Friedrich Gerstäcker
Unter den Pehuenchen
Friedrich Gerstäcker

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7. Kapitel

An einem breiten prächtigen Strom, der freilich nur eine kurze Strecke in das Land hinein schiffbar ist, aber doch vollständig genügt, einen äußerst bequemen Wasserweg mit dem Meer zu bilden, liegt die deutsche Kolonie Valdivia, zugleich die Hauptstadt des ganzen Distrikts von Süd-Chile, und außerdem ein höchst wunderlicher, eigentümlicher Ort.

Die chilenische Regierung tat keinen Fehlgriff, als sie sich gerade Deutsche dazu aussuchte, um den fruchtbaren und bisher fast unbenutzten Süden ihres schönen Reiches zu kolonisieren, denn keine andere Nation als die deutsche gewinnt eine solche Anhänglichkeit für den Boden, den sie bebaut, keine ist so fleißig und unermüdet in ihren Arbeiten, und keine besonders liefert so gute, ruhige und mit allem zufriedene »Untertanen«.

Die Deutschen befanden sich aber auch wirklich wohl in Valdivia, denn die chilenische Regierung ist noch unstreitig die beste von allen südamerikanischen Republiken und tat wenigstens, was in ihren Kräften stand, um ihre wackeren Einwanderer zu schützen und zu fördern – hatte sie doch selber auch den Hauptnutzen davon, und die Deutschen zeigten auch bald, daß sie diesen Schutz verdienten. Überall, wo sie das Land in Angriff nahmen, wuchsen unter ihren Händen fruchtbare Äcker und freundliche Chagras (kleine Güter) empor; der Wald lichtete sich, Sümpfe wurden ausgetrocknet, Wege gebaut, und ein Gewerbefleiß entstand, den die weit trägere spanische Rasse nie hervorgerufen hätte.

Das einzige fast, was die Provinz früher exportiert hatte, waren rohe Häute, war etwas Branntwein und Käse gewesen, den ein paar Chilenen im innern Land gefertigt. Jetzt änderte sich das; Käse wurde in Masse fabriziert und bildete bald einen bedeutenden Exportartikel; Bier wurde gebraut und nach allen übrigen Hafenplätzen der Westküste Südamerikas versandt. Die Häute verschickte man jetzt nicht mehr roh, sondern als vortreffliches Leder gegerbt, und Valparaiso, ja sogar Hamburg zeigte sich dazu als ein guter Markt. Weizen und Mehl gab es ebenfalls in Überfluß, und während die fleißigen Einwanderer noch eine Menge von anderen Dingen baute, die von dem Reichtum des Landes zeugte, stieg der Boden von Jahr zu Jahr im Preis und wurde auch eine Masse von Waren eingeführt, die wieder dem Staat durch die Zölle große Einkünfte brachten. Kurz, die Kolonie gedieh vortrefflich, und selbst die im Osten noch lebenden friedlichen Indianer traten in Handelsverbindung mit den Deutschen, mit denen sie gern verkehrten, und kamen sogar oft in kleinen Trupps nach Valdivia selber, um sich, was sie brauchten oder begehrten, an der Quelle einzutauschen.

Ihre Tauschartikel dafür waren dann freilich nur gewöhnliche Pferde und Rinder, aber den Ansiedlern auch immer willkommen, da besondere Händler dann wieder – meistens Chilenen – Pferde und Vieh in das nördlich gelegene araukanische Gebiet oder selbst hindurch bis nach Concepcion zum Verkauf trieben.

Die Stadt selber war unscheinbar genug, und man sah es ihr auf den ersten Blick an, daß sie nicht durch kaufmännische Spekulation entstanden war, die prachtvolle Steingebäude aus dem Boden zaubert, und die kostspielige Anlagen und Vergnügungsplätze schafft. Diese Häuser hatte nur das Bedürfnis hervorgerufen, denn sie waren sämtlich aus Holz aufgerichtet, mit Holz gedeckt, die meisten nicht einmal angestrichen, aber wohnlich gebaut, mit dicht schließenden Fenstern, und überall, wo Deutsche sich im Besitz befanden, wie auch bei den besseren Klassen der Chilenen, mit reinlichen Gardinen versehen, die einer Wohnung gleich etwas Freundliches verleihen.

