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Nach und nach sammelten sich die Offiziere, die teils an verschiedenen Orten gekämpft, teils versucht hatten, ihre Pferde zu retten – vergebliche Mühe! wenn sie sich erst einmal in der Gewalt der Wilden befanden –, auf dem Hofraum vor dem brennenden Hause; denn wer hätte jetzt an Löschen denken können. Es mußte eben ausbrennen, und der frische Wind, der die Flammen von den übrigen Gebäuden fortblies, sicherte diese doch wenigstens vor der Gefahr, ebenfalls erfaßt und zerstört zu werden. Aber wo waren die Hornisten, deren Wachsamkeit die Hazienda eigentlich diese Nacht anvertraut worden? Keine Spur ließ sich von ihnen erkennen, nur draußen im Weg lag der Posten, an dem die Wilden angeschlichen sein mußten, und den sie dann über den Haufen gerannt hatten. Unter den schweren Hufen der Feinde war dem armen Teufel bös mitgespielt, und er büßte hart genug für seine Unachtsamkeit: er starb, ehe man ihn selbst bis zum Hof transportieren konnte.
Waren übrigens die Hornisten nicht da, so fanden sich doch einige ihrer zurückgelassenen Trompeten, und einer der Offiziere blies jetzt das Signal darauf, das sie herbeirufen mußte, wenn sie sich nur noch in Hörweite befanden. Nach und nach kamen sie auch alle heran: etwas beschämt wohl, aber auch unbeschädigt, und selbst die zwei, deren Köpfe Allumapus Eisengriff zusammenstieß, schienen sich von ihrer augenblicklichen Betäubung erholt zu haben und sammelten sich mit den Übrigen vor der Brandstätte.
Auch die Peones und Mägde krochen aus ihren Verstecken hervor, und mit dem dämmernden Tageslicht, dem die Sonne bald darauf folgte, faßten auch die Schüchternsten wieder Mut, denn alle wußten, daß die Indianer nach einem solchen Überfall nie noch einmal zu dem Schauplatz ihrer Zerstörung zurückkehrten.
Ausgesandte Boten aber kamen mit der Nachricht wieder, daß alle Pferde, die den Soldaten und der Hazienda gehörigen, fort und in die Berge getrieben seien; ebenso schienen die Wilden an Vieh mitgenommen zu haben, was sie nur in der Eile zusammenjagen konnten, und dies war auch wohl nur der einzige Zweck ihres Überfalls gewesen. Die ihnen geraubten Pferde hatte man ihnen vorenthalten, und die wilden Reiter, die nicht ohne ihr Eigentum in die Berge zurückkehren wollten, nahmen einfach das Gesetz in ihre eigene Hand. Daß sie aber etwas rauh dabei verfuhren, wer konnte es ihnen verdenken; es war ein rauhes Volk und von den Weißen eben auch noch nicht glimpflich behandelt worden.
Hauptmann Adano übernahm die Führung des kleinen Trupps – der alte Obrist war tot, und alle Belebungsversuche blieben erfolglos; wie aber sollten sie die flüchtigen Indianer, ohne selber beritten zu sein, ereilen. Boten wurden nach allen Richtungen ausgeschickt, um von den benachbarten Hazienden Pferde herbeizuschaffen, und einer der Hornisten augenblicklich beauftragt, mit dem ersten Pferde, das er erlangen könne, nach Concepcion hineinzujagen. Dort solle er die Meldung des Überfalls machen, wie auch um eine Schwadron Reiter bitten, um den Dieben nicht allein ihren Raub abzujagen, sondern ihnen auch für alle Zukunft die Lust zu weiteren derartigen Freveln zu benehmen.
Keiner der Offiziere hatte sich indessen um den alten armen Mann bekümmert, der erst unter der Pflege von ein paar Mägden wieder zur Besinnung kam und jetzt verzweifelnd nach seinem Kinde – seiner Irene rief. – Fort? – geraubt von den Wilden? Der Gedanke war zu furchtbar, als daß er sich selber die entsetzliche Wahrheit eingestehen mochte, und wie er sich nur erst wieder auf den Füßen halten konnte, schwankte er durch den Hof und Garten, hinaus in den Weinberg und die Felder, und rief mit markdurchschneidender Stimme seinen verlorenen Liebling. Sein niedergebranntes Haus, seine geraubten Herden – nicht einen Blick warf er darauf, kein Gedanke weilte bei denen, und reich, überreich würde er sich gehalten haben, hätte er das Kind in diesem Augenblick wieder in seine Arme drücken können. Aber vergebens blieb all sein Rufen, all sein Bitten und Beten, und selbst die Soldaten sahen scheu zu dem alten Mann hinüber, wie er sein weißes Haar raufte und dann auf die Knie stürzte und seine Stirn an den Boden drückte.
Da plötzlich sprang er auf – noch eine Hoffnung war ihm geblieben in seinem entsetzlichen Elend – sein Kind konnte vielleicht nicht geraubt sein – es konnte tot unter den rauchenden Trümmern seines Hauses begraben liegen! – Oh, lieber tot – zehnmal lieber tot und verbrannt, als es lebend in den Händen jener erbarmungslosen Wilden, als es allein, verraten, verlassen, elend in den Pampas in der Wildnis zu wissen.
In zitternder Hast sprang er auf und wollte mit eigenen Händen die brennenden Balken hinwegräumen, um die verkohlten Überreste seiner »Perle« aufzusuchen – mit Gewalt mußte er davon zurückgehalten werden; und was ihm ein Trost sein sollte, die Versicherung: sein Kind lebe – der und jener habe es selber auf dem Pferd des einen Indianers gesehen, diente nur dazu, seine Verzweiflung fast bis zum Wahnsinn zu steigern.
Hauptmann Adano war indessen nicht müßig, wenigstens alles in seinen Kräften stehende zu tun, um die entflohenen Pehuenchen wieder einzuholen.
