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7.
H. J. S. Löwe.

Es war natürlich, daß der junge Baron, um seine vorgebliche Gesinnungsänderung zu vertreten, zunächst eine Feuerprobe bestehen mußte. Der Präsident, von den etwas überschwenglichen Ausdrücken seines Eifers wie auf das Festeste überzeugt, that, als könne er ihm keinen größeren Dienst erweisen, keine gewünschtere Stellung übertragen, als die im heftigsten Feuer gegen die revolutionäre Partei. Edmund mußte im Ressort der Staatsanwaltschaft an der Verfolgung und Anklage derjenigen Männer teilnehmen, die seine früheren Gesinnungsgenossen waren.

Anfangs war ihm eine jede Lüge ein großer Schmerz, und ein jeder große Schmerz ist doch immer noch eine Wohlthat, eine Erhebung. Er sah das als eine Verirrung an, die er mit der Nothwendigkeit entschuldigen wollte, als eine momentane Frivolität, von der sich frei zu machen, er noch Gelegenheit und Kraft finden werde, und die ihm nicht als persönliches Unrecht anzurechnen sei, da zu seinen Arbeiten, wenn er sie nicht vollführte, stets andere Köpfe sich bieten würden.

Aber von Tage zu Tage machte er mehr die Erfahrung, wie er nicht ein einzelner Uebergänger war, sondern wie er kaum noch Jemanden finden konnte, der auch nur im Verborgenen seiner Gesinnung treu geblieben war. Er selbst war sich seiner Lüge bewußt und so hatte er als Trost den geheimen Glauben einer bessern Wahrheit sich erhalten. Aber auch diesen mußte er verlieren, da, wo er nirgends einen Kern eigenen Wesens, nirgends den Stolz und die Würde einer selbstständigen Persönlichkeit mehr fand; nur sklavische Demuth und hinter erheuchelter Gesinnung schlecht verborgenen Egoismus.

Dabei war es Oskar, der in täglichem Umgange keine Gelegenheit unterließ, mit secirender Dialektik die Grundsätze seiner idealistischen Weltanschauung als illusorisch zu zerlegen. Auch Oskar's energisches Naturell konnte weder innerhalb der herrschenden Sitte der Geselligkeit noch in der rein mechanischen Erfüllung gleichgültiger Berufspflichten den Spielraum erfreulicher und ausreichender Lebensthätigkeit finden; aber dennoch hatte er nie zu einer von beiden in offenem oder störendem Konflikte sich befunden, vielmehr stets die glückliche Weise getroffen, entweder mit Ironie sich zu fügen oder durch Humor die bedurfte Freiheit sich zu wahren. Auch in allen seinen Ansichten hatte er den realistischen Tik bewiesen, stets von den Thatsachen ausgehend, den Flug des Gedankens in Tendenzen und Hoffnungen nur so weit ausschweifen zu lassen, als er den Ereignissen die Tragkraft ihrer Realisirung zutraute; und so war es nicht anders möglich gewesen, als daß er, der berechnende Politiker, bei seiner Rückkehr aus England im Herbst des Jahres Achtundvierzig, derjenigen Partei sich zugesellte, die einem zum Theil phantastisch ausgeartetem Idealismus gegenüber zuerst das Fundament eines Staatsgebäudes an sich meinte aufrecht erhalten zu müssen, und zu deren Erfolgen er nach Kenntnißnahme der Verhältnisse schon damals das festeste Vertraun hatte.

Mit der Uebermacht, die allgemeine Anerkennung und Uebereinstimmung mit den herrschenden Thatsachen stets einer Anschauungsweise verleihen, machte Oskar es sich nun gegen Edmund zur Aufgabe dessen ideales Luftschloß einer zu erstrebenden Vollkommenheit der menschlichen Einrichtungen systematisch in Nichtigkeit aufzulösen. Von den Geselligkeiten, in denen sie sich begegneten, ging er in seinen Betrachtungen aus, die er anzustellen pflegte, wenn sie von einem Geheimerathsthee oder Präsidentenballe oder dergleichen ehrenden Festlichkeiten des Nachts durch die Straßen nach Hause oder auch wohl noch in eine Weinstube wanderten.

– Was meinst Du, so frug er einst bei solcher Gelegenheit, ob diese exklusive, diese gute Gesellschaft schon reif ist für die Republik?

– Sie wird es wohl nie werden! so war die Antwort. Der Boden der Freiheit ist das Volk.

– Das Volk! Wer ist das, das Volk? Die gute Gesellschaft ist es nicht, natürlich! Jene große Masse, die ihr Leben theilt zwischen Stehlen und Sitzen auch nicht, ebenso natürlich! Aber auch der Bourgeois, dessen Gewissen nur Gefühl hat für den Kurszettel der Börse dürfte das Volk nicht sein, und endlich, dem bescheidnen Arbeiter, der nur in Ruhe sein Brod erwerben und verzehren will, dürftest Du nicht die Zumuthung es zu werden, aufbürden. Wo ist nun also sonst das Volk? Meiner Ansicht nach ist das Volk die Gesammtheit aller Einzelnen und der Staat, im demokratischen Sinne, das Resultat ihres gemeinsamen Lebens. Nun sind die ja aber alle die Einzelnen, wie wir sie den Hauptklassen nach unterscheiden, nichts weniger als gesunde Glieder, sondern nur Entartungen des Volkes; die Stände – nur vom Egoismus und Korpsgeiste abgesonderte Fraktionen, geradezu feindselig dem, was Du »das Volk« nennst. Einzeln mag der Mensch ein Gott sein; als Masse betrachtet, wird er zum Pöbel. Pöbel ist in meinen Augen das Volk, das hier auf den Straßen seine durch naiven Witz und erschreckende Brutalität gleich originellen Urparlamente versammelte; Pöbel – jenes Volk, das seine Goldstücke vergräbt und sich für bettelarm ausgiebt, wo es dem Vaterlande ein Opfer bringen soll; und Pöbel endlich jene überbildete, nervenschwache Gesellschaft, die am wenigsten von allen Ständen die Würde der Persönlichkeit bewahrt hat, ein Volk zu repräsentiren.

