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Eines Morgens befand sich Flora LII. auf einem Spazierfluge. Wahrhaft königlich sah sie aus in ihrem schwarzen Sammetkleide mit der roten Schleppe. »Wie ein Sträußchen aus einem Feldmohn und einem schwarzen Stiefmütterchen!« sagte Elsalutz entzückt. Sie hatte sich die dichterische Weltbetrachtung ihres Gatten zu eigen gemacht und fand oft überraschend sinnvolle Vergleiche. Die Hochzeit war vor einigen Tagen in aller Stille gefeiert worden. Fritz war sehr stolz auf seine junge Frau. Das zeigte sich vor allem darin, daß er auch nach der Vermählung fast nie ohne sie gesehen ward. Nicht viele Ehepaare konnten sich eines so innigen Zusammenlebens rühmen.
Flora fühlte sich erhoben durch die freundlichen Worte der Elsalutz. Denn das leichtbeschwingte Geschlecht dieser Sonnenvögel war durchaus nicht immer der Meinung, daß sie den Blumen der Luft zuzuzählen sei. »Ich habe Sie seit Ihrem Hochzeitstage nicht mehr gesehen, liebe Elsalutz,« sagte Flora mit ihrer klingenden Altstimme.
»Erst waren wir ein paar Tage verreist, dann hatten wir sehr viele Besuche zu machen, na, und – Sie wissen – mein Fritz ist für Abwechslung.«
»Ich sähe Sie gern übermorgen vormittag im Schlosse,« sagte Flora, »ich möchte Sie und Ihren Gatten teilhaben lassen an meiner Freude.« Dabei setzte sie ein deutsames Gesicht auf. Elsalutz verstand. »Bedenken Sie doch,« fuhr Flora fort, »beim letzten Male wurden mir nur meine zwei Arbeiter Rudolf und Eugen geschenkt; und vor einiger Zeit. – Ihr Mann hat es Ihnen wohl erzählt – deckte mir die erbärmliche Feldmaus das Dach ab und hätte beinahe meine ganze Nachkommenschaft verschlungen. Durch meine und meiner Freundin Umsicht ist das verhütet worden. Deshalb möchte ich den Tag besonders auszeichnen, an dem sich die Häubchen von meinen herrlichen Puppen heben und das junge Volk ans Licht steigt. Es werden wohl zwei Dutzend sein. Können Sie sich vorstellen, welch einen prächtigen Aufmarsch das gibt? Vierundzwanzig Stück in schwarzen Sammetfräcken mit roten Schößen! Herrlich, nicht?«
»Ganz gewiß,« bestätigte Elsalutz. »Ich freue mich schrecklich! Also übermorgen früh!«
»Jawohl. Aber nicht vergessen! Es wackelt schon hinter den gläsernen Wänden und pocht und will in den Sonnenschein.«
»Wie goldig!« sagte Elsalutz. Dann flogen sie auseinander.
Flora tat, als richte sie ihre Einladung nur an Auserwählte. In ihrer Freundlichkeit und in ihrem Königinnenglück, in wenigen Tagen wieder über ein Volk herrschen zu können, forderte sie aber jeden auf, dem sie begegnete; denn ihr grundgütiges Herz kannte weder Haß, noch Überhebung, noch Nachträglichkeit für erlittene Unbill. Sogar die fette Ölhenne, deren gefräßige Tochter sie für ihre Rechnung erzogen hatte, lud sie ein. Die glänzte in ihrer gepflegten Behaglichkeit wie der stahlgepanzerte Puppenräuber. Kein Fältchen zeigte sich an ihrem Körper. »Wenn ich noch einen Wagen bekomme, werde ich Ihnen die Ehre geben,« sagte die Ölhenne. Sie dachte, das sei eine besonders gebildete Formel, die Einladung anzunehmen.
Flora überhörte solch kleine Entgleisungen geflissentlich. Wohin sie kam, sprach man bereits von dem Familienfest im Hummelschloß. Auf der Höhe des Hügels, in der Nähe der verirrten Kiefer, traf sie auf einer Scholle die Spinnenameise. Die trug ein schwarzes Haarkleid, ein rostrotes Mieder und im Rock gelbe Ringe. Sie hieß Mutz und galt mit Recht als eine der interessantesten Erscheinungen auf der Festwiese, trotz ihrer kleinen Figur.
