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4.
Adele.

Es waren jene letzten schönen Novembertage, mit denen der Herbst fast jedes Jahr zu scheiden pflegt, als wolle er seinen vollen Werth nochmals fühlen, um in der Abwesenheit sich dann recht lebhaft vermissen zu lassen. Die Straßen und die Gänge des Parkes vor der Stadt waren nochmals ausgetrocknet; durch die noch nicht ganz entlaubten Bäume blickte die tiefe Azur-Bläue des Himmels hindurch und die gelblichen Strahlen der Sonne fielen auf die frühlingsmäßig grünen Rasenteppiche, auf denen die Veilchen zum zweitenmale und die noch lange ausdauernden Winterastern und Sternblumen noch immer blühten. Die alten Invaliden mit den Drehorgeln an den Kreuzwegen aufgestellt, hatten heute eine reiche Ernte. In unabsehbaren Reihen zogen die Großstädter durch die breiten Baumalleen dahin; vielleicht auf lange verlangten sie die letzte frische Luft zu schöpfen, die letzten Blumen im Freien blühen zu sehen, um dann in den Staub der Bureaus und den Parfüm der Salons sich zu verschließen. Auf den Chausseen fuhr Wagen auf Wagen, die schwere Equipage des reichen Hof- oder Börsenmannes, die ärmliche Droschke eines bedürftigen Kranken, der kecke Gig eines jungen Verschwenders. Zwischen ihnen ritten die Kavalkaden, hier und da eine Dame in der Mitte führend, rasch dahin. Es war ein Tag, wo man viel sehen und viel gesehen werden konnte, und noch auf viele Abende sollte er Stoff zur Unterhaltung in den Boudoirs geben über die neuen Equipagen und Livreen, die jüngst aufgetauchten Schönheiten und die modernen Toiletten für die kommende Saison. Doch von all den Wünschen eines solchen Corso, Alles zu sehen und von Allen gesehen zu werden, konnte bei diesem endlosen Auf- und Niederwogen jedem Einzelnen wohl kaum der zehnte Theil in Erfüllung gehen. Nur Einer hatte den Vorzug vor den Andern, von Allen und Allen bemerkt zu werden, ein jugendlicher Reiter auf herrlichem Pferde in türkischem Kostüm, der in schnellster Karrière durch die Reihen der Wagen und Reiter dahinflog, vor Eile kaum sichtbar und durch seine Sonderbarkeit doch allgemein gesehen.

Niemand kannte ihn. Nur Einzelne, die Alles wissen mußten, wollten bestimmt behaupten, daß er von der türkischen Gesandtschaft sei.

Jetzt sprengte der Seltsame an einer Kavalkade, in deren Mitte eine Dame ritt, sie einholend, vorbei. Er hemmte auf einen Augenblick sein Pferd, grüßte, sich rücklings umwendend, auf morgenländische Weise mit der Hand winkend und war im nächsten Augenblick auch wieder entschwunden.

Das Pferd der Dame, von stolzer Race, scheute ein wenig, dem vorausgeeilten nachsehend. Die Dame konnte einen leisen Schreckensruf nicht unterdrücken, den sie durch das leichte Scheuen des Pferdes zu entschuldigen suchte.

– Mein Gott, schalt sie sich selbst, als wenn ich nicht das Reiten lernen sollte! Aber sagen Sie, Baron, was war das für eine Erscheinung? so frug sie den ihr zunächst reitenden Herrn.

– Mein Bruder, Excellenz.

– Ihr Bruder? so sagte sie mit dem gleichgültigsten Tone der Welt, und als müsse sie sich besinnen, so frug sie langsam: Wie viel Brüder haben Sie denn?

– Nur Einen.

– Und das war dieser Eine? Das war Edmund, so lachte sie mit so viel Interesse, als man in guter Gesellschaft eben für eine überraschende Anekdote zu haben pflegt: Aber seit wann ist der denn Kunstreiter?

– Das ist er nicht, aber veritabler Muselmann.

Und Frau von Stein wurde leicht roth, fand das göttlich und bat den Baron Brandt von seinem interessanten Bruder zu erzählen.

Am anderen Tage stand im Feuilleton der von der Stadt und vom Hofe am meisten gelesenen Zeitung folgende Notiz:

»Unser Landsmann, der Baron Edmund von Brandt, bisher Assessor des und des Landeskollegiums ist von einer Reise in die europäische und asiatische Türkei bis nach Syrien und an das heilige Grab soeben zurückgekehrt. Derselbe beschäftigt sich zunächst mit einer Schilderung seiner zum Theil sehr interessanten dortigen Erlebnisse und Beobachtungen, die er sobald thunlich dem Publikum vorzulegen gedenkt.«

In den verschiedensten Kreisen der Gesellschaft war indeß ein Streit darüber entstanden, ob Baron Edmund von Brandt seine Sendung vom türkischen Hofe als Christ oder als Renegat empfangen und ob diese Sendung dahin ginge, Maler und Bildhauer für eine zu errichtende Kunst-Akademie oder Artillerie-Offiziere und geübte Bombardiere für Erweiterung der Kriegsschule nach Constantinopel zu engagiren.

In Edmunds Hotel meldeten sich ein paar Dutzend fremde Leute, die einen – Künstler und Fähndriche, die Renegaten zu werden, die andern – Buchhändler, die das von der offiziellen Zeitung angekündigte Werk ungesehen in Verlag zu nehmen sich hinzudrängten.

Alte Damen ließen sich kaum von der Thüre weisen, die den Mann anbeten wollten wie einen Heiligen, der das Heilige Grab gesehen. Spekulanten zeigten ihm an, sie wollten Wasser aus dem Jordan oder Splitter vom Kreuze, wenn auch nur der beiden Schächer, oder was er sonst für Andenken mitgebracht, ihm mit baarem Golde aufwiegen. Ja, eine allerhöchste Familie soll den Wunsch geäußert haben, den frommen Pilger von Nahen sehen und die Schuhsohlen berühren zu können, die den Staub Golgatha's betraten.

