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Eine ungeheure Aufregung herrschte indessen in der Kolonie, als sich die Kunde mehr und mehr verbreitete, daß die Stämme der Otra Banda nicht allein einen Überfall in chilenisches Gebiet gewagt, sondern auch des alten wackern Don Enrique liebliches Töchterchen geraubt hätten. Natürlich übertrieb die Fama dabei den ganzen Einfall der Wilden in einer zu jener Zeit auch erklärlichen Weise. Hatte man doch bis jetzt immer gefürchtet, die Pehuenchen würden in dem begonnenen Krieg die Partei ihrer roten Nachbarn, der Araukaner, ergreifen, um diese dadurch nicht allein zu ermutigen, länger auszuharren, sondern auch ihrerseits Vergeltung an den Grenzbewohnern zu üben.
Das war jetzt in der Tat geschehen und ein Trupp eines gefürchteten Stammes in ein Gebiet eingebrochen, das sie seit langen Jahren gemieden hatten. Niemand wollte aber glauben, daß es nur ein kleiner, vereinzelter Schwarm gewesen sein könne, der nur sein Recht gesucht und sich das, als es ihm in Güte verweigert worden, mit Gewalt genommen habe. Wie ein Lauffeuer zuckte die Nachricht durch das ganze Gebiet, Jenkitruss, der Häuptling der Otra Banda, sei mit all seinen Stämmen über die Kordilleren gekommen und bedrohe jetzt das ganze Land. Die meisten ansässigen Hazendados warteten auch keine weitere Bestätigung ab, um nicht zu spät ihren Leichtsinn zu beklagen, sondern schickten Frauen und Töchter entweder nach Concepcion oder weiter nach Norden hinauf in das dem Kriegsschauplatz fern gelegene Land, das noch dazu durch die dort weit höheren und wilderen Kordilleren auch mehr geschützt gegen einen Einbruch von Osten lag.
Überall rüsteten sich die Männer, um einer Zerstörung ihres Eigentums mit bewaffneter Hand zu begegnen; gesattelte Pferde standen den ganzen Tag, ja die ganze Nacht an den Häusern angebunden, um augenblicklich Boten absenden zu können, sobald die erste Kunde von der Annäherung des Feindes eintraf; Munition und Waffen lagen bereit, um hartnäckigen Widerstand zu leisten, wie auch die roten Horden in ihre Grenzen zurückzuweisen.
Aber ihre Furcht wie die Vorsichtsmaßregeln erwiesen sich als nutzlos, denn kein zweiter Angriff, wie man es fest erwartete, folgte rasch dem ersten. Ja, ausgesandte Späher konnten kein Zeichen mehr entdecken, daß sich noch irgendwo, als vielleicht südlich in Araukanien, wilde Stämme an dieser Seite der Kordilleren aufhielten. Jenen Überfall konnte in der Tat nur ein vereinzelter kleiner Trupp ausgeführt haben, und es blieb unbegreiflich, daß er das gewagt.
Mit desto größerer Ungeduld erwartete man aber nun auch die Rückkehr der Verfolger, denen schon anderes Militär nachgesandt war, um sie im Notfall zu unterstützen. Da sie es nur mit einem kleinen Trupp von Indianern zu tun hatten, war jede gegründete Hoffnung vorhanden, daß sie die Räuber noch zur rechten Zeit eingeholt und ihnen den genommenen Raub wieder abgejagt hätten. Tag auf Tag verging aber, und sie kamen nicht, und erklärt wurde dieses Zögern nur zuletzt durch die Nachricht, daß die letzten Regengüsse ein paar der kleinen Bergströme so angeschwellt hätten, um ein Passieren derselben unmöglich zu machen. Wer hindurch wollte, mußte eben warten, bis sich das Wasser wieder verlief, was aber ebenfalls in jenen steilen Bergen außerordentlich rasch ging. Ein einziger Regentag treibt manchmal die von allen Seiten niederstürzende Flut schon nach vierundzwanzig Stunden über die Uferbank, während kaum so viel trockene Zeit nachher genügt, um sie auf ihren früheren niedern Stand zurückzubringen. Im flachen Lande steigen die Flüsse natürlich langsamer und fallen dann in demselben Verhältnis.
