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Oskar von Brandt war eine von den glücklichen Naturen, die im Stande sind, das Große für klein und das Kleine für groß zu nehmen. Die Bekanntschaft mit einer hübschen Schauspielerin konnte sein Denken und Trachten so ernsthaft und vollständig in Anspruch nehmen, daß seine Unterhandlungen mit dem Minister über das Finanzbudget des Staates ihm daneben auf Wochen keine Sorge machen sollten.
– Visitenanzug parat? fuhr er seinen grauköpfigen Bedienten in jovialer Eile an, der ihm die Wohnung öffnete, und als dieser pfiffig lächelte, schäkerte er mit ihm in dem vertraulichen Tone, in dem er ihn behandelte, wenn er ihn nicht malträtirte: Nicht wahr, alter Kahlkopf, schöne Zeit das, wo man zum Frühstück nach Hause kommt? Wo hat er die Zeit gelassen? Wohl da, wo seine Haare sitzen blieben!
Der Alte, der diese Laune liebte, weil sie manchmal einen getragenen Frack oder das kleine Geld aus der Börse für ihn abwarf, schmunzelte: Auch einmal jung gewesen! O, und sehr, sehr jung!
– Pfeifen geputzt? Töle gefuttert und gewichst? Visitenanzug parat? Allons, fix! Stiefel ausziehn, Rock ausziehn!
– Sehr wohl, aber – stotterte Kohl.
– Nun und was aber? Ich bin eilig, sehr eilig!
– Ja, aber – es ist, es hat, es muß –
– Was kohlt er wieder, Musje Kohl?
– Es muß – es ist Besuch in Ihrem Zimmer, gnädiger Herr.
Der Baron war in seinem Empfangzimmer; der Besuch mußte in seinem Studier- und Bibliothekzimmer sein. Was in das Zimmer hast Du Jemand gelassen? so fuhr er erschreckt und wüthend den Alten an.
– Gott im Himmel, gnädiger Herr, er ließ sich ja nicht abweisen; er wollte durchaus in das zweite Zimmer, das geheizt war, um auf Ihrem Lehnstuhl zu übernachten –
– Die Nacht über in meinem Zimmer, bei meinen Papieren? Kanaille, dafür stehst Du mir. Wer ists? und damit packte er den Alten beim Kragen und wollte mit ihm der Thüre zu.
Aber, siehe da! das Zimmer war schon geöffnet und in der Thüre stand der Fremde, – Oskar hätte glauben können in ihm ein Gespenst oder ein entstellendes Spiegelbild seiner selbst zu sehen, so waren hier seine Gestalt und sein Antlitz wiederholt, nur finster und wild verzerrt, mit wüstem Haar und Bart, mit abgetragenen zerrissenen Kleidern, wie er sich selbst in schweren Träumen nicht hätte sehen mögen.
– Edmund! Du, Herr Bruder, hier? so lachte der Baron laut auf und setzte dann mit einem leisen Schauer hinzu: Aber, Gott im Himmel, in welchem Zustande?
– Still! gebot ihm Edmund, meinen Namen darfst Du nicht nennen. Laß uns allein sein.
Der Alte hatte sich entfernt, ehe der Herr ihm einen handgreiflichen Wink dazu gegeben. Dann schloß der finstere Gast die Thüre zu, ging mit dem Wirth in das zweite Zimmer und die beiden Brüder waren allein.
Oskar, der die Regel des nil admirari sich wohl zu eigen gemacht hatte, konnte doch ein aufgeregtes Staunen nicht unterdrücken und drang hastig in den Bruder. Sag, sag, woher? woher?
– Von dem Schlachtfelde von Komorn, von der Leiche einer Nation.
– Aus dem ungarischen Heere?
– Aus dem gewesenen, ungarischen Heere. – Doch lassen wir das. Wie stehen hier die Sachen? Sag mir, was denkt Ihr hier zu thun?
Oskar schien diese Fragen zu überhören und, als könne er sich noch nicht von stillem Staunen sammeln, rief er aus, die Hände zusammenschlagend: Du im ungarischen Kriege, der poetisirende Assessor, der zahme Dichter, das Schooßkind der alten Damen, Du Mann mit dem träumerischen Blicke, Du ein Honved? Wir denken Dich in Italien unter Weingeländen und Malermodellen, und Du bist unter die bramarbasirenden Kopfabschneider gegangen? Aber Scherz bei Seite, Du bist ein ganzer Kerl. A la bonheur, dazu gehört Kourage. O, und Du mußt viel erlebt haben. Bist Du mitten in den Ereignissen gewesen? Welche Schlachten hast Du mitgemacht? Edmund, Du mußt uns die besten Nachrichten geben können; Du sollst Deine Memoiren schreiben. Bursche, ich bin außer mir vor Freuden, daß unser ererbtes adeliges Kavaleristenblut sich doch nicht ganz in uns verleugnet hat. Top, Du machst mir Freude und bist werth, mein Bruder zu sein.
