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1. Kapitel. Die russische Gräfin

Frau Doktor Lotte Feller, geborene Bach, trat vor den hohen Spiegel. Er war zwischen den Fenstern des Salons in den Mauerpfeiler eingelassen und mit reichen Draperieen geschmückt. Sinnend blickte sie auf ihre eigene Gestalt, die das Glas zurückwarf. Trotzdem es noch früh am Morgen war, trug sie schon ein fest anliegendes Hauskleid und eine Schürze darüber. Weder sie noch ihr Gatte liebten Schlafröcke oder Matineen, welche von jungen Frauen so oft bevorzugt werden.

Gar so glücklich schienen Frau Lottes Gedanken heute nicht zu sein, als sie sich im Spiegel betrachtete. Unwillig hob sie die rechte Hand, in der sie ein Staubtuch hielt und schlug, halb wischend damit nach dem Glase. Dann seufzte sie tief, drehte sich ab und betrachtete die Anzahl von Pinseln und Wedeln, welche sie in der Linken hielt. Nicht halb so arbeitsfreudig wie sonst begab sie sich langsam in das anstoßende, traulich elegante Gemach: Willis Sprechzimmer. Sie blickte nach der Uhr. – Eigentlich war sie ja schon recht fleißig gewesen: Speise- und Wohnzimmer – Salon und Wartezimmer waren bereits in vollster Ordnung. Nur hier noch, und sie war fertig, denn das Schlafgemach und Schrankzimmer staubte Emma. – Es gab trotz all der neuen tadellosen Möbel doch eine Menge in ihrem schönen Heim zu thun. Sieben Zimmer waren keine Kleinigkeit! Ihr Vormittag war vollbesetzt. Und über lang oder kurz mußte sie Etepetetchens und Mamas Drängen folgen und ein zweites Dienstmädchen engagieren. – Auch Willi bestand schon lange darauf. Nur sie hatte sich bisher entschieden gesträubt und ihren Ehrgeiz darangesetzt, das Muster einer arbeitsamen Hausfrau zu sein. Im Grunde sprach noch etwas Anderes mit, das sie aber im geheimsten Innern verbarg. Sie ängstigte sich! Nicht einmal ihrem Willi hatte sie verraten, mit welcher Angst sie in die Ehe gegangen war! Angst vor dem Wirtschaftsgelde, vor dem eigenen Dienstmädchen, vor den Spüraugen von Mutter und Schwiegermutter, vor den Kritiken der scharf beobachtenden Freundinnen. –

Sie kamen ja alle her, natürlich in der besten Absicht und reinsten Güte, um sie zu besuchen. Aber wie sie guckten und spähten! Wie sie lachten und kritisierten, gutmütig und boshaft! Wie sie neckten! – Und das konnte sie so gar nicht vertragen, sondern wurmte sich innerlich halbtot. – Gott ja! Es war ja begreiflich! Alle wollten sehen, wie sie – die bekannte Berliner Range – sich als Frau zeigte. Nur manchmal, unter dem Druck ihrer geliebten »dicken Wonne«, hatte sie in Anfällen von Eifer und Begeisterung sich mit der Wirtschaft beschäftigt. Sonst hatten ihr Beruf, ihre vielen Freunde, die großen langen Reisen sie stets von allem Häuslichen ferngehalten. Sie hatte, wie ihre liebe gute, einzige Mutter Willi bei der Werbung abschreckend erklärte, »in den Haushalt bisher nur hineingerochen«! Er hatte es dennoch gewagt und seine Schwiegermama auf den Brautstand vertröstet. Ja Kuchen! Da war erst recht nichts daraus geworden! – So hatte sie sich schon auf der Hochzeitsreise mit heimlichen Sorgen gequält. Wie würde es werden? – Na! Lotte nahm sich das Beste vor und beschloß nach dem Prinzip zu handeln, das sie auf ihren Reisen ins Ausland stets befolgt hatte: »Herzklopfen inwendig, außen kalt Blut und warm angezogen!« –

