Friedrich Gerstäcker
Der Wilddieb
Friedrich Gerstäcker

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V.

Acht Tage waren seit den beschriebenen Vorfällen verflossen. Aus dem Plan, den die Jäger mit dem Wirt gehabt, hatte dieser durchaus kein Geheimnis gemacht, und Meier besonders war von seinen Kameraden wegen der Rolle, die er dabei gespielt, empfindlich geneckt worden. Daß der Forstgehilfe dadurch nur immer noch mehr gegen den Kreiser aufgebracht wurde, den er für die alleinige Ursache des Mißlingens hielt, läßt sich denken, und als er mit ihm im Laufe der Woche wieder einmal im Dorf zusammentraf, kamen die beiden so heiß aneinander, daß sie ein zufällig in der Nähe befindlicher Gendarm trennen mußte.

Kerdelmann hatte indessen, obgleich die Jagd im Nachbarrevier noch nicht abgehalten war, fortwährend wieder Wildbraten in Überfluß gehabt. Das eine Alttier hätte dreimal so groß sein müssen, dazu auszureichen, und dennoch war es nicht möglich, die Quelle zu erfahren, aus der er sein Wild bekam. Außerdem hatten die Förster in letzter Woche zwei Schüsse nachts im Walde gehört, und zwar gegen Anbruch des Morgens hin, weiter bis jetzt aber noch keine Spur finden können. Meier äußerte immer wieder ganz offen seinen Verdacht gegen den Kreiser Schöffel, und der Haß verdoppelte seine Wachsamkeit. Wenn er ihn einmal auf der Tat ertappte, so durfte der Bursche auf keine Gnade rechnen.

Unermüdlich war Meier deshalb die ganze Nacht im Walde, und wenn er auch über Tag nach Hollendeik zurückkehrte, fand ihn der Abend doch immer wieder draußen. Dort kroch er dann, sobald der Mond aufging, in all den Dickungen umher, in deren Nähe gewöhnlich das meiste Wild stand, oder doch seinen Wechsel dort vorüber hatte.

Die Nacht vom Montag auf den Dienstag lag er solcherart auch wieder oben. Am Abend vorher war ein leichter Schnee gefallen, der aber nicht lange liegen blieb, und gegen Morgen erst erhob sich ein frischer Nordwind, der die Wolken vertrieb und die Luft bedeutend abkühlte. Der Himmel wurde dadurch aber rein, und der Mond stand hell und klar über dem schon ziemlich lichten Wald – nur im Westen türmte sich wieder eine dichte Wolkenschicht auf, die Regen oder Schnee für den nächsten Tag versprach.

Meier hatte den Kamm von einem der niederen Hügel erreicht und birschte langsam am Rand einer starken Kieferndickung hin, die, mit einem vielleicht fünfzehnjährigen Bestand, eine fast undurchdringliche Masse von ineinander gedrängten Zweigen bildete und dadurch zu einem trefflichen Schutzplatz des Wildes geworden war. Dicht daneben lag ein freier Buchenschlag, auf dem selbst jetzt noch reichliche Äsung stand, und wenn sich das Wild niedertun wollte, war es sicher, in den dichten jungen Kiefern nicht gestört zu werden. Die Kieferndickung bildete zugleich die Grenze zwischen dem Hollendeiker und Herslinger Revier.

Es dauerte auch gar nicht lange, so sah er ein Rudel von sieben Stück, zwei Hirsche mit einigen Alt- und Schmaltieren, die ganz vertraut auf ihrem Wechsel aus der Niederung langsam heraufgezogen und keine Gefahr zu ahnen schienen. Der scharfe Nordwind wehte vom Schlag herüber der Dickung zu, und Witterung konnten sie solcherart nicht von ihm bekommen. Dem Jäger lag aber daran, das Wild nicht scheu zu machen. Das laute Schrecken desselben hört man im stillen Wald außerordentlich weit, und wäre wirklich ein Wilddieb in der Nähe gewesen, würde er danach gleich gewußt haben, daß irgend ein anderer Mensch sich noch außer ihm im Walde befand. Das zu vermeiden, drängte sich der Jäger jetzt in die Dickung hinein, in der, dicht an ihrem Rand hin, ein schmaler Birschweg ausgehauen war. Auf ihm konnte man vollständig gedeckt am Schlag hinuntergehen und in gewissen kurzen Zwischenräumen diesen nicht allein übersehen, sondern mit Hilfe desselben auch überall leicht ein Wild anbirschen, das eben in Schußweite von der Dickung äste.

