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3. Kapitel. Krach im Hause Feller

Willi und Lotte Feller sind böse. Sie sprechen nur das Notwendigste und das in die Luft hinein. Sonst kümmern sich beide nicht umeinander. Willi ist den ganzen Tag unterwegs, besucht die medizinische Gesellschaft und Vorträge oder arbeitet an seinem Schreibtische. Lotte eilt von Freundin zu Freundin, überall von innerer Unruhe weitergetrieben. Sie verbirgt stolz den ehelichen Zwist, unter dem beide gleich leiden. Nirgends hat sie Ruhe. Immer drängt es sie nach Hause, um dem unleidlichen Zustand ein Ende zu machen. Und doch ist ihr das schöne, elegante Heim verekelt. Sie sehnt sich nach seinen – Willis Worten, seinem Zorn. Lieber Ach und Krach, als dieses Schweigen!! – – – – –

Was sie auch thut, er bleibt der »steinerne Gast«. Sie kokettiert mit ihm – nichts! – – Sie reizt ihn – – nichts! – – – – Sie bringt schlechtes Essen auf den Tisch, sie versucht seine Leibgerichte – – – – vergebens! Alles prallt an ihm ab. Und überdies duftet er nach dem starken Parfüm, welches die Russin in ihrem Gemache in Überfluß gebraucht! Also ist er auch dort, womöglich sitzt er den halben Tag bei der Mock und ißt sich da satt? Es ist zum Tollwerden! Was thun? Soll sie ihn durch Aushungern ganz in das Wirtshaus treiben? Zu Mama fliehen? Ihm einfach einen Teller an den Kopf werfen? – – – In ihrer brütenden Wut ist sie zu allem imstande! Sie kann das schöne, männliche Gesicht in diesem steinernen Ernst nicht vertragen! – – – –

»Warum habe ich nur geheiratet? Es war doch viel schöner in der Brautzeit!« – jammert sie und sieht blaß und schlecht aus vor Groll, Kummer, Eifersucht! – Der Doktor sieht es, leidet selbst darunter; aber er hat sich in seine neue pädagogische Erziehung derart verrannt, daß er vor sich selbst nicht zurück kann und will. Aus dem Benehmen seiner Mutter und Schwiegermutter merkt er, daß Lotte ihren neuesten Zwist für sich behält, und das imponiert ihm. – Bei der Gräfin Mock findet er wenigstens Ablenkung. Die Unterhaltung der geistreichen Frau, welche seine schlechte Stimmung bemerkt, ohne nach der Ursache zu fragen, heitert ihn täglich etwas auf. Jekaterina Pawlowna erzählt ihm nach jedem Krankenbericht von seiner Lotte. Klug lockt sie aus ihm tropfenweise die Erzählungen, wie er seine Frau kennen und lieben gelernt hat. Sie kennt die junge Frau, die sich ihr gegenüber sehr reserviert gezeigt, bereits in all ihren Eigenheiten. Liebenswürdig, wie sie ist, preist sie jede einzelne. Sie, die vornehme Dame der großen Welt, stellt sich entzückt über alle Unarten und Freiheiten der Frau Range. Willis Herz schwellt vor Stolz und Glück über seine Lotte, wenn er bei der Gräfin weilt! Und die ahnungslose Lotte glaubt thörichte Dinge und quält sich mit Eifersucht! –

Die Gräfin Mock hat ein zweijähriges Söhnchen in Rußland zurückgelassen. Sie beruhigt sich erst, als ihr Gatte wieder die Obhut selbst übernimmt! Jedoch die Sehnsucht nach ihrem Kinde verzehrt sie, und hemmt die Fortschritte in ihrer Genesung, so sehr auch Doktor Feller seine Künste aufbietet. – Plötzlich tauchen in den Briefen des Grafen Andeutungen auf, daß er für die Gesundheit des Stammhalters Sorge trägt. – Nun hält es Frau von Mock nicht mehr in Berlin aus. Ihre Abreise ist beschlossen. Die Gräfin bestürmt Willi Feller, mit nach Rußland zu kommen. Er soll dort ihren Knaben untersuchen und ihre Behandlung weiterführen. Der junge Arzt weist das Anerbieten zurück. Am letzten Tage, an dem sie reist, sind die Nachrichten über das Kind besonders schlechte. Willi kann nicht anders; er verspricht der geängstigten Mutter wenigstens zu kommen, wenn sie ihm depeschiert, daß es notwendig sei. Er schlägt ihr andere – berühmte Kinderärzte – vor. Sie will nur von ihm selbst hören. Auf ihn allein hat sie ihr ganzes Vertrauen konzentriert, sich auf seine Person kapriziert. –

