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Fritz führte sein Goldherz spazieren. Er dachte: stundenlang … denn es fing sich in seinen Augen ein großes und herrliches Stück Welt. Das betrachtete er bei seinem beglückten Taumelflug. Dabei hatte er die kostbarsten Unterhaltungen. Besonders gut gefiel es ihm, mit einem Schwarm bunter Vettern an einer blauen Luftsäule emporzuklettern. Das sah obendrein sehr hübsch aus: denn während sie so aufstiegen in jubelndem Flattertanze, wurde eine Ranke lebendiger Blumen aus ihnen, die sich um die blaue Luft (welche sie zwischen sich hatten) herumlegte wie ein Gewind von Blüten um eine Fahnenstange. Dabei lernte er auch eine Menge Leute kennen. »Sagen Sie mal, lieber Freund Pfauenauge …«
»Augustin ist mein Name. Der liebe Augustin nennt man mich, weil ich alles verjubele, selbst mein leichtes Dasein!« erwiderte der schöne junge Mann.
»Also, mein lieber Augustin, wissen Sie vielleicht, wo die Feldkümmelgasse ist?«
»Die zweite links!« wies ihn Augustin zurecht. Da war er auch schon da.
Es stand eine blaue Glockenblume vor dem Hause der Hummel. Daran brauchte man nur zu ziehen, wenn man Flora sprechen wollte. Nun war das aber übrig geworden; denn bei Nummer 1, wo die Steinhummel mit den schönen roten Frackschößen wohnte, herrschte eine ungeheure Aufregung. Eine dicke Feldmaus war dabei, das Dach des Hauses abzudecken.
Da brummelte die Hummel aus ihrer Haustür. »Das geht mir nun doch über die Gemütlichkeit! Sie können sich hier nicht ansiedeln, Sie Vagabund – entschuldigen Sie das harte Wort! – aber auch unsereinem reißt einmal die Geduld. Sehen Sie denn nicht, daß Sie mich auf das empfindlichste schädigen?«
»Davon merk' ich gar nichts,« sagte die Feldmaus frech, »unsereiner muß auch sehen, wie er sich durchschlägt bei den teuern Zeiten.«
Zum Unglück waren Rudolf und Eugen, Floras Arbeiter, gerade auf einem Ausflug. Das Haus der Hummel war ein kleiner Erdhügel. Vielleicht hatten ihn einmal die Ameisen aufgeworfen, oder ein Maulwurf, der im Frühling hier auf Wanderschaft gewesen war. Die Hummeln hatten noch ein wenig darin gegraben und ihre Speicher angelegt. Auf diesen Speichern sammelten sie Honigseim, vermischt mit Blütenstaub, und schichteten diese Masse zu Häuflein. In jedes Häuflein hatte Flora einige Eier gelegt. Das war aber schon vor längerer Zeit geschehen; denn jetzt lagen etwa dreißig weiße Tönnlein dort. Die sahen aus, als wären sie aus Glas. Sie waren einzeln aufgestellt, wie die Hühnereier auf einem Eierbrett; freilich waren sie nur so groß wie ein kleiner Fingerhut.
Die Feldmaus wühlte rücksichtslos darin herum; denn es lagen von dem Honigseim noch gutgetrocknete Reste am Boden. Die hatten die Larven nicht aufgegessen. Und die Larven hatten sich auch die Weißen eirunden Häuslein gebaut. Darin warteten sie und träumten von gläsernen Flügeln und Blumen einen schönen Sommertraum.
Die weißen Puppentönnchen lagen aber nicht wüst auf dem Speicher herum. Die waren von beiden Arbeitern sorgsam verbunden; und auch die Wände des Hauses waren ganz ordentlich mit einer dünnen Harzschicht abgeputzt; denn Rudolf und Eugen waren geschickte Maurerpoliere.
Fritz hatte sich auf die blaue Glockenblume gesetzt; er hielt den dicken Räuber im Pelzrock nicht für ungefährlich. Auch Flora sprach nur im Fluge mit ihm.
Die Feldmaus schnitt mit ihren scharfen Zähnen die Deckel einiger Puppentönnchen ab und verzehrte den Inhalt. »Nein, nein,« sagte Flora, »das kann ich nicht länger mit ansehen! Wir Hummeln sind sehr gemütliche Leute Aber wenn Sie nicht gleich aufhören, mache ich von meiner Waffe Gebrauch.«
Zum Glück kam eine Erdhummel geflogen. Man erkannte sie daran, daß sie gelbe Streifen auf dem schwarzen Rock hatte. Sie war auch größer als Flora. »Teure Base, helfen Sie mir!« bat Flora.
