Friedrich Gerstäcker
Unter den Pehuenchen
Friedrich Gerstäcker

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11. Kapitel

Don Carlos Meier hatte sich indessen wahrlich nicht unnötigerweise in der Stadt aufgehalten; denn jener chilenische Kaufmann Don Pascual, den er mit der Nachricht von ihrer wahrscheinlichen Entdeckung und mit einem kurzen Bericht der Vorfälle der letzten Nacht überraschte, war selber vollkommen damit einverstanden, daß er und Cruzado Valdivia so rasch als irgendmöglich verlassen mußten, wenn er nicht selber der Gefahr ausgesetzt sein wollte, sein Geheimnis durch ein langwieriges Verhör bloßgestellt zu sehen. Die beiden Männer – denn Cruzado folgte Meier auf dem Fuße – durften auch nicht weiter in seinem Hause bemerkt werden, um selbst den leisesten Verdacht von sich fernzuhalten, und ohne weiteres zahlte er ihnen deshalb die verlangte Summe aus, füllte jede Satteltasche noch außerdem mit Tabak und einer Flasche Kognak und beruhigte sich nicht eher, bis er sie durch seinen Garten und Weidegrund auf die um die Stadt führende Straße gebracht hatte, wo er es ihnen überließ, ihre Tiere zu satteln und den nächsten besten Waldweg einzuschlagen. Dazu war Cruzado auch der beste Führer, und die beiden Freunde trabten bald darauf, so rasch ihre ausgeruhten Pferde sie tragen konnten, den Weg entlang, der in das Innere führte, um heute wenigstens so viel Grund als möglich zwischen sich und Valdivia zu bringen.

Die Hauptstraße berührten sie gar nicht, obgleich sie sich darauf verlassen konnten, daß man ihnen soweit in das innere Land nicht mehr folgen würde; aber sie mochten sich auch nicht selbst der Gefahr eines unglücklichen Zufalls preisgeben und konnten in diesem Distrikt ihren Marsch in aller Ruhe und Sicherheit fortsetzen.

Meier allerdings wäre gern ein paarmal an Stellen eingekehrt, wo er wußte, daß sie ein gutes und bequemes Nachtquartier wie freundliche Aufnahme fänden. Er hatte ziemlich lange in der Wildnis gelebt, jedoch noch nicht lange genug, um sich von all der Sehnsucht nach einer gewissen Bequemlichkeit entwöhnt zu haben. Er liebte ein weiches Bett und trank seinen Kaffee lieber aus einer Porzellantasse, als aus einem Kuhhorn. Sein Begleiter aber kannte keine solche Schwachheit und würde kaum jemals nur eine Viertelstunde aus dem Weg geritten sein, um zum Übernachten das beste Hotel benutzen zu können, wenn er nur einige dürftige Nahrungsmittel bei sich führte und einen Baum fand, der den Nachttau von ihm abhielt. Er hatte, mit einem Wort, fast gar keine Bedürfnisse, und da jetzt die Notwendigkeit vorlag, so unbemerkt als möglich zu reisen, mußte sich Meier seinen Anordnungen fügen.

Die zweite Nacht lagerten sie solcher Art in der unmittelbaren Nähe der Ranco-Lagune, ja an dem Ufer derselben, unweit der Mündung des Lifen, und Cruzado hatte durch einen dort vorbeipassierenden Indianer herausbekommen, daß Don Enrique mit seiner Truppe an dem nämlichen Abend etwa zwei Leguas von dort, bei einem Chilenen Don Fernando zu übernachten gedenke. Eins von seinen Pferden war ihm unterwegs verunglückt, indem es sich eine abgehauene Kilastange in den Leib rannte und erstochen werden mußte. Das hatte den Aufenthalt verursacht. Der Indianer war gerade vorbeigekommen, als sie sich mit dem Tier beschäftigten; zwei von den aus Valdivia mitgenommenen Indianern hatten ihn übrigens schon verlassen, weil ihnen der Ritt zu lange dauerte und sie rasch nach Hause zurückkehren wollten. Es waren nur noch drei Eingeborene mit ihren Frauen zurückgeblieben; übrigens schien es zweifelhaft, ob auch sie länger als diese Nacht bei ihm aushalten würden.

Cruzado war mit dem erhaltenen Bericht ziemlich zufrieden, denn um so willkommener mußte dem alten Chilenen jetzt ihre Begleitung sein.

»Und weiter war niemand bei ihm?«

»Zwei weiße Caballeros mit Flinten,« lautete die Antwort, »die aber nicht besonders mit ihren Pferden umzugehen wußten. Der eine war einmal abgeworfen und ihm das Gewehr dabei losgegangen, ohne aber jemanden zu treffen.«

Das waren jedenfalls die beiden Alemanes und keineswegs Polizei von Valdivia; der Indianer wurde reich beschenkt, d. h. mit etwa einer guten Prise Tabak, hinreichend zu einer Papierzigarre, entlassen.

Ihr Plan war jetzt bald gemacht. Hier an der Ranco-Lagune hatten sie das von den Weißen bewohnte chilenische Terrain hinter sich; denn von hier ab trafen sie nur indianische Ranchos und Ansiedlungen, und wo sich je einmal ein Weißer zwischen ihnen niedergelassen, gehörte der auch sicher der niedrigsten Schicht der Bevölkerung an und hatte wohl außerdem vielleicht gar noch Ursache, sich außer dem Bereich seiner Landsleute zu halten. Allerdings stand dieser ganze Landstrich noch unter chilenischer Botmäßigkeit und wurde nach chilenischen Gesetzen, aber nicht durch chilenische Beamte regiert, denn die Indianer lebten hier unter ihrem eigenen Kaziken. Ein sogenannter Capitan de Amigos verkehrte wohl manchmal mit ihnen und galt als Abgesandter der Regierung, aber er ritt nur manchmal durch diese Distrikte, mehr, um nachher Bericht über den Zustand und besonders die Gesinnung der Stämme abzustatten, als sich selber irgendeine Einmischung in ihre Verwaltung – die sie ihm auch gar nicht gestattet haben würden – zu erlauben.

Mit diesen aber war Cruzado, der selber einmal einen solchen Posten bekleidet hatte, viel zu bekannt und vertraut, um einen Verrat von ihrer Seite zu befürchten, selbst wenn sie zufällig einem derselben in den Ansiedelungen der Indianer begegnet wären.

Cruzado besprach jetzt mit Don Carlos, daß sie die Ankunft des Trupps hier nicht abwarten, sondern gleich zu der Mayhue-Lagune oder wenigstens dem letzten Rancho, wo sich der Weg scheidet, aufbrechen wollten. Dort mußte Don Enrique vorbei und da jedenfalls übernachten – war es doch das letzte Dach, das er auf seinem Wege fand, und dort konnte man am leichtesten und unverfänglichsten mit ihm zusammentreffen.

Bis dahin hatten sich die beiden Flüchtigen auch immer auf Beipfaden oder solchen Straßen gehalten, die im Sommer wenig benutzt wurden; jetzt war solche Vorsicht kaum mehr nötig, und sie bogen deshalb, eine Strecke die wunderbar schöne Ranco-Lagune umreitend, in den gewöhnlichen Pfad ein, der nach der Mayhue-Lagune hinüberführte.

Unterwegs passierten sie einige größere indianische Gehöfte, hielten sich aber bei keinem derselben auf, und nur einmal, als sie einem Indianer begegneten, der ein paar Stück Vieh vor sich hertrieb, zügelte Cruzado sein Pferd ein und fragte, in der Sprache der Pehuenchen: »Ha, Kamerad! Was machen die Indianer der Otra Banda?«

»Tomando!« lautete die kurze spanische Antwort, die er erhielt, denn der Eingeborene konnte die etwas lebhaften, jungen Rinder nicht aus den Augen lassen und sprengte rasch vorbei.

»Tomando!« Das Wort war bezeichnend genug, denn es schilderte in wenigen Silben den Zustand jenes Stammes in dieser Jahreszeit – »Tomando«, nehmend. Sie nehmen oder trinken Chicha, den ausgepreßten und gegorenen Saft der Äpfel, und weiter taten sie auch in Wirklichkeit nichts, den ganzen Monat lang und Tag und Nacht, als trinken, trinken, trinken. Da ritt keiner der jungen Männer auf die Jagd hinaus, da stand der Webestuhl der Frau still, da wurde kein Zaum oder Lasso geflochten, und niemand dachte selbst daran, den Lagerplatz zu verändern. »Tomando!« In und vor ihren Hütten lagen sie vor ihren von den Weißen herübergebrachten Fässern oder selbst vor Schläuchen aus roher Haut, die sie sich selbst gefertigt, und tranken unersättlich durch den Tag, durch die Nacht, taumelten auf ihr Fellbett oder auch auf den nackten Boden, schliefen ihren Rausch aus und begannen, wie sie nur wieder die Augen öffnen konnten, aufs neue das wüste, widerliche Gelage.

