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Einleitung

Ein vergessenes Original! So ist Bogumil Goltz in einem zu seinem hundertsten Geburtstage erschienenen Gedenkartikel von Arnold Wellmer charakterisiert worden.

Aber dieses Original verdient der Vergessenheit entrissen zu werden. Am 20. März 1801 in dem damals preußischen Warschau geboren, hat Goltz fast ein halbes Jahrhundert erst als Landwirt, dann in dem kleinen Landstädtchen Gollub an der westpreußisch-polnischen Grenze verbracht, hat, wie er es nannte, »den besten Teil seines Lebens mit Polen und Juden verträumt.« Dann plötzlich tauchte er auf als gefeierter Schriftsteller und Rhapsode, dessen Bücher überall begehrt wurden, nachdem es ihm endlich gelungen war, einen Verleger zu finden für sein »Buch der Kindheit,« mit dessen Manuskript er, wie er selbst es bezeichnet hat, lange »hausieren gegangen.« Nun verglich man ihn, dem seine eigenartig interessante Persönlichkeit schnell in litterarischen Kreisen erhöhte Geltung und Wirksamkeit verlieh, mit Johann Georg Hamann, dem »Magus im Norden,« mit dem Humoristen v. Hippel und gleichzeitig mit Jean Paul. Arnold Wellmer, der in den Anfängen seiner eignen Thätigkeit die Blütezeit des nun vergessenen Originals miterlebt hat, meint jetzt zutreffend: »Einzelne Züge von allen Dreien finden wir in den Büchern von Bogumil Goltz, wenn auch nicht immer die musterhaftesten: das Formlose, Sprunghafte, Zerflatternde in der Darstellung und den Mangel an jener Selbstbeschränkung, in der sich, nach unserm Goethe, der Meister zeigt. Dabei aber auch: lebhafte Phantasie, drastischen Humor, regen Geist, tiefes Gemüt, poetischen Sinn, malerischen, kräftigen, originellen Stil und die seltene Gabe: sich in die Seelenzustände der Menschen zu versenken und sie plastisch vor uns hinzustellen. Er liebt es, sich grübelnd bald in einzelne Menschen zu vertiefen – bald in ganze Völker: und daraus Vergleiche zu ziehen – individualisierend und parallelisierend. Seine Welt ist wie bei Jean Paul und Hippel: das gemütvolle Kleinleben, mit liebenswürdigem Humor gezeichnet, und das ewig Menschliche. Welterschütternde Staatsaktionen und hohe Politik berühren ihn nicht.«

Man muß Bogumil Goltz aus seiner Zeit heraus beurteilen, jener Zeit, in der nach dem Ausspruch von Richard M. Meyer noch die Grobheit Charakter und das Schimpfen Stil besaß und nach den Süßigkeiten der »Amaranth« die originelle und wirksame Manier des barock humoristischen, urwüchsigen Autors wie kräftiges Landbrot genossen wurde. Vom Wesen und der Erscheinung des interessanten Mannes giebt Ludwig Pietsch in seinen »Erinnerungen« ein sehr anschauliches Bild. Er erzählt von seiner großen, wuchtig auftretenden, sich leicht vorgebückt haltenden, breitschultrigen Gestalt, dem Kopf mit höchst energisch gezeichneten Formen des glattrasierten Gesichts – damals, um die Mitte der fünfziger Jahre, ließ die ganze Erscheinung noch immer viel eher den Landwirt als den Schriftsteller in Goltz vermuten: »die dichten Brauen pflegte er nach der Nasenwurzel hin scharf und mit dem Ausdruck zorniger Entschlossenheit zusammen zu ziehen, den dünnlippigen Mund nach beiden Ecken hin zu zerren. Die kleinen grauen, tiefliegenden Augen blitzten und sprühten aus den Schatten der überhängenden Brauen hervor, wenn er zu sprechen begann und seine Rede im unverfälschtesten westpreußischen Dialekt, dann fessellos wie ein wilder Bachstrom, bald prächtig rauschend, bald polternd, bald krystallklar, bald Geröll, Kies und schwere Blöcke wälzend, dahinflutete und wirbelte ohne einen Moment des Stockens, der einem anderen die Möglichkeit gewährt hätte, ein Wort der Entgegnung dazwischen zu schieben. Man hörte ihm bald hingerissen und begeistert, bald betäubt und geärgert wortlos zu. Tiefe Weisheitssprüche, verwegene Behauptungen, spannende Erzählungen eigner und fremder Erlebnisse, Naturschilderungen, groteske Vergleiche, grimmige Ausfälle, Verwünschungen und Invektiven, polnische Juden- und westpreußische Dorf- und Kleinstadtgeschichten voll überwältigender Komik, glänzende Schilderungen, ergreifende Herzensergießungen, ästhetische Theorien, kritische und enthusiastische Beurteilungen von Kunstwerken aus alter und neuer Zeit drängten sich, oft in ungeheuerlichen Wortbildungen und Satzformen ausgeprägt, in wirrem Durcheinander von seinen Lippen.«

