Friedrich Gerstäcker
Unter den Pehuenchen
Friedrich Gerstäcker

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13. Kapitel

Meier durfte sich seinen träumerischen Gedanken nicht lange überlassen, denn die drohende Gefahr trieb zur Eile. Rasch wandte er sich der Einfriedigung zu, in der er die Pferde wußte. Kaum hatte er sie eingefangen und befand sich eben auf dem Rückweg, als ihm der Kazike entgegenkam und schon von weitem anrief: »Pero, amigo! Wo habt Ihr denn den Brief; wißt Ihr, was drinnen steht – am Ende ist es doch etwas Wichtiges?«

»Ja, Kazike,« erwiderte Meier, der das Papier absichtlich etwas zusammengeknittert und in seine Brusttasche gesteckt hatte, indem er es wieder herausnahm und dem Indianer übergab, »da werde ein anderer klug daraus; das ist nichtswürdig geschrieben. Es steht allerdings etwas drin von Pferden und Belohnung –«

»Bah,« sagte der Kazike, mit der Hand winkend, indem er das zusammengeknitterte Papier zwischen den Fingern hielt und verächtlich betrachtete, »sind ihnen wieder da unten Pferde gestohlen und wir sollen sie suchen. – Compañero – nicht ein bißchen Tabak?«

»Gewiß,« rief Meier, indem er in die Tasche griff und ihm ein Stück gab, »hier, Kazike.«

»Bueno!« sagte der alte Mann, indem er das Papier, wie es war, in seinen Gürtel schob und, während er mit dem Deutschen langsam nach seinem Hause zurückging, sein Messer herausnahm und etwas Tabak von dem Stück abschnitt. Dann aber blieb er stehen, schob das Messer in den Gürtel zurück, und Meier bemerkte zu seinem innigen Vergnügen, daß er den Brief wieder vorholte, auf seinem Knie glättete und dann ohne weiteres ein viereckiges Stück davon abriß, um sich eine Zigarre davon zu drehen. Das Schreiben war ihnen nicht mehr gefährlich. Überhaupt verwenden die Indianer stets jedes Stückchen Papier, dessen sie habhaft werden können, zu ihren Zigarren, und es war vorauszusehen, daß der Rest des Briefes dem vorangegangenen Stück sehr bald folgen werde.

Unten an der Hütte fanden sie indes schon ein geschäftiges Leben, denn Don Enrique, mit der Befürchtung, die Cruzado in ihm wachgerufen, daß nämlich die Regenzeit zu früh einsetzen und ihren Marsch total vereiteln könne, hatte keinen Augenblick versäumt, die Tiere herbeizuschaffen. – Die Indianer brachte er durch das Versprechen eines Geschenks ebenfalls dazu, ihm mit Aufschnüren der Ledersäcke – was sie aus dem Grunde verstehen – behilflich zu sein, und da jeder von ihnen gern etwas Tabak, Indigo, spanischen Pfeffer oder sonst eine hier oben gar nicht zu erlangende Kleinigkeit zu besitzen wünschte, so griff alles, und zwar mit einem Eifer an, daß die Tiere in kaum einer Viertelstunde gerüstet zum Aufbruch standen.

Reiwald und der Doktor indessen, von dem entsetzlichen Trinken gestern abend betäubt und dabei die ganze Nacht in Unruhe gehalten, waren eigentlich erst dann fest eingeschlafen, als die an derartige Gelage durchaus gewöhnten Indianer die Hütte verließen, und dort hatte man sie auch ruhig liegen lassen, denn sie wären draußen nur im Weg gewesen. Da José aber auch ihre Pferde mit herbeigetrieben, so wurde ihr Gepäck ebenfalls mit aufgeschnürt, und man weckte sie erst, als Don Enrique an die Verteilung der Geschenke ging, was freilich keine lange Zeit in Anspruch nahm.

Im Hause selber war von den Frauen indessen nicht die geringste Anstalt zu einem Frühstück getroffen worden, denn es ist merkwürdig, wie wenig sich diese Stämme an irgendeine bestimmte Stunde für ihre Mahlzeiten halten. Fällt es den Frauen ein, so kochen sie; – manchmal geschieht das mitten in der Nacht, manchmal früh morgens oder auch erst gegen die Mitte des Tages, oft den ganzen Tag nicht und erst gegen Abend. Es fällt aber auch vor, daß sie eben eine reichliche Mahlzeit beendet haben, wenn der eine oder andere Verwandte ein Schaf mit nach Hause bringt; dann wird dieses augenblicklich geschlachtet, und eine halbe Stunde später sitzen sie schon wieder um das Feuer herum und verzehren ganz unglaubliche Quantitäten von Fleisch.

Heute morgen indes schien keine der Frauen aufgelegt, so früh hinaus in das Feld zu gehen und Kartoffeln oder Bohnen zu holen; es war noch nicht einmal Feuer im Haus angemacht, und zwei der mageren, häßlichen Hunde lagen zusammengerollt mitten im Feuerplatz auf der noch warmen Asche.

Reiwald, als er die Sonne so hoch am Himmel stehen sah, richtete sich auf und sah sich, noch halb im Schlaf, in der Hütte um.

