Glauser, Friedrich
Matto regiert
Glauser, Friedrich

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Die Brieftasche

Die gleiche, aus bunten Wollen gelismete Haube war über die Kaffeekanne gestülpt. Es war der gleiche Tisch, und auch die gleichen Leute saßen an ihm. Studer, am obern Ende des Tisches, hatte das Fenster im Rücken; zu seiner Linken saß Laduner und rechts von ihm die Frau des Arztes. Studer präsidierte also gewissermaßen, genau wie am gestrigen Morgen. Nur eben: die Stimmung war merklich anders…

Die Sonne fehlte.

Vor dem großen Fenster stand eine Wolkenwand, wie eine riesige Betonmauer. Graues Licht drang ins Zimmer, und Frau Laduners roter Schlafrock leuchtete nicht mehr.

»Wie hat Ihnen der Wachsaal in blauer Nachtbeleuchtung gefallen, Studer?« fragte Laduner. Er las den ›Bund‹ und blickte nicht auf.

Ausgezeichneter Nachrichtendienst! Sollte man parieren, indem man Herrn Dr. Laduner fragte, was er in der Sichlete-Nacht im Sous-sol bei der Heizung verloren hatte? Nein. Man ließ das besser sein und beschränkte sich auf die bescheidene Feststellung:

– Ja, so ein Wachsaal bringe einen auf mancherlei Gedanken. »Wie ich die eingesperrten Leute gesehen habe, Herr Doktor, habe ich denken müssen, die Anstalt hocke wie eine riesige Spinne inmitten des Landes und die Fäden ihres Netzes reichten bis in die hintersten Dörfer… Im Netz, wissen Sie, zappeln die Angehörigen der Patienten… Und sie spinnt richtige Schicksalsfäden, die Spinne – ich meine die Anstalt – oder Matto, wenn Sie lieber wollen…«

Laduner blickte von seiner Zeitung auf:

»Sie sind ein Dichter, Studer. Ein heimlicher Dichter. Und das ist vielleicht ungünstig für den Beruf, den Sie nun einmal ausüben müssen. Wären Sie kein Dichter gewesen, hätten Sie sich der Wirklichkeit angepaßt, dann wäre Ihnen die Geschichte mit dem Obersten Caplaun nicht passiert… Aber eben, Sie sind ein poetischer Wachtmeister…«

– Das habe er mängisch au deicht, sagte Studer trocken. Aber das Dichterische hänge doch mit der Einbildungskraft zusammen, mit der Phantasie, nid? Und die Phantasie sei doch nicht ganz zu verachten. Der Herr Doktor habe ihm auch geraten, sich in verschiedene Personen hineinzudenken, gewissermaßen in fremde Häute zu schlüpfen – er tue sein möglichstes. Und hin und wieder habe er damit Erfolg. Er habe da beispielsweise den Bundesratsattentäter Schmocker dazu bringen können, ein Geständnis abzulegen über den Diebstahl eines Schlüssels. Daran sei auch nur seine poetische Ader schuld. Er habe sich vorgestellt, ganz dunkel…

»Unbewußt!« unterbrach Dr. Laduner.

… unbewußt, wenn der Herr Doktor wolle, daß besagter Schmocker ein Feigling sei; er habe ihn ein wenig getätschelt, dann habe der Mann ausgepackt…

»Psychotherapie!« sagte Dr. Laduner und lachte. »Wachtmeister Studer als Psychotherapeut! Wir dürfen nicht tätscheln. Wir müssen streng sachlich vorgehen. Und wenn uns auch unsere Hilfskräfte, die Pfleger, manchmal auf die Nerven gehen, wir müssen ruhig bleiben. Wir lernen ehemalige Metzger, Karrer, Melker, Schuster, Schneider, Maurer, Gärtner, Kommis an, geben ihnen Kurse, trichtern ihnen den Unterschied ein zwischen schizophren und manisch-depressiv, und dann heften wir ihnen, wenn sie eine Prüfung gut bestanden haben, als Orden ein weißes Kreuz in rotem Felde an das Revers ihrer Kutte… Mehr können wir nicht tun… Und mit den Patienten?… Da wird es noch schwieriger… Wir sprechen, wir suchen zu korrigieren, wir schlagen uns mit kranken Seelen herum, wir überreden… Aber die Seele! Die ist schwierig zu fassen!… Sie sollten einmal das Aufatmen eines unserer Assistenten sehen, wenn ein Schizophrener sich entschließt, an einer Bronchitis oder an einer simplen Angina zu erkranken… Endlich kann man mit erprobten Mittelchen hinter die Sache, kann einmal ein wenig die Seele vergessen und sich um den Körper kümmern… Der Körper läßt sich viel einfacher behandeln: Aspirin, Gurgeln, Umschläge, Fieber messen! Aber die Seele! Manchmal versuchen wir ja auch, der Seele auf dem Umweg über den Körper beizukommen, wir versuchen Kuren…«