Und nun hältst Du mich für einen Schänder der Majestät des Volkes? so fuhr Oskar fort. Aber denke nur an Dich selbst, Bruder Demagoge? Denkst Du in Wahrheit anders? Ihr Idealisten seid ja die hochmüthigsten Leute von der Welt. Bist Du nicht stets isolirt? Kennst Du nur ein Dutzend Menschen, so ausgezeichnet, daß Du sie völlig als Menschen achten könntest, die Du reif hieltest, das zu sein, was Du vom gemeinen Manne des Volkes verlangen willst? O geht mir mit Eurer Reife des Volkes! Die Masse muß, muß regiert werden; so war es immer und wird es immer bleiben. Selbstbestimmung wäre nur die Entfesselung aller egoistischen Triebe. Die Frage nach der Freiheit kann nur sein die Frage nach der Herrschaft, wer soll und wie soll man herrschen?

Edmund, sonst schlagfertig genug, wo es ankam, auf die Konsequenz des Gedankens, konnte nichts einwenden, wo die Reife der Erfahrung und die Zweifellosigkeit der Thatsachen den Ausschlag gab. Nur eines konnte er fragen: Was sind denn nun aber Deine Principien?

– Principien? Zum Henker damit! Was gehen Dich in der Politik meine Principien an! Principien sind stets das Grab einer Politik. Ich kenne nur Zwecke und Mittel. Wohin seid Ihr gekommen mit Euren Principien von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, mit Eurem Glauben an den Geist der Zeit, an die Vervollkommnung der Menschheit, und die Emancipation des Individuums? Ich spreche wahrlich nicht von den paar Straßenkrawallen! – das ging noch Alles mit Humor und Zartheit genug ab, und dann und wann einmal Blut zu sehen, ist eine allgemeine Nervenstärkung; ja diese Revolten konnten zu einer großartigen, einer ruhmvollen Revolution gemacht werden, wenn man sie zu benutzen verstanden, wenn die – nur sogenannten – staatsmännischen Liberalen: statt nachher über die Berechtigung und Natur der Barrikade zu disputiren, auf der Thatsache des lächerlich wunderbaren Sieges von so und so viel hundert Abenteurern über das ganze europäische Staatensystem festen Fuß zu fassen gewußt hätten. Hier waren die Principien eine Bornirtheit; wo sie aber zum Frevel, zum Verbrechen fortgeschritten sind, das ist die allgemeine Demoralisation, die Auflösung aller sittlichen Banden, wie sie die unverstandenen Freiheitstheorien bei dem des wahren Verständnisses unfähigen Theile der Bevölkerung herbeigeführt haben. Ist es nicht dahin gekommen, daß man mit wahrhaft religiösem Fanatismus für Zuchtlosigkeit und Ehebruch sich begeistert hat, daß man die Entartung der Sinne nicht nur als Leichtsinn entschuldigen, sondern durch ewige Rechte heiligen und jeden Frevel gegen Besitzthum und Rechte der Anderen als Gesinnung weihen wollte? Wo sind denn sonst die Früchte Eurer hochtönenden Phrasen? Sag' von Dir selbst, was konntest Du thun, als: Freiheit! rufen, und wieder Freiheit! und nichts als Freiheit! Da aber die Mauern Jericho's davon nicht fielen, weil heute keine Wunder mehr geschehn, verlorst Du völlig den Verstand und liefst unter die Naturburschen nach Ungarn, die nicht deutsch sprachen und Dich deshalb im Wahne ließen, sie hätten mit Dir denselben Glauben aus der junghegelschen Philosophie. Daß Du den Muth hattest, wirklich Dein Leben daran zu setzen, à la bonheur, ist aller Ehren werth! Aber was nun? Ist es nicht ein Jammer, daß der geschlagene Heros kein anderes Ende weiß, als sich zu verdingen zum Spion und Ankläger seiner selbst?

Edmund wollte gegen des Bruders Vorwurf sich wehren, indem er ihm entgegenwarf, er selbst habe sich ja auch verkauft. Aber Oskar konnte erwidern: Verkauft wofür! Ich beziehe mein Gehalt als Attaché, kannst Du von den Diensten, die ich dem Ministerium verrichte, mir nachweisen, daß sie nicht mit dem übereinstimmten, was ich von konservativen Elementen in mir trage? Habe ich es jemals nöthig gehabt zu heucheln und mich fromm zu stellen, wie Du es mußt? Niemals! Ich habe nie etwas gut zu machen gehabt, und meine Talente reichten bis jetzt noch ohne Pietisterei dazu hin, daß ich gut genug bin, wie ich bin.

Nicht ohne daß diese scharfe Polemik einen Eindruck auf ihn machte, mußte Edmund es anhören, wenn Oskar sich weiter ausließ: Unser Grundsatz sei zunächst, nur das Mögliche zu wollen. Was helfen alle Ideale, wie Poesie und Philosophie sie aufzustellen vermögen, wenn wir uns doch ehrlich sagen müssen, es ist Niemand da, sie zu verwirklichen. Da haben wir sie ja gesehen, die geistreichen jungen Herrn von Adel und die überschwänglich gefallsüchtigen Kaufmannsfrauen, die neben freier Liebe für allgemeine Wohlfahrt schwärmten, – wo waren sie alle während der Revolution, die auf ihre Begeisterung und Opferfähigkeit hoffte?

Nichts da mit Religion in dieser Welt! Keine Hoffnung auf die allgemeine Menschenliebe! Das Interesse nur, der Egoismus regieren die Verhältnisse.

Darum müssen auch wir Ehrlichen offene Egoisten sein, denn sonst wird der unehrliche Egoismus unser bischen Ehrlichkeit bald bewältigt haben!