Dabei wußte man im Publikum einen förmlichen Roman von Edmunds Reiseerlebnissen zu erzählen: um dem rohen Treiben der Demokratie zu entfliehen, in Verzweiflung über seine eigne Betheiligung und Enttäuschung an derselben, so hieß es, war er nach Constantinopel gegangen, um, ein deutscher Byron, im Genuß der wunderbaren Natur und der exquisitesten Lebensfreude seinen Schmerz und seine Reue zu übertäuben. Die Abenteuer des englischen Lords waren gar nichts gegen die Kühnheiten des deutschen Assessors; nicht nur, daß er der beste Freund des Sultans geworden und bis in's Innerste des Serails eingedrungen war, er hatte auch durch seine unwiderstehliche Liebenswürdigkeit dem Beherrscher aller Gläubigen in Folge einer Wette mit diesem selbst, ein Dutzend der schönsten Cabinets-Houris abwendig gemacht und in leibeignen Besitz erhalten. Schon im Begriff ganz, mit der Seele wie mit dem Leibe, dem Moslemismus sich zuzuwenden, sei durch eine überirdische Erscheinung plötzlich die Offenbarung der Wahrheit über ihn gekommen; er habe sich dem Heiland wieder zugewendet und am Grabe des Erlösers Vergebung seiner Sünden und Irrthümer gesucht und auch gefunden, u. s. w. – kurz, Oskar, dem alle solche Erzählungen ihren Ursprung verdankten, war von unerschöpflicher Phantasie und betrieb das Erfinden dieser Fabeln mit eben so unverwüstlichem Eifer und überschwänglicher Glückseligkeit, wie die Prüfung des Finanzbudgets und die Bekanntschaft der kleinen Cilly.

Edmund, dadurch in die peinlichste Angst versetzt, durch ein Wort sich zu verrathen, wagte nicht, irgend Jemand zu sprechen und verschloß sich in sein Zimmer.

Nach drei Tagen endlich erklärte er sich für germanisirt. Im blauen Frack mit goldenen Knöpfen, einem leichten Palitot und schwarzem Cylinderhute stieg er zu Pferde und ritt hinaus in das Gehölz.

Dort sprengt er pfeilschnell durch die mannigfachen Wege hin und her. Endlich sieht er, von der Fahrstraße in den einsameren Reitweg einlenkend eine Kavalkade von mehreren Herren, an deren Spitze eine schöne Dame gallopirte. Diese schlanke Taille, diese stolze Haltung, dieses kecke Sprengen des Rosses, – das kann nur Adele sein. Er reitet jenseits eines rasenumfaßten Wassers auf parallelem Wege ihnen nach und mit seinem scharfen Auge kann er doppelt in ihrem Anblick sich berauschen, einmal an der wirklichen Gestalt vor ihm, die von dem Grün des Rasens und dem Grau des Buschwerkes so belebt sich abhob, dann an dem Spiegelbild unter ihm, das auf der dunkelgrünen Fläche des kaum merkbar bewegten Wassers dahinzuschweben schien.

Was für ein Moment war das für Edmund, dessen seltsam wohliche Stimmung er mit Behagen in seinem Busen einzuschlürfen sich Muße nahm! Ein Sohn seiner bewegten Zeit war er seit den Jahren seines erwachenden Selbstbewußtseins von einer unnennbaren Sehnsucht, einem rastlosen Drange erfüllt gewesen; kaum einen Augenblick hatte er sich selbst, kaum einen Herzschlag dem Genusse gegönnt: nur den Dingen außer ihm, nur der Zukunft vor ihm hatte er angehört; sein Leben kannte keine Ruhe, kein Dasein, nur das Streben aus sich heraus. Die reine, schwärmerische Sehnsucht jungfräulicher Thatenlust wurde mit dem Ausbruch der Revolution, mit dem Betreten der wirklichen Lebensbühne zu leidenschaftlicher Begeisterung, und diese leidenschaftliche Begeisterung, da sie ihre großen schönen Hoffnungen scheitern sah, schlug um in besinnungslose Verzweiflung. Als Edmund die Revolution in seiner Heimath vernichtet sah, da wurde er wie vom Wahnsinn getrieben vorwärts und immer vorwärts, ohne zu wissen wohin; nur die Nothwendigkeit des Hinweg war ihm klar, nicht zu welchem Ziele und nicht auf welchem Wege.

Zu der Persönlichkeit des Menschen gehört mehr als das bloße Selbstbewußtsein; Umgebung, Sitte, Gewöhnung, Neigung, Lebensweise machen das Ich erst zu dem bestimmten lebenerfüllten Ich, das der Einzelne eben ist. Alle diese gewöhnte Besonderung, soweit er sie überhaupt besessen, hatte Edmund aufgegeben, als er den Kampf für seine Ideale unter den Horden wilder Naturvölker aufnahm, mit denen er nichts gemein hatte als das Gefühl wahnsinniger Todesverachtung. Aber nur deshalb war er dieser barbarischen Unerschrockenheit fähig, weil er sein Ich verloren hatte, das Selbst, das er in seinen Bedürfnissen und Freuden liebte, für das er noch fürchten, noch hoffen konnte.