Dabei schlug er in seiner humoristischen Behaglichkeit Edmund herzlich auf die Schulter, mußte aber erschrecken, wie dieser zusammenzuckte, wie Todtenblässe sein Gesicht überflog und er den rechten Arm, den er im Chemisett trug, schmerzhaft an sich drückte.
– Was ist Dir? frug Oskar besorgt; mein Gott, Du trägst den Arm in der Binde? Du bist verwundet?
Edmund winkte mit der Hand. Es ist schon geheilt, – ein Schuß unter der Schulter. Die Unruhe der Reise, das Novemberwetter hier im Norden haben mir Schmerz in die Narbe gezogen. Aber spotte nicht mit mir. Ich darf mit meinem Heldenthume mich nicht rühmen. Ich bin ein Proscribirter. Der Name eines Baron R******, als der ich in Ungarn gekämpft, ist in Pesth an den Galgen geschrieben, – bei den Gewalthabern, die jetzt Recht haben, ist mein Leben verwirkt, sobald man mich als Baron R****** erkennt. Ich habe mich ausgezeichnet unter den Männern der Freiheit; jetzt wird man mich durch Verfolgung auszeichnen. Ich bitte Dich, Oskar, birg mich bei Dir nur 8, 14 Tage, – Du bist es mir, bist es der Partei schuldig, – daß ich nur wieder zur Besinnung komme, die Verhältnisse hier kennen lerne, und kennen lerne die Pläne, mit denen Ihr, mit denen wir alle ferner wirken wollen. Mein Schicksal verlangt eine schnelle Entscheidung; Du kennst meine Vermögensverhältnisse; der Vater hat uns wenig hinterlassen außer unserem Baronentitel; ich habe stets gut gewirthschaftet, aber auch das wenige ist zu Ende; fast Alles habe ich der Revolution geopfert, – nur wenige Tausende bleiben mir, mit ihnen muß ich neue Verhältnisse mir gründen, bei den Gesinnungsgenossen, wenn nicht hier, so in Amerika. In keinem Hotel bin ich sicher; behalte mich bei dir; so können wir besprechen Tag und Nacht, was zu thun ist.
Oskar mußte die Hand des Bruders ergreifen, die dieser ihm entgegenstreckte; aber es war keine freie Offenheit in seinem Blick; er wich dem Auge, dem Worte des vertrauungsvoll Entgegenkommenden aus und antwortete nur: Bei mir willst Du bleiben? Ja, wenn Du nur so sicher bist! Ich werde oft gestört; ich kann keines meiner Zimmer abschließen, das würde Verdacht erregen. Aber sei überzeugt, ich werde für Dich sorgen. Ich habe Verbindungen – doch für's Erste laß uns überlegen, was willst Du hier, gerade hier in der Residenz, wo kein fremdes Gesicht auftauchen, Niemand einen Bart sich abscheeren kann, ohne daß die Polizei es verzeichnet. In Hamburg, in Bremen will ich Dir Sicherheit verschaffen. Nur gerade hier –
– Und doch muß ich hier bleiben, hier und gerade hier. Vielleicht nur wenige, vielleicht nur einen Tag, aber noch muß ich und muß ich bleiben, die Entscheidung meines Schicksals, den Preis meiner Kämpfe einzuholen, ein neues Leben mir zu gewinnen.
– Was willst Du? Worauf baust Du?
– Höre mich an. Ich kann nichts für meine Glücksentscheidung hier thun; ich kann mich nicht sehen lassen, nur in der Dunkelheit wagte ich von meinem Hotel hierherzugehen, – Du mußt für mich handeln. Versprich mir Deinen Rath, Deine Hülfe, Deine Thätigkeit. Was mich hier fesselt, und koste es mein Leben, ist die Liebe, über die ich Entscheidung haben muß, von der mein Sein oder Nichtsein abhängt.
Oskar, der über die Verwicklungen dieser Verhältnisse nachdenkend besorgt ausgesehen hatte, konnte nicht unterlassen bei dieser letzten Eröffnung zu lächeln. Also auch als Honved, als wilder Mann noch der Dichter, der Träumer, der alte Phantast! Die Liebe! Ach ja, die liebe Liebe! Und was für eine Liebe? Eine neue Liebe? Eine Einquartierungs-, eine Bivouakliebe?
– Eine alte, eine treue Liebe, sagte Edmund ernst.
– Eine alte? frug Oskar plötzlich listig aufmerksam und fuhr in seinem schärfsten Sarkasmus fort: Etwa noch immer die eine alte Liebe?
