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2. Kapitel. Schachzüge

»Was macht die russische Gräfin?« – – »Wie geht es Jekaterina Pawlowna?« – – »Erzähle doch von Deines Mannes interessanter Patientin?« – –

Dieses waren in den folgenden Wochen die typischen Fragen, die Lotte peinigend verfolgten. Die Sache hatte sich in allen ihren Kreisen herumgesprochen. Man neckte Willi, nannte ihn »Herr Geheimer Medizinalrat«, prophezeite ihm eine Leibarztstelle am russischen Hofe, einen Weltruf und quälte seine kleine Frau. Nur mit Mühe beherrschte sie sich äußerlich und beantwortete die gestellten Fragen. Dabei fühlte sie sich verdrießlich und nervös. Um die reiche, schöne, junge Kranke schien ein ganz besonderer Nimbus zu wehen. Täglich erschien Herr Doktor Feller von neuem angeregt und entzückt. Und als wenn er seinem Weibchen die Hölle noch mehr einheizen wollte, erzählte er immer neue reizvolle Züge seiner liebenswürdigen Patientin. Ihre exotische Art, ihre Weltkenntnis, ihr fremdartiges Deutsch, dazu die raffinierten, kostbaren Toiletten, das unthätige große Gefolge, welches die Gräfin doch fortwährend in Atem erhielt, war dazu angethan, seine Phantasie zu erregen. Sein Herz sprach dabei nicht mit. –

Auf Bitten der Kranken mußte Lotte einen Nachmittag bei ihr zubringen. Auch sie war von dieser ganzen Atmosphäre benommen. Sie schien sich der Heldin eines hochinteressanten Romanes gegenüber. Wie die Gräfin plauderte, was sie sprach, alles war voller Grazie. Dabei überhäufte sie Lotte mit Schmeicheleien über ihren schönen, klugen Gatten, der ein ›so wunderbarer Arzt‹ sei! – Frau Doktor Feller wurde immer verstimmter. Sie fühlte sich von Minute zu Minute unbedeutender, häßlicher, kleiner werden. Ein förmlicher Haß gegen sich selbst stieg in ihr auf. – Endlich verabschiedete sie sich wie erlöst und atmete auf der Straße befreit auf. »Uff!« – sagte sie halblaut. – Daheim erklärte sie ihrem Manne mit nicht zu widersprechender Energie, daß sie »die Mock« nur noch zum Abschiednehmen aufsuchen wolle. »Weshalb diese Marotte? – fragte Willi ärgerlich – Ich lerne von Dir eine neue Seite kennen. Lotte, Du bist neidisch!« – – »Ich? Du mußt es ja wissen! Nee, Jungeken, denke, was Du willst! Aber ich geh nicht mehr hin. Wie eine Gänseblume neben einer kostbaren Orchidee kam ich mir vor. Das habe ich aber nicht kontraktlich, mir mein nichts durchbohrendes Gefühl noch verstärken zu lassen! Mit der Gräfin kann ich nicht mit! Allein bin ich – – – ich! Neben ihr – – – – nix! Nein, mein Lieber, das kannst Du nicht verlangen, daß ich mich Dir zum Vergleich direkt neben sie setze! Ich bin nicht aus Dummsdorf! Siehst Du einen Märchenvogel allein – bon! Er imponiert Dir! Siehst Du den Spatz allein, so gehört er eben in die Schöpfung. Nebeneinander verliert aber der Spatz seine Daseinsberechtigung absolut! Danke für Obst und Märchenvögel!« –

Erst hatte Willi wütend den Kopf geschüttelt und den Rauch seiner Zigarre in die Luft geblasen. Jetzt lachte er, sprang auf und eilte auf seine Frau zu, die er in die Arme schloß. »Närrchen geliebtes – sagte er vergnügt – Orchidee und Märchenvogel bewundere ich und verehre sie aus der Ferne! Aber meinen frechen Spatz und die kleine Gänseblume nehme ich bei den Ohren und knutsche sie ein bißchen ab. So – – – und so! – – – Das ist mir lieber und nahrhafter!« – – Sie schmiegte sich an ihn und entgegnete schmollend: »Na, Ihr Männer seid alle Karnickel! Und wenn die alte Eva anfängt, fällt auch der neue Adam stets wieder auf den Appel rin und beißt zu! – – – – Ich kann mir nicht helfen; aber mir scheint es ganz so, als ob diese schöne Gräfin sich in Dich vergafft hat. Hübscher als ihr ausgemergelter Hering von Mann bist Du! Aber das sage ich Dir hiermit feierlich, wenn sie plötzlich die hysterische Anwandlung bekommen sollte, zu Dir zärtlich zu werden, dann – – – – oh dann – – –«. Lotte ballte beide Fäuste, und ihre Augen glühten. Ihr Mann wurde wieder ärgerlich: »Du scheinst ja viel Vertrauen in mich zu haben?« – – »Ach, Ihr Männer!« – – »Hast schlimme Erfahrungen gemacht, nicht wahr?« – – »Euch kennt man!« – – »Albernheiten!«

Lotte fuhr auf. »So! Albernheiten? Gut, gut! Aber das sage ich Dir, lange sehe ich das nicht mehr mit an. Du weißt ja schon gar nicht, wie Du von ihr schwärmst. Alle Unterhaltung dreht sich um sie! Alle Menschen sind schon aufmerksam! Nächstens – – – – –« – – »Na, nächstens? Wenn ich fragen darf?« – rief Willi. – – »Schaffe ich mir auch so ein Schwarmobjekt an. Paß auf!« – – »Erst die Nase und dann die Brille – erwiderte Willi gemütlich – Männliche Märchenvögel giebt's nicht viel!« – – Jetzt lachte Lotte: »Das stimmt, die Erkenntnis ist richtig; aber ich strebe nicht so hoch hinaus. Es wird sich schon etwas finden, wenn ich recht suche!« – – Er breitete die Arme aus: »Wird ›es‹ auch so nett sein wie ich? Du willst doch hoffentlich Deine Ansprüche steigern?« Lotte warf sich hinein: »Na, wollen 'mal sehen, was sich thun läßt, Du geliebtes Wonnegeschöpf!« – – Für heute war der Friede hergestellt.