»Tomando!« Es ist Kirmeß bei den Wilden, und alle Interessen, alle anderen Gedanken schlafen in der Zeit, selbst ihre Feinde sind vor ihnen sicher.

So war es etwa drei Uhr nachmittags geworden, als sie eine kleine Ansiedlung, die letzte auf dieser Seite der Kordilleren, erreichten. Vorher kreuzten sie den Pilian-Leufu, einen Strom, der fast milchweißes Wasser führt, und dicht dahinter den Witchi-Leufu mit kristallheller Flut, die sich beide in die Mayhue-Lagune ergießen, und hielten, etwa eine Viertelstunde später, vor der Hütte des Kaziken.

Fünf oder sechs Hütten lagen dort umher, aber Totenstille schien zwischen ihnen zu herrschen. Kein einziger Mann war zu sehen, kein angebundenes Pferd selbst, das doch sonst an solchen Plätzen nie fehlt. Nur ein paar Hühner trieben sich zwischen den Apfelbäumen umher, und zwei kleine Jungen, barfuß bis unter die Arme und nur einen sehr kurzen Poncho umgehangen, schlichen hinter einem ihnen scheu ausweichenden und entsetzlich magern Hund her, und suchten ihm einen Lasso um den Hals zu werfen. Erst als der Hund die Fremden bemerkte und mit einem geheulartigen Bellen ihre Nähe ankündigte, sahen die kleinen Burschen auf und rannten Hals über Kopf in die nächste Hütte hinein.

Da dies eine ziemlich geräumige Wohnung war, deren Wände allerdings nur roh gespaltene und gerade aufgestellte Planken bildeten, so wollte Meier hier haltmachen; Cruzado winkte ihm aber und sagte: »Hier nicht, Compañero, das ist des Kaziken Haus, in welchem der Chilene jedenfalls übernachten wird; wir tun besser daran, einen der anderen Ranchos aufzusuchen, damit er dort nach uns schickt. Je weniger wir uns ihm aufdrängen, desto besser.«

»Und wenn er dort nichts von uns erfährt?«

»Das hat keine Not,« lachte Cruzado, »glaubt nur ja nicht, daß in diesem Nest irgendein Fremder eine Nacht schlafen könnte, ohne daß nicht die abgelegensten Ranchos sich von ihm unterhielten.«

»Aber der Platz scheint wie ausgestorben.«

»Tomando!« sagte Cruzado achselzuckend, »wer weiß, in welcher Spelunke sie um ihre Fässer gelagert sind. Aber dort ist doch nichts mit ihnen anzufangen, und abends kehren sie gewöhnlich nach Haus zurück, um ihren Rausch auszuschlafen. Morgen früh ist unsere Zeit.« Und ohne weiter eine Antwort abzuwarten, lenkte er sein Pferd über den kleinen, ziemlich offenen Plan, an einer Hütte vorbei, vor der ein paar von Schmutz starrende Kinder saßen, und einen kleinen Hügel hinan, wo ein etwas größeres Wohnhaus, mit einem kleinen Feld daneben, lag.

Die Hütte war früher wohl ebenfalls von Indianern gebaut worden; als sie aber jetzt davor hielten und ein alter grauer Hund anschlug, öffnete ein junges weißes Mädchen die Tür und fragte nach dem Begehr der Fremden.

»Wohnt Don Felipe noch hier, Señorita?« fragte Cruzado, unwillkürlich seinen Hut lüftend.

»Es ist mein Vater, Señor«, lautete die Antwort.

»Wir sind ein paar müde Wanderer, die nach der Otra Banda hinüber wollen, um weggelaufene Pferde zu suchen. Können wir hier übernachten?«

»Ich weiß es nicht, Señor,« sagte das junge Mädchen; »mein Vater ist nicht daheim, sondern mit der Mutter nach der Lagune geritten. War der Kazike nicht zu Hause?«

»Alles wie ausgestorben, Señorita.«

»Sie sind zur Chicha hinübergeritten, aber heut abend kommen sie zurück, denn morgen wird beim Kaziken getrunken. – Tretet näher, Señores, bis mein Vater zurückkehrt, ihr seid willkommen.«

Es war nichts weiter nötig. Die beiden Reiter stiegen ab, warfen Satteltaschen und Reitzeug auf den Boden und trieben die Tiere in eine Einfriedigung, die ihnen das junge Mädchen zeigte. Dann trugen sie Sattel und Satteldecken ins Haus, um sich ihr Bett davon selber herzustellen, und waren damit vollständig eingezogen.

Meier, obgleich an die chilenischen Sitten so ziemlich gewöhnt, fand es doch ein wenig außergewöhnlich, daß sie Quartier von einer jungen Dame erhielten, deren Eltern über Land waren, schien aber gar nicht böse darüber, denn Tadea, wie das Mädchen hieß, war jung und selbst hübsch zu nennen, ohne dabei durch irgendwelche Toilette oder besondere Sauberkeit unterstützt zu werden. Sie trug ein altes, zerfetztes und oft mit den verschiedensten Stoffen ausgebessertes Kattunkleid, ein blau- und rotwollenes sehr altes Halstuch und außerdem weder Schuhe noch Strümpfe, ihr Teint aber sah frisch und blühend aus, wenn ihm auch etwas warmes Seifenwasser zum entschiedenen Vorteil gereicht hätte. Prachtvolles, langes schwarzes Haar hatte sie außerdem, und große dunkle Augen mit auffallend langen, schattigen Wimpern, auch eine kleine Hand und einen kleinen Fuß, kurz sie konnte recht gut als eine Schönheit der Kordilleren gelten – und galt auch vielleicht dafür.

Desto unbehaglicher war der Raum, in welchem sie sich bewegte, und die Natur schien wirklich ebensoviel dazu beigetragen zu haben, um ihn zu möblieren, als die Kunst. Der Boden war der natürliche Untergrund des ganzen Tales, nur etwas härter getreten und durch den längeren Gebrauch geglättet; in der einen Ecke bildete sogar ein nur eben notdürftig behauener Felsblock einen Tisch, während ein paar andere große Steine und Holzklötze als Sessel dienten.

Unsere beiden Wanderer fanden aber nichts Außergewöhnliches an der innern Einrichtung, ja würden weit eher erstaunt gewesen sein, eine nur einigermaßen bessere Häuslichkeit in diesen Bergen anzutreffen. Das Dach war hoffentlich dicht, Schaffelle schienen genügend vorhanden, trockenes Holz lag ebenfalls in der einen Ecke aufgerichtet: was brauchte es mehr, um sich auf einige Zeit hier behaglich zu fühlen. Aber das junge Mädchen tat noch ein Äußerstes. An einer Querstange hing ein Stück frisch geschlachtetes Schaffleisch, das legte sie zum Rösten auf die auseinander geschobenen Kohlen und stellte noch außerdem einen Topf mit Kartoffeln zum Feuer, ein lukullisches Mahl versprechend; und Cruzado hatte es sich, in Aussicht dieser lang entbehrten Kost, auch schon behaglich gemacht. Ein halbes Dutzend Schaffelle in die eine Ecke ziehend, legte er sie so auf den Boden, daß sie ein leidliches Lager bilden konnten, sein Sattel diente dazu als Kopfkissen, seine Satteldecken brauchte er als Schutz gegen die Kälte der Nacht, und mit einer gedrehten Papierzigarre in Brand, schien er sich vollständig häuslich eingerichtet zu haben.

Meier dachte dagegen weniger an seine Bequemlichkeit, als er mehr dem Schaffen und Treiben der jungen Dame zusah und sich mit dieser beschäftigte. Wirklich lag ein ganz eigener Zauber in den Zügen dieses jungen Mädchens, und wenn ihr Blick einmal auf den Deutschen fiel, war es diesem immer, als ob ihn ein elektrischer Schlag träfe, der vom Wirbel bis in die äußerste Fußzehe hinabzuckte – hätte sie nur ein klein wenig sauberer ausgesehen! Aber Meier war darin vielleicht nicht so verwöhnt und mit den besseren Klassen der chilenischen Familien seit langem nicht zusammengekommen. Auch seine Frau ließ darin viel zu wünschen übrig, und so mochte es wohl kommen, daß er »Nebensachen« nicht beachtete, sondern immer nur in die wahrhaft wundervollen Augen des Mädchens schaute und erst vollständig zu sich selber kam, als sie die indessen gargekochten Kartoffeln in einen kleinen hölzernen Trog schüttete, das gebratene Fleisch mit den Fingern von den Kohlen nahm, obendrauf legte und die Mahlzeit dann mit einem freundlichen »Toma« zwischen die beiden auf die Erde niedersetzte.