Nach dem Abschiede von der schönen Frau, die ihm auch innerlich nahegetreten, kommt Willi nach Hause. Er ist nervös, überreizt und unruhig, denn die Möglichkeit liegt nahe, daß man ihn in wenigen Tagen nach Rußland beruft. Und dann – – –? So wie er jetzt mit Lotte steht – – – –. – – Bei ihrer Eifersucht? – – Was wird sie glauben oder argwöhnen? – Im Korridor legt er ab. Keine silbern helle Stimme begrüßt ihn jauchzend. Keine Arme umschlingen seinen Hals. Kein Mund preßt sich auf den seinen wie sonst. – Lottes Jubel, Lottes warme Begrüßung fehlen ihm fürchterlich. Er sehnt sich danach. Aber der Herr Willi Feiler ist ein echter Mann – – – –

Anstatt sein Weibchen in die Arme zu nehmen und mit einem festen Kuß der scheußlichen Zeit ein Ende zu machen, wird er noch gereizter. Zornig betritt er das Speisezimmer. Sofort ruft er laut und wütend: »Schon zwei Uhr, und der Tisch noch nicht gedeckt!« – – Er hat die Gattin im Wohnzimmer nebenan an ihrem Schreibtisch gesehen. Sie bleibt ruhig sitzen und ruft wie er in die Luft. »Die Sache eilt nicht!« – – »Die Klinik wartet nicht! Um vier ist eine Operation! Bitte um Schnelligkeit!« – – »Fliegen können wir nicht!« – lautet die Antwort. Lotte klingelt und giebt Ordre, zu decken. Wie zwei verbockte Kinder sitzen sich die Eheleutchen gegenüber. Verknurrt – schweigend! – Er bricht den Bann: »Die Suppe ist angebrannt!« – – »Sie läßt sich essen!« – – Zweiter Gang: Bohnen und Zungenbraten, in Scheiben herumgarniert. – Wieder bricht sich Willis Unmut Bahn: »Die Zunge ist versalzen; das Gemüse flau.« – – »Niederträchtige Gnedderei!« – erleichtert sich Lotte. Bei seinem Ausruf: »Nette Wirtschaft!« – schweigt sie noch; aber in ihr kocht es. Nur mit Mühe bändigt sie sich. Sie fühlt sich einem der leidenschaftlichen Tobsuchtsanfälle nahe, die man in ihrer Jugend mühsam ausgemerzt. – – Emma bringt schon ganz verschüchtert den Kalbsbraten auf den Tisch. Sie steht zwischen den beiden wie ein Puffer. Beide ranzen sie jetzt so oft an, daß sie beschließt, zum fünfzehnten zu kündigen. Rasch stellt sie die Schüssel und den Salat nieder und verschwindet, denn die Gesichter der »Herrschaft« und die Atmosphäre sind ihr unheimlich. Im Hinausgehen aber denkt sie bei sich: ›Komische Welt, sonst haben sie sich wie die Verrückten vor Liebe und möchten sich rein aufessen. Heute sitzt er da wie ein Mörder und sie wie eine Wütende!‹