Hier, von den Kiefernbüschen gedeckt, wollte er das Rudel Wildbret vorüberziehen lassen und seinen Weg nachher den Hang hinunter und nach der Grenze hin fortsetzen, denn er hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, den Kreiser Schöffel endlich doch beim Wildern zu ertappen. Eine Zeitlang verhielt er sich ganz ruhig und horchte nur nach außen, ob er nicht in dem raschelnden Herbstlaub das vorüberziehende Rudel hören könne. Das Laub war aber nach dem letzten leichten Schneefall noch feucht, und da ihm die Zeit endlich lang wurde, während er zugleich fürchtete, hier zu lange aufgehalten zu werden, kroch er, vorsichtig auch das geringste Geräusch vermeidend, wieder nach dem Rand der Dickung vor, um von dort aus den Schlag übersehen zu können.

Er hatte auch kaum den Kopf frei von den dichten Büschen, unter denen er nichtsdestoweniger vollkommen versteckt lag, als er gar nicht weit von sich entfernt das Wild entdeckte. Ein Alttier mit einem Schmaltier und einem Spießer ging voraus, hinter ihm kam ein einzelnes Tier, dann folgte ein ziemlich braver Hirsch mit einem Gabler, und hinter diesem das andere ziemlich starke, wahrscheinlich gelte Tier.

Die ersten Stück waren ihm fast gegenüber und etwa fünfzig oder sechzig Schritt entfernt, als plötzlich ein Schuß aus derselben Dickung fiel, in der er selber lag, das letzte Tier mit einem jähen Satz herumflog und dann stehen blieb, während das übrige Wild in flüchtigen Sprüngen den Hang hinauffloh, und bald oben, ohne ein einziges Mal anzuhalten, über den Kamm des Hügels verschwunden war.

Meier, ohne den Blick von dem getroffenen Stück zu wenden, faßte in krampfhafter Hast sein Gewehr. Der Schütze aber, wer es auch immer gewesen, ließ sich nicht sehen, und Meiers scharfes Ohr entdeckte bald, daß er die abgeschossene Büchse wieder lud. Er hörte das Einklopfen der Kugel und wie der Ladestock bald darauf zweimal aufsaß – dann war alles wieder ruhig.

Das kranke Stück Wild machte indessen keinen Versuch zur Flucht. Es drehte sich ein paarmal auf derselben Stelle herum, auf der es stand, und hustete mehrmals. Einmal war es, als ob es auf das Dickicht zuhalten wollte, aber es konnte nicht mehr fort – fing an zu schwanken und tat sich langsam nieder. Zwei Minuten wohl hielt es hier noch den Kopf aufrecht, dann ließ es ihn auf die Seite sinken und fiel um. Meier hörte, wie es im Todeskampf mit den Läufen gegen einen jungen Busch anschlug – endlich lag es still und regte sich nicht mehr – es war verendet.

– Und noch ließ sich kein Schütze sehen. Dem Schall des Schusses und dem Geräusch des späteren Ladens nach konnte er aber kaum fünfzig Schritt von dem Lauscher entfernt gestanden haben, und wartete jedenfalls nur, ob nicht vielleicht ein Jäger in der Nähe gewesen wäre, der auf den Schuß herbeieilte. Meier jedoch war viel zu schlau, sich den bisher so zufällig gewonnenen Vorteil durch Ungeduld selber zu vernichten. Rührte er sich nur, daß der Wilderer den gefährlichen Feind in der Nähe ahnte, so brauchte der sich bloß im Dickicht zu halten, und eine Verfolgung wäre dort ganz unmöglich gewesen. Das beste blieb also, still abzuwarten, was der Bursche unternehmen würde. Hatte er dann das Dickicht verlassen, so war es ein leichtes, ihm den Weg dorthin abzuschneiden – und er nachher verloren.

