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10.
– Und Matt!

Edmund hatte sich einreden wollen, es könne für ihn in dieser Welt keinen wahren Schmerz mehr, nur noch Unwillen und Aerger geben. Aber nach dieser Begegnung war es doch wieder Etwas, von dem alten gewaltigen Grame, das in ihm sich regte, und das ihm wohlthat, weil darin seine Seele in ihrer ganzen Kraft wieder einmal sich fühlen konnte. Er hatte alles Gewaltsame vermeiden, mit den Verhältnissen in Frieden, wenigstens in Waffenstillstand leben, mit diplomatischer Sicherheit sich akkommodiren wollen, und nun war er wieder auf die empfindlichste Weise in neue ungeahnte Konflikte hineingerathen. Jetzt, wo er endlich einmal die in sich ruhende Freude am Dasein aufgefunden, wo er seine widerspenstige Gesinnung verleugnend, den anregenden Umgang befreundeter Menschen, den Reiz einer bevorzugten Persönlichkeit schätzen gelernt, jetzt ließ die Verleugnung der Gesinnung ihn unwürdig erscheinen, vor dem, was er als edel und schön bewunderte.

Viktorine war seit jenem Auftritte gegen den Baron plötzlich von jener herausfordernden Koketterie, die er beim ersten Begegnen an ihr kennen gelernt hatte, und zugleich von einer ganz neuen Freundlichkeit, die er aber als den kalten Weltton erkannte, mit dem sie die intimeren Beziehungen zu ihm für abgebrochen erklärte.

Nach mehreren Tagen frug sie ihn in ihrer schnippischen Weise: Nun, was treiben Sie, Herr Baron, – natürlich außer Ihren Amtsgeschäften, denn dabei, denke ich mir, wird man nur getrieben, wie –, doch ich will kein Beispiel wählen, das mißgedeutet werden könnte!

– Wie der Ochse vor dem Pfluge, wollten Sie sagen.

– Meinen Sie das? Das könnte allerdings mißverstanden werden, als wollte ich beide Geschäfte für gleich, – wenn nicht ehrenhaft, so doch segensreich halten. Glauben Sie denn, daß der Pflug, den Sie ziehen, – denn wie er gelenkt wird, haben Sie wohl nicht zu verantworten, – also glauben Sie, daß dieser Pflug Furchen für frische Saaten öffnet?

– Mein Fräulein, Sie wollen mir Staatsgeheimnisse entlocken!

– Also denn Ihre Privatbeschäftigungen? Was treiben Sie? sagte sie nachlässig, mit der Lorgnette spielend, um nur Etwas zu sagen.

– Ich grolle mit der Welt.

– Was Ihre Lieblingsneigung zu sein scheint.

– Besonders da man täglich Anlaß findet, sie zu befriedigen.

– Und was für neuen Anlaß?

– Daß man so höflich gegen einander ist.

– Und wie sollte man denn anders sein? Etwa brutal?

– Gewiß, denn dann würde man ehrlicher sein; man würde sich gegeneinander aussprechen, würde wissen, wie man mit Jedem daran ist, ob als Freund oder Feind; man würde bei den Freunden gegen Verleumdungen sich vertheidigen, in seinen Fehlern sich bessern können, und gegen die Feinde die nöthige Vorsicht oder Schroffheit anzuwenden wissen. So aber muß man stets gegen einander auf der Lauer liegen, um sich ein Zeichen von ehrlicher Meinung abzulauschen. Man kann auf Freundlichkeit keine Freundschaftlichkeit mehr gründen, denn die gesteigerte Höflichkeit ist oft nur die Maske der Gegnerschaft oder doch des beleidigten Unwillens –

Viktorine konnte bei der Beziehung dieser Worte eine geringe Verlegenheit nicht verbergen, und deshalb warf sie ihr Haupt nachlässig auf die Seite und sah den Baron mit keckem Trotze an, als er fortfuhr: da lobe ich mir die alte deutsche Studentenart. Da giebt es Derbheit, und drum auch Ehrlichkeit. Wenn mir da ein Bursche unangenehm war, so sagt' ich's ihm Aug' in Auge: Dein Gesicht gefällt mir nicht! Er fand das »sonderbar«, und damit war es abgemacht, daß wir am andern Morgen auf der Haide uns trafen. Da hieß es: auf die Mensur! Bindet die Klingen! – Los! – und nun schwipp, schwapp, Quart, Terz, Terz, Quart – Halt – Halt – Hat gesessen – Gesessen – Abgeführt – Ich gebe mich! Der Schmiß wurde zugenäht, man setzte sich zum Biere, sprach sich ehrlich aus, renommirte mit seiner Courage und schloß am Ende die ehrlichste Freundschaft. Aber hier bei dieser verteufelt guten Lebensart kommt man ja aus der ewigen Diplomatie, des Anderen Gesinnung zu errathen und die eigne kund zu geben oder zu verbergen nicht hinaus. Man darf die Worte nicht nehmen, wie sie klingen, – dürfte man wenigstens stets das Gegentheil des Sinnes darein legen! Es hieße: ich freue mich unendlich, – alsdann: wie ist der Mensch mir verhaßt! Und wollte ich Jemandem eine Schmeichelei sagen, so dürfte ich mich vielleicht ausdrücken: Zum Teufel auch mit Ihrer ewig freundlichen Larve!

Viktorine nahm sich jetzt zusammen, nicht verletzend gegen ihn zu sein, und mit harmloser Schelmerei ein andermal ihn anredend, sprach sie, seinen eignen Scherz nachahmend, vom Wetter, vom Datum, von Göthe und Schiller. Hieran anknüpfend sagte er: Und wenn Sie auch darüber lachen, daß ich Schulbücher lese, ich muß es doch gestehen, daß ich meinen Göthe nochmals lese und zwar mit wahrem Schüler-Fleiße.

– Und was wollen Sie aus ihm lernen?

– Das was Gentz, wie er der Rahel schreibt, in ihm bewundert hat: die wahrste, edelste Diplomatie des Lebens. Es ist eine alte Phrase: Schiller sagt uns, was wir sollen, – in Göthe aber liegt die Weisheit: wie wir es können. Und an einem »was« dürfte es uns Allen wohl nicht fehlen, wir wissen, was wir wollen, was zu thun, was zu sagen, – aber das »wie« ist es, wo uns Takt, Maaß und Lebensart fehlen, – mir wenigstens mehr als oft. Aber ich werde mich bessern, ich werde meine Ueberzeugung bald los sein, ich werde viel, viel im Göthe lesen, und der schönste Spruch, den er geschrieben, ist wohl der: Denn wollt Ihr wissen, was sich ziemt, so fragt bei edlen Frauen an.

– Und das wollen Sie wissen?

– Gewiß, und womöglich von Ihnen.

– Doch wozu?

– Um es anzuwenden.

– Anwenden? Wozu brauchen Sie es anzuwenden?

– Die gute, die beste Lebensart nicht anwenden?

– Nun nein! Wozu brauchen Sie das? – Sie sind ja Baron!

– Und habe ich als solcher nicht das Recht, von guter Bildung zu sein?

– Das Recht wie Jeder, aber nicht die Pflicht. Sie sind ja freier Herr, Herr Freiherr, – hors de loi. Sie haben das Vorrecht, zu Allem und in Allem Recht zu haben. Sie sind ein Ritter, ein Nachkomme der edlen Schnapphahnsgeschlechter, der freibeutet auf das, was ihm nicht zufallen will, und – was wir, die wir bloß Menschen sind und nicht Barone, mit Anstand, Fleiß und Nachdenken uns erwerben müssen, das –

– Also darauf sollte es hinaus? Nun, ich darf mich bedanken, verehrtes Fräulein. Sie haben mit dieser beabsichtigten Malice eine hoffentlich auch beabsichtigte Gefälligkeit mir erwiesen.

– Und welche?

– Daß wir nun quitt sind.

– Meinen Sie?

– Ich bin überzeugt, daß Sie mir verzeihen, mich verstehen und wieder achten werden, wenn ich aufrichtig gegen Sie sein dürfte.

– Schenken Sie mir nicht stets Aufrichtigkeit?

– Nicht immer. Denn ich weiß nicht, ob Sie sich soweit für mich interessiren, sie entgegenzunehmen.