»Alle Wetter, Doktor!« sagte er dabei, während er den Indianer, der ihn wachgeschüttelt hatte, verdutzt ansah, »was ist denn eigentlich mit uns vorgegangen und – Teufel noch einmal!« rief er, erschreckt in die Höhe springend, »was ist denn aus unserem Gepäck geworden?«

»Hallo, Landsleute!« rief aber jetzt Meier, der den Kopf in die Tür der Hütte steckte, »allons – vamonos – es wird Zeit, daß wir aufbrechen – ausgeschlafen könnt Ihr wohl jetzt haben. Alles ist fertig gepackt, und Eure Pferde stehen vor der Tür.«

»Ja, Donnerwetter!« brummte der Doktor, indem er sich ebenfalls aus seiner Decke wickelte und mit blinzelnden Augen in das Helle hinaussah, »was war denn das? Fort wollen wir? Wo ist denn das Frühstück?«

»Die haben noch nicht einmal Feuer angemacht,« sagte Reiwald, »das ist göttlich.«

»Na, nu bitt ich aber zu grüßen,« stöhnte der Doktor, »ohne Kaffee fort, und der Hals brennt mir wie Feuer – ne, das geht nicht.«

»Dagegen möcht ich ebenfalls freundlich protestieren – und unser Gepäck schon alles aufgeladen? Da steckt ja die Kaffeemaschine mit drin – die müssen wir doch erst heraus haben.«

Meier war in der Tür stehen geblieben und hatte mit innigem Vergnügen die trostlosen Gesichter seiner Landsleute betrachtet. Er wußte sich ja noch genau zu erinnern, wie ihm zumute gewesen war, als er »grün« in das Land gekommen und sich in gar nichts hineinfinden konnte. Das hatte er nun jetzt überstanden, die beiden Herren da mußten das aber erst durchmachen – und wie unbeholfen sie sich dabei benahmen! Er war aber nicht gesonnen, den ganzen Zug durch sie aufhalten zu lassen, und wie er beide jetzt ratlos vor dem kalten Feuerherd stehen sah, machte er kurzen Prozeß. José war ebenfalls in die Tür getreten, um nach den beiden Begleitern zu sehen, und diesem zuwinkend, griff er selber einen der beiden Sättel mit den Decken auf, während der Peon den andern nahm, und sagte nur noch wohlmeinend: »So – wenn ich Ihnen einen guten Rat geben soll, so waschen Sie sich geschwind die Augen aus, während wir beide Ihre Pferde satteln – Ihr kennt ja wohl das Geschirr, José? Gut, und seien Sie flink wieder da, denn sonst geht Ihr Gepäck mit fort und Sie können zusehen, wie Sie nachkommen.«

»Aber zum Teufel, Landsmann!« rief Reiwald, »ich bin noch nicht einmal mit mir einig, ob ich den alten Herrn überhaupt weiter begleiten soll als hierher. Keiner von uns kann sich ordentlich mit ihm verständigen und das verdammte Packtier treiben.«

»Auch nicht, wenn ich die Reise als Dolmetscher mitmache?«

»Gehen Sie wirklich mit?« fragte der Doktor rasch.

»Gewiß, und mein Begleiter ebenfalls; zum Treiben haben wir außerdem noch zwei Indianer engagiert.«

»Das ändert die Sache!« rief Reiwald, »aber erst den Kaffee.«

Meier war hinausgetreten und hatte den Sattel dort an Cruzado gegeben, der ihn rasch auflegte, ging dann zu seiner Satteltasche und kehrte nach einigen Minuten wieder in die Hütte zurück – in jeder Hand hielt er zwei gebackene Kartoffeln.

»So,« sagte er, indem er jedem eine Hand entgegenstreckte, »jetzt seien Sie vernünftig; Kaffee gibt's heute morgen nicht, denn ein paar Stunden dürfen wir deshalb nicht versäumen – da – sie sind noch warm, die essen Sie. Das ist gerade so gut wie Kaffee und manchmal noch besser – werden so in der nächsten Zeit nicht viel davon zu sehen bekommen; und nun machen Sie, daß Sie fertig werden.«

Es war wirklich keine Zeit mehr zu verlieren. Don Enrique verschwand, als sie in die Tür traten, mit dem neben ihm reitenden Cruzado in den Büschen, und eben erließen die letzten Packtiere den Platz.

»Señor, klein bißchen Tabak noch,« bettelten ein paar Indianer in gebrochenem Spanisch, da sie irrtümlicherweise diesen Moment für günstig hielten, »nur ein klein bißchen.«

»Ja,« sagte der Doktor, der wohl verstand, was sie meinten, aber auf Deutsch, indem er sein Pferd bestieg und die Zügel ordnete, »besuchen Sie mich heute abend, dann können Sie welchen kriegen.«

Reiwald konnte mit seinem Gewehr nicht zustande kommen, das ihn am Aufsitzen hinderte.

»Doktor, halten Sie mir doch das verfluchte Schießeisen, ich komme nicht hinauf.«

»Klein bißchen Tabak, Señor«, baten die Indianer wieder.

»Haltet mir nur einmal das Pferd.«

Die Leute verstanden an seiner Gebärde, was er wollte, denn sein Tier wurde auch unruhig, da es die anderen schon voraus sah. Wie immer gefällig, hielten sie es am Zügel, und einer nahm ihm sein Gewehr ab, bis er oben war. Jetzt endlich saß er und hing sich seine Büchse um.

»Klein bißchen Tabak, Señor«, baten die Indianer wieder.

»Wenn ich wiederkomme«, sagte Reiwald und gab seinem Pferde die Sporen, das mit ihm in Karriere hinter den Packtieren herflog. Es war wenigstens gut, daß er festsaß, es wäre ihm sonst übel ergangen, denn von den Indianern hätte er keine Hilfe mehr zu erwarten gehabt. Im nächsten Augenblick verschwand auch die kleine Kavalkade in den Büschen, während die beiden Deutschen in der Tat keine Ahnung hatten, nach welcher Richtung ihr Ziel jetzt eigentlich lag. Anfangs schauten sie sich auch gar nicht um, denn sie konnten das unbehagliche Gefühl noch nicht abschütteln, zum erstenmal in ihrem Leben ungewaschen und ohne Frühstück eine Reise anzutreten. Wo blieb da das Vergnügen, und selbst der herrlichste Sonnenschein wie der wirklich wunderbar schöne Wald, der sie umgab, konnten ihre Gedanken davon nicht ablenken. Auch mit den Pferden hatten sie noch zu tun, die heute morgen, nach dem guten Nachtfutter, ganz unbändig schienen und sich erst einigermaßen beruhigten, als sie den übrigen Troß eingeholt und zum Teil auch überholt hatten. Reiwald besonders konnte dabei noch immer nicht zurechtkommen, denn sobald ihm sein Tier nur einen Moment Ruhe ließ, suchte er noch fortwährend etwas in seinen Satteltaschen, bald auf der rechten, bald auf der linken Seite, endlich fand er es.