»Dios se lo pague«, murmelte Cruzado zwischen den Zähnen als Dank durch (der liebe Gott möge es Euch bezahlen) und griff dann tapfer zu, während Meier, der heute noch nüchtern war, für den Augenblick alles andere vergaß und sich ebenfalls in die Schüssel vertiefte.

Das Mädchen aber kümmerte sich von da an nicht weiter um ihre Gäste. Sie hatte alles getan, was in ihren Kräften stand, nahm jetzt einen Sack und eine Hacke aus der Ecke des Zimmers und schritt quer über den offenen Platz vor dem Hause in das Feld hinein, den Fremden das Haus mit seinem ganzen Inhalt überlassend.

Cruzado und Don Carlos schienen aber mit dieser Ruhe umher vollkommen einverstanden. Nach dem Essen streckten sie sich auf ihren Decken aus und, von dem langen Ritt ermüdet, fielen sie beide bald in einen festen Schlaf, der ziemlich zwei Stunden lang durch nichts gestört wurde. Die Sonne war auch schon hinter dem dichten Laubmeer versunken, und nur noch die Höhen der Berge empfingen ihr scheidendes Licht, als plötzlich der Wald lebendig wurde und gellende Jubelrufe von allen Seiten zugleich loszubrechen schienen.

Es waren die von ihrem Gelag heimkehrenden Indianer, trunken natürlich, alle miteinander, aber vortrefflicher Laune, denn sie kreischten und jubelten, und von da und dort antwortete manchmal ein Schrei, der so gellend den Wald erfüllte, daß die Vögel entsetzt von ihren Zweigen abstoben.

»Alle Teufel!« schrie der jetzt doch auch munter gewordene Meier, von seinem Lager emporfahrend, »was ist das? Sind die Pehuenchen über die Berge gebrochen?«

»Nicht ganz,« lachte Cruzado, »aber ein Trupp der wilden Gesellschaft kam eben von seiner Chicha. Weiß nur der Henker, was sie heute so früh davon verscheucht hat, denn sonst beginnt doch eigentlich erst um diese Zeit das wirkliche Gelage. Das letzte Faß muß eben ausgetrunken sein, und wir haben vielleicht den günstigen Moment getroffen, sie ein oder zwei Tage nüchtern zu finden.«

»Wäre schon recht,« sagte Meier, »denn in ihrer Besoffenheit ist es eine nichtsnutzige Bande – aber wir müssen wahrhaftig geschlafen haben, denn die Sonne ist ja schon fort; wär's denn nicht Zeit, daß wir uns einmal drüben umsähen, ob Don Enrique nicht indessen eingetroffen ist?«

»Ich möchte drauf wetten,« sagte Cruzado, indem er auf einen vor der Hütte liegenden umgehauenen Baumstamm sprang und aufmerksam durch die Büsche sah, »daß sie dort drüben gerade kommen. Seht einmal, Don Carlos – dort an dem Apfelbaum vorbei läuft der Weg herüber, den wir geritten sind, und dort kommt ein Zug von Pferden.«

»Wahrhaftig!« rief Meier, der rasch zu ihm geklettert war, »ich kann die zwei Schimmel erkennen – den einen reitet Don Enrique, den anderen der Deutsche.«

»Schimmel haben stets eine unbequeme Farbe in den Pampas,« sagte Cruzado, »ich würde nie ein weißes Pferd reiten.«

»Bah, was wissen die von den Pampas! Wo sie nur übernachten werden?«

»Jedenfalls beim Kaziken.«

»Da unten wimmelts aber von Indianern.«

»Es haben viele Raum in einem Haus,« lachte Cruzado, »besonders wenn sie in ihrem Trinken sind, da drängen sie sich zusammen; aber ich glaube, dort drüben kommt unser Wirt mit seiner Señora – Caramba! der hat geladen, seht nur, Don Carlos, wie er auf seinem Pferde schwankt. Die Frau muß ihn auf der einen Seite halten.«

Meier gefiel das jetzt nahende Paar nicht besonders. Der Mann – jedenfalls ein Chilene mit weißer Gesichtsfarbe – wenn sich auch das durch den ihn gegenwärtig bedeckenden Schmutz kaum erraten ließ, war augenscheinlich todtrunken, und die Frau selber nicht viel nüchterner, obgleich sie noch mehr Gewalt über sich hatte. Ein Glück nur, daß Tadea jetzt gerade zurückkam, um ihrem Vater sein Lager anzuweisen, auf das ihn Meier und Cruzado trugen, während die Frau einen stieren, erstaunten Blick auf die Fremden warf und dann selber in die Ecke auf ihr eigenes Bett taumelte.

»Ich denke, Don Carlos,« sagte Cruzado jetzt, »wir tun besser, diese liebenswürdige Familie für einige Zeit sich selber zu überlassen und indessen einen Spaziergang nach der Hütte unseres alten Kaziken zu machen.«

»Aber, Cruzado,« rief Meier, »wir dürfen doch das arme Mädchen nicht mit den trunkenen Personen allein lassen?«

»Dürfen wir nicht?« lachte Cruzado, »und glaubt Ihr, Amigo, daß die junge Dame derartige Szenen in dieser Jahreszeit nicht täglich durchzumachen und schon durchgemacht hat? Sie weiß jedenfalls besser mit ihren Eltern umzugehen, als wir – vamonos, compañero!« Und ohne weiter eine Antwort abzuwarten, schritt er, dem Deutschen voran, den Hügel hinab und der Wohnung des Kaziken zu.

Rings um die große Hütte herum, die allerdings nicht so aussah, als ob dort eine Familie ihren bleibenden Aufenthalt genommen, sondern weit eher dem flüchtigen Lagerplatz einer Jagdgesellschaft glich, standen einige zwanzig Pferde, sattellos, nur mit den Zäumen oder einem Stück Lasso an die elastischen Zweige der Bäume gebunden. Dazwischen aber trieben sich eine Anzahl brauner, wilder Gestalten herum, ganz trunken nur wenige, halbtrunken aber alle. Einige lagen auf der Erde, beide Ellbogen auf den Boden gestützt, und plauderten in dieser bequemen Stellung miteinander. Ein paar von ihnen hatten ein Schaf mitgebracht, das jetzt ausgeschlachtet an dem Zweig eines Apfelbaumes hing, und schnitten tüchtige Stücke herunter, um damit in der Hütte gleich ihr Mahl zu beginnen; wieder andere schlugen von ein paar alten trockenen Stämmen, die wahrscheinlich damals gefällt waren, als man die Hütte hierher baute, lange, mächtige Spähne herunter, um damit das Feuer im Hause selber durch die Nacht zu erhalten, als das Hufgeklapper der nahenden Kavalkade die Aufmerksamkeit aller jener Richtung zulenkte; und selbst die auf dem Boden Ausgestreckten sprangen überrascht empor, als sie in den so spät Eintreffenden Fremde – weiße Männer erkannten.

Indessen kamen die Reiter in einem scharfen Trab heran, und José, Don Enriques Diener, hatte die Leitung übernommen, da er mit den Sitten und Gebräuchen dieser Stämme besser bekannt war als sein Herr. Er ritt deshalb voraus, und während er die jetzt neugierig andrängenden Indianer nur flüchtig grüßte, hielt er vor der Hütte selber, ohne abzusteigen, mit seinem Pferde still.

Nun kam auch ein Teil der Packtiere an, und hinter ihnen die hier wohnenden Indianer mit ihren Frauen, die sich augenblicklich unter die Übrigen mischten und jedenfalls über die Fremden erzählen mußten, und im Nu bildete sich ein Kreis aufmerksam Zuhörender um sie. Aus der Hütte war aber indessen ein etwas zerlumptes Individuum herausgetreten, an das sich José jetzt wandte und ihm ihr Anliegen vortrug: den Schutz der Kazikenhütte für die heutige Nacht.