Und aus diesem forcirten Selbstvergessen mit dem steten Angstgefühle bodenlosen Schwindels, aus diesem Zustande endlosen Todeskampfes, der den Tod nicht scheut, nur weil er dem Sterben entfliehen will, war Edmund nun wieder hierher in die wohlgepflegten Heimathstätten seiner Jugend, seiner ersten Liebe und wenigen Lebensfreuden zurückversetzt; nicht zum Kampfe, zum Vergnügen spornte er sein Pferd; nicht über Todtenfelder, durch einen Lustgarten sprengte er dahin. Die Bäume, die Wiesen, die Wege, das Wasser und die Goldfische darin, sie waren zur Zierde mit Kunst und Geschmack geordnet, sie waren da zur Lust, zum Ergötzen. Edmund hatte seit langer Zeit wieder einmal die Muße zur genießenden Betrachtung seiner Umgebung; er öffnete weit sein Auge, um das Alles aufzunehmen, was der Lust und der Ergötzung wegen da war. Und vor allen Dingen leuchtete ihm bis tief ins Herz hinein jene wunderherrliche Frauengestalt auf dem muthigen Rosse, mit langschleppendem Gewande und weithin wehendem Schleier. Wie betrachtete er auch sie jetzt plötzlich mit ganz anderem Auge! Wie die Haltung ihres schlanken Körpers den rapiden Bewegungen des graciös leichten Rosses eben so mit Nachgiebigkeit als mit Widerstand folgte; wie schwungvoll sie beim Sprunge des wiegenden Gallopirens sich scheinbar hinaufschnellen und bei seinem Festtreten elastisch sich in die Taille sinken ließ; wie sie so eins war mit dem edlen Thiere, das sie durch die leisesten Bewegungen ihrer Glieder zu lenken und mit ihrer Empfindung und Gemüthsart in Uebereinstimmung zu setzen wußte, – als Edmund den Zauber dieses Bildes, gemächlich ihnen nachreitend, mit offnem Aug' und Herzen einsog, da ging ihm ein Reiz der Schönheit auf, wie er ihn noch nicht gekannt hatte. Er hatte bisher geliebt aus Schwärmerei; seine Leidenschaft war Verehrung gewesen, gemischt mit dem Jubel, in einem Geisteselemente mit dem geliebten Wesen sich zu begegnen. Jetzt fühlte er aus diesem einen Geisteselemente sich herausgesetzt; er stand als Persönlichkeit der Persönlichkeit gegenüber und empfand die Liebe, die Verlangen ist, die im Besitze des geliebten Gegenstandes die Befriedigung ersehnt.

Und der Besitz dieser Amazonenheroine, der ihm winkte, welch ein Glück mußte es sein! Adele verstand es wahrlich Wort und Gebehrde zu gebrauchen, um ihre Empfindung zu verbergen; aber Edmund kannte sie doch zu gut, um nicht zu wissen, daß dieses wilde, gewaltsame Tempo, in dem sie so dahingalloppirte, der Ausdruck einer entsprechenden Gemüthsbewegung war. Und konnte diese Bewegung nicht ihm gelten, den sie seit Tagen schon zu dieser Stunde erwartete? Konnte nicht die Ungeduld sie peinigen, mit der sie dem Geliebten das Glück des Wiedersehns, den Preis seiner Gefahren entgegentragen wollte? Nach jenem Briefe, den Edmund von der Ersehnten empfangen, hatte seine zusammenbrechende Hoffnung sich wieder aufgerafft; er war überzeugt, daß sie ihn liebe, daß die Verhältnisse sie zur scheinbaren Untreue gezwungen, daß sie nicht ihn betrogen, sondern mit ihm die Welt betrügen würde, um hinter dem Schleier des Geheimnisses ihrem Ideale einen Altar zu bauen und einen Roman in der Art zu verwirklichen, wie die Dichterinnen ihn als Ideal moderner Liebe so lockend darzustellen verstanden haben.

Nur mit Mühe konnte er sein Herz bezähmen, daß es nicht in lautem Freuderufe seiner Lust die Zügel schießen ließ. O, und wie mannigfach war nun mit einemmale sein Glück. Darüber, daß sein Herz aufjubeln konnte, hätte er doppelt aufjauchzen mögen; denn er fühlte, daß er noch jung war, daß noch Freude und Liebe in seinem Busen sprossen konnten, daß das lebenskräftige Herz unversehrt unter den Trümmern einer zusammengebrochenen Ideenwelt, die sein Dasein zu ersticken drohten, in helle Flammen auflodern konnte.

Jetzt hielt er sich nicht länger zurück; er gab seinem Pferde die Sporen und sprengte es wild in das Wasser hinein, – er scheute nicht, denn wenn er versunken wäre, er wäre versunken mit dem Spiegelbilde Adelens. Aber in der Residenz, in der unsere Geschichte spielt, giebt es keine unergründlichen Tiefen, auch nicht des Wassers im Lustpark. Laut gletscherten die Hufe im Sumpfe, weit spritzte der Schlamm, aber das Wasser ging kaum über die Knöchel des Pferdes und mit drei Sätzen war Edmund dem schönsten Weibe Aug' in Auge!

– Salem aleikum! Allah il allah! rief er ihr übermüthig in dem Jubel des Wiedersehns entgegen.

Die Pferde der kleinen Gesellschaft waren erschreckt. Adelens Zelter changirte im Gallopp und Baron Oskar, auf heute ihr nächster Begleiter, mußte ihrem Pferde in die Zügel greifen, denn die Dame war wieder zitternd und bleich vor Schreck. Aber eisig kalt erwiderte sie Edmunds Gruß und frug, sich von ihm wendend, beleidigt:

Herr Baron, haben Sie keine anderen als solche Ueberraschungen von den Muselmännern mitgebracht?

Edmund glaubte, er und sein Pferd müßten von diesem Tone niedergeworfen werden; aber schnell hatte er ihr Benehmen durch die Anwesenheit der übrigen Reiter entschuldigt gefunden; er lachte und erwiderte mit leichter Keckheit: Auch zartere, gnädige Frau. Sie haben zu befehlen über mich. Ich komme aus der weiten, weiten Welt und habe viel, viel mitgebracht –

– Auch Lebensart?

– Viel Lebensart und viele Lebensarten. Sie brauchen nur zu verlangen, wie Sie mich wünschen, sentimental oder frivol, pikant oder prüde, enthusiastisch oder – diplomatisch! Haha, ich kann mit Allem dienen.

