen und Absonderlichkeiten des Genies, alle Lebensarten, alle Affekte und Humore alten Stils, im Interesse der modernen Vernunftobjektivität ein für allemal in Verruf erklärt worden sind? Gewiß, eine absolut vernünftige Welt wäre das unvernünftigste Ding von der Welt! Lassen wir es wenigstens so ein bißchen beim alten, bis das neue Weltprinzip sich zu dem litterarisch-ätherischen Leibe noch einen Körper in Fleisch und Bein zugebildet haben wird!


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