Heute übrigens war Sonntag und ein dreifacher Festtag für die Deutschen in Valdivia, den sie noch dazu bei dem herrlichen Wetter dreifach genießen mußten. Erstlich war Feiertag, dann nicht allein der Dampfer von Norden eingelaufen, der ihnen wieder neue Zeitungen, Briefe und Nachrichten aus der Heimat brachte, sondern auch ein Schiff mit Auswanderern, eine Hamburger Bark, hatte in der Corralbai Anker geworfen, und alles erwartete natürlich mit großer Neugierde und Spannung die frischen Einwanderer, ob sich nicht Verwandte oder Freunde unter ihnen befänden, ja drei oder vier Boote ruderten schon nach der ersten Kunde den Strom hinab, um einzelne Besucher gleich an Bord des Auswandererschiffes zu bringen.

Unmittelbar an dem Landungsplatz, in einem Eckhaus, befand sich ein deutsches »Kaffeehaus« – wie denn sonderbarerweise in vielen Teilen Amerikas Lokale, in denen man Bier bekommen kann und Bier trinkt, mit jenem weit harmloseren Namen belegt werden, und dort hatte sich eine Zahl unserer Landsleute behaglich niedergelassen; genossen sie doch zu gleicher Zeit das gute, nahrhafte Getränk, das gegenüber gebraut wurde, die freundliche Aussicht und einen Überblick über den Strom. Einige freilich, die nicht müßig sitzen wollten und eine weitere Unterhaltung verlangten, machten einen Versuch, eine Partie Billard zu spielen, mußten es aber bald wieder aufgeben, denn in dem engen Raum fanden sich viele Zuschauer, und regelmäßig stießen sie immer erst hinten mit dem Queue an, ehe sie ihren Ball treffen konnten.

Da ging plötzlich der Ruf durch die Zimmer: »Da kommt ein Boot!«, und im Nu war das Kaffeehaus geräumt – sehr zum Entsetzen des lahmen Kellners, der mehrere im Verdacht hatte, daß sie am Ende die Zahlung vergessen würden. Das kam übrigens selten genug vor, und jetzt dachte schon deshalb keiner an eine Abrechnung, da sie erst einmal vor allen Dingen sehen wollten, was die Boote Neues brachten, nachher mußte ja doch noch darüber gesprochen und getrunken werden.

Es war allerdings ein Boot, aber es führte gar keine Passagiere – konnte das das Postboot sein? Nein, der am Steuer Sitzende war nicht der Postbeamte, sondern ein alter Herr in einem dunklen Poncho, jedenfalls ein Fremder, aber der konnte doch Auskunft geben, wie es unten stand und wann sie die Passagiere erwarten durften. Als das kleine Fahrzeug an die breite, aus langen Balken bestehende Holztreppe legte, die zum Wasser niederführte, drängte deshalb alles herbei, um ihn zu befragen, und es sammelte sich dadurch eine große Anzahl von Menschen an der Stelle.

Die Schwierigkeit war nur die, daß die meisten Deutschen noch nicht so recht mit der spanischen Sprache fertig werden konnten, wie das immer der Fall ist, wenn viele Einwanderer im Lande dicht zusammen wohnen, und dadurch weniger darauf angewiesen werden, sie zu erlernen. Was sie zu besprechen haben, besprechen sie am liebsten mit ihren Landsleuten, und es vergehen dann erst viele Jahre, ehe sie imstande sind, sich nur notdürftig richtig auszudrücken und verständlich zu machen.

Einen der Sprache mächtigen Deutschen hatten sie aber doch unter sich, und das war Carl Meier oder, wie er hier gewöhnlich, der Landessitte nach, bei seinem Vornamen genannt wurde: Don Carlos – und es wird nötig sein, vorher ein Wort über ihn zu sagen.

Don Carlos war nicht länger in Chile, als die Übrigen, aber er hatte etwas getan, was die übrigen unterließen, nämlich schon im ersten Jahre eine hija del païs oder Landestochter zur Frau genommen. Die Ehe schien übrigens keine glückliche, und das rasche Erlernen der spanischen Sprache das einzige zu sein, was er dabei profitierte; sie dauerte auch nicht übermäßig lange und nahm zuletzt sogar ein gewaltsames Ende.

Meier oder Don Carlos war seinen Gewohnheiten nach nichts weniger als ein Chilene, und ebenso unmöglich es ihm schien, sich in die südamerikanischen Sitten einzuleben, wozu ihn seine Frau bringen wollte, so unmöglich fand es Donna Mercedes, seine Frau, das deutsche Leben für erträglich zu halten und sich anzueignen.