Oskar warf funkelnde, beobachtende Blicke auf beide. Kommst Du vom Frühstück? frug er mit maliciöser Kälte. Edmund ignorirte es und drängte sein Pferd zwischen ihn und Adele. Diese begegnete ihm mit strengem Blicke; aber sie seufzte auch leise auf: es war nie ihre Art völlig abzuweisen; sie hielt fern, aber sie machte nicht muthlos. Sie ließ es zu, daß Edmund ihr ins Ohr flüsterte. Da zog Oskar stolz und beleidigt sich zurück. Und jetzt befahl sie Edmund mit Bestimmtheit, sich fern zu halten: Sie sind zudringlich!

– Sie haben mich gerufen.

– Aber hier beobachtet man uns.

– Wen haben wir zu fürchten?

– Sie sind keck.

– Ich habe ein Recht dazu.

– Ein Recht über mich?

– Von Ihnen selbst.

– Haha! Und welches?

– Sie zu lieben.

– Nun, wehre ich es Ihnen?

– Aber Sie müssen es erfüllen! Adele, um meiner Seele willen, warum riefen Sie mich? Was haben Sie vor mit mir? Was habe ich von Ihnen zu erwarten? O – spenden Sie Liebe mir um Liebe!

– Welches Wort!

– Das Sie mich gelehrt.

– Das ich aber nicht mehr kennen darf.

– Und warum?

– Ich habe kein Recht mehr dazu.

– Wer will es Ihnen wehren?

– Sie fragen? Mein Gemahl!

– Ihr Gemahl. Sie machen mich lachen!

– Mein Herr, was denken Sie von mir?

– Daß Sie das klügste Weib auf Erden sind, daß Sie eine Intrigue spielen –

– – Die Ihnen ewig ein Geheimniß bleiben muß.

– Mir, den Sie lieben? Aber, Adele, – Sie lieben mich doch noch? Nur ein Wort auf diese Frage, sonst will ich nichts, nichts in der Welt von Ihnen: Sie lieben mich doch noch?

Statt der Antwort gab sie ihrem Pferde einen Peitschenhieb und galloppirte rasch vorwärts. Edmund wich ihr nicht von der Seite. Sie sah sich, Rath suchend, nach Oskar um. Dieser aber that, als verstehe er ihren Blick nicht, und ließ sie mit Schadenfreude in ihrer Verlegenheit. Umwenden konnte sie nicht, da Edmund ihr im Wege war; warten wollte sie nicht, um nicht von neuem Edmunds Fragen ausgesetzt zu sein; sie konnte nur vorwärts und immer schneller vorwärts.

– Die Antwort, Madame, die Antwort! rief Edmund unabweisbar ihr zu.

Sie biß sich auf die Lippen; wandte keinen Blick ihm zu und peitschte das Pferd von neuem. Nicht nur äußere Verlegenheit auch innere Unruhe machten sie aufgeregt. Die Aufregung theilte sie dem Rosse mit; durch ihre Unentschlossenheit machte sie es wild und verwirrt. Sie schien an ihre Umgebung nicht mehr zu denken, nicht mehr an den Ton der guten Welt, zu der sie gehörte; sie schien nur fliehen, fliehen zu wollen in schwindelnder Schnelligkeit, – doch Edmund bleibt an ihrer Seite. Sie hält nicht ein, auch nicht als sie durch das hohe Thor in die Stadt gelangt sind und halb staunend halb erschreckt alle Fußgänger der unangemessen wilden Reiterin nachzusehen stehen bleiben. Jetzt bemerkt sie es; sie will das Pferd zügeln; es ist aber, durch den Wettlauf mit dem begleitenden Rosse wild gemacht, nicht mehr in seinem Schusse aufzuhalten. Schon ist sie an der Ecke vor ihrem Palais. Scharf lenkt sie in die Straße hinein; da kommt eine Equipage in Carrière ihr entgegen; das Pferd kann nicht schnell genug ausweichen, scheut sich bäumend zur Seiten, auf dem glatten Pflaster gleitet es aus – und ohnmächtig, todesbleich, schön zur Verzweiflung liegt Adele auf dem harten Boden.

Edmund springt vom Pferde und da kann er nun die herrliche geliebte Gestalt in seine Arme fassen; aber er hat kein Gefühl dabei als das des Vorwurfes diesen Unglücksfall veranlaßt zu haben. Da schlägt Adele das sonst so diamanthelle, jetzt todtmatte Auge auf, und er meint in Angst und Reue vergehen zu müssen. Aber sie lispelt mit dem sanft seufzenden Tone, den er kennt aus ihren vertraulichsten Stunden: Ach, Edmund! – mit einem Blicke, der sein ganzes Sein mit dem ihren zusammenzuschmelzen schien.

Wie mußte er beklagen, in dieser civilisirten Welt der steten Rücksicht und Beobachtung sich zu finden! Wäre er doch jetzt mit dieser süßen Last im Arme auf einer einsamen Insel gewesen; er hätte alle Bildung, alle Gesellschaft mit Freuden auf Lebenszeit von sich geworfen, wenn er jetzt sie ungesehen an seine Brust schließen, jetzt die Schwache mit der Frage überraschen konnte, die sie im bewußten Zustande zu beantworten so wild geflohen war.

Und nun mußte er die mehr aus Neugier als aus Theilnahme herbeiströmenden Fremden abwehren, und mußte die Führung der sich aufrichtenden Freundin ihren hinzugeeilten Lakeien mit überlassen! Nur den einen Arm hatte er glücklich sich bewahrt, während die Dame halb ohnmächtig sich auf den Diener an der andern Seite lehnte. Noch einen Blick warf sie auf Edmund, dann schloß sie die Augen und er glaubte sie in Besinnungslosigkeit zurückfallend. Aber indem rührte es sich geschäftig in seiner Hand, die ihre Finger umschlossen hatte und nachdem er eine kleine Weile nicht begriffen hatte, was diese heimliche Bewegung sollte, fühlte er einen Ring in seiner Hand. Sobald er ihn zu sich gesteckt, richtete Adele, wie von neuem das Bewußtsein gewinnend, sich wieder auf, beugte sich matt zu ihm hinüber und flüsterte rasch: Für diesen Ring öffnet meine Jeanette Ihnen mein Zimmer. Kommen Sie bald!