Lotte erhebt sich, schärft das Tranchiermesser und schneidet große Scheiben von dem Braten. ›Oh weh – erwägt sie sofort – er ist etwas hart!‹ – Dann freut es sie böser Weise. Ehe sie aber noch die Klinge aus der Hand legt, meint Willi höhnisch, obgleich er es wirklich noch nicht wissen kann – denn das Fleisch sieht gut und saftig aus –: »Zäher Zodder!« – – Nun ist es um Lotte geschehen. Rote Kreise wallen vor ihren Augen. Sie vergißt sich. Eins, zwei, drei hat sie die ganze Bratenschüssel gepackt und schleudert sie in kraftvollem Bogen gegen die Wand. – Das Porzellan zertrümmert. Das Fleisch klatscht gegen die mattgelbe Tapete und fällt auf den Teppich, wo sich sofort ein kleiner Saucensee bildet. »So, nun habe ich genug! – schreit sie bebend – Du bist ein unausstehlicher Patron! Seit einer Woche sinnst du die raffiniertesten Kleinigkeiten aus, um mich zu kränken! Jetzt ist meine Geduld zu Ende! Ich habe alles gethan, um Deine gute Laune wiederherzustellen. Ich habe mich soweit erniedrigt, Dir zu schreiben. Sogar an Seffmanns habe ich Dich erinnert. Du verdienst es nicht! Ich habe mich in Dir getäuscht! Du bist kein großer Charakter, sondern ein kleinlicher Piesack!« – – Er sitzt wie aus Marmor. – Der Schüssel fliegt ein Teller nach. »Sitz nicht so unbeteiligt da, sonst werfe ich die ganzen Sachen hin! – schreit Lotte außer sich – Du willst mich lieben? Ich danke! Wo steckt Deine Liebe, Deine Güte? Sei ehrlich zornig, und ich verstehe es! Aber diese unwürdige, kleinliche Gnedderei, dies Böseumherlaufen in unserer Wohnung halte ich nicht aus. Meine Nerven sind hin, mein Schlaf! Du willst ein Arzt sein! Ich danke! Wenn Du ein guter Mensch und ein guter Arzt wärst, ließest Du es bei meinem Zustande nicht so weit kommen. Ich habe genug, und meine ganzen Ideale von unserm Glück und unserer Ehe liegen im Staub! Heute Abend fahre ich nach Hamburg zu Zuters und komme nicht eher wieder, ehe Du mich um Verzeihung gebeten!« – – Lotte erhebt sich, bricht in Schluchzen aus und stürzt hinaus.

Im Schlafzimmer schließt sie sich ein und schluchzt und schluchzt. Ihr ganzes Glück, ihre fernere Zukunft scheinen ihr zertrümmert. Sie giebt sich Schuld – ihm – der Gräfin! – Verzweifelte Gedanken durchstreifen ihr Hirn, und eine große Sehnsucht nach der Mutter überkommt sie. Zu ihr fliehen, von ihren weichen Armen umschlungen sich ausweinen, das muß ja eine Wonne sein! – –

Willi sitzt inzwischen noch immer wie erstarrt am Eßtisch. Das Krachen des fallenden Porzellans, dessen Scherben am Boden liegen, hat ihm wohlgethan. Beim ersten Wurf kochte auch seine Heftigkeit empor; aber der zweite hat seine latente Wut förmlich ausgelöst. Ihm ist freier zu Mute, als hätte er sich ausgetobt! – – – – Ihre Worte hallen in ihm nach. Vor allem ihre Bemerkung: »Bei meinem Zustande«. Sollte die bisherige Ungewißheit ihr schon zur Gewißheit geworden sein? Und sie hat es ihm verschwiegen? – Sein Herz klopft. Wenn es wahr ist, dann hat er sich ja nett benommen! Nicht wie ein liebender Gatte, der obendrein Arzt ist, sondern wie ein Barbar! – – – – – – Er sitzt vor dem unordentlichen Tisch, die Arme aufgestützt, in tiefe Gedanken versunken. Immer weicher wird seine Stimmung. Immer größer die Selbsterkenntnis, die Reue! Plötzlich springt er auf und schlägt sich vor die Stirn: »Teufel, wie habe ich mich benommen! – murmelte er – Wie ein Schuft! Warum habe ich ihren Brief nicht beachtet? Warum ihr die Eifersucht nicht mit verdoppelter Zärtlichkeit ausgetrieben?« – – Er blickt ganz verstört auf die Scherben – – – – – – Diesmal wird sie sich nicht so rasch versöhnen lassen, und mit Recht! Wer weiß, ob es ihr nicht schadet? – – Er zerrt an seinem Schnurrbart. Was thun? Wie gut machen? Das arme kleine Ding! Erst so rabiat und dann so verzweifelt – – – –