»Guten Tag, Lotte, na, wie steht's, wie geht's?« Frau Geheimrat Bach trat in das Zimmer. »Mieze, geliebte dicke Mieze, wonniges Mutterhuhn!« – jauchzte Lotte und flog ihr entgegen. Sie umarmte strahlend vor Freude die Mutter, welche sich endlich atemlos auf einen Stuhl sinken ließ. »Schreckliches Kind, immer noch so wild! Die reine eiserne Jungfrau! Geh doch vorsichtig mit mir um!« – – »Vorsichtig, ih wo wer ick denn, Du bist doch nicht aus Glas, Altes, sondern aus Marzipan, darum muß ich Dich anbeißen!« – – Neue Zärtlichkeiten, bis Frau Bach nach Atem ringend, sich befreite. Lotte nahm ihr Hut und Mantel ab, zog ihr mit sanfter Gewalt die Handschuhe aus und sagte befehlend: »So, Bachen, nun setzen Sie sich bescheiden hin! Ich werde uns einen Kaffee brauen, wie es ihn in meinen seligen Junggesellentagen nicht gab. Ich hatte nämlich eine Mutter, die mit der Fülle der Bohnen etwas gnietschte!« – – »Elende Verleumdung!« – rief die Geheimrätin. »Stille, Altes, wer sich entschuldigt, klagt sich an. Ich bemeineide alles! Für Willi und mich knickere ich auch eher; aber für Dich, solch einen geliebten, viel zu seltenen Gast – – – p! Fellers können sich's leisten! Du kriegst auch von selbst gebackenen Napfkuchen und der Sandtorte zu kosten!« – – »Nanu, so üppig?« – – »Ja, ich habe gebacken! Aber nie wieder! Fertig kaufen kommt viel billiger!« – – »Hat die Sandtorte Streifen?« – fragte die Mutter. Lotte drohte mit dem Finger. »Natürlich! Es kann auch kein Segen darüber walten, wenn Du beständig ›Klitsch‹ wünschst. Bei all Deinen Töchtern wirkt Dein schlechter Wunsch in dieser Beziehung schnöde!« – – Flink deckte sie den Kaffeetisch und machte alles bereit »Wo ist Willi?« – – »Auf Praxis, wir haben ein paar neue Fälle!« – – »Was macht die Gräfin?« – fragte die Mutter. »Hol sie der Deibel!« – fuhr es Lotte heraus. – »Nanu?« – – »Ich meine – verbesserte sich die junge Frau verlegen – sie ist etwas anspruchsvoll, weil sie hier viel allein ist. Immer soll mein Mann bei ihr hocken. Heute Abend sind zum Glück zwei Damen von der Gesandtschaft bei ihr, sonst hätte sie sicher Willi 'ranbekommen! – – Nebenbei geht es ihr viel besser!« – – »Wann reist sie ab?« – – »Hoffentlich bald! Übrigens müßt Ihr uns alle, Neuwalds und Kläre mit Harder Sonntag zu Tisch besuchen!« – – »Warum so plötzlich?« – – »Ach, die Mock hat mir von Borchardt ein Stillleben zugehen lassen, aber nobel! Die schönsten Delikatessen und alles mit Blumen umwunden!« – – »Das ist doch sehr nett!« – – »Ach was, mir schickt sie's und Willi meint sie. Ich liebe solche Zicken nicht. Sie soll gesund werden, Rechnung zahlen und abrutschen. Weil ich ihr ein paar Rosen brachte, revanchiert sie sich, und das peinigt mich! Vielleicht soll ich sie gar noch auffordern; aber da ist sie schief gewickelt. So was giebt es nich!« – – »Lotte, wie bist Du unklug! Du kannst Willis ganze Zukunft untergraben!« – warnte Frau Bach.