Donna Mercedes war außerdem gerade das Gegenteil von Don Carlos, etwas leidenschaftlicher und auch hitziger Natur, während Meier, ein grundbraver, ehrlicher Hesse und Sattler seiner Profession nach, die Ruhe und Gemütlichkeit selber repräsentierte. Er wollte gern Frieden in seiner Häuslichkeit haben, aber Donna Mercedes machte ihm bald das Haus zu einer Hölle, was nicht besser wurde, als er außer demselben Zerstreuung suchte. Meier hatte eine Bärengeduld – nein, noch mehr, er hatte die Geduld eines deutschen Staatsbürgers und ertrug die schlechte Behandlung und den Unfrieden daheim lange, lange Zeit – endlich wurde es ihm aber doch zu arg. Eines Abends, als er etwas vergnügt und auch etwas spät aus dem deutschen Verein nach Hause kam, empfing ihn Donna Mercedes nicht etwa mit einem freundlichen Lächeln und einer heißen Tasse Tee, sondern mit bitteren Scheltworten und vergaß sich dabei sogar soweit, ihrem Gatten, der ihr gutmütig den Mund entgegenspitzte und einen Kuß begehrte, eine tüchtige Ohrfeige zu geben.

Die Meinungen sind darüber geteilt, ob nicht Meier, in seiner bodenlosen Gemütsruhe, auch dieses Zeichen ehrlicher Zärtlichkeit vielleicht ruhig hingenommen hätte, wenn er mit seiner Gattin allein gewesen wäre. Leichtsinnigerweise aber war er auf den Gedanken gefallen, einen Freund, den Schuhmacher Klenke, zu bitten, ihn zu begleiten. Er ahnte vielleicht, daß seine spanische Ehehälfte mit der deutschen unzufrieden sein könne, und hoffte durch die Gegenwart eines Dritten weiteren Unannehmlichkeiten vorzubeugen. Das mißlang trotzdem vollständig, und als Klenke, da Meier bei der Operation wohl außerordentlich komisch aussehen mochte, noch dazu lachte, gewann endlich der Zorn die Oberhand.

Ehe der Freund nur eine Ahnung hatte, was er beabsichtigte, erwischte Don Carlos Donna Mercedes, seine Gattin, beim Kragen und zog ihr mit seinem Stock ein paar so gutgemeinte Hiebe über, daß sie sich schreiend losriß und in das andere Zimmer flüchtete. Ehe Klenke zuspringen konnte, war das Unglück geschehen.

Von der Stunde an blieb Donna Mercedes aus der Kolonie verschwunden. An dem Abend sorgte sich Meier allerdings nicht darum; sein Blut war einmal warm geworden, und er beruhigte sich leicht dabei, zu glauben, sein Weib sei zu irgendeiner Landsmännin geflohen, um dort den groben Aleman anzuklagen und sich selber bedauern zu lassen. Er ging wenigstens ruhig zu Bett und schlief, ohne Gewissensbisse zu fühlen, augenblicklich ein. Der nächste Morgen brachte sie doch nur zu gewiß zurück – aber sie kam nicht.

Meier ging trotzdem an seine Arbeit und schaffte bis Mittag, ohne ein einziges Mal nach seiner Frau auszuschauen. Mittag kam nun zwar, aber die Frau nicht, und neben dem eintretenden Hunger fing ihm dies an unangenehm zu werden. Dabei fürchtete er aber auch, Sorge um sie zu zeigen, denn er fühlte sich nicht sicher, ob sie das nicht später einmal gegen ihn benutzen könne, ging deshalb in Selzers Hotel hinüber, aß dort zu Mittag und kehrte unverzüglich nach Haus zurück. – Aber die Frau war noch nicht da, und jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als sie zu suchen. – Umsonst. – In allen chilenischen Häusern, in denen sie bekannt war und wo er nach ihr fragte, hatte man nichts von ihr gesehen oder wollte nichts von ihr gesehen haben, und der Tag verging, ohne daß er sie gefunden hatte; ja am nächsten Tage konnte er nicht mehr daran zweifeln, daß sie ihn in allem Ernst verlassen habe, denn zufällig traf es sich, daß gerade an jenem Morgen der Dampfer, von Puerto Monte kommend, nach Valparaiso ging und mehrere Deutsche, die abends von der Bai heraufkamen und von der Flucht der Donna Mercedes oder Madame Meier noch nichts wissen konnten, versicherten ihm übereinstimmend, seine Frau sei als Passagier an Bord gewesen, und sie hätten geglaubt, sie mache nur vielleicht einen Besuch nach Lota oder Talcahuano.