Zu dieser Schilderung finde ich ein interessantes, vielfach noch tiefer greifendes Gegenstück in einer Kritik Friedrich Hebbels über das »Buch der Kindheit« von Goltz. Sie stammt aus dem Jahre 1852. Hebbel hatte Goltz bei einem Mittagsessen im Hause von Ottilie v. Goethe kennen gelernt und erzählt ergötzlich davon: »Ein starkknochiger, etwas hagerer Mann mit durchdringenden Augen, mächtig hervorspringender Nase und einer Stirn, die Eigensinn und Willenskraft zugleich abzuspiegeln schien, perorierte in einem Kreise von erschrockenen Damen und staunenden Herren mit mächtiger Stimme gegen das schöne Italien; seine Garderobe erinnerte an einen Professor aus der ehrwürdigen Zeit, wo Lessing, als er tanzen und fechten lernte, sich gegen seinen Vater darüber verantworten mußte; der Frack schien ein uraltes Erbstück zu sein, und ein weißes Tuch, bis über das Kinn hinauf gebunden, vollendete den urväterlichen Eindruck. Aber seine Gedanken waren nicht alt und bestäubt; in kernigster Sprache entwickelte er eine Reihe der originellsten Ansichten und Ideen; die schlagendsten Ausdrücke, die treffendsten Bilder standen ihm zu Gebote und das Schneidende seiner Äußerungen wurde durch die Unmittelbarkeit ihrer Erzeugung, die das Wägen und Messen ausschließt, doch wieder gemildert. – Mit Italien, was er zuletzt gesehen hatte, war er ganz besonders unzufrieden; natürlich nicht mit dem Lande, mit dem blauen Himmel und den milden Lüften, sondern mit den Menschen und ihren Zuständen. Ging er so weit, daß man sich eine bescheidene Einwendung erlauben zu müssen glaubte, so lautete seine Erwiderung: er erwarte, daß man subtrahieren könne, und setze die vier Species überhaupt bei jedermann voraus. Kreuzte man ihn noch mit einer zweiten Bemerkung, so war er imstande, die Augen wie ein Märtyrer aufzuschlagen und auszurufen: »Gott, Gott, es giebt auf deiner Erde nur einen dummen Kerl, und man kann ihm nicht ausweichen, man trifft ihn vor den Pyramiden, im Kolosseum und überall!« Als man ihm aber das naive Wesen der Italiener vorhielt, meinte er: »die Naivetät des Rebhuhns ist noch größer und dennoch pflegt man es nicht über den Menschen zu erheben; übrigens ist es mir lieber, wenn derjenige, der mich totschlägt, hinterdrein nach alter deutscher Art, vom Gewissen gejagt, davonläuft, als wenn er sich in gut italienischer Manier aus meinem Leichnam ein Kissen macht und sich niederlegt, um sich von der gehabten Anstrengung zu erholen.«