Der Indianer hörte ihn, ohne ein Wort zu erwidern, ernsthaft an, zog sich dann die Hosen, die in Gefahr schienen, herunterzufallen, wieder in die Höhe und trat, ohne vor der Hand eine Antwort zu geben, in die Hütte zurück, um dort die Befehle des Kaziken einzuholen. – Und es dauerte verwünscht lange, ehe er wieder herauskam, so daß den beiden Deutschen wenigstens schon die Geduld ausging, während Don Enrique, wie aus Stein gehauen, auf seinem Pferd sitzen blieb und den Kopf weder rechts, noch links hinüber wandte. Endlich aber kehrte der Indianer zurück. Der Kazike hatte die Erlaubnis gegeben, daß die Fremden bei ihm wohnen dürften, und José rief jetzt ein paar Indianer herbei, um ihm zu helfen, das Gepäck abzunehmen, was diese auch mit der größten Bereitwilligkeit taten.

Wenn Reiwald aber, der über dies gefällige Wesen staunte, geglaubt hatte, es geschähe aus uneigennütziger Gastfreundschaft, so sah er bald, daß er sich darin geirrt, denn kaum war die leichte Arbeit getan, als sich die Deutschen auch von dem größten Teil der Indianer umzingelt sahen, die mit der freundlichen Bitte: »Un poco tabaco, Señor« ihnen die offene Hand entgegenhielten. Beiden lag übrigens daran, sich mit den Leuten auf freundschaftlichen Fuß zu stellen, und einem so bescheidenen Verlangen willfahrten sie gern, noch dazu, da sich die Eingeborenen wirklich mit der kleinsten Quantität begnügten. War es nur hinreichend, ihnen für den Augenblick eine Zigarre zu geben, zu denen ein junger Bursch rasch eine Anzahl von Maishülsen aus dem nächsten Feld holen mußte, so kauerten sie sich vergnügt auf die Erde nieder, drehten ihre Zigarre, zündeten sie an und bliesen den Rauch wohlgefällig in die Luft hinaus.

Eine andere Persönlichkeit erschien jetzt noch, ehe Don Enrique das Haus betreten konnte, vor der Hütte. Ein Reiter in einem sehr schmutzigen und sehr kurzen Poncho kam durch das Tal gesprengt und ließ sein Pferd über alle im Weg liegenden Stämme so ruhig hinwegsetzen, als ob die oft drittehalb Fuß im Durchschnitt haltenden Hölzer nur ebenso viele Strohhalme gewesen wären. Es mußte ebenfalls ein Chilene sein, der aber kaum die Fremden erblickte, als er auch dicht neben ihnen sein Pferd parierte und, das Tier gleichgültig sich selber überlassend, fast in dem nämlichen Moment, als es nur hielt, aus dem Sattel sprang.

Er war hier augenscheinlich zu Hause und vollkommen ungeniert, sonst aber gerade keine angenehme Persönlichkeit und schmutzig, aber doch mit einem gewissen Pomp gekleidet. Er trug hohe gelbe Reitstiefel mit riesigen neusilbernen Sporen, einen großen Siegelring am rechten Zeigefinger und ein rotseidenes Tuch um den Hals, aber schmutzige Wäsche und ungekämmtes, wirres Haar, schien auch, wie die Übrigen, halb angetrunken, jedenfalls bedeutend aufgeregt, und behandelte die Fremden mit einer gewissen vornehmen Nonchalance.

»Ah, wie geht's, Señores – wo kommen Sie her? Von der Otra Banda? Aber, caramba, das ganze Gepäck bringen Sie über die Berge herüber?«

»Wir wollen erst hinüber, Señor!« sagte Don Enrique artig, indem er aber doch nicht recht wußte, was er aus der Gestalt machen sollte. »Entschuldigt mich, wir sind bei dem Kaziken angemeldet.«

»Wirklich?« rief der Chilene erstaunt aus, »jetzt hinüber, und wo wollt Ihr überwintern?«

»Quien sabe«, erwiderte ausweichend der Chilene und wandte sich gegen das Haus. Seine neue Bekanntschaft war aber noch nicht so bald abgeschüttelt.

»Da werde ich dolmetschen müssen,« sagte er, indem er ebenfalls der Hütte zutrat, »denn mein alter Kazike spricht nur sehr mittelmäßig Kastilianisch – ich kann Sie gleich vorstellen. Wo kommen sie her?«

Don Enrique zögerte mit der Antwort, die ganze Persönlichkeit des Burschen war ihm unangenehm, und er hielt es nicht einmal für eine Empfehlung, durch ihn bei dem indianischen Häuptling eingeführt zu werden. Eine Antwort mußte er aber geben, denn er wollte sich den Mann auch nicht gleich verfeinden, und er erwiderte deshalb: »Von Concepcion«.

»Caramba, zu Lande?« rief der Chilene erstaunt.

»Nein – über Valdivia; ich wünsche hier zu übernachten und womöglich ein paar indianische Führer zu bekommen, um mich über die Berge zu begleiten.«

»Das wird verdammt schwer halten; doch erst wollen wir zum Kaziken hineingehen, sonst wird er ungeduldig – er hat so heute etwas im Kopf«, und ohne weitere Umstände betrat er, von Don Enrique und jetzt auch den beiden Deutschen gefolgt, den inneren Raum; waren doch Reiwald sowohl als der Doktor neugierig geworden, wie der Empfang dieser hochstehenden Persönlichkeit ausfallen würde.

Der Raum der Hütte im Innern war ziemlich beträchtlich und mochte reichlich zwanzig Schritte in der Länge und etwa achtzehn in der Breite enthalten, auch konnte sie bis zur inneren Spitze des Daches doch sicher dreißig Fuß in der Höhe messen; das aber schien auch die einzige Bequemlichkeit, die sie bot, wenn überhaupt ein Mensch in dieser Gegend auf Bequemlichkeit Anspruch machte.

Genau in der Mitte des ganzen Raumes brannte ein mächtiges Feuer, das eine Anzahl kleiner halbnackter Kinder noch fortwährend mit trockenen Scheiten und Splittern nährte. Die Flamme züngelte hoch daraus hervor und sandte einzelne Funken bis unter das Dach hinauf, während sich der Rauch dort oben sammelte und wie eine Wolke nach vorn und hinten auseinanderquoll.

Es gab weder Tisch noch Stuhl oder gar Schrank; nur ein paar hölzerne ordinäre Kästen mit verschließbarem Deckel standen gleich rechts neben dem Eingang der Hütte, und man sah, daß diese zuweilen auch als Tisch benutzt wurden, denn dahinter lag das Stück eines unbehauenen Baumstammes, was sich dadurch als beabsichtigte Bank verriet, daß einige Schaffelle darauf ausgebreitet waren.

Das alles aber, während Don Enrique selber das Auge weder rechts noch links wandte, denn was lag ihm dran, ob er hier Bequemlichkeiten fand oder nicht, bemerkten die beiden Deutschen mit einem einzigen Blick, der sich aber doch rascher dem Feuer selber zuwandte, an dem sich ihnen wirklich ein ebenso interessantes wie malerisches Schauspiel bot.

Dort saß der Kazike, eine kräftige, breitschultrige Gestalt, den dunkelblauen, mit roten Fäden durchzogenen Poncho über die Schultern niederfallend, den Kopf bloß, die langen Haare aber nach rechts und links niedergekämmt, das hellbronzefarbene ausdrucksvolle Gesicht ihnen zugewandt und die eine Hand flach gegen den Feuerschein gekehrt, um seine Augen dagegen zu schützen und die eintretenden Fremden besser betrachten zu können.

Er hatte seinen Sitz auch ziemlich hoch, wie sich später herausstellte, auf einem aufgestellten Fasse, und bildete dabei den Mittelpunkt einer prächtigen Gruppe, die sich kein Maler hätte pittoresker wünschen können. An seiner Rechten stand nämlich eine alte, kaffeebraune Dame, grundhäßlich, die Augenbrauen zusammengewachsen, die dünnen Lippen eingekniffen und aus den kleinen Augen die Fremden mißtrauisch musternd, während dicht hinter ihm, an seiner linken Schulter, ein junges, hoch aufgeschossenes junges Mädchen lehnte, das aber, nur jugendfrisch und freundlich, in ihren Zügen die sprechendste Ähnlichkeit mit ihrem Vater trug. Beide gingen in der kleidsamen Tracht der indianischen Frauen: dem dunkelblauen oder besser indigofarbenen Überwurf, während ein Perlendiadem, d. h. ein Wollband mit daraufgestickten weißen, blauen und roten Perlen, ihre Stirn umwand und, besonders bei der Jungfrau, ganz prächtig gegen das rabenschwarze Haar und den hellbraunen Teint abstach.