Die Erdhummel, die den klangvollen Namen Euphrosyne führte, flog der Feldmaus auf den Nacken und versetzte ihr einen kräftigen Stich. Da ging die pfeifend ihrer Wege. Sie heuchelte Gleichgültigkeit; aber es tat doch unangenehm weh. »Stromer! Vagabund!« brummte Euphrosyne hinter ihr drein. Das klang aber so gemütvoll, daß Flora sagte: »Schmähen Sie ihn nicht, den Landstreicher; er ist imstande und kehrt zurück, weil er Ihre Scheltworte für eine Einladung zum Honigessen hält.«
»Schöne Geschichte,« brummte Euphrosyne und besah sich das zerstörte Dach. »Daß es solch ein Lumpenpack auf der Welt gibt! Besuchen Sie mich mal, Frau Base. Guten Tag!«
Flora bat den Zitronenfalter, ihr auf der Glockenblume ein wenig Platz zu machen. Auf dieser Höhe stieß sie in ihre Trompete, und augenblicklich erschienen Rudolf und Eugen. Sie kamen mit Körbchen, die waren ganz voll Blumenstaub. Dann brummelten sie ein bißchen in den Bart und gingen sofort an den Wiederaufbau. Es ließ sich nicht anders machen: sie mußten das Erdreich über die gläsernen Puppentönnchen schaufeln. Dabei wurden die natürlich ganz mit Sand bedeckt. Der wurde dann von ihnen durch die Haustür heraus gefahren. Und sie mußten das Dach von innen neu mit Harz verputzen. »Es ist eine Arbeit von etlichen Tagen, Frau Königin!« sagte Rudolf zu Flora.
»Was?« fragte Fritz erstaunt. »Sie sind eine Königin?«
»Ja,« antwortete die Hummel bescheiden, »Flora LII. Ich hätte auch viel mehr Arbeiter, wenn mir nicht diese dumme Feldmaus schon einmal im Frühling über mein Nest gekommen wäre. Nur durch einen Zufall sind damals zwei Tönnchen übriggeblieben. Daraus sind Rudolf und Eugen entstanden. Ich selbst habe im Steinbruch überwintert.«
Das war für Fritz alles unerhört neu. Er verstand die ganze staatliche Einrichtung nicht recht; aber am dunkelsten war ihm, was Flora mit dem Wort überwintert meinte. Er hätte auch sofort um Aufklärung gebeten, doch er dachte daran, daß sie ihm gesagt hatte: vor ihrem Hause hätte sie einen Posten französischer Soldaten aufgestellt.
Die waren auch da – eine ganze Kompanie Feuerwanzen – aber um ihren Dienst kümmerten sie sich nicht. Sie lagen auf einer Sandbank und ließen sich die Sonne auf die Röcke scheinen.
Weil ein Büschel Heidekraut dort stand, das eben zu blühen und zu duften begann, flog Fritz hin. »Kameraden,« rief, er in seiner zutraulichen Art, »warum haben Sie denn der Königin Flora nicht beigestanden?«
»Oh, quelle idée!« rief der Franzosenleutnant. » Pourquoi nous dérangez-vous? Sie stören uns! … Voyez donc, wir schlafen!«
Es klang grob. Die anderen erwachten davon und lachten weidlich über die Zumutung, einer Hummel zu helfen. Sie beachteten Fritz auch gar nicht. Eugen und Rudolf arbeiteten schon im Schweiße ihres Angesichts. Und die Franzosen amüsierten sich über einen braunen Käfer, der eine Kugel vor sich her in die Feldkümmelgasse wälzte. Die Kugel war so groß wie er selber.
Fritz hatte beschlossen, mit den Franzosen kein Wort mehr zu reden. Aber er wollte doch gern wissen, was es mit dem braunen Käfer für eine Bewandtnis hatte. Flora konnte er nicht fragen, die war ausgeflogen. Und die Arbeiter besprachen gerade eine wichtige Sache. Es hielt sich nämlich auf ihrem Tönnchenspeicher seit längerer Zeit die wohlgenährte Larve eines Ölkäfers auf. Die zehrte von dem, was die fleißigen Hummeln für sich und die Brut ihrer Königin eintrugen.