Es war ja auch gegangen! Willis Begeisterung war beständig vorhanden und wollte nichts sagen. Aber alle lobten sie, und ihre Gesellschaften hatten Sensation erregt. Frau Feller war bei der ersten – der würdigen Abfütterung älterer Herrschaften – gewesen. Sie war von der Tafel, dem Essen und Lottes Verhalten so entzückt, daß sie ihr zweihundert Mark geschenkt hatte. Worauf das Schwiegertöchterlein sie so stürmisch umarmte, daß die feine zurückhaltende Frau ganz erstaunt sagte: »Aber, Lottchen, Du bist doch sonst nicht so materiell gewesen! Wie kannst Du Dich über den kleinen Zuschuß so aufregen?« – – Lotte tanzte jubelnd umher. Die alte Dame hatte gut reden! Die hatte ja keine Ahnung, wie blank sie war: Sämtliche Kassen in sämtlichen Schränken, die sie kunstvoll als Zwangssparsystem angelegt, waren leer! – Leer ihr Portemonnaie. »Alle« – ihr Wirtschaftsgeld – – und die Kochfrau noch nicht bezahlt! Auch der Konditor noch nicht! Brr! Trotz Willis ansehnlicher Beisteuer zum Feste war das Geld wie »verdreht fortgerollt«. Alles kostete so scheußlich viel! Was half es, daß sie jeden Pfennig aufschrieb? Die ausgegebenen Gelder, die kleinen Defizits kamen durch die Tintenverschwendung im Kontobuch nicht wieder! – – Und Frau Lotte hatte eine falsche Scham vor ihrem Gatten. Noch – im Anfange ihrer Ehe war es ihr peinlich, von Willi Geld zu erbitten. Sie, die nicht mehr so jung und unerfahren war, die sich immer ihre Privatausgaben selbst erspart hatte, selbst erworben sogar, sie fühlte einen falschen Stolz. Lotte brachte es nicht über die Lippen, Willi um mehr Geld zu bitten, als er ihr, nach Rat der Mutter in Vierteljahrs-Raten, bewilligt hatte. – So hatte sie in all ihrem großen, strahlenden Glück ganz geheime nagende Sorgen. Sie rechnete, rechnete und kam nicht aus, dachte an Versetzen, Borgen bei Freunden, bloß um sich nicht als schlechte Hausfrau zu dokumentieren! – Am schlimmsten war es im ersten Vierteljahr gewesen. Zu stolz, um Rat zu fragen, hatte sie sich mühsam durchgequält! –

Die lustige, verliebte Frau Doktor, die äußerlich so sicher auftrat, ängstigte sich innerlich vor ihrem Dienstmädchen, vor den Marktleuten und allen Menschen, die mit ihrem Haushalte in Berührung kamen. Und ihr Gatte oder ihre Mutter hatte davon keine Ahnung! – – Das heißt, diese nörgelnden Sorgen vergällten ihr mehr den Anfang ihrer Ehe. Jetzt hatte sie sich ganz nett eingewirtschaftet. Das Weihnachtsfest brachte ihr reiche Gaben in die diversen Kassen und in die Speisekammer, so daß sie obenauf war. Am ersten Feiertag früh, als sie mit dem Geliebten Hand in Hand neben dem duftenden Weihnachtsbaum saß und mit ihm über die herrliche Gegenwart plauderte, hatte sie ihm gestanden. Eine lange Beichte ihrer Ängste, über die er zuerst lachte und sich dann recht herzlich ärgerte. Fast kam es zu einem kleinen Krach! – Aber die Weihnachtsstimmung drang durch. Lotte bekam einen Extraschlüssel zu Willis Schreibtischschubfach. In diesen wurde ein Pappkarton gestellt, in dem eine kleine Summe stets für sie bereit lag. Obenauf aber hatte er geschrieben: »Reservefonds für notleidende Hausfrauen.« – Aus Rache stellte Lotte eine versiegelte Pappschachtel daneben, in diese war ein Geldeinwurf geschnitten, und darüber hatte sie geschrieben: »Fonds der Haushaltungsüberschüsse für eheherrliche Geburtstagsgeschenke«. Allerdings rekrutierten sich diese stolz benannten »Überschüsse« bisher meist aus milden Gaben der Frau Geheimrat Bach und der Frau Feller, welche von Zeit zu Zeit doch erfolgten. –