Die Tochter blieb unzugänglich, darum lenkte die Mutter das Gespräch auf andere Dinge. Sie fühlte mit mütterlichem Instinkt, daß sich Lotte mit Eifersucht quälte. Es war jedoch ihr Grundsatz, sich nie in die Ehen ihrer Töchter zu mischen. Darum schwieg sie und sagte ablenkend: »Rate, wen ich heute gesehen habe, und wer Dich grüßen läßt?« – – »Nee, Wonnchen, das krieg ich doch nicht 'raus!« – – »Na, Lotte, ein alter Verehrer von Dir.« – – »Von mir?« – Die junge Frau wurde rot. – »Ja, sogar ein uralter, ein Gespiele!« – – »Ach! – rief Lotte froh – Erst wollte ich Häschen raten, jetzt aber weiß ich wer: Franz Haffner!« – – Die Geheimrätin lachte: »Ja, Du Spitzbube! Denke Dir, ich traf ihn, als er gerade bei mir Besuch machen wollte. Sonntag kommt er zu Dir!« – – »Sehr verbunden! Willi wird entzückt sein!« – überlegte Lotte. Sie dachte nach. Auf einmal blitzte es in ihren Augen auf. Sie lachte. »Was hast du?« – – »Nix, ich freue mich auf ihn. Da kann ich ihm doch mein schönes Heim zeigen. Dem wird die Puste vergehen. Wie lange bleibt er denn?« – – »Vorläufig für immer, er ist hierher versetzt!« – – »Sehr fein! Sehr fein! – Lotte rieb sich die Hände – Und was macht Fritz, ist er mit seinem Rollmops glücklich?« – – »Er steht am Rhein irgendwo. Ich habe den Namen der Garnison vergessen. Sie haben zwei Söhnchen, Fritz schreibt befriedigt. Apropos, Lotte, bei Max Helm sollst Du Patin werden. Er und die Frau werden in diesen Tagen an Dich herantreten. Die Mutter erzählte es mir!« – – »Gern, warum nicht! Ich stehe gern Pate; aber so lieb wie meinen Petersburger Patensohn werde ich die ›Helmverzierung‹ doch nie bekommen. Wenn ich bloß den kleinen Wowa 'mal sehen würde!« – – »Ja, liebes Kind, als Frau geht das mit der Reiserei nicht so. Du hast genug von der Welt gesehen. Jetzt kannst Du eine gute Weile daheimbleiben!« – – »Reg' Dich nicht uff, Wonnchen! Es wird sich bald einmal von selbst verbieten. Ich bin mit Deutschland ganz zufrieden; aber – – – Gott, Sehnsucht zu reisen habe ich gar nicht. Nur nach meinem Rußland möchte ich wieder!« – – »Lächerlich, Du warst zweimal dort, das ist genug!« – – »Du mußt doch wissen, daß alle guten Dinge drei sind! Ach, Mieze, red' doch über Rußland nicht mit. Ihr habt hier ja alle falsche Begriffe! Wer nicht da war, das Land und die Leute nicht kennt, diesen ganzen malerischen Reiz, der soll nicht mitreden!« – – »Weißt Du was, Lotte? Mir fällt eben ein, daß die Gräfin Euch einladen könnte! Das wäre nett!« – – Lotte setzte zornig die Tasse nieder: »Das fehlte noch! Wir haben genug Verwandte drüben, wir brauchen die nicht! Doch wozu solche unnütze Sachen besprechen!? Hör', Dickes, hast Du Franzens Adresse?« – – »Warte 'mal, er gab mir seine Visitenkarte, die steckte ich ins Portemonnaie. Hier ist sie – – – wozu?« –

Frau Bach kramte in ihrem Geldtäschchen und reichte sie der Tochter. »Ich möchte Franz auch gleich zu Tisch bitten und ihm die Antrittsvisite schenken. Ebenso schreibe ich an Häschen.« – – »Wird das Willi recht sein? Solch ein Klimbim?« – – »Oho, Mama! Erstens bin ich Hausfrau und lasse mir nicht dreinreden! Zweitens liebt mein Mann das Haus voller Gäste, und drittens paralysiere ich seine Othello-Anwandlungen. Zwei Verneinungen können eine Bejahung ergeben! Zwei Verehrer sind unschädlich! Im übrigen möchte ich gern einen Kuppelpelz verdienen!« – – »Um Himmelswillen, Kind, last Dich auf solche Dinge nicht ein!« – warnte die Geheimrätin und betrachtete verliebt das Stück Sandkuchen auf ihrem Teller, das zu Lottes Betrübnis mit feuchten Streifen vom Bäcker aus dem Ofen genommen war. Dabei hatte sie sich mit dem Teig solche Mühe gegeben. – »Ach was, laß doch andere Menschen auch glücklich werden! Seit Herr von Hase quittiert hat, um sein ererbtes Gut in der Priegnitz zu bewirtschaften, läßt es mir keine Ruhe! Der fesche, kleine Kerl verkaffert da total. Trübsal bläst er! Mein Häschen!« – – »Er wird eine Frau finden!« – tröstete die Mutter gleichgültig. – »Sicher; aber der Affenschwanz versteift sich doch nun einmal darauf, es müßt so eine sein wie ich! Na, für meine späteren Töchter wäre er mir zu alt. Und da er auch mit einer andern zufrieden sein wird, wenn er sie erst hat, so muß ich ihm helfen. Sonst bleibt er Junggeselle, und dazu ist er mir zu schade! Das wäre eine Sünde und Schande!« – – »Wen willst Du denn mit ihm beglücken, außer den beiden Elsen sind doch Deine Freundinnen verheiratet?« – – »Nee, die sind zu ernst für ihn! Die nehmen ihn nicht und gehen nicht aufs Land! Aber ich weiß schon, wen! Auf Geld braucht er nicht mehr zu sehen, das hat er ererbt! Also habe ich Chancen für meine kleine Prätendentin – – – es klingelt! Oh weh, Besuch!« – –