Er ging selber mit den jetzt zurückkehrenden Spähern hinaus, um sich von der Richtung zu überzeugen, welche die Flüchtigen genommen; und im Anfang zeigte sich das nicht so leicht, da ihre Pferde nach allen Seiten galoppiert waren, um eben das Vieh zusammenzutreiben. Außerdem führten verschiedene Pfade nach dem Engpaß hinauf, der über die Kordilleren hinabführte. Die Meinung derer aber, die er darüber befragte, welches der kürzeste Weg dahin sei, schien geteilt, denn wie sich bald herausstellte, war noch keiner von allen jemals dort gewesen. Weiter im Walde drinnen zogen sich die Spuren übrigens entschieden nach Osten, und es blieb jetzt nur das noch zweifelhaft, ob sich die Wilden nicht doch vielleicht im nächsten Seitental in das vollkommen verlassene araukanische Gebiet hineingewandt, oder den weit beschwerlicheren, aber auch direkten Weg gerade über die Berge genommen hätten. Hinüber konnten sie jetzt überall, während später der Regen manche Pässe ganz unnahbar machte.
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich indessen die Nachricht von dem Überfall der Pehuenchen und dem Raub Irenes in der Nachbarschaft, und wenn auch nur wenige vielleicht daran gedacht hätten, den Wilden in ihre Berge zu folgen, um ihnen ein paar Stück Vieh und einige Pferde abzunehmen, so erregte doch das Unglück des armen lieblichen Geschöpfs, das alle schon durch ihre Anmut und liebenswürdige Bescheidenheit entzückt hatte, das Mitleiden und den Wunsch zu helfen. Noch war kaum eine Stunde vergangen, als schon zehn oder zwölf junge Burschen, mit Lassos und Vogelflinten bewaffnet, Reservepferde mit Provisionen bepackt an der Leine, heransprengten, um die Verfolgung aufzunehmen, und mehr und mehr trafen ein, als der Tag weiter vorrückte, und schienen jetzt ungeduldig den Augenblick zu erwarten, wo sie dem flüchtigen Feind nachsetzen durften. Lag doch außerdem die Möglichkeit, ja die Wahrscheinlichkeit vor, daß sich die Räuber noch gar nicht einmal weit zurückgezogen hatten, und vielleicht, von dem günstigen Erfolg ihres ersten Überfalls berauscht, nur irgendwo versteckt in den nächsten Hügelhängen hielten, um am andern Morgen mit der Dämmerung einen zweiten Einbruch zu versuchen. War das aber wirklich der Fall, dann hatte man auch Hoffnung, sie von den Bergen abzuschneiden und ihnen nicht allein den gewonnenen Raub abzujagen, sondern sie auch für den begangenen Frevel zu züchtigen.
Pferde wurden jetzt auch beigetrieben und die Offiziere dadurch wieder beritten gemacht. Hauptmann Adano zögerte aber noch immer, den Befehl zum Aufbruch zu geben, da er zuerst die Ankunft seiner requirierten Leute abwarten wollte, und die konnten kaum vor Abend eintreffen. Damit war aber den schon ungeduldig werdenden Guasos nicht gedient. Wollten die Indianer wirklich über die Berge, so gewannen sie durch das lange Zögern zu vielen Vorsprung, und nur durch rasche Verfolgung war es möglich, die flüchtigen Räuber vielleicht von dem Bergpaß abzuschneiden. Sobald das aber gelang, konnte ein einziger an richtiger Stelle gefällter Baum die Wilden zwingen, zurückzuweichen und einen andern Übergang zu suchen, und dann fielen sie den nachrückenden Soldaten in die Hände und kamen zwischen zwei Feuer.
Vier Offiziere baten um die Erlaubnis, diesen Zug begleiten zu dürfen, und da der Hauptmann selber von einem zu langen Zögern ein gänzliches Mißlingen der Verfolgung fürchtete, zeigte er sich endlich damit einverstanden. Jubelnd sprangen die jungen Leute in die Sättel, und in wenigen Minuten waren sie zum Abmarsch bereit. Gerade aber, als sie den Platz verlassen wollten, schwankte Don Enrique aus einem der kleinen Nebengebäude heraus, wo man ihn in seiner Ohnmacht auf ein Bett gelegt. Er winkte mit der Hand und verlangte den Zug zu begleiten. Er sah dabei totenbleich aus, die Augen lagen ihm tief in den Höhlen, das weiße Haar umflatterte wild und wirr seine Schläfe. Ein junger Bursche sprang mitleidig aus dem Sattel und führte ihm sein Pferd vor; er selber wollte sein Leittier reiten. Der alte Mann taumelte auch, mit dankendem Kopfnicken, hinaus auf den Hof, griff mit beiden Händen den Sattel und wollte den linken Fuß in den Steigbügel heben – aber es ging nicht, seine Kräfte waren erschöpft. Er ließ das Pferd los, kauerte sich am Boden nieder und barg, bitterlich weinend, sein Antlitz in den Händen.
Hätte irgend etwas die jungen Leute noch zu größerer Wut gegen die Räuber aufflammen können, so war es der Anblick des Unglücklichen, der gestern noch frisch und rüstig in der Kraft des Mannesalters, mit herzlicher Gastfreundschaft für alles sorgend, an alles denkend, heute gebrochen, vernichtet auf den Boden sank und doch keinen Vorwurf, kein Zorneswort für die hatte, die ihm mehr als sein Leben, die ihm sein liebstes Kind geraubt. Nur das Gefühl seines Elends, seines namenlosen Jammers schien ihm geblieben, und er hob nicht einmal den Kopf, als die bewaffnete Schar jetzt mit einem wilden Racheschrei ihren Pferden die Sporen gab und hinaus ins Freie flog.
Anfangs hatte die Richtung, welche die Pehuenchen genommen, schließen lassen, daß sie sich dem Flußbett des Biobio zuwenden würden, an dem hinauf der gangbarste Weg lief, und auf dem sie ihre Pferde und das geraubte Vieh am schnellsten hätten vor sich hertreiben können; bald aber zeigte es sich, daß sie sich mehr links in die Berge gewandt hatten, deren rauher Charakter allerdings einen tüchtigen Reiter verlangt, um darin fortzukommen. Darin gaben die Chilenen den Indianern aber wenig nach: im Sattel waren sie fast ebenso daheim, und ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, folgten sie den ziemlich deutlichen und breiten Spuren der wilden Räuber.