Wieder seufzte die junge Frau laut auf und starrte düster in die Luft. – »Guten Morgen, Lotte, na, wo steckst du denn? Man kann dir ja die ganze Wohnung ausräumen, und du merkst es nicht! Träumst Du oder hast Du noch nicht ausgeschlafen?« – – Fräulein Else Heinrich, eine neue gute Freundin Lottes, steckte den Kopf durch die Portieren, lachte und trat dann in das Gemach. – »Else, Du, das ist fein! Warte einige Minuten, dann frühstücken wir zusammen! Wo kommst Du so früh her?« – rief Lotte, sichtlich erheitert. Sie sprang auf und begrüßte den Gast. Dann half sie ihm beim Ablegen der Sachen. – Fräulein Heinrich warf sich in einen Stuhl und schaute der Freundin zu, welche ihre Thätigkeit wieder aufnahm. »Ich war in der Markthalle. Rate, wen ich getroffen habe?« – – Lottes Gesicht erglänzte: »Mein Altes?« – – »Richtig!« – – »Wie sieht sie aus, wie geht es ihr?« – – »Famos, sie schleppte einen tüchtigen Pack. Na, und stolz und selig war sie.« – – »So?« – – »Ja, erstens kommt Ihr Sonntag alle zu Tisch. Und da macht Deine dicke Wonne Pläne zu einer kurzen, konzentrierten Mastkur. Ferner strahlte sie vor Stolz über Willis Erfolge. Du, das ist ja auch enorm! Ein so junger Arzt und schon von Ausländern konsultiert? Und von so ›hohen Tieren,‹ ›so etwas imponiert!‹« – – Else sah Lotte an, um auch bei ihr den strahlenden Stolz zu entdecken, der sich auf Frau Geheimrats liebem Gesicht unverhohlen dokumentiert hatte.

Frau Doktor hob den herunter gefallenen Pinsel auf und war vom Bücken wohl etwas rot geworden. Ihr Antlitz war nichts weniger als strahlend. »Och – meinte sie – das ist doch nicht weiter aufregend! Doktor Barjakin aus Kiew hat mit Willi hier in der Klinik gearbeitet und schätzt ihn sehr – – – – natürlich! Da hat er die Dame eben hierher empfohlen.« – – »Ist es denn wirklich eine so reiche Gräfin?« – – »Gewiß, ihr Gatte brachte sie her, und sechs Personen Gefolge kamen mit!« – – »Und da wenden sich diese Menschen gerade an Deinen Mann? Weißt Du, Deinen Willi in Ehren; aber wir haben doch eigentlich andere Autoritäten in Berlin als den schönen Feller!« – – »Das stimmt! Willi hat ja auch mit ihr zwei Kapazitäten konsultiert; aber die Behandlung übernimmt er allein. Ich wünschte, sie hätte sich in eine der großen Privatkliniken gelegt!« – –

Fräulein Else schüttelte den Kopf. »Sehr praktisch ist das nicht! Andere Ärztefrauen würden bis an die Decke springen über solch einen Fang! Hoffentlich ist es doch chronisch?« – – »Es ist alles und vor allem gräßlich! – brach Lotte leidenschaftlich aus – »Wenn sie bloß gesund wäre und abreiste! Ich habe von meinem Manne überhaupt nichts mehr. Sobald er in der Klinik fertig ist und die Privatpraxis erledigt hat, muß er zu dieser hysterischen Person. Sie ißt nicht, trinkt nicht, schläft nicht und nimmt keine Medizin, wenn er nicht dabei ist. Der Graf hätte Willi am liebsten mit seiner verwöhnten Prise zusammen gekettet. Er reiste nur ab, als ihm Willi Himmel und Hölle versprochen!« – – »Das ist wirklich fatal!« – meinte Else nun nachdenklich – »Schließlich seid Ihr nicht so darauf angewiesen, daß das Honorar solch eine Rolle spielen könnte! Und wo Ihr noch so jung verheiratet seid – – – – – – – Ich wünschte, die alte Schachtel wäre erst gesund!« – – »Alte Schachtel?« – wiederholte Lotte mit Grabesstimme – »Ich danke, dreiundzwanzig Jahre ist sie alt!« – – »Donnerwetter, so jung! –« rief Else starr. Das Verständnis für die Situation ging ihr etwas auf. Daher fragte sie diplomatisch weiter mit harmloser Miene: »Hast Du sie schon gesehen? Ist sie häßlich? Sie hat wohl den fetten, russischen, antipathischen Typus?« –