Es war aber kein steifer Besuch, sondern Herr und Frau Harder: Lottes Schwester und Schwager. Man war sehr fidel miteinander, und als der Herr Doktor kam, fand er alle höchst behaglich im Wohnzimmer beisammen. Gastfreundlich, wie er war, entzückte ihn das besonders. Gut gelaunt setzte er sich dazu und fing an, zu erzählen. Durch Fragen der Verwandten gereizt, kam er natürlich auf Frau von Mock. – Sie wurde das unerschöpfliche Gesprächsthema. Willi erzählte von ihr so voller Entzücken, daß er das sich immer mehr verdüsternde Gesichtchen seiner Gattin gar nicht betrachtete. Frau Bach und ihre Älteste tauschten besorgte Blicke aus. Herr Harder aber rief lachend. »Na, Lotte, das ließe ich mir denn doch nicht gefallen, wenn die Geschichte auch noch so platonisch ist. Die schöne Hexe scheint zu verführerisch! Garde ton roi!« – – Red' keinen Unsinn, lieber Schwager, und setze ihr keine Raupen in den Kopf. Frau von Mock ist eine so grundvornehme Natur, daß man sie stets nur bewundern, nie lieben kann!« – – »Du, die Logik ist mir nicht ganz klar!« – stritt der andere. – – »Lächerlich! Wie kleinlich Ihr alle seid! – sagte der Arzt geärgert – Meine Katz an der Spitze. Lernt doch unterscheiden!« – – »Brrr! Wie erregt!« – – »Ach, das geht seit Wochen. Ihr treibt einen ja in den Unsinn hinein! Aber ich werde gar nicht mehr reden!« – –

Lotte schälte ihre Apfelsine weiter. »P! – meinte sie – Du kannst ruhig erzählen! Was ich mir dafür kaufe! Bewundere Du ausländische Vögel, ich bleibe bei den einheimischen. Ich sage Dir: Garde ta reine!« – – Feller sprang erzürnt auf und schritt auf und nieder. »Solch ein Blödsinn! – murrte er – Ich hätte Dich für vernünftiger gehalten!« – – »Oho, mein lieber Willi, ich bin sehr vernünftig, und wenn Du glaubst, daß ich auch nur ein Tipschen eifersüchtig bin, so irrst Du Dich!« – – »Schon gut, die Sache ist erledigt! – erklärte er kurz – Hast Du schon die heutigen Reichstagsverhandlungen gelesen, Harder? Was sagst Du dazu?« – – Ein politisch-litterarisches Gespräch kam auf; aber eine leise Verstimmung lagerte dennoch über allen. –

Der Sonntag war herangekommen. Willi hatte sehr viel zu thun, sowohl in der Klinik, wie in der Privatpraxis. Im Befinden seiner russischen Patientin war ein plötzlicher Rückschlag eingetreten. Die junge Gräfin litt wieder sehr und bedurfte seiner viel. So hatte Lotte wenig von ihm und ging brummig umher. Am Vormittage hatte die junge Frau eine gehörige Arbeit mit dem Decken des Tisches. Sie kniete vor dem Büffet und nahm das gute Geschirr heraus, als Willi, zum Fortgang gerüstet, durch das Gemach kam. »Du nimmst das gute Service, Katz? Wozu machst Du Dir soviel Arbeit?« – – Lotte hob den Kopf: »Du weißt doch, daß wir Besuch haben werden. Sei recht pünktlich zu Haus, damit uns nicht wieder das Essen kalt wird!« – – Er strich mit der Hand über ihr Haar: »Dein Wunsch ist mir Befehl; aber willst Du mir noch nicht sagen, wer kommt?« – – »Sei nicht so neugierig, Schatz, sondern laß Dich überraschen! Ein paar Verwandte und ein paar fremde Herren.« – – »Aus Deiner oder meiner Bekanntschaft, Liebstes?« – – »Aus meiner, Willi! Sehr nette, mir sehr ergebene Menschen. Wenn Du klug bist, wirst Du sehr nett zu mir sein, selbst wenn es Dich Überwindung kosten sollte!«

Schelmisch blickte sie zu ihm empor und zeigte ihm ihre rote Zungenspitze. Gewandt bückte er sich und zog sie gewaltsam in die Höhe. Willi liebte Lotte in dieser großen Wirtschaftsschürze, die ihr ein so frauenhaftes, häusliches Aussehen gab. »Du bist doch eine komische Person, Katz! Bedarf es denn wirklich fortwährend einer gezeigten, bewiesenen Zärtlichkeit? Liebe ich Dich denn nicht, selbst wenn ich Dich gar nicht beachte?« – Sie legte die Arme um seinen Hals und entgegnete: »Das mag schon sein; aber Du weißt, ich liebe keine Goldbergwerke. Darum sind mir ja die Engländer so antipathisch, weil sie ihre ganzen warmen Empfindungen mit Gewalt unterdrücken! Werde ich geliebt, so will ich es fühlen und sehen, nicht nur wissen!« – Er umfaßte ihre Taille mit dem linken Arm und hob mit der rechten Hand ihr Kinn zu sich empor. »Nein, Katz, Du willst auch wie alle thörichten, kleinen Weiber, daß wir vor andern mit Euch zärtlich sind! Ich liebe aber kein Schauturnen!« – – »So und als Bräutigam? Da konntest Du nicht fünf Minuten von mir getrennt sitzen. Immer sahst Du mich verliebt an, nahmst meine Hände oder streicheltest mich! Jetzt – – – – brr! So seid Ihr alle! Nach der Hochzeit ist es ja nicht mehr nötig. Da habt Ihr uns sicher und braucht nicht mehr den zärtlichen Liebhaber zu spielen – sie seufzte laut – Wie die Schutzleute und Droschkenkutscher, wenn man Euch braucht, seid Ihr nicht da!« – – »Netter Vergleich, teuerste Gemahlin! Was bist Du noch für ein Kind!« – – Sie stieß ihn fort: »Nein, Willi, jetzt brauchst Du nicht zärtlich zu werden! – rief sie – Ich verlange auch nachher von Dir keine offizielle Knutscharie mit Liebesgebibber. Oh nein! Aber mir liegt viel daran, daß Du gerade heute recht nett zu mir bist, so recht nett. Man wird uns scharf beobachten, und ich will, daß man sieht – – –« – – »Wie wahnsinnig ich meine Frau noch heute vergöttere. Oh Eitelkeit!« – –