Fort war sie, soviel blieb gewiß, und Meier betrug sich die erste Zeit nach ihrem Verlust höchst albern, indem er versuchte, seine Landsleute glauben zu machen, er trauere um die Verlorene. Ja er sprach sogar davon, mit dem nächsten Dampfer ihr nachzugehen und sie zurückzuholen. Aber er konnte seine Rolle nicht lange so fortspielen, denn im Herzen war er seelenfroh, die Frau, in die er sich eines schönen Tages vergafft hatte, und die so wenig zu ihm wie er zu ihr paßte, los zu sein. Ebensowenig dachte er daran, ihr nach Valparaiso zu folgen, ja er nahm bald darauf nicht einmal einen sehr günstigen Vorschlag an, sich in jener bedeutenden Hafenstadt mit einem Landsmann zu etablieren – nur weil er fürchtete, dort mit seiner »spanischen Hälfte«, wie er sie noch immer nannte, zusammenzutreffen. Geschieden konnten sie nun doch einmal, nach den Gesetzen des vollständig katholischen Landes, nicht werden, und da blieb es denn jedenfalls für eine glückliche Ehe das Zweckmäßigste, daß sie in Valparaiso lebte, während er selber in Valdivia Aufenthalt behielt.

Von jetzt begann Don Carlos ordentlich aufzutauen, und da er ein höchst gutmütiger und brauchbarer Kauz war, so hatte man ihn überall gern. Übrigens gehörte er zu jenen Menschen, wie wir sie wohl hier und da antreffen, die, in allen Sätteln gerecht, mit einem guten Teil praktischen Verstand, alles zu verstehen scheinen und doch eigentlich von keiner Sache gründliche Kenntnisse besitzen. Heute konnte man ihn in der Brauerei beschäftigt sehen, morgen half er vielleicht einem Sattler aus, der eine notwendige Arbeit fertigmachen mußte, und übermorgen bearbeitete er Balken bei einem Neubau oder saß auf irgendeinem Dache als Schindeldecker.

So wie sein Arbeiten war demnach sein ganzer Charakter, unstät und rastlos – nur müßig sein konnte er nicht, und da er sonst ziemlich mäßig lebte, verdiente er sich auch in der Kolonie bequem, was er brauchte.

Die spanische Sprache hatte er sich aber doch wenigstens – wie schon vorher erwähnt – in der kurzen Zeit seiner Ehe angeeignet, und einiges von der chilenischen Tracht gefiel ihm ebenfalls, wenn er auch in seinem Herzen und ganzen Wesen ein echter Deutscher blieb. So trug er z. B. einen chilenischen Poncho, und zu Pferd riesige Guasosporen, ebenso wie große hölzerne Steigbügel; auch einen Panamahut hatte er sich angeschafft, und am liebsten, oder doch wenigstens am häufigsten rauchte er Zigaretten. Dazu war es eine von seinen Schwächen, sich darüber zu freuen, wenn ihn einmal die Chilenen für einen »païsano« oder Landsmann hielten, welche Täuschung indessen augenblicklich zerstört wurde, sobald er nur den Mund auftat, denn sein heimischer Dialekt brach überall durch.

Heute übrigens, als an einem Sonn- und Feiertag, verschmähte er die chilenische Tracht und ging etwas ungeschickt in einen schwarzen Rock gekleidet, der ihm aber entsetzlich eng und unbequem saß, weil er ihn selber zugeschnitten und genäht hatte. Auch der Zylinderhut durfte nicht fehlen, und statt der Zigarette steckte ihm heute die kurze Pfeife im Munde, auf deren Porzellankopf eine junge, sehr dekolletierte Dame mit einem hellblauen Überwurf und dunkelroten Backen prangte. Da er sich übrigens gerade mit an dem Landungsplatz befand – und er war eigentlich überall, wo es etwas zu sehen gab –, so wurde er von den Umstehenden aufgefordert, den eben eingetroffenen alten Chilenen, dessen Boot jetzt längseit lief, anzureden und zu befragen.