Das war ein böser Ritt durch das dichte Unterholz der noch niederen Berge, und nur der vorangegangene Pferdetrupp hatte schon etwas Bahn gebrochen. Jedenfalls aber mußten sie weit rascher vorrücken als die Indianer, deren bald nach rechts, bald nach links auszweigende Spuren verrieten, wie sie die zur Seite flüchtenden Tiere nur mit Mühe in der richtigen Bahn gehalten hatten. Freilich war aber auch der Vorsprung ziemlich groß, den diese gewonnen, und aufhalten durften sie sich nicht, wenn sie ihnen noch auf einigermaßen günstigem Terrain nachkommen wollten. Und höher und höher ging es in die Berge hinein, auf einem Weg, dem noch keiner von all den jungen Leuten, so oft sie auch oben in den Höhen gewesen, gefolgt war, ja den nicht einmal ihr Führer, ein mit der Otra Banda vertrauter Argentiner, kannte. Sollte das vielleicht nur eine List der Wilden sein, um sie in einen Hinterhalt, an irgendeinen gefährlichen Hang zu locken? Aber sie hätten sich da verrechnet, denn die Chilenen waren gut bewaffnet und ziemlich zahlreich, und allen Angaben nach konnte der Trupp der Pehuenchen aus kaum mehr als vierzig oder fünfzig Mann bestehen, denen sie sich jedenfalls vollständig gewachsen glaubten.
Weiter und weiter zog sich die Spur in die Gebirge hinauf; hier waren sie einer Schlucht gefolgt, wo ein Maultierpfad die Richtung kreuzte und die tief ausgetretenen Fährten wie eine Reihe von nebeneinander liegenden Löchern das Reiten nur im Schritt möglich machten. Aber auch ein gutes Zeichen fand sich dort: ein kleiner Quell rieselte hindurch und hatte die eine der Kuhlen gefüllt – das darin stehende Wasser sah aber noch schlammig aus, also konnte noch gar nicht so viel Zeit verflossen sein, seit die Pehuenchen diesen Pfad passiert hatten. Hielten sie ihn, so mußten sie auch den Rächern noch vielleicht an diesem Abend in die Hände fallen. Aber das erwies sich bald als vereitelte Hoffnung, denn in die erste Schlucht, die sich von links her öffnete, führten die Spuren, und die Zeichen von Pferdehufen an der andern Seite verrieten deutlich, daß dort ein paar jedenfalls vorausgesprengte Reiter gehalten hatten, um die nachfolgenden Tiere in die richtige Bahn zu lenken.
Wieder ging es jetzt einen ziemlich steilen Hang empor, der mit Buchen besetzt war und wo die lästige Kila anfing das »Unterholz« zu bilden; aber der Abend brach auch herein, und in Nacht und Dunkelheit wäre es nicht möglich gewesen, durch diese Wildnis nur die Bahn zu finden, viel weniger also in der richtigen Spur zu bleiben. An dem ersten Wasser, das sie erreichten, einem kleinen Quell, der über die Steine sprang, machten sie deshalb halt. Sie durften auch ihre Tiere nicht zu übermäßig anstrengen, und dort wurde das Lager für die Nacht aufgeschlagen.
Einzelne Späher sandte man allerdings noch aus, um sich zu überzeugen, ob die Pehuenchenhorde nicht vielleicht ganz in der Nähe wäre, aber sie konnten nichts entdecken; sie mußte doch weiter voraus sein, als man anfangs geglaubt. Wachen wurden jedoch für die Nacht vorsichtig ausgestellt und gegen Morgen verdoppelt, um ganz sicher vor einem Überfall zu sein, denn zu trauen war dem listigen und mit allen Schlichen im Wald bekannten Feind nicht. Jenkitruss schien aber nicht an etwas Derartiges zu denken. Die Nacht verging ohne die geringste Störung, und mit der Morgendämmerung zäumten die Männer schon wieder ihre Pferde auf, als der tiefer am Hang postierte Posten atemlos angesprungen kam und meldete, er habe Pferdewiehern unten im Tal gehört.
Konnten das die Pehuenchen sein? – Es ließ sich kaum denken, denn ihren Spuren war man bis hier herauf gefolgt, und jetzt, mit anbrechendem Tag, ließ sich deutlich erkennen, wie sie höher hinauf in die Berge führten. Und wer sonst? – Nachfolgende Freunde, das blieb das einzige. Aber sie sollten nicht lange im Zweifel darüber bleiben. – Deutlich tönte plötzlich von dort herauf ein Trompetensignal, und der Jubel der kleinen Truppe kannte jetzt keine Grenzen.
Die nachfolgenden Reiter erwiesen sich in der Tat als ein Pikett Ulanen, welches der von der Hazienda Don Enriques abgesandte Bote noch unterwegs angetroffen hatte, da ein Teil der Pferde, die es zu eskortieren hatte, ausgebrochen war und erst wieder beigetrieben werden mußte. Die Verfolger konnten kaum zwei Stunden den Platz verlassen haben, als die chilenischen Reiter schon eintrafen und jetzt, in einem scharfen Trab nachsetzend, erst am Fuße des Abhanges von der Nacht überrascht wurden. Mit ihren ausgeruhten Pferden versäumten sie jetzt auch wirklich keine Zeit, und nicht mehr gezwungen, den Fährten allein zu folgen, sprangen sie aus den Sätteln und trieben die Tiere rasch den Hang hinauf, so daß sie nach kaum zwei Stunden in Sicht ihrer Freunde kamen.
Die nachsetzende Truppe bestand jetzt aus einigen vierzig Soldaten und über zwanzig jungen Guasos – fast alle mit Feuergewehr versehen, und dem Schwarm der Pehuenchen mehr als gewachsen, wenn sie dieselben nur noch in den Bergen überholen konnten. Dazu hatten sie aber die begründetste Hoffnung, denn es ist keine Kleinigkeit, in den Bergen Vieh vor sich herzutreiben, selbst für Indianer, und hier und da ein Aufenthalt gar nicht zu vermeiden.