Damit waren sie im Stein'schen Palais. Auf der Treppe kam die Excellenz schon besorgt seiner geretteten Gattin entgegen. Als er den jungen Baron sah, stutzte er; winkte dem Portier, flüsterte ihm ins Ohr und dieser kam auf Edmund zu, ihm meldend: Excellenz ertheilen jetzt keine Audienz!

Edmund mußte dem Gatten der geliebten Frau gehorchen. Stumm entließ er Adelens Hand und taumelte zurück aus dem Hause hinaus, erschreckt über seine Nichtigkeit gegenüber dem Manne, der so fest wurzelte im Mechanismus eines großen Staates, der nur einen Wink zu geben brauchte, um die ganze gewaltige Maschine in Bewegung zu setzen, die ihn fassen und vernichten oder bei Seite schaffen sollte, ihn, der nichts entgegensetzen konnte als sein vom Tode wieder auflebendes Herz, das Recht der Liebe, die Unbeugsamkeit der Leidenschaft, – so unendlich gewichtvoll in seinem Bewußtsein, so nichts in der Wirklichkeit!

Und doch der Ring, den er an seinem kleinen Finger aufgesteckt hatte, war ja ein Talisman, der ihm Recht und Macht gab, aller Gewalt der Welt gegenüber, denn die Liebe und die List eines Weibes hatte ihn geweiht.

Gewaltsam in ein Fenster einzusteigen, heimlich in ein Gemach zu schleichen, das sind Dinge, die in Romanen oft eben so alltäglich und leicht zu Stande zu bringen erscheinen, als einem Freunde guten Morgen wünschen oder einen Brief in die Post zu werfen. Aber im Leben, wo dergleichen doch wohl seltener zu geschehen scheint, was kostet es da dem, der es zum erstenmale versuchen soll, für Ueberwindung, für Besorgniß und für Ueberlegung! Edmund war unerschrocken im Todeskampfe, in Lebensgefahr, aber für die kleinen Verhältnisse und listigen Intriguen hatte er nicht die Verschlagenheit und Zudringlichkeit geübt. Er überlegte, welche Zeit die passende sein; er zweifelte, ob das Mädchen den Ring auch kennen, er besorgte, daß Adele nicht die nöthige Entschlossenheit haben werde, – kurz, durch ein Kammerkätzchen sich in ein Boudoir führen lassen, kam ihm schwerer an, als den Kanonen des Feindes seine Brust zu bieten. Aber versucht sein mußte es doch, und siehe da! es ging Alles zum Erstaunen rasch und leicht. Noch denselben Abend wählte Edmund, von Verlangen nach Aufklärung getrieben, zur Ausführung des unerreichbar gedachten Planes. Daß Jeanettchen von einem Bedienten in das Portierzimmer bestellt wurde, schien ihr durchaus keine Ueberwindung zu kosten, und daß sie den Herrn auf Vorweisen eines bekannten Ringes in das Boudoir ihrer Dame führen sollte, brachte sie auch nicht außer Fassung. Sie bestellte Edmund an die Seitenpforte, begrüßte ihn sehr freundlich, führte ihn durch mehrere Ballsalons in das Empfangzimmer der gnädigen Frau und schien sich über sonst nichts zu wundern, als darüber, daß von dem großen Liebesmahl der Herrin ihr nicht eine Brosame abfiel und der schöne, junge Mann es nicht einmal werth hielt, ihre allerliebsten Wangen zu belobigen. Verdrießlich ging sie weiter, um den heimlichen Besuch zu melden, und Edmund fand sich allein in dem Raume, den die Angebetete belebte, in der Luft, die sie geathmet, zwischen den Fauteuils, in denen der Druck ihres Armes die Bauschung zurückgelassen.

Dieses traulichste Boudoir mit den gelbseidenen Vorhängen, den dicht aneinander gerückten Sesseln, den groß- und schwerblätterigen orientalischen Gewächsstauden und dem mehr zum Träumen als zum Denken einladenden Schreibbüreau dazwischen – das Alles hatte Edmund nicht Zeit zu betrachten und zu bewundern, denn kaum hatte Jeanette das Zimmer verlassen, so hörte er vor der anderen Thüre Geräusch und das Sprechen einer Männerstimme, die Thüre wurde geöffnet und ihm blieb keine andre Rettung, als in den großen Falten der Portiere der Thüre durch die er gekommen sich zu verbergen.

– Ah, Sieh da! mein lieber Attaché, kommen Sie näher, setzen Sie sich zu mir, so nöthigte Adele einen Fremden herein, – ich habe Sie nöthig, sehr nöthig, – Ach, ich bin leidend, entsetzlich leidend. Und Ihre Nähe schon ist mir Linderung für meine Schmerzen. Sie mit Ihrem klaren Verstande, Ihrem scharfen Denken sind ein Fels in diesem haltlosen, täuschenden Leben – O, wer so ruhig, so kalt und klar sein könnte wie Sie!

– Aber gnädige Frau, Sie sind nicht wiederzuerkennen, so beantwortete Oskars Summe diesen Empfang. Was fehlt Ihnen? Diese Hand ist eiskalt und zittert –

– Und meine Stirne glühend heiß, meine Pulse fiebern, – o, ich bin krank, todtkrank. Aber nein, ich will nicht krank sein! Wovon könnte ich krank sein? Von meinem Schreck bei dem Sturze? Ich müßte mich schämen! – sollte ich wirklich soweit Weib sein? Sollte es keine Frau geben, die nicht nervenschwach wäre? Nein, nein, nein! Ich will nicht krank sein, und ich bin auch nicht krank. Hahaha! Sie werden mich auslachen, wie albern ich bin. O lachen Sie nur! Ich höre Sie so gern lachen. Aber Sie lachen ja nicht. Ihnen muß auch etwas fehlen, – Herr Attaché, mein Attaché, mir attachirt! Sie sind heute gar nicht galant. Meinen Sie weil ich krank bin? Ach, ich bin nur krank, weil –

– Etwa weil man Sie nicht galant genug behandelt, meine Gnädige?