»Nein, so meine ich es nicht! Aber damit man merkt, daß wir – – – bis auf die russische Mocturtle – noch sehr glücklich sind!« – rief Lotte. Verdutzt sah sie, daß Willi sie plötzlich losließ und verstimmt zurücktrat. »Ich werde mich so zeigen, wie es mir grade zu Mute sein wird, liebe Frau! An Komödien beteilige ich mich nicht! Basta! Und im übrigen wünsche ich jetzt zu wissen, wer heute bei uns speisen wird, sonst – – –« – – »Sonst?« – fragte Lotte ruhig. – – »Sonst könntest Du gewärtigen, daß ich mir unangenehme Gäste nicht eben verbindlich begrüße!« – – Lotte näherte sich ihm und sagte energisch: »Ich halte Dich für viel zu gut erzogen, als daß Du irgend einen Gast, der in unserm Heim weilt, nicht freundlich aufnimmst! Meine Bekannten sind jetzt die Deinen und kommen zu Dir wie zu mir! Heute werden unsere Mütter, Harders, Franz Haffner, Herr von Hase und Else Heinrich unsere Besucher sein!« – – Willi wurde bleich und blickte Lotte scharf in die Augen. »Also gerade diese beiden Herren hast Du Dir ausgesucht? Gerade diese?« – – Sie wurde unsicher: »Franz ist nach Berlin versetzt und wollte ohnehin kommen, und Hase ist doch jeden Sonntag in Berlin, wie Du weißt! Es sind beides meine Freunde!« – – »Sehr taktvoll gewählt!« – – »Red' keinen Unsinn, Willi! Beide haben mich verehrt; aber sie wissen, daß ich mit Dir, dem Manne meiner freien Wahl, glücklich bin! Sie nicht einzuladen, hieße, ihrer längst entschwundenen Schwärmerei Bedeutung beilegen!« – – »So? Nun, sie seien mir willkommen!« – entgegnete er eisig. – – »Findest Du Zerstreuung bei Deiner Gräfin, so laß mich mit den alten Kameraden – – – –«

Lotte sprach nicht aus, denn Willi schritt nach der Thür, sagte kurz: »Auf Wiedersehen« und entfernte sich. Verstimmt, schwer betroffen blieb Lotte zurück. Hatte sie unrecht gethan? War es nicht vielleicht wirklich thöricht, daß sie auf die kranke Gräfin so eifersüchtig war? Wie sollte sie seine böse Laune gut machen, jetzt, wo er erst zum Mittagessen wieder heimkehrte? – – –

Mitten in ihrer Arbeit der Tischvorbereitungen brach sie, seit Wochen eifersüchtig und überreizt, in bittere Thränen aus. Sie schloß sich im Schlafzimmer ein und überhäufte sich mit Selbstvorwürfen. Ihr Willi hatte einen so schweren, verantwortlichen Beruf und wie alle Ärzte so wenig Zeit für sich selbst übrig. Anstatt ihm nun die kurze Mußezeit zu durchsonnen, quälte sie ihn mit ihrer Eifersucht! Hatte er nicht recht, die geistreiche, schöne Fremde ihr vorzuziehen? Was war sie denn neben Frau von Mock? – Wie blaß er war, wie ernst geworden! Und sie lud, aus elender Koketterie und Rachsucht gerade die beiden Herren ein, auf die er nicht einmal mit Unrecht eifersüchtig war! – – – – Sollte sie absagen, sich entschuldigen? Sollte sie ihm nachfahren und versuchen, ihn einzuholen? – – – Lotte starrte in die Luft. Ihr Herz ertrug es nicht, mit geliebten Menschen böse herumzulaufen, wenn sie sich schuldig fühlte. Gehandelt werden mußte, sonst würde sie keine Ruhe haben! – Sie sann nach und fand einen Ausweg! – Ah, ihr wurde förmlich leichter ums Herz! –

Rasch, ans Werk! Ihr Mann und sie hatten schon manches kleine Donnerwetter hinter sich, auch manche Kabbelei. Immer war die Versöhnung rasch erfolgt, wenn sie nach einem Stündchen »Muckschen« sich ansahen und ihr altes Zauberwort: »Seffmanns« zur Erinnerung an ihre Verlobungsszene aussprachen. Heute lag die Sache allerdings schwerer. Sie hatten nicht »gekracht« und nicht »gegneddert«. Es war seit Wochen solch gespannte Stimmung und jetzt so etwas Eisiges zwischen ihnen; das durfte nicht einreißen! – Sie deckte rasch die Tafel fertig, verteilte die Blumen in Vasen und Schalen durch die schönen, geschmackvollen Räume und begab sich an Willis Schreibtisch. – Dort schrieb sie Tischkarten mit Namen. Für ihren Willi nur kurz: »Der Hausherr gedenke Seffmanns!« Alsdann flog ihre Feder über das Papier. Sie schrieb ihm noch einen langen Brief, in dem sie ihm ihre thörichten Eifersuchtsqualen schilderte und wenn auch nicht direkt, sondern klug umschnörkelt, seine Wiederversöhnung erbat. Dieses Schreiben kouvertierte sie, siegelte es mit drei roten Siegeln und legte es obenauf in seine Schreibtischschublade. Gerade auf den Block, auf dem er seine täglichen Besuche vermerkte. »So!« – Lotte atmete schwer. Das war gemacht! Sie rieb sich die Hände. Nun würde es wieder so eine so wunderhübsche Versöhnungsszene geben wie sonst. Willi ganz Weichheit und Zärtlichkeit, und sie ganz die selig übermütige Range von früher. – Die junge Frau streckte die Arme von sich: »Früher, ja früher, da war noch der Himmel voller Geigen! Jetzt, wo man selbst die Bogen mitstreichen mußte, wo so etwas wie Selbstverantwortung und Verantwortung für eine andere geliebte Person mit in Frage kam – – – jetzt war das Leben doch schwerer; aber auch reichhaltiger!« War sie anders geworden? Sie ging ihre kurze Ehe durch. Eigentlich nur in der allerletzten Zeit, wo sie die gräßliche Eifersucht kennen gelernt hatte. Sonst – – – nein! Sie war noch immer die lustige, offene Person, der Mund und Herz viel zu leicht durchgingen. Heute noch behauptete ihre Umgebung: Gatte, Mütter und Geschwister, »wie auf einem Vulkan zu sitzen, wenn Lotte losgelassen«. –

