Friedrich Gerstäcker
Unter den Pehuenchen
Friedrich Gerstäcker

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18. Kapitel

Das war eine bitterböse Nacht gewesen, und eine elendere hatten die Deutschen wohl kaum in ihrem Leben verbracht. Der furchtbare Sturm gestattete ihnen nicht einmal, daß sie sich wenigstens eingehüllt hielten, denn überall riß er ihnen die Decken weg, die dann der Regen augenblicklich durchnäßte. Während sie übrigens nur das momentane Leiden beklagten, fügte sich Don Enriques Herz mit banger Sorge, denn nur zu gut kannte er die Wirkung, welche dieser letzte Regen auf den Strom ausüben mußte, und er sah dabei keine Möglichkeit, ihn mit seinem Gepäck zu kreuzen. Auch Cruzado kehrte nicht zurück – hatte auch dieser ihn verlassen? Aber der Alte Mann war nicht gesonnen, sich durch die Flut allein von seinem Kinde trennen zu lassen, ohne wenigstens das Äußerste zu wagen.

Von seinen Begleitern glaubte er sich auf Don Carlos noch am meisten verlassen zu können. Diesen und José ließ er zum Schutz seiner Sachen zurück; er selber war fest entschlossen, mit seinem braven Pferd den Übergang zu wagen, ehe es zu spät würde. Man konnte ihn nicht gewaltsam hier zurückhalten wollen. Wie deshalb kaum der Tag im Osten graute, weckte er den neben ihm schlafenden José und ließ sich sein Pferd satteln. Noch lag alles um ihn her fest in die nassen Decken eingehüllt, da der Regen erst gegen Morgen nachließ; gut genug aber hatte er sich die Stelle gemerkt, wo Cruzado gestern das Wasser gekreuzt, und wenn es auch etwas in der Nacht gestiegen war, zeigte sich das doch noch nicht so bedeutend, um ihm den Übergang auch nur zu erschweren. Sein Schimmel, ein prachtvolles Tier, nicht zu groß, aber voll Feuer und Leben, nahm auch die Flut ohne Weigern an und stemmte sie kräftig mit der starken Brust; ja, als ihn der Reiter, auf der Sandbank angelangt, einzügeln wollte, um dort zu rasten, duldete er es nicht einmal. Mit trotzigem Schnauben schüttelte er den Kopf, warf sich rasch wieder in das tiefe Wasser hinein und schwamm zum anderen Ufer hinüber.

Hoch auf dessen Rand standen zwei dunkle Gestalten, die den Übergang des alten Mannes beobachtet und ihm mit Interesse gefolgt waren: Mankelav und Cruzado. Beide wußten, daß ihm Jenkitruss, wenn darum befragt, nie würde die Erlaubnis gegeben haben, über den Strom zu kommen; gegen das Geschehene aber konnte er nichts einwenden und noch weniger dem Vater zürnen, daß er alles daran setzte, seine Tochter wiederzugewinnen.

»Bueno!« nickte Cruzado leise vor sich hin, als er sah, daß der Schimmel so mutig, und jedes Ausruhen verschmähend, über die Sandbank drängte; »ein wackeres Tier, wahrhaftig, und flüchtig dabei wie der Wind. Ich glaube nicht, daß eins der Pehuenchenpferde imstande wäre, ihn draußen in den Pampas einzuholen.«

»Er schwimmt gut,« nickte Mankalav; »aber was jetzt? Deine Deutschen scheinen da drüben noch zu schlafen.«

»Und in das Gepäck und all' die Geschenke werden sich Tchaluaks Leute teilen, wenn der Strom anfängt zu steigen.«

»Gleich hinter der Biegung dort drüben,« sagte Mankelav, »liegt ein Floß, das wir gebaut haben, als wir herkamen.«

»Ha, Bueno!« rief Cruzado, den Gedanken rasch aufgreifend; »was kann Jenkitruss dagegen sagen, daß wir das Eigentum des Fremden herüberschafften, wenn er selber schon allein herübergekommen.«

Mankelav stand noch einen Moment und blickte nachdenkend vor sich nieder, endlich sagte er entschlossen: »Empfange du deinen Freund hier und überlaß mir das Weitere. Spricht jemand dort drüben unsere Sprache?«

»Ja – der Diener des Chilenen, José – er war schon öfter mit Händlern in der Pampas.«

»Es ist gut.« Und ohne sich weiter um den Chilenen zu kümmern, der indessen das Ufer erreicht hatte und sein Tier am Zügel hinaufführte, schritt er rasch zwischen die Zelte hinein.

»Und hast du sie gesehen? – Ist sie hier?« war des Vaters erste Frage, die er dem Halbindianer entgegenrief; was kümmerte ihn die eben überstandene Gefahr, was all' sein Eigentum, das er da drüben in den Händen fremder Menschen zurückgelassen, nur nach dem Kind fragte er, nach dem lieben Kind, und in zitternder Hast erfaßte er dabei Cruzados Arm.

»Ich weiß nicht, ob sie hier ist, Don Enrique,« lautete dessen ruhige, aber nicht entmutigende Antwort, »doch glaube ich es. Gesehen habe ich sie noch nicht.«

»Und Jenkitruss? Oh, wenn ich an jene furchtbare Stunde denke, in welcher er mein Kind, mein armes, armes Kind ergriff und zu sich in den Sattel riß; und jetzt soll ich ihm wieder begegnen?«

»Er ist hier – dort drüben liegt sein Zelt.«

»Ach, so laß uns zu ihm!«

»So rasch geht das nicht,« sagte Cruzado kopfschüttelnd. »Mankelav, der Bruder des Kaziken, ist fort, um deine Sachen auf einem Floß herüberzuschaffen. Nach dem Regen der letzten Nacht wird der Fluß rasch steigen, und es wäre nachher nicht mehr möglich. Wir müssen warten, bis er zurückkehrt. Er ist uns freundlich gesinnt, und wenn durch irgendeines Menschen Beistand, erreichen wir vielleicht unser Ziel durch den seinen – nie aber ohne ihn.«

»Es ist gut, Cruzado,« sagte der alte Mann, durch das ewige Warten und Harren schon fast wie gebrochen, »ich will dir folgen, ich glaube, du meinst es gut mit mir.«

»Dann kommt mit in das mir angewiesene Zelt, wir zünden ein Feuer dort an, und Ihr könnt Eure Kleider trocknen. Bis Mankelav zurückkehrt, haben wir Zeit genug dazu. Nachher bereden wir das Weitere.«

Damit schritten die beiden Männer dem nicht fernen Zelte zu, als ihnen der Argentiner entgegentrat.