Als Führer und Kundschafter diente dem ganzen Zug ein Argentiner, Pedro Alfeira, der sich seit etwa Jahresfrist in der Nähe von Don Enriques Hazienda niedergelassen und sein Vaterland mit Chile vertauscht hatte. Er war aber nicht allein mit dem Walde genau vertraut, sondern kannte auch die indianischen Sitten und die Otra Banda sehr genau und mußte jedenfalls – wie auch das Gerücht ging – eine lange Weile mit den Pehuenchen gelebt haben. Über alles das beobachtete er selber ein hartnäckiges Stillschweigen. Alle aber wußten, wie ingrimmig er die Indianer haßte, und schon aus dem Grunde wurde er zum Führer gewählt, zu welchem Amt er sich auch vortrefflich eignete.
Auch jetzt war er den Fährten, das Auge fest am Boden haftend, rasch gefolgt, als er plötzlich den Kopf hob, als ob er irgend etwas vor sich bemerke.
»Hallo, Compañero,« flüsterte Hauptmann Adano, der die Ulanen führte, indem er an seine Spitze sprengte, »was gibts da vorn? – die roten Schufte?«
»Quien sabe, Señor,« sagte der Argentiner, mit der ausweichenden Antwort dieser Stämme, »wer weiß es; aber ich wittere Rauch, und möglich, daß wir uns vor den Feuern ihres letzten Lagers befinden, möglich, daß sie noch dort liegen, diese roten Bestien.«
»Sollen wir einen Kundschafter vorschicken, Pedro?« fragte der Offizier; »bei Gott, ich rieche jetzt selbst den Rauch; der Wind muß ihn gerade zu uns herübertreiben.«
»Caracho!«Provinzialausdruck für carajo, der kräftigste Fluch der Südamerikaner. brummte der Führer in den Bart, »wenn Ihr ihn auch riecht, Señor, dann, glaub ich, brauchen wir keinen Kundschafter mehr. Die Höllenhunde haben den Wald angezündet!«
»Den Wald angezündet?« riefen die Soldaten erschreckt; »so rasch brennen doch wahrhaftig die Araukarien nicht.«
»Vorwärts! Vorwärts!« drängte aber Pedro, »damit wir wenigstens erfahren, woran wir sind. Weit haben wir sie aber keinesfalls mehr vor uns, denn hinter dem Rauch stecken sie, soviel ist sicher.« Und ohne ein Wort weiter zu sagen, setzte er seinem Tier die Sporen in die Seite und sprengte, so rasch ihn dasselbe tragen konnte und ohne jetzt auch weiter auf die Fährten zu achten, dem nächsten Hügelrücken zu, der kaum fünfzig Schritt von ihnen entfernt lag. Bald hatte er diesen, von den übrigen Reitern ebenso rasch gefolgt, auch erreicht, und es zeigte sich hier, daß er mit seiner Vermutung vollkommen recht gehabt.
Dieser Hügel, an dem die Spuren der Pehuenchenpferde deutlich wieder hinabführten, senkte sich mehrere hundert Schritt in ein tiefes Tal hinab, in welches möglicherweise der eigentliche Hauptweg nach dem Gebirgspaß einmündete. Dort unten wuchs aber die nichtswürdige Kila in Masse, nicht mehr sehr hoch, aber dafür fest ineinander verworren und verwachsen, und dabei von zahllosen Schlingpflanzen durchzogen. Von oben sah es fast so aus, wie ein vom Winde niedergeschlagenes Getreidefeld; aber die Chilenen kannten recht gut diese heimtückischen Stangen und Ranken, durch welche, ohne eingehauenen Pfad, kein Reiter der Welt imstande gewesen wäre, sich Bahn zu brechen.
Allerdings mußten nun die Pehuenchen wohl einen Weg gekannt und benutzt haben, und ein rasch vorausgeschickter Ulan brachte auch bald die Nachricht zurück, es führe ein ordentlicher Reitweg in die Kila hinein, der von Pferde- und Rinderspuren ganz zertreten sei; aber es war auch keinem Zweifel mehr unterworfen, daß die Kila brannte, denn schon von hier aus konnten sie deutlich eine dünne Rauchwolke bemerken, die sich über das Dickicht herüberzog, und der brandige Geruch wurde von allen bemerkt.
»Hören Sie das da drüben?« sagte der Argentiner, indem er mit dem ausgestreckten Arm nach dem Rauch hinüberdeutete.
»Das klingt beinahe wie das Knattern eines Kleingewehrfeuers«, rief der Soldat rasch.