»Gott sei Dank!« rief er aus. »Ich wußte doch, daß ich noch irgendwo eine halbe Tafel Schokolade stecken haben mußte, das ist doch wenigstens etwas Naturgemäßes in den nüchternen Magen. Wollen Sie ein Stück, Doktor?«

»Alles mit Dank angenommen, Kamerad«, sagte dieser, indem er die Hand nach dem Gereichten ausstreckte. »Dafür kann ich Ihnen einen Schluck aus meiner Feldflasche geben.«

»Um Gottes willen,« rief Reiwald, »nur keinen Branntwein. Seit dem gestrigen Abend habe ich eine ordentliche Aversion dagegen und kann ihn nicht einmal mehr riechen.«

»Es ist noch Portwein darin.«

»Das ändert die Sache – Portwein gehört wenigstens zu den anständigen Getränken – ah, das tut gut – so, nun können wir's eine Weile aushalten. Wenn sie uns nur wenigstens Zeit gegeben hätten, uns zu waschen, aber diese Südamerikaner scheinen gar kein Bedürfnis zu fühlen.«

Sie ritten einen langen, nicht sehr hohen Hügel hinauf, und zwar durch ein Terrain, das fast wie Parkland aussah. Kleine, saftiggrüne Wiesenflächen lagen überall zwischen Gruppen majestätischer Bäume, die so malerisch zerstreut standen, als ob sie durch Kunst dort angepflanzt wären. Jetzt hatten sie den Hügelkamm erreicht, und ein wahrhaft zauberisch schönes Bild lag vor ihnen: die Mayhue-Lagune mit tiefgrünem, blitzendem Wasserspiegel und dichtbewaldeten, an vielen Stellen steil emporlaufenden, von Schluchten eingeschnittenen Ufern. Und dort drüben wieder so freundlich grüne Matten und Baumgruppen mit einzelnen bebauten Feldern am Ufer und niederen Hütten. Es war ein ganz eigentümlich wildes und doch herrliches Panorama, während in der vorliegenden Schlucht der ferne Hintergrund – der Einschnitt in die Kordilleren – sichtbar wurde, durch welchen sie nach der anderen Seite dieses Gebirges hinübersteigen sollten.

Jetzt aber tauchten sie in einen kleinen Hain ein, der aus fast nichts als herrlichen Fuchsien bestand mit dazwischengestreuten Myrtenbüschen; darüber hinaus ragten wohl stämmige, weißrindige Lumabäume, aber die Fuchsien bildeten fast das alleinige Unterholz, und ihre Zweige mit den tiefroten Blütenkelchen hingen oft so hoch über den Weg, daß die Reiter sie kaum mit der Hand erlangen konnten.

Da schäumte vor ihnen ein Fluß – es war der Witchi-Leufu, den sie schon gekreuzt hatten, ehe sie des Kaziken Hütte erreichten, und der aus der nämlichen Schlucht herunterkam, in welcher ihr Weg lag. Noch oft und oft mußten sie ihn passieren – jetzt noch als ziemlich breiten, reißenden Fluß, bis er nach oben zu schmaler und schmaler wurde und endlich als ein unbedeutender Quell aus dem Felsen sprang. Der Nachtregen hatte allerdings ein wenig auf ihn eingewirkt, aber noch nicht viel. Das Wasser war noch klar, und die einzige Unbequemlichkeit fanden die Reiter weniger in der Tiefe desselben, die den Tieren kaum zum halben Sattelgurt ging, als in den gewaltigen, glatt und rund gewaschenen Fels- und Kieselblöcken, die überall zerstreut in seinem Bett lagen und die äußerste Vorsicht erforderten, damit die Tiere nicht darüber stürzten.

Meier, der mit den Gefahren solcher Passagen schon weit mehr vertraut war, hielt sich übrigens dicht zu den beiden Freunden, und dem Doktor zum Glück, denn dieser hatte einmal – das Schlimmste, was er tun konnte – sein eigenes Tier, aus Angst vor einem dicht oberhalb befindlichen Wirbel, der einen darunterliegenden Fels verriet, so scharf heruntergerissen, daß sich das Pferd wandte und anfing, mit der Strömung den Fluß hinabzugehen, und gerade unterhalb befand sich eine ziemlich gefährliche Stelle. Meier erwischte übrigens noch zur rechten Zeit den Zügel, und gegen das Pferd andrängend, brachte er es wieder in die rechte Richtung und endlich auch ans andere Ufer.