Plötzlich fällt ihm Emma ein. Herr Gott! Die ahnt ohnehin schon soviel von ihrer Verstimmung. Sonst haben Lotte im Zimmer und das Mädchen draußen in der Küche um die Wette gesungen. In der letzten Zeit war es auch draußen still geworden. Und wie sie ihn ansah! Ordentlich voller Haß! Natürlich, die gute Person nahm die Partei der liebenswürdigen, angebeteten Hausfrau, die mit ihr immer lachend fertig wurde. »Nein!« – stieß Willi laut aus – Um Himmelswillen, Emma durfte diese Spuren hier nicht sehen! Sonst vergiftete sie ihn noch oder verklatschte ihn in der ganzen Gegend als Wüterich. Denn daß Lotte diese Würfe ausgeführt, auf die Idee konnte sie kaum verfallen. – Rasch sprang er zur Thür und riegelte ab. Dann kniete der große Herr Doktor Feller nieder und sammelte Scherben auf, dabei rutschte er auf den Knieen vorwärts, um auch die kleinen Splitter aus dem Perserteppich zu entfernen. Wie leicht konnte sich Lotte sonst noch so ein Ding in den Fuß treten! – Endlich war diese Arbeit gethan. Erhitzt und rot von der Bückerei stand er auf und legte die gesammelten Reste der einstigen Herrlichkeit auf ein Blatt Zeitungspapier. Dann hob er mit der Gabel den Braten in die Höhe und legte ihn in die Kartoffelschüssel. Der Saucen- und Fleischsaftsee wurde mit alten Zeitungen und dem Taschentuch beseitigt. So – jetzt war alles soweit in Ordnung bis auf den riesigen Fettfleck mit den herabgerieselten Fettspuren auf der neuen Tapete. – Unsicher kratzte sich der Herr Doktor hinter dem Ohr und überlegte. – Hurrah, so ging es! – Vorn, im Apothekerschrank, stand eine Flasche Benzin. Rasch holte er sie, sowie einen Ballen Watte und antiseptische Binden. Erst tupfte er vorsichtig. Ei! Es verschwand! Dann rieb er tüchtig mit dem Gasezeug nach, und – – – – der Erfolg war überwältigend! – – Kurz darauf erschien die darunter gewesene dunkelbraune Tapete. Willi hatte nämlich das helle Papier und die imitierte Täfelung radikal »durchgeschubbert«. – –

Na, da hatte er was Nettes angerichtet! Ordentlich benommen stand er vor der Unheilsstätte. Nun war nichts mehr zu verbergen!! – – – – Ungeduldig klingelte er Sturm. Emma wollte in das Zimmer; aber als sie bemerkte, daß die Thür abgeschlossen, klopfte sie energisch. Willi mußte aufschließen. »Was soll's? Soll ich noch nicht den Kaffee bringen?« – fragte sie mürrisch. Erstaunt musterte sie den Hausherrn, sah sich nach Lotte um und überflog verständnisvoll die Situation, bis ihr die riesige, dunkle Stelle an der Wand auffiel. Nun blieben ihr allerdings die Sinne fort, und sie stieß nur ein dumpfes: »Nanu?« hervor und sah ihn fragend an. – – »Liebe Emma, – meinte Willi kleinlaut und sehr liebenswürdig, dabei entsetzlich verlegen – mir ist ein kleiner Unfall passiert! – – – – – hm – – – Ich – – – ich wollte Ihnen den – – – Braten bringen, um – – – – ihn – – – hm, noch – – – einmal durchzubraten. – – – Da stolperte ich – – – und – – – die Schüssel flog mir – – – – aus der Hand – – – gegen die – – – Wand und – – –« – – »Ich kann mir denken!« – sagte sie frech und nachdrücklich. – – – – – – Willi stockte. Plötzlich raffte er sich auf: »Also räumen Sie hier ab! – schrie er hastig – und machen Sie das Fenster auf. Es stinkt ja entsetzlich nach Benzin!« – – Er stürmte hinaus. Das Mädchen lachte bitterböse hinter ihm her. »Ich kann mir denken! – wiederholte sie – Ja, Euch Männer kennt man! Ihr seid alle über einen Leisten geschoren! Wenn ich das Frau Geheimrats Agnes erzähle, wie der Kerl ihre Lotte mißhandelt, kratzt sie ihm die Augen aus. Da sagt man, so was kommt nur in unserm Stand vor. Hat sich 'was!« – – Während Dame Emma abräumte und philosophierte, stand Willi vor dem verschlossenen Schlafzimmer und flehte auf französisch um Vergebung und Einlaß. Der letztere wurde ihm bald gewährt; aber mit der Verzeihung ging es weniger schnell von statten.