»Das ist das Rohr,« sagte Pedro; »denn jeder Knoten, wenn er vom Feuer erfaßt wird, knallt und springt auf. Der Brand wälzt sich, von der frischen Ostbrise getrieben, rasend schnell hierher, und Gott habe Erbarmen mit uns, wenn er uns in dem Schilfbruch drin erwischte. Es bleibt uns jetzt schon nichts übrig, als entweder bis zu der Stelle zurückzureiten, wo die roten Halunken damals rechts abbogen, und sie zu umgehen, oder hier einfach zu warten, bis die Kila niedergebrannt ist.«
»Aber das kann tagelang dauern.«
»Quien sabe,« zuckte der Bursche mit den Achseln. – »Wer weiß es, und wer kanns ändern.«
»Und das arme, arme Mädchen indessen in der Gewalt jener roten Diebe! – Der unglückliche Vater. Pedro, sollte es denn nicht möglich sein, einen Weg in die Kila hineinzuhauen, daß wir wenigstens den Versuch machen können vorzudringen, und dabei keiner Gefahr ausgesetzt sind, den Richtweg abgeschnitten zu haben.«
Der Argentiner schüttelte entschieden mit dem Kopf, und wieder mit dem Arm hinüberdeutend, sagte er:
»Seht nur, wie das Zeug ineinander verwachsen daliegt. Herüber und hinüber schlängelts – dort ein trockenes Rohr querüber, die grünen gerade in die Höh' und schräg gebogen – nirgends ein gleicher Hieb für das Messer, das außerdem in dem glasrindigen Rohr gleich stumpf und schartig wird. Drei Tage brauchen wir, wenn wir alle wie die Pferde arbeiten, ehe wir da hindurchkämen. Es ist ein niederträchtiges Gewächs.«
Noch während er sprach, brauste ein scharfer Windstoß durch die Gipfel der hohen Araukarien, unter denen sie standen, und Adano rief seufzend:
»Das hat uns noch gefehlt. Jetzt ein tüchtiger Sturm, und das ganze Rohrbett ist in einer halben Stunde ein Feuermeer.«
»Das wär das wenigste,« brummte Pedro, der jetzt zum erstenmal nach dem Himmel sah und bemerkte, wie sich indes im Norden eine schwere, schwarze Wand heraufgezogen hatte; »je schneller die Geschichte abgemacht ist, desto besser, denn die roten Heiden scheinen da drüben viel langsamer von der Stelle zu kommen, als ihnen lieb sein mag. Ohne die verdammte Kila wären wir ihnen auch wahrscheinlich schon heute morgen über den Hals geraten; aber ich glaube jetzt fast, der Sturm hilft uns, denn er zieht von Nordwesten her, was immer Regen mitbringt, und wenn er jetzt mit einem tüchtigen Norder einsetzte, wäre die Bahn um Mittag frei.«
»Und können wir wirklich bis dahin nichts tun – müssen wir still und untätig liegen?« fragte Adano.
»Die Pferde können wir ausruhen lassen,« nickte Pedro vor sich hin, »weiter nichts, und das ist auch ein Vorteil auf einem langen Ritt. Je weniger wir die jetzt anstrengen, desto frischer sind sie, wenn wir sie brauchen.« Und dem Wort die Tat folgen lassend, stieg er aus dem Sattel und führte sein Tier zu dem übrigen Trupp.
In dem anziehenden Wetter hatte er sich indessen nicht geirrt; ehe eine halbe Stunde verging, war der Himmel von jagenden Wolken umzogen, der Wind hatte sich zu einem Sturm erhoben, der die schweren Früchte der Araukarien zu Boden schleuderte und die darunter Haltenden so gefährdete, daß sie sich einen offeneren Platz aussuchen mußten, um nicht getroffen zu werden.
Und mit dem Sturm kam der Regen. Erst fielen einzelne schwere Tropfen, die den Boden trafen, als ob eine Bleikugel darauf niedergeprallt wäre, dann rauschte es heran mit der Windsbraut, und in der nächsten Minute goß es vom Himmel nieder, als ob die Wolken geborsten wären und eine Sturzflut zur Erde sendeten. Hei! wie das knisterte und knatterte im Rohr, und wie es den Rauch in dunklen, häßlich riechenden Schwaden vorüberwarf. So nahe war dabei das Feuer gekommen, daß sie drüben am andern Hang schon an einzelnen Stellen die helle Glut erkennen konnten. Der plötzliche Umschlag des Windes aber, der in dieser Jahreszeit sehr häufig eintritt und oft von schweren Gewittern begleitet ist, lenkte die züngelnden Flammen mehr nach Süden hinüber, und so arg wütete das Feuer, daß selbst dieser Regen anfangs nicht imstande schien, es zu dämpfen. Aber lange war es doch nicht möglich, ihm zu trotzen: die vollkommen durchnäßten Blätter fingen an, sich schwerer zu entzünden, der Wind war zu heftig geworden, jagte die Flamme auch mehr über die schon ausgebrannte Strecke zurück, und je stärker sich der Qualm durch den Wald zog, desto deutlicher zeigte er das Verlöschen des Brandes an.
Da die Stelle, auf welcher der Reitertrupp hielt, vollkommen frei von Unterholz wie auch Rohr war, so hätten sie für sich selber wohl kaum etwas zu fürchten gehabt, denn so rasch fangen die hohen Waldbäume kein Feuer, und brauchen selbst in dem Fall eine lange Zeit, ehe sie davon zerstört werden und stürzen können. Jetzt aber, mit der andern Richtung des Windes, war auch die letzte Gefahr vollkommen beseitigt, und die Chilenen suchten sich nur – soviel das möglicherweise ging – gegen den niederströmenden Regen zu decken, der sie nichtsdestoweniger in kurzer Zeit bis auf die Haut durchnäßte. Aber was tat das; wenn der »Schauer« vorüber war, wurden sie wieder trocken, und an ihre Tiere gelehnt, damit sie mit der einen Hälfte des Ponchos wenigstens den Sattel gegen den Wassersturz sichern konnten, erwarteten sie ruhig die Zeit, bis sie wieder zum Aufsitzen gerufen wurden.
Mehrere Stunden verstrichen so, bis die Gefahr vollkommen beseitigt war, und ein Durchmarsch durch das Rohr begonnen werden konnte. Der Boden fühlte sich, weiter drinnen, zwar noch heiß an, und einzelne Halme glimmten noch immer fort trotz des Regens, aber sie brauchten nichts mehr für ihre Sicherheit zu fürchten und konnten ihre Verfolgung getrost wieder aufnehmen.
