Friedrich Gerstäcker
Der Wilddieb
Friedrich Gerstäcker

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III.

Die Dorfuhr hatte noch nicht lange zehn geschlagen, als Meier, der Forstgehilfe des Hollendeiker Reviers, den schmalen Pfad herunterkam, der aus dem Wald gerade auf das Wirtshaus zu und um dessen kleinen Garten herumführte. Mit dem Terrain hier vortrefflich bekannt, verließ er am Gartentor den Weg, sprang über den niederen Zaun und schritt durch die schon ziemlich kahlen Beete der Hintertür des Hauses zu. Diese wollte er eben öffnen, als er dicht neben sich ein helles Tuch schimmern sah.

»Margarete?« rief er etwas erstaunt, die Wirtstochter hier draußen zu finden, »bist du es, Schatz? – was tust du noch so spät hier im Garten?«

»Flaschen hab' ich herausgetragen, Herr Meier,« sagte das Mädchen schnell gefaßt, und es war gut, daß Meier in der Dunkelheit nicht erkennen konnte, wie sie über und über rot geworden war. – »Die Herren da drinnen haben ja einen solchen Durst, daß man gar nicht weiß, wohin man mit den leeren Flaschen soll.«

»Wo ist denn der Vater, Gretchen?« sagte Meier und suchte dabei ihre Hand zu fassen, die sie ihm aber entzog.

»Drin in der Stube ist er,« lautete die Antwort, »gehen Sie nur hinein, wenn Sie ihn sprechen wollen.«

»Aber ich will ihn gar nicht sprechen, Gretchen,« sagte der junge Forstmann, »sondern dich, und daß ich dich jetzt gerade hier finde, hätte sich nicht besser treffen können. Warum bist du denn immer so häßlich gegen mich?«

»Ich – häßlich mit Ihnen, daß ich nicht wüßte,« sagte das Mädchen und suchte den Arm frei zu bekommen, den er erfaßt hatte; »aber lassen Sie mich nur los. Was sollten denn die Leute denken, wenn uns hier jemand sähe. Ich gehöre hinein – Vater wird mich gleich rufen.«

»Gretchen – ich muß dich etwas fragen, ehe ich dich loslasse,« sagte aber der junge Forstgehilfe dringender, – »solche Gelegenheit findet sich so bald nicht wieder.«

»Aber wenn Sie mich 'was fragen wollen, so tun Sie's drinnen beim Licht,« rief das Mädchen, das sich vergebens abmühte frei zu werden, »lassen Sie mich los, sag' ich, oder ich rufe um Hilfe!«

»Und willst du denn gar nichts von mir wissen, Gretchen?« seufzte der Jäger, der sie jetzt notgedrungen freigeben mußte.

»Hier draußen nichts,« lautete die kurze Antwort. »Schämen Sie sich, Herr Meier, Sie haben mich gedrückt, daß mir der Arm morgen blau und braun sein wird.«

»Aber, bestes Mädchen –«

»Ja, da hätt' ich Zeit,« sagte die Dirne, sprang ins Haus und trat dort in die Küche, deren Tür sie hinter sich zuwarf. Meier aber, mit einem halblaut gemurmelten Fluch, ging in das indessen auch ziemlich leer gewordene Wirtszimmer, dort den noch auf ihn wartenden Förstern Bericht abzustatten. Er hatte das heute geschossene Tier herunterschaffen lassen, und Schöffel sollte, wenn er vom Hirschenwirt zurückkam, noch hier vorsprechen, um seine Meldung zu machen, ob der Wildhehler in die Falle gegangen sei oder nicht.

Draußen auf dem Gange hinter der Küchentür horchte Margarete indessen, bis sie die Bahn frei wußte, und schlüpfte dann, als sie hörte, daß der Jäger in der Stube war, rasch wieder hinaus in den Garten.

Dort trat ihr ein Mann entgegen, nahm sie ohne weiteres beim Kopf und küßte sie herzhaft ab. So böse das Mädchen aber vorher gewesen war, so widerstandslos ließ sie sich die Liebkosung jetzt gefallen. Die Angst jedoch, daß der Jäger jeden Augenblick zurückkommen könne, gab ihr keine Ruhe. Sie drängte den ungestümen Freund leise von sich und sagte bittend:

»Du darfst heut nicht länger hier bleiben, Joseph; das ganze Haus wimmelt von Jägern, und wenn dich hier einer von ihnen träfe, wär' ich verloren. Mein Vater schlüge mich tot. Sie sind so entsetzlich böse auf dich, alle miteinander.«

»Aber auf dich nicht,« entgegnete Kerdelmann – denn kein anderer war der späte heimliche Gast – »was wollte der Laffe da erst von dir?«

»Was weiß ich's!« schmollte das Mädchen – »ich konnte den zudringlichen Menschen kaum los werden. Warst du schon hier?«

»Ich stand hinter den Bienenkörben, und wär' es nicht deinetwegen gewesen, ich hätt' ihn lehren wollen mein Gretchen zu ärgern. Der Lump, der Meier war's vom hiesigen Revier.«

»Er schleicht mir auf Schritt und Tritt nach,« klagte Margarete, »und hat schon gedroht, daß er beim Vater um mich anhalten wolle. Seine Eltern sind reich, und wer weiß, zu was mich die meinigen zwingen.«

Kerdelmann biß die Zähne aufeinander.