Eine gute halbe Stunde lag der Jäger solcherart noch auf der Lauer, ohne daß sich auch nur das geringste gerührt hätte. Nur der kalte Morgenwind rauschte durch die Kieferndickung und trieb raschelnde Blätter aus den schon ziemlich leeren und einzeln auf dem Schlag stehenden Buchen nieder. Da entdeckte Meier endlich eine dunkle Gestalt, die geräuschlos aus dem Dickicht heraus- und der Stelle zuschlich, wo das verendete Tier lag, und das Herz klopfte ihm dermaßen in der Brust, daß er kaum Atem holen konnte.

Jetzt war aber auch nicht mehr viel Zeit zu verlieren. Sowie der Wilderer seine Beute aufgebrochen hatte, verließ er natürlich augenblicklich den für ihn gefährlichen Platz, und die Grenze war kaum zweihundert Schritt entfernt. Der Forstgehilfe glitt deshalb so rasch, aber auch so geräuschlos als irgend möglich zu dem Birschweg zurück, bis er sich seiner Meinung nach in einer Höhe mit dem Wilddieb befand. Dann schlich er wieder dem Rand des Schlages zu, und hätte vor Freude fast laut aufgeschrien, als er dort zufällig an die von dem Wilddieb zurückgelassene Büchse stieß. Im Nu entfernte er das schon wieder aufgesetzte Zündhütchen davon – hatte er den Frevler doch jetzt sicher – und richtete sich eben auf, ihn anzuspringen. Da fand er, daß auch das nicht nötig war.

Der Wilddieb, der keine Ahnung haben konnte, daß er so nahe von seinem gefährlichsten Feind belauscht worden, mochte sich doch auf dem offenen Schlag, selbst für die kurze Zeit, die er zum Aufbrechen des Wildes brauchte, nicht sicher fühlen. Er hatte deshalb seine vorher wieder geladene Büchse auf den Rand gestellt, von dem aus er geschossen, und war eben nur hinausgegangen, das erlegte Wild in die Kiefernbüsche zurückzutragen.

Das erlegte Tier hob er sich auch, trotz des nicht unbedeutenden Gewichts, unaufgebrochen auf die Schulter, und kam jetzt gebückt unter der Last gerade auf die Stelle zu, auf der Meier, die gespannte Doppelflinte im Anschlag, seiner harrend stand.

Das Gesicht des Wilderers konnte der Jäger noch nicht sehen, denn der Mond stand gerade hinter ihm, während er durch das Wild hinter ihm ganz in den Schatten kam. Überdies fing sich der Himmel schon an mehr und mehr zu umziehen. Mit jedem Schritt kam aber der Wilderer auch näher, bis er endlich dicht vor dem Jäger und kaum noch fünf Schritt von der Dickung entfernt stand.

Weiter durfte er ihn nicht lassen, wenn er sich nicht der Gefahr aussetzen wollte, daß ihm der Bursche, sowie er sich entdeckt sah, doch noch entsprang.

»Halt!« donnerte ihm das Schreckenswort entgegen – »bei dem ersten Schritt, den du weiter tust, schieß' ich dich über den Haufen!«

Der Wilddieb zuckte zusammen, und fast unwillkürlich ließ er das erlegte Stück von den Schultern zur Erde niedergleiten. Aber er rührte sich nicht von der Stelle; als er jedoch den Kopf ein wenig gegen den Jäger erhob, rief dieser in vollem Erstaunen laut aus:

»Kerdelmann – zum Teufel auch – das ist allerdings eine Überraschung! Das war vortrefflich abgefaßt.«

»Guten Morgen, Herr Meier,« sagte der Wirt, ohne im mindesten seine Fassung zu verlieren – verdeckte doch der Hut sein Antlitz wenigstens so weit, daß der Jäger die Totenblässe nicht sehen konnte, die sich über seine Züge stahl – »schon so früh im Wald?«