– Ein wenig interessire ich mich für Sie; Sie sind kein ganz gewöhnlicher Mensch, und ich könnte im Uebrigen alle Achtung vor Ihnen haben, nur das Eine begreife ich nicht, und soweit ich es begreife, muß ich Ihnen, ganz ehrlich gesagt, meine Achtung versagen, wie Sie Beamter aus voller Gesinnung sein können, und nicht einer von den Beamten, die höchst ehrenhaft mechanisch Tag für Tag ihre Pflicht thun, wie der Landmann hinter dem Pfluge, der Tischler im Holz; nein, wie man mir gesagt, gehören Sie zu den Beamten, die geistreich sein, die nicht nur mitgehen, sondern die Initiative ergreifen müssen, die ihre Gesinnung verkaufen, um die Gesinnung Anderer zu vertreten, die – nun, die noch einmal die Verantwortung werden tragen müssen, für die unverantwortliche Verwirrung, die sie angestiftet. Und daß Sie an dieser Verantwortung auch Theil nehmen, daß eben thut mir leid, – werden Sie mir dieses Interesse an Ihnen verzeihen?

– Ihnen nicht nur verzeihn, Ihnen dafür danken mit jedem Opfer, daß Sie verlangen könnten! Das ist es eben, weshalb Sie mir eine so außerordentliche Erscheinung, ein erhebender Trost sind, daß Sie aus einer Gesinnungslosigkeit mir noch einen Vorwurf machen, daß Sie um der Wahrheit willen mich noch um die Wahrheit zur Rede stellen. So erfahren Sie denn, wer ich bin, – Sie werden mich nicht verrathen, denn durch diese Ehrlichkeit hoffe ich Ihre volle Freundschaft zu verdienen.

– Etwas zu verrathen giebt es dabei? O, das ist ja herrlich, so sprach sie launig; das ist ja wie in einem Roman.

– Und doch wahr, Wort für Wort. Ich, den Sie für einen fanatischen Gegner der Freiheit, einen religiösen Schwärmer halten, ich bin derselbe Baron von Brandt, der als Führer der Demokratie zu seiner Zeit in Zeitungen genannt wurde; statt am heiligen Grabe war ich auf den Schlachtfeldern der ungarischen Freiheit, und der Ministerial-Assessor hier hängt dort in effigie mit dem falschen Namen, den die Honved's ihm gegeben hatten, am schwarzgelben Galgen. Durch eine kühne weite Flucht bin ich entkommen. Verlustig alles Glaubens an Menschheit und Wahrheit, aller Liebe zu mir selbst, verlustig alles dessen, was bisher mein Leben war, suchte ich in den Büreaus eine neue Existenz. Ein neues Leben aber, neues persönliches Interesse für die Welt und für mich selbst, – ich habe es Ihnen ja schon gesagt, das fand ich bei Ihnen wieder. Werden Sie es mir glauben?

– Sie scheinen mir aufrichtig.

– Und wenn Sie es also glauben –?

– So freue ich mich.

– Sie freuen sich? Und nichts weiter?

– Ist es nicht genug, daß ich einen solchen Triumph feiere?

– Auf einen Triumph, einen Triumph Ihrer Koketterie kommt Ihnen die Ehrlichkeit meines Geständnisses hinaus, das mich einen Kampf der innersten Seele, eine Gefährdung meines ganzen Daseins kostet?

– Allerdings auf einen Triumph, aber gewichtvoller als Sie es ahnen, – den Triumph, in einem Menschen die Wahrheit geahnt zu haben, die er der Welt zu verbergen strebte!

– O feiern Sie ihn immerhin recht freudig und recht stolz diesen Triumph, an dessen Ehre auch ich, obgleich der Besiegte, theilnehmen kann. Sagen Sie selbst, ist es nicht für uns beide ein schöner Moment, in dem wir uns heute begegnen, die Lüge durchbrechend, Selbst gegen Selbst, Charakter gegen Charakter, beide durch die Kraft der innersten Wahrheit in uns über Vorurtheil und Gewohnheit, Lüge und Alltäglichkeit der Welt weit hinausgehoben! O, ich muß sie preisen, diese Schranken und Jämmerlichkeiten des gemeinen Lebens; sie waren es, die uns Gelegenheit gaben, unser freies, selbstständiges Wesen einander zu beweisen, die uns zwangen, aus der Sphäre des alltäglichen Daseins in eine höhere uns zu flüchten, in der wir so einsam, so geheimnißvoll, so romanhaft geheimnißvoll uns treffen.

– Und diese Romantik, Herr Baron, so sagte sie mit einer Stimme, erbebend von jungfräulicher Zartheit und heiligstem Ernste, – die liebe ich, denn sie ist Character, und nichts auf der Welt verehre ich mehr als Character und Gesinnung. Also lassen Sie unsere Romantik die sein, daß wir – wir beide zusammen gesinnungsvoll sind! Nur dürfen wir nicht so laut davon sprechen, fuhr sie schalkhaft dann fort, sonst bleibt es kein Geheimniß. Was wird man sagen, wenn wir so lebhaft, so pathetisch uns unterhalten, und Vielen ist ja die bloße Unterhaltung schon ein Verbrechen. Sehen Sie nur die alten Damen, mit ihren lauernden besorgten Mutterblicken zu uns herüberschielen!

– Ich sehe ein, erwiderte Edmund, ich werde mein Glück nicht mit Faust bei den »Müttern« suchen dürfen, – vielleicht mit Don Juan bei den Töchtern?

– Haben Sie auch den Don Juan das letzte mal gesehen, Frau Kommerzienräthin? So redete Viktorine eine zum Rekognosciren des isolirten Paares in die Nähe getretene Dame an und zog auch andere Gäste dauernd in ein erträglich gleichgültiges Gespräch, um der Verlegenheit, die Edmunds Frage ihr bereitete, auszuweichen. Aber, was man noch nie an ihr bemerkt hatte, sie war heute zerstreut. Sie redete in das Gespräch nicht mehr hinein, und als man sie frug, war sie verwirrt und sprach vom Don Juan, während man bereits bei der Cholera war. Als die Hausfrau an sie herantrat und den Schlüssel zum Silbergeschirr verlangte, gab sie ihr Portemonnaie. Die Mutter schalt sie: wie bist Du denn heute unachtsam; das ist ja an Dir eine ganz neue Genialität! – da sagte sie, in ihren Mienen durchzuckt von einer innern Bewegung: Verzeihung, ich bin krank! Sie strich sich mit der Hand unwillig über die Stirn. Edmund sagte keck: Wie kann man krank sein, wenn man nicht unglücklich ist. – Wenn aber –, so begann sie, doch sie fuhr nicht fort, raffte sich mit sichtlicher Anstrengung auf und war von dem Augenblicke aufmerksam, heiter, freundlich und gesprächig wie je, – nur Edmund meinte einen Zwang, eine Gewaltsamkeit in ihrem Wesen zu bemerken, das ihn tief nachdenklich machte.

Die Wagen rollten vor; die Herrschaften stiegen ein, hastig, um nicht einen Augenblick vom scharfen Zugwind getroffen zu werden, und fuhren nach dieser und jener Seite durch den knirschenden Schnee davon. Edmund ging allein von dannen; zwecklos schlenderte er durch die Straßen; nach einer Viertelstunde war er wieder vor Viktorinens Hause und sah, wie ein Fenster nach dem andern sich verdunkelte, einzelne Lichter durch die großen Zimmer eilten und endlich das ganze Gebäude in Finsterniß, wie mit geschlossenen Augen da lag und kein Zeichen des Lebens verrieth, daß hier oder dort darinnen doch noch in einem einsamen Herzen vor Glück aufjauchzen oder vor Kummer jammern möchte!

Dich, Dich, Viktorine, liebe ich, so rief es in ihm; in Dir, in Dir allein sehe ich das Glück, das einzige und höchste Glück meines Lebens. O, nicht mit hundert Gedanken kann ich es ausdrücken, wie in Dir mein ganzes Wesen seine Erfüllung und seine Befriedigung, alles Zweifeln und Ringen meines Daseins seine Lösung und seine Versöhnung findet; wie Du von einem Gotte für mich geschaffen bist, wie ich Dich besitzen muß nach dem höchsten Recht der Menschenwürde, und wenn ich den Sternen Dich abtrotzen sollte, – aber still, still mein Herz! Was ist all Dein Jubel, all Dein Trotz als schwaches Röcheln in leere Luft gehaucht! Du hast kein Recht in dieser Welt, und will ich den Muth nicht verlieren, nach einem Ziele zu ringen, – wohlan mein Kopf, an Dir ist es zu arbeiten! Denke, sinne, forsche, spekulire; kann ich diese Himmelsgabe besitzen und wie sie erlangen? An Dir, mein Kopf, hängt jetzt mein ganzes Sein, die Rettung meines alten und die Schöpfung meines neuen Lebens. Der Arm kann seine Kraft in dieser Weltordnung nicht mehr gebrauchen; das Herz hat kein Recht darein zu reden; nur der Kopf, der Kopf! Auf, auf, so ersinne, erfinde doch, – und wenn du es gefunden, wie Du das Ziel erreicht, ja dann, Herz, juble auf, koste die Fülle Deiner Wonne! Aber nun daran, Du altes Haupt! Zur Arbeit, frisch, zur Arbeit!