Da sprechen nun diese Phrasenmacher von Demagogen auf allen Seiten, vom Centrum und vom Aeußersten rechts und links, daß es ein einig Geschrei ist: Freiheit, Volk! Oder hat es je eine Partei gegeben, die nicht gesagt hätte: wir wollen die wahre Freiheit, wir sind die wahren Vertreter des Volkes! Drum mein' ich, außer einem Komödianten kann nur noch ein bornirter oder ein wahnsinniger Kopf solche Worte und Begriffe führen.

Und erst gar die herrliche Philosophie, die so rührende Ideale aufzustellen weiß von allgemeiner Glückseligkeit, allgemeiner Sättigung, freiem Theater und freier Liebe –! O, hängt die Philosophie! sag' ich mit Romeo, – sie kann ja doch nicht einen Magen satt disputiren noch einen krummen Statisten gerade konstruiren.

All' diese Menschlichkeitstheorien sind nichts als leere Sentimentalität, die gute schwache Seelen, wie alte Weiber in der Nachmittagspredigt, zu Thränen rühren kann, – wenn sie aber aus der Kirche gehen, so werfen sie die kleinste Scheidemünze, die sie finden können, in das Armenbecken.

Das Bessere war stets der Feind des Guten. Die Unmöglichkeit ist das Danaidenfaß, indem sie fruchtlos Gut und Blut des Volkes verschüttet haben. Deshalb bin ich Fanatiker der Reaktion. Eine Guillotine für alle die, welche noch nicht die Lücken in der Weltschöpfung erkannt haben, die von menschlichen Kräften einmal nicht ausgefüllt werden können, und die ihre Phrasen des Wahnsinns oder der Heuchelei, die sie da hineinzustopfen denken, nicht anders als mit dem Kopfe verloren geben werden.

Ist es nicht auch zum Verzweifeln, daß Probleme, über denen unser eins, dem der liebe Gott doch auch einen gesunden Verstand gegeben hat, seit zehn und mehr Jahren Tag und Nacht brütet, um deren willen er Millionen Zahlen in Bewegung gesetzt hat für Kombinationen, die nur um einen Schritt in der Entwicklung zur Freiheit uns weiterbringen, nur um ein Procent den Durchschnitt des Nationalvermögens und des allgemeinen Wohlbefindens erhöhen sollen, – daß solche Probleme die ungelehrige Menge mit der einzigen Phrase: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit! gelöst zu haben meint!

– – Oskar, der in solcher Polemik nicht bitter und übermüthig genug sein konnte, hatte es sich nicht einfallen lassen, daß in dem, wie es schien, gegen Alles gleichgültigen Bruder dabei eine gewaltsame Aenderung seiner Sinnesweise vorging.

Sie trafen bald nach den bisherigen Erlebnissen in dem Atelier eines berühmten Portraitmalers zusammen.

Es war ein trauliches Stillleben in der Zelle des Professors, – das war der Hofmaler, – an dem alle Stürme der Zeit, wenn nicht ohne Spur, so doch ohne Störung vorübergegangen waren. Indem der ältliche Herr mit seiner magern feinen Hand die Staffage am Portrait eines Staatsmannes vollendete, kam er darauf, wie er gewohnt war, mit dem Pinsel hin und hertupfend, harmlos gegen seine Gäste die Gedanken auszusprechen, die ihm bei der Arbeit einfielen.

– Sehen Sie, meine Herren, was ich hier mache: diese Pinselspitze, mit ein klein wenig Zinnober oder Karmoisin oder dergleichen tupfe ich hier auf der Leinwand umher, – so ganz zufällig, nicht wahr? – sehn Sie nur, hier ein Pünktchen und da ein Strich – hier ein wenig braun – dort mitten ins Gesicht ein Stückchen grün – o, ein buntes Durcheinander! Kleckse, nichts als Kleckse, – wenn ich die Striche alle neben einander stellte! Aber die Ordnung eben in der ich sie mache, die Ordnung, die mich Niemand lehren kann, die ich aus mir selber habe, die macht die Pinselstriche zum Bilde, zum Menschen, zum Menschen wahrer, als er vielleicht selbst sich kennt, zum Geiste, vom Geiste erschaffen.

So ist es mit des Künstlers Auge ein eigen Ding; es sieht in der ganzen Welt lauter gerade und krumme Linien, lauter Mischungen von allen möglichen Farben, und muß doch dabei – und eben dadurch vielleicht – die Fähigkeit haben, in diesen Strichen und Farbenquentchen den Geist und die Wahrheit wiederzugeben.

Keine Mathematik wird jemals diese Linienbeugungen, keine Chemie diese Farbenmischungen berechnen. Und wenn die Industrie noch so weit ausgebildet wird und alle menschliche Arbeitskraft und Geschicklichkeit ersetzt, für Gemälde wird man niemals Maschinen und Fabriken errichten; der Künstler bleibt ewig einzig, ewig unersetzbar.

Dürfte es nicht eben so wie in der Kunst, in der Staatskunst sein? Das, was aus der Masse, aus der Abstimmung hervorgeht, wird doch immer nur Fabrikarbeit sein; zu der wahren Staatskunst aber, die mit Ordnung und Kraft die auseinandergehenden Einzel-Meinungen und Interessen zusammenhält und mit der einigen göttlichen Idee durchdringt, wird mehr als das gehören, – ein eigenthümlicher Geist, durch nichts anderes zu ersetzen, ein Genie, ein Staatsmann, – meinen Sie nicht, Herr Baron?

So kommen die Farbenkunst und die Staatskunst auf eine Kunst hinaus, und doch wieder nach wie entgegengesetzten Seiten richtet sie ihre Thätigkeit! Ihr sucht jenen einigen Geist, den Geist des Urmenschlichen, des Göttlichen in unserem Geschlechte zur Geltung zu bringen durch Verfassungen und Handlungen, durch Krieg und Frieden, durch Revolution und Kontrerevolution, – wollte Gott, daß Ihnen das Kunstwerk immer gelänge und daß es nicht beim Kunststück stehen bliebe! Aber ich weiß es ja, jedem Staatsmanne begegnet es in seinem Leben bei diesem oder jenem Falle, und unsere Zeit giebt vielleicht auch bisweilen Gelegenheit, daß er am Staate, am Volke, an allem Allgemeinen verzweifelt. Da ist es denn mein Trost, daß ich eine andere Welt für mich habe; wenn das Ganze immerhin auseinanderfällt, bleibt mir die Welt der Einzelnen, das Individuum, das eben darum Individuum heißt, weil es nicht auseinander fallen kann.