»Etwas zu früh für Euch, wie mir scheint,« lachte der Forstgehilfe im vollkommenen Triumph der gelungenen List. »Ihr wißt aber, daß Ihr mein Gefangener seid. Bleibt da stehen, wo Ihr steht, denn der erste Schritt, den Ihr zu machen versucht, und ich schieße Euch eine Ladung Nr. 3 in die Beine.«

»Haben Sie keine Angst, Herr Meier,« versetzte der Wirt ruhig. »Ich habe gefehlt und muß nun die Folgen tragen. Würde mir auch verwünscht wenig helfen, wenn ich davonlief, denn mein Wirtshaus könnt' ich doch nicht mit mir auf dem Rücken fortnehmen, und erkannt haben Sie mich nun einmal.«

»Macht daher keine weiteren Umstände,« sagte der Jäger, ohne jedoch seine Stellung, das Gewehr im Anschlag, zu verändern; »brecht das Stück auf und schultert es dann wieder, und kommt mit mir ins Forsthaus hinunter, daß ich die Anzeige machen kann. Euer Gewehr werde ich schon selber mitnehmen.«

»Hm – ja,« sagte der Wirt, indem er sein Taschentuch herausnahm und sich die Stirn abwischte – es war ihm warm dabei geworden, als er das schwere Stück hier herübergetragen hatte – »das habe ich mir so gedacht, daß es in ähnlicher Weise kommen würde, wenn der Böse einmal sein Spiel hätte, aber – vielleicht gibt's noch einen andern Ausweg –«

»Für Euch keinen, Kerdelmann,« wehrte finster der junge Forstmann ab. »Ihr habt die Sache zu arg getrieben, samt Eurem Helfershelfer, dem roten Schöffel. Nein, ich will nicht die ganze Woche hier umsonst in Nacht und Nebel herumgezogen sein.«

»Das sollen Sie auch nicht, Herr Meier,« sagte der Wirt, »aber Sie sind ein vernünftiger Mann, und ich denke, man kann ein vernünftiges Wort mit Ihnen reden.«

»Euer Reden wird Euch wenig helfen,« brach der Jäger ab, »werft das Stück aus und macht, daß wir ins Dorf hinunter kommen, denn ich denke mir, es wird Euch doch wohl selber lieb sein, wenn wir Hollendeik noch vor Tag erreichen.«

»Darin haben Sie allerdings recht, Herr Meier,« sagte der Wirt, »ich werde Sie aber nicht lange aufhalten, und ich denke, was ich Ihnen zu sagen habe, ist des Anhörens wert.«

»So macht es kurz – was ist es? Glaubt aber nicht etwa, daß Ihr mich nur sicher machen wollt, um in das Dickicht zu entspringen.«

»Ich denke gar nicht daran, Herr Meier,« entgegnete der Wirt, indem er sich auf das neben ihm liegende Stück Wild setzte und seinen Rock zuknöpfte, denn es fing ihn an zu frösteln – »will's auch so kurz als irgend möglich machen. So hören Sie denn. In früherer Zeit hatte mein Vater dort, wo wir wohnten, eine große Jagd gepachtet, und ich wurde von Jugend auf zum Schießen angehalten – auch bald ein sicherer Schütze –«

»Aber Ihr habt auf unseren Scheibenschießen nie etwas getroffen,« unterbrach ihn Meier.

»Man braucht den Leuten eine solche Fertigkeit nicht auf die Nase zu binden,« meinte der Wirt trocken. »Ich wurde also ein leidenschaftlicher Jäger, und als ich hierher übergesiedelt war, versuchte ich umsonst von den Förstern die Erlaubnis zu bekommen, mit auf die Jagd zu gehen – ich ward abgewiesen und abgewiesen.«

»Ich denke, wir haben gute Ursach' dazu gehabt.«

»Vielleicht doch nicht,« sagte Kerdelmann. »Hätt' ich manchmal draußen mitschießen dürfen, so würde ich kaum je an ein Wilddieben gedacht haben. So aber, da ich mich von meiner Passion ausgeschlossen sah, ließ mich der Jagdteufel nicht ruhen noch rasten, und ich –«

»Aber das gehört alles nicht hierher,« unterbrach ihn der Jäger ungeduldig.