Es goß zwar noch, was vom Himmel herunter wollte, aber was tat das; die Feinde kämpften mit den nämlichen Hindernissen. Die Reiter saßen rasch auf, und bald erreichten sie einen schmalen Einschnitt in das Rohr, in welchem die Tiere nur eins hinter dem andern vorwärtsschreiten konnten. Und welche Schwierigkeiten bot selbst das, denn bei dem Ausschlagen des Weges war eine Masse der stärkeren Rohrtriebe vom Pferde herab kurz abgehauen worden, so daß sie etwa noch mit drei oder vier Fuß Länge in den Pfad hineinneigten. Doch was half das hier; durch mußten sie, wenn sie die Hoffnung nicht überhaupt aufgeben wollten, jene räuberische Horde einzuholen, und durch trabten sie, so rasch sie die Pferde vorwärts bringen konnten – erst im Pfad noch, einer hinter dem andern, und dann, wo der eigentliche Brand begann, jeder sich seine Bahn, so gut es eben gehen wollte, suchend. Hier aber konnten sie nur Schritt reiten, denn der einsetzende furchtbare Regen hatte dem Rohr nicht Zeit gegeben, ganz auszubrennen, so daß überall noch die angekohlten Stumpfe emporstanden, ja hier und da selbst an einzelnen Stellen, wo die Kila nicht so dicht gestanden, ganze Strecken verhältnismäßig unversehrt geblieben waren. Ihre schwarzgebrannten zähen Schäfte lagen, wie ebenso viele eiserne Stangen und Reifen, überall im Weg zerstreut.
Glücklicherweise war aber der eigentliche Kilastreifen kaum eine halbe Legua breit und füllte auch nur das Tal, das sie von der nächsten Höhe trennte. Sobald sie ihn passiert hatten, erreichten sie wieder offeneren und freien Wald, und hier zeigte sich nun freilich die Schwierigkeit, die vollkommen verwaschenen Spuren der Flüchtigen wieder aufzufinden, was noch dadurch erschwert wurde, daß sich diese – vielleicht absichtlich – aus ihrer bisher gehaltenen Richtung ganz rechts abgeschlagen hatten, als ob sie dort wieder in das Tal hernieder wollten.
Hier aber war Pedro den Verfolgern von wesentlichem Nutzen; denn mit allen Schlichen und Listen der Feinde vollkommen vertraut, ließ er sich nicht lange irreführen, die verlorenen Spuren wieder in der bisher eingehaltenen Richtung aufzusuchen. Nach links konnten sie nicht hinüber, wenigstens jetzt noch nicht, der steilen Hänge wegen, also mußten sie sich mehr rechts gewandt haben, und dorthin trafen sie denn auch bald wieder die frischen Fährten, denen sie nun in raschem Galopp folgten.
In dem ziemlich offenen Terrain hatten freilich die Indianer ebenfalls rascher vorwärtsrücken können, auch fanden die Verfolger, daß sich das geraubte Vieh schon mehr an das Treiben gewöhnt habe und nicht mehr so weit auseinandergelaufen war. Es bildete immer einen geschlossenen Trupp, und selten hatte sich das eine oder andere Stück seitab verlaufen, wo dann immer ein einzelner Reiter genügte, um es wieder zu der Masse zurückzubringen. Daß die Indianer dadurch rascher vorrückten, war natürlich, und die Verfolger durften jetzt selber ihre Pferde nicht schonen, wenn sie die Diebe noch auf der westlichen Seite der Kordilleren einholen wollten – wußten sie doch auch recht gut, daß sie ihnen nicht auf die östliche folgen durften, wenn sie sich nicht der Gefahr aussetzen wollten, von einem stärkeren Hilfstrupp angefallen und abgeschnitten zu werden.
Vor ihnen lag jetzt ein vollkommen baumfreier Höhenzug, der sich aber von da ab mehr nach links hinüber dehnte und dem eigentlichen scheidenden Gebirgsrücken der Kordilleren zuzuführen schien. Noch waren sie nicht auf dem völligen Kamm desselben, von wo aus man jedenfalls eine weitere Fernsicht haben mußte, als Pedro ein Zeichen mit der Hand gab, daß die ihm folgenden Reiter halten sollten, und voraussprengte. Fast oben angekommen, sprang er vom Pferde, das er indessen frei grasen ließ, und glitt wie eine Schlange hinter einen großen Steinblock hinan, der seine ganze Gestalt vollkommen decken konnte. Dort stand er ein paar Minuten regungslos und schaute auf das wildzerrissene, öde Land hinaus, das sich vor ihm ausbreitete.
Rechts, in gar nicht so weiter Ferne, lag der spitze Felskegel des Vulkans von Antuco, der von den Indianern gefürchtete Sitz ihres Feuergeistes Pilian, und dünner, schwarzer Rauch quoll aus seiner Spitze hervor und fegte mit dem noch immer wehenden Sturm nach Süden hinab. Der Regen hatte aufgehört, aber nur, so lange eine leichtere und hellere Wolkenschicht über sie hinzog; dicht dahinter folgten schon wieder schwarze, drohende Massen, die einen baldigen neuen Schauer verkündeten und die Öde der wilden Szenerie noch trostloser machten.
Dort hinüber lag der richtige und bekannte Paß zur Otra Banda; den aber konnten die Pehuenchen unmöglich von hier aus mehr erreichen, denn eine tiefe Schlucht trennten diesen Hügelrücken von den südlicher gelegenen Zügen, die sie mit ihren Tieren nicht wagen durften zu kreuzen; selbst das mächtige Gestrüpp an beiden Hängen würden sie nie durchbrochen haben. Vergebens suchte aber Pedro mit seinem Falkenblick die entfernteren Höhen ab, ob er nicht dort auf irgendeinem der kahlen Bergrücken sich bewegende Gestalten erkennen könne; nur ein einsamer Kondor strich langsam darüber hin, bis er hinter einem der vorragenden Bergspitzen verschwand.
»Nichts zu sehen?« fragte ihn der Hauptmann, der ihm soweit gefolgt war, als er sich noch von dem Kamme des Hügels gedeckt wußte. Pedro, ohne den Kopf zu wenden, schüttelte nur mit der rechten Hand.
»Das weiß der Böse, wo die Kanaillen stecken,« brummte er leise vor sich hin, »über die Höhe können sie noch nicht sein, das ist rein unmöglich, sie müßten denn Flügel bekommen haben, und hier unten auf den Kämmen –«, er fuhr plötzlich zusammen und duckte sich nieder, als ob er fürchte, von irgendjemand gesehen zu werden.
»Was war das, Compañero?« rief der Hauptmann, dem die Bewegung nicht entging, rasch, indem er fast unwillkürlich die Zügel seines Tieres aufgriff.