»An denen die Leute manchmal sterben…« unterbrach Studer. »Manchmal zwei bis drei in einer Nacht…«

Er blickte in seine leere Tasse und wartete, was nun kommen würde.

Die Zeitung raschelte, und dann kam richtig die Antwort, die an Schärfe und Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ: »Über therapeutische Maßnahmen bin ich keinem Laien Rechenschaft schuldig, sondern einzig und allein meinem ärztlichen Gewissen…«

Sehr schön und klar formuliert. Ärztliches Gewissen… Mira… Es schloß einem den Mund. Aber man tat ihn trotzdem auf und sagte sehr höflich:

»I hätt gärn no-n-es Taßli Gaffee, Frou Dokter… E nüechtere Mönsch het e kes Gfeel…«

Frau Laduner lachte, daß ihr die Tränen in die Augen traten, und auch ihr Mann schnaubte kurz durch die Nase. Dann reichte er Studer die Zeitung. Er solle lesen…ja… den Absatz da…

»Der langjährige verdiente Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Randlingen ist einem traurigen Unglücksfall zum Opfer gefallen. Man nimmt an, daß er bei einem nächtlichen Rundgang in einer der Heizungen Lärm gehört hat und dem Lärm nachgegangen ist. In der Finsternis wird er einen Fehltritt getan haben und ist hierauf drei Meter tief abgestürzt. Mit gebrochenem Genick wurde der Bedauernswerte entdeckt. Herr Direktor Ulrich Borstli, der mit eiserner Pflichterfüllung und nie ermüdendem Eifer seinem schweren Dienste…«

Studer ließ die Zeitung sinken und starrte ins Leere. Er sah die Wohnung unten im ersten Stock, das aufgeschlagene Buch auf dem Schreibtisch, die Kognakflasche und die Photographien der Kinder und Enkel, das große Bild der ersten Frau…

Die Einsamkeit…

Von der Einsamkeit wußten die Zeitungsleute nichts… Sie kannten nur die ›eiserne Pflichterfüllung‹…

In der Dunkelheit abgestürzt?… Aber die Lampe brannte ja in der Heizung! Die Lampe brannte!… – Ich hab' ja selber den Schalter gedreht, um zu löschen! dachte Studer…

Natürlich konnte Dr. Laduner nichts von der brennenden Lampe wissen, er wußte ja auch nichts von dem Totschläger auf dem Absatz…

Der Wachtmeister fragte ruhig:

»Was hat die Sektion eigentlich ergeben?«

»Nichts Besonderes«, antwortete Dr. Laduner. »Unglücksfall… Wie ich es der Presse mitgeteilt habe…«

»Dann«, sagte Studer, »wäre meine Mission eigentlich beendigt. Das Verschwinden des Direktors ist aufgeklärt und sonst… Der entwichene Patient Pieterlen wird auch ohne meine Hilfe wieder eingebracht werden…«

Bei den letzten Worten blickte Studer auf und dem Arzte fest in die Augen. Dr. Laduner hatte sein Maskenlächeln aufgesetzt.