In der Tat waren die zurückkehrenden Truppen genötigt gewesen, zwei volle Tage an dem einen Bergstrom liegen zu bleiben und hatten dort eben keine angenehme Zeit verbracht, denn außer dem unbehaglichen Gefühl, von Wilden gejagt zu sein, fühlten sie sich hier noch nicht einmal sicher, ob ihnen diese etwa folgen sollten. Auch über die genaue Richtung, die sie zu nehmen hatten, waren sie nicht recht im klaren und begriffen dabei ihren Führer Pedro nicht, der sie so treulos im Stiche gelassen. Keiner von allen kannte ja dort so genau den Wald, und einmal mußten sie sogar einen halben Tag in der Irre umherreiten, bis sie den richtigen Pfad durch ein Kiladickicht fanden.
Es war der neunte Tag nach dem Überfall der Pehuenchen, als ihre Verfolger mit abgehetzten, zum Tod matten Tieren, mit zerrissenen Kleidern, erschöpft und zum Teil von dem letzten Anprall der Wilden verwundet, in die Ansiedlungen zurückkehrten und die Trauernachricht mitbrachten, daß die Wilden ihren Raub geborgen und das arme, unglückliche Mädchen in ihre öden Steppen geführt hätten. – Und Don Enrique?
Die ganzen langen Tage saß der alte Mann, scheinbar an Geist wie an Körper gebrochen, in einem der durch das Feuer verschonten Nebengebäude seiner Hazienda, teilnahmslos gegen alles, was ihn umgab, und nur ängstlich, krampfhaft emporfahrend, wenn Pferdegetrappel draußen das Nahen eines Fremden kündete. Seine Tochter, sein Schwiegersohn kehrten augenblicklich, wie sie nur Kunde von dem Unfall erhielten, zurück – er beachtete sie kaum.
»Irene« war fast das einzige Wort, das über seine Lippen kam; »Irene, meine arme, arme Irene, wo bleibst du?« und dann kauerte er sich wieder brütend zusammen und starrte wild und verloren vor sich nieder.
Seine Kinder wollten ihn mit hinüber auf ihre Hazienda nehmen, daß die Verwüstung hier nicht immer so frisch und furchtbar die Erinnerung an seinen Verlust in ihm wachriefe, aber er weigerte sich, den Platz zu verlassen, denn hierher – hierher kehrte Irene zurück, wie er flüsterte, wenn sie endlich wiederkam; hier mußte er sie erwarten – an keinem andern Ort.
Und endlich trafen die Männer wieder ein, die ausgeritten waren, um sein Kind zu befreien. Er hörte sie, wie sie nur den Hof betraten, und flog mit zitternder Hast ans Fenster – aber er fragte keinen Menschen, was sie für Kunde brachten. Nur einen Blick warf er auf die erschöpften, zum Tode matten Gestalten, die düster und schweigend auf ihren Pferden hingen, dann zog er sich still und lautlos vom Fenster zurück, warf sich auf sein Lager und barg das Antlitz in den Händen.
So lag er zwei volle Tage lang und nahm weder Speise noch Trank; man wollte ihn emporheben, aber er ließ es nicht geschehen, und seine Kinder fürchteten, daß angewandter Zwang am Ende gar zu einem Wutausbruch führen könne. Erst am zweiten Abend stand er selber auf, verlangte Wasser, um sich zu reinigen, und aß und trank, was man ihm vorsetzte; aber er sprach noch immer kein Wort, und nur der scheue Blick, den er manchmal im Kreis umherwarf, schien jemanden zu suchen – zu vermissen.
Erst am andern Morgen erholte er sich geistig wieder. Er kannte seine älteste Tochter und umarmte und küßte sie – ebenso seinen Schwiegersohn. Dann fragte er nach Pedro Alfeira, der unmittelbar neben seiner Hazienda lebte, und von dem er wußte, daß er mit den Verhältnissen der Otra Banda genau vertraut sei. Man sagte ihm jetzt, daß Pedro dem damaligen Zug als Führer gedient habe, aber noch nicht zurückgekehrt sei, und niemand wisse, was aus ihm geworden.
So war er vielleicht hinübergeritten, um sein Kind zu schützen?
Nein – im Gegenteil – rascher geflohen als einer der Übrigen, hatte er, wie es schien, den Weg in die Ansiedlungen allein angetreten. Ob ihm da unterwegs ein Unglück zugestoßen, ob er den Indianern in die Hände gefallen oder in dem rasch angeschwollenen Bergstrom ertrunken wäre – wer konnte es wissen.
Wieder saß Don Enrique träumend eine lange Zeit; aber er überwand auch das und befahl jetzt, ihm sein Pferd zu satteln und vorzuführen.