Seit ihrem Brief an Willi fühlte sich Lotte ordentlich erleichtert. Trällernd eilte sie in ihr Schlafzimmer und kleidete sich um. Sie wählte ihr feierliches, schwarzseidenes Standesamtskleid. Ihr Gatte liebte es besonders, und den Fremden, d. h. den beiden Herren würde sie mehr imponieren. Sie hatte Gewissensbisse, weil sie die beiden eingeladen und beschloß, sich durch einen würdigen Ernst in gehörigen Abstand zu setzen. Kaum war sie fertig, so klingelte es. Agnes, Mamas treues langjähriges Mädchen, war wie immer zur Hilfe bei ihr erschienen und kam jetzt an ihre Thür, wo sie bescheiden anklopfte. »Frau Doktor, zwei Herren sind da! Herr von Hase und Herr Oberleutnant Haffner. Wenigstens haben sie schöne Blumen mitgebracht!« – rief sie durch die Wand. – – »Gut, Nese, ich komme schon! – sagte Lotte hinaustretend – Schicken Sie Emma jetzt nach den Pasteten.« – –

Ein Blick in die Küche. Alles war in Ordnung. Es duftete einladend nach dem guten Essen. Ihr Hausfrauenherz schwellte der Stolz. Mit dem gleichen Entzücken betrachtete sie das schöne Speisezimmer mit der reich gedeckten Tafel. Dann – – – – ein Ruck, ein Recken – – – – – sie betrat in feierlich gemessenem Schritt die Empfangsräume. Die Gäste standen im Salon. Beide, wie die kleine Hausfrau, hatten ein leises Gefühl von ängstlicher Verlegenheit zu überwinden. Man kannte sich so genau, hatte soviel miteinander erlebt, und nun sollte man sich mit den steifen gesellschaftlichen Formen gegenübertreten. – Es war eigen! – Hase hatte Fellers bei seinen bisherigen Visiten nie angetroffen und ihrer Souper-Einladung durch einen Trauerfall nicht Folge leisten können. Haffner sah Lotte überhaupt zum ersten Male als Frau, da er in Ostpreußen gestanden. – – Die Vergangenheit durfte nicht ganz aufleben, und die Gegenwart brachte peinliche Fremdheit. –

Da rauschte sie herein in ihrem langschleppigen Seidenkleide, rauschend – elegant – etwas blaß – – und so würdig! Das war die ruppige Range, ihre angeschwärmte, herzige Lotte Bach? Diese frauenhafte, ernste Dame in dieser schönen Wohnung! – – – – Brr! – – Beide verneigten sich tief wie vor einer Königin. Frau Doktor begrüßte sie liebenswürdig, nahm die Blumen entgegen und sah sie dann erst an. Eine heiße Röte färbte plötzlich ihre Wangen. Das waren also Franz und Häschen, die da so devot zuwartend standen? Diese hübschen, feschen Leute! – – – – – Eine kurze Pause der hastigen Musterung. – – – –

»Meine gnädigste Frau – begann Hase kühn – verbindlichst – – –« Er hielt erstaunt an. Seine Anrede war für Lotte Feller das erlösende Wort. Sie brach in ein frohes Gelächter aus, in das beide halb verlegen, halb erstaunt einstimmten. – – »Nee, Menschenskinder, nu hört aber die Gemütlichkeit auf! – rief Lotte befreit – Da stehen wir uralten Freunde wie die Ölgötzen, oder um mich nach unserm früheren Kodex auszudrücken, wie die Thrantuten! Nee, das jeht nich', das wär' ja zu verdreht! Reich mir mal Deine liebe, rechte Vorderflosse, mit der Du mich so oft durchgebläut, oller Franz! So – – – und nun herzlich willkommen in meinem Heim!« – – »Gott sei Dank, Lotte!« – entgegnete er selig erleichtert und schüttelte ihre Hand. – – »So, Häschen, und nun kommen Sie mal 'ran, lieber, alter Kerl! Gott zum Gruße bei mir! Denken Sie noch an Telschow und sonstige nette Abenteuer? – – »Na ob, Frau Doktor, als ob ich die je vergessen könnte, es war doch die schönste Zeit meines Lebens!« – rief er begeistert. – – »Na, sehen Sie, meine Jugendzeit ist bei mir auch unvergessen, wozu also die Steifheit? So, meine Lieben, wollen Sie erst mein Heim sehen oder erst plaudern? Mein Mann ist noch unterwegs; aber er muß bald kommen.« – – Die Herren verzichteten auf die übliche Führung, und so setzten sie sich alle drei gemütlich in Willis Zimmer. Die junge Frau reichte Zigaretten, und ein angeregtes Gespräch kam in Gang.