»Don Enrique!« rief dieser, »ist es möglich, Ihr selber hier in der Pampas; ich habe Euretwegen viel zu leiden gehabt.«

»Don Pedro!« rief der Chilene fast erschreckt aus, »oh, Ihr müßt wissen, wie es meinem Kinde geht.«

Ein Indianer sprengte den Weg herab, als er aber den Gefangenen mit den Fremden verkehren sah, warf er sein Pferd herum, und den Argentiner mit dem stumpfen Ende seiner Lanze in die Seite fahrend, daß dieser zusammenknickte, rief er aus:

»Warte, du argentinischer Schuft! Ist dir nicht verboten worden, mit irgendeinem Fremden zu verkehren? Willst du deinen Hals vor der Zeit abgeschnitten haben? Tureopan kommt zeitig genug! Fort mit dir in dein Zelt, oder ich kitzele dich mit der scharfen Spitze.«

Der Argentiner verbiß augenscheinlich mit großer Mühe den Schmerz, und während sein Blick mit tödlichem Haß nach dem Indianer hinüberschoß, sagte er nur: »Ein alter Freund, den ich hier fand.«

»Fort mit dir!« befahl der Indianer, ohne sich um die beiden anderen Fremden nur zu kümmern, und der Weiße gehorchte scheu dem Befehl, denn er wußte aus bitterer Erfahrung, wie rücksichtslos und grausam diese Wilden irgendeinen Ungehorsam ihrer Gefangenen bestraften. Cruzado aber, dem besonders daran lag, keinem der Pehuenchen auch nur den geringsten Anlaß zu Verdacht zu geben, ergriff, gleich nach den ersten Worten des Indianers, Don Enriques Arm, und ihn mit sich fortführend, sagte er leise: »Kommt, laßt den Burschen; es ist die Frage, ob Ihr überhaupt die Wahrheit von ihm erfahren würdet, und dann darf auch keiner von uns mit ihm verkehren, da er unter der Anklage eines Verbrechens steht. Woher kennt Ihr ihn?«

»Er war der Kundschafter jenes Trupps, der Jenkitruss, nach dem Überfall, bis in die Berge hinein verfolgte, und kehrte von dort nicht mit den Übrigen zurück. Das ist sein Vergehen.«

»Doch nicht allein!« meinte Cruzado. »Sie kennen ihn hier schon von früher. Er hat Pferde gestohlen und erwartet in den nächsten Tagen sein Gericht. Aber hier ist das Zelt, und das Weitere überlaßt nur mir.«

Mankelav indessen hatte die Sache, die er in die Hand genommen, auch rasch gefördert. Ohne bei seinem Bruder deshalb weiter anzufragen, sandte er einen Boten über den Strom, der des Chilenen Diener bedeuten solle, ungesäumt aufzupacken und bis zu der Stelle am Fluß hinabzureiten, wo sie das Floß finden würden.

Es war das ein alter Bekannter von uns, Saman, gewesen, der damals in Chile Allumapa gefolgt und später auf der Flucht die chilenische Frau noch entführt hatte. Als er dann zur Furt hinunterritt, traf er auf den Argentiner, den er ohne weitere Umstände mit seiner Lanze zurecht und in sein Zelt hineinwies, dann trabte er hinab an den Strom und warf sich unbekümmert hinein, als ob das der gewöhnliche Weg sei, den er alle Tage nähme.

Drüben über dem Strom kam übrigens jetzt bald Leben in das Lager, und auch die Indianer packten ihre Zelte zusammen und zogen kaum eine halbe Stunde später mit den Weißen am Strom hinab, und dort ging unter Samans Leitung die Einschiffung rasch vonstatten. Zweimal mußten sie übrigens mit dem Floß fahren, ehe sie das Gepäck der Weißen vollständig hinüberbrachten, und die Pehuenchen von Tchaluaks Trupp hatten gehofft, daß es zum drittenmal zurückkehren werde, um auch ihre Zelte hinüberzubringen – aber nichts Derartiges geschah. Den Indianern blieb es unbenommen, mit ihren Pferden herüberzukommen, aber ihre Zelte wurden nicht geholt, und bald darauf schienen sie auch selber den Gedanken aufgegeben zu haben, einen Besuch in dem Lager von Jenkitruss zu machen, denn sie schlugen dem Floß gerade gegenüber ihre Zelte wieder auf, und richteten sich dort genau so ein, als ob sie da eine längere Zeit verbringen wollten.

Jenkitruss hatte die Bewegung am anderen Ufer gesehen und ihre Ursache wohl leicht erraten, aber er verhinderte sie nicht. Er ließ eben geschehen, was geschehen sollte, soweit es andere, Fremde betraf. Es war ihm auch recht, daß die Deutschen mit herüber kamen; sie brachten Geschenke und vertrieben dadurch ein wenig die lange, monotone Winterzeit. – Aber weshalb blieben die Pehuenchen zurück, die bis dorthin in ihrer Begleitung gekommen? Fürchteten sie, daß ihnen der Rückweg durch die wilden Wasser abgeschnitten werden könnte? – Eine solche Furcht wäre auch vielleicht nicht unbegründet gewesen, denn kaum eine Stunde war vergangen, daß die Indianer die letzte Fahrt mit dem Floß gemacht, als plötzlich ein gellender Aufschrei der weit oben am Fluß befindlichen Pehuenchen das Heranrollen der Flut verkündete; konnte man doch weithin schon die braune, schlammgefärbte Woge erkennen und das Brechen und Brausen der ärgerlichen Wasser an der Uferbank hören.

Alles aus dem Lager strömte jetzt dem hohen Ufer zu, um dies wirklich interessante Schauspiel zu beobachten, und für den Augenblick war auch das andere, was sie umgab, vollständig darüber vergessen.

Ein dumpfes Brausen wurde laut, und sich überstürzend, aber immer wieder den schäumenden Kamm hoch emportragend, stürzte die schlammige Flut von den Bergen nieder und machte den Fluß in wenigen Sekunden um zwei, und gleich darauf um drei Fuß steigen, während die vorhin noch verhältnismäßig ruhige Strömung jetzt einem Wassersturz glich, der vom Felsen niederspringt.

Mit fast sprachlosem Erstaunen bemerkten die Deutschen – während den Pehuenchen der Anblick nichts Neues bot – diese fast fabelhaft rasche Veränderung im Strom. Sie hatten natürlich vorausgewußt, daß der Fluß, nach den gewaltigen Regenmassen dieser Nacht, rasch steigen müsse, glaubten aber, das würde, wie sie es daheim gewohnt waren zu sehen, wenn auch sehr schnell, doch nur allmählich vor sich gehen. Jetzt aber sahen sie mit dem etwas unbehaglichen Gefühl, mit welchem wir alle derartigen Naturerscheinungen auf uns einwirken fühlen, das alles in wenigen Sekunden vollbracht und den eben noch so friedlichen Limaï in einen kochenden, gährenden Strom verwandelt.