»Donnerwetter!« sagte der Doktor, als sie hinüber waren, »das ist ja ein verwünschtes Wasser – Gott sei Dank, daß wir drüben sind! Müssen wir noch über einen Fluß?«

»Nein,« sagte Meier trocken, »aber über diesen noch sechsmal.«

»Den Teufel auch! Und warum bleiben wir dann nicht lieber an dieser Seite?«

»Das werden Sie sehen, wenn wir ein Stückchen weiter hinaufkommen,« nickte der Deutsche, »an dem Felsen könnte nicht einmal eine Ziege hinklettern, viel weniger denn ein Packpferd. Wenn Sie aber wieder einmal über einen Fluß hinüber wollen, so gehen Sie lieber nicht stromab, denn Sie wissen nie, wo Sie hinkommen.«

Der Doktor murmelte etwas in den Bart, hier aber waren sie wieder auf festem Boden, und die Tiere durften sogar, als sie die Nähe des steinigen Flußbettes hinter sich hatten, etwas schärfer austraben. Anfangs freilich war der Weg so schmal, daß sie nur einer hinter dem andern reiten konnten, aber bald erweiterte er sich, und sie konnten doch wenigstens zu zweien bleiben.

»Das ist ein merkwürdiges Reisen,« brach Reiwald endlich das Schweigen, »und von Einkehren, wie es scheint, gar keine Rede. Gestern früh haben wir, glaub ich, zum letztenmal gegessen. Diner fehlt, Souper ebenfalls, an Dejeuner gar kein Gedanke, und auch gegenwärtig reiten wir wieder so unbekümmert fort, als ob wir gar im Leben nicht daran dächten, noch einmal haltzumachen.«

»Wissen Sie, Reiwald,« sagte der Doktor, »wie mir unser alter Don Enrique vorkommt? Gerade wie der ewige Jude: keine Ruh, keine Rast, immer nur vorwärts, dem gestohlenen Kinde nach. Er hat, bei Gott! etwas Unheimliches.«

»Neugierig bin ich wirklich,« nickte Reiwald, dessen Gedanken indessen einer anderen Richtung gefolgt waren, »wie wir die arme, junge Dame wiederfinden werden. Interessant bleibt die Sache immer, das ist gar keine Frage – höchst pikant und romantisch, und wissen Sie wohl, Doktor, daß ich mich gar nicht wundern sollte, wenn der alte, reiche Chilene da vor uns einmal mein Schwiegervater würde?«

»Dann sind Sie also jetzt auf der Brautreise,« sagte der Doktor trocken, »na, ich gratuliere.«

»Bitte«, meinte Reiwald – »noch gar keine Ursache; übrigens fange ich jetzt an, mich auf den Ritt zu freuen, denn wir werden jedenfalls viel Neues erleben.«

»Die Versicherung kann ich Ihnen geben,« nickte der Doktor, »ob aber immer etwas Angenehmes, ist eine andere Frage. War das junge Mädchen wirklich so schön, wie sie uns in Valdivia versichert haben, so müßte der indianische Kazike ein Esel sein, wenn er sie wieder herausgäbe, und was wir dann für eine Rolle dabei spielen, bleibt noch abzuwarten.«

»Ei, zum Henker!« rief Reiwald. »Schießwaffen haben die roten Schufte nicht, und ein paar entschlossene Männer können da viel tun. Bekommen wir bei ihm Audienz, und weigert er sich, das gestohlene Mädchen herauszugeben, so springen wir auf ihn zu, nehmen ihn in die Mitte und halten ihm unsere Revolver auf die Brust. – Was will er dann machen? – Er muß nachgeben.«

»Und die Wilden rennen uns nachher ihre Speere in den Leib.«

»Bitte um Verzeihung,« rief der junge Rechtsgelehrte, »wenn wir es so dumm anfingen und ihn freigäben; ehe wir nicht selber erst wieder in Sicherheit wären, geschähe es ganz recht. Wir behalten ihn aber als Geisel bei uns, bis wir uns den Rücken gedeckt haben.«

»Na, wir wollen's abwarten«, meinte der Doktor. Er hatte allerdings in Romanen schon manchmal Ähnliches gelesen und hielt es selber gerade nicht für unmöglich, hegte aber auch wieder, da es an die Ausführung ging, seine Zweifel darüber. – »Ah, da drüben lichtet sich der Wald! Gott sei Dank, jetzt kommen wir endlich einmal auf einen freien Plan und aus den ewigen Büschen heraus.«

»Den Henker auch!« rief Reiwald, »das ist Wasser – da haben wir wieder einen Fluß.«

»Oh du gütiger Heiland!« rief der Doktor, »dieser verfluchte Witchi-Leufu.«

Es war in der Tat der nämliche Strom, den sie schon wieder kreuzen mußten, und mit denselben Schwierigkeiten hatten sie dabei zu kämpfen. Der Doktor, durch die frühere Gefahr aber gewarnt, hielt sich diesmal unmittelbar hinter den Packtieren und rührte den Zügel seines Pferdes gar nicht an. So kam er glücklich hinüber. Aber auch dort drüben wurde kein Halt gemacht, sondern weiter ging es, jetzt auf einem besseren Weg, in scharfem Trab noch etwa drei Stunden lang, bis sie den Strom zum drittenmal erreichten. Er erschien ihnen hier etwas schmäler als vorher, war aber auch soviel reißender, da das Flußbett hier mehr Fall hatte. Meier, der sich jetzt an ihrer Seite hielt, behauptete auch, daß es ganz unmöglich sei, diese Stelle zu passieren, wenn der Fluß nur um zwölf oder sechzehn Zoll höher angeschwollen wäre; denn verlöre ein Pferd, von der furchtbaren Wassermasse gedrängt, hier den festen Halt, so sei Roß und Reiter rettungslos verloren, da sie überall gegen die im Strom liegenden Felsen geschleudert und nie das andere Ufer gewinnen würden.

Wie sie diese Stelle aber passiert hatten, machten sie Halt. Schon stieg am anderen Ufer der Qualm eines von Cruzado rasch entzündeten Feuers empor; den Tieren wurden ihre Packen abgenommen, daß sie das frische Ufergras abweiden konnten, und der alte Chilene ließ seinen einen Proviantsack öffnen, der Kaffee, Mehl, Reis, getrocknetes Fleisch und andere Herrlichkeiten enthielt. Aber nur zwei Stunden rasteten sie, dann wurden die Tiere wieder eingefangen und bepackt, und der Zug setzte sich aufs neue in Bewegung.