Lotte beschäftigte sich mit dem Abreiben der kupfernen Beschläge an den Schrankthüren. »Du hast eine Ahnung von russischem Typus!« – antwortete sie – »So viel Grazie und Liebreiz giebt es hier gar nicht! Und ein Temperament haben diese Menschen! Zum Verrücktwerden! – – – – – – Willis Gräfin sah ich erst einmal. Sie ist bildschön, schlank und groß. Geistvoll und polyglott. Die spricht alle Sprachen!« – – »Gefällt sie ihm auch?« – forschte die Freundin in so mitleidigem Tone, daß Lotte zur Besinnung kam. Sie nahm sich stolz zusammen und sagte leichthin: »Gewiß, Willi ist sehr entzückt von seiner Patientin, so weit das eben möglich ist. Er sagt aber immer, seine Kranken kämen für ihn nur als ›Fall‹ in Betracht, nie als Frauen!« – – Else sah Lotte bedeutsam an. »Ihr Doktorsfrauen und Malersgattinnen habt es schwer! Ich hielte das kaum aus und käme um vor Eifersuchtsanwandlungen! Diese Männer sind ja in beständiger Versuchung!« – Frau Dr. Feller richtete sich hoch auf: »Na, hör' mal, Du, das wäre schlimm, wenn wir kein Vertrauen zu unseren Gatten hätten! Nein, ich kenne keine Eifersucht, Gott sei Dank!« – Sie schloß ihre Rede energisch und wurde glühend rot. – Pfui, Du Lügenkatze, wie kannst Du so schwindeln! – sagte sie sich innerlich – Als ob Du nicht seit Tagen umkämst vor Eifersucht! –

»Gnädige Frau, das Telephon!« – meldete Emma, Lotte just sehr gelegen. – »Pardon! Aber das ist Willi!« – jauchzte diese und stürzte ins Nebenzimmer, wohin ihr die Freundin folgte. Sie ergriff das Hörrohr und rief hinein: »Hier Frau Dr. Feller! Bist Du's, mein Liebster? – – – Ach, Pardon! – – – So! – – – Wie ist der Name? – – Rufburg, Bayreutherstraße 1-116. So! Danke! Mein Gatte – – – – der Herr Doktor ist in der Klinik. Ich werde ihn sofort anklingeln und hinschicken – – – – ja! – – – Bis wann hat es Zeit? – – – Spätestens halb drei Uhr! Danke! Schluß!« – – »Wieder ein neuer Patient! Jetzt muß ich Willi schleunigst anrufen!« – – »Laß Dich nicht stören, Lotte!« – – »Nee, Du, das jiebt es nich! Jeschäft geht vor!« – – Lotte ließ sich mit der Klinik verbinden; aber Herr Doktor Feller war nicht zu erreichen. Ganz blaß wandte sie sich um: »Er ist nicht da! Erstens verstehe ich das nicht! Zweitens rennen die Rufburgs womöglich noch zu einem andern, denn sie werden den Kranken doch nicht zu lange liegen lassen.« – – – »Vielleicht ist Dein Mann gerade bei der Gräfin im Zimmer gewesen?« – – »Die liegt ja nicht da. Sie ist im Hôtel, ist momentan sogar außer Bett; aber das muß ich sagen – – – mir ist es unbegreiflich – – – –«