»Doktor!« rief Reiwald, »wenn uns der da draußen erwischt hätte, wo wären wir jetzt?«

»Die Frage ist leicht beantwortet,« erwiderte der Doktor, der die überstandene Gefahr viel kaltblütiger nahm, »auf unserem direkten Weg nach dem Atlantischen Ozean – und vielleicht besser aufgehoben, als hier, soweit sich das bis jetzt beurteilen läßt; aber dort kommt Meier; nun werden wir doch wenigstens erfahren, wo man uns hinsteckt, und ob wir gleich gebraten, oder erst abgetrocknet und gerupft werden sollen.«

»Na?« sagte Meier, der die Deutschen, anstatt ihr Gepäck wieder aufzuladen, ruhig am Wasserrand stehen fand; »wollen Sie die Nacht hier bleiben?«

»Ja, wir wissen ja noch gar nicht –«

»So, Sie warten wohl, bis jemand kommen und die Sache für Sie besorgen soll – Caramba! sind das unbeholfene Menschen, wenn sie grün aus den Städten kommen. Hier angepackt, meine Herren, oder fürchten Sie etwa, daß Sie sich die Hände schmutzig machen? Auf dem Buckel können wir die Geschichten nicht hinauftragen. So recht, Herr Reiwald, legen Sie Ihren Mantel gefälligst ab.«

Zureden half; etwas beschämt faßten die beiden mit an, ihre schweren Säcke auf die Packtiere zu heben, und Meier half ihnen dabei, sie festzuschnüren, denn damit wären sie doch nicht fertig geworden. Don Enriques Gepäck hatte indessen schon José mit Hilfe der beiden sie begleitenden Indianer befestigt, und sie konnten jetzt den Weg zu den Zelten zurücklegen. Es wurde auch hohe Zeit, daß sie hier fortkamen, denn der Himmel sah wieder schwarz aus, und der Regen begann aufs neue.

Indessen war Mankelav in seines Bruders Zelt getreten, um ihm das Geschehene zu melden; ändern ließ es sich doch nicht mehr. Er fand Jenkitruss mit finster zusammengezogenen Brauen auf dem Tigerfell liegen, das sein Ruhebett überdeckte.

»Jenkitruss!« sagte er, »der alte Mann, der sein Kind sucht, ist heute morgen über den Strom geschwommen.«

»Ich weiß es«, antwortete der Häuptling kurz und finster, »und du hast dir auch die Mühe gegeben, sein Gepäck nachzuholen.«

»Ich konnte es doch nicht in den Händen von Tchaluaks Leuten lassen?«

»Und was nun? Du erinnerst dich doch, was ich dir gesagt?«

»Sprich mit ihm selber und fasse dann deinen Entschluß.«

»Aber ich will ihn nicht sehen,« rief der Häuptling, gereizt von seinem Lager emporfahrend; »was kann er mir sagen, was ich nicht schon selber wüßte, und soll ich mein eigenes Weib um silberne Sporen und bunten Tand verkaufen?«

Mankelav schwieg. Oft und oft schon hatte er ihn früher gebeten, die Fremde nicht zum Weibe zu nehmen, schon um des Friedens wegen, der dadurch in seinem eigenen Zelt war untergraben worden; alle Worte waren in den Wind gesprochen und verhallt, was brauchte er sie zu wiederholen.

»Und was soll mit dem alten Mann geschehen?« fragte er nach einer Weile, in der er schweigend auf den Boden gestarrt.

»Behandle ihn gut,« erwiderte Jenkitruss, durch dies Schweigen rasch besänftigt und doch auch mit dem Gefühl, daß er selber im Unrecht sei, »aber hier im Lager will ich ihn nicht haben, er darf meinem Zelt nicht zu nahe kommen, sie nicht seine Stimme hören oder überhaupt erfahren, daß er in der Pampas ist. Draußen im Lager habe ich ein Zelt, wo unsere Vorräte liegen; mache ihm da Raum, gib ihm genügend Felle zu einem warmen Lager, er soll keine Not leiden; wir haben genug zu leben.«

»Und dann?«

»Wenn der Fluß fällt, geht er zurück, der Winter wird nicht so anhalten, wie er begonnen hat. Cruzado bleibt bei uns; ich will dem Chilenen Leute mitgeben, die ihn zurück über die Berge führen.«

»Und die Deutschen?« fragte Mankelav; »Cruzado habe ich in Allumapus Zelt gelegt. Es ist dort Raum genug, soll ich sie ebenfalls dort unterbringen? Sie reden unsere Sprache nicht, und Cruzado kann ihnen helfen.«

»Es ist gut, mache das, wie du willst,« sagte der Häuptling, wieder in seine alte Lage zurückfallend; »ich mag nichts weiter davon hören. Sowie der Regen nachläßt, werde ich überhaupt auf einige Zeit das Lager verlassen. Du bleibst indessen hier; kehr ich zurück, so hoff' ich keine Fremden mehr zu finden.«

»Du willst auf die Jagd?«

»Ja – aber ich nehme mein Zelt mit mir,« setzte er mit einem besonderen Ausdruck hinzu; »kommen die Kaziken dann, nach denen wir gesandt, so bin ich schon zu finden. Saman kennt den Platz, den ich mir gewählt; es sind viele Guanakos dort, und als er zuletzt durch jene Flächen ritt, traf er allein drei Pumas in dem hohen Gras.«

Mankelav neigte das Haupt; er wußte recht gut, daß er durch den Widerspruch nichts an der Sache bessern, sie nur verschlimmern konnte, und verließ das Zelt, um die Befehle seines Bruders auszuführen und die Gäste in den bestimmten Plätzen unterzubringen.

Die Zelte, zwischen denen Don Enrique für jetzt einquartiert werden sollte, standen etwa dreihundert Schritt von dem eigentlichen Hauptlager entfernt, und man hatte sie deshalb auf diesem etwas höher und trocken gelegenen Platz errichtet, weil dort die Vorräte, besonders Salz, weit eher gegen Sturm und Regen geschützt waren, als am Fluß unten.

Mankelav, als er aus Jenkitruss' Zelt trat, begegnete gerade den vom Fluß kommenden Packtieren und sandte die dem Chilenen gehörigen mit Saman nach dem für Don Enrique bestimmten Platz hinauf. Er selber bat dann Cruzado, den alten Chilenen mit seinem Diener José und den beiden ihn begleitenden Indianern dort hinüberzuschaffen und ihm dabei einzuschärfen, den Ort in den nächsten Tagen nicht zu verlassen – keinesfalls eher, als er von Jenkitruss die Erlaubnis dazu erhalten würde.

Don Enrique fragte bittend, wann er sein Kind wiedersehen würde, aber der Häuptling zuckte die Achseln – das hing alles von dem Willen des Kaziken ab, und Cruzado flüsterte ihm nur ein freundliches »Paciencia!« zu; es ließ sich eben mit den Indianern nichts überstürzen. Übrigens versicherte er ihm, daß es ihm dort an nichts fehlen sollte, nur Geduld müsse er haben, weiter nichts.

Der alte Mann fügte sich in alles – machtlos war er in die Hand des Kaziken gegeben: nur Bitten hatte er, keine Gewalt, um sein Recht zu erzwingen, und was über ihn verfügt wurde, mußte er ertragen, schon seines Kindes wegen.

Gerade wie er den Platz verließ, trafen die Deutschen mit ihrem Gepäck ein und wurden ziemlich angenehm durch das geräumige und warme Zelt überrascht, in welchem außerdem schon ein tüchtiges Feuer brannte. Cruzado hatte Meier nur mit wenigen Worten gesagt, daß die Deutschen dies Zelt, in welchem er selber mit ihnen schlafen würde, als das ihrige betrachten möchten, und war dann dem alten Mann gefolgt, um diesen einzurichten.