Hebbel gewann aber bald die Überzeugung, daß die anscheinende Härte von Bogumil Goltz eben nur aus seiner Angst vor dem zu mächtigen Überströmen des tiefen Gefühls hervorgehe, dessen er sich im Innersten bewußt war. Charakteristisch dafür ist, wie er Hebbel von einem Vorfall auf seiner Nilfahrt Mitteilung macht. Seine Wäsche war gewaschen und auf dem Schiff zum Trocknen ausgehängt, während er schlief. Als er erwachte, sah er, daß die Wäsche vom Wind nach links und rechts entführt worden. »Eine ordinäre Geschichte, nicht wahr?« fuhr er fort. »Der Verlust war in jeder Weise zu ersetzen! Allerdings, bis auf die Erinnerungen! Das alles hatte mein Weib mit emsigen Händen in langen Winterabenden im fernen Norden geschafft und nun sollten die Krokodile es zerreißen!«

Wie sehr die äußere Schroffheit bei Goltz das Produkt seiner inneren Weichheit war, sieht Hebbel sofort bei der Lektüre vom »Buch der Kindheit« bestätigt und sagt nun in seiner Kritik: »– – nur der aus dem Gemüt herauslebende Mensch fühlt ein Bedürfnis und ist imstande, sich wieder in seine Kindheit zu vertiefen; ein anderer läßt sich von seinen Kinderjahren nicht hofmeistern, um Schillers Ausdruck zu gebrauchen. Von welcher Fülle der echtesten Poesie strotzt fast jedes Kapitel! Wenn es jemals einen Dichter gab, der den Pfad zum Paradies der Kindheit zurückfand, so ist es Goltz. Er ist ein Landsmann von Hippel, Hoffmann, Hamann und Kant. Hippel scheint jenen Blick fürs Detail des Stilllebens auf ihn vererbt zu haben, der seinen »Lebensläufen« die klassische Seite gab; Hoffmann das glänzende, Ader und Nerv zugleich in den Rahmen bringende Darstellungstalent, welches von ihm selbst leider an Gespenster und Fratzen verschwendet wurde. Von Hamann hat er einen mystischen Zug, der ihn abhält, die Nacht als die bloße Abwesenheit des Tages aufzufassen, und in so weit gesund ist, als er dies thut.«

Freilich bis Bogumil Goltz litterarische Beachtung gefunden und sich in die geistige Gemeinschaft da draußen fröhlich und in seiner lärmenden Art, die ihm Otto Roquette so verdacht hat, mischen konnte, hat er schwere Jahrzehnte durchzumachen gehabt. Am 20. März 1801 ward er als Sohn eines preußischen Staatsgerichtsdirektors in Warschau geboren, in keineswegs glänzenden Verhältnissen. Erst für die Landwirtschaft vorbereitet, bezieht er 1822 als studiosus theologiae die Universität Breslau, hört aber nur philosophische und philologische Vorlesungen. Nach drei Semestern aber muß er diese Studien bereits abbrechen und auf dringendes Verlangen des Vaters dessen kleines Gut Lissewo bei Thorn zur Bewirtschaftung übernehmen – gleichzeitig verheiratet er sich mit einem Fräulein v. Blumberg. Aber als Gutsbesitzer hatte er herzlich wenig Glück, allerlei andere ärgerliche Umstände kamen hinzu, so daß er sich bald gezwungen sah, sein Gut zu verkaufen und es mit Pachtungen zu versuchen. Er saß nun in dem kleinen, 2700 Einwohner zählenden Städtchen Gollub, und stand in Gefahr zu verbauern und geistig zu verkümmern, wie seine Umgebung. Er hat später in seinem Werke »Ein Kleinstädter in Ägypten« von dieser Schreckenszeit berichtet, wobei er das Städtchen Gollub freilich Flachsenfingen benannt hat: »Ich habe in Flachsenfingen die langen, regnichten, kothigen, todesfinstern, traumwüsten und nordisch-ägyptischen Spätherbstabende mit dem Bürgermeister, dem Apotheker, dem Doktor, dem Grenzcontroleur u. s. w. ins ungeschneuzte Talglicht geschaut. Ich habe zuweilen dieses einzige trübe Ressourcenlicht lichtfreundlich mit meinem bißchen Witz geschneuzt; aber die Flachsenfinger fingen doch nicht viel Feuer und konnten sich auch nicht darauf einlassen, denn sie trugen vaterländische Perücken von Flachs. Ich habe mir also auch eine dergleichen, mit einem ordentlichen kleinstädtisch antediluvianischem Zopfe auf das in solchem Klima sehr bedeutend entwickelte Occiput gestülpt; ich habe mit meinen Leidensgefährten und Kulturverschwornen Braunbier getrunken, mit ihnen um die Wette gegähnt und den Kinnbackenkrampf ausgehalten, mich mit ihnen in Anekdoten und schlechten Witzen übernommen, mit ihnen über der langen Weile im stillen gebrütet und ein herkömmliches: »Ja, ja, so geht's in der Welt!« – oder: »Man wird wohl schlafen gehen müssen!« – oder: »Da sind wir mal wieder beisammen gewesen!« – produziert. – Ich habe mit den Mummelburgern fraternisiert und musiziert; ich habe zwei heiser lamentierende Geigen auf einem Bierbasse oder Krugviolon begleitet, um nur zu vermeiden: daß ein Autochthon mit dem nassen Daumen den Bassisten machen möchte. Ich habe alles mögliche und noch etwas darüber hinaus für die Flachsenfinger Geselligkeit und Kurzweil gethan. Ich war sogar daran, auf Brusbart und Galgenknaster anzubeißen, obgleich ich weder spiele noch rauche; da trat der Genius meines Lebens vor mich hin und sagte: »Mensch, bedenke dein Ende!« – aber nicht fürder in Hühnerhorst; du hast bereits Pips und Mauser überstanden; du bist für eine höhere Staffel gereift. Jetzt denke darauf, wie du deine Lenden gürtest, den Staub von deinen Füßen schüttelst und nie wiederkehrst.«