»Was ist meiner Katz unbegreiflich?« – fragte Willis Stimme von der Thür her. Er trat hinter seine Gattin und legte die Arme um ihre Schultern. Lotte drehte sich ihm hastig zu und musterte ihn. Else, die ihn kommen gesehen, beobachtete beide amüsiert. »Wo Du warst, Schatz?« – – »Ich? Ei, bei Jekaterina Pawlowna, Gräfin Mock. Es geht ihr heute so gut, daß sie unter meiner Aufsicht eine halbe Stunde spazieren fahren wird. – – – – Ich kann Ihnen sagen, Fräulein Else, nichts ist leichter für einen geschickten Arzt, als die hysterischen Leiden einer verwöhnten Mondaine zu kurieren! Viel Energie, viel Suggestion und ein bißchen – – –« – – »Kurmacherei gehört dazu! Der Herr Arzt schauspielert ein wenig den schmachtenden Seladon und erzielt, so lange er anwesend ist, wahre Wunder!« – ergänzte Lotte bitter. Willi hatte inzwischen den Gast begrüßt. Völlig unbefangen lachte er auf und sagte: »Im Grunde hast Du nicht so unrecht. Kleines! Ich wünschte nur, wir wären auch wissenschaftlich erst so weit, unsern persönlichen Einfluß in seiner Wirkung nachhaltiger zu gestalten. Aber solch ein Hysteriker ist ganz unberechenbar! Zum Beispiel, meine schöne Russin, eine ebenso charmante, wie geistreiche Frau, ist vorläufig nur imstande zu gehen, wenn sie sich auf meinen Arm stützt!« – – »Sehr bequeme Art, seine Verliebtheit zu entschuldigen!« – – »Red' keinen Unsinn, Katz!« – – »Nee, durchaus nicht, lieber Mann; aber mit Deiner Gräfin bist Du eben blind. Bei der glaubst Du alles und merkst absichtlich nicht, daß Du in die Schlingen einer schlauen Kokette gerätst!« – entgegnete Lotte zornig. Zuerst machte der hübsche Arzt ein verdrießliches Gesicht. »Thorheit! Du erschreckst mich schon seit einigen Tagen. Du, eine so vernünftige Frau, fängst an, zur Eifersucht zu neigen!« – – – – »Ich? Na, nu hört die Weltgeschichte auf! – erwiederte sie gereizt – Ich denke nicht daran! Aber Du sprichst ja schon von nichts anderem als von Deiner Jekaterina! ›Das‹ thut sie, und ›dies‹ sagt sie! – – – ›Das‹ trug sie, und ›so‹ sah sie aus! All ihre Leiden sind nichts als notorische Ungezogenheiten. Ich sollte nur mal plötzlich die Stimme verlieren oder die Kraft, zu laufen. Was würdest Du wohl sagen?« – –

Willi zündete sich eine Zigarette an: »Auslachen würde ich Dich, mein Herzblatt, oder Dich auf den Trab bringen. Du gesundes, robustes, kleines Weibchen bist auch nicht mit der Gräfin Mock zu vergleichen. Sie ist der Typ der dekadenten, nervösen, schwach konstituierten Weltdame. So scherzhaft ist ihr Leiden überhaupt nicht, denn Du weißt sehr gut, daß sie fast ganz gelähmt zu mir gebracht wurde. Seit Jahren hat man falsch an ihr herumgedoktert! Setzen Sie Lotte nachher den Kopf zurecht, verehrtes Fräulein! Ich muß jetzt ins Hôtel fahren und die Gräfin mit ihrer Zofe abholen. Sie erwarten mich!« – – Frau Lottes blasses Gesichtchen wurde plötzlich rot vor Freude. »Das wird nicht gehen, Willi! Du bist gerufen worden – – – –«