»Warum brüskieren, Studer?« fragte er. Es sollte herzlich klingen, aber schwang da nicht ein anderer Ton mit? – »Wie mir gemeldet worden ist, haben Sie ja schon Vorzügliches geleistet: Sie haben aufklären können, auf welche Weise der Patient Pieterlen hat entweichen können, Sie haben den Direktor entdeckt… Aber es wird Ihnen nicht entgangen sein, daß noch etliche Unklarheiten bestehen: Ich habe erfahren, daß dem verstorbenen Direktor am Mittwochmorgen eine größere Summe ausbezahlt worden ist. Wohin ist diese Summe verschwunden? Die Taschen des Toten waren leer, daran werden Sie sich erinnern… wo ist das Geld hingekommen?… Hat Pieterlen den Direktor getroffen? Hat er ihn hinuntergestoßen? – Wissen Sie, die von mir inspirierte Zeitungsnotiz ist eine reine Beruhigungsmaßnahme, eine Tarnung, um ein heute viel gebrauchtes Wort zu verwenden. Aber was ist in Wirklichkeit geschehen?… Dies herauszufinden ist Ihre Sache, obwohl Sie keinen Ruhm ernten werden… Offiziell wird der Direktor immer einem Unglücksfall zum Opfer gefallen sein. Aber ich meine, es kann nichts schaden, wenn wir die Wahrheit entdecken… Denn die Wahrheit – Sie wissen, Studer, was ich meine – rein vom wissenschaftlichen Standpunkte aus wäre es von Interesse…«

Am liebsten hätte Studer folgendes erwidert:

›Mein lieber Doktor, warum ist Ihre Rede nicht mehr geistreich und witzig? Sie verhaspeln sich ja! Sie sind unsicher! Was ist mit Ihnen los? Mann! Sie haben ja Angst!‹

Aber von all dem sagte er nichts, denn er sah in Dr. Laduners Augen, sah, wie der Blick sich veränderte – zwar die Maske, das Lächeln, blieb –, aber nun war es kein unkontrollierbarer Eindruck, jetzt war es festzustellen, jetzt war es zum Greifen deutlich: Dr. Laduner hatte Angst! Jawohl, Angst!… Wovor? Man durfte nicht fragen…

Den Wachtmeister Studer von der Fahndungspolizei überkam ein seltsames Gefühl. In seinem langen Leben war es ihm nie eingefallen, über seine Gefühlsregungen nachzudenken. Meist handelte er nach dem Instinkt oder dann nach den Prinzipien der Kriminologie, wie sie seine Lehrer in Lyon und in Graz festgelegt hatten. Aber jetzt versuchte er sich Rechenschaft zu geben über das Gefühl, das er diesem Dr. Laduner entgegenbrachte; und er stellte fest, daß es Mitleid war. Vielleicht war der Aufenthalt in einer Anstalt an dieser Klarheit schuld – denn beschäftigte man sich hier nicht ausschließlich mit den Regungen des Gefühls- und Seelenlebens? Färbte das nicht ab? Genug: er fühlte Mitleid; aber eine besondere Art Mitleid. Es ließ sich schwer in Worte fassen…

Brüderliches Mitleid war es, das man zu dem sonderbaren Menschen Laduner fühlte, fast eine Liebe, am ehesten jener zu vergleichen, die ein älterer Bruder, der wenig Erfolg gehabt im Leben, für seinen Benjamin fühlt, der klüger ist und groß und berühmt. Eben deshalb aber ist er von Gefahren bedroht, die gebannt werden müssen…

Vor allem, und das sollte man festhalten, hatte Dr. Laduner sicher Angst vor einem Skandal, denn ein Skandal würde seine Wahl zum Direktor vereiteln…

Studer lächelte, sagte tröstend:

»Also: die Wahrheit suchen… Gut, Herr Doktor… Die Wahrheit für uns

Und er betonte das ›uns‹.

Es klopfte. Ein junges Mädchen meldete, der Pfleger Gilgen lasse fragen, ob er den Herrn Doktor sprechen könne… Sie habe ihn ins Arbeitszimmer geführt.

»Gut«, sagte Laduner. Und er komme gleich.