»Alle Wetter, Don Carlos!« rief Reiwald, sobald sie sich allein sahen; »was sagen Sie dazu? Das ist ja ein förmlicher Salon und diese eleganten Möbel – eins, zwei, drei, vier Pferdeschädel, die wahrscheinlich als Stühle dienen sollen, dort in der Ecke sogar eine Kommode, die freilich eine entfernte Ähnlichkeit mit einer Schiffskiste hat, von der ich nur nicht begreife, wie sie ihren Weg hierher gefunden. Und diese famosen Guanakofelle. Ich habe eine wahre Sehnsucht, die Bekanntschaft eines Tieres zu machen, das so außerordentlich zweckmäßige Felle liefert.«

»Na, ich denke, daß Sie's hier aushalten können,« sagte Meier, der einen wohlgefälligen Blick umherwarf; »jetzt wünsch' ich mir wirklich, daß es die ganze Nacht regnen wollte, was vom Himmel herunter kann, nur um das wohltätige Gefühl zu haben, dabei im Trocknen zu liegen. Aber das weiß ich schon, wenn ich unter einem Zelte bin, regnets gewiß nicht, sowie mich dagegen eine Nacht im Freien erwischt, dann können wir was erleben.«

»Wie ist es denn mit des alten Mannes Tochter?« fragte Reiwald, der sich gelegentlich doch auch des Zweckes ihrer Reise erinnerte, »haben Sie nichts gehört, Meier?«

»Ich fragte vorhin Cruzado,« erwiderte dieser, »aber er tat so geheimnisvoll, daß ich ihn in Verdacht habe, selber nichts davon zu wissen. In der Nähe muß sie übrigens sein, denn sonst hätten sie den Alten nicht da draußen vor dem Dorf einquartiert. Vielleicht wollen sie ihn etwas aus dem Weg haben.«

»Hm, höchst wunderliche Geschichte!« sagte Reiwald, »und wird dabei so gewissermaßen geschäftsmäßig betrieben. Viel Poesie ist nicht dabei, und die hört schon ohnedies gründlich auf, wo man gezwungen ist, Pferdefleisch zu essen.«

»Sie haben auch damals noch ein chilenisches Mädchen aus Concepcion oder aus der Nachbarschaft mitgenommen, wie mir Cruzado sagte,« bemerkte Meier; »deren Eltern oder Verwandte scheinen sich aber ihretwegen nicht besonders anzustrengen, denn soviel ich weiß, haben sie nicht einmal eine Reihe Glasperlen mitgeschickt, um sie wieder einzulösen.«

»Du lieber Gott,« sagte Reiwald teilnehmend, »es ist vielleicht eine Waise, um die sich dann freilich niemand bekümmerte. Doktor, da könnten wir ein gutes Werk tun. Wir haben noch Geschenke genug mitgebracht, und wenn wir zusammenlegen, sind wir vielleicht imstande sie freizukaufen. Damit bekäme unsere Reise auch einen Zweck, so daß wir uns nicht bei der Rückkehr blamieren; denn daß wir zu unserem Vergnügen in die Pampas geritten wären, bliebe doch eine gar zu freche Lüge.«

»Und rechnen Sie das ethnographische Interesse gar nicht?« fragte der Doktor.

»Damit kann man sich allenfalls herausreden,« meinte Reiwald; »jedenfalls müssen wir aber herauszubekommen suchen, wo die Señorita steckt und wem sie gehört, nachher läßt sich vielleicht ein Wort mit dem roten Heiden reden. Meier, das könnten Sie uns besorgen, und wenn wir sie loseisen, ehe wir fortgehen, kann sie uns solange hier die Wirtschaft führen.«

»Ja, recht gern!« sagte Meier. »Cruzado wird's wohl herausbekommen. Wenn sie hübsch ist, hält's aber immer schwer, denn die Wilden haben eine Hauptpassion für weiße Frauen. Jetzt machen Sie sich's auch bequem,« fuhr er fort, »denn in den nassen Kleidern herumzustehen, ist kein Vergnügen. Nachher wollen wir sehen, daß wir einen Jungen auftreiben, der uns einen Topf voll Wasser vom Fluß heraufholt. Warten Sie, ich will gleich einmal hinaussehen.«

Damit trat er auf die Straße hinaus, von der er auch bald darauf mit einem halbwüchsigen Jungen zurückkehrte. Dem zeigte er aber nur den Topf und ein Stück Tabak, als der Junge das Gefäß mit einem lauten Freudenschrei aufgriff und damit, was er laufen konnte, zum Wasser hinuntersprang. Er kehrte auch nach unglaublich kurzer Zeit wieder mit dem gefüllten Topf zurück, in welchem sich die Freunde jetzt vor allen Dingen einen tüchtigen und starken Kaffee brauten.

Meier schien sich diesmal doch in seiner Voraussetzung getäuscht zu haben, denn trotzdem er unter einem wirklich guten Zelt lag, regnete es nicht allein den ganzen Tag, sondern auch die ganze nächste Nacht bis wieder gegen Mittag, und der Limaï wälzte jetzt eine gelbbraune reißende Flut durch die Pampas.

Wie ein langer Feiertag herrschte Sabbatstille im Lager, und nur der einzige, der sich dieser Zeit nicht freute und in quälender Ungeduld die Stunden zählte, wie sie bleiern dahinschlichen, war der arme alte Chilene.

Solange er noch selber im Sattel saß, solange er noch, und sei es unter den größten Beschwerden und Entbehrungen, einem Ziel entgegenstreben und selber handeln, selber vorwärtstreiben durfte, hatte er diese peinigende, verzehrende Angst auch gar nicht gefühlt; jetzt aber, vielleicht in der unmittelbaren Nähe des verlorenen geliebten Kindes, und gezwungen, still und tatenlos zu warten und zu harren, rieb ihn diese quälende Angst und Ungeduld fast auf.

Er hatte schon am ersten Tag eine Anzahl von Geschenken für Jenkitruss ausgesucht, eingepackt und ihm durch Cruzado zugeschickt, das Paket aber uneröffnet zurückerhalten. Jenkitruss nahm es nicht an und verbot sogar dem Halbindianer, weitere derartige Versuche zu machen. Wenn er den alten Mann sprechen wolle, werde er es schon selber sagen. Bis dahin möge er sich in seinem Zelte ruhig verhalten; er, der Häuptling, verlange keine Geschenke.

Damit war jeder Verkehr auf das entschiedenste abgebrochen, und wenn sich Don Enrique nicht der Gefahr aussetzen wollte, den Kaziken ernstlich zu erzürnen, mußte er alle weiteren derartigen Versuche aufgeben. Paciencia! Es war ein furchtbares Wort und zehrte an seinem Leben.