– Welche? Was willst Du davon wissen?
– Alles.
– Alles? Lieber Herr Bruder, erwiderte Edmund mit Ernst und Festigkeit, von solcher Liebe weißt Du nichts.
– Solche Liebe wie die zu jener Dame, die, um Dich los zu werden, Dich in den Krieg schickte.
– Mich? Was willst Du wissen? Welche Dame meinst Du?
– Ich meine die Dame, die Dich lehrte liberale Verse schmieden, der Du Dein ganzes revolutionäres Herz weihtest, die Dich in jener Novembernacht – es ist nun gerade ein Jahr – in ihren Garten bestellt und Dir außer ihrem Herzen das Fenster zu öffnen versprochen hatte, vor deren Fenster Du aber einen verlarvten unbekannten Nebenbuhler fandest –
– Mein Gott, rief Edmund erschreckt aus, aber Du weißt ja Alles! Ist es bekannt geworden, allgemein bekannt?
– Nicht allgemein, doch mir bekannt, der ich weiß, daß Du auf der Stelle mit dem Rivalen Dich über das Schnupftuch schossest, der Fremde hatte die Pistolen bei sich, von denen nur die Eine geladen sein sollte; Du wähltest von den Waffen; ihr schosset a tempo, Du bliebst unverwundet und sahst den Gegner stürzen. Im Schreck über den Mord entflohst Du; am selben Morgen erhieltst Du von der Schönen ein Billet – o mon dieu: Frauenruf, Verfolgung des Mörders, Freiheit, Vaterland, Flucht, Flucht! – Du solltest der Untersuchung entfliehen, im Kampfe für die Freiheit ihren Besitz verdienen – nichts als reine baare Phrasen, um Dich los zu werden, und Du in gutem Glauben und sans adieu mit Deinem treuen Herzen gingst unter die Honveds!
– Aber wer sie ist, wie sie heißt, Das weißt Du nicht!
– Sie ist der Stern unsrer Salons, die koketteste der Spröden und die sprödeste der Koketten, die pensionirte Revolutionsheldin und rothe Fahnenstickerin a. D., meine liebe gute Freundin Adele. –
– Ja, Oskar, Adele war es, Adele, die mich verbannte, Adele, die mich wiederkehren ließ. Sie ist die Liebe, die meinem Leben den Aufschwung zum Alles wagenden Heldenthume gab, die ich als Preis meines Kampfes, als einzigen letzten Trost für die verlorene Freiheit und das verlorene Bruderblut jetzt zu gewinnen komme. Aber sage, wo ist sie, wo finde ich sie? Vergeblich habe ich gesucht, eine ganze Nacht ihren Garten durchirrt; ihr Haus stand leer; ich aber wagte Niemand zu fragen, um mich nicht zu verrathen. Wo ist sie?
– Wo Du sie vermieden hast, sagte Oskar mit höhnender Theilnahmlosigkeit.
– Ueberall hab' ich sie gesucht.
– Nur nicht vermuthlich im Hause Deines früheren Chefs, der Excellenz von Stein.
– Warum der Excellenz von Stein?
– Weil die Frau von Stein bei ihrem Gemahl dem Herrn von Stein logirt.
– Frau von Stein?
– Adele Frau von Stein!
– Adele? Was? Welche Adele?
– Nun Adele eben, die einzige Adele, sie, die Dir Liebe, die Deinem Leben den Aufschwung gab zum Heldenthume, die der Preis Deines Freiheitskampfes werden soll –
– Meine Adele?
– – ist jetzt der Excellenz von Stein oder wer weiß, wessen Adele!
Edmund schrak zusammen; dann wieder wollte er es nicht glauben und machte dem Bruder Vorwürfe, daß er mit ihm scherze. Du weißt nicht, so sagte er ihm, indem er noch versuchte, an diese Entdeckung nicht zu glauben, Du weißt nicht, was es heißt, Jahre hindurch eine Sehnsucht im Busen getragen und für ihre Erfüllung sein ganzes Sein daran gesetzt zu haben; Du weißt nicht, welche Rechte, welche unabweisbaren Forderungen in des Menschen Herz sich einwurzeln, das für ein Glück sich zum Opfer bringen konnte, um mit diesem zu leben oder ohne dasselbe zu sterben. Gott im Himmel, wenn Adele mich verrathen hätte! Die Freiheit, der Geist der Zeit waren mir eins mit ihr; wenn ich auch sie verloren habe, wo soll ich noch Glauben finden zur Welt, zur Menschheit, zur Geschichte? Ich bitte Dich, Oskar, – Du hast ein glückliches Temperament; ich beneide Dich darum; aber bedenke, es handelt sich hier um ernste, sehr ernste Dinge; spotte nicht darüber; sage mir im Ernste – Nein! Adele die Frau des Präsidenten von Stein – Unmöglich!