»Hören Sie einmal, Herr Meier,« sagte da Reiwald, der nach der Erfrischung und einer Mahlzeit, der er sich mit Leib und Seele hingegeben, vortrefflicher Laune war – sie ritten gerade nebeneinander hin auf dem hier ziemlich breiten Weg –, »Ihr Begleiter heißt Cruzado, wie?«

»Ja – allerdings,« nickte Meier, »komischer Name für einen Christenmenschen.«

»Und wie ist Ihr Vorname?«

»Karl.«

»Hm – sonderbar! – Unterwegs, wo wir bei dem kleinen gastfreien Chilenen, einem Señor Acharan, übernachteten, holte uns ein Beamter von Valdivia ein und suchte ein paar ›Verbrecher‹, wie er sagte, die – die ganz ähnliche Namen hatten.«

»So?« sagte Meier trocken.

»Ja«, nickte Reiwald; »kurz vorher sollte ein Kampf mit einem Zollboot stattgefunden haben, in dem ein paar Beamte erschossen und ertrunken waren, glaub ich – und nun setzten sie hinter ihnen drein.«

»Erschossen und ertrunken?«

»Jawohl, eine reine Mordgeschichte.«

»So? Nun – und?« sagte Meier mit dem unschuldigsten Gesicht von der Welt, »haben sie sie gekriegt?«

»Hm!« lachte Reiwald vor sich hin, denn er wußte jetzt wohl, daß er aus einem Kreuzverhör nichts weiter herausbekommen würde, »ich – glaube kaum.«

»Schade«, sagte Meier, setzte seinem Tier die Sporen ein und sprengte weiter nach vorn.

An dem Nachmittag kreuzten sie den Fluß noch zweimal und lagerten, aber erst sehr spät, an dessen anderem Ufer. Am Himmel zeigte sich nämlich eine auffallende Veränderung: es bildeten sich weiße, federartige Streifen, die von Süd nach Norden quer über das ganze Firmament hinüberlagen und Cruzado veranlaßten, manchen unruhigen Blick dort hinaufzuwerfen. Woher der Wind bestimmt kam, ließ sich freilich in dem engen Tal nicht gut erkennen, denn er stieß sich an allen Hängen und wehte da unten bald von der, bald von jener Seite. Nach Norden zu verdeckte außerdem der Wald und der Höhenzug den freien Blick, aber eine Änderung im Wetter war jedenfalls bemerkbar, und die Jahreszeit ebenfalls weit genug vorgerückt, um das schlimmste fürchten zu müssen. Es ließ sich aber nichts weiter in der Sache tun; die Nacht durch konnten sie nicht weiter; erstlich hätten die Tiere die übermäßige Anstrengung nicht ausgehalten, und dann wären sie auch bei jedem Schritt im Walde drin, bei all dem niedergebrochenen Holz, der Gefahr ausgesetzt gewesen, zu stürzen und sich zu beschädigen. Tageslicht mußten sie deshalb wieder abwarten; hatten sie doch auch gerade morgen den beschwerlichsten und mühsamsten Weg vor sich.

Die Nacht war übrigens herrlich, und Reiwald bemerkte, so wundervoll hätte er die Sterne noch in seinem ganzen Leben nicht funkeln sehen, wie gerade heute, wozu Meier bedenklich den Kopf schüttelte und wünschte, daß sie sich morgen abend auch noch so darüber freuen könnten. Auf Weiteres wollte er sich nicht einlassen, verzehrte nur in aller Geschwindigkeit einen halben Topf voll Reis und getrocknetes Fleisch, was zusammen zu einer Mahlzeit gekocht war und vortrefflich schmeckte, rollte sich dann in seinen Poncho ein, legte sich unter einen etwas vorspringenden Felsen und war in wenigen Minuten fest eingeschlafen.

Am nächsten Morgen war jedoch der blaue Himmel verschwunden; im Osten zeigte sich allerdings noch ein schmaler Streifen, und als die Sonne später aufging, warf sie ihr Licht voll und klar auf die Kuppen und Höhen, aber sie verschwand auch augenblicklich wieder in der Wolkenschicht, die dicht vor ihr lagerte, und grau und bleiern dehnte sich der Himmel über das weite waldige Land.

Rasch wurden indes die Rüstungen zum Weitermarsch betrieben, und während Reiwald seinen Topf mit Wasser zum Feuer rückte und den gestern schwer entbehrten Kaffee besorgte, mußte der Doktor selber die Tiere mit herbeitreiben und das Gepäck auflegen helfen. Schloß sich davon doch selbst Don Enrique nicht aus. Ein kurzer Imbiß wurde dann allerdings genommen, aber die Leute gönnten sich kaum die Zeit, dazu niederzusitzen, und der alte Chilene saß auch schon wieder marschfertig im Sattel und schien ungeduldig die noch zögernden Gefährten zu erwarten.

So bequem und eben aber, im Verhältnis wenigstens, bis jetzt der Weg gewesen war, so viel rauheren Boden fanden sie nun, und wieder mußten sie den Witchi-Leufu kreuzen, der hier schon an einzelnen Stellen durch gewaltige und schroffe Felswände eingeengt wurde.

Etwa um zwei Uhr mittags kreuzten sie ihn zum letztenmal als Fluß, hier begann aber auch der eigentliche Bergrücken der Kordilleren, der so steil emporlief, daß die Packtiere nur im Schritt gehen konnten und oft stehen bleiben und verschnaufen mußten. Der Pfad wurde dabei so schmal, daß sie genötigt waren, einzeln zu gehen. Cruzado führte jetzt den Zug, der sich langsam den Berg hinanzog.

