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Fritz merkte schon längst, daß Elsalutz wach war. Ihn aber umspann der Halbschlummer mit goldenen Fäden. Es war ein Gefühl von so urgründiger Behaglichkeit, daß er sich hütete, mit einem Aufgebot von Willenskraft aus dem Bette zu springen.
Die bewegliche Nähe seiner Braut empfand er störend. Elsalutz trippelte immerzu mit den Beinen und zuckte mit den Flügeln; denn sie empfand die Veränderung drückend, die mit der Blüte vorgegangen war. – Dem schlaftrunkenen Fritz war das noch gar nicht zum Bewußtsein gekommen.
»Elsalutz, verhalte dich still!« sagte er mit einigem Nachdruck. »Jetzt erst fühlt man die Süßigkeit des Schlummers.« Er hatte recht. »Wir haben ja nichts zu versäumen!« Dann gähnte er; denn er wollte ihr klarmachen, daß er noch müde sei.
Eine Weile bezwang sich Elsalutz. Sie träumte mit offenen Augen in die goldene Dämmerung, die durch die geschlossenen Blumenblätter sickerte. Aber sie kam nicht zu frohem Genuß; denn sie fühlte: es wurde immer enger in ihrem Kämmerlein. Der Druck wurde fast lästig, wenn er auch nicht wehtat. Und ihre Sorge wuchs zur Angst. »Fritz!« rief sie leise und streichelte ihn mit einem Fühler.
»Liebe Elsalutz, du bist wirklich recht unbequem mit deinen immerwährenden Störungen!«
»Fritz, hör' doch mal! Ich glaube, es ist etwas Unangenehmes passiert. Fritz, ich habe eine furchtbare Ahnung …«
»Ach du, mit deinen Ahnungen! Du zerdonnerst mir diese ganze schöne Stunde!«
»Es tut mir leid, lieber Fritz, aber ich muß es dir sagen: ich glaube, wir sind gefangen.«
Das war ein Wort! Fritz schüttelte den Rest des Schlummers ab. »Gefangen?« Auch er fühlte sich nun gehalten wie von goldenen Händen. »Das ist eine peinliche Sache,« sagte er.
Weil die Sonne herrlich und warm herniederschien, belebte sich Fritzens junge Kraft mit jedem Augenblicke mehr. Er stemmte sich mit den Beinen gegen die Staubgefäße, und Elsalutz tat das gleiche. Da merkten sie, daß das Türlein hinter ihnen gar nicht schwer aufging. Plötzlich hingen sie draußen am Munde der Blume. »Na, siehst du, es war wieder einmal nur deine lächerliche Angst! Wir hätten gut noch eine Weile darin bleiben können. Es ist ja alles ganz naß. Ich habe mir gestern erzählen lassen: das ist der Tau. Der muß erst von der Sonne aufgetrunken werden, ehe wir fliegen können.«
Elsalutz sagte kein Wort. Sie schlürfte ein Tröpfchen von dem funkelnden Glanze, der vor ihrem Munde lag. »Herrlich!« rief sie. »Hast du schon versucht?«
»Ich läge lieber im Bett,« grollte Fritz. »Das unzeitige Aufstehen hat keinen Zweck. Übrigens finde ich: wir hatten ein ausgezeichnetes Zimmer. Erstens hat es eine gute Schutzfarbe – und das ist unsere beste Waffe gegen allerlei Gefahren –, zweitens schließt es sich selbsttätig. Denk' mal, wenn all diese Nässe auf unsere Kleider gefallen wäre!«
»Wir hatten ja die Flügel zusammengefaltet,« entgegnete Elsalutz. Das war eine kluge Antwort. So fest hatten die oberen Seiten der Schwingen aneinandergelegen, daß ihr Saum wie die Schneide eines Messers gewesen war. Hätten sie irgendwo mit ausgebreiteten Schwingen geschlafen, so wären wohl hundert kleine Tautropfen daraufgefallen, und wenn sie damit hätten auffliegen wollen, wären die Flügel zusammengeklebt. An ihren schön geschwungenen Enden, die aus der geschlossenen Blume herausgeragt hatten, hing in der Tat eine Perlenkette. Elsalutz betrachtete sich das bei Fritz entzückt. Und weil sie nach rückwärts sehen konnte, erkannte sie den gleichen Schmuck auch an sich. Da hatte sie schon wieder einen Schreck. »Ach, lieber Fritz,« rief sie, »wir brennen!«
In ihrer Angst wäre sie am liebsten davongeflogen. Aber sie war zu allem noch erfüllt von der süßen Schwere der Nacht. Auch Fritz erschrak. »Brennen?« fragte er und sah einen Rauch von Elsalutz und von den gelben Blumenwänden aufsteigen. Die waren nun zu einer Röhre zusammengefaltet und waren in der Nacht doch ein heller Stern gewesen! Zu seiner Genugtuung bemerkte Fritz: der Dampf kam von den Tautröpfchen. Es hatte also nichts auf sich. »Du bist schrecklich nervös,« sagte er.