Und um diese alle gruppierten sich die Kinder: links beim Vater, vor der Schwester, ein allerliebstes junges Ding von vielleicht zehn oder elf Jahren mit blitzenden, feurigen Augen; zwischen den Knien des Vaters ein vollkommen nackter kleiner brauner Bursche, der genau so aussah, als ob er eben ein Aschenbad genommen, und rechts von ihm, dicht vor der Mutter, zwei andere kleine Kinder, von fünf und sieben Jahren vielleicht, jedes nur mit einem kurzen Poncho bekleidet, und ängstlich – von den Fremden fortdrängend, nach denen sie über die Schulter hinübersahen – sich an der Mutter Kleid hängend. Unmittelbar hinter dem Alten stand aber der Kronprinz: eine edle, männliche Gestalt, schlank und kräftig, mit offenen, gutmütigen Zügen, das treue Ebenbild der Schwester; und um diese her zeigten sich noch vier oder fünf andere Gestalten, jedenfalls der Hofstaat und möglicherweise arme Verwandte, die bei alten Indianerstämmen das Haus ihrer wohlhabenderen Vettern füllen und von ihnen zehren.

Die ganze Gruppe war von der Glut des auflodernden Feuers grell beleuchtet, und der Kazike erhob sich auch nicht, als seine Gäste zu ihm eintraten, sondern blieb, den rechten Arm jetzt auf sein Knie gestemmt, die linke Hand in dem üppigen Haarwuchs seines Sprößlings wühlend, würdevoll sitzen, um vor allen Dingen die Anrede des Weißen abzuwarten.

Don Enrique trat zuerst vor, und seinen Hut abnehmend und sich leicht vor dem Indianer verneigend, sagte er: »Señor Kazike, ich bitte Euch um Obdach für diese Nacht, wir sind auf einem weiten Weg begriffen und möchten bis morgen früh bei Euch ausruhen, gestattet uns das.«

Der alte Kazike sprach wohl etwas Spanisch, aber doch nicht genug, um die längere Rede zu verstehen; er sah den eben mitgekommenen Chilenen fragend an, und als dieser ihm die Worte übersetzte, nickte er freundlich und sagte nur: »Bueno! Bueno! De donde viene?«

»Von Valdivia, Señor.«

»Chileno?«

»Si Señor, ich stamme aus Concepcion.«

Der Kazike erwiderte kein Wort weiter, reichte ihm nur den Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand und winkte ihm dann würdevoll, sich auf die entgegengesetzte Seite des Hauses zurückzuziehen. Sein Blick war nämlich auf die anderen beiden Fremden gefallen, denen er rasch ansah, daß sie nicht aus diesem Lande stammten, und er bedeutete sie jetzt ebenfalls durch eine Handbewegung, näherzutreten.

»Paisano?« fragte er den Doktor, der etwas vorgetreten war; und als dieser nicht gleich wußte, was es bedeutete, übersetzte ihm der Chilene die Bedeutung desselben, ob er nämlich ein Landsmann sei oder wo anders herkomme.

»No,« sagte der Doktor, dem die ganze Sache zu imponieren anfing, so komisch sie ihm auch vielleicht unter anderen Umständen vorgekommen wäre, »Aleman!« (Deutscher).

»Aleman? Eh!« rief der Indianer, und sein Antlitz, das in dem Gespräch mit dem Chilenen seine kalte Gleichgültigkeit bewahrt hatte, wurde freundlich. »Alemanes, bueno!« und er reichte ihm dabei die volle Hand und schüttelte die dargebotene so kräftig, daß der Doktor seine etwas zarten Finger soviel als möglich hohl zu legen suchte, »und der andere? Auch Aleman?«

»Auch Aleman«, bestätigte der Doktor, und Reiwald mußte seine Hand jetzt in den Schraubstock legen und hätte in der Tat bei dieser Freundschaftsbezeugung beinahe laut aufgeschrien. Das kleine Mädchen, das ihm ernsthaft in die Augen sah, mußte auch wohl sein schmerzhaft bewegtes Gesicht bemerkt und die Ursache erraten haben, denn ein kaum verbissenes Lachen blitzte über ihre braunen, bildhübschen Züge.

»Bueno! Bueno!« wiederholte der Alte aber noch einmal zur Bekräftigung, und dann, als ob er damit vorläufig jeder weiteren Zeremonie genügt habe, entließ er auch die beiden Freunde, und stierte ein paar Minuten lang still und nachdenkend in die Flamme, dann winkte er einem seiner dienstbaren Geister, die hinter ihm standen, und rief diesem ein paar Worte in seiner eigenen Sprache zu. Der Indianer schien auch schweigend dem gegebenen Befehl zu gehorchen und verließ augenblicklich das Haus. Kaum aber konnte er draußen den freien Raum betreten haben, als ein wahrhaft diabolisches Geheul die Luft erfüllte. Es war, als ob die Hölle losgelassen wäre, so folgte ein gellender Aufschrei dem anderen, und während von draußen die Planken, welche die Tür bildeten, zurückgeschoben wurden, fingen die bisher noch draußen gebliebenen Indianer an, den Raum zu füllen.

Indessen aber schien der alte Kazike aus seinem etwas steifen und würdevollen Wesen selber aufzutauen.

Wie er den Schwarm von Leuten in das Haus dringen sah, heiterten sich seine Mienen auf; er erhob sich von seinem Sitz, warf den Poncho über die rechte Schulter zurück, daß der rechte nackte Arm frei wurde, und rollte höchst eigenhändig das nicht unbeträchtliche Faß, auf dem er bisher gesessen, zu ein paar Klötzen hin, die besonders zu diesem Zweck hierhergeschafft sein mußten, denn es paßte vollkommen genau darauf und war von darin außerordentlich geübten Händen auch schon in der nächsten Minute angezapft.

Der Kazike hatte aber noch andere Regierungssorgen, denn er winkte plötzlich seinem Kammerherrn, dem er einige gewichtige Worte in das Ohr flüstern mochte. Dieser nickte wenigstens sehr vergnügt mit dem Kopf und tauchte augenblicklich in dem Schwarm unter. Aber nicht lange, so kam er dicht bei Don Enrique wieder zum Vorschein, und nach José suchend, denn mit dem Chilenen konnte er nicht reden, zischelte er diesem etwas ins Ohr, was der Diener auch als ganz selbstverständlich anzusehen schien, denn er ging ohne weiteres zu seinem Herrn und übersetzte es diesem.

Der alte Chilene hörte, was er sagte, und nickte dabei leise mit dem Kopf – es war nichts weiter, als was er erwartet hatte: eine Forderung von Tabak, der er auf das freigebigste genügte, aber noch einen wesentlichen Mißgriff dabei beging, weil er eben die Sitten und Gebräuche der Indianer noch nicht so genau konnte. Er trat nämlich an einen der Ledersäcke, öffnete diesen und nahm eine etwa zwei Fuß lange Rolle Tabak heraus, wie sie in Chile als Monopol von der Regierung verkauft wird. Diese vertraute er aber nicht seinem Diener an, der sie jedenfalls praktischer verwandt haben würde, sondern ging damit gerade auf den Kaziken zu, dessen Antlitz bei der Aussicht auf ein so reiches Geschenk ordentlich leuchtete, und überreichte ihm mit ein paar freundlichen Worten die Gabe. Natürlich hatte er sich dabei gedacht, daß der Kazike nun den Tabak, wozu er beabsichtigt war, unter seine Gäste verteilen würde; der alte Kazike Kajuante dachte aber entschieden anders und wußte einen weit besseren Gebrauch davon zu machen.

Zuerst nickte er dem Chilenen freundlich zu und sagte ihm ein vergnügtes »Gracias – muchas gracias, Señor«, dann aber kümmerte er sich nicht weiter um ihn, schnitt sich ein tüchtiges Stück herunter und legte den Rest in die eine Kiste, die er sorgfältig verschloß und seiner Frau den Schlüssel brachte.

Kaum aber fing er an, sich Tabak für eine Zigarre zu schneiden, als die Übrigen um ihn herdrängten; doch mit freundlichem Winken wies er sie hinüber zu dem Fremden, der sich im selben Augenblick schon von einem Schwarm Bittsteller belagert fand, und dem auch zuletzt nichts anderes übrig blieb, als ihnen zu willfahren. Er holte eine zweite Rolle hervor; aber nicht in der Stimmung, sich selber mit den Indianern zu befassen, gab er sie José mit dem Auftrag, diesen Tabak wenigstens in kleine Stücke zu schneiden und es so einzurichten, daß jeder – Männer wie Frauen – einen kleinen Teil davon abbekam; dann schnürte er den Ledersack wieder zu und warf sich nun, um dem beginnenden Gelage soviel als möglich entrückt zu sein, auf sein schon bereitetes Lager, wo er den Poncho über sein Gesicht zog und den unmöglichen Versuch machte, einzuschlafen.