– Unmöglich? Nein im Gegentheil, unumgänglich war es! Sieh Dir nur die Verhältnisse an, und Du hast die Handlungen der Personen klar vor Dir. Adele, das verzogene Kind, die reiche junge Wittwe, ist gewohnt, die Mode mitzumachen. Sie trug schwarzrothgold, so lange es en vogue war. Aber die Contrerevolution, oder um konsequent etymologisch zu sein, die Contretransaktion der großen politischen Verhältnisse macht bald eine Contretransaktion ihrer persönlichen Stellung nothwendig. Donna Adele fing an verlacht zu werden mit ihrem Wirken für das, was Ihr Freiheit nanntet; ihr Aufenthalt in der Stadt kam in Gefahr; das Ruchbarwerden jenes Skandals fing an ihren Ruf zu untergraben –
– Aber des Präsidenten Frau? wie wurde sie des Präsidenten Frau?
– Alles ganz in Ordnung. Nach Deiner Abreise zog sie sich von der Welt zurück; aber wer sie nicht in Ruhe ließ und auch dorthin sie verfolgte, das war die Polizei. Die kluge Frau erschlich sich eine Audienz bei einer sehr hohen Person, sie that einen Fußfall, ward begnadigt und nach acht Wochen verlobte sie sich mit Herrn von Stein. Herr von Stein avancirte, ist jetzt Excellenz und seit sechs Monaten sind sie Beide vermählt. Hier am Spiegel ist die Verlobungsanzeige, hier die Einladung zur Trauung, – scripta loquuntur.
Edmund ergriff die dargereichten Charten mechanisch, aber nur einen Namen las er daraus und rief ihn bald drohend, bald fragend laut vor sich aus den Namen: Adele! Adele!
Er war sonst Culturmensch genug, um seine Affekte nicht in unwillkürlichen Ausdrücken preis zu geben; aber ein Jahr in der leidenschaftlichsten Anstrengung vollbracht, hatte seinen Gemüthsbewegungen eine so unhemmbare Gewalt gegeben und die Herrschaft über den Drang seiner Natur so aufgelöst, daß in den wildesten Ausbrüchen des Schmerzes seine innere Bewegung sich vergeblich zu erschöpfen suchte. Das Leid der Seele rief das des Körpers wieder wach; qualvolle Seufzer entrangen sich seiner Brust; dann stieß er entsetzliche, die Menschheit verlästernde Flüche aus und dann wieder weinte der Mann mit dem tiefgefurchten wilden Antlitze hell und laut wie ein Kind. Jetzt schien er Alles verloren zu geben und im nächsten Momente schrie er jubelnd wieder auf: Aber nein, nein, es ist ja nicht möglich! Es ist nicht Alles, nicht Alles wenigstens ist verloren! Du weißt ja nicht, Oskar, was mich herführt, daß sie selbst mich kommen geheißen! Nach Auflösung der Armee floh ich durch die Türkei nach Kleinasien; in Alexandria zuerst hatte ich Gelegenheit ihr zu schreiben. Nach Marseille bat ich sie um die Antwort, und ich erhielt die kurze vielsagende Antwort: »Kehren Sie wieder zu Ihrer Adele.« Also muß sie noch etwas wollen mit mir. Sie muß mir noch nicht ganz verloren sein. Will sie sich entschuldigen? Liebt sie mich doch auch jetzt noch?
Oskar sprach ihm dazwischen und warf ihm seine Träumereien, seine unpraktischen Phantasien vor. Um Deines eignen Heiles willen, so bat er ihn, nimm endlich einmal Vernunft an! Laß die überspannten Ideen von Liebe, Treue und alldergleichen Larifari bei Seite, und sieh Dir mit offenen Augen die Verhältnisse und die Menschen an, wie sie sind und wie sie handeln. Von Lieb' und Treue um Nichts und wieder Nichts kann bei unsrer Aufklärung nicht mehr die Rede sein. Die Interessen nur können die Menschen zusammenführen und die Interessen nur sie beisammen halten. Willst Du Liebe, so sieh, worauf Du trotzen, willst Du Treue, so sieh, womit Du zwingen kannst. Und wahrlich unsere Frau Excellenz von Stein wäre die allerletzte, die durch Redensarten sich imponiren ließe.
