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Altweibersommer.

»Das ist eine eigentümliche Erscheinung,« sagte Fritz und lauschte hinaus in den rauschenden Regen. »Wenn das so weitergeht, nützt einem sein ganzes Goldherz nichts!« erwiderte Elsalutz.

»Ich hoffe, es geht vorüber.«

»Du bist ein unverbesserlicher Optimist, mein Schatz!« Das klang liebenswürdig. Es ist aber der Ton, der die Musik macht; und der unterschied sich in diesem Falle gar nicht so sehr von dem verdrießlichen Klange der Tropfen. »Dabei soll man nun schlafen!«

»Tja, lieber Gott,« entgegnete Fritz und schupfte die Flügel, »wenn euch Frauen nicht alles nach Wunsch geht, verliert ihr gleich die gute Laune. Was Gott schickt, ist gut.«

»Am Ende zerweicht der ganze Steinbruch in der Nässe …«

»Der Himmel bleibt uns doch,« sagte Fritz.

»Es ist so finster hier. Ich hätte mir eine andere Wohnung gesucht.«

»Ach, liebe Elsalutz, in der Dunkelheit schläft es sich ja am besten! Namentlich, weil wir die Augen nicht zumachen können.« So bemühte sich Fritz, seiner Frau auch die düsterste Stunde hell zu machen mit dem Licht, das in seinem Herzen stand. Elsalutz gab ihren Widerstand aus – gegen sein unverbesserliches Dichterherz richtete sie zuletzt doch nichts aus. Fritz stimmte, halb im Wachen, halb im Traume, das schöne Lied an: O Sonnenschein, o Sonnenschein, wie scheinst du mir ins Herz hinein! Elsalutz gefiel das sehr gut. Man mochte sagen, was man wollte: es war rührend; aber es dauerte nicht allzu lange; denn die Dunkelheit des Schlafgemaches lagerte so dicht um sie, daß alle Gedanken darin untergingen.

Einmal erwachte Fritz. Da sickerte etwas durch den Türspalt, und er blinzelte ganz verschlafen darauf hin. »Ich weiß nicht,« sagte er, »es ist mir so blüherlich ums Herz!« Dabei stieg er auch schon aus dem Bett und guckte zum Fenster hinaus. »Frau,« rief er, »Herzensweibchen, es ist Frühling geworden!«

»Ach wo,« sagte Elsalutz, »ich hatte gerade solch einen schönen Traum, den hast du mir entzwei gemacht.« Aber neugierig war sie doch und guckte auch hinaus. »Hm,« sagte sie, »verschlafen können wir nicht haben … Also ist es nicht der Frühling.«

»Liebe Elsalutz, du wirst nicht umhin können, dich in die herrliche Tatsache zu schicken.«

»Nein,« sagte sie, »das kann nicht der Frühling sein; denn ohne uns hätte er gar nicht einziehen können. Hast du denn ganz vergessen, daß wir als Himmelschlüssel der Luft eine wichtige Aufgabe dabei haben?«

»Das ist freilich richtig,« sagte Fritz nachdenklich. »Aber wir müssen doch über die Sache klar werden – fliegen wir also!«

Mit welcher Seligkeit sie sich da hinausschwangen! Golden und blau war der Tag, als sei er aus dem Herzen des Hochsommers herausgeblüht. Glückselig schauten sie sich um und tranken ein Schöpplein in der Glockenblume. Es war schon ein Gast darin: Florian, der Marienkäfer.

»Wie herrlich, daß ich Sie hier treffe, lieber Freund! Ich finde, die Welt sieht trotz des Frühlingstages noch ein bißchen nüchtern aus.«

»Was?« antwortete Florian. »Frühlingstag? Wie kommen Sie denn auf solch einen merkwürdigen Einfall?«

»Mein Mann ändert sich nicht, und wenn er hundert Jahr alt würde! Ich habe es ihm gleich gesagt – wir haben doch noch gar nicht so fest und so lange geschlafen!«

»Das sind die goldenen Tage des Oktobers,« erklärte Florian, »es ist eine vergängliche Herrlichkeit. Aber wir lassen uns das Herz nicht umbringen. Wenn Sie übrigens ein paar Stunden fliegen wollen, so steht dem nichts entgegen. Nur versäumen Sie sich nicht! Die Abende sind sehr kühl, und auf die Sonne ist kein rechter Verlaß mehr. Das Blut erstarrt einem immer gleich in den Adern. Ich glaube, sie haben dort oben Kohlennot.«

Fritz war für diesen guten Rat dankbar. Er machte sich mit seiner Frau auf den Weg. Sie blieben auf dem Hügel und freuten sich, die vertrauten Plätze wieder zu besuchen. Fast vier Wochen waren sie zu Hause geblieben; das Wetter war immer kalt und naß gewesen, und am häßlichsten gebärdete sich der Herbstwind.