Erst ergoß sich noch eine Portion angelagerten Zornes über ihn, dann eine handfeste Gardinenpredigt. Er lauschte beidem ganz zerknirscht und küßte nur immer de- und wehmütig die kleine Hand. So sehr diese auch gezerrt wurde, zuckte und weggerissen werden sollte, er ließ sie nicht los. Als Lotte endlich erschöpft schloß, bat er nur leise: »Denke an Seffmanns, Geliebtes, und vergieb!« – – »Ach was, hast Du an sie gedacht, als ich Dich damals darum bat? Nein, Du – – – geh nur! Du hast mich grimmig enttäuscht und betrogen! Du wirst lange zu thun haben, um mein Mißtrauen zu überwinden! Nein, nein! Du bist nicht nur kleinlich, schlecht und nachtragend, Du bist sogar – – – – – – – (das Wort fehlte ihr) – – brutal – – – – und wie siehst Du aus! Pfui, Dein Anzug, und wie Du nach Benzin – –« – – Ehe sie sich wehren konnte, umschloß er sie gewaltig und sah sie liebevoll an: »Lotte, Du hast recht! Putz' mich 'runter! Aber wenn Du meine Buße gesehen hättest, mein Kanossa im Eßzimmer, Du wärest nicht so unversöhnlich!« – – Er lächelte. »Welches Kanossa? Du und Buße thun! P!« – – »Doch, Du geliebter Sonnenschein, ich habe es gethan. Hättest nur sehen sollen, wie ich auf dem Teppich umherkrabbelte, Scherben auflas und mit Benzin mit gräulichem Mißerfolge Fettflecke zu entfernen versuchte. Eine kleine Dynamitpetarde von Brausekopf klatschte nämlich Schüssel samt Braten gegen die Mauer – –« – – »Und zertöpperte noch einen Teller hinterher! Ach, wie das wohlthat! Die ganze Deckerei hätte ich noch 'runtergerissen oder Dir an den Kopf geschmissen!« – ergänzte sie, und ihr Gesicht, das vom Weinen verschwollen war, klärte sich etwas auf. – – »Na, danke, Du bist ja eine thatkräftige Frau, beinah gemeingefährlich.« – – »Bin ich auch, wenn man mich reizt; aber ich brause auf und verpuffe meinen Zorn! Andere dagegen tragen nach und tückschen!« – – »Ja, leider! Aber sie tragen auch auf Händen, wo sie lieben und vergöttern, wie jetzt!« – – Er hob sie wie ein Kind in die Höhe und küßte sie feurig: »Und sie versprechen Besserung und geloben Ablegung ihrer Fehler, wenn ihnen noch ein einziges Mal von dem süßesten, gütigsten Frauchen Generalpardon gewährt wird?« – –

Was war da zu thun? Sie sah in seine flehenden Augen, sein geliebtes Antlitz und – – – reichte ihm ihren bisher unwillig entzogenen roten Mund. – – – – Emma saß heulend in der Küche. Die mißhandelte junge Herrin that ihr so leid, daß sie über die Schutzmittel nachdachte, mit denen sie Frau Doktor von »diesem rohen Kerl, der Geschirr um sich schleuderte wie nischt« befreien konnte. – Sie fiel fast vom Stuhl, als sich mit einem Male die Küchenthür öffnete. Starr und ungläubig schaute sie auf ihre Herrschaft, die da mit roten Gesichtern und funkelnden Augen eng und zärtlich verschlungen stand. »Hören Sie mal, Emmchen! – bat Lotte lachend – Sie sind eine brave verschwiegene Person und werden keinen Klatsch machen, das weiß ich, weil ich Sie kenne! In jeder Ehe giebt's mal ein bißchen Sturm; aber in einer glücklichen hält er nicht lange vor! Nicht wahr? – – – Und nun brauen Sie uns einen Sonntagskaffee und holen Sie den schönsten Napfkuchen, den Sie finden! Wir haben noch ein kleines Loch im Magen! Na, Beine hoppen, Emma! Flott, andres Gesicht aufgesetzt! Sie kriegen auch zwei Mark monatlich Zulage, hurra, alter Brummkreisel!« – – Wie konnte Emma da widerstehen? Sie nahm ihr Umschlagetuch vom Nagel und verschwand. Ihr Ehrgefühl aber war durch Lotte geweckt, diesmal sprach sie zu keinem fremden Menschen über den »Krach im Hause Feller«. Nur Agnes erfuhr ihn unter dem Siegel strengster Verschwiegenheit. Beide philosophierten über Ehe, Liebe und sonstige ernste Dinge und kamen überein, daß die Frauen immer den Kürzeren zögen. So auch ihre Frau Doktor, die trotz aller Nettigkeit sich doch immer wieder diesem Mannsbilde an den Hals würfe, wenn er nur winke!« – – »Ich hätt' 'n auf'n Trab gebracht, wenn er mir mein Geschirr zerkeilen würde. So ein Mann!« – meinte Emma kopfschüttelnd. – »Na eben, und auf den mußte unsere arme Lotte 'reinfallen! Die hätt' doch noch einen Andern kriegt!« – – »Eben! Aber, wen de Liebe packt, der läßt sich 'rumkriegen!« – – »Mir könnt sowas nich passieren, ich schmisse wieder!« – – »Na, Emma, wie ich unsre Lotte kenne« – meinte Agnes bedenklich – »die hält auch nicht still. Den Teller hat die sicher zerkloppt; wenn er's mit die Schüssel gehalten.« –