Da erzählte ihm Elsalutz, wie fest er geschlafen hatte und wieviel Ängste in der Finsternis gewesen waren. Das war recht interessant.
Überdies verdampfte die Nässe des Morgens. Sie berieten, wie sie den neuen Tag am kurzweiligsten verbringen könnten.
Der liebe Augustin war der erste, der singend seine Straße zog. Da schwangen sie sich ebenfalls auf. »Wo wollen Sie denn hin?« fragte Fritz.
»Zuerst trink' ich einen Frühschoppen im Natterkopf. Dann will ich mir die Auswanderer ansehen. Es geht heut' ein großer Trupp nach der Moorwiese auf der anderen Seite.«
Dem lieben Augustin schlossen sie sich an. Dann beteiligte sich noch ein Fuchs und ein Admiral an der Partie. Als sie vom Natterkopf aufbrachen, war der liebe Augustin schon wieder in vollkommener Feststimmung. Er sang »Guten Morgen, lieber Sonnenschein« und schwang sich über dem Steinbruch hoch empor: es sah aus, als klettere er an der Liederleiter in die Luft, die die Lerche vom Himmel herunterließ. Teufelsnadel pfeilte in beträchtlicher Höhe schon über der silbernen Insel. »Ah,« rief sie, »da sind Sie ja, Sie Gelbling!« Gelbling nannte sie ihn, weil sie ihn damit herabsetzen wollte. Fritz achtete ihrer nicht.
Sie flogen an der Fabrik der Schwammspinner vorüber und kamen zu der kümmerlichen Strauchweide. Auf ihrem Dache saßen drei Gabelschwanzraupen. Sie betrachteten sich die Auswanderer, die unten gerade zum Aufbruch rüsteten. Fritz, Elsalutz und ihre Kameraden nahmen neben den Raupen Platz. Die richteten ihre Gabeln feindlich gegen sie; denn der liebe Augustin, der schon manches Sträußlein mit ihnen gehabt hatte, kickte sie ein paarmal. Da ließen sie aus ihren Gabeln eine Schnur ausgehen, die sah aus wie eine Peitsche und flappte in der Morgenluft. Das hielten sie immer so, wenn sie sich in Respekt setzen wollten.
Der vornehme Admiral begütigte sie und sagte: »Mein Vetter Augustin meint das durchaus nicht böse. Sie kennen ihn doch!«
»Ach was,« entgegnete die Raupe, »er schießt in seiner Lustigkeit immer über die Grenzen des Erlaubten. Wenn man zum Augustin geht, muß man die Peitsche mitnehmen!«
Indessen lustierte sich Augustin schon bei den Auswanderern. »Meine Herrschaften,« sagte er, »Sie hätten sich wenigstens für die Reise etwas anziehen können! Genieren Sie sich nicht, so nackt herumzulaufen?«
»Wer hat Sie denn gebeten, hier Maulaffen feilzuhalten?« fragte eine dicke Weidenbohrerraupe. Und allerdings: sie sahen verdächtig nackt aus – wie ein Stück rohes Rindfleisch.
»Sie halten es wohl mit dem Grundsatz ›Rückkehr zur Natur!‹, meine Damen?« fragte Augustin neckend und umgaukelte sie. Fritz und Elsalutz und auch der Admiral und der Fuchs kamen herzu. Und eins, zwei, drei, als trüge sie der Morgenwind herbei, spielte ein ganzer Schwarm fröhlicher Gesellen um den Zug der Auswanderer.