– Du kennst sie ja nicht, erwiderte Edmund verächtlich die Achsel zuckend, – o, und wenn Du sie kenntest, wie ich sie kenne! das große, stolze, freie Weib, das ganz Poesie, ganz Freiheit, ganz Ideal war! Ich sollte sie nicht gekannt haben? – sieh, in diesen Händen habe ich sie gehalten; mit diesen Augen habe ich sie zittern gesehen vor meinem Blick; an dieser Brust hat sie Thränen geweint, – sie war mein, ganz mein und wäre es ewig, wenn ihr Stolz sich nicht gesträubt hätte: sie wollte niemals eines Mannes Sklavin sein. Und nun vermählt mit diesem abgefeimten Sünder, diesem Popanz eines Mannes? Wie ist das möglich? Das will nicht hinein in meinen Verstand! O, wenn ich das, nur das begreifen könnte, ich glaube, ich würde dann diese ganze Welt verstehen, wie ich sie verstehen sollte, – aber das kann ich nicht begreifen.
– Dann liegt die Schuld aber nur an Dir, erwiderte Oskar in stets gleicher Ruhe. Wir sind, seit Du von hier fort bist, um ein Jahr weiter in der Zeit und jetzt kommt man in 24 Stunden im Fortschritt oft weiter als sonst in einem Menschenleben, denn aller Fortschritt geht vom Glauben zur Enttäuschung, von der Tugend zur Gesinnungslosigkeit und dieser Fortschritt, wo er erst eingetreten, geht nothwendig reißend schnell. Haha, und hältst Du Adele für ein stabiles Naturell? O, sie ist das Leben, die Beweglichkeit selbst, ein perpetuum mobile der liebenswürdigsten Art, aber ohne mathematische Nothwendigkeit, ohne Möglichkeit einer Berechnung, die reine Willkür, die stets ursprüngliche Genialität. Sie hat seltene Fähigkeiten zu intriguiren, die schärfste Gabe der Beobachtung, dabei den undurchdringlichsten Schein der Unbefangenheit, eine Demuth, die an's Kindliche streift, und einen Egoismus, der stets auf der Lauer liegt und vor keinem Mittel zurückbebt, – sie ist eine geborene Diplomatin. Und worin bestehen die Menschenrechte anders, als darin, seine Fähigkeiten geltend zu machen? Also was thun? Die revolutionäre Komödie ist vorbei, jämmerlich genug ausgefallen; Adele aber gehört nicht zu den Charakterlosen, die nach jedem verlornen Spiele das Spiel selbst verschwören; sie ist eine frische, zähe Natur von eignem Fond und setzt von neuem auf ein neues Spiel. Zu Deiner Zeit machte sie die Komödie der Revolution mit, jetzt die der Kontrerevolution, – das revolter in beiden bleibt dasselbe. Ja, ich kann Dir gar nicht widersprechen, sie ist das gescheudteste, seltenste, pikanteste Weib, das die Erde bieten kann; aber solche Proteus-Weiber fordern ihre eigne Art, mit ihnen umzugehen. Sie ist ein Goldfischchen – ganz abgesehen davon, daß Mancher mit ihr das Netz voll Gold zu fischen hoffte, – ein reines Luxusgeschöpf, das man nur ansehen, bewundern kann, wie es muthwillig graciös plätschert in seinem Elemente; aber man muß sie nicht fassen, nicht festhalten wollen; so wie man mit tölpelhaftem Ernste hinzutappt, sind sie erschreckt und verscheucht, – sie können den Tod davon haben. Jedes Thierle hat sein Manierle, und Gott dem Herrn sei Dank, daß er solche kokette Fischlein schuf: sie haben allerliebste Manieren. Du willst ein Stück Poet sein und hast den Fisch, gesalzen gebraten und wohl gar tranchirt vor Dir lieber als diese zur Freiheit geborenen Goldforellen im klaren Wasserchristall?
– So sprichst Du? frug Edmund voll Staunen und Vorwurf. Du findest es begreiflich, daß Andere die Partei der Freiheit verlassen haben, – was soll ich von Dir selber denken?
– Ich habe nie zu einer Fahne, außer der der Landwehr »zu Wasser und zu Lande«, geschworen und deshalb auch nie eine verlassen.
– Aber Deine Grundsätze? Ich habe ja Deine Prinzipien gekannt! Hast mich Du mich getäuscht?