Am dritten Morgen hatte sich endlich der Himmel aufgeklärt, und Meier, der mit Tagesanbruch zum Fluß gegangen war, bemerkte zu seinem Erstaunen, daß die Zelte der Pehuenchen am anderen Ufer, deren Feuer er noch gestern spät in der Nacht gesehen, spurlos verschwunden waren. Kein lebendes Wesen ließ sich mehr dort erkennen; die Wilden hatten es jedenfalls satt bekommen, im Regen zu liegen und ihre eigenen Pferde zu verzehren. Hier im Lager nahm man übrigens nicht die geringste Notiz von ihnen; einzelne Indianer standen wohl plaudernd am Ufer und sahen hinüber, und der Abzug wurde auch dem Kaziken gemeldet: das war alles. Dagegen brachte Cruzado den Deutschen eine Botschaft von Jenkitruss, daß er sie heute empfangen würde, und beide, schon seit ihrer Anwesenheit hier darauf vorbereitet, suchten sich eine Anzahl von Geschenken heraus, die sie ihm überreichen wollten. Zu gleicher Zeit hatte Cruzado auch erfahren, daß der Indianer Saman im Besitz einer geraubten Chilenin und gern erbötig sei, sie, wenn er einen guten Preis dafür bekommen könne, wieder zu verkaufen. Es war dies Privatsache und ging den Kaziken nichts an. Vorher aber mußten sie jedenfalls dessen Einladung Folge leisten, und nur Reiwald gebrauchte die Vorsicht, seinen Mantel im Zelte zurückzulassen; denn wenn dieser auch gerade nicht rot gefüttert war, schien er doch mißtrauisch gegen die Leidenschaften derartiger Herren der Steppe geworden zu sein und mochte sich nicht selber mutwillig in Gefahr bringen, ein ihm so nötiges Kleidungsstück einzubüßen.

Jenkitruss empfing die Alemanes aber, ganz wider Erwarten, überaus freundlich, nahm ihre Geschenke lächelnd und dankend an und unterhielt sich dann durch den Dolmetscher eine lange Zeit mit ihnen, fragte sie auch manches über ihre eigene Heimat und was sie in dies ferne Land geführt. Jede Erwähnung des geraubten Mädchens aber schnitt er augenblicklich, ohne ein Wort zu sagen, nur mit einer Handbewegung ab, und entließ sie dann wieder, wie ein europäischer Fürst seine Untertanen entlassen würde, wenn er die Audienz abbrechen will.

Als sie schon im Eingang des Zeltes standen, rief er Cruzado aber noch einmal an und ließ die Deutschen fragen, ob sie einen Jagdzug mit ihm machen wollten. Sie hätten ihm gesagt, daß sie besonders die Jagdlust hierher geführt, bis jetzt würden sie aber wohl noch wenig Wild unterwegs gefunden haben, und er wolle ihnen dazu eine bessere Gelegenheit geben. Natürlich mußten sie die Aufforderung mit Dank annehmen, und Jenkitruss ließ sie wissen, sich heut abend noch vollständig dafür zu rüsten, da sie wahrscheinlich morgen sehr früh aufbrechen würden. Für Packpferde, denen sie noch einiges aufladen wollten, würde er selber sorgen.

Damit war die Audienz beendigt, und so sehr sich Reiwald, ein eifriger Jäger, darüber freute, so wenig schien der Doktor damit einverstanden. Er wäre viel lieber hier in seiner Bequemlichkeit geblieben und sah, nicht mit Unrecht, wieder eine Menge sehr überflüssiger Beschwerden und Entbehrungen voraus. Da er aber keine auch nur einigermaßen stichhaltige Entschuldigung wußte, ließ sich nichts an der Sache ändern. Es mußte eben wieder durchgemacht werden, und nur eins beruhigte ihn, daß sie doch keinesfalls in einer Gegend, in der es viel Wild gab, würden Pferdefleisch zu essen bekommen.

Reiwald ging indessen an die Arbeit, seine Utensilien hervorzusuchen und instand zu setzen; auch die Büchsen mußten wieder abgeschossen, gereinigt und frisch geladen werden; und damit war der Vormittag vergangen, sie wußten selber nicht wie. Eine Beruhigung blieb es ihnen indes, daß Meier wenigstens von der Partie sein sollte, und was die Verständigung zwischen ihnen und den Indianern betraf, so nahm Jenkitruss, wie ihnen Cruzado sagte, seinen eigenen Escribano mit, der dann recht gut zwischen ihnen vermitteln konnte. Cruzado selber blieb im Hauptlager.

Es mochte vier Uhr nachmittags sein, als sie alles beendet hatten und sich, wirklich ermüdet, auf ihren Decken ausstreckten. Auch Meier, eine kleine kurze und entsetzlich schmutzige Holzpfeife rauchend, lag behaglich neben dem Feuer und schaute in die glimmenden Kohlen hinein, als draußen vor dem Zelt ein Ruf gehört wurde.

Cruzado stand auf; es war jemand, der Einlaß begehrte, und er ging hinaus, um zu sehen, wer er sei und was er wolle. Er kam auch gleich darauf wieder mit dem Pehuenchen Saman zurück, der sich statt weiterer Einleitung einen Pferdeschädel zum Feuer zog, allen freundlich zunickte und dann die Hand gegen den Doktor ausstreckend einfach sagte: »Tabaco!« Ein Gespräch ohne vorher gelieferten Tabak schien undenkbar.

Übrigens schien ihm Cruzado den Mund nach einigen für seine Beute zu erhaltenden Kostbarkeiten wässerig gemacht zu haben, denn ganz gegen die Gewohnheit dieser Stämme, erst stundenlang dazusitzen und ins Blaue zu starren, ehe sie erklären, was sie eigentlich hergeführt, kam er, nachdem er den Tabak erhalten und seine Zigarre gewickelt und angezündet, rasch zur Sache und erzählte Cruzado – die Alemanes verständen ja doch nicht, was er sagte – er sei willens, die Frau, die er aus Chile mitgebracht, »so hübsch und liebenswürdig sie wäre«, wieder an den Meistbietenden loszuschlagen. Er hätte schon überdies eine, und da er viel unterwegs und oft wochenlang abwesend sei, so prügelten sich dann die beiden zu Hause – auch wären ihm zwei Frauen zu kostspielig.

Und was er dafür haben wollte?

»Ja,« sagte der Pehuenche nachdenkend, denn sie kamen jetzt zu dem Hauptpunkt des ganzen Geschäfts, »das weiß ich eigentlich wirklich nicht genau; ich kann ja auch nicht sagen, was die Fremden haben, und ob ich ihre Sachen brauche. Sie sollen einmal etwas davon herauslegen, nachher macht sich alles leichter.

Cruzado fand das nicht mehr als recht und forderte jetzt die Deutschen auf, das von ihren Waren herauszulegen, was sie allenfalls gesonnen wären, an ihr Liebeswerk zu wenden; mit dem Indianer würden sie nachher schon fertig. – Nur nicht gleich im Anfang zu viel, damit sie ihn nicht gierig machten.