Die Gabelschwanzraupen waren froh, daß sich die Weidenbohrer endlich zur Fahrt entschlossen hatten. »Was meinen Sie wohl,« sagte die eine zu einer Wegericheule, »die hätten noch das ganze Gebäude ruiniert!«
»Was haben sie denn für einen Beruf?«
»Ach, sie sind Essigfabrikanten und haben obendrein eine Holzschleiferei und eine Schneidemühle. Sie geben bei Tag und Nacht keine Ruhe. Betrachten Sie sich doch den schönen Weidenbusch! Er ist krank bis ins Mark. Jeden Tag welken die Blätter an einem andern Aste. Es wird nicht lange dauern, so haben wir Nahrungsmangel. Das hat alles diese Gesellschaft auf dem Gewissen! Jetzt, nachdem sie größer geworden sind, müssen sie sich einen Baum suchen. Gestern war ein Weidenschmetterling da, der hat sie zur Auswanderung veranlaßt. Er ist ein Spinner, so ähnlich wie die Goldmanns daneben.«
Es waren gegen zwanzig Personen, die sich da auf die Reise begaben. Die meisten waren schon so dick und lang wie ein kleiner Menschenfinger, und auch so nackt. Das Aufsehen, das sie erregten, war gewaltig.
Nie zuvor waren die Weidenbohrer an der Öffentlichkeit erschienen. Und doch brauchten die Raupen zu ihrer Entwicklung zwei Jahre. Es war ein weltfremdes Geschlecht. Deshalb wunderten sie sich, daß sie wegen ihrer Nacktheit solch eine Aufregung verursachten. »Ich weiß gar nicht,« sagte die dicke Rosa, die den Zug führte, »die Gabelschwänze laufen doch auch ohne Kleider herum! Und die vom Wolfsmilchschwärmer ebenfalls. Warum machen Sie denn unseretwegen solch ein Aufheben?«
»Bei jenen ist das ganz etwas anderes,« sagte der Admiral, »sie täuschen ein anständiges Kleid wenigstens vor. Sie aber wirken durch Ihre Hautfarbe geradezu herausfordernd.«
»Jeder hält es damit, wie es für ihn paßt,« entgegnete Rosa. »Wir würden uns unpraktische Kleider in den engen Gassen unserer hölzernen Stadt sofort vom Leibe reißen.«
»Reden Sie nicht soviel!« sagte der Fuchs und tanzte vor der dicken Rosa herum. »Sie werden dadurch nicht hübscher.«.
»Wenn Sie nun nicht still sind, gieß' ich Ihnen eine Flasche Vitriol in die Augen!« drohte Rosa.
»Vitriolöse! Vitriolöse!« höhnten die Schmetterlinge und stiegen ein Stück empor in die Luft. »Sie hat ja gar kein Vitriol!« lachte der liebe Augustin. »Sie hat bloß Holzessig.«
»Sie,« rief der Fuchs der dicken Rosa zu, »begehen Sie keine Gemeinheit! Sie würden der Welt einen unersetzlichen Verlust zufügen. Sie müssen nämlich wissen: ich bin ein berühmter Mann.«
»So?« fragte die dicke Rosa. »Haben Sie beim Sommerfeste die größte Anzahl Schoppen getrunken?«
»Nein, nein,« entgegnete der Fuchs wichtig, »ich bin der bekannte Redaktionsschmetterling! An mir merken die Zeitungschreiber, daß es Frühling wird. Das verkündigen sie dann jedes Jahr der staunenden Mitwelt – denn ohne die Zeitungschreiber würde man das draußen nicht wegbekommen.«
»Für so dumm schätzen wir die Menschen von jeher ein,« sagte Rosa verächtlich, »deshalb sind wir ja auch auf diesen Hügel gezogen. Es ist am besten, man sieht keinen.«
Inzwischen waren die Auswanderer versammelt. Der Marsch begann.
»Musik! Musik!« rief der liebe Augustin. Und holte eine Blauschrecke herzu. Weil gerade Rudolf und Eugen, die Arbeiter der Feuerhummel Flora, in der Nähe zu tun hatten, wurden auch sie angestellt. Die Blauschrecke konnte aber im Gehen nicht gut geigen; deshalb mußte sie immer ein Stück vorausfliegen und dann solange spielen, bis der Zug herangekommen war. Wenn sie flog, sah sie aus wie eine schwebende Kornblume. Die beiden Hummeln dagegen bliesen ihren Marsch mit Ernst und Hingabe herunter. Auf dem Wege kamen noch etliche Streicher hinzu. »Das gibt eine Hatz!« rief der liebe Augustin.