Merkwürdig: die Spinnenameise Mutz war die einzige, der Floras Herz nicht mit unverhaltenem Frohgefühl entgegenschlug. Sie konnte sich aber keine Rechenschaft geben über die Ursache, und schließlich war das Interesse an der fesselnden Art der Spinnenameise größer als die Abneigung.
Mutz lächelte verbindlich. Sie verfügte über beträchtliche musikalische Begabung. Mit dem dritten und vierten Hinterleibsringe konnte sie ein Streichkonzert aufführen. Das war vielleicht nicht nach jedermanns Geschmack; es atmete auch nicht die beschwingte Lust, mit welcher der Geiger Zinzilein den lauschenden Sommer entzückte, aber es war ungewöhnlich, es war durchaus einmalig.
Flora zählte auch Mutz – wegen ihres Mannes – zu den Blumen der Luft, wiewohl sie wußte, daß nur ihr Gatte Murillo vier gläserne Flügel besaß. Damit führte er ein äußerst vergnügtes Dasein. Er war viel schöner als Mutz und nützte die Vorzüge nach Kräften aus, die ihm die Natur, seiner Gattin gegenüber, verliehen hatte.
Mutz konnte beim besten Willen vor Flora nicht den Respekt haben, mit dem ihr die meisten anderen begegneten. Sie schätzte ihre geistige Begabung sehr gering, und ihre Gutmütigkeit erklärte sie schlechthin für Dummheit. Das kam auch daher: Mutz bewegte beim Musizieren den dritten und vierten Hinterleibsring. Wie die Hülsen eines Fernrohrs konnte sie diese beiden ineinanderschieben. Damit spielte sie sich ihre Kammermusik; damit konnte sie ihren Gatten aus weiter Ferne rufen; aber sie konnte die Hülsen auch aus- und einziehen, ohne Klänge hervorzubringen. Das hatte sie einige Male in der Gegenwart Floras getrieben und hatte ihr weisgemacht: diese Einrichtung sei tatsächlich ein Fernrohr.
Flora war davon auch überzeugt. Das belustigte Mutz ungeheuer. »Sie führen das schönste Leben, liebe Mutz,« sagte die Hummelkönigin, »Sie betrachten sich natürlich wieder die Gegend durch Ihren Feldstecher und haben gewiß eine herrliche Fernsicht heute.«
»Geradezu berückend!« bestätigte Mutz. »Sie glauben nicht, was Ihnen durch den Mangel entgeht.«
»Glaub' ich, glaub' ich!« erklärte die Hummel mit ihrem klangvollen Alt. »Aber als eine Entschädigung hat uns Mutter Natur ja die Flügel verliehen.«
»Ein kleiner Ersatz, o ja,« sagte Mutz, »aber Sie müssen doch oft beschwerliche Reisen machen, um einen Ort kennenzulernen. Ich setze mich einfach auf eine Anhöhe, fange die Welt in meinem Fernrohr und erlebe Wunder über Wunder. Also übermorgen früh! Ich komme gern. Ich werde gleich sehen, wo sich mein Mann herumtreibt. Da können Sie ihm Ihre Einladung vielleicht noch persönlich übermitteln.«
Sie zog das Fernrohr weit aus und drehte sich auf der hohen Scholle einmal langsam im Kreise, als spähe sie hindurch. »Ah, da hab' ich ihn schon entdeckt!« Damit schrillte sie einen hellen Ton über das Land. Und schon blühte Murillo – wie eine kleine bunte Kreuzblume – durch die Luft!
Es war allgemein bekannt: die Ehe war nicht sehr glücklich. Aber es konnte auch bei der verschiedenen Lebensweise, die beide führen mußten, nicht anders sein.
Flora berichtete nun das gleiche, was sie Elsalutz erzählt hatte, und nannte auch das Menü; denn Murillo galt als ein Feinschmecker.