In seiner jetzigen Stellung konnte Edmund es nicht wagen, mit einem als demokratisch bekannten Hause sich zu verbinden, und wenn die Verhältnisse es ihm erlaubt hätten, Viktorine konnte ja keine Achtung vor ihm haben, so lange er seiner Gesinnung untreu war. Und so wollte er nochmals mit den Verhältnissen brechen, sich los sagen von dem Stande, in dem er geboren, von dem Beruf, für den er erzogen war, – als sein eigner freier Mann wollte er ein Dasein sich gewinnen. Aber wie das, als der arme Freiherr, der er war? Er wollte den Baron von sich werfen, der als ein Heuchler vom Eigenthum des Volks schmarotzte, und ein Mann des Volkes, ein Handwerker werden, der ehrlich und selbstständig lebte von seiner Hände Arbeit, Kopf und Herz sich frei bewahrend für die Liebe zum Vaterlande. Und was konnte denn Unerhörtes daran sein, daß ein Mann, sich selber treu, zurückkehrt zur Natur des wahren menschlichen Wesens? O, arme schwache Zeit, wo Niemand mehr wagt, Niemand mehr über sich selbst bestimmt, sondern in Fügsamkeit unter Gewohnheit und Schlendrian das Leben aufgeht und verkümmert! Hast auch Du, Blut der Rittergeschlechter, den Adel des Wagnisses und der Thatkraft eingebüßt? Kannst Du für die befreienden Ideen der Zeit nicht dieselben Tugenden mehr aufwenden, wie ehemals für Knechtung und Bewerbung?

Edmund wollte den Muth dazu beweisen. Das erste, was er that, um den alten Menschen aufzugeben, war, daß er die Briefe Adelens, die er unter dem Vorwande der Anhänglichkeit daran, noch immer besaß in der Absicht, die Excellenz zur Verwendung für seine Carrière zu zwingen, ihr zurücksandte mit all den Andenken, die er an sie lange auf dem Herzen getragen, mit den Gedichten, und den Tagebuchblättern, in denen er das Angedenken seiner Leidenschaft zu ihr niedergelegt hatte. Noch einmal that er einen wehmüthigen Blick in diese Zeugnisse einer excentrisch leidenschaftlichen und unklaren Jugendzeit, dann verschloß er sie mit dem freudigen Bewußtsein, nun endlich zur Selbstständigkeit und Klarheit gelangt zu sein, – und doch lebte noch immer eine Empfindung in ihm, die nicht frei war von dem Angedenken an das verführerische und ihm so räthselhafte Weib: daß er ihr diese untrüglichen bleibenden Zeichen seines Seelenlebens sandte, war die Absicht der Rache für ihre Treulosigkeit: er wußte, daß diese Papiere sie in neue Berauschung und Unruhe versetzen würde, daß sie trotzdem nie die Entschlossenheit, sie zu vernichten, beweisen und an ihrer aufregenden Gluth stets naschend sich verzehren werde.

Zwei Tage hatte er schwere Entschlüsse, mühsam in seinem Innern hin- und herwälzend, in Einsamkeit zugebracht. Endlich hatte der Baron beschlossen, ein Tischler zu werden, und am dritten Tage ging er mit vernachlässigter Toilette, schlechter Kleidung und ungepflegten Haaren durch die Straßen, um eine Tischlerwerkstatt zu finden, in der er in die Lehre gehen konnte. Indem er seine Blicke deshalb nach den Schildern über den Thüren richtet, hat er übersehen, daß er zwei eleganten Damen und einem Herrn nebst Lakai in den Weg getreten ist. Er merkt es erst, als er in seiner nächsten Nähe eine Frauenstimme lachen hört; in demselben Augenblicke drängt ihn der begleitende Herr ziemlich anmaßend zur Seite, an dessen Arme erkennt er in kostbarem Sammetmantel, den er an ihr noch nicht gesehen, strahlend von Schönheit und Frische, lächelnd vor Heiterkeit und Übermuth, die stolz und rasch dahin schreitende Viktorine, die eben nach einem vorüberreitenden Cavalier ihren Blick richtet, aber für ihn selbst in dem bescheidenen Aufzuge kein Auge hat. Und hinter ihnen folgt ein Lakai von ausländischem Ansehn, gewaltigem Schnauzbart und hoher Bärenmütze. Edmund begriff nicht, in wessen Begleitung Viktorine war. Eine neue Begegnung gab ihm erschreckende Aufklärung darüber. Herr Dagobert klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter und sagte lachend: Man freut sich doch, wenn man wieder einmal Recht gehabt hat! Da ist er ja, der Geschäftsfreund aus Petersburg, der dort neben Fräulein Viktorine einherstolzirt, und der hierher gekommen, um außer anderen Handelsangelegenheiten auch seine Verlobung mit ihr abzuschließen!

Jetzt ging Edmund zu keinem Tischler in die Werkstatt. Die großen heroischen Pläne, die er in der Fieberhitze seiner Phantasie soeben aufgethürmt hatte, waren wie eine Seifenblase in Nichts zerronnen; sein Geist, der einer ganzen Welt der Gewohnheiten so eben in kühnheitstrotzenden Entschlüssen sich entgegengebäumt hatte, war in jene Muthlosigkeit und Blasirtheit plötzlich zurückversunken, der die ganze Welt in Atome auseinander zu fallen schien, die an keinen Zusammenhalt auch im geistigen Leben, an keinen sittlichen Willen, keinen Character zu glauben, und selbst zu solchem sich zusammen zu raffen nicht mehr fähig war. Zweifel und Mißtrauen secirten vor seinem innern Auge den geistigen Menschen und wiesen ihm nur Nerv an Nerv, nirgends den Sitz des zusammenfassenden Bewußtseins; sein ganzes Denken über das Leben und seine Charaktere war nur ein Wühlen in Leichen.

Unfähig, Überlegung und Thatkraft zu sicherm Handeln zu vereinigen, war er vorher mit blindem Enthusiasmus, durch die Schnellkraft eines Einfalls in seinen Gedanken über alle Verhältnisse der Wirklichkeit weit hinausgestürmt, und nun, da die Besonnenheit über ihn kam, hatte er nicht Muth noch Lust und Berechnung Hand anzulegen um ein Forträumen der Hindernisse auch nur zu versuchen. Er sah in Viktorine, die lachen konnte, während er in sich die schwersten Kämpfe rang, jetzt nur die eitle Weltdame, die geistvolle Kokette, die geldstolze Kaufmannstochter, die wohl einen Roman spielen, an ein Opfer aber nicht denken wollte. Daß sie reich war, hatte er ja ganz vergessen gehabt, und daß sie ihren Reichthum über Alles liebte, war ihm jetzt klar geworden.

Armer Kopf! sprach er zu sich, laß Deine Arbeit sein! Halbe Millionen erfinden sich nicht durch ein paar gute Gedanken. Und Du, Herz, laß fahren dahin, laß fahren dahin! Sei endlich klug! Was lebst Du immer wieder auf mit Deinen ehrlichen Regungen! In dieser Welt ist kein Raum dafür. Still! kalt und todt!

Zu Hause fand Edmund eine Einladung zum Balle bei H. J. S. Löwe. Das lithographirte Formular des Billettes war von der Schrift einer Komptoirhand ausgefüllt. Aber über dem Namen »Baron von Brandt« war mit anderer, leichterer Schrift, in unsichern Zügen, wie spielend im Nachdenken hingekritzelt, mit Klammern hineingeschoben sein Vorname »Edmund.« Wer wußte diesen Namen im Hause? Wer konnte ihn mit diesem Namen gebeten haben? War es Viktorine, die auch jetzt noch, als die Verlobte eines Andern, mit seinem Herzen spielte?

Als er in der Gesellschaft am andern Tage erschien, stellte er sich ihr vor: »Edmund von Brandt hat die Ehre –«

– Edmund von Brandt ist uns willkommen! war Viktorinens Antwort mit sanftem Erröthen und beziehungsvollem Lächeln.