– Ich bin derselbe noch, als der ich in den letzten Tagen vor Deiner Flucht aus England zurückkehrte. Aber die Verhältnisse, die Staffage sind anders; die ganze Luft, alles Licht ist ein anderes, und es sieht jetzt blau aus, was im März roth erschien. Ich habe niemals Jemand über mich zu täuschen gebraucht, wahrhaftig nicht! Ich bin ehrlich genug, gegen Jeden mich ehrlich zu vertreten und er wird daraus kennen lernen, daß er sich vor mir in Acht zu nehmen hat. Sehe Jeder wie er's treibe, Eines schickt sich nicht für Alle; sehe Jeder, wo er bleibe, und wer steht, daß er nicht falle, sagt der kluge Göthe, und das wollen wir auf uns anwenden. Du bist ein Freiheitsheros geworden, Du hast Deinen Ruhm und Dein Bewußtsein dahin, – nun sitzt Du hier auf dem Sande und Niemand wird Dir aufhelfen. Ich habe meine Carrière verfolgt, ich habe keinen Ruhm, kann mich mit keinem Bewußtsein aufblähen, aber ich habe mein fixes Gehalt, und bei den Diensten, die ich Sr. Excellenz Herrn von Stein geleistet habe und noch ferner zu leisten gesonnen bin, wird es mir wohl am Nöthigsten nicht fehlen, wenigstens mein Dasein zu fristen und meinen Credit zu erhalten.
– Also auch Du? Und das Verlassen der Freiheit ist kein unerhörter Verrath mehr? O, ist die Welt denn umgekehrt?
– Die Welt ist rund und muß sich drehn! sagte Oskar leichtfertig und fuhr fort: Wie auf den Tag die Nacht, auf den Sommer der Winter, auf den Druck der Gegendruck, auf den Rausch die Erschlaffung, so folgt auf die Revolution die Reaktion; es ist ein Gesetz der Natur, dem auch der Geist gehorchte, – und der biedre Geist des deutschen Volkes zuerst, denn gehorchen ist ja seine einzige Leidenschaft. Füge Dich dem allgemeinen Gesetz; es bleibt Dir nichts andres übrig; Du allein kannst es nicht über den Haufen werfen, und die Anderen, die da dachten wie Du, auch sie haben Besonnenheit angenommen und sich gefügt. Du irrst, wenn Du die Zeit reif wähnst für einen neuen Aufschwung der Geister; die Pulse der Geschichte gehen jetzt langsam auf und nieder, und das Fieber der letzten Jahre hat den entnervten Körper unserer Hyperkultur auf lange in Apathie dahingeworfcn. Der Staatsmann aber kann eine Bewegung nur leiten, nicht provociren. Ich kenne England und ich sage Dir, ein Haus gebaut auf den Fels der Selbständigkeit wird nicht durch einen Windstoß über den Haufen geworfen wie solch ein Kartenhaus oder eine Bajonett-Pyramide; Italien aber liegt jenseits der Alpen und hat vor uns mit seinem heißen Blute nur den Vorzug voraus, daß es von dem Fieber, das wir wie eine Reinigung überstanden, langsam verzehrt wird. Und Frankreich – o mit Frankreich ist es zu Ende, seit dort auch das Lächerliche nicht mehr tödtet! O, daß wir doch endlich verlernen möchten, unsre Ohren diesen Convents-Rodomandaten, unsre Augen der blauweißrothen Trikolore zuzuwenden! Was hat die große Nation mit dem Ausbreiten der Freiheit über den Erdkreis jemals anderes bezweckt als die Unterjochung der Nachbarvölker? Was bargen die Phrasen von den Menschenrechten anderes in sich als die Frivolität, die mit Principien sich maskirte, als die Ausschweifung, die den Thron der allgemeinen Sitte usurpiren wollte, als das leere hohle Pathos, das in seines Nichts durchbohrendem Gefühle zum Eklat des Wahnsinns sich forcirte? Wollt Ihr Vorbilder für Eure Revolutionen, so seht Euch den Cromwell und seine Puritaner an. Da steckte in dem untersten Reitknecht ein festerer Grundpfeiler für den Staat als in einem ganzen Convent voll von dem Danton- und Robespierre-Gezücht. Da war Moralität, Disciplin, Unterordnung unter das Ganze, und ich sage Dir, bei Gott, Bruder Märtyrer, nenne mich immerhin einen Frivolen, ich fühle mich doch dem bigottesten Puritaner näher verwandt als solchem französischen Libertin à la Camille Desmoulin et Consorten! Aber lassen wir das! Ich will nicht von mir, ich will von Deutschland sprechen. In Deutschland ist überhaupt sobald keine Revolution weder à la Robespierre noch à la Cromwell möglich. Du magst denken über meine Gesinnung wie immer; die Fähigkeit, hoffe ich, wirst Du mir nicht absprechen, Thatsachen zu erkennen wie sie sind. Und das ist eine Thatsache in Deutschland: das Gros der revolutionären Partei ist der steten Exaltation und Opferstimmung überdrüssig und zieht sich in die trauten Familienkreise und die guten Geschäfte zurück; die Führer sind zu einem Zehntheil flüchtig, zu einem andern harren sie grollend besserer Zeiten und die andern acht Zehntheil suchen mit den Siegern sich abzufinden, so gut es geht. Es ist jetzt die Zeit der Vermittelung, des Kompromisses, des sich ein Verhältniß suchen zu den Thatsachen. Von »losgehen« spricht kein Mensch mehr und wenn Du es Dir wolltest einfallen lassen, von »Partei«, »Projekten« und »Conjunktionen« zu reden, so werden Deine Freunde Dich verlachen, zu denen ich zu gehören die Ehre habe, und Deine Feinde Dich verderben. Die Revolution ist erstickt bis auf den letzten Funken; das Jahr 48 wird ausgerottet bis auf den kleinsten Verfassungsparagraphen; unter den Thatsachen ist die ganze Umwälzung nicht mehr vorhanden. Sieh Dich um, so weit Du willst. Das ist einmal der Lauf der Dinge.