Es ist erstaunlich, welche fast unglaubliche Mißhandlung nach jeder Richtung hin der menschliche Körper ertragen kann, wenn er eben von Jugend auf daran gewöhnt wird.

Diese Trinkfeste beginnen in der Zeit, wo die Äpfel reifen, die in jenen Gegenden in unglaublicher Menge wild wachsen, und nehmen ihren Anfang, sobald eine Anzahl von großen Fässern mit dem ausgepreßten Saft derselben gefüllt ist und nur hinreichend gegohren hat, um berauschend zu wirken; denn es würde keinem Indianer einfallen, zu warten, bis er sich auch geklärt und alle Unreinigkeit abgesetzt hätte. Dann versammeln sich die Gäste und verlassen den Platz nicht eher, bis das letzte Faß auf den letzten Tropfen geleert ist. Unter der Zeit aber wird der nämliche Genuß schon in einer anderen Hütte vorbereitet, wohin sich jetzt der ganze Schwarm begibt, und so folgt eben Gelage auf Gelage, bei welchem die Zecher fast gar keine kompakte Nahrung zu sich nehmen und nur stundenweis schlafen.

Selbst die Frauen sind davon nicht ausgeschlossen und schließen sich nicht aus, wenn sich auch eine Indianerin – was sich von den unter ihnen lebenden Chileninnen nicht sagen läßt – nie wirklich betrinken würde. Es wäre eine Schande für sie, und sie sehen deshalb auch mit Verachtung auf das weiße Gesindel herab, das sich zwischen ihnen herumtreibt und gewöhnlich mehr von Betteln als irgendeiner Arbeit lebt.

Heute war also – wie man in Deutschland sagen würde – »Kränzchen« beim Kaziken Kajuante und die Gäste insofern zu einer höchst glücklichen Zeit eingetroffen, als sie doch wenigstens den sonst stets fehlenden Tabak zu der Feierlichkeit liefern konnten. Trinken taten sie ja überdies nicht viel.

Don Enrique hatte sich übrigens, nachdem er seinen Tribut bezahlt, ganz von der Festlichkeit zurückgezogen; nicht so die beiden Deutschen, die doch wenigstens das sie hier umgebende Neue auch mit sehen und genießen wollten.

Indes begann schon das Trinken, und zwar wurde es nicht für der Mühe wert gehalten, erst auf Flaschen zu füllen, sondern man verzapfte gleich vom Faß. Auch mit den Trinkgeschirren sah es dürftig aus, da sich für sämtliche Gäste nur zwei kleine Gläser und ein paar Blechbecher auftreiben ließen; aber man wußte sich zu helfen, denn wo diese nicht ausreichten, mußten oben glatt abgeschnittene und oft nur notdürftig gereinigte Kuhhörner aushelfen, und deren lagen ja überall in den Ecken umher.

Das Faß war ziemlich groß, das Getränk außergewöhnlich stark – also gut; was Wunder denn, daß sich die Indianer wohl und behaglich fühlten und bald nach allen Seiten hin ein Lachen und Schwatzen entstand, welches die Luft erzittern machte.

Auch ein paar Chilenen mit ihren Frauen waren jetzt hereingekommen und mischten sich unter die Indianer, aber diese alle sahen wüst, abgerissen und schmutzig aus, und wurden auch von den Eingeborenen fast gar nicht beachtet, obgleich man sie an dem Trinken teilnehmen ließ.

Und jetzt kam das Essen; in einen kleinen, runden Holztrog, den sie vorher mit ihrem Halstuch auswischte, legte des Kaziken Frau die vorher abgeleckten Fleischstücke, suchte dazu aus der Asche einige darin gebratene Kartoffeln heraus und schickte das Gericht dann durch das kleine Mädchen den beiden Fremden, denn der alte Chilene schlief oder stellte sich wenigstens schlafend.

Beide Männer plagte allerdings nagender Hunger; die Mahlzeit war aber wirklich zu ekelhaft, wenn sie auch einladend roch, um sich daran zu vergreifen. Sie nahmen den Trog allerdings dankend an, zogen sich aber damit in den Schatten zurück und fielen jetzt nur über die gebratenen Kartoffeln her, die sie doch wenigstens ohne Ekel verzehren konnten.

Glücklicherweise trieben sich in dem Haus und unter all den Zechenden eine Anzahl magerer Hunde umher, die durch den Geruch des Fleisches angelockt wurden, und diese überraschten sie nun, sobald das heimlich geschehen konnte, mit den delikaten Rippenstücken und machten sich dadurch die schmutzigen Köter so geneigt, daß sie ihnen den ganzen Abend nicht mehr von der Seite wichen.

»Alle Teufel, da kommt noch mehr Besuch!« rief Reiwald, »auf daß mein Haus voll werde – eine Polizeistunde scheint hier gar nicht zu existieren – da sind noch ein paar Chilenen.«

Der Doktor wandte den Blick der Tür zu und bemerkte dort Cruzado und Meier, die, nachdem sie den Platz aus der Ferne beobachtet hatten, endlich zu dem Entschluß gekommen waren, nicht mit den anderen Weißen zusammen einzutreffen, sondern nur noch kurze Zeit zu warten, bis die Sache da drinnen im Gang sei.

»Hm,« sagte er, »der eine von ihnen hat mir eine verdächtig dunkle Farbe und gehört wohl hierher, das Gesicht des andern aber – alle Wetter! Haben wir den nicht in Valdivia gesehen?«

»Wahrhaftig!« bestätigte Reiwald; »das dicke, runde Gesicht kommt mir ebenfalls bekannt vor. Der war ja bei den Deutschen im Verein am ersten Abend.«

»Warten Sie nur, bis er Seiner Majestät vorgestellt ist, die Zeremonie wird gleich losgehen. Sehen Sie, der Kammerherr hat ihn schon bemerkt und schießt auf ihn zu. Da hat wahrscheinlich ein Bruch der Etikette stattgefunden.«

»Das wäre entsetzlich«, sagte Reiwald. Übrigens schien man gerade jetzt die Etikette nicht mehr so genau zu nehmen, und Kajuante selber war in zu guter Laune, um sich durch irgend etwas darin stören zu lassen. Er hatte seinen Sitz, da ihm das Faß entzogen worden, unmittelbar vor dem Feuer auf dem niederen Holzklotz genommen, auf den nur ein paar Schaffelle gebreitet waren, lehnte sich aber mit dem Rücken gegen einen ihm dort hingeschobenen Kasten, auf dem seine älteste Tochter mit einem anderen jungen Mädchen saß, und hielt in der einen Hand ein kleines, mit dem edlen Getränk gefülltes Glas. Aber sein gutmütiges Gesicht leuchtete vor Vergnügen, und das Eintreffen neuer Gäste schien ihn weit eher zu freuen, als zu stören.

Cruzado war übrigens ein alter Bekannter, der die Tour nach der Otra Banda schon oft gemacht, und er nickte ihm zu, als er ihn erkannte.

»Vortrefflich, Amigo,« sagte er, sich aber dabei seiner eigenen Sprache bedienend, »kommst du auch einmal wieder an die Lagunen? Das ist recht. Setz dich, wirst wohl noch einen Platz finden und ein Horn dazu; da drüben in der Ecke liegt ein ganzer Haufen, wenn sie die verwünschten Hunde nicht weggetragen haben. – Und wen hast du da bei dir?«

»Kennst du ihn nicht mehr, Kazike?« sagte der Halbindianer; »er war auch schon hier oben bei dir – ein Aleman, Don Carlos.«

»Noch ein Aleman?« lachte der Kazike vergnügt auf, »da drüben sitzen schon zwei. – Bueno! – Da, trink, Don Carlos – guter Junge«, und er bot ihm mit der Linken das Glas und die Rechte zum Schütteln dar, was Meier mit außerordentlicher Geistesgegenwart beides zu gleicher Zeit besorgte.

Dadurch war aber auch der alte würdige Kajuante auf die Deutschen wieder aufmerksam geworden; er mochte auch vielleicht den im Kasten liegenden Tabak heute abend nicht mehr anschneiden, und der davon zurückbehaltene war durch seine Familie verbraucht worden.

»Heh! Alemanes!« rief er, den Kopf hoch erhoben, über das Feuer hinübersehend, »hierher – kommt einmal hierher – ihr müßt trinken. In meinem Hause soll niemand verdursten.«

»Alle Alemanes müssen trinken – gute Leute – Pehuenchen sind parientes (Verwandte), kommt – du da, Don Carlos, fang einmal an.«

.