Die Seinigen machten ihm Vorstellungen, denn sie glaubten, daß er, vollständig verwirrt, allein und schutzlos zu den wilden Stämmen hinüberreiten wollte, um selber sein verlorenes Kind aufzusuchen; aber er beruhigte sie rasch. Er wußte, daß er damit nie etwas ausgerichtet hätte, und nur jetzt, da er sah, daß das unglückliche Mädchen von allen aufgegeben sei, beschloß er selber zu handeln, und zwar nicht in törichter, unbedachter Weise, sondern ruhig und überlegt, um den einzigen Weg aufzufinden, der Irene in seine Arme zurückführen konnte.
Von seinen Pferden war allerdings in jener Nacht ein großer Teil gestohlen worden – alle wenigstens, die sich zufällig in der Nähe des Hauses befanden; andere Trupps aber, die gerade draußen auf den verschiedenen Weiden gewesen, waren von den Pehuenchen natürlich nicht erreicht worden, und es blieben ihm noch genug zur Verfügung. Don Enrique bewies bald, daß seine geistigen Fähigkeiten, wie man auch dafür anfangs gefürchtet, nicht im mindesten gestört seien, denn alle die Anordnungen, die er traf, lauteten klar und vernünftig.
Das Hauswesen übergab er einem alten treuen Diener, der auf seiner Hazienda geboren und vom Vater auf den Sohn vererbt war. Dieser erhielt auch den Auftrag, die niedergebrannten Gebäude in seiner Abwesenheit wieder mit Hilfe eines Baumeisters, den er ihm von Concepcion heraussenden würde, herzustellen. Auch den arg verwüsteten Garten befahl er wieder in Ordnung zu bringen, damit nichts mehr an die erlittene Zerstörung erinnere, wenn – er wieder mit Irene heimkehre. Dann vernahm er alle die Leute, die etwas über die Otra Banda wußten – und es waren deren nicht viele –, um zu erfahren, in welcher Gegend der Pampas der oberste Kazike der Pehuenchen, Jenkitruss, gewöhnlich seinen Aufenthalt habe. Ihre Aussagen stimmten so ziemlich darin überein:
Einen gewissen Wohnsitz habe er allerdings nicht, wie kein Stamm oder Häuptling jener Indianer; aber fast immer halte er sich zwischen dem Limaï und Kusu Leusu oder schwarzen Fluß auf – also viel weiter südlich, als der Paß von Antuko lag, und etwa im Osten von der chilenischen Provinz Valdivia, von der aus ebenfalls einige niedere Pässe über die Kordilleren führten.
Einer von seinen Peones, ein Bursche von vielleicht vierundzwanzig Jahren, war ein paarmal mit einem Valdiviahändler dort drüben gewesen und verstand etwas von der Sprache jener Stämme, der sollte ihm folgen, weiter niemand – wenigstens nicht von hier aus, und erst in Valdivia wollte er suchen, noch weiter Begleiter zu finden.
Sein Schwiegersohn erbot sich jetzt, als er sah, was der alte Mann beabsichtigte, die Reise mit ihm zu machen, aber Don Enrique wies das ganz entschieden zurück. Jener mußte bei seiner jungen Frau bleiben und sie beschützen, denn in diesem ungeregelten Zustand des Landes konnte und durfte er sie nicht allein und hilflos zurücklassen. Wer anderes hätte auch seinen Besitz übernehmen sollen, wenn ihm auf der weiten, gefahrvollen Reise ein Unglück zustieß. – Der junge Mann suchte ihn noch zu überreden, aber er blieb fest und unerschüttert bei seinem einmal ausgesprochenen Willen. »Er reiste allein mit José, und Gott würde ihn schützen und seine Hand über ihn halten.«
Sein Plan war einfach genug: Der vorgerückten Jahreszeit wegen, in welcher die Kordilleren unpassierbar wurden, durfte er nicht viel Zeit versäumen. Mit seinen Pferden ritt er deshalb jetzt nur nach Concepcion hinunter, nahm dort an Geld auf, was er zu brauchen glaubte, und ging dann mit dem in den nächsten Tagen eintreffenden Dampfer vom Hafenplatz aus nach Valdivia hinab – oder vielmehr hinauf, wie die Chilenen den Süden, der stets von dort her wehenden Winde wegen, nennen. In Valdivia mußte sich nachher das Weitere finden. Führer bekam er sicher genug hinüber, und er allein gedachte dann den Häuptling aufzusuchen, der einem reichen Lösegeld gewiß nicht widerstehen würde.