– Sie Schelm, erwiderte die Dame aufseufzend, – ach, und doch ist es wohl nur zu wahr! Hier nicht galant genug und dort zu galant! Man liebt mich, wo ich verachtet sein sollte, und man verschmäht mich, wo ich Liebe fordre. Und ich selbst soll reden, wo ich schweigen und schweigen, wo ich reden möchte! O, wissen Sie keine Stütze für ein schwaches Weib, dem Kopf und Herz ins Schwanken gerathen sind?

Diese Worte waren mit tiefer Schwermuth gesprochen; es machte einen auffallenden Kontrast dagegen, als der Baron spitz und lachend kurz erwiderte: Meine Philosophie!

– Ihre Philosophie, unsere Philosophie! Vortrefflich! Lassen Sie uns philosophiren! Eröffnen wir die Akademie! Wobei waren wir stehen geblieben? – so ging Adele leicht auf seinen leichten Ton ein.

Er erwiderte: Bei der Schlußfolgerung, meine gelehrige Schülerin, daß das Leben eine Komödie ist –

– und alle Liebe Koketterie! lachte Adele.

– und daß wir die einzigen sich verstehenden Seelen sind, fuhr er fort.

– Ganz richtig, mein Seelenfreund, weil wir allein aufrichtig gegen einander sind.

– und es uns eingestehn, so nahm er die Rede auf, daß wir wie mit allen Anderen, so auch gegen einander selbst nur kokettiren –

– und also doppeltes Vergnügen haben, so fuhr sie wieder fort, da wir eine doppelte Komödie durchschauen.

– und ein zehn-, zwanzig-, hundertfaches Vergnügen, so schloß er, indem wir einander in die zehn, zwanzig, hundert Koketterien schauen lassen, die wir beide wieder an aller Welt vollführen.

– Wie? frug sie, die Koketterie mit aller Welt?

– Nun ja, über Ihre Koketterien mit allen Männern und die meinen mit allen Damen, darüber uns die gegenseitigen Geständnisse zu machen, wäre der jetzt beginnende praktische Theil unserer Philosophie de amicitia.

– Ich soll Ihnen alle meine Koketterien verrathen? rief Adele in komisch-pathetischer Entrüstung aus.

– Was werden Sie da viel zu verrathen haben! sagte Oskar ironisch.

– Meinen Sie? antwortete Adele sich beleidigt stellend. Unsere stillen Intriguen, unsere geheime Taktik, all unsere heiligsten Gewissensangelegenheiten verrathen –, Herr Attaché, das wäre, als wenn man Ihnen zumuthen wollte, die Taktik der Großmächte zu verrathen!

– Und dessen halten Sie mich nicht fähig? Ich danke für dieses Vertraun; aber wenn ich es bei den europäischen Großmächten verdiente, warum nicht auch in Ihren Augen, schöne Frau, – in Ihren Augen, die doch wahrlich auch ein paar Großmächte sind, o, und zwar sehr, sehr mächtige!

– Bin ich's, so bin ich's durch meine Politik, und die sollte ich verrathen?

– Freilich können Sie das nicht, wenn Sie eben nur eine Dame sind; wären Sie aber eine Philosophin –

– Mein Gott, und ich bin ja eine Philosophin! Nein, nein, ich will kein Weib sein. Sie sollen Alles hören, Attaché; ich werde beichten. O, Sie sind ein großer Diplomat. Die stolzeste Frau machen Sie zur Verrätherin an ihrem Geschlechte. Alle Könige und Königinnen Europa's sollten sich um Ihre Dienste streiten.

– Ich würde aber nur einer Königin dienen können, und nur die Blicke dieser mir stets gunstlächelnd zu erhalten, wäre der schönste Preis meines Lebens, und diese Königin, – o Adele!

So rief der Attaché mit inniger Gluth aus, ihre Hand ergreifend und vor ihr halb niederkniend, und als sie zu ihm sich niederbeugend, mit ihrem träumerischen Blicke ihm zuseufzte: Oskar, o Oskar! – Da hätte Edmund, von Flammen wildester Eifersucht gepackt, vorspringen mögen, um einen, vielleicht um beide Treulose zu ermorden; aber er blieb ruhig hinter seinem Vorhange, denn kaum hatte Adele zu diesem weichen Tone sich hinreißen lassen, so lachte Oskar auch laut auf: Bravo, bravo! Vortrefflich gespielt. Aber Sie sehen, ich verstehe mich darauf, ich habe die Koketterie zuerst gemerkt.

– O abscheulich! rief sie aus, sich entrüstet stellend; Sie haben auch nicht eine Spur von Herz!

– Meinen Sie: von Lüge oder von Bornirtheit? In beiden Fällen haben Sie recht. Aber nun zu unserer Tagesordnung! Fangen Sie an zu beichten gnädige Frau! Ihre Koketterien, zuerst die neusten!

Adele ging lachend darauf ein. Sie sprach von einem französischen Diplomaten, Oskar nannte ihn einen Gecken; sie sprach von einem österreichischen, er nannte ihn Pedant; sie sprach von dem Dichter Dagobert, er nannte ihn sentimental; sie stieg sogar bis zum Dr. Stern hinab, den nannte er albern und fand alle die Genannten gar nicht nennenswerth. Sie sollte Specialitäten, interessante, abenteuerliche Persönlichkeiten anführen –

– Abenteuerliche? Sie meinen sich selbst, lieber Baron, erwiderte sie schalkhaft. Er verlangte andere, – wie er meinte junge, eroberungsfähige Männer. Sie sann ernstlich darüber nach und behauptete endlich, sie wisse außer ihm keine »interessante« Bekanntschaft.

– Auf Ehre? frug er.

– Sie beleidigen mich durch Ihr Mißtraun! Aber auf Ehre, – ich fühle mich unendlich isolirt! Wo sind die Männer, die noch einer Koketterie werth sind?