»Wie geht es Herrn Doktor eigentlich? Schätzt er sein Glück?« – fragte Hase, und Franz erkundigte sich auch: »Sag mal, Lotte, wie machst Du Dich denn als Hausfrau? Hast Du Ordre parieren gelernt oder schwingst Du den Pantoffel?« – – »Soviel Fragen auf einmal sind schwer zu beantworten! – erwiderte sie – Ich weiß nur das Eine: Jeder vernünftige Mensch muß heiraten, sonst hat er seinen Daseinszweck verfehlt. Ich bin unmenschlich glücklich, Sie werden ja sehen, daß mein Mann noch famoser geworden ist als vorher. Er trägt mich auf Händen. Mein einziger Kummer ist das schnelle Wachsen der Praxis. Wie lange noch, und ich sehe ihn gar nicht mehr, soviel hat er zu thun!« – sagte Lotte hastig. Ihr Herz klopfte ein wenig, denn ihr fiel plötzlich ein, daß ihr Gatte ja in Unfrieden von ihr geschieden war. Wenn er sich bloß durch die Tischkarte versöhnen ließ und den Brief las, ehe man zu Tisch ging. – Es ärgerte sie, daß die Beiden schwiegen, wenn sie Willi so lobte. Warum stimmten sie nicht ein? Nichts wäre ihr peinlicher gewesen als vor ihnen auch nur den Schatten einer Mißstimmung zu offenbaren.

Frau Doktor Feller war eine zu gewandte Plauderin, als daß das Gespräch auch nur einen Augenblick hätte stocken können. Über ihre innere Unruhe fort entwickelte sie durch Auffrischen alter Erinnerungen eine echte Heiterkeit. Herr von Hase, sowie Haffner tauten allmählich auf und wurden frisch und unbefangen. – Auch die andern Gäste stellten sich ein. Zuerst Frau Feller, welche durch die herrschende Stimmung etwas frappiert war. Alsdann Familie Harder, Fräulein Heinrich und zuletzt Frau Geheimrat Bach. Alle waren nun beisammen bis auf den Hausherrn. – Lotte eilte auf den Erker: »Kommt mal her, Kinder, und helft spähen! Da habt Ihr es nun! Seht es selbst, wie schlecht wir armen Hausfrauen es haben! Keine Pünktlichkeit, kein Verlaß auf unsere Männer. Jeder verdorbene fremde Magen, jede verrenkte Zehe hat das Recht, den Arzt aus den Armen seines liebenden Weibes zu reißen! Pfui Deibel! Wenn mir aber heute mein Essen verbruzzelt und dadurch mein Hausfrauenruf in die Brüche geht, dann reiße ich mir jedes Haar einzeln aus! – Häschen, marsch, hierher! Sie sehen nach rechts! Du, Franz, spähst nach links! Ich übernehme die Mitte. So, wer von Euch zuerst meinen Mann sieht, bekommt eine Belohnung. Angefangen!« – – Man war sehr lustig auf der »Warte«. Irrtümer in der Person, falsche Meldungen und blinder Alarm entfesselten Lottes Zorn und dadurch großes Gelächter. Auch die andern standen um den Erker herum, und so bemerkte keiner, daß Willi bereits unter den Portieren des Eingangs stand.

»Franz, wenn Du noch einmal solchen krummbeinigen Teckel für meinen schönen Willi hältst, dann bin ich mit Dir auf ewig Schuß. Du hast meinen Mann stets unterschätzt.« – – »Da kommt er, Frau Doktor! Das ist er! Bitte um meine Belohnung!« – rief der frischgebackene Gutsbesitzer. »Wo? – – Ach, der mit dem Hohenzollernmantel? Nee, Häschen, da sind Sie schief gewickelt! So schlenkrig strampelt mein Mann doch nicht. Ach, Kinder, strengt Euch mehr an! Meine armen Pastetchen müssen heiß gegessen werden, so ein Bummelfritze, das hat man davon, wenn man heiratet!« – seufzte Lotte.

»Guten Tag, meine Herrschaften, ich stehe schon einige Minuten hier; aber Sie schweifen in die Ferne und sehen nicht, wie nah das Gute stand!« – meinte der Arzt laut. Alle wandten sich überrascht um. Die Begrüßung fand statt. Vor der ernsten, etwas steifen Haltung des Hausherrn schwand die lässig gemütliche Stimmung der Herren sofort. Sie dankten für die empfangene Einladung und wechselten die üblichen konventionellen Phrasen. Ihre Gestalten nahmen die Straffheit preußischer Militärs an. Die kindliche, fröhliche Stimmung war fort. – Um seine Gattin hatte sich Willi kaum gekümmert. Ihre ausgestreckte Hand hatte er leicht an die Lippen geführt und sich dann an seine Mutter gewandt. Die Hausfrau verschwand einige Sekunden.