Hier zeigte auch die Vegetation, daß sie höher in die Bergregion hineinstiegen. Die hohen Waldbäume hatten sie lange zurückgelassen, auch die herrlich blühenden Fuchsien waren im Tal geblieben; nur die Myrten stiegen noch mit ihnen hinauf, höher und höher, wenn auch ihre Büsche niedriger und unansehnlicher wurden.

Und immer steiler wurde der Weg – es war schon fast, als ob sie die Höhe des scheidenden Bergrückens erreicht hätten, denn links und rechts türmten sich wohl die Kuppen noch steil und hoch empor, wenn auch bis oben hin mit Buschwerk bewachsen, vor ihnen aber lag nur noch ein schmaler Rücken, der genau so aussah, als ob man in zehn Minuten hätte hinanlaufen können. Die Entfernungen täuschten aber in diesen Bergen, und bald kamen die Reisenden zu einer Stelle, die so steil und schroff auflief, daß die Packtiere nicht einmal mit ihrer Last hinanklettern konnten. Dort wurde plötzlich gehalten, und Reiwald rief fast unwillkürlich aus: »Na nu?«

»So«, sagte Meier, der neben ihm vom Pferde sprang – »jetzt sind wir so weit – jetzt kann's losgehen.«

»Losgehen, was?«

»Das Buckeln,« meinte der Deutsche lachend; »ja, ja, mein lieber Herr Reiwald, kommen Sie nur auch herunter, das hilft nichts, jetzt nimmt jeder von uns einen Ledersack auf den Buckel und steigt damit den Berg hinauf.«

»Alle Teufel, dort hinauf?«

»Ja, wenn Sie nicht gesonnen sind, Ihr Gepäck unten zu lassen; an dieser Stelle trägt es Ihnen kein Pferd in die Höhe – nicht einmal ein Maultier, denn die Last würde es hintenüber reißen.«

»Na, das ist ein Vergnügen,« sagte der Doktor – »und nachher wahrscheinlich auf der anderen Seite wieder hinunter?«

»Nein,« lachte Don Carlos, »so schlimm ist's nicht; da drüben sind die Berge nicht so steil.«

»Also sind wir jetzt wirklich schon gleich oben auf den Kordilleren?« fragte Reiwald – »die habe ich mir aber viel höher gedacht.«

»Seien Sie froh, daß sie hier nicht höher sind – also angefaßt, meine Herren, daß wir nicht zu lange Zeit versäumen – das Wetter sieht sehr verdächtig aus; um Ihre Pferde brauchen Sie sich indessen nicht zu kümmern, auf die wird Don Enrique achtgeben, und fortlaufen können sie auch nicht; sie müßten denn wieder zurück trollen.«

Die beiden Deutschen folgten kopfschüttelnd dem Befehl; es half auch nichts. Cruzado und die Indianer hatten schon von drei anderen Packtieren die Last abgeworfen und waren eben dabei, die übrigen gleichfalls freizumachen. Als das geschehen war, damit die Tiere die Zwischenzeit benutzen mochten, sich zu erholen und das ziemlich dürftige Futter zu suchen, das hier oben wuchs, nahm jeder der Leute einen der vielleicht fünfzig bis sechzig Pfund wiegenden Ledersäcke auf die Schultern und stieg langsam, aber stetig den Berg hinan. Doktor Pfeifel und Reiwald folgten, und im Anfang ging es auch ziemlich gut, aber es war, als ob der Sack mit jedem Schritte schwerer, der Berg aber immer steiler würde, so daß sie alle Augenblicke hielten, verschnauften und nach oben sahen.

Vier gute Stunden verbrachten sie mit dieser Arbeit, und die beiden an solche Arbeit nicht gewöhnten Deutschen fühlten ihre Glieder kaum noch. Endlich glücklich oben angelangt, warfen sie sich todesmatt hinter einen aufragenden Felsblock nieder – Zug oder keinen, sie konnten nicht mehr und kümmerten sich auch nicht einmal darum, ob ihre Pferde nachkamen oder nicht – für die mochte Meier oder irgend jemand sonst sorgen.

Und wie prachtvoll war hier die Aussicht. Vor ihnen, als sie den Blick zurückwandten, lag allerdings das weite, bewaldete Chile; tief im Tal unten konnten sie sogar den klaren Spiegel der Ranco-Lagune heraufblitzen sehen, aber der Wind strich so kalt und scharf über diese Höhen, und da der Luftzug gerade von den schneebedeckten Wänden des Villa Rica herüberwehte, war er eisig und machte ihre Glieder frösteln.

Bei dem Stilliegen konnten sie sich übrigens auch gar nicht erwärmen und waren froh, als endlich der Befehl wieder zum Aufsitzen gegeben wurde.

Jetzt lag ihr Weg noch auf eine kleine Abdachung hinauf, die bis dahin den gegen Osten liegenden Strich ihren Blicken verdeckt hatte; vor sich sahen sie schon den alten Chilenen sein Pferd einzügeln und halten, rasch galoppierten sie an seine Seite, und dort lag die Pampas, wüst, grau, endlos vor ihnen.

Unter ihnen senkten sich noch Täler ein, und einzelne Hügel, wenigstens von hier aus gesehen, unterbrachen den sonst monotonen und nur wenig bewaldeten oder vielmehr mit Büschen bewachsenen Bergeshang; darüber hinaus begann die weite Steppe, so gewaltig, so trostlos in ihrer unbegrenzten Breite, daß sich ihnen das Herz in der Brust zusammenzog und keiner von allen auch nur ein Wort zu reden wagte. Der Anblick war zu überwältigend.