»Como está, Señor,« sagte er auch, indem er mit der Linken den Hut ab-, mit der Rechten die Pfeife aus dem Mund nahm, »wie geht's Ihnen und was machen Sie?«

Der Alte warf einen raschen Blick auf ihn, aber das Gesicht war ihm vollkommen fremd, und mit einem kalten »gracias, Señor« wollte er sich abwenden, als Meier, der erst einmal an seiner Pfeife ziehen mußte, damit sie nicht ausging, fortfuhr:

»Oh, Señor, auf ein Wort, bitte – Sie sind mit dem Dampfer gekommen, nicht wahr?«

»Ich weiß es nicht, Señor!« sagte der alte Mann leise, und verblüffte Meier durch diese Antwort dermaßen, daß er ihn ruhig an sich vorbei und in die Stadt hinaufgehen ließ.

»Na, das ist nicht übel,« rief er aber endlich hinter ihm drein – »jetzt weiß er nicht einmal, ob er mit einem Dampfer oder Segelschiff gekommen ist.«

»Herr Gott, wie bleich der aber aussah,« sagte ein anderer, »und wie stier der mich anschaute, als er an mir vorüberging. Mit dem ist's gewiß hier nicht richtig.«

Meier übrigens verlor seine Zeit nicht – der alte Mann interessierte ihn auch zu wenig – und erkundigte sich jetzt bei den Bootsleuten nach den frischen Einwanderern, die unten in Corralbai angekommen sein sollten. Diese gaben ihm auch befriedigende Auskunft. Die Barke hatte schon einen Teil ihrer Passagiere ausgeschifft, von denen einzelne in Corralbai an Land gegangen waren. Ein ganzes Boot mit Einwanderern wollten sie übrigens gleich unterhalb der ersten Biegung, wo die Insel begann, überholt haben, und es mußte eigentlich schon in Sicht sein – da unten kam es richtig –, die konnten ihnen weitere Auskunft geben; und alles schaute jetzt gespannt den rasch näher rudernden neuen Ankömmlingen entgegen, während die Bootsleute das Gepäck des alten Herrn auf die Schulter nahmen und ihm damit hinauf in die Stadt folgten.

Das Boot kam indes rasch näher und schien jetzt, was man schon recht gut mit bloßen Augen erkennen konnte, so vollgestopft von Passagieren zu sein, daß es mit dem Rand fast den Wasserspiegel berührte.

Bald fand eine laute und herzliche Begrüßung zwischen den am Ufer Stehenden und den Heranrudernden statt, denn sobald die Fremden nur einmal die Gestalten der dort auf sie Wartenden deutlich erkennen konnten, wußten sie ebensogut, daß es Deutsche waren.

»Hallo, Landsleute! wie geht's?« schrien sie hinüber.

»Gut geht's!« lautete die Antwort, »wie geht's euch?«

»Hurra! Amerika soll leben!« jauchzten die anderen wieder und schwenkten die Hüte und winkten mit den Tüchern, und lachten und jubelten dem sonnigen Land entgegen, das sie hier in all seiner Pracht und Schönheit umgab.

Es sind auch wirklich nicht viel Hafenplätze in der Welt, die einen freundlicheren Eindruck auf den Fremden machen, als der Hafen von Valdivia bei schönem Wetter. Valdivia ist auch vielleicht der einzige transatlantische Hafenplatz in der ganzen Welt, wo der deutsche Einwanderer, wenn er den fremden Boden betritt, nicht fremd und verlassen dasteht, sondern gleich jemanden findet, der ihn, und sei es auch nur durch ein freundliches Wort, begrüßt.

Unter den Passagieren befand sich übrigens auch eine Menge der verschiedensten Charaktere, anscheinend friedlich für eine so lange Reise in dem engen Raum vereinigt.

Da war erstlich ein Doktor – der Schiffsarzt zugleich, der unentgeltliche Passage erhalten hatte, um etwa unterwegs Erkrankende zu behandeln. Da waren drei oder vier junge Kaufleute – alle mit der Hoffnung herübergekommen, daß sie, kaum den Fuß an Land gesetzt, schon die brillantesten Anerbietungen erhalten müßten. Da war ein junger Rechtsgelehrter, da war eine mecklenburgische Familie, Mann, Frau und drei kleine Kinder – kurz, eine Mischung von jedem Stand und Alter, und alle in der Hoffnung ausgewandert, um reich – schnell reich zu werden – mit Ausnahme vielleicht des jungen Rechtsgelehrten Reiwald, der auch daheim ein nicht unbedeutendes Vermögen besaß und eigentlich die Reise nur einem guten Teil Romantik verdankte, das ihn hauptsächlich hier herübergetrieben.