Nun sahen sie, wie die Blätter gelb geworden waren und von der Weide und vom Schlehenstrauch herunterfielen, weil sie den Sonnenschein nicht mehr tragen konnten. Goldmann & Co. hatten ihre Fabrik geschlossen. Die Weide daneben war vereinsamt. Aber zwischen den Zweigspitzen hingen die funkelnden Netze der Spinnen, hingen dort wie strahlende Blumen – das Herz ging einem auf davor! Und in der Luft fuhren kleine weiße Schifflein. Manche waren lang und fadendünn; manche waren wie ein Bällchen Watte oder wie Schneeflocken.

Fritz und Elsalutz schauten hingerissen dem ziehenden Spiele zu und entzückten sich an dem Perlmutterglanze, der davon ausging; denn für Schmetterlingsaugen war in den fliegenden Gespinsten ein Leuchten von Farben, als hätte sich all der Glanz des Sommers darin gefangen.

»Man kann sich gar nicht denken, daß diese Schönheit vergänglich ist,« sagte Fritz.

»Kommt alles wieder!« rief ein dünnes Stimmchen. »Erlauben Sie, bitte – ich möchte nämlich auf die äußerste Astspitze dieses Zweiges.«

Hübsch sah die kleine Person nicht aus, die also sprach. Aber ihre Liebenswürdigkeit hatte etwas Bestrickendes: es war eine grünliche Krabbenspinne. Sie hieß Antonie und war nicht einmal so groß wie Florian der Marienkäfer.

Fritz und Elsalutz breiteten ihre Flügel so weit aus, wie sie konnten. »Das ist recht,« sagte Antonie, »man muß sich in diesen Tagen das Herz ganz voll Sonne scheinen lassen; dann hat man Vorrat für die stille und schwere Zeit des Winters.« Sie saß nun an der gewünschten Stelle – als wäre sie eine Blattknospe, die dort auf den Frühling wartete, um im ersten Sonnenstrahl ein Weidenkätzchen zu werden.

Fritz, der fragte, ob sie das in Absicht hätte, wunderte sich ihrer Reden. »Nein, nein,« entgegnete sie und lachte, »ich bin Schiffbauerin und Schifferin zugleich und werde alsbald hinausfahren in das Luftmeer.«

Fritz und Elsalutz trauten ihren Ohren nicht. »Tja,« sagte Antonie, »nicht wahr, man sieht mir das nicht an? Unser Geschlecht hat gegenwärtig große Aufgaben zu erfüllen. Wir sind in diesen Tagen so bedeutsam wie Sie, meine Herrschaften, zu Beginn der seligen Lichtzeit des Frühlings. Wir fahren in unsern Schiffen nämlich den Sommer aus dem Lande.«

»Man erlebt doch an jedem Tag etwas Neues und Großartiges!« sagte Fritz. »Aber wo haben Sie denn Ihre Schiffchen?«

»Das werden Sie gleich sehen!« antwortete Antonie. Dabei drehte sie sich um und nahm eine Stellung ein wie die Bombardierkäfer, als sie den Angriff auf die Skorpionfliegen machten. Aus ihrem Hinterleibe flog ein herrlich schillernder Faden. Der wedelte hinaus in die Luft wie der Wimpel an einer Mastspitze.

»Die Fahrt wird sofort beginnen!« rief Antonie. »Ade! Ade!« Der Wind nahm den funkelnden Faden auf und die kleine Spinne mit ihm! So segelte sie hinaus in den blauen Ozean des Tages, und die Zitronenvögel sahen ihr nach. Darüber erkannten sie: die ganze Luft war voll von diesen blinkenden Fahrzeugen, es war die reine Regatta!

Deshalb flogen Fritz und Elsalutz auch vorsichtig und in gemäßigter Höhe; denn es konnte leicht einen Zusammenstoß geben.