»Ich erzähle es Ihnen nur, um Ihnen zu beweisen, daß ich nicht des elenden Gewinnes wegen, sondern nur aus unüberwindlicher Leidenschaft die gefährliche Liebhaberei getrieben habe. Ein Jäger weiß das zu schätzen, und ich glaube, es gibt wenig Jäger in der Welt, die nicht wildern würden, wenn man ihnen auf einmal verbieten würde, eine Flinte zu tragen.«

»Und wenn Ihr auch recht hättet,« sagte Meier, »so hilft Euch doch alles nichts in diesem Fall. Ob das Gesetz darin einen Unterschied macht, weiß ich nicht, aber Eurer Strafe werdet Ihr nicht entgehen.«

»Das will ich auch nicht, Herr Meier,« sagte der Wirt gelassen, »es ist mir nur nicht einerlei, wem ich sie bezahle, und ich glaube, wir beide könnten das allein miteinander abmachen.«

»Wir beide?« sagte der Jäger erstaunt, »wie meint Ihr das?«

»Das will ich Ihnen schon sagen,« erwiderte Kerdelmann. »Daß mich die Geschichte, wenn sie vor die Gerichte kommt, ins Teufels Küche bringt, wissen Sie so gut wie ich, daß sie aber nicht vor die Gerichte kommt, das liegt noch in Ihrer Hand.«

»In meiner Hand? – da irrt Ihr Euch, guter Freund. Sobald ich die Anzeige gemacht habe, tun die Gerichte, was ihnen gefällt, und ich bin dann weiter nichts als ein Zeuge. Aber das Geschwätz fruchtet nichts – macht, daß wir fortkommen; Ihr habt Euch selber zuzuschreiben, was Euch heut betroffen hat.«

»Noch einen Augenblick, Herr Meier,« bat Kerdelmann, der nur mit Gewalt die furchtbare Aufregung bezwang, in der er sich befand, und äußerlich auch wirklich ganz ruhig schien – »sind wir erst einmal unten, so läßt sich allerdings nichts weiter in der Sache tun, von keinem von uns beiden, und ich – möchte daher nichts übereilen.«

»Aber was wollt Ihr sonst noch?«

»Entweder,« sagte der Wirt, »werde ich um Geld gestraft, und dann macht mich der Prozeß zu einem armen Mann, während Sie nichts davon haben als etwa eine Belobung von oben – und vielleicht die nicht einmal – oder – sie stecken mich ins Gefängnis, und dann – ist die Sache noch schlimmer.«

»Das letztere geschieht jedenfalls; darauf könnt Ihr Euch verlassen.«

»Ich glaube es auch, Herr Meier, und das – fürchte ich gerade. Ich mache Ihnen deshalb einen Vorschlag. Ihr Gehalt ist nicht zu brillant, und was haben Sie davon, einen armen Teufel ins Unglück zu reiten, da es noch ganz in Ihrer Hand liegt es zu verhindern. Zeigen Sie mich also diesmal noch nicht an, Herr Meier – Sie haben das Tier selber hier an der Grenze geschossen oder wie Sie es sonst einrichten wollen, und ich zahle Ihnen, wenn Sie mit mir hinüber in mein Haus kommen, fünfhundert preußische Taler auf einem Brett aus.«

»Ihr seid verdammt splendid heute morgen, Kerdelmann,« entgegnete der Jäger, »und es ist möglich, daß Ihr den Schöffel um weniger gekauft habt. Laßt Euch aber derartige Gedanken vergehen. Eurer Angst vor der Strafe will ich es zu gute halten, daß Ihr mir hier den nichtswürdigen Antrag macht, mich zu bestechen. Damit ist die Sache nun aber auch vorbei. Jetzt brecht das Tier auf und macht, daß wir damit hinunterkommen, denn es fängt wahrhaftig an zu schneien, und ich habe Euch zulieb schon genug Nächte hier oben geopfert.«