– Nun, und wenn keiner Koketterie, vielleicht einer Leidenschaft? Auch darauf bezieht sich unsre Offenheit! – so versetzte der Baron, mit lauernder Bestimmtheit, der Rede eine neue Wendung gebend.

– Einer Leidenschaft? O Sie höhnen! Denn Hohn ist das Wort in Ihrem Munde!

– Hohn? Sie sind ungerecht, gnädige Frau. Wo habe ich je Hohn gezeigt. Ich bin ein so einfacher, biederer Mann, sagte er mit höchst gelungener Naivetät, und wenn ich bisher nicht darauf einging, wenn Sie von dem sprachen, was Sie eben Leidenschaft nennen, so hat das nur darin seinen Grund, daß ich einfacher Mann nichts davon verstehe.

– Dann fehlt Ihnen die Weihe des Göttlichen.

– Vielleicht weil ich Diplomat bin? Aber, bitte, belehren Sie mich, weihen Sie mich in die Weihe des Göttlichen. Wer weiß, vielleicht habe ich Talent.

– Belehren kann man darüber nicht &… Das kommt von selbst, unbewußt, ungewollt, oft wider den Willen, und wenn es da ist, dieses Gefühl, dieses Sehnen, dieser unnennbare Drang, kann man seiner nicht Herr werden, obgleich man es in sich selbst verschließt und herumträgt; es ist eine Qual, und doch unterwirft man sich ihr –

– Halten Sie ein, gnädige Frau, das kenne ich; ich weiß, was Sie meinen, –

– Nun nicht wahr, – ich wußte es ja! Ach, kein menschliches Wesen ist frei davon!

– Nein, leider, – Sie meinen den Schnupfen, gnädige Frau, nicht wahr? sagte Oskar mit der ernstesten Miene, und Adele fuhr empört auf: Abscheulich sind Sie! Sie wollen mich nicht verstehen!

– Gott im Himmel, ich kann Sie nicht verstehen, ich bin vielleicht von schweren Begriffen, aber Alles was Sie sagten, paßt auf den Schnupfen; – er kommt von selbst, unbewußt, ungewollt, er ist eine Qual –

– Bei unsrer Freundschaft, Attaché, spotten Sie nicht! Es ist mir völliger Ernst. Ich möchte Sie bekehren! sagte Frau von Stein bedeutungsvoll.

– Nun, und ich will ernst sein, ich will bekehrt sein, wahrhaftig, erwiderte er, in ihren Ton eingehend. Hören Sie mich an! Ich kann bisweilen sehr ernst sein, wenn ich einsam bin; – Sie werden mir es nicht glauben und doch ist es wahr. Wenn ich tage- und nächtelang mich angestrengt, alte Reste auf einen Ruck abgearbeitet habe, und dann jeder Nerv in mir lebendig wird und mich frage: warum? oder wenn ich tage- und nächtelang geschwärmt habe und bin todtmüde, ohne Ruhe zu finden und frage mich: was ist Dir alle Lust der Welt! – dann ist mir so leer, so schal im Herzen, – denn vor uns selber haben auch wir Diplomaten ein Herz –, aber ich fühle es nur in solchen Augenblicken an seiner Auflösung; und nur eins noch hält mich zu einem lebenden, denkenden und wollenden Wesen zusammen, die Ahnung und Sehnsucht eines Gefühles der Einheit, Kraft, Liebe und Versöhnung, das mich auf immer aus dieser Gefahr der Zersetzung retten, auf immer zu gleichmäßiger Thatenlust beleben müßte. Und dieses Lebensgefühl, das auch über mich kommen mußte, unbewußt und ungewollt, eine selige Lösung alles Zwiespaltes, aber auch vielleicht eine zwingende Qual, – das, wäre das vielleicht, gnädige Frau, was Sie nennen eine Leidenschaft? O reden Sie, – Sie sehen, ich bin ein Ungeweihter, ein Neuling, aber vielleicht nicht ohne Talent, jedenfalls nicht ohne die aufrichtigste Lernbegierde, – reden Sie, o reden Sie nur, gnädige Frau! Sie sind so schön wenn Sie reden, – es ergreift mich ein Entzücken, wenn ich Sie höre, das –

– Mein Gott, wie reden Sie mit einemmale? Sie verwirren mich!

– Ich weiß es selbst nicht, Adele! wie es mich plötzlich ergreift, – ein Enthusiasmus der Seele, ein Entzücken über Ihre Schönheit. Es ist mir plötzlich, als müsse in Ihrer Nähe ein Gefühl über mich kommen, in dem unser ganzer Umgang, ja, mein ganzes Sein in einem Momente sich zusammenfassen wollte, auf eins seine ganze Erfüllung oder seine völlige Vernichtung vom Schicksal, von Ihnen, Adele, fordernd –

– Bravo, bravo! gut gebrüllt Löwe! Sie spielen vortrefflich, Baron! So lachte die Dame, und seufzend setzte sie hinzu: Aber ach! Sie spielen auch nur die Leidenschaft.

– Ich spiele nicht, gnädige Frau; aber –

– Nun aber?

– Aber ich erschrecke, so ehrlich gewesen zu sein.

– Was ist da zu erschrecken?

– Ob ich Ihnen mich ganz vertrauen darf. Denn Vertraun, vollstes gegenseitiges Vertraun, ich glaube, das ist die Grundlage jeder Leidenschaft –

– Und die vermissen Sie bei mir? Sie sind undankbar.

– Nein, nur gewissenhaft. Sie sind soviel umfreit von aller Welt bewundert, begehrt; ich aber bin ein Nichts, ein einfacher, biederer, etwas blasirter Mann, und ich will aufwiegen all die Werbungen und Huldigungen, die man von andern Seiten Ihnen darbringt, und die Sie meinetwegen zurückweisen wollten, – denn der einzig Vertraute, der einzig Beglückte sein zu wollen, meinen Sie nicht, daß das das erste Recht einer Leidenschaft sein müßte?

– Das ist Ihr Lebenskeim, lächelte die Dame.