Im Hause von H. J. S. Löwe sollte es keine bloße Tanzgesellschaft geben. Dem Balle ging ein Concert voraus, das von drei der namhaftesten Künstler der Residenz mit einem Trio von Mozart eröffnet wurde. Die Damen saßen in Stühlen und Sesseln um die Künstler herum; hinter ihnen die älteren Herren; die andern standen in den Fensternischen und an den Säulen des Saales umher. Viktorine saß neben dem Fremden. Er war ein stattlicher Herr, im kräftigsten Alter des Lebens, von jener brutalen Männlichkeit, wie sie oft, auch ohne jede geistige Bande, zartorganisirten Frauennaturen zu imponiren im Stande ist.

Baron Brandt hatte wieder den Schriftsteller Dagobert zum Nebenmanne. Hier auf unserer Seite, so sprach dieser seine Beobachtungen aus, sitzt auch so eine glückliche Braut, ein junges Kind von achtzehn Jahren, das durch den Unterhändler einem entfernten Handlungshause für den ältesten Sohn vorgeschlagen wurde; man findet den Antrag annehmbar, nur um ein paar Tausend Thaler sind die beiden Papa's wegen der Mitgift auseinander; sogleich unterhandelt man durch den Telegraphen hin und her; hier giebt man zu, dort läßt man nach; noch am selben Tage ist man des Handels einig, und der Bräutigam setzt sich des Abends auf die Eisenbahn, um, funfzig Meilen weiter, am andern Morgen bei seiner Braut zu sein, die vor zwei mal vier und zwanzig Stunden das erste mal von ihm gehört hat. Vor acht Tagen noch, wie war die Kleine glückselig über die neuen Pelze und Kleider, die sie als Brautgeschenk empfangen. Aber nun, was ist das, was die Musik in ihr aufregt? Was spricht aus dem Auge, das so unendlich weich blickt, aus dem Wehmuthsausdruck der Mienen, den sie nur mit Mühe zu verbergen vermag?

Auf das Trio von Mozart folgte eines von Beethoven.

– Eine großartige Musik, dieses Trio, wie Alles von dem Meister – titanenhaft, der Geist Schillers in Tönen sprechend, unmittelbar vom Himmel scheint er die Hoheit seiner Empfindungen herabzulangen. Es ist eine Schrankenlosigkeit, ich möchte sagen ein Radikalismus der Stimmungen in diesen deutschen Tönen, die mich gewaltiger mit einem Revolutions-Enthusiasmus anwehen könnten, als der Marseiller Sturmmarsch von einer ganzen Regimentsmusik aufgeführt. Und diese hübsche kleine Braut, – wie es sie durchfröstelt bei diesen Melodieen! Will Deine Brautschaft mit einem gut situirten Geschäftsmanne nicht Stand halten vor dieser kühnen himmelstürmenden Sehnsucht nach überschwänglichem Glücke? Recht so, schüttle sie ab, diese Andante-Melodien, sprich mit der Nachbarin und suche Dich zu zerstreuen; solche Stimmung paßt nicht in Dein erträgliches Alltagsglück, denn Du dürftest nicht den Charakter haben, ihr ehrliche Geltung zu verschaffen. Und was ist elender, als was so oft die Frauen mit dieser Ueberschwänglichkeit werden, Titanen an Verlangen, Pygmäen von Charakter und Schlangen von Intriguen! – Aber da sehen Sie nur unsere Freundin Viktorine. Den Mozart hat sie leicht überstanden, aber der Beethoven geht auch ihr zu Gemüthe. Wie sie da sitzt, starr wie eine Bildsäule, die Mienen angespannt, das Auge unverwandt ins Leere blickend, – so wird sie blasser und blasser von Minute zu Minute. Und jetzt bei dem Uebergange ins Scherzo, wie zuckt sie zusammen; ihr Taschentuch läßt sie fallen, sie bückt sich es aufzuheben, – ich glaube, um mit der Bewegung des Kopfes eine Thräne aus den Wimpern zu werfen. – – Wer will auch ruhig bleiben bei dieser Musik. Jetzt nach Andante und Scherzo, dieser letzte Theil, dieses Finale! Nur drei Geigen, und wie packt das Nerv und Seele! Ist das nicht, als müsse das Herz auseinander springen vor Jauchzen und Jammer. O fort, fort damit, ich kann die Töne nicht hören; das treibt nur die Stimmungen und Intentionen ins Ungeheuerliche, der Angstschweiß tritt mir vor die Stirne. – – Gott sei Dank, es ist vorüber, die Dissonanzen sind in Harmonien gelöst, aber sie klingen noch zu gewaltsam in uns nach. Ich liebe es nicht mit Beethoven ein Concert zu schließen. Man sollte mit Haydn anfangen, zu Beethoven überspringen und mit Mozart von den Tönen Abschied nehmen, um der Wirklichkeit wieder anzugehören. Und diese Wirklichkeit! O diese alten Herren Geschäftsfreunde, wie sie gähnen, wie sie sich recken, daß sie etwas Anderes als Geld klimpern hören. Die Musikverständigen, die jetzt um die Virtuosen stehen, hören nur den Generalbaß heraus, und die Damen hören im Allgemeinen gar nichts, sie denken nur an den Ball. Nur in ein paar Mädchenseelen lebt noch die Musik. So in dieser Viktorine, deren träumerisch verklärter Blick eben herschaute, und nun scheu zurückfährt, da wir es bemerken, – blaß und starr, wie ein Marmorbild, und doch wie von Leben durchbebt. Herrliches Mädchen! Eine kostbare Stunde schenktest Du mir eben, kostbar für mich und meinen Verleger zugleich! O, so lange es noch Musik und schöne Frauen giebt, wenn auch nur anzuschauen, wird die Poesie uns nicht zu Ende gehen.

– Was ist Sehnsucht nach Glück, Herr Baron? Was sagten Sie doch, daß es sei? frug Viktorine mit nachdenklichem Blick und weicher Stimme, als Edmund an sie herantrat.

– Es ist ein Eigenwille, antwortete er, den alle Willensstärke des Charakters nicht überwinden kann, ein Eigensinn, der oft durch keinen Verstand der Verständigen zu rechtfertigen ist, und in dem doch die innerste Tiefe der Persönlichkeit, das unveräußerlichste Recht der Jugend liegt. Das Glück ist etwas Unsagbares, ein Geheimniß –

– Das aber die Musik vielleicht aussprechen kann? Es scheint mir wenigstens, als wenn die Musik die höchste Sprache der höchsten Glückseligkeit sei. Ob es wohl im Leben solches Glück, solche harmonische Auflösung aller Disharmonien geben mag, als die Musik es darstellen kann?

– Wenn nicht für immer, vielleicht für den Augenblick! erwiderte Edmund, sie unverwandt anblickend, die nach dem Concerte die Mantille abgelegt hatte und im vollen Glanz und Reiz des Ballkostüms vor ihm stand.

– Wie die Luft zieht! sagte Viktorine, ihren leichten Spitzenschawl über die Schultern ziehend, und wandte sich ab, als sei sie durch Edmunds Blick und Antwort verletzt; aber sie ging nicht von ihm, als wolle sie das Gespräch noch nicht abbrechen.

Edmund weidete sich an ihrer Verlegenheit, die Pause nicht unterbrechend, und erst, als sie eine neue Wendung sich zu entfernen machte, redete er sie an: Sie thun mir Unrecht, Sie dürfen meine damalige Aeußerung nicht auf sich und Ihr Kostüm beziehen.

Viktorine sah ihn erstaunt an: Was – Unrecht? Mein Kostüm – Ihre damalige Aeußerung – welche Aeußerung?

– Die ich einst that, als Sie den Thee servirten, – daß mir die Damen im Ballkostüm trivial oder affektirt erschienen. Ich meinte damit aber nur die Damen, die einzig das Talent hätten, in Balltoilette in Gesellschaft zu gehen. Eine Dame von Ihrer Lebensart ist reizend in jedem Kostüm, aber in dem heutigen erreichen Sie den Gipfel aller der Bilder, die meine Phantasie von Ihrer Schönheit sich machen konnte –

– Wie dürfen Sie es wagen, fiel sie ihm ins Wort, mit einer Dame von ihrer Toilette zu sprechen! Sie haben nur das Recht, still zu bewundern –

– Sonst gar keines? auch nicht etwas zu erbitten?

– Je nachdem, Was?

– Nur eine triviale Bitte, – wie darf man von einer Dame der guten Lebensart noch auch etwas Anderes erbitten, als eine Trivialität? Ich bitte um einen Tanz.