Mit dieser Hoffnung schien aber auch wieder frisches Leben in das Herz des alten Mannes eingekehrt zu sein. Er dachte nicht mehr daran, wie er seinen Liebling wiederfinden würde, er dachte nur an das Wiedersehen, nur an den Augenblick selber, wo er sie aufs neue in die Arme schließen durfte, und konnte die Zeit nicht erwarten, wo er im Sattel saß, da jede verzögerte Stunde hier ja auch das Glück, die Seligkeit jenes Moments hinausschob.
Wohl machten seine Freunde ihm noch den Vorschlag, die Regierung zu vermögen, eine starke bewaffnete Macht über die Berge zu werfen, und wie sie die Araukaner hier gezüchtigt hatten, so auch den Pehuenchen dort drüben einmal ihre Macht und Gewalt zu zeigen und sie zur Herausgabe aller genommenen Beute zu zwingen. Don Enrique schüttelte aber zu all den schönen Plänen traurig mit dem Kopf, denn er kannte die Verhältnisse des Landes nur zu gut und wußte, wie wenig er von einem solchen Plan zu hoffen hatte, selbst wenn die Regierung – was sie aber sicher nicht tat – darauf einging.
Mit den Araukanern war es etwas anderes; diese bewohnten den schmalen, scharf begrenzten Küstenstrich, mit weißen Ansiedlungen im Süden und Norden, im Westen das Meer, im Osten die Kordilleren. Sie hatten feste Wohnplätze, urbar gemachte und eingezäunte Felder und Herden auf ihren bestimmten Weideplätzen; denen also war beizukommen, und ein chilenisches Heer konnte, wie es ja auch jetzt geschehen, sie in ihrer eigenen Heimat aufsuchen, erreichen und für begangene Frevel züchtigen. Anders aber, weit anders stand es mit den wilden Horden der Pampas, über deren eigentliche Stärke man erstlich einmal noch gar keine bestimmte Kunde hatte, denn ihre Scharen streiften überall umher, und denen auch nie und nimmer beizukommen war. Ihre hauptsächlichste Furchtbarkeit bestand allein in der Schnelle ihrer Bewegungen, mit der sie einen ganzen Stamm plötzlich auf irgendeinen ungeahnten Punkt warfen und am nächsten Tag schon wieder Leguas zwischen sich und die Überfallenen gebracht hatten. Kleine Trupps griffen sie, tollkühn und wild in ihrem Anprall, mutig an und rieben sie auf: vor einer anrückenden Armee aber verschwanden sie, ihre Herden und Pferde mit forttreibend, ja selbst das Wild vor sich herjagend, in der bahnlosen Steppe, und dorthin durften ihnen die Angreifer nicht folgen, denn sie wußten nie, wohin sie geführt wurden, und wo sie für eine so große Anzahl von Menschen hinlänglich Proviant und besonders Wasser herbekommen sollten.
Don Enrique wußte deshalb leider nur zu gut, daß er auf Gewalt keine Hoffnung mehr bauen durfte, seit die Räuber die weiten Ebenen wieder erreicht hatten. Sie wären mit seinem Kind in das Innere des trostlosen Landes geflohen, wenn sie sich von irgendeiner Übermacht bedroht gesehen, und die einzige Möglichkeit, wodurch er sein Ziel auch am schnellsten erreichen konnte, war, den Eigennutz der Stämme zu benutzen und ihnen ein so reiches Lösegeld zu bieten, daß sie der Versuchung zuletzt nicht widerstehen würden. So fest fühlte er sich auch von einem günstigen Erfolg überzeugt, daß er beinahe wieder heiter gestimmt wurde und auch die Begleitung der Freunde bis Concepcion nicht ablehnte.
Einen näheren Weg würde er allerdings gleich hier über die Berge gehabt und dadurch die Seereise erspart haben; aber nach all den stattgehabten Reibungen zwischen Weißen und Indianern, mit den Hunderten von vertriebenen Araukanern dazu in den Bergen, durfte er es nicht wagen, diesen Weg einzuschlagen; und selbst wenn er sich eine starke militärische Begleitung von der Regierung ausbat, die ihn dann vielleicht bis in das Gebiet der Pehuenchen bringen konnte, würde das die Indianer von vornherein gegen ihn selber mißtrauisch gemacht haben. Das Beste blieb immer, daß er bei seinem erst gefaßten Plan beharrte, allein und ohne Waffen durch den südlichen Teil von Chile die Kordilleren zu passieren. Dort mußte er entweder mit Jenkitruss selber oder einem der unteren Kaziken zusammentreffen, und dann – mochte ihm Gott weiter helfen auf seinem schweren Weg, daß er das Herz des wilden Kriegers rührte.