Und der Vater, der dort unten sein Kind suchen wollte? Der Doktor, der neben ihm hielt, wandte sein Auge verstohlen nach ihm hinüber. Da saß der alte Mann auf seinem Pferd, der Wind spielte mit den langen weißen Haaren – beide Hände hatte er auf seinen Sattelknopf gestützt, und starr und eisern hingen die bleichen Züge an dem öden, wilden, vor ihnen ausgebreiteten Bild, aber große helle Tränen perlten ihm dabei in den Bart. – Er weinte nicht, aber doch netzten sie, ohne daß er es wahrscheinlich selber wußte, seine Wangen.

»Armer Vater!« seufzte der Doktor leise vor sich hin, und der Laut, so schwach er gewesen, schien den alten Mann zur Gegenwart zurückzurufen. Rasch und scheu wandte er das Antlitz seinem Begleiter zu, und die Zügel seines Pferdes ergreifend, gab er ihm die Schenkel und ritt langsam voran der Stelle zu, wo Cruzado schon hielt und wo der Weg, lange nicht so steil als der, den sie heraufgekommen, hinab in die Ebene führte.

Hei, wie der Wind hier pfiff und heulte, und gerade von Norden strich er herüber. Die Wolken, die bis jetzt nur wie ein dünner, von Nebelstreifen durchzogener Schleier das Firmament bedeckt gehalten, ballten sich fester zusammen und zeigten schon lange schwarze Massen, die keilförmig nach Süden hinunterjagten. Hoch über ihnen stand ein Kondor in der Luft und schien mit den starken Flügeln gegen den Wind anzukämpfen. Er strich nach Süden hinüber.

Die mitgenommenen Indianer hatten bisher, solange sie sich unterwegs befanden, fortwährend miteinander geschwatzt und gelacht. Auch diese waren jetzt still geworden und trieben die Packpferde schweigend vor sich her; war es doch in der Tat, als ob der düstere Himmel auch seinen Einfluß auf die Menschenherzen ausgeübt hätte und diese mit seinem grauen Schleier bedrückte und niederbeugte.

Und immer stärker wurde der Wind, je tiefer sie in das wilde Land hinabkamen. Immer düsterer legten sich die dunklen Massen über das Firmament, immer mehr und mehr drückten sie herunter, und als der Abend hereinbrach, fingen aus einzelnen dunklen Wolkenteilen schon große Tropfen an niederzufallen.

Aber weiter und weiter ritten sie; der alte unglückliche Mann hatte keine Ruhe, und je näher sie der Gegend kamen, in welcher er hoffen durfte, Nachricht von seinem Kinde zu erhalten, desto rastloser trieb es ihn vorwärts, weiter und weiter gen Osten, so lange die Tiere nur noch den Boden erkennen konnten.

Endlich schwand aber auch das letzte Licht; es war die höchste Zeit geworden, daß sie einen Lagerplatz suchten und schon jetzt sehr schwierig, die beiden Hauptbedingnisse dafür zu finden: Holz und Wasser. – An einem der Abhänge trafen sie aber noch glücklicherweise auf einen dürftigen Quell, der aus dem Hang herausrieselte. Holz war auch noch in der Nähe, Sträucher wenigstens, mit denen sie ein Feuer unterhalten konnten, und während die Indianer darangingen, die Pferde abzupacken, arbeitete Cruzado mit einem zugespitzten Stock gleich unter der Quelle ein tiefes Loch in den Boden, aus dem er die Erde mit den Händen hinauswarf, damit die Tiere wenigstens saufen konnten.

Meier zündete in der nämlichen Zeit ein Feuer an; das Holz war noch ziemlich dürr und brannte leicht, und Don Enrique half heut abend selber einen Vorrat davon mit herbeitragen, damit sie die Nacht über genügend davon hätten, um nachlegen und die Flamme unterhalten zu können.

Es hatte schon jetzt ein wenig zu regnen angefangen, aber so unbedeutend, daß es niemand beachtete; einzelne große und schwere Tropfen fielen nieder, aber der Wind jagte die Wolken wieder fort, und für eine kurze Zeit kam sogar ein Stück Sternenhimmel zum Vorschein. Das Abendessen wurde indessen zubereitet und ein tüchtiger Kessel Tee gekocht, wenn Cruzado und die Indianer dies Getränk auch nicht mochten. Sie stellten sich wieder einen Topf mit Reis zum Feuer, der mehr substantielle Kost bot. Doktor Pfeifel und Reiwald hatten übrigens auch noch ihr Proviantmagazin (Meier hielt sich zu Cruzado), woraus sie für heut abend eine Büchse mit Sardinen und ein kleines Fläschchen Kognak entnahmen – was Meier später wieder zu ihnen lockte. Das erste Betreten der Otra Banda mußte doch würdig gefeiert werden.

Cruzado hatte indessen sämtliche Ledersäcke zusammengetragen und mit den verschiedenen Packsätteln und einigen Lederdecken eine Art Dach darüber gebildet; die gewöhnlichen Sättel brauchte natürlich jeder selbst als Kopfkissen. Die Indianer suchten sich ebenfalls Büsche auf, über welche sie ihre Satteldecken hängen konnten, dann wurde noch eine Menge Holz auf das Feuer gehäuft und dieses nachher mit großen flachen Steinen, deren es dort eine ziemliche Menge gab, bedeckt. Damit war alles Mögliche geschehen, und die Wanderer drückten sich, so gut das eben ging, zum Schlafen nieder.

Doktor Pfeifel und Reiwald hatten sich ihr Lager zusammen gemacht, ihre Satteldecken auf den Boden gebreitet, ihre beiden Mäntel zur Decke genommen und waren auch, von der heutigen Anstrengung zum Tode ermüdet, bald und sanft eingeschlafen. Reiwald wachte zuerst wieder auf; kalte Regentropfen peitschten sein erhitztes Gesicht, und er zog, ohne völlig munter zu werden, den Hut in die Augen, um sich dagegen zu schützen.