»Wenn ich nun mehr –«

»Spart Euer Geld, auch wenn Ihr viel reicher daran wäret, als ich an Latein,« schnitt ihm der Jäger das Wort ab – »und wenn Ihr mir tausend, ja fünftausend Taler bötet, es hilft Euch nichts. Ich nähme sie nicht für diesen Augenblick, da ich Euch endlich einmal erwischt und das Handwerk gelegt habe. Das ist mein letztes Wort in der Sache. Der Himmel wirft den Schnee schon dicker, und wir müssen machen, daß wir ins Dorf hinunter kommen.«

»Wenn Sie nicht anders wollen,« sagte jetzt Kerdelmann mit einem aus tiefer Brust geholten Seufzer, indem er langsam aufstand – »so bin ich freilich verloren, ohne daß ich mich darüber beklagen darf. Ich habe eben gefrevelt und muß dafür büßen.«

»Wenn Ihr das einseht, um so besser für Euch. Die Gerichte lassen Euch vielleicht gelinder durch, als Ihr denkt, und Ihr kommt mit ein paar Jahren davon. Aber jetzt sputet Euch, daß Ihr zustande kommt.«

»Das soll bald geschehen sein, Herr Meier,« versicherte der Wirt, der jetzt, da ihm die letzte Hoffnung abgeschnitten, ganz in sich zusammengebrochen schien. Dem Befehl des Jägers gehorchend, zog er seinen Genickfänger aus der Tasche, brach das Stück Wild weidgerecht auf und bog sich dann nieder, es auf seine Schultern zu heben.

Das ging nicht.

»Der Schrecken ist mir so in die Glieder geschlagen,« sagte er leise, »daß ich meine Kraft verloren habe – sonst hätt' ich zwei solcher Dinger auf einmal aufgenommen.«

Meier stand noch immer, das gespannte Gewehr in der Hand, neben ihm, und ein hämisches Lächeln zuckte dabei um seine Lippen. Hatte er doch jetzt den verhaßten Feind, auf frischer Tat ertappt, in seiner Gewalt und konnte ihn seiner Strafe entgegenführen. Und wie war der sonst so hochmütige Bursche auf einmal so zahm und höflich geworden – fünfhundert Taler wollte er geben, wenn ich ihn laufen ließ? – Meier lachte still in sich hinein und hätte in diesem Augenblick wirklich kein Geld der Welt genommen, sich den Triumph entgehen zu lassen, daß er seinem Förster den ertappten Wilddieb brachte.

Dieser hatte sich indessen zweimal vergebens bemüht, das Tier auf die Schultern zu bringen. Wenn er es beinahe oben hatte, glitt es ihm jedesmal wieder hinunter, und er sagte endlich:

»Es geht nicht, Herr Meier. – Ich weiß nicht, woher es kommt, aber die Kniee zittern mir so merkwürdig. Entweder wir müssen es zusammen an einem Stocke tragen, oder ich schleife es ins Dorf, wenn auch die Decke ein bißchen gescheuert wird, oder lassen Sie es lieber hier liegen und später von jemand abholen.«

An das letzte hatte Meier auch schon gedacht, den Wirt aber so frei mitzunehmen, dazu traute er ihm nicht genug. Sie mußten unterwegs eine kurze Strecke durch ein zweites Dickicht gehen, durch das der Weg hinlief, und wenn ihm der Wirt da entsprang, hätte er ihm die ganze Sache nachher rundweg abgeleugnet. Unverschämt genug wär' er dazu gewesen. – Mit dem Schleppen des Wildes ging es aber auch nicht gut. So wie sie den Berg hier hinunter waren, mußten sie drüben wieder an einer ziemlich steilen Höhe hinauf, und mittragen wollte Meier nicht – konnte er doch in dem Falle nicht schußfertig bleiben.

»Es wird schon gehen, Kerdelmann,« sagte er deshalb, »versucht es nur noch einmal.«

Der Wirt gehorchte und hob sich das Tier ziemlich auf die Schulter, aber ganz hinauf brachte er es noch immer nicht. So stand er einen Augenblick, herüber und hinüber schwankend.