Solange er sich noch unter den Freunden befand, verließ ihn diese heitere, vertrauensvolle Stimmung auch nicht. Kein Indianer fast widersteht einem hohen, auf irgendeinen Gegenstand gesetzten Preis; selbst ihre Ehen sind ja nur ein bestimmter Kaufkontrakt, in dem der Bräutigam oder Heiratslustige das Mädchen von ihren Eltern erhandelt und nur höher und höher bieten muß, je deutlicher er seine Leidenschaft verrät. Selbst sein bestes Pferd, von dem sich der Araber in der Wüste, und wäre er der Ärmste, um keinen Preis trennen würde, ist dem Indianer feil, sobald er nur ein annehmbares Gebot dafür erhält, und die Bola verkauft er vom Gürtel, die Lanze aus der Hand, sowie er einen guten Käufer findet.
Zu welchem andern Zweck hatte der Wilde auch das junge, zarte Geschöpf entführt, das keine jener schweren Arbeiten verrichten konnte, die von den Frauen der Pehuenchen stets und immer verlangt werden. War sie imstande, eins der schweren Zelte abzubrechen, auf Pferde zu packen und wieder aufzustellen? Konnte sie aus der zähen Guanakohaut Zügel und Halfter flechten und Holz und Wasser herbeischleppen, Feuer anzünden und die Speisen kochen? Nein, der Pehuenchen-Häuptling war sicher froh, das nutzlose, törichte Ding um irgendeinen guten Preis wieder loszuwerden, wenn ihm der nur dafür geboten wurde.
So dachte, so grübelte der alte Mann, als er still und träumend an Bord des Dampfers saß und auf die weite, offene See hinausstarrte, die groß und endlos vor ihm lag, und oft zuckte dann ein Lächeln um seine Lippen, wenn er sich das Wiedersehen ausmalte, wie er, seine Tiere mit allen nur erdenklichen Kostbarkeiten beladen, vor dem Häuptling hielt, dessen gierige Blicke die Schätze überflogen, bis er dann ein Zeichen gab – wie sich das Zelt öffnete und Irene – seine Irene, jubelnd, jauchzend heraus und in seine Arme stürzte – und dann – aber andere, furchtbare Bilder kreuzten dann plötzlich sein Hirn – noch während seine Augen vor Freude leuchteten, schoß es plötzlich wie Tod und Wahnsinn daraus hervor, und er preßte dann die Stirn zwischen seine Hände und saß stundenlang still und regungslos.
An Bord – wenn er selber auch kein Wort über das Ziel seiner Reise gesprochen, wußten die Mitpassagiere doch schon durch den Peon, der eben nicht schweigen konnte, welches furchtbare Unglück den alten Mann betroffen, und der Kapitän, ein echter englischer Seemann, einfach und bieder, tat alles, was in seinen Kräften stand, um ihm wenigstens den Aufenthalt an Bord so angenehm als möglich zu machen. Der alte Chilene nahm alles still und dankend an, aber es war fast, als ob er sich fürchte, daß irgend jemand mit ihm ein Gespräch anknüpfen und die Wunde, die er mit beiden Händen wie krampfhaft geschlossen hielt, gewaltsam wieder aufreißen wolle. Scheu und gedrückt hielt er sich von allen zurück, und selbst anderer Unterhaltung lauschte er nur still und teilnahmslos.
Wie aber das Boot weiter seinen Weg verfolgte und die südlichen Berge mehr und mehr zum Vorschein kamen, wie er zuletzt sogar den schneebedeckten Kegel des Vulkans von Villa Rica erkannte, da wich er nicht mehr vom Backbordbug des Dampfers, und sein Blick hing von da ab sehnsüchtig an der Bergkette, die ihn von seinem Kinde trennte.
Endlich erblickten sie Corral, den Hafen von Valdivia und liefen in die prachtvolle Bai ein, von wo aus die Passagiere nachher in kleinen Booten ihren Weg den Strom hinauf nach der Hauptstadt und Kolonie Valdivia fortsetzen mußten.
Don Enrique kümmerte sich dort auch um keinen seiner Mitpassagiere. Wie nur der Dampfer den Anker fallen ließ, winkte er eins der nahenden Boote heran; sein Gepäck war bald hineingetan, und während er selber das Steuer nahm, ruderte José mit den beiden Bootsleuten das kleine Fahrzeug, von der Flut noch dabei begünstigt, rasch den Strom hinauf.