Dann blickte er einige Zeit in seine leere Tasse, als wolle er, wie eine Wahrsagerin, die Zukunft aus dem Kaffeesatz deuten, schließlich hob er wieder die Augen, sein Blick war ruhig. Und um seinen Mund lag der gleiche weiche Ausdruck wie am Abend zuvor, da er vom Demonstrationsobjekt Pieterlen gesprochen hatte…

»Sie sind ein komischer Kerl, Studer«, sagte er. »Und Sie scheinen nicht vergessen zu haben, daß ich Ihnen Brot und Salz geboten habe…«

»Vielleicht«, meinte Studer und blickte weg, denn er haßte gefühlvolles Gehaben. Darum begann er auch sogleich vom Pfleger Gilgen zu sprechen, der ihn gebeten hätte, beim Herrn Doktor ein gutes Wort für ihn einzulegen, da er entlassen werden solle…

»Das kommt doch gar nicht in Frage!« sagte Laduner erstaunt. »Ist der Mann verrückt geworden? Mit dem Jutzeler ist der Gilgen mein bester Pfleger – ich möchte sogar sagen, der Gilgen ist der bessere… Der hat die Prüfung schlecht bestanden, aber was hat das zu sagen? Er kann mit den Leuten umgehen, er weiß mehr mit dem Instinkt als wir mit all unserer Wissenschaft… Das will ich ehrlich zugeben… Sie hätten den kleinen Gilgen sehen sollen, wie er einmal einen erregten Katatoniker beruhigt hat, der um zwei Köpfe größer war als er. Ganz allein. Ich bin zufällig dazugekommen… Sie haben doch schon Melker gesehen, die mit dem störrischsten Stier umzugehen wissen… Der Muni senkt die Hörner und will auf sie los, und sie locken. Ssä, ssä, ssä… Der kleine Gilgen sagte auch ssä, ssä zu dem Katatoniker… Und der Erregte wurde ruhig, er ließ sich ins Bad führen, und Gilgen blieb ganz allein bei ihm und redete mit ihm, obwohl der andere katzsturm war… Aber das störte den Gilgen nicht. Es gibt so Menschen, die ein Gefühl haben für Kranke… Nein, den Gilgen wollen wir behalten… Ich hab da dunkle Andeutungen gehört, er soll Patientenwäsche getragen haben, der Direktor war wütend letzte Woche, und der Jutzeler hat sich für seinen Kollegen eingesetzt – obwohl die Kollegialität hier unter den Pflegern ein Kapitel für sich ist… Schade, daß der kleine Gilgen Sorgen hat… Ich will mit ihm sprechen gehen…«

Studer blieb sitzen, ließ sich von Frau Laduner bedienen, war zerstreut und hörte nur mit halbem Ohre zu. – Auf morgen sei das Begräbnis festgesetzt, nachher werde es ein wenig stiller, erzählte die Frau Doktor, und das werde gut sein für ihren Mann, der sei dermaßen überarbeitet…

Aber, unterbrach sie sich, der Herr Studer sei sicher müde, sie habe so lachen müssen heute morgen, daß er im Bad eingeschlafen sei, ihrem Manne sei das auch schon zweimal passiert – und ob er nicht noch ein wenig abliegen wolle? Sie wolle schnell go luege, ob das Meitschi das Zimmer schon gemacht habe, inzwischen könne er ja ins Arbeitszimmer hinübergehen. Ihr Mann sei wahrscheinlich zum Rapport gegangen – sie stand auf, öffnete die Tür zum Nebenzimmer –,ja, Studer solle nur hineingehen, sich in einen bequemen Stuhl setzen, Bücher habe es genug… Und sein Zimmer werde bald fertig sein… Bald darauf erfüllte das eintönige Summen eines Staubsaugers die Wohnung.

So stand Studer im Arbeitszimmer und blickte mit einer gewissen Scheu auf das Ruhebett, auf dem der Herbert Caplaun geweint hatte – die Tränen waren ihm über die Backen gerollt… Er dachte an Pieterlen und an die Sitzung vom gestrigen Abend… Heute war alles anders. Die Blumen des Pergamentschirmes hatten ihre leuchtende Farbe eingebüßt, genau wie der Schlafrock Frau Laduners…