Die Hummeln in ihrer Gutmütigkeit waren der Meinung, sie sollten der Fremden auch fürder eine Freistatt gewähren. So honette Leute waren sie! Und weil die Larve der Ölhenne über die Störung schimpfte, sorgten Rudolf und Eugen in erster Linie dafür, daß sie von dem lästigen Sande befreit wurde und wieder ihr bequemes Lager bekam. Das hörte Fritz noch.
Dann fesselte ihn der Vorgang vor der Franzosenkaserne. Zweifellos hatte Flora hinsichtlich des Wachtpostens ein bißchen königlich renommiert – wie das sonneliebende Spitzmäuschen Fritzen schon erzählt hatte. Man konnte ja nun sehen, wie die Sache stand.
Es war nicht ganz leicht für Fritzen, der Unterhaltung der Franzosen zu folgen. Manchmal entstellten sie die Landessprache und mischten auch Worte hinein, die er sich nicht gut erklären konnte. Mit dem Braunen gelüstete es ihn aber auch nicht anzubinden. Denn der war ein dicker mürrischer Gesell (so sah es wenigstens aus!), der sein Heil in Weltverachtung und Schweigen erkannt hatte.
» Ah, voilà le pharmacien! Der Apotheker!« riefen die Franzosen. » Ah, le faiseur des pilules! Der Pillendreher! Sag' mal, mon gros bonhomme, was fällt dir eigentlich ein, dich zu plagen comme ça en un tel beau jour? Imbécile, que vous êtes! Ein rechter Dummkopf bist du! Mach es doch wie wir! Wir faulenzen uns délicieusement durch unser Dasein! Nous fleurissons comme les fleurs dans les champs – wie die Blumen auf dem Felde, und ihr ernährt uns doch!«
Der Braune schien nicht darauf zu hören. Er mühte sich redlich mit der großen Kugel, die er außerordentlich regelmäßig gedreht hatte.
Die Franzosen schlugen ihm vor, er sollte sich von dem Igel ein paar Flöhe schenken lassen und sie an ein Wäglein spannen. Er könne dazu ja die Blüte des scharfen Hahnenfußes benützen. Auf diesem Wagen sollte er seine Pillen einfahren. Aus ihren Reden ging hervor: sie wußten gar nicht, was der braune Vetter mit den vielen Pillen anfangen wollte. » … Personne va les acheter, vos pilules! Es kauft sie ja doch niemand!« höhnten sie.
Und in der Tat: sie waren aus den unappetitlichsten Dingen gedreht. Was der Igel hinter sich legte auf seiner nächtlichen Wanderung, oder was die Kühe auf dem Feldwege verloren, das verarbeitete der Apotheker zu Pillen. Er hieß Michel – wenigstens die Franzosen nannten ihn so. Sie verliehen diesem Wort einen merkwürdigen Klang.
Fritz konnte sich je länger je weniger für sie erwärmen. Aber für Michel den Apotheker hatte er um so größere Teilnahme. Es wäre sehr viel schöner gewesen, wenn die Franzosen nicht in der Feldkümmelgasse gewohnt hätten. Doch der Igel, der selten genug dieses Weges zog, war schwerlich zu unterrichten. Der kam immer erst abends, wenn die Kompanie schon zu Bette gegangen war. Einem Vogel konnte man auch keinen Wink geben … es waren lauter Leute, denen gegenüber die größte Vorsicht geboten war. Wenn sie die Fremdlinge einmal entdeckten, so konnte es leicht geschehen: die ganze Kompanie in den rot und blauen Waffenröcken wurde ausgerottet.
Endlich hatte der Pillendreher die große Kugel in sein Haus gerollt. Er wohnte Feldkümmelgasse Nr. 3. Den Franzosen war die Sache nicht mehr kurzweilig genug gewesen; sie zerstreuten sich über die Festwiese.