– Trotzdem, daß Sie den Muth haben, ihn trivial zu nennen, sei er gewährt. Und welcher?

– Wo möglich der bedeutungsvollste – der Kotillon!

– Da weiß ich in der That nicht –! Herr Vetter, so redete sie den Petersburger Fremden an, habe ich mit Ihnen den Kotillon zu tanzen versprochen?

– Ja wohl, mein schönstes Fräulein Cousine, die Polonaise haben sie mir zu tanzen zugesagt! so antwortete der Gefragte mit gebrochenem Deutsch, da französisch und russisch ihm nur geläufig waren.

– Also nicht den Kotillon? – Gut denn, Herr Baron, wir tanzen den Kotillon!

So erhielt Edmund die Zusage, und ein toller Humor jubelte in ihm auf: Fällt der Purpur, so muß auch der Herzog fallen, heißt es in der Tragödie; in dieser Komödie des Salons: wer den cotillon hat, wird auch die Dame haben!

Die Musik rauschte auf; Spohr's Polonaise aus »Faust« wurde gespielt; die Flöten seufzten so schmeichelnde Melodien, die Geigen jubelten so herausfordernde Lust dazu. Der geräumige Saal bot Platz zu freier Entfaltung; die ganze Gesellschaft gerieth in Bewegung und entwickelte sich in einen langen, bunten, lachenden und flüsternden Zug, – Alles belebt und geregelt vom Schmelz und Rhythmus der Musik.

Wie oft hatte Edmund diese Gesellschaften betrachtet der entblößten Schultern und wehenden Gazekleider, der tänzelnden Gestalten und strahlenden Angesichter, und wie todt, wie marionettenhaft, oft wie leichenartig war ihm dies sonst erschienen. Aber heute lebte in alle dem ein unwiderstehlicher Zauber, mit den glühenden Farben seiner entflammten Phantasie sah er diese Welt beleuchtet und in ihm lechzte das Verlangen auf nach dem Vollgenuß all' dieses Reizes. Was vom Don Juan in Faust's himmelstürmenden Empfindungen zu finden ist, das wurde wach in ihm. Was willst Du noch ehrlich sein, Herz? so sagte er zu sich; das wahre dauernde Glück hast Du mit Deiner Ehrlichkeit nicht erreicht, willst Du ihretwillen auch jedes andere verscherzen? Auf, auf, Freibeuter, Glücksritter, erobre Dir freudevolle Augenblicke, so wird Dein Leben nicht freudlos sein!

So harmlos heiter und bezaubernd schwebte Viktorine indeß durch die Gesellschaft. Man könnte ein Buch schreiben über ihre Weisheit im Umgange, die sie bewunderungswürdig entfaltete, indem sie absichtslos und doch so taktvoll ihrem Naturell sich hingab. Ueberall wußte sie Genuß zu finden und zu bereiten; sie verstand es, die ganze große Gesellschaft zu übersehen, jedem den Zoll der Aufmerksamkeit, den sie als Tochter des Hauses schuldig war, darzubringen, und zugleich, stets hier Gruppen zusammenführend, dort sie trennend, Bekanntschaften veranlassend und Vernachlässigungen gut machend, den Zirkel zur Befriedigung Aller zu arrangiren. Und, um bei alle dem, ihr eigenstes Interesse nicht zu opfern, theilte sie den Abend sehr weise so ein, daß sie neben der Erfüllung ihrer Pflichten auch ihre Rechte nicht vernachlässigte; für jeden Tanz und für die Nachbarschaft bei Tische hatte sie die passendste oder angenehmste Gesellschaft sich ausgewählt, und für den heutigen Abend war alle gesteigerte Beweglichkeit ihres Wesens nur der Schleier, hinter dem sie die Spannung auf den letzten Tanz verbarg. Für Edmund aber war jedes Lächeln Viktorinens ein Stich in's Herz; jedes heitere Wort, das sie einem Anderen schenkte, schien ihm eine Untreue gegen sein Recht an ihr, und rief mehr und mehr jenes forcirte diabolische Gefühl in ihm wach, diese Veruntreuung durch Untreue zu rächen.

Auch nicht die Anwesenheit des uns bekannten Herrn Herz konnte für Edmund amüsant sein. Seit jenem Abentheuer mit Cilly war der würdige Mann für das Theater blasirt und erklärte: wie ist es möglich, mit diesem Volke umzugehen! Die Wette mit Dr. Stern in Betreff des Frühstücks bei der jungen Sängerin war noch nicht entschieden, da Jeder der beiden Rivalen, im Glauben der Andere habe sie gewonnen, aus beleidigtem Ehrgefühl ihm aus dem Wege ging. So kostete es ihnen auch heute auf dem Balle, auf dem beide anwesend waren, große Mühe, sich wie zufällig nie zu sehen, noch zu treffen. Um so mehr hatte der Herr von der Börse Gelegenheit, dem Baron seine Aufmerksamkeit zu beweisen, da auch diesem Dr. Stern aus dem Wege ging.

Auch Edmunds Bekanntschaft begann er mit der Eröffnung: Ich habe die Ehre gehabt, zu kennen Ihren Herrn Vater. Ein Mann, – Gott, was für ein Mann!

Dann pries er ihm die Erfrischungen und Delikatessen, die herumgereicht wurden. Essen Sie von unserem Eis, lieber Herr Baron! Versuchen Sie unsern Champagner! so nöthigte er; verschmähen Sie nicht unseren Sorbet! von mir selbst verschrieben, durch einen Geschäftsfreund direkt bezogen, – werden Sie in ganz Deutschland so echt nicht wiederfinden.

Endlich schwieg das Orchester; es trat wieder eine Pause ein; man rückte Stühle im Kreise zusammen und rüstete sich zum Glanzpunkte des ganzen Balles. Als man die Damen zum Tanze führt, richten alle Blicke sich auf Viktorine, – man hatte gehört, am heutigen Abend werde Viktorinens Verlobung gefeiert; ihr Herr bei diesem Tanze mußte natürlich der Bevorzugte sein; da sieht man sie an Edmunds Seite die Tour eröffnen, Alles staunt, die Einen darüber, daß der fremde Baron der Verlobte sein soll, die Anderen darüber, daß der Vetter aus dem Norden es nicht ist, – nur Edmund weiß von nichts Auffallendem und hat keine Ahnung davon, daß der Schritt Viktorinens, ihm diesen Tanz zu geben, von der ganzen Gesellschaft bemerkt und gedeutet wird.

Viktorine sah trotzig übermüthig aus, als er sie anredete, und doch zitterte ihre Stimme, als sie antwortete. In verlegener Hast, als wolle sie ihn hindern, selbst den Stoff des Gespräches zu wählen, fing sie an: es geht doch kein Vergnügen über Geselligkeit, – und scherzte dann über diese und jene sonderbare Persönlichkeit. Edmund sahe mit seinem finsteren Blicke, von dem er wußte, daß er nie ohne Wirkung war, sie unverwandt an. Sie suchte es nicht zu bemerken, sprach hastiger und immer hastiger weiter, schwieg, mit dem Fächer spielend, sprach wieder über andere Leute, und wandte sich endlich mit neckischer Entschlossenheit an Edmund: Aber warum sahen Sie mich so an? Warum reden Sie so ganz und gar nicht?

– Ich erwarte, daß Sie in Ihrer Revue mit Ihrem Urtheil nun bald auch an mich kommen werden.

– Ich lache nur über Lächerlichkeiten. Uebrigens wenn Sie hofften, ich würde über Sie ein Urtheil fällen, wie konnten Sie so gelassen sein?

– Weil ich Ihnen sagen wollte, daß Sie dazu kein Recht haben, weil Sie mich nicht kennen.

– Und warum das nicht?

– Weil ich mich heute erst Ihnen ganz so geben will, wie ich bin.

– O, und ich bin neugierig! so rief Viktorine noch immer in ihrer kokett graciösen Leichtigkeit.