»Habt Ihr Euer Glas bei Euch, Señor?« fragte Pedro – »das lange, zum Durchsehen – Bueno? – kommt rasch hier herauf – laßt nur das Pferd, das geht nicht fort von da, solange es etwas zu fressen findet.«
Der Hauptmann erwiderte kein Wort, im Nu glitt er aus dem Sattel und zu dem Kundschafter hinauf, der nur schweigend mit dem Arm gerade voraus, etwas nach rechts deutete, und dort erkannte der Offizier auch augenblicklich, und zwar in gar nicht etwa zu großer Entfernung, sich bewegende Gestalten, die eben den nächsten Höhenzug passierten. Es waren unverkennbar Indianer in ihren blauen Ponchos und mit den langen schwarzen Haaren; Weiße hatten sich überhaupt wohl kaum in diese Berge verloren. Aber daß es auch der Trupp sei, dem sie folgten, verriet sich aus dem Schwarm von Tieren, welche sie vor sich hertrieben, und in dem sich deutlich einzelne Stück weißer und gefleckter Rinder erkennen ließen.
»Das sind sie! bei der heiligen Jungfrau, das sind die Schufte!« rief der Offizier in heftiger Aufregung, indem er dem Kundschafter das Glas hinüberreichte, »da seht selbst; sie treiben das Vieh gerade über den letzten Kamm.«
»Hm,« sagte der Argentiner, indem er das Glas nahm, es aber auf höchst ungeschickte Weise hielt, »ich weiß nicht, ich kann mit den Dingern nicht ordentlich fertig werden und verlasse mich immer lieber auf meine eigenen Augen. – Da drüben gehen die roten Schufte aber, das ist sicher, und gar nicht etwa in so übermäßiger Eile.«
»Und gar nicht so weit,« rief der Hauptmann rasch; – »die Entfernung kann kaum eine Legua betragen.«
»Ja, wenn man imstande wäre, es in gerader Richtung zu reiten,« sagte Pedro vorsichtig; »aber der Teufel traue den Kordilleren, wo einen oft eine Schlucht drei, vier Stunden aus dem Weg treibt, von der man glaubt, man könnte mit einem Stein hinüberwerfen.«
»Und weshalb zögern wir noch? – Die Zeit vergeht.«
»Paciencia,« sagte der Führer ruhig, – »erst müssen die letzten über den Kamm sein, denn durch das Anzünden der Kila halten sie sich sicher und übereilen sich nicht im mindesten. Sowie sie uns von dort drüben nicht mehr erkennen können, brechen wir nach. Da kommen die letzten – einzelne Reiter, die wahrscheinlich ein paar müde gewordene Stiere nachtreiben.«
»Allerdings«, sagte Adano, der sein Teleskop auf den Stein gelegt und aufmerksam hindurchgesehen hatte. »Ihr habt vollkommen recht, es sind noch drei von den roten Dieben, die ein paar Rinder nachtreiben. – Jetzt tauchen auch die letzten hinter dem Kamm unter. Wollen wir nach?«
»Und ist keiner der Burschen mehr zu sehen?« fragte der Kundschafter vorsichtig, »sucht den Platz ein wenig vorsichtig ab, Señor, denn die Pehuenchen haben Augen wie die Falken.«
Der Offizier folgte dem Rat und sah noch eine Weile aufmerksam durch sein Glas, konnte aber nicht das geringste mehr erkennen und rief endlich, ungeduldig emporspringend: »Adelante, compañero – adelante! – nicht die Spur ist mehr zu sehen, und wenn wir jetzt nicht unseren Tieren die Sporen in die Seite drücken, können wir nur ebensogut umkehren und nach Hause zurückreiten – fort! fort!«
Pedro warf noch einen Blick hinüber, aber er konnte ebensowenig irgend etwas Lebendes oder Verdächtiges entdecken, und langsam mit dem Kopf nickend, glitt er zurück, sprang in den Sattel und nahm, ohne weiter ein Wort zu sagen, die Spur der Flüchtigen wieder auf.
So nahe ihm der Trupp aber von da oben aus geschienen hatte, wo er die Schwierigkeiten nicht übersehen konnte, die dazwischen lagen, so lang wurde ihm endlich die Zeit, als sich der Tag schon wieder seinem Ende neigte und sie die flüchtigen Indianer noch immer nicht überholt hatten. Noch waren sie in der rechten Bahn, daran konnte kein Zweifel sein, und die Fährten, in und neben denen sie hingaloppierten, sahen so frisch aus, als ob sie von ihren eigenen Tieren ausgetreten wären. Und trotzdem kamen sie nicht in Sicht des Trupps, ja wieder dehnte sich vor ihnen eine weite Hochebene aus, auf der sie zu ihrem Erstaunen kein lebendes Wesen entdecken konnten. Wo hatten die roten Schufte da einen Schlupfwinkel gefunden?
Pedro schien hier große Lust zu haben, wieder vorher zu rekognoszieren, ehe sie sich auf den offenen Plan hinauswagten; Adano aber hatte die Geduld verloren, und auch insofern vollkommen recht, daß sie keine, jetzt noch verlorene Minute wieder einholen könnten. Die eigentliche Wasserscheide war schon zu nahe, und ob sie jetzt von den Wilden entdeckt wurden oder nicht, blieb sich vollkommen gleich. Diese taten doch außerdem schon ihr Bestes, um aus dem Weg zu kommen.
Hier brauchten sie auch nicht lange nach den Spuren zu suchen, denn deutlich genug waren sie und führten schräg über die Hochebene hinüber einer Stelle zu, die ein wunderliches Gemisch von wild durcheinandergestreuten Felsen bot, welche oft die sonderbarsten Formen und Gruppen bildeten. An einigen Stellen sah es aus, als ob dort die Ruinen von alten Schlössern ständen, mit hier und da noch einem von der Zeit verschonten Turm, einer übriggebliebenen Zinne – dort daneben ragten dann wieder einzelne gerade Säulen empor, daß man kaum anders glauben konnte, als daß sie von Menschenhänden aufgerichtet seien, während oben auf der Spitze noch besondere Felsstücke lagen und jeden Moment herabzustürzen drohten. War dieses Steingewirr hier so gewachsen, und die Erde rings umher vielleicht im Lauf der Jahrhunderte davon abgewaschen und zu Tal gespült, oder hatte irgendein gewaltiges Erdbeben jene riesigen Steinmassen umher geschleudert und der Zufall ihnen die verschiedenen Stellungen und Lagen gegeben?