– Nun denn, rief Edmund aus, dann habe ich keinen Zusammenhang mit ihm, denn ich stehe, wo ich stand, ich bin, was ich war. So ist das Todesurtheil, das die Gewalt über mich gefällt hat, gerechtfertigt und ich bin verdammt durch das Weltgericht der Geschichte? Nun, so fuhr er plötzlich den Bruder an, hier hast Du mich, so halte mich, so binde mich, und verrathe mich den Machthabern, denen Du dienst! Du dienst ihnen ja doch wohl mit Treu und Ehrlichkeit, und mir thust Du eine Gefälligkeit, die einzige vielleicht, die Du für mich thun würdest, indem Du mich von dem Dasein befreist, das für mich doch kein Leben mehr ist.
– Immer und ewig Exaltationen! Aus einer Phantasie in die andere! Gott im Himmel, ich bin ja kein Blutmensch; ich liebe das Halsabschneiden durchaus nicht, nicht nur bei mir, auch nicht bei andern. Ich werde mich für Dich nicht opfern, das will ich gar nicht behaupten; aber ich werde auch nie und nimmer für mich Opfer verlangen. Im Gegentheil; wir wollen ruhig und verständig nachdenken, wie wir Deine Verhältnisse ordnen. Wenn Adele Dich protegirt, so kannst Du hier bleiben unter allen Umständen und wenn Du Kossuth selber wärst. Uebrigens weiß sie also nichts von Deinem Heldenthume? – es wird Dir das auch Niemand zutraun, wenn Du selbst Dich dessen rühmtest. Nun, so mußt Du Deine Carrière wieder aufnehmen. Daß Du so lange über die Urlaubszeit ausgeblieben bist, bemänteln wir mit einer Erholungs- oder Studienreise. Aber wohin? Frankreich, Italien, England, überall der Heerd des großen Blutbundes. Nach Schweden geht man nicht zum Winter und nach Rußland überhaupt nicht, wenn man nicht ein Komödiant, sondern ein gebildeter Mann ist. Es bleibt von allen Körpertheilen der Jungfrau Europa nur der Absatz, – die Türkei. Du bist ja auch durchgekommen; also in der Türkei bist Du gewesen. Bravo, bravo! Ich werde Dir alle Bücher über Orient, den Tutto-lasso und den Semi-lasso und den den Prockesch-Osten und den Falmereyer und was weiß ich, was Alles für Scharteken besorgen. Bis Du die nicht gelesen, gehst Du nicht aus; dann aber sprichst Du von nichts als von den Muselmännern und ihren Serails, von Sorbet, türkischen Pfeifen und Tausend und Eine Nacht. Mein Schneider macht Dir auf Credit Schlafrock, Pantalons und Hausturban à la Turc. Du grüßest Salem-aleikum, schwörst Allah il Allah und bist überhaupt Enthusiast der Pforte und ihrer Religion, was Dir das Interesse aller jungen Damen erwirbt. Und um die alten zu gewinnen, um Carrière zu machen, – o, ein göttlicher Einfall, himmlischer Bruder! Für die Idee müßtest Du mir tausende baar zahlen, aber ich sage sie Dir umsonst, bloß für den Spaß, sie ausgeführt zu sehen: Du mußt Dich ausgeben für einen Pilger, der am heiligen Grabe gewesen, seine Sünden und seine Demokratie abzubüßen. O, Du Glückskind, Du gemachter Mann, für den sein Bruder so kostbare Ideen hat! Du bist von jeher ein verschlossener Mensch gewesen; man wußte nie, was man aus Dir machen sollte; man glaubt Dir Alles! Und wir füllen eine Kiste mit Sand, das ist Sand von Golgatha, und in eine Flasche brauen wir irgend ein trübes Wasser, das ist Wasser vom Jordan. Damit machst Du alle frommen Weiber völlig toll. O, es wird ein Spaß um rasend vor Lachen zu werden. Und ein Buch mußt Du schreiben. »Erinnerungen aus dem Orient« oder »von Berlin nach Jerusalem«, »von der Spree zum Jordan«, »vom Kreuzberg bis Golgatha« oder wie es möglichst pikant heißen wird. Es wäre nicht das erste Mal, daß man eine Reisebeschreibung schriebe, ohne die Reise gemacht zu haben –