Auf dem Hügelhang war es recht still geworden. Nun ja, der Sommer fuhr über ihn hinweg aus dem Lande! Nur ein paar Glockenblumen läuteten noch. Die waren in dem frischen Winde so eifrig, als läge ihnen daran, den Entschluß des Sommers rückgängig zu machen. Außer ihnen waren alle Blumen der Erde und alle Blumen der Luft hinweggeblüht. Die schönen Käfer im Panzerröckchen waren verschwunden. Ein einziger Laufkäfer ging noch schlummertrunken umher; er suchte eine geeignete Wohnung. Auf einmal hörten sie den lieben Augustin sein Leiblied singen! Aber es klang nicht mehr so keck wie einst, sondern ging nun im langsamen Dreitakt des Großmütterchenwalzers, in dem Tanz und Klang sich wundersam auflösen …

Es war sehr hübsch und stimmungsvoll. »Finden Sie nicht, daß mein Leiblied jetzt der Schlager des Tages ist?« fragte er. Aber noch immer breitete er die Flügel in heiterem Ungestüm auf. »Wissen Sie was – wir machen eine kleine Tour. Ich schlage vor: zu den Zwetschenbäumen am Fahrweg!«

Fritz und Elsalutz waren einverstanden. Jeder Baum war ganz von glitzernden Fäden überzogen. Von Zweig zu Zweig spann sich's, und man hatte Mühe, hindurchzukommen. »Es ist nicht sehr angenehm,« bemerkte Elsalutz, »bedenken Sie: wir müssen unsere Kleider schonen für den Frühling …«

»Wer spricht da? Sind Sie befugt, hier einzutreten?« fragte ein Frostspanner, der in einer Borkenrinne gerade zum Dasein genesen war. »Die Zwetschenbäume an dieser Straße sind die Stammschlösser meines Geschlechts.«

»Teuerster Emil mit dem klangvollen Namen, setzen Sie gefälligst ein freundlicheres Gesicht auf!« rief der liebe Augustin. »So, wie Sie sich die Welt vorstellen, ist sie durchaus nicht! Hier geht's gemütlich zu. Sie müssen wissen, wir sind hier in Sachsen.«

Der Frostspanner war ein kleiner dicker Kerl in bescheidenem Gewände und merkte wohl: er hatte gegen diese vornehmen Herrschaften nicht den richtigen Ton angeschlagen.

»Sie haben sich wohl ein wenig verspätet?« fragte Fritz.

»Ich wollte diese Frage soeben an Sie richten,« antwortete der Frostspanner; »denn wenn wir aufstehen, haben die leichtsinnigen Sommervögel schon zu schlafen. Wir leben nämlich links herum!«

Elsalutz redete mit ihm von Familienangelegenheiten. Da vernahm sie zu ihrem Erstaunen, daß Emil in einigen Tagen Hochzeit halten und die Hochzeitsreise antreten wollte und einige hundert jungverheiratete Paare mit ihm. Sie hatten zu der Fahrt die Pflaumenbäume ausersehen.

»Da wird sich der Bauer im nächsten Jahre freuen,« sagte Fritz.

Und der liebe Augustin warf ein: »Es ist ja alles ganz gut, lieber Emil. Aber für so dumm dürfen Sie den Menschen nun doch nicht halten! Sie können Eier legen, soviel Sie wollen, und Ihre Raupen mögen Nester bauen im jungen Jahr, daß die Bäume aussehen, als drohten sie mit geballten Fäusten empor gegen den Himmel – der Bauer weiß sich schon zu helfen: mit seiner Raupenfackel räuchert er Ihre ganze Nachkommenschaft samt der Ihres Vetters, des Ringelspinners, in ein paar Minuten zu Tode.«

Darüber ärgerte sich Emil sehr. »Wir werden auf ein Gegenmittel sinnen,« sagte er und kroch mißvergnügt wieder zwischen die Borke. Er empfand auch die Sonne lästig.

»Es ist ein vortrefflicher Gedanke gewesen, noch einmal hier einzukehren,« sagte der liebe Augustin; »wenn der Frostspanner erscheint, dann ist es aus und vorbei, und es wird für uns die höchste Zeit, daß wir verblühen! Ich werde also ungesäumt ein frostfreies Quartier suchen.«

Fritz stellte ihm liebenswürdigerweise anheim, im Steinbruch, Zwerchgasse Nr. 2, eine gemeinsame Wohnung mit ihnen zu beziehen. Der liebe Augustin nahm dankend an.

Gemächlich flogen sie über den Hügelhang dem langen Schlaf entgegen. Einmal noch ließen sie sich auf der Schirmdolde einer Schafgarbe nieder. Die war nun dürr und klapperte, wenn der Wind daran rührte. Was sie miteinander sprachen, galt dem Gedenken fröhlicher Tage. Aber das Herz ward ihnen darüber nicht schwer … Das ist des Sommertraumes tiefster Sinn.


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