Der Doktor, der die Waren unter sich hatte und auch genau wußte, wo alles stak, holte jetzt den einen Sack von roher Haut hervor und fing an auszukramen. Zuerst langte er eine von den starken Rollen Tabak heraus, und Samans bis jetzt ziemlich gleichgültiges Gesicht nahm dabei einen viel freundlicheren Ausdruck an. Dann fühlte er nach einem Paket umher, das bunte baumwollene Tücher enthielt, und suchte zwei der buntesten davon aus, die er dazu auf das vor dem Indianer ausgebreitete Fell legte. Auch einen kleinen Beutel holte er hervor, in welchem sich Indigo befand, und fügte zwei große Stücke davon bei. Hierauf folgte ein langes gewöhnliches amerikanisches Fleischermesser mit Holzgriff, eine Handvoll gemischter Glasperlen-Schnüre und zuletzt noch einige Maultrommeln, von denen Saman, da seine Zigarre gerade ausgeraucht war, gleich eine aufgriff und darauf zu spielen anfing.

Der Doktor überschaute indessen die ausgebreiteten Herrlichkeiten mit Wohlgefallen, während Saman dagegen noch lange nicht so entzückt davon schien, als er vermutet hatte. Nur die Maultrommel gefiel ihm, und es war fast, als ob er darüber ihren ganzen Handel vergessen hätte, denn er hörte nicht auf, eine seiner monotonen Melodien zu spielen.

Meier lag daneben auf einem Haufen Guanakofelle und amüsierte sich vortrefflich.

»Nun?« sagte der Doktor endlich, beinahe beleidigt über die Mißachtung ihrer Schätze; »was will denn der braune Caracho eigentlich noch mehr!«

»Pfui!« rief Saman mit einem so komischen Ausdruck, daß Cruzado laut auflachte, »nicht Caracho – häßliches Wort.«

»Na, will er die Sachen haben oder nicht?« fragte der Doktor Meier jetzt; »wenn er sie nicht mag, so pack' ich sie wieder ein, und er soll zum Teufel gehen.«

»Wie ist es, Saman?« fragte Cruzado; »willst du den Handel machen? Wir wollen fortreiten; entschließe dich schnell, sonst kannst du die Frau behalten, und die Fremden nehmen ihre Waren wieder mit fort.«

»Ja,« sagte Saman, indem er die Maultrommel hinlegte und sich, wie ganz in Gedanken, ein frisches Stück von dem Tabak abschnitt; »alles recht schön – Tabak ist gut – Glasperlen sind gut – Indigo ist gut – Tuch ist gut – Maultrommeln gut – Messer gut – aber alles wenig – von allem bißchen mehr – drei solche Stücke Tabak – und er hob dabei, um ein Mißverständnis unmöglich zu machen, drei Finger seiner Hand empor – viel Indigo – viel Tücher und viel Perlen.«

»Der Bursche wird unverschämt,« sagte Cruzado ruhig zu Meier; »laß deinen Landsmann erst einmal seine Sachen wieder einpacken.«

»Ach, was liegt denn an dem Plunder,« meinte Meier gutmütig, »sie haben ja mehr mit als sie brauchen, und wollens doch gewiß nicht wieder nach Chile schleppen. Wir können ja das arme Mädchen nicht in den Händen dieses schauerlichen Kerls lassen.«

»Das ist auch nicht nötig«, meinte aber Cruzado, der seine Leute weit besser kannte. »Man soll erst einmal tun, als ob er zu viel gefordert hätte, nachher gibt er schon nach. Zulegen können wir noch immer, aber nie wieder etwas abhandeln.«

Meier übersetzte das, was Cruzado gesagt, und der Doktor, den der ganze Handel schon halb und halb reute, da sie gar nicht wissen konnten, welche Last sie sich vielleicht damit aufbürdeten, ging auch rasch ans Werk, seine Herrlichkeiten wieder zusammenzukramen.

»Holla?« rief Saman erstaunt aus, wie der Doktor vor allen Dingen den Tabak, als am meisten gefährdet, in den Sack steckte, »was ist das? – er soll mehr heraus tun, nicht mehr davon

»Ja, Freund,« sagte Cruzado gleichgültig, »du verlangst mehr, als die Fremden zahlen können, denn sie bleiben noch eine Weile in den Pampas und haben nachher wieder einen weiten Weg vor sich. Wenn dir die Frau soviel wert ist, wirst du sie jedenfalls behalten müssen.«

»Hm!« meinte der Wilde, augenscheinlich verstimmt, seine Forderung, die er dann jedenfalls gesteigert hätte, nicht gleich befriedigt zu sehen. Außerdem mochte er die Fremden auch nicht gern merken lassen, daß ihm mehr an dem Handel als an der Frau lag, denn was hätte er von einem seiner Kameraden dafür bekommen – im günstigsten Fall ein altes Pferd. – Wenn Saman nicht mit ihr fertig werden konnte, würden andere wenig Lust verspürt haben, es mit ihr zu versuchen. Er rauchte aber auch diese Zigarre bis auf den Stumpf auf, ehe er ein Wort weiter sagte. Endlich, da der Doktor den Sack wieder fortgestellt hatte und, die Sache als abgemacht betrachtend, seinen Platz am Feuer einnahm, stand er langsam auf, brummte etwas vor sich hin und verließ das Zelt.

Jetzt wurde Meier unruhig.

»Caramba, Amigo!« rief er, »wenn Ihr ihn böse macht, ist die Geschichte vorbei. Handelt es sich bloß um ein Stück Tabak, so bin ich gern selber erbötig, etwas daraufzulegen. Herr Reiwald, lassen Sie das arme Weib nicht im Stich. Es ist ein Hundeleben für eine weiße Frau unter diesen Rotfellen.«

»Ich bin auch der Meinung,« rief Reiwald aufspringend, »ich rufe ihn wieder zurück; es kommt ja auf eine Handvoll solchen Plunders nicht an.«

»Paciencia!« beschwichtigte ihn aber Cruzado, mit der Hand winkend. »Er soll sie auch nicht behalten und wird es nicht, denn das, was er bis jetzt gesehen, steckt ihm in der Nase; aber laß ihn selber kommen. Meier, sagt einmal Eurem Freund, daß er sich wieder hinsetzt. Ich wollte meinen Poncho gegen eine Glasperle wetten, daß er in kaum einer Viertelstunde wieder hier am Feuer sitzt.«

Darin hatte er sich denn auch in der Tat nicht geirrt und Reiwald kaum seinen alten Platz am Feuer wieder eingenommen, als die Felle an der Tür zurückgeschlagen wurden und Saman so ruhig und unbekümmert zu seinem Sitz zurückkehrte, als ob er nur einmal hinausgegangen wäre, um nach dem Wetter zu sehen. Er bat auch Cruzado ohne weiteres, die vorhin ausgelegten Waren noch einmal herauszugeben, und als der Doktor dies tat, fing er den Handel von vorn, und zwar mit seinen nämlichen Forderungen an. Cruzado wußte aber jetzt, wie er mit ihm stand, und einigte sich mit ihm nach kurzer Zeit um zwei Stangen Tabak und den übrigen Rest, mit der Bedingung, noch zwei Hände voll Achi oder roten Pfeffer beizufügen. Als er das alles erhalten, packte er es sorgfältig in seinen Poncho, und wie er es sicher wußte, forderte er nun noch eine Rolle Tabak und etwas Achi und zwei rote Tücher.