Und dieser Einzelne, der in der Politik Ihnen vielleicht verächtlich, hassenswerth erscheint, als eine bloße Eins, eine Eins unter den Millionen, die mit den Pfunden Fleisch und Knochen, die sie vertritt, beim Abwiegen der Wahrheit gegen Ihre weisen Pläne entscheidet, – was ist dieser Einzelne, und zwar jeder dieser Einzelnen mir, dem Künstler! In dieser ihrer mannigfachen Verschiedenheit der Einzelnen von einander und in dem Gemüthsleben jedes in sich selbst, welche Unendlichkeit der Lebensfülle!

Wenn kein Teleskop ausreicht, die Weiten des Himmels zu erforschen, und wenn undurchdringlicher Nebel oder blendende Gewitter den Blick dahin für ihn verschließen, – des Künstlers Auge trägt in sich ein Mikroskop, das in jedem Menschen, in jedem Menschenauge eine andere endlose Welt entdeckt. O, wie schrankenlos, so rief der begeisterte Künstler aus, seinen Pinsel zur Seite legend, wie unermeßlich hat der Weltgeist dem Menschen seinen Lebenskreis geschaffen! Dort ein Makrokosmus, dessen Seiten zu entdecken er kein Ziel findet, und in ihm, in jeder Menschenbrust selbst ein Mikrokosmus, der an unergründlicher Unendlichkeit jenem nicht nachsteht! – –

Als Beispiel dessen, wie mannigfaches Leben er in jedem Antlitze zu lesen wisse, versprach der Professor zwei kürzlich vollendete Damenportraits vorzulegen, die in ideeller Haltung das zeigen sollten, was er in humoristischer oder charakterisirender Weise an jedem Kopfe nachweisen zu können behauptete.

Beide Damen, sagte er, haben mannigfache Gegner in der allgemeinen Meinung ihres Bekanntenkreises; sie gelten nicht gerade für liebenswürdig, – die jüngere nicht in der lieblichen, die ältere nicht in der würdigen Deutung des Begriffes; es soll jene nicht galant genug, diese zu galant sein. Hier zuerst die zweite, die Sie beide kennen werden, die schöne Excellenz –

Damit enthüllte er das eine Bild, und die beiden Brüder erkannten in freudigem Staunen, jeder vor dem andern seine Bewegung verheimlichend, die Frau Präsidentin Adele von Stein.

– Sie ist, so fuhr der Herr Hofmaler fort, schmächtig bis zur Hinfälligkeit; stets neigt sie dem Beschauer sich zu, mit jener Schmiegsamkeit der Gestalt, die am Meisten zur Eroberung reizt, weil sie eine Stütze zu bedürfen und zu verlangen scheint, und doch zugleich von jener Geschmeidigkeit, die gewiß dem verlangenden Arme stets entschlüpfen dürfte. Sinniges Nachdenken liegt in dieser Haltung des Köpfchens, etwas vorn über und sanft zur Seite gebogen; Koketterie – in diesem Spielen mit der Lorgnette; und dabei der Dämon, der die Koketterie zur Leidenschaft macht, – in der Gluth des Auges. Die kaum bemerkbar zugekniffene Stellung der Augenlieder, liegt darin nicht jener Zug der Intrigue, der Berechnung, der Beachtung des Kleinen und Kleinlichen, der dieser Dame eigen sein soll? Daß aber jene innere Leidenschaft mit dieser Oberflächlichkeit der Eitelkeit, mit allem Glanz, wie er in der Aeußerlichkeit des Etikettenlebens zur Schau zu tragen ist, sich nicht befriedigt fühlt, davon spricht der Mund; in diesem Zuge um die Lippen liegt Schmerz, Wahrheit, Trauer über die Welt und über ihr eignes Selbst. Alles in Allem, es ist eins von den modernen Gemüthern, die, um die Schönheit zu erhalten und keinem Manne anheimgegeben zu sein, jeder aufopfernden Hingebung sich stets entzogen und ihr überschwängliches Verlangen nach Glück in der Sucht nach Triumphen zu befriedigen gestrebt haben, und nun, nachdem sie so keinen Augenblick wahrer Seligkeit, wahrer Liebe empfunden, in der Leerheit der Wüste und dem unersättlichen Durste eines Verschmachtenden das Bild ihres eignen Herzens erblicken. Wundern Sie sich nicht, meine Herren, daß ich so offen spreche; als Künstler habe ich das Recht dazu, und die Frau Präsidentin würde es mir gewiß einräumen, weil ich sie jedenfalls doch interessant auffasse. Und niemals wohl war sie interessanter, als sie mir jetzt erscheint: der Roman ihres Lebens verlangt einen Schluß. Die Augen glühen immer wilder, – sehen Sie nur hin, fest auf das Bild, meine Herren, – immer unbefriedigter; das Antlitz aber beginnt schon zu verblühen; der Teint ist schon ein klein wenig matter, als er es war; immer mehr zusammengekniffener werden diese Lieder; schon zeigt sich die verrathende Falte am Augwinkel; immer schärfer, immer schmerzlicher wird der Zug um den Mund! – sie ist unglücklich, weil sie keinen Mann gefunden, der ihrem unbegrenzten Weiberstolze mit Leidenschaft und Charakter zugleich imponirt, der ihre Intriguen durchschaut und ihren Hochmuth gedemüthigt hätte. Seltsames Weib, wenn Du diesen Mann nicht noch findest, wie wirst Du enden? Wirst Du in ein Kloster gehen oder in ein Irrenhaus? Wirst Du Deine titanenhafte Ruhelosigkeit in einer eklatanten Aventüre beschließen oder allmählich im Sande der gesitteten Alltäglichkeit sich verlieren lassen? Ja, ich habe viel in dem Antlitz geschaut! Gefühl und Verstand, Leidenschaft und Intrigue, Genialität und peinlicher Schicklichkeitssinn kämpfen in diesem Wesen mit einander und mit ihren Verhältnissen. Sie ist nie wahr, aber sie kann oder könnte es sein, denn sie ist unglücklich in ihrer Lüge.