»Oh du mein Gott!« hörte er da den Doktor an seiner Seite stöhnen, »das wird gut werden – verfluchter Regen!« – Dann war alles wieder still, aber die Wolken hatten ihren Guß begonnen. Zuerst waren es immer noch vereinzelte Nebelschichten gewesen, die den Regen begannen, jetzt schien es, als ob alles da oben zu einer kompakten Masse zusammengeschmolzen wäre, und plötzlich schüttete es auf die Erde nieder, als ob es die obere Decke zu Tal waschen wolle.

»Donnerwetter, Doktor,« sagte Reiwald, der indessen völlig munter geworden war und seinen Mantel schon in der Mitte hochhalten mußte, denn das Wasser fing an durchzusickern, »das schüttet ja wie mit Kübeln!«

»Lassen Sie's schütten,« brummte aber Pfeifel in keineswegs guter Laune, »wir können's doch nicht halten; heben Sie nur Ihren Mantel in die Höhe, dann läuft's ab. Es wird bloß ein Schauer sein, der bald vorübergeht.«

Reiwald antwortete ihm nicht mehr und suchte sich selber so gut als möglich zu schützen; aber das dauerte nicht lange. Gegen oben war das allenfalls noch möglich, aber nicht gegen unten. An dem Bergabhang befanden sich nämlich überall abschüssige Stellen, und noch nicht bekannt damit, wie man sich an solchen Plätzen seinen Lagerplatz suchen mußte, hatten die beiden Fremden unglücklicherweise gerade eine solche Vertiefung gewählt, in welcher sie wohl recht bequem lagen, wo sich aber auch das Wasser bei einem nur irgend anhaltenden Regen jedenfalls sammeln mußte.

Reiwald legte sich auf die Seite – er hatte den ersten Anprall des niederströmenden Wassers auszuhalten gehabt und Doktor Pfeifel noch nichts davon gefühlt; jetzt quoll es über die Decken hinüber auch zu ihm, und im nächsten Augenblick kam es wie ein Bach die Felsen herabgeplätschert, so daß die beiden Freunde aus ihrem Lager beinahe hinausgewaschen wurden.

»Jetzt geht's ans Leben!« schrie der Doktor, indem er im vollen Regen auf die Füße sprang. »Oh du grundgütiger Heiland, wenn wir nicht morgen früh zu Tod erkältet sind, gibt's keine Anzeichen mehr! – Und wo soll hier ein Mensch schwitzen?«

»Schwitzen?« sagte Reiwald, »mir schlagen die Zähne aufeinander, als ob es mir die Kinnladen zersprengen wollte. Wenn wir nur noch einen Tropfen von dem Kognak übriggelassen hätten!«

»Ja, aber hier können wir doch nicht die Nacht verbringen?« rief der Doktor in Verzweiflung.

»Wenn Sie ein Wirtshaus in der Nähe wissen, Doktor,« bemerkte Reiwald mit einer Unheil verkündenden Resignation, »so bin ich gern erbötig, Sie zu begleiten.« Der Doktor erwiderte nichts weiter; er wickelte sich, so fest das irgend gehen wollte, in seinen Mantel hinein und blieb im vollen Regen stehen; er konnte sich nicht einmal rühren, denn bei der geringsten Bewegung lief ihm ein Fieberfrost über den ganzen Leib. Reiwald hielt es ebenfalls nicht länger am Boden aus, und seinen Mantel um sich raffend, tappte er am nächsten Hang hin, ob er vielleicht einen Stein fände, auf den er sich setzen und so den Morgen erwarten könne. Jetzt goß es aber vom Himmel nieder, was eben herunter wollte, es regnete nicht mehr, es schüttete; selbst die Mäntel schützten sie nicht länger gegen diese Flut; und wenn der Wind dabei nur nicht so eisig gewesen wäre, aber sie fanden es in der Tat nicht möglich, sich auch nur einigermaßen zu erwärmen.

»Alle Teufel!« sagte da der Doktor plötzlich, der an ihr übriges Gepäck dachte, »wo sind denn nur unsere Gewehre? Na, denen werden die Läufe wohl voll Wasser laufen.«

»Wenn sie voll sind, läuft's auch oben wieder heraus,« brummte Reiwald, »um die sollen wir uns jetzt wohl auch noch kümmern?«

Der Doktor antwortete nichts weiter; er war sich selber bewußt, daß er keine Hand nach ihnen ausgestreckt hätte, und wenn sie in dem Augenblick vorbeigeschwommen wären. Nur den einen Gedanken hatte er, sich still und regungslos zu halten, denn bei jeder Bewegung, die er machte, fühlte er sein jetzt vollständig durchnäßtes Zeug am Körper. Er hatte das ganze Unwetter nur für einen Schauer gehalten, weil es eben so heftig einsetzte und so entschieden auftrat, auch überhaupt noch keine Ahnung, wie es in diesen Gegenden regnen kann,Es fällt dort etwa fünfmal so viel Wasser vom Himmel, als in Deutschland mit nahezu gleicher Anzahl Regentage. er wäre sonst wirklich nicht mit herüber gekommen; heute nacht sollte er es erfahren. Ununterbrochen strömte die Flut herab; überall neben, hinter und vor sich konnte er kleine plätschernde Bäche hören – denn zu sehen war nichts –, die von dem Berg heruntersprangen, und so standen die beiden unglücklichen Freunde, vor Frost klappernd und wie aus dem Wasser gezogen, dabei müde zum Umsinken, in dem Toben der Elemente und verwünschten sich und ihr Geschick.

 


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