Don Carlos ließ sich auch nicht lange nötigen; er konnte selber einen guten Schluck vertragen und wußte dabei, daß sich der alte Kajuante über nichts so sehr freute, als wenn man seiner ehrenvollen Einladung tüchtig folgte. Er nahm daher das Glas, hob es sehr artig gegen die Damen auf, welche Sitte die Indianer ebenso haben wie wir, und ließ die nicht unbeträchtliche Quantität – denn das Glas war zum Überlaufen voll – mit einem Schwung und Schluck verschwinden.

»Sehr gut!« rief der alte Kazike. »Don Carlos! Du bist ein ganzer Kerl und kannst es jeden Tag mit einem Pehuenchen im Trinken aufnehmen. – Und nun du, Amigo – wie heißt du?«

»Reiwald, Señor!«

»Reibel, sonderbarer Name!« sagte der Alte, mit dem Kopf schüttelnd; »aber schadet nichts – hier, Don Reibel, trink und mach es ebenso!«

Das Glas war im Nu wieder gefüllt worden, denn aller Augen richteten sich auf den Fremden, und wurde ihm hingereicht; Reiwald zögerte aber. Er hatte heute abend schon mehr an Spirituosen verschluckt, wie sonst wohl in einem ganzen Monat, und das scharfe Getränk stieg ihm nicht allein in den Kopf, sondern brannte ihm auch wie Feuer in der Kehle. Aber was half's; er saß einmal in der Falle und konnte nicht mehr zurück; so denn, mit einem sauersüßen Gesicht nahm er das Glas, betrachtete es zweifelhaft und wollte es mit einem ebensolchen Zug hinunterschlucken wie sein Vorgänger, aber das hatte schreckliche Folgen. Dazu gehört nämlich eine ganz besondere Geschicklichkeit, die Reiwald nicht besaß. Schon der erste Schluck kam ihm, wie wir zu sagen pflegen, in die falsche Kehle – er wollte die Hand vorhalten – wollte den Kopf abdrehen – zu spät. Mit einem wahren Schuß kam es sprudelnd wieder heraus, und zwar das meiste über den alten Kaziken selber hin, der aber der Sturzflut mannhaft standhielt und auch nicht einmal böse darüber zu werden schien.

Im ersten Moment drückte er allerdings die Augen zu und fuhr mit dem linken Arm und dem Poncho in die Höhe, wonach er sich, während die Indianer ein schallendes Gelächter ausstießen, sorgsam das Gesicht abwischte; aber er lachte selber dabei und rief: »Por Dios, amigo! Das kommt bei dir rascher wieder heraus, als du es einschüttest. – Hier, gib das Glas her – du weißt nicht damit umzugehen. Wollen sehen, ob dein Freund es besser kann.«

Reiwald, in der peinlichsten Verlegenheit, wollte eine Entschuldigung stammeln; aber in welcher Sprache? Deutsch verstand der unselige Wilde ja doch nicht, und Spanisch? – Mit den wenigen Worten, die er wußte, hätte er sich nur noch lächerlicher gemacht. Außerdem ließ ihn der verzweifelte Husten gar nicht zum Reden kommen, und nur in den Pausen hörte er das noch fortdauernde schallende Gelächter der verdammten Rothäute.

Jetzt kam der Doktor an die Reihe.

»Und wie heißt du, Amigo?«

»Doktor Pfeil!«

»Bist du ein Doktor?« rief Kajuante rasch und erfreut, und als der Deutsche nickte, fuhr er lebhaft fort: »Bueno! Bueno! Muy Bueno! – Du mußt eine Zeitlang bei uns bleiben – sollst zu trinken haben, so viel du willst, und kannst die Frauen und Kinder kurieren. Da Nimm, Amigo – nimm, Doktor – guter Doktor –«, und er reichte ihm mit der dicken, sehnigen Hand das Glas hinüber.

Der Doktor ließ sich übrigens Reiwalds Mißgeschick zur Warnung dienen, denn er trank vorsichtig und in kleinen Zügen, leerte auch das Glas ohne weiteren Zwischenfall und wollte sich dann mit einer Verbeugung zurückziehen – aber so bald kam er nicht los.

»Nein, bleib hier, Amigo,« winkte ihm Kajuante zu, »da – da setz dich hier – gleich hier – wir wollen jetzt beieinander bleiben. Doktor! Doktor ist sehr gut – sehr gut – da trink noch einmal!«

Der Doktor sah, daß er vollständig verloren war, wenn er hier aushalten mußte; aber was konnte er tun? Nur die unmittelbare Aufforderung lehnte er dadurch ab, daß er erklärte, jetzt sei Don Carlos wieder an der Reihe. Das sah der Kazike denn auch ein und reichte diesem das Glas, was Meier keine weiteren Beschwerden verursachte.

»Aber Don Reibel kann nicht trinken,« lachte der alte Kazike, »weißt du was, Don Reibel, mach uns ein bißchen Musik. Jeder Aleman kann Musik machen.«

»Was soll ich?« wandte sich Reiwald, der sich kaum wieder erholt hatte, an Meier.

»Ein bißchen Musik machen«, sagte dieser trocken.

»Musik machen?« rief Reiwald in unbegrenztem Erstaunen, »das ist nicht übel! Und womit denn? – Ich spiele allerdings Fortepiano, bezweifle aber, daß hier ein derartiges Instrument aufzutreiben ist.«

»Sag ihm, er soll Musik machen«, lallte Kajuante, dem doch die Zunge anfing etwas schwer zu werden. Meier übersetzte es, der junge Deutsche rief lachend: »Ich kann sehr hübsch pfeifen, wenn ihm das gefällt.«

»So pfeifen Sie ihm was,« sagte Meier mit der größten Gemütsruhe, »Musik ist Musik, und die Rotfelle sind darin genügsam.«

Reiwald sah ihn erstaunt an; die Sache hatte aber auch wieder etwas so unendlich Komisches, daß er der Versuchung nicht widerstehen konnte. Aufgeregt war er überhaupt durch das starke Getränk und in übermütige Laune geraten; außerdem kam die Reihe mit Trinken jetzt wieder an ihn. Das Glas war schon gefüllt, und er fühlte, wie er nicht mehr von dem scharfen Stoff vertragen konnte. Wenn er aber pfiff, brauchte er nicht zu trinken, und einen halb verzweifelten, halb komischen Blick über die Versammlung werfend, begann er auf einmal einen munteren Walzer zu pfeifen.

Er besaß darin in der Tat eine bedeutende Fertigkeit; denn pfeifen kann wohl ein jeder, aber auf das Wie kommt es dabei an; und kaum drang der fremdartige Laut durch den Raum, den bis jetzt noch die Menge mit einem wüsten Lärm mit Schwatzen, Lachen und halblautem Singen erfüllt hatte, als plötzlich Totenstille ringsumher herrschte. Es war fast, als ob die Indianer selbst den Atem anhielten, so regungslos saßen sie da und hörten zu, und des Kaziken breites Gesicht glänzte ordentlich vor Freude. Nicht einmal eingeschenkt wurde mehr, und unbenutzt hielt jeder sein Horn oder seinen Becher in der Hand.

Reiwald war selber über die Wirkung erstaunt, die er hervorbrachte; wie er aber aufhören wollte, rief der alte Kajuante vergnügt: »Un poco mas! Un poca mas!« (ein wenig mehr), und jetzt pfiff er einen Schottischen, der die Eingeborenen ordentlich elektrisierte. Und damit begnügte sich die Gesellschaft noch immer nicht; sobald er schließen wollte, tönte es von allen Seiten: »Un poco mas!«, bis ihm endlich die Lippen so weh taten, daß er einen ordentlichen Krampf bekam. Er mußte aufhören, und nun wollte es jeder ebenso versuchen und die gehörten Melodien nachpfeifen, wodurch ein wahrer Heidenlärm unter dem Schwarm entstand.

Reiwald suchte sich jetzt in dem Spektakel zurückzuziehen. Ihm war es, als ob die ganze Hütte mit ihm herumwirbelte, und er mußte ein paarmal die Augen öffnen und sich emporrichten, um nur dieses entsetzliche Gefühl loszuwerden.