Das waren Tage, die auf die »Zerschmetterungsschlacht« folgten! Eitel Sonnenschein! Willi: weicher, zärtlicher, hingebender als in den Flitterwochen. Lotte verliebter als je zuvor. Jeder bemühte sich, den Andern seine »Sünden« vergessen zu machen! – – Über Frau Gräfin Mock hatten sie sich ausgesprochen, und auch gegen Herrn Oberleutnant Haffner war jede Eifersucht verschwunden. Der Hauswirt hatte noch Tapetenreste gefunden. So war auch die ominöse Stelle von der Eßzimmerwand verschwunden. Zur Erinnerung an ihren jähen Ausbruch und Willis »Buß- und Reu-Schubberei mit Benzin« hatte Lotte auf die neue, etwas hellabstechende Tapete genial ein russisches Handtuch garniert. »Man muß die menschlichen Schwächen human mit Tüchern bedecken!« – so erklärte sie den erstaunt Fragenden den ominösen, etwas unmotivierten Wandschmuck, ohne sich auf nähere Deutungen einzulassen. –

Am Sonntag früh war Willi fortgeholt worden, als der Depeschenbote ein Telegramm abgab. Lotte öffnete es erschreckt: »Mein Liebling und ich bedürfen Ihrer. Der Graf erbittet dringend Ihr baldiges Kommen. Kostenpunkt Nebensache. Lassen Sie uns nicht im Stich. Bitte! Mock.« – – »Das fehlte noch!« – rief die junge Frau entsetzt. – Aber im Laufe der nächsten beiden Tage flogen die Depeschen hin und her. Die russischen wurden immer flehentlicher, die deutschen unsicherer. Endlich – – – – – faßte Lotte sich ein Herz. Sie gab nach, nicht dem Zureden aller Verwandten, die eine solche Auslandsreise nicht nur höchst ehrenvoll und einträglich, sondern auch ebenso interessant fanden. Sie sah, wie Willi immer größere Lust bekam, wie sich sein Arztgefühl dagegen sträubte, einen vertrauenden Patienten warten zu lassen. »Du reist eben!« – meinte sie seufzend und blaß. Er warf sich vor ihrem Stuhl nieder und umspannte ihre Taille. »Ich danke Dir, Liebstes! Aber Du weißt nicht, wie schwer ich mich von Dir trenne. Ganz gräßlich wird mir bei dem Gedanken!« – – Sie barg den Kopf an seiner Schulter: »Na, und mir erst! Ich halt' es nicht aus! Wie lange wirst Du wohl bleiben?« – – »Schatzlieb, wie kann ich das heute schon wissen?« – – »Schweige bloß, Liebster, damit ich nicht so weich werde. Sage mir gar nicht, wie lange es dauern wird, sonst – – –« – – »Geh doch inzwischen nach Hamburg, Lotte, oder vielleicht kommt unser dickes Wonnchen zu uns gezogen und tröstet meine kleine Strohwitwe – – –« – – »Hör auf! Hör auf, Schatz!« – rief Lotte, riß sich los und eilte hinaus, um nicht wie eine Verzweifelte zu schluchzen. –

Der Doktor ging schweren Herzens fort. Er hatte viel im Kopfe. Vertreter mußten besorgt, der Paß fertig gemacht werden. – Müde kehrte er heim. Verstimmt nahmen beide ihr Abendbrot ein. Dann mußte er seine Bücher in Ordnung bringen und sie seine Sachen zur Reise bereit legen. Oh, wie sie seufzte und stöhnte! Wie sie sich endlich schlaflos im Bette wälzte, als er schon längst schlummerte. Sie horchte stundenlang auf seine gleichmäßigen Atemzüge voller Qual. Also jetzt sollte sie eine ganze Weile hier allein liegen? Sicher würde sie vor Heimweh, vor Sehnsucht und Angst um ihn nicht schlafen können! – Plötzlich wurde er still. Sie hörte einen Seufzer. War er wach geworden? Sie richtete sich auf und lauschte. Es schien ihr wirklich so, als ob er wache. –