– Nun, so hören Sie, ich liebe Sie! sagte Edmund mit einem trocknen, kalten und dabei auf seinen Ernst trotzenden Tone, wie er wohl nur selten mit diesen Worten dürfte verbunden sein. Ich liebe Sie, fuhr er grollend fort, indem er scharf den Eindruck seiner Worte beobachtete, – nicht mit der süßen Jugendschwärmerei, mit der man zum erstenmale ein Mädchen liebt, nur weil sie ein Mädchen ist; auch nicht mit der wilden Leidenschaft, mit der der Mann das Weib als Weib verfolgt, – in Ihnen hat das ganze Wesen, die so reiche Persönlichkeit den Zauber, der mich glauben läßt, als könne es für mich ein Glück nur bei Ihnen geben, und mit Ihnen und für Sie. Ich bin so ganz Kontrast in mir selbst, ganz Konflikt gegen alle Welt; Sie aber sind bei aller Mannigfaltigkeit und Bizarrerie Ihres Wesens so klar und versöhnt, so einig mit sich und allem Anderen, daß – ehrlich gestanden – es mich empört, daß eine Leidenschaft dafür oder dawider mich ergreift, daß ich Sie hassen muß oder lieben –

Sie blickte besorgt nachdenklich zur Erde; er machte eine Pause, um diese Mädchenhaftigkeit in bebender Aengstlichkeit zu erhalten und fuhr dann fort: Aber wovon spreche ich auf einem Balle! So ist das Leben von unsereins aus Dissonanzen zusammengesetzt; hier im Busen ein tiefes ernstes Leben, die Stimmungen einer Beethovenschen Symphonie, die in die Wirklichkeit übersetzt sein wollen, und da außer uns Polkamusik und schnatterndes Ballgeschwätz. Die Pulse des Herzens schlagen einem höchsten Glücke entgegen, indeß dort im Komptoir unser Schicksal mit Zahlen berechnet wird, bei denen eine ganze Persönlichkeit eine nichtssagende Null ist, wenn sie keinen Nenner von Tausenden vor sich hat. Aber – fort die Reflexion! Der Moment ist ja unser und das vollkommene Glück ist nur Moment! Und wenn der Boden unter uns aus einander klaffen will, lassen Sie uns kindisch tanzen, tanzend jubeln bis zum letzten Augenblicke, wo wir noch nicht von einander gerissen sind!

– Aber mein Gott, wie sprechen Sie! fiel Viktorine, ihre Beängstigung nicht länger ertragend, ihm ins Wort, – wir sind ja nicht allein!

– Nun, so lassen Sie uns allein sein! gab er zur Antwort.

– Sind Sie von Sinnen!

– Ich werde Sie zwingen!

Und in dem Augenblicke ergoß sich ein Glas Himbeerwasser weit und breit auf die weiße Atlasgarderobe Viktorinens.

Viktorine floh erschreckt in das anstoßende Bibliothekzimmer, um so viel wie möglich die Verunstaltung ihrer Toilette wieder gut zu machen. Edmund folgte ihr, um mit dem Taschentuche behülflich zu sein. Als sie in das rings mit Bücherschränken besetzte, mit Statuetten gezierte Kabinett getreten, entfernt durch die entgegengesetzte Thüre sich bestürzt eine Dame, – sie erkennen Cordelie. Eilig nahmen sie die Untersuchung des Unglückes vor, und bemerken zu ihrer Freude, daß der Shawl fast die ganze Flüssigkeit aufgefangen und mit Beseitigung dieses einen, wenn auch kostbaren Stückes die Toilette der jungen Dame keine Störung gelitten. Sie warf den Shawl von sich und stand da vor Edmund mit den matt glänzenden schönen Schultern, wie eine Statue, vom Künstler der Hülle entkleidet, plötzlich in ihrer Vollkommenheit dem überraschten Auge des Bewunderers sich darbietet. Fröhlich lachend, kindlich sich in die Hände klatschend, rief sie aus: So, nun ist Alles wieder gut. Aber als sie seinem düstern, trunkenen Blicke begegnete, konnte sie sich zur Unbefangenheit nicht zwingen. Auch ihr Blick wurde verwirrt, suchte dem seinen auszuweichen und fiel auf die Gruppe Amor und Psyche, in Marmor ausgeführt, die den Hauptschmuck dieses traulichen Gedankengemaches bildeten. Sie zuckte innerlich zusammen –; sie blickte Edmund nochmals an, aber wich ihm noch schneller aus.

– Wir sind allein! Sagte ich nicht, ich würde Sie zwingen? So wagte Edmund jetzt sein kühnes Manoeuver frei einzugestehn, und er hatte wohl nicht zu viel gewagt, denn sie zürnte nicht, sie floh nicht aus dem unbeachteten Gemache, sondern ein schelmisches Lächeln versuchend, daß der Zwang aber fast als ein weinerliches erscheinen ließ, fragte sie ihn: Nun – und?

– Ich denke wieder, gab er zur Antwort, wie schwer es doch ist, über die äußeren Formen unserer Geselligkeit hinauszukommen zu einem ehrlichen und vertraulichen Begegnen der Charaktere. Und auch jetzt, wo Sie so nahe bei mir stehen, ist mir, als wenn eine Welt zwischen uns beiden läge! Wie weit sind wir in unserem Umgange denn schon gekommen? Was war das höchste Zeugniß der Freundschaftlichkeit, das Sie mir gestattet? Sie haben mir noch nicht einmal wohlwollend die Hand reichen können!

– Verlangten Sie je danach? Mein Gott, warum denn nicht? Hier ist meine Hand, hier meine Hände alle beide, so viel ich ihrer eben habe! So scherzte sie mit unbeschreiblich reizend unbefangener Koketterie.

– Und wenn ich Sie nun behalte! rief Edmund aus, ihre Hände ergreifend.

– Dann müßten Sie viel Muth haben! erwiderte Sie, noch immer lächelnd; aber ein unbezwinglicher Seufzer aus tiefster Brust widerlegte dieses Lächeln; und ihre liebenswürdige Heuchelei eingestehend, senkte sie mit noch lieblicherer Schwermuth das Haupt nieder.

– Warum tragen Sie das große Bouquett vor dem Kleide? frug Edmund, – es war ein aus Silber, Gold und Brillanten gearbeiteter Busen-Strauß, ein Geburtstagsgeschenk des Petersburger Geschäftsfreundes, mit dem sie während des lebenden Bildes damals überrascht worden war, mehr kostbar als geschmackvoll, mit scharfen Rändern und Spitzen gearbeitet, daß es aussah, als könne die leiseste Berührung den so nahe wogenden liliensanften Busen verletzen.

– Ach, ich sollte keine Blumen tragen! sagte sie mit einem seufzend ärgerlichen Tone, riß eine Nadel heraus und warf die große Broche in eine nahestehende Vase.

– Viktorine, Sie sind nicht glücklich! rief Edmund mit einer vom innersten Gefühl erbebenden Stimme plötzlich aus und zog die Hand, die er noch hielt, sanft gewaltsam an sich heran.

Sie suchte ihm zu wehren und flüsterte bebend: Das Glück ist ja ein Traum!

– Nein, nein, es ist Wirklichkeit, wenn wir den Muth haben, unleugbare, überschwengliche Wirklichkeit! So sprach Edmund, und Viktorine hielt er in seinen Armen umschlossen, die stolze, schelmische, strahlende Viktorine, jetzt geknickt, zitternd, erbleichend. Er küßte sie auf die Stirn, auf den Scheitel, und da sie ihre Wangen an seiner Brust verbarg, auf den Hals, auf die Schulter. Er sah wie ihr Nacken erröthete; er schloß sie noch einmal gewaltsam innig an seine Brust und flüsterte: O, hier hinein möchte ich Dich pressen, in meinem Herzen solltest Du wohnen, so daß Deine sprudelnde Frische es wäre, was darin lebt und liebt und lacht und fühlt! – Da umklammerte auch sie ihn fester; zwei, drei Schläge ihres Herzens hörte er heftig an dem seinen schlagen; aber damit richtete sie sich auf, riß sich los und stieß ihn mit rücksichtsloser Heftigkeit von sich. Ihr Antlitz, sonst der ungetrübte Spiegel ihrer klaren, festen Seele, war jetzt erhitzt, von Angst erbebend, wie von augenblicklichem Wahnsinn durchzuckt. Ihr verschwimmender Blick fiel auf Edmund, dann schweifte er erschreckt staunend auf die Umgebung des Zimmers, und während sie wie von der Helligkeit geblendet zusammenfuhr, entrang sich ein Ach! der Enttäuschung ihrer Brust, in dem ein unaussprechlicher Jammer sich ausdrückte. Erst nach den nächsten tiefen Athemzügen vermochte sie ihre Empfindung zu erklären, indem sie zusammensinkend sprach: Ein Traum, ein Traum! Fort, fort damit! Wir müssen erwachen, hell und klar – kalt und todt! O – nein – nein – die Wirklichkeit ist ja nicht so fürchterlich, – sie war es mir ja nie! Wie ist mir denn nun mit einemmale! O, ich bin ein Kind, eine Närrin, – was will ich mit Unmöglichkeiten! – Und Sie, Herr Baron, so redete sie jetzt Edmund an, zu ihrer gewohnten sichern Ueberlegtheit sich sammelnd, mit bedeutungsvoller Beziehung, – glauben Sie denn an Unmöglichkeiten?