Edmund sah den Bruder an, warum er denn nicht lache; er wußte nicht, war er von Sinnen oder wollte er ihn zum Narren haben; denn Oskar sprach das Alles mit einer sehr höhnischen, aber völlig ernsten Miene, und fuhr fort: in zweimal 24 Stunden muß Alles vorbereitet sein. So lange halte Dich verborgen; dann tritt mit Eklat auf: reite im türkischen Schlafrock durch die Straßen; schreib an die Hofbuchhandlung wegen Verlagnahme Deiner Reiseskizzen, fordre das höchste Honorar, die kostbarste Ausstattung – – O Schicksal, Schicksal, warum ließest Du mich nicht auf neun Monate in die Höhle irgend welcher Verborgenheit hineinverkriechen, um als berühmter Mann, als Mann der Saison daraus neugeboren zu werden! Indessen muß ich, – mein Gott, ich vergesse ja zu thun, was ich muß. Es ist 12 Uhr, um 11 sollte ich bei der Excellenz sein. Nun auch kein Unglück! Er versprach mir, durch außerordentliches Vertraun mich zu überraschen; schenkt er mir außerordentliches Vertraun, so hat er mich außerordentlich nöthig; hat er mich außerordentlich nöthig, so kann er außerordentlich lange warten. Aber ich will gnädig sein; ich will jetzt gehen, damit ich seiner Frau noch aufwarten kann. Ich werde von Dir bei der Excellenz sprechen, ich werde Dich ihm empfehlen, und das will etwas heißen: ich bin jetzt eine sehr nothwendige Person. Folge mir in allen Dingen, und Du brauchst um Deine Zukunft nicht besorgt zu werden.
– Laß mich, erwiderte Edmund, während Oskar mit bewunderungswürdiger Schnelligkeit Toilette machte; ich besorge nichts mehr, denn ich will nichts mehr, ich habe nichts mehr zu wollen. Der Nerv meines Lebens ist durchschnitten und abgebrochen der Zusammenhang zwischen dem Denken und dem Handeln. Ich habe nicht mehr den Trieb des Geistes, nicht mehr die Kraft des Willens, ein Glied zu bewegen, von der Stelle mich zu rühren. Und wozu auch? Ich muß meinem Schicksal erliegen; ein Fatum waltet über mir; die Rache des Himmels hat mich erreicht. Darf ich noch klagen? Erfüllt sich nicht an mir der Verrath, den ich selbst begangen? Mir, der ich zuerst die Treue brach, wird jetzt die Treue gebrochen. O Cäcilie, Cäcilie! Es ist Dein Fluch, der sich an Deinem Stenio jetzt erfüllt. Und ich will büßen für Dich. Kein Glied soll sich rühren, um mich zu retten. Hier auf dem Boden bleib ich angewurzelt liegen, mögen die Henker kommen, mich zu fahnden; es ist ein gerechtes Schicksal – der Verrath, der den Verräther straft. Weh mir, ich kann nur dulden, nicht einmal klagen darf ich!
Edmund konnte solche Worte auszustoßen nur wagen, als Oskar in voller Toilette schon das Zimmer verlassen hatte.
Zu derselben Zeit lag bereits im Hotel ein Brief für ihn. Als er des Abends dorthin zurückkehrte, erbrach er ihn, nachdem er am Couvert die Hand erkannt, bebend und erblassend. Er las:
»Mein unartiger, liebenswürdiger Edmund! Und kommen Sie denn gar nicht zu mir? Sind Sie böse? Sind Sie krank? Was fürchte ich mehr? Schon 3 Tage sind Sie hier – ich weiß es sicher – aber noch nicht bei der gewesen, um deretwillen allein Sie hier sein sollten! Gewiß, Sie verkennen mich! Denken Sie etwa, mein schwärmerischer, geistvoller Poet, weil ich – wie es die Leute nennen – verheirathet bin, müßte das Band der wohlverwandten Geister sich lösen? O trautester Freund meiner Seele, haben Sie mich so wenig gekannt? Konnten Sie wirklich glauben, ich könne treulos sein unseren Idealen, ich könne den Schwur brechen, den ich Ihnen geschworen: nie eines Mannes Sklavin zu sein? Das beunruhigt mich. Reißen Sie mich bald aus meinen Zweifeln, sonst gräme ich mich. Mein Gemahl darf Sie noch nicht sehen. Um 1 Uhr treffen Sie täglich zu Pferde an der Promenade Ihre ritterliche Adele.«
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