Fräulein Else Heinrich amüsierte sich innerlich höchlichst, während das Ehepaar miteinander sprach. Sie durchschaute die Freundin und ärgerte sich über deren Gatten. Wozu war er auch so eifrig? Er konnte ja die Patientin warten lassen oder weniger von ihr sprechen, wenn er sah, wie es um seine Frau stand! Aber diese Männer! Die schöne geistreiche Fremde imponierte ihm augenscheinlich doch! Lotte verließ das Zimmer, um rasch etwas Frühstück bereit zu stellen. Der Arzt packte seinen Verbandkasten ein. »Entschuldigen Sie uns; aber die Pflicht geht vor!« – – »Bitte, lassen Sie sich nicht stören, Herr Doktor!« – – Er war fertig und telephonierte nach dem Hôtel, daß er plötzlich verhindert sei und die Frau Gräfin erst zwischen ein und zwei Uhr abholen würde. Dann sagte er, sich Else zerstreut zuwendend: »Fatal! Aber was soll man thun? Sie wird enttäuscht sein! – – – – Was sagen Sie übrigens zu Lotte?« – – »Hm! Sie thut mir leid« – meinte der Gast – »weil ich sehe, daß sie sich quält. Sie sind unklug, lieber Herr Doktor!« – – »Unklug?« – wiederholte er erstaunt – »Wie meinen Sie das?«– – Else räusperte sich. »Nun – – hm, sehen Sie – – – – – wenn Ihnen die Gräfin so gefällt, so sagen Sie es Ihrer Frau nicht! Aber wenn Sie ihr immer von ihr erzählen, dann kommt sie eben auf den Gedanken, daß Sie für dieselbe schwärmen!« – –

Willi setzte den Verbandkasten, den er bereits aufgenommen, wieder hin. Er war außer sich: »Aber, liebes Fräulein, was reden Sie da? Diese Frauen! – – – Natürlich schwärme ich für die entzückende, liebenswürdige Russin! Keiner wird sich ihrem Bann entziehen können! Das hat doch aber nichts mit meinem Gefühl für meine Frau zu thun! Seien Sie unbesorgt, die bleibt für mich stets das Teuerste und Entzückendste auf der Welt! – – – – Selbstverständlich werde ich ihr weiterhin von der Mock erzählen, eben weil die Sache so durchaus harmlos ist! Wenn ich schweigen würde, dann erst hätte meine Lotte Grund, aufmerksam zu werden. Nein, nein, diese Eifersucht bemerke ich bei ihr zum ersten Male, und die werde ich ihr energischst abgewöhnen. Solche Eigenschaft könnte den Frieden unserer Ehe recht unangenehm stören, und vor diesem Paradies stehe ich wie ein Cerberus!« – – »Komm schnell, und iß einen Happen, Schatz! Emma holt die Droschke. Aber erst sage mir, wer der Cerberus ist?« – rief Lotte, die zurückkam. Er umarmte sie lachend. »Ich bin der Höllenhund, Frau Feller, verstanden? Obendrein bin ich Exekutor, und wenn Du eifersüchtig werden willst, giebt es pitsche, patsch!« – – »Ich möcht' wissen, wer eifersüchtiger ist, Du oder ich? Bitte, denk nur an Kläres Geburtstag und den Amtsrichter Berndt. Du holst mich doch sofort weg, wenn nur irgend ein Herr in meiner Nähe ist!« – – »Herren haben auch bei Dir absolut nichts zu suchen, Katz!« – – »So? Und ich soll still sein, wenn Du mit der Mock – – – mockturteltaubst?« – – Er gab ihr einen Nasenstüber. »Das ist etwas anderes! Deine Kurmacher sind ganz gewöhnliches Wald- und Wiesenkraut. Meine Gräfin aber eine so exotische und berückende Blüte – – – –« – – »Pfui, Herr Doktor, Sie kennen doch das schöne Wort: Quäle nie ein Tier zum Scherz, denn es könnt geladen sein!« – warf die Besucherin dazwischen und folgte ihnen in das Speisezimmer. –