Ganz leise sagte sie: »Willi?« – – »Ja, Lieb?« – – Auch er fuhr empor. – »Kannst Du nicht schlafen?« – – »Ach, ich träumte so dumm!« – entgegnete er ärgerlich. – – »Was denn, Schatz?« – – »Lauter Unsinn, den die dumme Geschichte erzeugt. Ich fuhr nach Kiew, geriet in einen falschen Zug und wurde nach Sibirien geschleppt. Immer schrie ich nach Dir; aber man verstand mich nicht, und ich sie nicht. Das regte mich so auf, daß ich aufwachte!« – – »Ich habe noch gar nicht geschlafen!« – meinte sie und rückte dicht an ihn heran. Er legte den Arm um sie, und so saßen sie beide wie zwei artige Kinder mäuschenstill in der Dunkelheit. – – »Wie werde ich es ohne Dich ertragen?!« – dachte er laut. – – »Na eben, Sache! Ich muß Dir auch sagen, daß es mir noch unklar ist, wie ich hier sitzen sollte, und Du gondelst in meinem Rußland umher, auf das ich ohnehin ein Patent habe. Nein, geliebter Willi, das geht nicht! – – – Darum habe ich in den scheußlichen Nachtstunden einen Entschluß gefaßt! Red' nicht gegen, Liebster, er ist unerschütterlich!« – – Er nahm ihre Hand. »Nun, bitte, teile mir diesen unerschütterlichen Entschluß mit! Ich bin ganz Ohr!« – – »Also, Schatz, ich komme mit!« – – »Wie, was?« – – Ihre Hand wurde freigegeben. Er neigte sich nach hinten, knipste an der Kurbel, und eine elektrische Lampe flammte auf. »Laß Dich mal anschauen?« – – »Bitte, ich fiebere nicht, Schatz! Im Gegenteil, jetzt wo es heraus ist, komme ich in eine unmäßige Quietschvergnügtheit hinein! Also ich bringe meinen wonnigen Schatz wohlbehalten und sicher zu Mocks. Dann gehe ich zu meinen Verwandten, die mich mit ihrer Gastfreundschaft schon als Mädchen zweimal entzückend aufgenommen haben. Wir treffen uns, wenn Du Dich genug »Mockiert« hast, und ich zeige Dir mein herrliches, interessantes Rußland!« – – »Lotte, Lotte!« – – »Natürlich, allein könnte ich Dich ja gar nicht reisen lassen. Du kannst nicht russisch, nicht einmal die Buchstaben lesen! Du wärst einfach verloren, würdest beschummelt und von den Iswoschtschiks sträflich übers Ohr gehauen! Ich aber kann doch so ein bissel russisch quatschen und lesen, ich kenne mich ja dort so gut aus! Und vor allem gönne ich es Dir absolut nicht, dies Wunderland allein zu betreten. Ich muß sehen, was Du für Augen machst! Ach, wird das schön, Liebster, eine zweite Hochzeitsreise!« – –

Sie plauderte immer seliger und vergnügter. Der Gatte hörte starr zu. »Himmel, Lotte, was redest Du? – brach er endlich überrascht los – Jetzt im Winter, jetzt – – – gerade jetzt – – willst Du eine solche Reise unternehmen? In das eisige Klima hinein? Dich solchen Anstrengungen und Gefahren aussetzen? Du phantasierst!« – – »I wo wer ick denn! Mir ist vollkommen klar! Hier bange ich mich halb, ängstige mich ganz tot und werde von Brief zu Brief nervöser! Nee, Jungeken, so gut wie Du mich nach Hamburg spedierst, kann ich auch nach dort. Im Gegenteil, Du ahnst ja gar nicht, wie bequem man da reist. Die Züge, selbst die Expreß, fahren in mittlerem Radfahrertempo, schunkeln nicht die Spur und sind so bequem – – – – Tante Therese würde sagen, wie Du keine Ahnung von hast! Und die Kost da – – – – Willi, füg' Dich, es hilft Dir nichts! Du bist ja selbst froh, wenn Du mich bei Dir hast! Natürlich mit allem Grund! – – – Gott, was freue ich mich auf die Verwandten dort. Paß mal Achtung, wie lieb Du die Menschen gewinnen wirst! Und das Leben! Und die Architektur! All der unmenschliche Dreck – – –« – – »Lotte!« – – »Ach laß, mein Schatz, es ist dunkel und niemand hört's! Mich stört es weiter nicht! Den angeborenen entzückenden, verlumpten, russischen Schmutz kann selbst die feinst besaitete Seele nur mit dem Kernwort ›Dreck‹ bezeichnen!« – –