Auch Elsalutz war über die Maßen vergnügt. Sie fühlte sich durch die Aufmerksamkeiten, die ihr der stolze Admiral erwies, besonders geehrt. Else, die Schlupfwespe, war mit ihrer Freundin Paula erschienen. »Schlecht gefahren ist besser als gut gelaufen,« sagte Else, und damit schwang sie sich einer der Weidenbohrerinnen auf den Rücken. Die merkte das gleich und ward ärgerlich. Eine andere half ihr mit ihren Beißzangen, den lästigen Gast zu vertreiben. Der kehrte aber immer wieder zurück.
Fritz bildete den Beschluß des blühenden Schwarms. Er kehrte hin und wieder schweigend in einem Gasthaus am Wege ein. Wunderliche Gedanken bewegten ihn. Wie mochte es diesen Auswanderern ums Herz sein, die von Haus und Hof gingen, um ihr Glück in der Fremde zu suchen?
Elsalutz merkte zwar nicht, daß er von Zeit zu Zeit abhanden kam; aber Theodor, das Widderchen, den er auf einem blutroten Steinklee traf, erkannte seinen Zustand sofort. »Nun,« sagte er; »hast du wieder das schwere Herz, mein Bruder?«
»Wie man's nimmt!« entgegnete Fritz – »ich dichte! Es wird sehr schön und heißt: Die Auswanderer.«
»Dann will ich dich nicht stören,« sagte Theodor. »Auch ich wäre gerne von der Partie. Aber ich bin kein Freund von langen Flügen. Ich bummle nur von Gasthaus zu Gasthaus. Wenn du den tiefen Sinn dieser Weisheit dereinst erkannt hast, mein Bruder, wirst du auch darüber ein unsterbliches Gedicht legen. Gehab dich wohl!«
Der Zug war zu seinem Ziele gelangt. Das war ein Weidenbaum mit einem fußdicken Stamm. Man mußte zu ihm über ein Stück Moorwiese. »Der Bauer, dem die Weide gehört,« erklärte die dicke Rosa, »schneidet ihr in jedem Vorfrühling sozusagen die Haare ab. Davon bekommt der Stamm den geschwollenen Kopf. Es ist ein herrliches Gebäude. Die Holzessigfabrikation und die Schleiferei werden gleich in vollem Betrieb aufgenommen!« Als Rosa das geboten hatte, krochen alle Raupen an dem borkigen Stamm empor, und nicht lange, so waren sie den Blicken der Neugierigen entschwunden. Um ihnen einen Possen zu spielen, sandte jede beim Eintritt in den Stamm einen Strahl Essig in die Luft. Die Schmetterlinge zerstreuten sich deshalb im Spiel über die Wiese.
Fritz sprach die letzte Strophe seines Gedichts noch einmal mit erhobenem Herzen vor sich hin. Dann fiel ihm Elsalutz ein. Aber er konnte sie nicht sehen. Nach längerer Zeit erst bemerkte er ihr goldenes Kleid im Rasen. Sie saß neben dem Admiral. »Wir haben hier ein sehr merkwürdiges Erlebnis,« sagte der zu Fritz, »ich beschäftige mich nämlich im Nebenberufe mit den Naturwissenschaften.«
»Soso,« machte Fritz. Es klang zugeknöpft. »Elsalutz, ich finde …«
»Komm doch rasch her!« rief Elsalutz; »hast du schon gewußt, daß Pflanzen Insekten verzehren?«
Das war für Fritz eine unerhörte Neuigkeit. Er als Dichter durfte sich dieser Sache nicht verschließen – selbst auf die Gefahr hin, daß ihn Elsalutz zum besten hielt. Er setzte sich also neben sie ins Gras. Es lag da eine Rosette aus braungrünen Blättern ausgebreitet. Die hatten einen langen Stiel, der sich gegen das Ende zu einem kleinen Teller formte. Darauf richtete sich eine Menge roter Nadeln oder Zäpfchen empor, und jede Nadel hatte ein Köpflein. Das sah sehr hübsch aus – fast wie ein Kissen, in das die Nadeln nur mit der Spitze eingesteckt waren. Und aus dem Herzen der Rosette stiegen drei Blütenstengel als Leuchter empor. An jedem hingen sieben kleine silberne Sterne. Die hatten wohl in der Nacht die Ausgabe, des Weges ziehende Wanderer heranzulocken.