Der Arzt war längst fort. Die junge Frau saß mit der Freundin im Wohnzimmer vor ihrem Nähtisch. Sie stopfte Strümpfe des Gatten. Else schaute zu. Beide philosophierten über die Ehe und die Liebe vor und nach der Hochzeit. – »Ja, anders wird es doch, – meinte Lotte seufzend – ich will ja nicht sagen schlechter! Im Gegenteil! Aber die poetischen Illusionen schwinden. Wer mir vorher gesagt hätte, daß mein Willi niederträchtigerweise in jedem Strumpfe die große Zehe durchkniebeln würde, den hätte ich gebracht! Aber ein raffiniertes Geschick hat er in dieser Beziehung!« – – Sie streifte einen zweiten Strumpf über den Holzpilz: »Siehste, da hat er schon wieder gespießt! Und ich – – – – brrr – – muß stopfen!« – – »Jetzt nähst Du wohl nicht wieder zusammen wie früher?« – fragte Else lachend. – – Lotte wurde rot wie ein ertapptes Schulmädel: »Unter uns gesagt – – – doch! So die kleinen Löcherchen, wo nur die Maschen trennen. Ach Du, man wird ja so kirre, wenn man verheiratet ist. Staubwischen, Flicken, Stopfen, sogar kochen mußte ich schon!« – – »Sage 'mal ernst und aufrichtig, Lotte, hast Du Dir die Ehe schöner vorgestellt? Bist Du enttäuscht zum Guten oder zum Schlechten?« – –

Die Gefragte lehnte den Kopf an und dachte nach: »Nun, ich weiß, daß ich glücklich bin, sehr glücklich, weit über Verdienst! Aber natürlich, in manchem muß man seine Forderungen niedriger schrauben!« – – »Worin zum Beispiel?« – – »Nun vorher – – – – als Bräutigam, da ist die Braut wie ein Gott. Er sieht nur sie, er wirbt beständig, er zeigt sich leiblich und seelisch nur in Gala, er vergißt alles über sie. Nachher als Gatte hat er sie ja sicher, da tritt der Beruf wieder in sein volles Recht. Der Herr Gemahl zieht den kleidsamen Frack aus und kommt auch mal im Schlafrock an – – –« – – »Scheußlich!« – – »Ach nee, Du, es ist ganz selbstverständlich und kommt so nach und nach, daß Du es gar nicht merkst! Man kann doch nicht das ganze Leben lang nur Schokolade futtern!« – – »Na Du, wie ich Dich vorher kennen gelernt habe, muß Dir doch manches doll vorgekommen und schwer geworden sein! Du thatest zwar immer höllisch vernünftig und praktisch; aber im Grunde warst Du doch eine echte Idealistin!« – – »Das stimmt wohl! – entgegnete Lotte träumerisch – Aber Kompromisse müssen wir alle schließen, und mir geht es ja so gut!« – – »Aber toben kannst Du nicht mehr, und als Frau nicht mehr so frech sein!« – sagte Else lachend. Sofort warf Lotte den Kopf in die Höhe und entgegnete:

»Nee, Karlineken, wenn Du Dir vorstellst, daß ich jetzt mang die gesetzten Tugendengel rangiere, da irrst Du Dich! – Ich bin nur momentan etwas zwischen mau und belämmert gestimmt. Aber Willi und ich toben noch ganz gründlich und ulken. Und wenn wir erst unsern Bengel haben, na, dann tobe ich mit ihm um die Wette! Willi sagt heute schon, daß ich ihm seine Jöhren verderben werde, wenn er nicht Zwangsmaßregeln ergreifen, mir eine handfeste Gouvernante und dem Jungen einen Schutzmann zur Seite stellen wird. Er meint immer, mit einer Tochter von Lotte Bach würde er allenfalls fertig; wie es aber mit einem Sohne werden würde, das wüßte der Himmel!« – – Fräulein Else stimmte diesem Ausrufe bei, dann fragte sie neugierig: »Aber ein Junge soll es doch werden, ein Stammhalter, was?« – –

»Unsinn! – verteidigte Frau Lotte gekränkt – Was 'mal kommt, ist gut! Am liebsten umschichtig, immer ein Junge, dann ein Mädel, bis das Dutzend voll ist!« – –

»Verdrehte Person!« – entgegnete Else mehr entsetzt als lachend. Lottes Wunsch kam ihr unmodern und absurd vor.


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