Cruzado lachte und hieß ihn seiner Wege gehen; der Bursche bettelte aber so lange, bis ihm Reiwald noch etwas Tabak, eine Schere und eine Handvoll messingene Fingerhüte gab, womit er jetzt zufrieden schien und sich nur noch etwas Papier zu Zigarren erbat. Auch das erhielt er, blieb aber immer stehen, als ob er sich auf noch etwas Neues besinne. Es mußte ihm aber wohl im Augenblick nichts weiter beifallen, denn er verließ endlich das Zelt, um die Frau herbeizuholen und ihrem neuen Herrn, dem Doktor, da dieser ihm den Kaufpreis ausgezahlt, zu überliefern.

»So,« lachte Reiwald, als die Felle hinter ihm zufielen, »der Sklavenmarkt ist geschlossen, und ich kann Ihnen jetzt sagen, Pfeifel, daß ich verdammt neugierig auf unsere Schöne bin. Natürlich wird sie uns nun zu Füßen fallen und uns ihre Freiheit danken. Passen Sie auf, das gibt eine ganz rührende Szene.«

Meier, der sich eine Art von Kanapee von ein paar Packsätteln und einigen darübergebreiteten Guanakofellen gebaut hatte, lag darauf auf dem Bauch, die Ellenbogen aufgestemmt, und rauchte schmunzelnd seine Zigarre.

»Eigentlich«, sagte er, »sollten wir sie nachher auslosen, denn einer muß doch ihren Caballero unterwegs machen, aber der Herr Doktor wird das wohl übernehmen.«

»Ich will Ihnen etwas sagen, Don Carlos,« meinte dieser, »ich habe unterwegs immer viel mit mir selber zu tun, so daß ich schon knapp fertig werde. Übrigens hoffe ich, daß die Dame selbstständig genug sein wird, für sich allein Sorge zu tragen, denn wie mir gesagt ist, können fast alle Chileninnen reiten.«

»Sehr hübsch kann sie eigentlich nicht sein,« bemerkte Reiwald, »nach dem höchst mäßigen Preis zu schließen, den wir ihrem würdigen Eigentümer für sie gezahlt. Ich habe mir eben die ganze Sache so ungefähr berechnet: sie kommt uns auf etwa vier Taler und zweiundzwanzig Silbergroschen zu stehen. Was kann man dafür erwarten!«

»Übrigens wollte ich,« lachte Meier vergnügt, »unser alter Chilene käme mit seinem Handel eben so rasch ins klare; der scheint aber noch in weitem Felde, denn wenn der Kazike jetzt erst eine große Jagdpartie macht, zu der er ihn schwerlich einladen wird, so kann er hier lange sitzen und warten, er müßte indessen die Zeit benutzen und das Mädel vielleicht entführen. Soviel ist aber gewiß, unser Indianer hat sich verwünscht leicht von seiner Frau getrennt, und ich denke mir beinahe, die Sache wird einen Haken haben. Hast du sie nicht gesehen, Cruzado?«

»Wen?« fragte der Dolmetscher, der nur die letzten, an ihn gerichteten Worte verstanden hatte.

»Die chilenische Frau, die uns Saman eben verkauft.«

»Nein,« sagte Cruzado kopfschüttelnd; »seit wir hier sind, hält er sie fest in seinem Zelt, und sie hat nicht einmal Wasser und Holz holen dürfen. Aber ich glaube, ich höre ihn draußen wieder. Er hat sich beeilt, sein Wort zu halten, und wird sie bringen.«

Jedes weitere Gespräch war abgebrochen, denn in diesem Augenblick wurden allerdings die den Eingang verhängenden Felle zurückgeschlagen, und die gefangene Frau betrat, von Saman dicht gefolgt, das Zelt. Natürlich betrachteten sie sie alle aufmerksam und neugierig, und Reiwald wie der Doktor hatten eben nur Zeit, zu bemerken, daß sie noch jung und sogar nicht unschön war, wenn sie auch in zerrissenen und schmutzigen Kleidern ging, als ein lauter und erschreckter Aufschrei Meiers ihre Blicke dorthin lenkte.

»Alle Teufel!« kreischte dieser nämlich, und die beiden Deutschen sahen, wie er sich, mit dem Ausdruck vollkommenster Überraschung, hoch auf beide Hände emporgerichtet hatte. Die Zigarre war ihm dabei aus dem Munde gefallen, und er starrte die Frau an, als ob es ein Geist gewesen wäre.

Aber auch der Gefangenen oder vielmehr Befreiten Augen wandten sich unwillkürlich der Richtung zu, und sonderbarerweise schien sie der Anblick Meiers fast ebenso zu überraschen. Während dieser aber in seiner etwas wunderlichen Stellung auf den Knieen und vor sich gestreckten Händen liegen blieb und wie aus Stein gehauen schien, hatte sie sich rasch gefaßt, und auf ihn zu eilend, schlang sie ihren Arm um seinen Hals und rief in Tönen des höchsten Entzückens: »Don Carlos – mein Carlos! Oh, du hast mich gerettet– du?«

»Meine Frau!« stöhnte da Meier – »bei allem, was lebt!« schien aber weit mehr überrascht als erfreut, und wäre jedenfalls in sich zusammengeknickt, wenn sie ihn nicht in ihrer stürmischen Liebkosung aufrecht gehalten hätte. – Aber nicht minder erstaunt waren die übrigen Zuschauer – Saman vielleicht ausgenommen, der das für ganz in der Ordnung halten mochte, daß die Weiße froh war, von ihm loszukommen und einen der nach ihr hierher gereisten Fremden kannte.

»Alle Wetter, Meier!« rief der Doktor, »das scheint ja ein merkwürdig glücklicher Zufall, der Sie gerade hierher geführt hat. – Jetzt soll man nicht mehr an Wunder glauben; das ist ja eine ordentliche Spukgeschichte!«

»Da kann man in der Tat gratulieren«, rief auch Reiwald, und nur Cruzado stand dabei, die Arme untergeschlagen, die Unterlippe zwischen den Zähnen, was genau so aussah, als ob er ein Lachen verbeißen wollte; denn ihm hatte Meier unterwegs seine Lebensgeschichte erzählt, und er wußte genau, unter welchen Verhältnissen ihm damals seine Frau davongegangen.