Fritz ergriff die Gelegenheit und flog vor die Tür der Apotheke. »Guten Tag!« sagte er mit lauter Stimme; denn er konnte nicht durch den engen Gang des Hauses in der Erde eintreten. Da kam Michel heraus. Er war ein sehr gelehrter Mann. Man hörte das gleich aus seinen ersten Worten. Fritz erkundigte sich nach seinen Verhältnissen und vor allem nach seiner Tätigkeit. »Die Pillen drehe ich nicht zum Verkaufe,« sagte er mitleidig lächelnd, »ich lebe in schlechten Zeiten davon. In etliche legt meine Frau je ein Ei. Solch eine wird dann Kinderstube und Kindernahrung zugleich.«
»Sehr praktisch und umsichtig,« sagte Fritz.
»Wenn Sie etwas über meine Herkunft erfahren wollen, so brauchen Sie sich nur auf die Skabiose zu setzen, die hier neben steht. Es kommen gleich eine Anzahl Schüler von mir. Ich lese heute Geschichte.«
Kaum gesagt, so nahte auch schon ein Trüpplein Käfer. Sie kamen durch die Feldkümmelgasse und waren erst gestern aus der Puppe geschlüpft. Das konnte man an ihren nagelneuen Röcken sehen. Sie hatten einen schwerfälligen, breiten Gang und ließen sich in dem Blütenkissen einer Kronenwicke nieder. Das war der Hörsaal. Michel begann das Kolleg sofort. Sie waren völlig ungestört.
»Wir entstammen einem heiligen Geschlechte,« berichtete Michel. »Die ägyptische Priesterkaste hat unsere Vorfahren zu Vertretern des Sonnengottes erklärt. Als die begabtesten unter allen Geschöpfen gelten gemeinhin die Menschen. Dagegen ließe sich sehr viel einwenden – das ist aber nicht meine Aufgabe. Ich habe nur festzustellen, daß eine Lehre vieler Menschen – nämlich die der Seelenwanderung – von uns übernommen ist. Gerade dies halte ich für ein Zeichen ihrer Unbegabtheit. Höret! Ehe ihr Pillendreher wurdet, wart ihr Puppen und vorher Larven. Die Puppen waren mit feinen Fäden umwickelt. Die sprengtet ihr und tratet in eurer heutigen Vollendung ins Dasein. Daraus schlossen die Gelehrten eines Volkes, das sich Ägypter nannte, das folgende: Erst eine Larve, dann eine Puppe, zuletzt ein Käfer – das sind drei ganz verschiedene Zustände. Vor jedem liegt ein tiefer Schlaf. Der Leib nimmt darüber stets eine andere Form an. Aber ein immer Lebendiges wandert aus jeder der sichtbaren sterblichen Leibesformen in die nächste hinüber. Dies Lebendige ist das Unsichtbare. Es ist das Unsterbliche. Das nannten sie die Seele. Danach lehrten sie: wenn die Puppe unverdorben bleibt, so steht sie als vollendeteres Wesen aus. Wir werden also den leblosen Menschenkörper unverdorben erhalten müssen, damit auch er zu größerer Herrlichkeit aufstehe! Und nach dem Muster der Käferpuppe machten sie aus dem gestorbenen Menschenleib eine Mumie und umwickelten sie mit Binden – weil sie die Fäden an unseren Puppen gesehen hatten …«
Der Herr Professor Michel war im Begriff, aus dieser Tatsache den Beweis für die Unzulänglichkeit der menschlichen Begabung zu erbringen. Das wäre sehr lehrreich gewesen. Aber er kam nicht dazu. Denn ein Geschrei erfüllte die Luft: » Sauve qui peut! Sauve qui peut!«
Man verstand das zwar nicht, jedoch es zitterte ein so furchtbarer Schrecken durch diesen Ruf – alles, was Beine hatte und damit auf der Erde lief, rettete sich in eine unterirdische Höhle oder unter eine Pflanzendecke!
Lutz der Igel spazierte mit seiner Gattin und seinen Kindern die Feldkümmelgasse daher! Er wollte seiner Familie die Gegend einmal im Sonnenschein zeigen. Die kleinen Igel machten den ersten Ausgang. Sie waren heute schon ziemlich weit gewandert.
»Warum schreien denn die Leute immer › seuve‹, Papa?« wollten die Kinder wissen.
»Schreien?« sagte Lutz und dachte nach; denn ein kluger Vater muß immer eine gescheite Antwort finden. Lutz war ein Sachse und verstand kein Französisch. »Ach,« sagte er, »sie bieten Seefe feil; für so was haben wir keine Verwendung!«
Und weil sie gerade am Kasernentor waren, fingen sie alle Franzosen und aßen sie auf.