Aber was mußte Fritz sehen? Auf einem der Teller saß Paula, die Speerkämpferin, und auf einem anderen ihre Gevatterin Else. Fritz wollte sie freudig begrüßen und ihnen von seinem neuen Gedicht erzählen – da rief Else: »Goldherz, mein Freund, komm, komm und hilf mir! Ich sitze hier unangenehm fest.« Es klang angstvoll. »Bitte, helfen Sie auch mir!« bat die noch kleinere Paula. »Es ist schrecklich – schreck…lich!«
Fritz konnte sich gar nicht denken, wie das möglich sei. »Sie sind doch sonst so gewandt, liebe Paula! Fliegen Sie doch einfach in die Höhe!«
»Zu einfältigen Ratschlägen ist hier keine Zeit!« schrie Paula. »Reichen Sie mir Ihre Hand – oder ich bin verloren!«
Fritz reichte ihr die Rechte und zog mit allen Kräften. Vergebens. Je fester sich Paula einstemmte, um sich gegen die roten Zäpfchen zu wehren, desto gewaltsamer faßten die sie an. Dabei krümmten sie sich in der Mitte zusammen, wie Ringkämpfer, die gegeneinander angehen, und die nächsten preßten ihre Köpfe gegen Paula. Dabei rann aus ihren Stirnen ein heller Tropfen Schweiß. Der floß auf die Speerkämpferin und legte sich ihr über Flügel und Beine. »Ich sterbe!« seufzte sie. Dann sah man sie in der blanken Flüssigkeit sitzen wie eine Mücke im gelben Meerharz, die seit hundert Jahren verbernsteint ist.
An die Rettung Elses, die auf einem Teller gegen das Herz der Pflanze Sonnentau saß, war gar nicht zu denken. »Ich habe schon einmal mit Lebensgefahr eine Florfliege gerettet,« sagte Fritz …
»Das war eine ganz andere Sache!« unterbrach ihn Elsalutz. »Denkst du etwa, ich lasse dich auf diesen gefährlichen Grund treten? Er ist ja ganz und gar mit Fallen belegt!«
»Goldherz, mein Freund,« rief Else, »ich vertraue auf Ihre Ritterlichkeit!« Sie kämpfte wie eine Verzweifelte. Aber je wilder sie rang, desto mehr Zäpfchen krümmten sich ihr entgegen. Jede Berührung durch Else wirkte auf sie wie ein Signal zum Kampf.
Für Fritz und sein empfindsames Herz war das ein atemberaubendes Schauspiel. Noch sann er auf Rettung. Aber schon rann der blanke Leim des Sonnentaus über ihr zusammen.
Als er nach Paula sah, bemerkte er: sie war bereits zu einem formlosen Klümplein geworden! Ihre Goldaugen waren ausgelöscht. Ihre gläsernen Flügel waren zerbrochen. Ihre zierlichen Beine klebten an dem dunklen Punkt in der Mitte des funkelnden Leims, als hätte sie sich nie zu fröhlichem Speerkampf darauf in die feindlichen Reihen gestürzt …
»Es ist ein Stärkerer über dich gekommen!« sagte Fritz traurig.
Dann flogen sie zurück an ihre sommerdürre Hügellehne. Die Blumen, die sich am Morgentau satt getrunken hatten, atmeten in Schönheit. Aus allen Gassen erklang Musik. Freut euch des Lebens!
Nach einigen Tagen gelüstete es Elsalutz, einmal nach Paula und Else zu sehen. Deshalb flogen sie auf die Moorwiese zu dem Pflänzlein Sonnentau.
Das stand in heiterer Unschuld an seinem Platz und hatte die tausend roten Zäpfchen kerzengerade aufgerichtet. Dies war ein Zeichen, daß der Sonnentau Hunger hatte. Alle Köpfchen schauten nach einer so leckeren Beute aus, wie es Paula und Else gewesen waren.
Fritz setzte sich neben der geheimnisvollen Pflanze auf die Erde. Er bewegte die letzten Worte der mutigen Kämpferinnen in seinem Herzen. Eine Elegie wollte er dichten, die das Gedächtnis der beiden für alle Zeiten bewahrte.
Auf den Tellern, auf denen sie gestorben waren, hatte sie die Pflanze Sonnentau auch verzehrt. Nur noch kümmerliche Reste ihrer blühenden Leiber lagen dort: zwei Knöchelchen von Paula und ein Teil des goldenen Brustharnischs von Else.
» Sic transit gloria mundi!« sagte Fritz und schaute Elsalutz gedankenvoll an.