Endlich, 1846, als die Verhältnisse für ihn immer schlimmer geworden, gab er die Landwirtschaft auf, siedelte nach Thorn über und begann zu schriftstellern. Schon sein erstes Werk »Buch der Kindheit,« das 1847 erschien, machte ihn bekannt und beliebt. Er konnte auf den Kredit seines Namens sich nun bereits überall zeigen. Als Vortragender hat er mit seinen oft extemporierten Darbietungen damals überall verblüfft. Alles was er in jahrzehntelangem Beobachten in sich aufgespeichert und durch eine umfassende Lektüre an Gedanken noch vermehrt hatte, sprudelte er nun heraus, oft in einer chaotischen Überfülle, aber doch auch wieder mit so hinreißender Lebendigkeit und liebenswürdigem Humor, mitunter paradox, aber stets anregend und fesselnd. So groß waren seine ersten Erfolge bereits, daß er 1849 eine Reise nach Ägypten unternehmen konnte. Sein bereits erwähntes Werk über diese Reise gehört mit dem »Buch der Kindheit,« dem »Jugendleben,« einem biographischen Idyll aus Westpreußen, den »Typen der Gesellschaft« zu den besten Werken des eigenartigen Denkers und humorvollen Schilderers, der ruhelos durch die Welt zog und dem doch die besten Schöpfungen gelingen, wenn er Stimmungen und Originale seiner Heimat wiedergiebt. Seinen Schöpfungen fehlt zumeist freilich das künstlerische Maß, die Beschränkung des Meisters, aber zutreffend heißt's in der »Deutschen Biographie,« daß mit den von Goltz verschleuderten Geistesfunken ein Halbdutzend anderer Menschen immerhin ein hübsches Geschäft begründet, sich bei einiger Industrie und Vorsicht rühmlich hervorgethan und am Ende gar noch in Miniaturausgaben unsterblich geworden wären.

Um dieses Original vor unverdienter Vergessenheit zu bewahren und die schönsten Schätze aus seinem reichen Besitz einem großen Leserkreise zu erschließen, ist diese Neuausgabe unternommen worden, deren erstes Heft den Leser in die Heimat des Dichters führt und erkennen läßt, wie und aus welchen Lebensbedingungen heraus er sich entwickelt hat. Zugleich aber wird aus mehreren Kapiteln ersichtlich, wie viel echte Poesie doch in diesem so spät zu seinem wahren Berufe, und deshalb nie zu harmonischer Entwicklung gekommenen Originale gesteckt hat.

Philipp Stein.


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