Der erste Eindruck aber, den Valdivia auf ihn machte, war diesen Erwartungen kein besonders günstiger, denn alles, was ihm hier zuerst in die Augen fiel, trug den Stempel eines sehr ruhigen, kleinstädtischen Lebens. Nicht einmal Jagd sollte es in der Nähe geben – und in den Bergen noch weniger – und die Indianer? Lieber Gott, schmutziges, faules Volk, das von Ackerbau und Viehzucht lebte. Weiter im Norden, ja, und über den Bergen drüben, da gab es wilde Indianer genug, an denen fehlte es nicht – aber hier? – nicht die Spur von ihnen. Nein, im Gegenteil, das Leben war hier eher ein bißchen langweilig, denn Interessantes kam eigentlich gar nicht vor, und Reiwald fing schon an, sich selber gründlich zu langweilen, als plötzlich die Unterhaltung eine ganz andere Wendung nahm, und jetzt – sonderbarerweise über nichts weiter debattiert wurde, als über wilde Indianer und indianische Überfälle.

Mit dem eben eingetroffenen Dampfer vom Norden kam nämlich die erste Nachricht des Pehuenchen-Einbruchs nach Valdivia, und wenn die Kolonie auch auf vollkommen friedlichem, ja fast freundschaftlichem Fuß mit den benachbarten Indianern stand, so war doch nicht gut vorauszusehen, welche Folgen das auf das zukünftige Betragen dieser – jedenfalls sehr zweifelhaften Nachbarn haben konnte.

Allerdings wußten die Kolonisten, daß sie von den diesseits der Kordilleren, im Osten lebenden Stämmen nichts zu fürchten hatten, glaubten es wenigstens; denn diese schienen so friedlicher Natur und standen so wenig mit den Horden der Otra Banda in Verbindung, daß es sehr schwer gehalten hätte, sie zu feindlichen Handlungen zu bringen. Konnten sie aber nicht von den kriegerischen Pehuenchen dazu gezwungen werden, und was verhinderte diese selber, über die Berge zu brechen und das Land mit ihren Schwärmen zu überziehen? Die paar chilenischen Soldaten, die hier stationiert blieben, wären sicher nicht imstande gewesen, sie zurückzuscheuchen, und auf reiche und für sie wertvolle Beute durften sie in den gutgefüllten Kaufläden immer rechnen.

Jetzt kamen auch zwei in Valdivia ansässige Kaufleute herüber, die in Valparaiso gewesen waren und dort Einkäufe gemacht hatten. Diese erzählten nun die Einzelheiten des Ganzen, natürlich mit all den Übertreibungen, die sie während ihres kurzen Aufenthalts in Talcahuano, dem zunächst bei Concepcion gelegenen Hafen, selber gehört, und berichteten ebenfalls, daß Don Enrique, der unglückliche Vater, dem man sein jüngstes Kind gestohlen, mit dem Dampfer nach Valdivia gekommen sei, um von hier den Räuber seiner Tochter, den Häuptling oder Kaziken Jenkitruss aufzusuchen.

Das war der alte Chilene gewesen, den sie an der Landung gesehen. Armer Vater! Und wie wenig Hoffnung hatte er, sein Kind wieder zu erhalten; denn wer von allen kannte ein einziges Beispiel, wo die Wilden das, was sie erbeutet, gutwillig wieder herausgegeben hätten? Wer aber konnte sie in ihren Steppen zwingen, wo sie, flüchtig wie der Strauß der Pampas, einen Kampf annahmen, wenn sie sich in der Überzahl wußten, und hinaus in alle Weite stoben, wo ihnen nur die geringste Gefahr einer Niederlage drohte. – Und allein wollte er gehen? – Er hatte geäußert, er würde sich hier in Valdivia Begleitung suchen – vielleicht chilenisches Militär.

Die Deutschen schüttelten den Kopf; aber das fremde Interesse wurde nur zu bald wieder durch das eigene verdrängt. Briefe waren außerdem für manche der Anwesenden von Deutschland via Panama und Valparaiso eingetroffen, ebenso neue deutsche Zeitungen, und es bildeten sich einzelne Gruppen, bis das Gespräch endlich wieder allgemein wurde und die Landsleute auch bis zu später Nachtstunde im Kaffeehause plaudernd und erzählend zusammenblieben.

 


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