»Und in diese steife Pagode ist sie so blind verliebt! Unbegreiflich!« – raunte Hase dem Kameraden zu. – »Er war nie anders! Schade um diese süße Frau!« – murmelte Franz und zog die Uniform grade. Willi trat zu ihnen: »Ich freue mich, Sie bei mir zu sehen, meine Herren! Hat Ihnen meine Frau schon unser Heim gezeigt?« – – »Nein, Herr Doktor!« – – »So, na, Sie werden es ja noch sehen! Das schenkt sie Ihnen nicht! Finden Sie übrigens Lotte verändert, Herr Leutnant?« – – »Zuerst sehr; aber jetzt erkenne ich in ihr wieder ganz die alte Lotte wieder.« – – »Ich finde Ihre verehrte Frau Gemahlin hat noch keinen ihrer Reize eingebüßt.« – – »Ja, mein werter Herr von Hase, muß denn das sein? Sie ist doch in keine Besserungsanstalt gekommen!« – – »Allerdings, Herr Doktor, selbstredend – verbesserte sich Lottes Freund – dennoch verändern sich junge Damen –« – –

»Meine Herrschaften, ich bitte zu Tisch!« – unterbrach Lotte das Gespräch und schob die Flügelthüren auseinander. Man begab sich an die Tafel. Erregt blickte die junge Frau ihren Gatten an. Er setzte sich, warf einen schnellen Blick auf die Tischkarte und riß sie dann in kleine Fetzen. – Sie fühlte ihre Pulse hämmern; aber er sah nicht zu ihr hinüber, die am andern Ende des Tisches präsidierte. – – Man speiste und unterhielt sich; aber der kühle Ernst des Hausherrn und die forcierte Stimmung der blassen Lotte lagerte hemmend über der Mahlzeit. Haffner und Hase tauschten verständnisinnige Blicke. Ihr Urteil über Willi verbesserte sich nicht. Jeder war überzeugt, daß die junge Frau an eigener Seite ein leichteres und besseres Los gehabt hätte. – Nach Tisch wurde Willi telephonisch abberufen. Er entschuldigte sich für eine Stunde. »In Deinem Schreibtisch liegt ein Brief, der für Dich angekommen ist!« – rief Lotte, ihren Eigensinn tapfer unterdrückend. Im Grunde ihres Herzens war sie wutentbrannt auf ihn. Wie steif er war! Wie zurückhaltend eisig! Kein liebes Wort, kein Blick zu ihr! – Sie hatte die geheimen Einverständnisse zwischen Franz und Hase zornig und beschämt bemerkt. Welch falsche Meinung mußten die beiden von ihrem Gatten, von ihrer Ehe haben! Na, hoffentlich las er ihr Schreiben und wurde nachher wieder so zärtlich und lustig, wie er immer – sonst – war. –

»Hast Du Dich mit Willi verzankt?« – fragte Frau Bach. – – »Sag, Lottchen, ist Willi nicht wohl?« – erkundigte sich Frau Feller. Und die gute besorgte Kläre meinte sogar: »Ist etwas mit der Gräfin vorgefallen, reist sie ab?« – – Lotte mußte beruhigen und vertuschen. – Der Kaffee wurde im Salon gereicht. Willis Abwesenheit schien ermunternd zu wirken. Um halb sieben Uhr mußte sich Hase zu seinem Bedauern entfernen, um den Anschlußzug nach seinem Gute noch rechtzeitig zu erwischen. Harders gingen zu einer Skatpartie, Else Heinrich in ein Theater. So blieben nur die beiden Mütter und der junge Offizier, der ein Aufbrechen zur rechten Zeit nicht gut verstand. Er spielte sehr nett Klavier. Deshalb postierte Lotte ihn vor das Instrument und ließ ihn die Melodieen spielen, die sie liebte und mit ihrem Gesang begleitete. Das Repertoire des Oberleutnants beschränkte sich zwar meist auf moderne Operetten und die Nummern des Überbrettels. Aber was schadete es, die Zeit ging wenigstens hin! – Endlich kam Willi heim. Lotte stürzte ihm entgegen. Er ließ sie vor sich stehen bleiben, ohne sie in die Arme zu schließen. »Guten Abend!« – meinte er ruhig. – »Hast Du den Brief gelesen?« – fragte sie angstvoll. – –»Ja!« – – »Und – – –?« – Sie sah ihn antwortheischend an. – »Ich freue mich über den guten Stil und den schnellen Wechsel der Stimmung; aber ich bin kein Automat, den man nach Belieben aufziehen und abstellen kann. Eine gute Stilistin muß auch vorher und in der Unterhaltung ihre Worte richtig setzen können. Aber bitte, hier keine Szene, wir werden beobachtet!« – – Er schritt an ihr vorüber und setzte sich zu den beiden alten Damen. Nach dem Abendessen spielte er mit ihnen eine Partie Skat. – Ab und zu flogen seine Blicke zu dem Pärchen, das sich noch immer mit der Musik beschäftigte oder von Kindheitserinnerungen schwatzte. – Lottes Wangen glühten. Ihre Augen schimmerten in unnatürlichem Glanz. Er kannte jeden Zug an der geliebten Frau und wußte, daß ihr ganzes Wesen sich in trotzigster Auflehnung befand. Sie kokettierte sträflich mit dem Jugendfreund.

Willi selbst schwankte zwischen zwei Polen hin und her. Einerseits hatte sie ihn tiefgekränkt, und er zürnte. Andrerseits rührte ihn ihr Brief. Aber er konnte und durfte nicht nachgeben, wenn er nicht seine ganze Autorität einbüßen wollte. – An diesem Abende gingen die jungen Eheleute ins Bett, ohne sich ausgesöhnt zu haben. Sie sprachen kein Wort miteinander.


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