Ehe er antworten konnte, hatte er die Frau des Hauses mit von Entrüstung erstarrten Zügen in der Thüre erblickt. Sie trat jetzt hervor, ergriff Viktorinen bei der Hand und führte sie aus dem Zimmer hinaus, ohne auf den Baron einen Blick zu werfen.

Edmund wollte keck wieder in den Saal treten, um mit Viktorine den Tanz fortzusetzen, als sei durchaus nichts vorgefallen. Aber indem verstummt die Musik. Die erste Tour war vorüber. Die Tanzenden blieben sitzen, um den Beginn der zweiten zu erwarten, als eine Bewegung hin und wieder durch den Saal ging. Die Musik, die schon wieder begann, mußte schweigen; die Tänzer, die schon in die Reihe sich stellten, zurücktreten. Man erhob sich; die einen setzten sich nieder, und endlich entwickelte sich ein allgemeines Aufbrechen. Der Kotillon, der sonst in drei Touren getanzt wurde, sollte mit einer beschlossen sein. Die Wirthe baten zu Tische. Das erregte neue Verwirrung. Noch waren die Tafeln nicht alle in Ordnung. Die Dienerschaft eilte mit überraschten Gesichtern hin und her. Das Essen war erst auf eine Stunde später angesagt. Man begann nochmals zu tanzen. Aber die Theilnahme war gering. Das Fest war gestört. Endlich nach einer halben Stunde fand Alles Platz zum Souper. Edmund sah Viktorinen, auch jetzt noch strahlend und lachend, neben dem Petersburger Gaste, und der Mutter, deren eisig strenger Blick eben auf ihn fiel, an der Spitze eines Tisches sitzen, an dem die Familie sich versammelt hatte. Er fühlte in diesem Augenblicke von neuem, wie unnahbar fremd er ihnen allen gegenüberstand. Wenn er des Momentes gedachte, wo er so eben Viktorinen zum erstenmale so erschütternd verwirrt gesehen, hätte er an eine Leidenschaft in ihr glauben können; aber jenes einzige brillante Lächeln, das sie ihrem Nachbar nun zuwarf, bannte alle Hoffnungen aus seinem Herzen, und in einer Stimmung, die eben so unklar als gewaltsam zwischen Triumph und Verzweiflung schwankte, verließ er das Haus, um es nie wieder zu betreten.

Bei Tische erhielt Viktorine vom Geschäftsfreunde aus dem Norden mit kurzen, bündigen Worten in französischer Sprache einen freundschaftlichen Heirathsantrag. Sie erklärte sich lächelnd für heute Abend zu überrascht, auf seine Fragen eingehen zu können, und bat, morgen antworten zu dürfen. Er unterhielt sie noch in wohlwollendster Weise von seinem Palais in Petersburg, seiner Villa an einem herrlichen See, seiner Equipage, seinen Schlittenfahrten, und sie hörte mit solcher Artigkeit zu, daß er sich seines Glückes für gewiß halten mußte.

Am andern Morgen erklärte Viktorine ihrer Mutter, sie sei nicht Willens, die Werbung ihres Verwandten anzunehmen.

– Nicht Willens? erhielt sie zur Antwort, – als ob Du darin noch einen Willen hättest!

Und nun mußte sie eine Erklärung ihrer bisherigen Lebensstellung vernehmen, die in ihr eine Empörung zu entflammen drohte gegen Alles, was sie bisher in den Kreisen ihrer Jugend geliebt und geachtet hatte. Daß sie arm war, ganz arm, – denn ihr Vater hatte in ihrer Kindheit banquerott gemacht und war in Amerika unglücklich gestorben, – das wußte sie, und daß sie Erziehung und Unterhaltung, und die glänzende Stellung, die sie bisher im Hause eingenommen, von ihren Verwandten nicht verlangen konnte, war ihr ebenfalls klar; denn sie war anfangs wie ein gleichgültiges Pflegekind behandelt worden; alsdann hatte sie die Aufnahme in das Haus durch Thätigkeit in der Wirthschaft vergelten müssen, und erst allmälig war es ihr durch ihre liebenswürdigen und ihre bedeutenden Gaben, durch den mannigfachen, so seltenen Werth ihrer Persönlichkeit möglich geworden, wie das Kind des Hauses behandelt zu werden. Durch die genaueste Sparsamkeit und die Geschicklichkeit ihrer Hände in weiblichen Arbeiten war es ihr gelungen, bei dem geringen Nadelgelde, daß sie erhielt, eine Toilette zu führen, die der Gesellschaft des Hauses durchaus würdig war. Als man ihre hervorragenden Fähigkeiten für Musik, noch mehr für Malerei und die schönen Wissenschaften, worin sie nach Abgang von der Schule sich selbst in einsamen Abendstunden auszubilden fortsetzte, entdeckt hatte, ließ Frau Löwe zur Anwendung nicht unbedeutender Mittel für ihre Ausbildung sich bewegen, um mit dem seltnen Geiste des Kindes zu glänzen. Als in den letzten Jahren, gehoben von Erziehung und äußerer Pflege, ihre Schönheit sich zu Bewunderung erregendem Zauber entfaltet hatte, da fehlte es mit einemmale in keiner Weise an Geldquellen für all' ihre Bedürfnisse. Schmuck und Garderobe, theure Lektionen und Bibliotheken, Abonnements in Koncert und Theater, Alles wurde in unbegrenzter Liberalität ihr beschafft, und ihr Gemüth wandte sich in innigster Dankbarkeit der Tante zu, trotz deren oft lieblosem Wesen, das seinen Ursprung in dem Schmerze hatte, den die Dame nicht vergessen konnte, seit sie ihre beiden einzigen Kinder, anmuthige Jungfrauen, in der Blüthe der Schönheit durch den Tod verloren hatte, und der beim Anblick von Viktorinens Glück und Bewunderungswürdigkeit wohl oft erneut werden mochte.

Nun aber mußte Viktorine erfahren, daß dieser Dank nicht ihrer Tante, sondern dem Vetter gebührte, daß dieser, seit er auf einer Reise sie gesehen, alle die Mittel, durch die sie geworden war, was sie war, hergegeben hatte, um sie zu seiner Gemahlin heran zu erziehen.

Frau Löwe war eine der fein gebildeten Frauen, die vor der Welt stets sagen: meine Tochter heirathet nur nach ihrem Herzen, – wozu sind wir denn reich? Macht der bloße Reichthum glücklich? – Aber hier im einsamen Kämmerlein, als es zur Entscheidung selbst kam, da war sie, die kluge Frau, von einer Herzlosigkeit, die Viktorinen erstaunen und erstarren machte.

– Es ist Deine Pflicht, in seinen Antrag einzuwilligen, – konnte die Pflegemutter ihr sagen, – und es ist auch mein Wille. Und wenn Du es nicht thust, was hast Du, was bist Du, und was willst Du alsdann noch? Die Kleider, die Du trägst, die Kenntnisse, mit denen Du prahlst, Du hast sie ihm zu verdanken. Und meinst Du, ich werde die Undankbare in meinem Hause dulden, der nach all' den Wohlthaten, die sie genoß, die Familie nicht gut genug ist, durch die sie Alles, Alles hat?

– Nehmt mir meine Seidenkleider und Zobelpelze, meine Bücher und mein Klavier, – als ich sie annahm, wußte ich nicht, daß ihr mich selbst dafür erkaufen wolltet!

– Aber die Freuden der Geselligkeit und Bildung, den Unterricht, die Vergnügungen, die Du genossen, die kannst Du nicht zurückerstatten, sie verpflichten Dich dem Manne, der sie Dir verschafft hat!

– Ich muß sie behalten, und kann nur dafür danken. Ja, und wenn der Dank eines liebenden Wesens Euch nichts mehr ist, – o, dann ist die Welt, dann seit Ihr alle ganz anders, als ich es geglaubt, dann habt Ihr mich mit alle dem doch sehr, sehr unglücklich gemacht, und ich habe Euch wenig, – Nichts zu danken. Ich muß mir selber gehören, ich konnte mich Euch und ihm nicht verkaufen, und wenn auch nur, um als Magd für ein elendes Leben mich verdingen zu können. Stoßt mich von Euch; ich werde für fremde Leute Arbeit thun, und dann wenigstens wissen, was sie mir, was ich ihnen schuldig bin, – schlimmeres als ich heute erfahren, kann mir nicht mehr begegnen.