»Ich glaube, er wär' es imstande und nähm' eine Frau, auch wenn er sie mit Gewalt zum Altar schleppen müßte. Daß er mir nur nicht einmal verkehrt in den Weg läuft, denn in dem Fall möcht' ich ihm die Heiratsgedanken wohl vertreiben.«

»Nimm dich vor den Jägern in acht!« flehte das Mädchen. »Sie führen dir Schlimmes im Schilde, und heut abend ward schon wieder 'was wider dich ausgeheckt.«

»Heut abend?« fragte Kerdelmann. »Was war es?«

»Ja, ich konnt' es nicht deutlich verstehen,« sagte das Mädchen, »denn wie sie mich am Tisch sahen, schwiegen sie still – aber es war von einem Rotkopf die Rede und vom Hirschenwirt, und der Meier wollte es besorgen.«

»Was wird's sein,« lachte der Wirt, »die alte Geschichte. Laß dir das keine Sorge machen – Joseph ist ihnen doch allen zu schlau. Aber – ich dank' dir schön für die Nachricht; seh' ich doch dran, daß du aufpassest, wenn sie mir 'was anhaben wollen. – Übrigens geht mir die Geschichte mit dem Meier im Kopf herum –«

»Daß er's besorgen will?« frug das Mädchen erschreckt.

»Ach was, mag er besorgen was er will! Nein, daß er um dich anhalten wird. Ich denk', ich komm ihm zuvor und – tu's selber.«

»Der Vater sagt im Leben nicht ja!« seufzte das Mädchen. »Er mag dich ebensowenig leiden wie der Meier, und gäb' seine Einwilligung nimmer zu unserer Heirat.«

»Und gingst du mit, wenn ich fortzöge von hier?« forschte der Wirt, indem er das Mädchen fester an sich zog.

»Die Mutter stürb', wenn ich ihr davonlief,« flüsterte Margarete, ihre Stirn an seine Schulter lehnend.

Kerdelmann zog seine Brauen finster zusammen und sagte endlich:

»Und was wird aus uns? Haben deine Eltern überhaupt das Recht, zwei Herzen voneinander zu reißen? – Haben –«

»Bst,« flüsterte das Mädchen, und drängte ihn ängstlich zurück und dem dunkeln Bienenstand wieder zu, denn ihr scharfes Ohr hatte die Hoftür knarren hören, und gleich darauf sahen sie, wie eine dunkle Gestalt sich dem Hause näherte und darin verschwand.

»Wer war das?« flüsterte Kerdelmann.

»Ich weiß es nicht,« erwiderte Margarete ebenso leise; »aber ich muß hinein, denn ich könnte vermißt werden. Komm auch morgen nicht her, Joseph, die Jäger werden noch hier bleiben, und wir dürfen uns der Gefahr nicht aussetzen, entdeckt zu werden. – Übermorgen sind sie wieder fort – gute Nacht.«

»Gute Nacht, Margaret'!« sagte der junge Mann und zog das Mädchen nochmals in seine Arme, denen es sich endlich langsam entwand und mit einem letzten Händedruck dem Haus wieder zueilte. Hier aber streckte sie eben den Arm aus, die Türklinke zu erfassen, als ihr zwei Männer entgegentraten – Meier und der Kreiser Schöffel.

»Alle Wetter, Gretchen,« rief Meier, als er sie erkannte, »noch immer Flaschen in den Hof getragen? Dir muß es ja hier draußen sehr gefallen, mein Schatz, daß du fortwährend in dem dunkeln Garten steckst!«

»Was ich tue, geht niemandem etwas an,« sagte das Mädchen, glitt an den beiden vorbei und rasch in das Haus hinein.

»Nu, nu,« brummte Meier hinter ihr her, »daß ich der spröden Jungfer nur nicht auf die Spur komme mit ihrer schrecklichen Sittsamkeit. Möchte wirklich wissen, ob wir hier nicht ein heimliches Stelldichein gestört haben – verwünschte hochnäsige Dirne – na wart', dir werd' ich einmal aufpassen. – Also Ihr tut jetzt, was Ihr übernommen habt, und morgen früh um neun, nicht wahr?«

»Morgen früh um neun,« sagte der andere, und ging ohne weiteren Gruß um das Haus herum und wieder zur Hoftür hinaus. Meier blieb noch eine Weile auf seiner Stelle und horchte in den Garten hinein – dann musterte er den Bienenstand, als ob er dort jemanden suche – aber er konnte nichts finden und kehrte langsam in die Wirtsstube zurück.

Schöffel hatte indessen das in die Wildkammer des Försterhauses geschaffte Stück Wild aufgeladen und schritt damit dem Roten Hirsch zu. Er hatte tüchtig daran zu schleppen. Ein stämmiger Mann jedoch wie er war, brachte er es die kurze Strecke schon fort, und blieb nur einmal unterwegs stehen, weil es ihm war, als ob er jemanden hinter sich höre – es mußte aber Täuschung oder auch vielleicht der Schall seiner eigenen Schritte in der leeren, dunkeln Straße gewesen sein, und ohne sich weiter daran zu kehren, setzte er seinen Weg fort.

Bald erreichte er durch die offen gelassene Hintertür den Hof des Hirsches, und als er das Wild an der bezeichneten Stelle abgelegt, wollte er den Wirt rufen, um es ihm selbst zu überliefern. Der war aber, wie ihm das Mädchen unten in dem noch offenen Haus sagte, schon vor einer halben Stunde zu Bett gegangen, und dann durfte ihn niemand wecken. Morgen früh sei er jedoch beizeiten munter, und wenn er wolle, könne er da wieder vorkommen.

»Nicht vor neun Uhr,« versetzte Schöffel, und entfernte sich.

 


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