Die wunderlich geformten Steinmassen bildeten eine Art Gürtel oder Krone auf einem der mit der Wasserscheide gleichlinig laufenden Hügel, und konnten kaum hundert Schritt in der Breite halten. Sobald sie dieselben aber passiert hatten, öffnete sich unter ihnen ein schmales Tal – eigentlich nur ein Einschnitt in den Bergen – und einen wilden Jubelruf stießen die Verfolger fast unwillkürlich aus, als sie dicht unter sich, so nahe, daß er fast schon mit einer Büchsenkugel zu erreichen gewesen wäre, den Schwarm der Wilden entdeckten, die eben in toller Hast das letzte Vieh in einen Hohlweg trieben. Ein Teil der Herde war jedenfalls schon voraus, aber dort – und wieder schmetterte ein wilder Racheschrei durch die Lüfte – dort, von zwei Indianern geleitet, ritt ein Weib auf einem der Pehuenchenpferde. – Bald hatten die Verfolger ihr Ziel erreicht, und in wilder Flucht sprengten sie jubelnd den Hang schräg hinab, der sie noch von dem Hohlweg trennte.
Ein Verheimlichen ihrer Nähe war auch nicht mehr nötig, ja ihr offenes Hervorbrechen konnte vielleicht gerade dazu dienen, die Feinde, in der Hast, ihnen zu entgehen, zu verwirren; das aber mußte ihnen dann verderblich werden. An ein Ausweichen war dort drinnen kaum mehr zu denken, denn rechts und links türmten sich die Felsen hoch und steil empor; sowie aber die Tiere in einem solchen Paß nur einmal in Verwirrung gerieten, sowie sich ein wildgemachter Stier vielleicht wandte oder auch nur störrisch in seinem Weg halten blieb, kam der ganze Zug ins Stocken, und die Indianer wären verloren gewesen.
Die Strecke war indessen nicht so rasch zurückgelegt, als die Verfolger von oben geglaubt, denn überall auf den hohen Bergen und in der dünnen, transparenten Luft läßt man sich nicht nur in Entfernungen leicht täuschen, sondern übersieht auch Schwierigkeiten in den Bahnen selber. Manchen Hang hält man für glatt und verhältnismäßig eben, bis man daran hinabgaloppiert und plötzlich Hohlwege findet, in denen sich ein Roß mit einem Reiter bequem verbergen könnte. So war es auch hier – Einschnitte und Senkungen fanden sie im Boden, die sie nur teilweise überspringen konnten; andere mußte sie umreiten. Jetzt aber mit der Stelle vor sich, in die sie den Feind hatten verschwinden sehen, brauchten sie auch nicht mehr ängstlich nach den Fährten zu forschen. Jeder wählte deshalb die Bahn, die ihm die leichteste dünkte, und wie ein Wetter fuhren die kecken Reiter über den rauhen Boden hin. Galt es ja doch, der erste zu sein, der Rache an den frechen Dieben übte, und die holde Blume, die sie entführt hatten, im Triumph wieder zurückzubringen in das Vaterhaus.
Was ihre Wut aber noch mehr anfeuerte, war die Gestalt eines einzelnen Wilden, der, bequem auf seine Lanze gestützt, am Eingang des Hohlwegs hielt und den ganzen, auf ihn einstürmenden Trupp ruhig zu erwarten schien. Wollte er allein den Paß verteidigen?
»Das ist Jenkitruss – das ist der Häuptling!« rief Pedro, als sie die dunkle Gestalt auf dem weit helleren Hintergrund des Felsens deutlich vor sich sahen. Und wie er so dastand, warf die eben untergehende Sonne ihre letzten Strahlen auf ihn und übergoß ihn mit einem magisch roten Licht.
»Er muß wahnsinnig sein, daß er uns allein trotzen will!« rief Adano, der eben an Pedros Seite dahinflog – »bleibt er, so fassen wir ihn lebendig –«
»Zwei Finger meiner linken Hand gäb ich drum, wenn das gelänge«, rief Pedro, und ein wilder Fluch teilte seine Lippen.
»Vorwärts, Compañeros!« rief der Führer – »einige von euch ein wenig mehr rechts, daß er keine List gebraucht und uns dahin entgeht.«
»Er macht keine Miene dazu,« sagte einer der anderen Offiziere, der sich jetzt ebenfalls neben Adano hielt, »aber, Kapitän, wenn uns die Schufte dort nur keine Schlinge gestellt haben – der Hohlweg ist vielleicht eng, und wenn sie von oben Steine herunterrollen sollten?«
»Und wie wollen sie hinaufkommen, Compañero?« lachte der Führer, »die Felsen sind wenigstens dreihundert Fuß hoch und steigen steil und schroff empor, 's ist jedenfalls eine Spalte, die einmal ein Erdbeben in das Gestein gerissen hat. – Nein, wer einmal drin ist, muß auch durch, aber die feigen Schufte halten keinen Stand.«
»Der eine dort hält wacker genug.«
»Wir wollens ihm lohnen – vorwärts, Kameraden!« Die Ulanen waren kaum noch zweihundert Schritt von dem Felsenspalt entfernt, und jetzt lag freier, offener Boden zwischen ihnen und dort. Mit einem wilden Hurrah stürmten sie dem Eingang entgegen, vor dem noch immer der einzelne Indianer wie auf Posten hielt. Jetzt plötzlich hob er den Kopf und sah sich um. Hatte er geträumt? In dem Fall sicherlich mit offenen Augen, denn die Zügel seines Tieres aufnehmend, hob er wie drohend die Lanze gegen die anstürmenden Feinde und war im nächsten Augenblick spurlos verschwunden.