»Bitte,« sagte aber Meier sehr kleinlaut, »bemühen Sie sich nicht; diese Dame –« Aber diese Dame ließ ihn nicht weiter zu Worte kommen, denn mit wilder Zärtlichkeit umschlang sie ihn – die Anwesenheit der Übrigen gar nicht achtend – aufs neue und rief immer wieder: »Ach, hab' ich das auch verdient um dich, Carlos, daß du dich solchen Gefahren für mich ausgesetzt? Oh, wenn du nur wüßtest, wie glücklich mich das macht. – Und wie hast du nur meinen Aufenthalt und mein Unglück erfahren? Aber Unglück! Ach wie glücklich, wie glücklich bin ich jetzt, da ich dich wieder habe! Nun ist alles gut, und um diesen Augenblick hätte ich das Zehnfache ertragen wollen.«

Meier seufzte tief auf, so vollständig war er überrumpelt und mit Sturm genommen, und dabei mit einer unbestimmten Furcht, daß er – wenn die anderen errieten, wie ihm eigentlich zu Mute sei – noch am Ende gar ausgelacht würde, fügte er sich endlich in das Unvermeidliche. Er richtete sich auf, umarmte seine Frau, aber mit viel weniger Feuer, als sie selbst gezeigt, und sagte dann, gegen die beiden Freunde gewandt: »Meine verehrten Herren! Ich habe hier das Vergnügen, Ihnen meine Frau Mercedes Meier vorzustellen; Mercedes, Señor Pfeifel, Doktor Señor Reiwald – liebe Freunde von mir – Señor Cruzado, unser Reisegefährte und Dolmetscher.«

»Und wie muß ich mich schämen,« sagte die Frau, »vor den Herren in einem solchen Aufzug zu erscheinen; aber wenn Sie wüßten, was ich in der Zeit alles ausgestanden habe«, und sie barg dabei ihr Antlitz in ihrer Mantille. – Meier gingen aber andere Dinge durch den Kopf. Er lief in dem Zelt mit raschen Schritten auf und ab, als ihm Saman in den Weg trat und mit der freundlichsten Miene von der Welt, indem er die Hand vorstreckte, sagte: »Bißchen Tabak, Kamerad! – Du hast ja jetzt deine Frau wieder.«

Meier verstand nicht gleich, was er wollte, nun aber konnte sich Cruzado auch nicht mehr halten, und so ernsthaft er bis dahin das Ganze behandelt, jetzt lachte er gerade heraus. Meier befand sich übrigens nicht in der Stimmung, mit dem Indianer viel Umstände zu machen, faßte ihn bei einem Arm, drehte ihn herum und schob ihn ohne weiteres zur Tür hinaus. Saman schien das auch ganz in der Ordnung zu finden; er leistete wenigstens nicht den geringsten Widerstand und wanderte, mit dem Tausch seinem äußern Ansehen nach vollkommen zufrieden, der eigenen Wohnung wieder zu.

»So!« sagte Meier aber, als er fort war, zu Cruzado, »und was machen wir jetzt? Nun hab' ich die Frau wieder, und morgen soll ich mit Jenkitruss auf die Jagd reiten, und die Entschuldigung ließe der im Leben nicht gelten.«

»Beruhige dich, Don Carlos,« erwiderte aber dieser, »für heute schließen wir hier im Zelt einen kleinen Raum ab, Felle gibt es dazu im Überfluß, und da hinten ist eigentlich schon so ein kleiner Verschlag, den Allumapu immer zum Schlafen benutzt hat, und wenn du fort bist, mag sie das Zelt allein bewohnen, ich ziehe dann indessen zu Don Enrique, da Jenkitruss in der Zeit ja auch meiner nicht bedarf.«

»Und du willst schon wieder fort?« fragte seine Gattin in zärtlicher Teilnahme. – Meier erwiderte aber kein Wort darauf und ging, mit dem Vorschlag augenscheinlich einverstanden, ungesäumt an die Arbeit, um die kleine Kammer herzurichten. Dann legte er sich wieder auf seine Packsättel, ohne von der Señora weiter Notiz zu nehmen, und rauchte stärker als vorher – aber das gutmütige, vergnügte Lächeln war aus seinen Zügen gewichen, und er sah wahrlich nicht aus wie jemand, der eben durch einen glücklichen Zufall seine geliebte Frau wiedergefunden hatte.

Die Señora, die recht gut wußte, was sie an ihm verschuldet, hütete sich auch wohl, ihn darin zu stören oder ihm mit übertriebener Zärtlichkeit lästig zu fallen. Die Zeit heilt am besten die Wunden, und sie ging selber jetzt daran, ihr Lager für die Nacht herzurichten. War sie doch aus den Händen der Indianer befreit und hatte die Hoffnung, wieder in ihr geliebtes Chile zurückzukehren. Alles Übrige fand sich dann schon von selber an Ort und Stelle.

Es war indessen auch Abend geworden, und es wurde Zeit, für das Nachtessen zu sorgen, was Cruzado aber heute, mit der beiden Deutschen Hilfe, ganz allein besorgen mußte, denn Meier regte sich nicht, ja, rückte sich kaum seinen Sitz zum Feuer, als es endlich fertig war. Um die Frau bekümmerte er sich aber gar nicht mehr; Cruzado mußte ihr das Essen bringen, und als er einen Becher Tee getrunken und einige Bissen gegessen hatte, legte er sich auf seine Felle nieder, wickelte sich in seinen Poncho und war bald eingeschlafen.

Der Doktor kam heut abend erst spät zur Ruhe, denn da man nicht wußte, wie früh Jenkitruss zum Aufbruch rufen würde, blieb noch manches zu ordnen und zurechtzustellen. Es war schon spät abends, als er endlich sein Licht auslöschte. Er streckte sich dann auf sein Lager, das die anderen schon lange gesucht, und schloß die Augen, war aber, wie er meinte, kaum im Einschlafen begriffen, als ihn schon jemand wieder an der Schulter faßte und schüttelte.

»Hallo!« rief er erschreckt, emporfahrend »wer ist da?«

»Ich bin's!« sagte Meier; »Cruzado hat mich eben geweckt, wo haben Sie Ihr Licht, Doktor?«

»Aber was, zum Henker, wollen Sie denn eigentlich? Lassen Sie mich doch nur eine Stunde schlafen!«

»Ein Bote von Jenkitruss war eben da!« fuhr aber Meier fort, »die Pferde sind gesattelt – wir müssen fort!« –

»Fort? Um zehn Uhr abends?« rief der Gequälte, der sich so um seinen Nachtschlaf betrogen glaubte.

»Zehn Uhr abends?« sagte aber Meier, »es ist drei Uhr morgens, Sie haben geschlafen wie ein Ratz; wo ist Ihr Licht?«

Der Doktor war so im Schlaf, daß er noch immer nicht begriff, wohin die Zeit gekommen, aber er tappte doch nach seinem Licht umher, das er neben sich liegen hatte, und Meier, die Kohlen auseinanderschürend, entzündete es rasch. Draußen wurden Stimmen laut; die Pferde stampften schon vor der Tür, Reiwald war auch wachgerüttelt und munter geworden, und während Cruzado half, ihre Satteltaschen hinauszutragen und festzuschnüren, wurden sie doch soweit gebracht, ihre Büchsen und sonstiges Zubehör zusammenzulesen und hinaus vor das Zelt zu treten. Dort machte sie freilich die frische Nachtluft bald vollständig munter, und kaum zehn Minuten später trabten sie auf ihren munteren Tieren und bei vollkommen sternhellem Himmel durch die Zelte dem Sammelplatz zu, von dem aus sie mit dem Häuptling ihre besprochene Tour antreten sollten.

 


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