Den beiden Brüdern, selbst dem Attaché, wurde der Athem erst leicht, als der Professor, um ein anderes Bild zu holen, seine Auseinandersetzung abbrach, und sie beide nicht mehr mit so durchdringendem Scharfblick einen Charakter analysiren hörten, der von mehr oder weniger bedeutender Einwirkung auf ihr beider inneres Leben gewesen war. Aber Edmund kam aus tieferer Gemüthserregung bei des Malers Gesprächen nicht hinaus, denn, wenn nicht erleichtert, so doch von neuem überrascht war sein Herz, als dieser das zweite Portrait enthüllte und der junge Baron in freudigem Schreck wie altbekannt ein Mädchenantlitz daraus entgegenstrahlen sah, dem er nur einmal begegnet, aber dessen seltsam wohlthuender Eindruck ihm unvergeßlich geblieben war.

– Hier sehen Sie nun, so sagte der Künstler, das völlige Widerspiel des ersten Portraits. Schon in der äußern Haltung: der Kopf frei getragen, ein wenig nach hinten übergeworfen, eine plastische Gestalt, die Hand mit Entschiedenheit auf den Blumentisch gestützt. Ebenso, welcher Unterschied des Kolorits zwischen beiden! Bei der Excellenz – erst jetzt durch den Kontrast wird es recht auffallen – sind nur ungewisse Farben: das Auge nicht braun, nicht blau, nicht schwarz und nicht grau, vielmehr Alles von dem, denn nach der Verschiedenheit ihrer Stimmungen kann es in alle diese Nuancen hinüberspielen, – das unheimliche Feuer ist es in dem Bilde, was ihre Farblosigkeit überstrahlt; der Teint ist blaß, unklar, fast südländisch, aber im Widerspruch mit dem Haare, das, nicht blond und nicht braun, von dunkel grau-gelbem Tone, nur durch seine reiche Fülle Bewunderung erregt. Und nun hier auf dem andern Bilde, welche Klarheit in jeder Farbe: ein engelreiner Teint, strahlend blondes Haar, dessen goldreiner Glanz sich in dem offenen braunen Auge zu wiederholen scheint! Hier ist alles einfach, hell, klar, und doch nicht leblos. Ist das anmuthige Näschen nicht ein klein wenig humoristisch! Der fest geschlossene Mund zeugt von Charakter, von Trotz. Man wirft dem jungen Mädchen vor, sie habe kein Herz, sie sei kalt und egoistisch. Aber der ernste Zug in den Augenbrauen scheint mir anzuzeigen, daß in ihr etwas lebt, was sie bis jetzt noch nicht der Mühe werth gefunden, zu bethätigen; es ist kein Verlangen, was aus ihr spricht, wie bei der Excellenz, aber Wille, ich möchte sagen, Thatendurst. Etwas von der Jeanne d'Arc liegt in dem liebenswürdigen Persönchen, ohne daß sie deshalb irgend etwas Pathetisches an sich hätte; sie wäre eine Heldin, nicht in Versen, sondern in freier ungebundener Rede; sie ist heroische Poesie mitten in der alltäglichen Wirklichkeit. Ich habe nie Schwärmerei an ihr bemerkt, nie eine Sehnsucht nach Ueberschwänglichem, Unsagbaren, – sie denkt nur, was sie sagen kann, und hat Fähigkeit genug, Alles sagen zu können, was sie denkt. – – Aber da hören Sie es, meine Herren, ich fange an von ihr zu sprechen, statt von dem Bilde. Es giebt aber einmal solche Persönlichkeiten, die ich nicht, und, ich meine, kein Künstler der Welt ganz zu Farbe machen kann. Die Excellenz hier, die ist prächtig zum Malen; da ist so viel Blick und Geberde, so viel Drappirung; ihre Koketterie sorgt dafür, daß sie Alles zeigt, was sie ist. Andere Persönlichkeiten lassen sich nicht malen, weil sie zu plastisch sind; andere wieder brauchen die Musik, um sich auszudrücken. Hier bei dem blonden Kaufmannstöchterchen würden Musik, Plastik und Malerei nicht ausreichen, ein Bild von ihr zu geben; sie hat Etwas in ihrem Wesen, das nur einer aussprechen könnte, weil er eben sprechen kann, – der Dichter, und zwar nicht in Versen, sondern in Prosa. Ihr Element ist das Wort, das einfache, klare, scharfe Wort, der Gedanke, der sich selbst gegenständlich ist. Und deshalb eben, weil sie über sich selbst und über Andere so klar ist, scheut man sich vor ihr; die Herren ihres Salons nennen sie spitz, ironisch und trauen ihr keine Liebe zu. Aber ich glaube, sie ist ihrer eignen Klarheit sich selbst bisweilen überdrüssig. Sie verlangt vielleicht Etwas, das sie über den Weltton ihres Hauses und die Untiefen des alltäglichen Lebens hinaus erhebe. Wenn ich Dichter wäre, in Konflikten wünschte ich diesen Charakter zu sehen, um ihn darstellen zu können.

– Aber, Herr Baron, Sie kennen wohl Fräulein Viktorine Löwe und scheinen sich für sie zu interessiren?

So wendete der scharfblickende Künstler sich plötzlich an Edmund, der das Bild mit Blicken verschlingen zu wollen schien und jedes seiner Worte gierig einsog. Nur erröthend konnte dieser sich erklären, daß er sie erst einmal gesehen, und schon in diesen wenigen Worten hatte er sich soweit verrathen, daß Oskar ihn damit neckte.