Dann verabschiedete sie sich. Die Zahl der Gäste schätzte Murillo auf über zweihundert. Das erheischte einen entsprechend gedeckten Tisch. Flora hatte gar nicht gründlich darüber nachgedacht. Es mußten noch mindestens ein halbes Dutzend Fürst Pückler beschafft werden. Weil sie nur zwei Diener hatte, forderte sie jetzt also die Arbeit. –
Der Morgen kam heran. Es war das schönste Sommerwetter, das sich denken ließ. Und der Aufflug der Gäste war ein sinnberückendes Schauspiel. Die Spitzen der Gesellschaft waren vollständig erschienen; davon blühte die Luft wie ein Paradiesgarten. Segelfalter und Schwalbenschwänze, die Orchideen unter den Schmetterlingen, waren so zahlreich erschienen, daß das Blau des Tages unter ihren Flügeln flüsterte. Und die großen Perlmutterfalter woben ihr Silber zwischen die Goldfäden der Sonne.
Aus allen Winden träumten sie herzu. Flora ließ es sich nicht nehmen, zur Eröffnung der Feier den großen Fanfarenruf selber zu blasen. Rudolf und Eugen hatten schon das Dach des Hummelschlosses abgedeckt. Nun standen sie wie Hatschiere links und rechts und halfen das freudige Ereignis erwarten.
Im Freien waren die Tafeln gedeckt. Es lagen da Honighäuflein, vermischt mit Blütenstaub; und aus der Kühle der Keller war das Fürst-Pückler-Eis herzugetragen worden. Dazu hatten die hervorragendsten Erzeugnisse Verwendung gefunden.
Flora hielt auch die Festrede über die Bedeutung des Tages und des Volkes, dem sie in wenigen Minuten gebieten werde.
Nun, da alle beim Mahle saßen, war das Werk sehr vernehmbar, an dem das junge Leben in den gläsernen Gräbern arbeitete: das selige Auferstehen zum Licht! Es hämmerte, es sägte, es summten die ahnungsfrohen Flügel, die sich in die Sonne breiten wollten, und es jauchzten die Stimmen schon das leuchtende Lied von der Freude.
Da bewegte sich das erste Kuppeldach. Es hob sich. Und einer stieg heraus, der breitete die Arme und trippelte einige Male um die Mauerzinne des gesprengten Grabes. Aber –
Die Versammelten verstummten vor seinem Anblick! Flora, der Königin, zitterte das Herz! Eugen und Rudolf warfen ihr einen schmerzvollen Blick zu; denn der Auferstandene war ein kleiner Kerl mit einer rostroten Weste. Er trug schwarze Hosen, die waren aus Haaren gewebt und hatten gelbe Streifen. So sah er genau aus wie Murillo, der Gatte der Spinnenameise!
In rascher Folge öffneten sich nun die anderen Zellen. Und o Schreck – nicht eine einzige Feuerhummel genas zum Dasein! Am Ende waren zweiundzwanzig Töchter und zwei Söhne von Mutz und Murillo den weißen Tönnchen entschlüpft.
Flora weinte über das Unglück zwei dicke Tränen. Sie stand erschüttert vor der nüchternen Tatsache, aber sie hatte dafür keine Erklärung; denn sie selbst hatte ihre Eier in die Berge aus Honigseim gelegt. Mit eigenen Augen hatte sie Larven daraus entstehen sehen, die alle ihres Blutes waren … Niemand aus der Tafelrunde konnte erraten, woher der Natur dieser Irrtum kam.
Nur Mutz, die Spinnenameise, wußte es. Sie hatte, sich einmal morgens, während der Abwesenheit Floras, in die Burg geschlichen und hatte jeder Hummellarve ein Ei anvertraut, damals, als die sich noch vergnügt durch die Honigberge aßen.
Murillo besprach sich mit Flora. Er erbot sich, auch im Namen seiner Frau, die Führung dieses Jungvolks zu übernehmen.
Mit zerrissenem Herzen willigte Flora die Gütige ein. »Ein Königstraum ist mir schmählich zerronnen,« sagte sie, »ich kann hier nicht länger bleiben; denn in diesem Land ist mein Volk zum Untergange verdammt. Ich suche mir ein anderes Königreich.«
Bewegt nahm sie Abschied und zog mit ihren beiden Getreuen aus in der selbigen Stunde.