»Wartet – bleibt stehen wie Ihr steht,« sagte der Jäger, die gespannte Doppelflinte in die rechte Hand nehmend, während er auf den ihm jetzt den Rücken zukehrenden Wirt zutrat, »ich werde von unten nachdrücken.«

Der Wirt stand nach vorn gebückt, das Stück Wild hing ihm etwa auf halbem Rücken. Der Jäger half ihm mit der linken Hand die Last vollends in die Höhe heben, hatte ihn jedoch noch immer in Verdacht, daß er bloß auf einen günstigen Moment warte, in das Dickicht hinein zu entschlüpfen. Der Wilddieb aber dachte an etwas ganz anderes.

»Jetzt kommt es, Herr Meier,« sagte er, und die Stimme zitterte ihm dabei, vielleicht von der Anstrengung, mit der er heben half, »nur noch ein klein wenig mehr auf der rechten Seite, daß ich die Läufe über die Schulter herüberziehen kann – nachher heb' ich es schon allein hinauf – so.«

Meier bückte sich etwas, um das schwere Stück besser drücken zu können, und der Wirt bückte sich noch ein klein wenig mehr – aber nicht um das Stück Wild mehr aufzuziehen. Mit Blitzesschnelle glitt er darunter weg, daß es mit schwerem Fall zu Boden stürzte, und hatte in demselben Augenblick auch den Forstgehilfen, ehe dieser zurückspringen konnte, um den Leib gefaßt.

»Bestie!« schrie dieser und suchte den Lauf des Gewehres gegen ihn zu drehen – aber es war zu spät. Die linke Hand des Wirtes klammerte sich um seinen Hals, und während er einen stechenden Schmerz in der Seite fühlte, wurde er hintenüber und zu Boden geworfen.

»Hilfe!« wollte der Unglückliche rufen, aber keinen Laut brachte er mehr aus der wie mit eiserner Klammer zugeschnürten Kehle, und wieder und wieder begrub der Wilderer sein Messer in der zuckenden Brust des Opfers, bis dieses still, regungslos und verblutend vor ihm lag. Meier war tot.

»Wenn ich denn doch ins Zuchthaus soll, bringst du mich wenigstens nicht hinein, mein Bursche,« raunte Kerdelmann der Leiche zu. »Gern hab' ich's nicht getan, aber – du hast es nicht besser haben wollen und bist jetzt unschädlich gemacht. Aber was weiter? – Eine verteufelte Geschichte bleibt's immer, und ein wahres Glück nur, daß ich nicht im Verdacht des persönlichen Wilderns stehe. Wenn ich unbemerkt nach Hause komme, kann noch alles gut gehen – allein die Leiche hier?«

Er blieb, beständig das blutige Messer in der Hand, mehrere Minuten lang in tiefem, düsterem Brüten neben dem toten Körper stehen, dann aber, wie plötzlich zu einem Entschluß gekommen, schleuderte er erst den Stahl in das Dickicht und hob dann die Leiche vom Boden auf, sie ebenfalls dort hinein zu tragen. Das war bald geschehen, auch das geschossene Wild brachte er in den Schutz der dichten Zweige, und ließ sogar den AufbruchDie ausgeworfenen Eingeweide eines Wildes. nicht zurück.

Es schneite fort und der Wind trieb, nach Nordwest umgesprungen, eine Masse neuer Wolken am Himmel empor, die sich in immer dickeren Flocken entluden. So günstig ihm aber auch der Schneefall für später sein konnte, so großer Gefahr setzte sich Kerdelmann aus, wenn er jetzt länger zögerte. Der Morgen mußte sehr nahe sein, und wenn er seine eigene Wohnung nicht noch unter dem Schutz der Dunkelheit erreichte, – wenn ihn auch nur eine einzige Seele im Ort sah, so mußte sich der Verdacht unmittelbar gegen sein Haupt wenden.

Sein eigenes Gewehr hatte er dem Toten schon wieder abgenommen, aber auch dessen Doppelflinte griff er nun auf, legte sie zu der Leiche ins Gebüsch, und eilte dann, so rasch er konnte, den Schreckensplatz zu verlassen.

 


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