Studer schritt hin und wieder, blieb beim Büchergestell stehen, zog ein Buch heraus, dessen Rücken ein wenig vorstand, blätterte darin, las eine angestrichene Stelle: »… die psychogenreaktiven Symptome, die z. T. eine sekundäre Determination der primären Prozeßsymptome, etwa der Parästhesien…«, übersprang ein paar Worte dann: »… katatone Haltungen, Stereotypien, Halluzinationen, Dissoziationen…« – Das war chinesisch!… – blätterte weiter, fand eine andere Stelle, die angestrichen war. Der Wachtmeister begann zu lesen, wurde aufmerksam, hielt das Buch nahe an seine Augen, setzte sich. Er las die Stelle einmal, las sie ein zweites Mal, sah nach dem Titel des Buches und las die angestrichene Stelle zum drittenmal; diesmal murmelte er die Worte, die er las, vor sich hin, wie ein Schüler der ersten Klasse, der noch Mühe hat, das gedruckte Wortbild in seiner Bedeutung zu erfassen:

»Der Psychotherapeut ist gefühlsmäßig am Schicksal seines Patienten beteiligt; daraus entsteht die Gefahr einer zu lebhaften Gegenbindung an den Patienten. Das Verhältnis Arzt-Patient kann sich auf die Ebene einer Freundschaft verschieben; geschieht dies, so hat der Arzt sein Spiel verloren. Denn es darf nie vergessen werden, daß jede seelische Behandlung sich in Form eines Kampfes abspielt. Eines Kampfes zwischen dem Arzt und der Krankheit. Soll dieser Kampf siegreich enden, so darf der Arzt nicht helfender Freund, er muß dauernd Führer bleiben; dies wiederum ist nur möglich bei Innehaltung einer Distanz…«

Studer klappte das Buch zu…

Distanz!

Das hieß: drei Schritt vom Leib! dachte er… Wie macht man das? Man will helfen, aber man muß sich selber immer auf die Finger sehen, damit die Finger hübsch brav bleiben und nicht freundschaftlich tun… Studer schnaubte.

Was die Menschen doch alles fanden! Da gab es: Eheberater, bestallte Psychologen, Psychotherapeuten, Fürsorger; es waren erbaut worden: Trinkerheilanstalten, Erholungsheime und Erziehungsanstalten… All dies wurde eifrig und bürokratisch betrieben… Aber viel eifriger noch und weniger bürokratisch wurden fabriziert: Gasbomben, Flugzeuge, Panzerkreuzer, Maschinengewehre… Um sich gegenseitig umzubringen… Es war wirklich eine kohlige Sache um den Fortschritt… Man war human, mit dem Hintergedanken, sich so schnell als möglich aus der Welt zu schaffen… Chabis! Auf was für Gedanken man kam, wenn man eine Untersuchung in einer Heil- und Pflegeanstalt zu führen hatte, wenn man sich also in jenem Reiche befand, in dem Matto regierte…

Distanz!

Hatte Dr. Laduner immer Distanz gewahrt! Anscheinend nicht, warum hätte er sonst die Stelle angestrichen? Und während diese Gedanken durch seinen Kopf gingen, wollte der Wachtmeister das Buch an seinen Platz stellen. Aber es gelang ihm nicht. Er griff mit der Rechten hinter die Bücher, faßte einen weichen ledernen Gegenstand, erschrak ein wenig, zog ihn dann hervor…

Da hatte man die Bescherung!… Eine Brieftasche… Eine Tausendernote… Zwei Hunderternoten… Ein Paß: Name: Borstli. Vorname: Ulrich. Beruf: Arzt. Geboren:… Doch wozu weiterlesen? Es war klar, klar wie Quellwasser.

Unmöglich zu beantworten aber war die Frage, wie die Brieftasche des alten Direktors sich ausgerechnet hinter den Büchern des Dr. Ernst Laduner versteckt hatte.

Und da die Frage nicht zu beantworten war, beschloß Wachtmeister Studer, sich Zeit zu lassen. Er steckte die Brieftasche ein, ging ans Telephon und ließ sich durch den Portier Dreyer mit dem kantonalen Polizeidirektor verbinden. Die Nummer des II. Arztes war ja rot und hatte somit Anschluß nach auswärts…

–… Studer solle nur ruhig in Randlingen bleiben, solange er es für nötig finde… Im Büro sei er doch nicht zu brauchen. Ja, er habe erfahren, daß der Direktor Borstli tot sei… So? Studer habe ihn gefunden?… Eine blinde Henne finde manchmal auch ein Korn… Das Signalement des Pieterlen? Ja, das habe er erhalten. Es sei schon telephonisch durchgegeben worden, und heute mittag komme es im Radio… Wiederluege…


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