Und sie malte ihm die Herrlichkeiten immer verführerischer aus, wurde immer lebhafter und begeisterter. Willi konnte nichts entgegnen. Sie ließ ihn ja nicht zu Wort kommen. Endlich packte er ihre beiden Hände. »Schluß für heute, kleine Katz! Sonst sprichst Du noch ein russisches Konversationslexikon. Morgen gehen wir sofort zur dicken Mutter Bach und holen deren Rat ein, bis dahin Waffenstillstand! Gute Nacht, Schatzlieb!« – – »Nacht, Reisekamerad! Du, wenn Du denkst, daß Du mit Mutterns Reserveautorität mich von dieser Reise zurückhältst, biste schief gewickelt. Es verfängt nichts mehr, wir rutschen gemeinsam.« »So, und die Vorbereitungen, liebe Frau?« – – »Mein Herr und Gebieter, unsere cisuralische Expedition soll Euch Gelegenheit geben, das Hausfrauengenie Ihrer gehorsamen – hmhm – getreuen – na, wer kann sagen, was 'ne Sache ist – – aber in jedem Falle Eurer Euch momentan kiebigliebenden Angetrauten zu bewundern! Besorgt Ihr Paß und Moneten, und am Abend ist das Palais Feller geschlossen, die Dienerschaft pensioniert und die vieledle Herrin abreisefertig! – – – Mein Willi, was willst Du noch mehr?« – jubelte Lotte. – »Schlafen!« – – »Pfui, Pennbruder! Ich sehe, Dir fehlt die Begeisterung! Sei unbesorgt, ich habe sie für uns beide! Schlafe, mein alter Liebster, träume, was willst Du mehr? Für Dich wacht – – – – Deine kleine Lotte!« – –

Seufzend drehte sich Willi auf die andere Seite. – Mit der wurde selbst er nicht fertig! Er gab ja doch immer nach! Im Grunde war er ja entzückt, sich nicht von Lotte trennen zu müssen! Aber all die Anstrengungen gerade jetzt? – Er schloß die Augen und versuchte, nicht zu denken! – – Plötzlich tippte sie ihn an: »Du, schlaf' rund, daß Du nicht eckig wirst!« – – »Range!« – – »Ja, eine Frau von seltener Tüchtigkeit und von Range! Gott, Du wirst ja Deinem Schöpfer auf Knieen danken, wenn ich Dich da in Rußland protegiere und unter meine Fittiche nehme! – – – – Du, wenn Du den Moskauer Kreml siehst, wirst du rapplig – – –« – – »Ruhe oder ich laß Dich wegen nächtlicher Ruhestörung festsetzen und fahre allein!« – – »P! Dann klage ich auf Hausfriedensbruch, böswillige Verlassung und rutsche sofort hinterher. Du weißt gar nicht, wie interessant ich mich als Geschiedene ausnehmen würde! Wie die Fliegen wärt Ihr Männer hinter mir her, und Du am ersten! Du zappeltest sofort an der Leimrute!« – – »Pscht!« – – Er stellte sich schnarchend, antwortete auch nicht auf ihren langen jauchzenden, tadellosen Jodler. Plötzlich wurde von oben stark auf die Decke geklopft, ruhegebietend. »Heiliger Bimbam, Adlers sind aufgewacht. Hoffentlich haben sie gerade von Tirol geträumt, dann hat mein Jodler ins Milieu gepaßt!« – erklärte Lotte. – »Na, mir scheint eher, sie waren in Nirwana und fluchen jetzt dem bösen Geist, der sie daraus aufgestört – entgegnete er doch lachend – Aber, Lotte, mein Wort darauf, wenn Du jetzt nicht mucksmäuschenstill bist, nehme ich meine Decke und quartiere mich ins Sprechzimmer auf den Diwan um!« – schloß er energisch. – »Piff paff, ich schweige schon in allen Tonarten, Tyrann!«

Es wurde still. Lotte miaute zwar leise, imitierte Vögel, Hunde, Kühe; aber er reagierte nicht mehr darauf. So lag auch sie ruhig und dachte nach, bis sie gegen Morgen auch eindruselte. Willi erhob sich zuerst, kleidete sich leise an und stand dann sinnend vor ihrem Bett. Sollte er sie wecken? – Nein! Mochte sie den Schlaf nachholen, »sein übermütiges Glück!« – Vorsichtig neigte er sich herab und küßte die weiße Hand, die ruhevoll auf der Decke lag. Da umschlang sie ihn so jäh, daß er erschrak. »Na, habe ich mich malerisch gemacht, mein Liebster! Also heute Abend fahren wir?« – – »Spitzbube!«


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