Cruzado und Meier hielten sich aber ebenfalls nicht lange mehr in der Hütte auf. Das Lärmen und Toben wurde in der Tat zu arg, und dann wollten sie auch nicht so spät zu ihrem chilenischen Gastfreund zurückkehren, obgleich sie diesen, nach dem Zustand zu urteilen, in dem er heimgekehrt, in festem Schlaf zu finden erwarteten. Ohne Abschied also, denn jeder geht und kommt bei solchen Festlichkeiten, wie es ihn freut, und ununterbrochen verlassen einzelne das Haus, während andere eintreten, schritten sie in die dunkle Nacht hinaus, und Cruzado hob rasch den Kopf, sobald sie das Freie betraten, denn es war eine Änderung im Wetter eingetreten. Der Wind hatte sich mehr nach Westen herumgedreht, und nur hier und da blinkten die Sterne vor. Wolken waren aufgezogen, und wenn der Wind noch weiter nach Norden herumging, durfte man sich auf Regen gefaßt machen: eine böse Sache zu der bevorstehenden Reise. Jetzt war aber doch nichts weiter daran zu tun. Man mußte eben abwarten, wie sich morgen früh das Wetter zeigte, und ohne Meier, der auch ein wenig im Kopf hatte, seine Befürchtung mitzuteilen, schritt er mit diesem die Lichtung und den kleinen Hügel hinauf, der sie noch von der Wohnung des Chilenen trennte. Plötzlich aber blieb Cruzado stehen und faßte seines Gefährten Arm. Aus der vor ihnen liegenden Hütte drang ihnen ein wüster Lärm entgegen.

»Was ist das?« rief Meier überrascht, »sind wir denn an das falsche Haus geraten?«

»Caramba, Compañero,« lachte Cruzado, »ich glaube, der alte Don Felipe hat seinen Rausch ausgeschlafen und prügelt seine Familie. – Ich denke, es ist besser, wir stören ihn nicht in der Unterhaltung und kehren lieber zum Kaziken zurück. Die Indianer prügeln sich wenigstens nicht, wenn sie betrunken sind.«

Ein gellender Hilfeschrei schallte plötzlich aus der Wohnung heraus, und Meier, plötzlich nüchtern geworden, rief: »Das geht nicht, Cruzado! Da geschieht ein Unglück – kommt!« Und ohne auch nur abzuwarten, ob ihm sein Gefährte folgte, eilte er, so rasch ihn seine Füße trugen, die kurze Strecke den Hügel hinan und auf das Haus zu, aus dessen offener Tür ein schwacher Lichtstrahl herausdrang. Im nächsten Augenblick stand er auf der Schwelle, und ein eigentümliches Nachtstück bot sich hier seinen Blicken dar.

Mitten in der Stube stand der alte chilenische Säufer, nur mit Hemd und Hose bekleidet, das erstere aber schon halb von den Schultern gerissen, in der rechten Hand ein langes Messer haltend, die linke geballt und damit in der Luft herumfahrend. Der Schaum stand ihm vor dem Munde, die Augen waren weit aufgerissen, das lange, schon graugemischte Haar flatterte ihm wild um die Schläfe, und über seine Lippen quollen die gemeinsten, lästerlichsten Schimpfworte und Flüche, wie sie wirklich nur die spanische Sprache kennt und selbst nicht von der englischen darin erreicht werden kann.

Vor ihm aber in der Stube lag seine Frau, die bunten schmutzigen Kattunfetzen zerrissen um sich her hängend, aber bleich und blutend, und die rote Flut rieselte auch von ihrem Hals herunter, während die Tochter, die sie mit ihren Armen umfaßt hatte, gellend um Hilfe schrie.

Beleuchtet wurde die schauerliche Gruppe teils durch das in der Mitte der Stube noch immer brennende Feuer, teils durch ein schon niedergeschmolzenes Talglicht, das eben das unten herumgewickelte Papier ergriffen hatte und hoch und düster aufloderte. Seiner ganzen Stellung nach schien sich auch der vom Trunk halb rasende Chilene wirklich noch einmal über die Frau hinwerfen zu wollen. Er hatte Blut gekostet und lechzte, wie ein wildes Tier, nach mehr, als Meier, der unwillkürlich unterwegs ein an der Straße liegendes Stück Holz aufgegriffen, damit in die Stube sprang und es ohne weiteres dem Alten an den Kopf warf. Ehe dieser auch nur recht wußte, wie ihm geschah und woher der Wurf kam, war Meier an ihm, schlug ihn zu Boden, daß ihm das Messer entfiel, und schleuderte dieses dann in die Ecke. Hiernach sagte er in aller Ruhe: »Guten Abend, Señor! Caracho, Ihr treibt hier schönes Spiel. Ich glaube wahrhaftig, Ihr waret eben im Begriff, Eure eigene Familie abzuschlachten. Mann, seid Ihr des Teufels?«

»Oh, Euch sendet Gott, Señor!« rief das Mädchen, mit gefalteten Händen. »Er weiß nicht mehr, was er tut. Das böse, böse Trinken hat ihn seiner Sinne vollständig beraubt.«

Meier trug mit Tadea zusammen die Mutter auf das Lager, wo er – in allen Dingen ein wenig erfahren, so daß er auch etwas in die Chirurgie hineingepfuscht – die Wunde untersuchte und das junge Mädchen bald über das wenig Gefährliche derselben beruhigen konnte. Die Besinnungslosigkeit der alten Dame ließ sich weit eher dem Branntwein als zu großem Blutverlust zuschreiben.

»Ist sie tot?« fragte Cruzado ruhig und vollkommen gleichgültig.

»O Santa Maria!« flehte das Mädchen.

»Unsinn,« brummte aber Meier zwischen den Zähnen durch, »'s ist weiter nichts wie ein Fleischriß, wenn er auch dicht genug an der Halsader vorüberging. Bindet ihr ein Tuch darum, Señorita, es hat weiter nichts zu sagen, das heilt in ein paar Tagen ohne weitere Hilfe; aber trinken darf sie freilich so lange nicht.«

»Ach Dank, tausend Dank, Señor,« sagte das arme Mädchen, »der Himmel hat Euch heute zu meinem und unserem Schutz herbeigeführt. Vater war außer sich und hätte uns gewiß beide umgebracht. Oh, wenn doch nur das unglückselige Trinken nicht wäre!«

»Beruhigen Sie sich jetzt, Señorita, es hat nichts weiter zu sagen,« tröstete sie Meier und nahm dabei ihre Hand, deren ängstlichen Druck er fühlte, während es ihm siedendheiß durch alle Glieder zuckte, »wir – bleiben bei Ihnen, es – es soll Ihnen nichts weiter geschehen, und die Mutter – die Mutter wird auch schon wieder besser werden.«

Das Licht war in dem alten Blechleuchter ausgebrannt, zischte noch einmal und sandte dann, während es das Zimmer in Dunkelheit ließ, seinen stinkenden Qualm zum Dach hinauf. Nur das Feuer mitten im Haus glimmte noch düster und verbreitete einen matten, unbestimmten Schein umher.

»Oh, ich bin so glücklich darüber!« hauchte Tadea.

»Armes Mädchen«, sagte Meier, den ein ganz ungewöhnliches Gefühl der Rührung überkam, und blickte auf das bleiche Antlitz des armen, verlassenen Kindes. Das ungewisse, düstere Licht glich dabei alles aus, was ihn am Tag vielleicht gestört hätte, und ihre großen, glänzenden Augen sah er auf sich geheftet, und die feingeschnittenen Lippen konnte er noch erkennen, und fast ohne daß er es selber wußte, legte er seinen Arm um ihre Schulter und zog sie leise an sich.

Das Mädchen seufzte tief auf, und Meier flüsterte gerührt: »Meine liebe, arme Señorita.«

»Na, seien Sie nicht langweilig, Don Carlos,« brummte da Cruzados Stimme, dessen Gegenwart Meier fast vergessen hatte, »kommen Sie hierher, helfen Sie mir die Decken zurecht legen und werfen Sie gleich einmal ein paar Stück trockenes Holz aufs Feuer, daß man wenigstens sieht, wo man sich hinlegt.«

Meier hatte das Mädchen erschreckt losgelassen, und dieses kauerte jetzt selbst am Feuer nieder, um das verlangte Licht zu machen. Bald loderte auch eine helle Flamme empor und warf ihren flackernden Schein über das Gemach.

»Und sollen wir den Alten da liegen lassen?« sagte Meier, auf diesen deutend.

»Hat er sein Messer noch?«

»Ich habe es dort in die Ecke geworfen.«

»Bringt es her! Sicher ist sicher – so – schiebt es unter die Decken, und nun laßt ihn seinen Rausch ausschlafen.«

Das Mädchen zog sich in die entfernteste Ecke des Zimmers zu dem Bett zurück, auf dem ihre Mutter lag, und machte sich dort ihr Lager. Auch Cruzado, mit einer besonderen Fertigkeit dafür, hatte ihre beiden Sättel und Satteldecken so gelegt, daß sie sich bequem darauf ausstrecken konnten. Gegen die Kälte schützte sie ihr Poncho, und bald herrschte Totenstille in dem düsteren Raum.

 


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