– Und wenn ich dieses Recht von Ihnen anerkannt sehen könnte, Adele –

– Oskar!

– – ich meine, was würde dann mein Bruder Edmund sagen?

– Ihr Bruder Edmund? Mein Gott, was geht Ihr Bruder Edmund mich denn noch an?

– Ich weiß es nicht! Ich vermuthete, ich fürchtete nur –

– Sie sollten doch am besten von aller Welt wissen, wie ich mit ihm stehe. Auf meine Ehre, Baron, – Sie wissen, ich kann schwören auf meine Ehre, wie ein Mann, – ich habe nichts, auch nicht einen Gedanken mehr mit ihm gemein – und was fürchten Sie denn?

– Daß Sie durch ihn, dem Sie schrieben: Kehren Sie wieder! ebenso mich ersetzen lassen könnten, wie einst ich ihn ersetzen mußte.

– Ich hätte ihm geschrieben?

– Wenigstens hatte er einen Brief dieses Inhaltes Ihrer Hand mit Ihrem Namen!

– Nun, und wenn es wäre?

– Nun, dann würden Sie zwischen uns beiden wählen müssen. Er oder ich!

– Und so eifersüchtig können Sie sein? Nein, Sie sind doch amüsant. Sie wollen mich doch nicht zur Nonne machen? Sie wollen doch nicht pedantisch werden? Bleiben wir nur bei unsrer Philosophie, und ich will aufrichtig gegen Sie sein. Ich habe ihren Bruder vorhin vergessen, als ich meine Koketterien aufzählte, – mein Gott, er ist so fromm, so lieb, so kindlich – aber so anspruchslos, so komisch naiv, daß man ihn wohl vergessen kann, auch zwischen Narren und Pedanten! Also hören Sie nur, mein lieber, lieber Attaché, o es wird Sie amüsiren, 's war eine köstliche Geschichte: es ist wahr, ich habe ihm auf seine Anfrage geschrieben, ich habe ihm auch heute erlaubt, mich zu lieben, und er war stürmisch genug, die Erwiderung von meiner Seite zu verlangen. Und nun denken Sie sich meine Verlegenheit! Wenn ich ihm die Wahrheit sage, daß davon kein Gedanke ist, so ist es mit der Komödie aus; und sage ich ihm die Erwiderung zu, so ist es mit der Koketterie zu Ende. O fürchterliches Dilemma! Sagen Sie, helfen Sie, mein Attaché, – was räth die Diplomatie in diesem Falle zu thun?

Oskar antwortete überraschend, ernst und eindringlich: Die Diplomatie, meine Gnädigste, besteht nicht nur darin den Krieg zu drohen, sondern vielmehr, trotz aller Drohung ihn stets zu vermeiden. Und ebenso wird die feinste Koketterie nicht nur mit der Leidenschaft spielen, sondern hauptsächlich ihr stets aus dem Wege gehen wollen. Sie, gnädige Frau, sind sicher vor jeder Leidenschaft, – wie hätten wir sonst so viel gelacht? Aber wissen Sie, wie weit Edmund davor sicher ist? Wissen Sie, daß es sehr leicht ist, in solchem innerlichen, alle Kraft in sich verschließenden Gemüthe eine Leidenschaft zu wecken, aber unendlich schwer, die erweckte in Schranken zu halten? Fürchten Sie nicht, daß von seiner blinden Wildheit, seiner aufgestachelten Innerlichkeit Ihrem Rufe, Ihrer Ruhe, Ihrem Leben Gefahr drohen könne? Bedenken Sie nicht, was Sie an ihm verschulden können, daß er im Ernst seiner Leidenschaft sein Leben büßen könnte? Man soll den Leuen nicht wecken, und wenn Sie ihn kennten, meine Gnädige, so würden Sie erschrecken, vor dem wilden Trotze, der hinter seinem träumerischen Blicke schlummert.

Adele hatte ihn schon mehrere male unterbrechen wollen, jetzt rief sie aus: Ich bin krank, Attaché, verlassen Sie mich! Was fällt Ihnen mit einemmale ein! Sie sind nicht zum wiedererkennen. Meine Migräne ist gleich wieder da. Mit solchem Ennuie könnten Sie Gesunde krank machen. Oder soll auch das eine Komödie sein? Dann verbitte ich mir ein für allemal solche Fadäsen! Kommen Sie mir nicht wieder vor die Augen, wenn Sie moralisch sein wollen!

Mit diesen Worten war sie ohne Gruß aus dem Saal entschwunden. Lachend schritt Oskar zur andern Thüre, griff zur Klinke, aber statt der Klinke erfaßte er Edmunds Hand. Ein kurzer Wortwechsel klärte beide auf.

– Bravo, bravo! Vortrefflich gespielt, Herr Komödiant! rief der Lauschende.

– Was soll das heißen? erwiderte der Belauschte.

– das Publikum zu der Komödie.

– Das Publikum, das den Entrée bezahlen soll!

– Pardon, so bin ich Mitwirkender. Top, Herr Bruder, ich schlage mich zur Bande, ich spiele die Komödie mit, und grüße Dich, Kollege Komödiant!

– Kollege? so wies Oskar ihn zurück, nein, Rival! Wenn Du das Spiel aufnimmst, so wisse wenigstens mit wem. Ich liebe Adele, – ich! Ich bin Dein Nebenbuhler, derselbe Nebenbuhler, mit dem Du heut vor einem Jahre vor ihrem Fenster Dich geschossen hast, – Dein Nebenbuhler, den sie selbst an jenen Platz postirt hat, um Dich bei Seite zu schaffen und der beim nächsten Rencontre die Pistolen nicht wieder ohne Kugeln laden wird. Also hüte Dich! Im übrigen ehrliche Freundschaft

– und hier ehrliche Feindschaft!

So nahm Edmund den dargebotenen Kampf auf und, als wenn nichts vorgefallen und es sich so von selbst verstände, schritten die beiden Arm in Arm zum Hause hinaus.

*

 


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