Als man nach Hause ging, sagte Oskar: der Mann weiß zu sprechen. Das sind keine Konsequenzen, keine systematischen Abstraktionen, alles konkrete Gedanken, aus der Erfahrung einzeln geschöpfte, aus den Dingen heraussprossende Wahrheiten.

Und Edmund fügte hinzu: Nicht bloße Negationen, sondern etwas Positives, an dem man einen Anhalt findet. Wie mit jedem Pinselstriche, so mit jedem Worte schafft er Leben, – o, und solches Leben, solche Menschen!

– Wie dieses Fräulein Viktorine! nicht wahr? so fuhr Oskar fort und sagte auf den Kopf ihm zu: in die Du übrigens sterblich verliebt bist.

– Wie sie in mich, erwiderte Edmund.

– Seit wann kennst Du sie?

– Ich habe mich gestern in Ihr Haus eingeführt.

– Vergiß nur nicht, daß sie aus einer demokratischen Familie ist: willst Du Carrière machen, so kannst Du sie nicht heirathen; willst Du sie heirathen, so kannst Du nicht Carrière machen.

– Heirathen? Traust Du mir die Fähigkeit zu solcher Lieutenants-Carrière zu, mich an die Exclusivität der Börsenmänner Litera A zu verkaufen? Zum Teufel mit dem Heirathen! Ich bin Baron und freibeute auf Liebenswürdigkeit! Solch ein Mädchen aber wird nie unglücklich werden, – je glänzender die Verhältnisse, um so mehr Klugheit und desto weniger Herz.

– Du vergissest aber Deine eigne Sicherheit! Um Alles in der Welt, – nur spiele nicht mit einem Mädchenherzen!

– Pedant! – Immerhin! Nenne mich so! Ist es doch einmal das Interesse meines Wesens, unter den Pedanten für frivol und unter den Frivolen für pedantisch zu erscheinen.

Es war jedoch nicht Oskars Art, das Predigen abstrakter Moral für wirksam, schönen Mädchenaugen gegenüber, zu halten, und als der Weg ihn vom Bruder trennte, war sein letztes Wort der Scherz: Spiele nie mit Schießgewehren, – denn es fühlt wie Du den Schmerz!

Ueber die breiten steinernen, mit weichen Teppichen und messingnem Geländer versehenen Treppen über die Edmund am Tage vorher zur Visite die Belle-Etage des Löwe'schen Hauses hinaufgestiegen war, hatte er sich nicht gewundert; eben so wenig über die gallonirten Bedienten und die großen Spiegelscheiben im Corridor; das Alles hatte er fast eben so elegant und kostbar in den Ministerhotels und den Wohnungen der Aristokratie schon gesehen. Im dem Empfangszimmer dagegen, das von den mannigfachsten Persönlichkeiten schon belebt war, setzte ihn eine Menge großer und schon dem ersten Anblick nach werthvoller Gemälde in nicht geringes Staunen. Es berührte ihn angenehm, darunter fast durchaus keine kirchlichen Gegenstände zu erblicken und dort eine Kopie der Hussitenpredigt, die den Mittelpunkt der Sammlung bildete, belehrte ihn, daß er mit seiner Reise und seinem Jordanwasser hier nicht werde renommiren dürfen.

Nicht weniger angenehm traf ihn der große, freie Ton, mit dem man ihn empfing und auf seiner Baronschaft, was er in einem Krämerhause hätte erwarten können, durchaus keine lästige Rücksicht nahm. Viktorine, sobald sie ihn in der Thüre erblickte, kam ihm entgegen und führte ihn durch die übrigen Anwesenden hindurch zu einer ältlichen Dame, deren fein und scharf gezeichnete Züge mit eben so geistreichem als vornehmem Ausdruck ein Interesse erregten, dem ihre sich abschließende Kälte nicht entgegenkommen wollte.

– Cordelie's Vetter, liebe Mutter, von dem ich Dir sprach, so stellte sie Edmund vor, und dieser war damit in die Gesellschaft eingeführt, ohne durch lautes Verkünden seines Namens als ein Fremder gemeldet und den übrigen Gästen gegenüber in die Stellung eines Fremden gesetzt zu sein.

In einer andern Ecke des großen und doch behaglichen Salons auf einem Ecksopha und verschieden geformten Chaisen saßen mehrere ältere und jüngere Herren, – der Professor Hofmaler war unter ihnen –, und führten ein Gespräch über die gegenwärtige Kunstausstellung. An den fremden Künstlernamen, die Edmund zu seinem Platze herüberhörte, fiel ihm auf, daß er seit Jahren sich um Kunst nicht bekümmert hatte; er nannte aber bei jenen Leuten das Interesse dafür eine Gourmandise der Geldaristokratie.

Er hatte eine augenblickliche Gelegenheit gehabt, dem sein Ohr zu schenken, da Viktorine, sobald er Platz genommen, sich eine Minute Zeit ausbat, um die Rechnung des Krankenvereins der Fabrikarbeiter ihres Hauses, der unter ihrer Obhut stehe, beschließen zu können.

Aber Viktorine wagte eine solche Bitte nur, um zu zeigen, daß sie nicht unartig sein könne; denn kaum hatte sie dieselbe ausgesprochen, so war sie auch mit der Arbeit fertig, und das gab die Veranlassung, das Gespräch anzuknüpfen.

– Ich muß mich wundern, sagte Edmund, hier noch Wohlthätigkeit zu finden, da sie sonst aus der Mode ist.

– Wir sind nie der Mode wegen wohlthätig gewesen, und werden ihretwegen auch nicht aufhören, es zu sein.

– Es giebt aber auch ein inneres Motiv dafür, daß diese Mode nicht mehr an der Tagesordnung ist. Man hat eingesehen, die Privatwohlthätigkeit reicht nicht aus; man kann nicht allen helfen, – wem soll man helfen? Und wie weit soll man helfen? Man scheut die Konsequenz, Alles geben zu müssen, so daß auch die Reichen elend werden, wie die Armen.