Alle Vorstellungen halfen Viktorinen gegenüber zu nichts; sie war zu keinem anderen Entschlusse zu bewegen. Sie verschloß sich in ihrem Zimmer; all' ihre Kleider und Schmucksachen packte sie sorgfältig in Kommodenfächer; nur einen, den unscheinbarsten Anzug behielt sie im Gebrauche. Ihre regelmäßigen Geschäfte in der Wirthschaft besorgte sie auf das Sorgfältigste, und nahm außerordentliche Inspektionen und Säuberungen vor, wie es in den großen Jahresabschnitten zu geschehen pflegte, um Alles in den besten Stand zu setzen. Vor der Familie ließ sie sich als unwohl melden, und nahm die Mahlzeiten einsam auf ihrem Zimmer ein. Ihr Aeußeres aber zeigte nichts von Leiden; ihre Wangen blühten, ihre Augen strahlten, ihr Busen hob sich voll Muth und Zuversicht. Nur wenn sie es schellen hörte, zuckte sie zusammen, und wenn Schritte ihrem Zimmer nahten, erbleichte sie. Aber es kam nichts, was überraschend ihre Erwartung erfüllt hätte, und mit der Hand auf's Herz mußte sie ihre Stimmung niederzukämpfen suchen, leise seufzend, daß sie nicht mehr so sicher und klar wie bisher war, und doch lächelnd über das wohlige Gefühl dieser ungekannten Gemüthserschütterung.

Endlich am dritten Tage des Morgens, als außer der Unruhe in ihre Erwartung schon eine Aengstlichkeit sich zu mischen drohte, kam ein Besuch, der ihr galt. Cordelie trat in ihr Zimmer und in aufgeregter Stimmung fielen die beiden Freundinnen herzlicher, denn je, sich in die Arme. Aber wie erstaunte Viktorine über Cordelien's Aussehen; sie sonst stets so gelassen, glühte vor Erregtheit und zitterte vor Aengstlichkeit.

– Um meiner Seele Glück, Viktorine, so redete sie die Freundin an, Du mußt mir helfen, Du bist meine einzige Rettung! Weißt Du, was mir fürchterliches begegnet ist? Man will mich verloben!

– Nun ist das ein Unglück?

– Aber mit wem! Das ist das Unglück. Ich liebe ihn nicht, ich bin verkauft, – o verkauft und wiederum verkauft als Opfer der Gesellschaft.

– Und wem denn? Darf ich's wissen?

– Einem Manne ohne Herz, ohne Geist, ohne Phantasie, ohne Genialität! – O ich unglückseligstes Weib auf Erden! – mit meinem Vetter Edmund!

Viktorine schrak zusammen. In Hast entfuhren ihr die Worte: Und wer will ihn zwingen?

Ihn? Ihn zwingen? Wer sagt denn, daß man ihn zwingen will? Ich bin das Opfer, das er sich ausersehen, mich will er zwingen lassen. O, er ist eine herrliche Partie; er wird glänzende Carrière machen, der Präsident selbst ist sein Brautwerber. Aber ich liebe ihn nicht, und ich will eher sterben, als zu heirathen ohne Liebe, einen Mann, der meiner nicht würdig ist!

Viktorine konnte anfangs nicht begreifen, was Cordelie sagen wolle; erst bei dem Worte Carrière dämmerte ihr eine leise Ahnung und fuhr zugleich der Pfeil eines furchtbaren, den innersten Lebenskeim treffenden Schmerzes in ihr Herz. Und Du sagst, er sei ohne Genialität? so sagte sie, die stets frisch sprudelnde, mit matter, tonloser Stimme; – Cordelie, er ist wahrlich nicht ohne Genialität!

– Aber ich liebe ihn nicht, denn ich liebe einen Anderen und bin wieder geliebt. Und deshalb komme ich zu Dir. Du mußt mich hören, Du mußt helfen, retten, mich retten und ihn. Du kennst ihn. Emanuel Stern ist mein Geliebter.

Viktorine konnte von Nichts mehr überrascht sein. Sie hörte, Cordelie starr und doch theilnahmlos anblickend, angegriffen in den Sessel zurückgesunken, und konnte nur sagen: Nun, und was willst Du?

Cordelie gehörte zu den Naturen, die erst in der Exaltation Leben gewinnen und des Wortes mächtig werden. Während Viktorine ihren Schmerz lautlos in sich verschloß, wußte die Freundin in heftiger Deklamation ihrem Herzen Luft zu machen. Ich weiß es, sagte sie, gegen Dich darf ich aufrichtig sein, denn Du wirst mich nicht verachten, Du wirst mich verstehen. Giebt es ein Recht, gegenüber dem Rechte des Herzens, dem Rechte der Leidenschaft? Wir sind glücklich gewesen, überschwänglich glücklich in den Stunden, in denen wir uns stahlen von dieser elenden Gesellschaft, und seit meine Seele solches Himmelsglück gekostet, ist mir das Leben ohne das der Tod. Wir müssen unser Schicksal entscheiden, und deshalb komme ich hierher. Ich habe ihm Alles geschrieben, und ihn um 11 Uhr hierher bestellt. Aber es ist schon 12 Uhr durch –

– Vielleicht hat er Geschäfte, sagte Viktorine, ohne daran zu denken, von ihrem eignen Schicksal einen Schluß auf das der Freundin zu machen. Cordelie beschloß, länger zu warten. Viktorine entschuldigte mit Unwohlsein, daß sie sich nicht unterhalten könne. Die junge Baronesse setzte sich an den Schreibtisch und setzte einen Brief auf. Als nach 1 Uhr der Erwartete noch nicht anwesend war, bat sie, denselben durch die Dienstboten des Hauses bestellen zu lassen. Als sie dann von der Freundin Abschied nahm, bemerkte sie trotz der eignen Aufgeregtheit, daß diese heftiges Fieber habe. Sie erklärte es aus einer Erkältung vom Balle her, und die beiden trennten sich schmerzlich zärtlich.

Viktorinens Zustand aber verschlimmerte sich von Stunde zu Stunde. Gelbliche Blässe wechselte mit purpurner Hitze auf ihrem Angesicht; von bebendem Frost verfiel sie in angstvolles Fiebern. Dabei hatte sie ihre Palette hervorgeholt und malte unausgesetzt bis zur Dunkelheit. Des Abends saß sie an ihren Büchern in emsigster Thätigkeit. Spät hatte sie sich zur Ruhe begeben, und kaum eine Stunde hatte sie dieselbe genossen, als sie die Kammerfrau durch heftiges Reden weckte. Aufspringend frug die sorgliche Alte, was sie befehle; aber sie vernahm zur Antwort nur unverständliche Laute und erkannte bald, daß das Fräulein im heftigsten Fieber phantasire.

Trotzdem stand Viktorine am andern Morgen zur gewohnten Stunde auf, aller Ermahnungen ungeachtet, und setzte sich sogleich an ihren Farbentisch. Frau Löwe erhielt Kunde von dem auffallenden Zustande ihres Pflegekindes und auch ihre Besorgniß wurde wach. Sie sprach mit Milde dem Kinde zu, sich zu Bette zu halten; sie setzte es nicht durch. Auch der Arzt, den sie holen ließ, verlangte dasselbe. Viktorine bat um Himmelswillen, sie nicht zwingen zu wollen. Ich kenne meine Natur, und weiß, was mir fehlt, so sagte sie mit leidender Bestimmtheit; ich werde meine Krankheit selbst überwinden, nur verlangen Sie nicht, daß ich mich krank erkläre. Ich bin noch nie krank gewesen, es ist mir, wenn ich mich einmal niedergelegt hätte, als würde ich denn nicht wieder aufstehen.

Und sie hatte nicht zu viel versprochen. Am Abende vermied sie die anstrengende Lektüre, unterhielt sich über alltägliche Dinge mit der Dienerin, versicherte dieser, sie würde heut' nicht wieder phantasiren, und hatte eine ungestörte Nacht. Am andern Morgen war sie blaß, aber ruhiger; sie hatte noch Fieber, aber schwach; und so setzte sie sich wieder zur Arbeit und schien in das Unvermeidliche sich hineinzuleben, – freilich offenbarte sie nichts mehr von ihrer jugendlichen Frische, und eine fieberhafte Gluth des Auges bei der Bleiche der Wangen ließ den verständigen Arzt erkennen, daß ihr Zustand, trotz des kräftigen Naturells, wenn nicht für den Augenblick, doch für die Zukunft nichts weniger als beruhigend sei.

*

 


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