– Die Konsequenz? Aber darüber ist doch leicht hinwegzukommen. Man giebt doch nicht der Konsequenz willen, und braucht der Konsequenz willen es auch nicht zu unterlassen! Man hilft eben den Nächsten.

– Aber wie weit ist das, den Nächsten?

– So weit als mein Herz es bedarf und ich mir sagen kann: wenn nur jedes Herz so viel thäte, so wäre Vielen, wäre dem Allgemeinen geholfen. O, und es ist so viel Elend auf Erden, – wer nur daran dächte, müßte weinen sein Lebenlang. Aber ich meine, das dürfen wir nicht; wir, die wir durch das Glück gebildet und gesund geblieben, wir sind der Sauerteig des Volkes, und wir müssen unsre Bildung und Gesundheit uns zunächst bewahren, – freilich nur, um sie mitzutheilen und auszubreiten. Und dabei scheut man vor der Konsequenz? Du lieber Himmel! der Trieb zum Wohlthun liegt dem Menschen ja doch im Herzen; der Verstand wird für sein Maß schon sorgen.

Die junge Dame sprach das mit dem etwas eigensinnigen und etwas koketten Tone, der ihr gewöhnlich eigen war, und in einer Weise, als verstehe sich das ganz von selbst, und brauche nur ausgesprochen zu werden, ohne daß damit etwas irgend besonders Kluges oder Neues gesagt sei.

Die alte Dame, um neu eintretenden Besuch zu empfangen, hatte die beiden allein gelassen. Edmund blieb mit seinem ernsten leuchtenden Blicke, von dem er wußte, daß er nie ohne Wirkung sein konnte, und der so ganz Kontrast war zu ihrem leichten Redetone, an Viktorinens klaren, heitern Zügen hängen, und fragte sie nach einer Pause, die sie spöttisch lächeln machte: Bitte, sagen Sie mir das noch einmal!

Viktorinen war eine so sonderbare Bitte lange nicht begegnet, und für einen Augenblick fast zweifelnd, ob der Fremde ein Narr sei, oder sie zum Narren haben wolle, frug sie staunend: Was wollen Sie?

– Noch einmal hören, was Sie sagten.

– Aber, wahrhaftig, ich weiß es ja selbst nicht mehr, so lachte sie übermüthig jetzt auf.

– Sie glaubten es wohl nicht und meinten es gar nicht ernst.

– Wenn ich es sagte, glaubte ich es gewiß, aber ich habe es wohl weder ernst noch spaßhaft gemeint. Doch warum zweifeln Sie daran?

– Weil Sie neulich weinen konnten, daß Sie nicht auf den Ball durften.

Sie lachte noch lauter. Edmund erwiderte mit eindringlicher Bestimmtheit: Ich vermuthe, daß Sie das Weinen damals eben so wenig ernst meinten, als heute Ihre Weisheit, – doch steht beides Ihnen, auf Ehre, in gleicher Weise reizend.

Viktorine wurde jetzt ernst und sagte mit aufrichtigem, Aufrichtigkeit verlangendem Tone: Aber ich begreife nicht, wie Sie sind, wie Sie Alles zersetzen, bezweifeln und untersuchen. Sie sind etwas pedantisch und nehmen ja die Worte und die Menschen gar nicht, wie sie sind und genommen werden wollen.

– Und ich begreife Sie nicht, sagte Edmund mit wirkungsvoller Bitterkeit, und beneide Sie, daß Sie so klug und gebildet sein können, und doch die Worte und die Welt so gläubig, so vertrauensvoll nehmen. Sie sagen: Herz, Verstand, Allgemeines. Glauben Sie denn an die Worte noch? Was ist das – Herz? – ein übermüthiger, eigenwilliger Muskel in uns. Was ist Verstand? – was ein Jeder sich als Recht einbildet, was seinem Eigennutze dient. Und Allgemeines –? Wo giebt es noch ein Allgemeines, wo im Willen, wo im Denken? Ich kenne keine Ideen mehr und diejenigen, die noch den Muth haben, Worte wie: Verstand, Wahrheit, Vernunft, Religion in den Mund zu nehmen, sie glauben selbst nicht daran. Man sollte die Sprache abschaffen, denn die ganze Sprache ist ja auch nur eine Lüge. Wo es keine allgemeinen Begriffe mehr giebt, soll es auch keine allgemeinen Ausdrücke mehr geben. Wie kann ich noch sagen: Ich! – Ich, wie sich ein jeder Andere ebenfalls nennt! Ich gebe dem Anderen ja nicht das Recht, ein Ich zu sein, wie ich es bin. Kein Begriff kann uns Einzelne zusammenfassen, denn er setzt ein Gemeinsames voraus, und wir haben kein Gemeinsames, als den Trieb, uns abzustoßen oder zu unterwerfen! Das ganze Leben, was ist es anderes, als ein Krieg Aller gegen Alle!

Edmund hatte sich, als er in das Haus trat, auf ein fades, höchstens oberflächlich pikantes Salongespräch gefaßt gemacht. Als aber zu seiner Ueberraschung Viktorine ernstere Saiten anschlug, da sprach er seine innere Zerrissenheit renommirend gegen sie aus, um durch diese Bizarrerie einen Eindruck auf ihr originelles, widerspenstiges Wesen zu erobern. Viktorine hatte ihn wieder mit einem ihrer durchschauenden Blicke momentan fixirt, und sagte dann: Sie sind ein Sonderling, – aber ein ehrlicher, sonst müßte man sich vor Ihnen fürchten.

– Daran thäten Sie nur klug, wenn Sie es vor Jedem thun.

– Sie lästern, Sie versündigen sich –

– Sie beneidenswerthe, die Sie noch so poetische Worte haben, wie: lästern, versündigen! – so versuchte er weiter durch seine Paradoxien sich interessant zu machen. Wer von Lästerung spricht, hat noch ein Heiliges; mit der Sünde erkennt man eine Tugend, eine Pflicht an. Für die Welt und für mich hat das Alles nur noch poetischen Sinn, und poetischer Sinn ist heutzutage Larifari, mit dem man keinen Hund vom Ofen lockt, viel weniger einen Menschen zu seinem besseren Selbst zurückruft. Vortheil oder Gewalt, nur dadurch lassen die Menschen sich noch bestimmen. Ja, gnädiges Fräulein, das sind die Ideen, die ich vom heiligen Grabe mitbringe. Warum lachen Sie nicht mit mir? Ist das nicht recht komisch? Aber Sie wissen es besser; so rathen Sie mir, die Sie an Vernunft, Sünde u. dergl. noch glauben, rathen Sie mir, wo ich den Glauben an das Allgemeine wiederfinde, den ich, unter uns sei es gesagt! auch in Canaan und all seinen historischen oder mythischen Reminiscenzen doch nicht ganz finden konnte. Sagen Sie mir, wo die Madonna ist, die mich wieder lehren soll, Vernunft in der Menschheit, Wahrheit in der Sprache, Empfindung in der Poesie zu sehen.

Schnippisch den Kopf aufwerfend, um seiner dreist bezüglichen Frage auszuweichen, sagte die Schöne: Sie wollen nur belehrt sein? Sie sind also kein Mann, von dem ein Mädchen Etwas lernen könnte?

– Es giebt Vorzüge, die wir Männer nie besitzen, immer nur bei dem schönen Geschlechte suchen, von ihm damit beglückt und versöhnt zu werden verlangen können. Aber ich glaube sehr wohl zu wissen, daß von Ihnen eine solche Anwendung Ihrer Vorzüge zu verlangen, zu gewagt sein dürfte. Es kommt mir vor, als könnten Sie hartherzig, egoistisch sein. Ja, wenn ich Ihnen vorhin gegen die kleine Betise nichts einwenden konnte, als Sie mich einen Pedanten nannten, so erlauben Sie mir jetzt wohl, Ihnen das Compliment zu machen, daß ich glaube, Sie für ein klein wenig, ich möchte sagen, impertinent halten zu dürfen – –

Edmund hatte im vollen Bewußtsein der Gewagtheit dieses Wortes so gesprochen; er wollte durch Sicherheit und Aufrichtigkeit ihr imponiren, und hatte in der That die Freude, sie in nicht ganz geringe Verlegenheit gerathen zu sehen. Sie war im ersten Augenblicke über diese Dreistigkeit erschreckt, dann wurde sie verschämt roth, und sammelte sich erst mit Mühe wieder zu dem nöthigen Uebermuthe, um ihm zu sagen: Aber Sie sind wirklich ein Sonderling – auch in Ihren Schmeicheleien.

– – Die Sie nicht zurückweisen werden, sobald Sie sie recht verstanden. Wir edlen Charaktere müssen egoistisch sein, – haben Sie selbst vorhin bei der Wohlthätigkeitsfrage nicht darauf hingedeutet? Wir edlen Charaktere können uns in der jetzigen Gesellschaft im Allgemeinen nur durch Impertinenz geltend machen, – eine andere Energie ist uns nicht gestattet.

– Wir edlen Charaktere? Haben Sie schon so viel Verwandtschaft zwischen uns beiden entdeckt, daß Sie uns beide unter diesen einen Hut bringen wollen –?

Doch Viktorine widersprach nicht weiter. Mochte sie fürchten, daß sie in der That boshaft erscheinen könnte, oder daß sie gerade durch den fortwährenden Widerstreit eine Gemeinsamkeit der Gegenstände ihres Denkens und Empfindens zugestand? Sie brach plötzlich das Gespräch ab und auf ein Raphaelportrait weisend, frug sie den Baron: Was sagen Sie zu diesem echten Raphael? Wie meinen Sie, daß wir zu solchem Schatze kommen?

Edmund betrachtete das Bild, fällte gleichgültig ein staunendes Urtheil, und Viktorine lachte ihn aus: Also haben Sie sich auch täuschen lassen? Wissen Sie nicht, daß das Original einzig in München ist? Das ist nur eine vortreffliche Copie!

Sie hatte für seinen Spott ihn ihre Ueberlegenheit fühlen lassen wollen und er, durch ihren Uebermuth verletzt, nahm bald die Gelegenheit wahr, mit mehreren aufbrechenden Herren sich ebenfalls zu empfehlen.

Der Gruß des Herrn Löwe selbst, der ihm erst begegnete, als er schon an der Thüre war, trug nicht dazu bei, seine Stimmung über die Aufnahme befriedigter sein zu lassen. Das war eine ernste strenge Physiognomie, die bei ihrem unverändert blassen Teint durch den vollen, schwarzen Bart ein klassisches würdevolles, aber wenig freundliches Ansehn gewann. Edmund, obgleich er keine Ansprüche auf seine Baronenschaft gründete, fand es für einen jeden Gast zu rücksichtslos, neben einer Verbeugung, der er es ansah, daß sie nur gemacht war, um gemacht zu sein, mit keiner andern Aufmerksamkeit zu bedenken, als mit den kurzen, sehr kurz gesprochenen Worten: Freue mich, Herr Baron, daß –, und machen Sie mir wieder die Ehre. Serviteur!

Auch Viktorine hatte sich mit ihrer beleidigten und beleidigenden Kälte ihm schon empfohlen, als sie den Eindruck dieser Worte in des Gastes Mienen lesen mochte, und, plötzlich zu Freundlichkeit sich sammelnd, sich nochmals an ihn wandte: Besuchen Sie uns recht bald, besonders wenn Sie Freitag Abends Zeit haben. Die Eltern sehen alle Freitag ihre Freunde bei sich.

Edmund sagte es zu, ohne die Absicht, es sobald zu halten. Da bei der letzten Verbeugung warf mit herausforderndem Freudesblitze ihres Auges sie ihm noch die Worte zu: Dann erklären wir uns für souverän! – und Edmund war es klar, daß er keinen Tag versäumen werde.

*

Ende des ersten Bandes.

 


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